Internationales

USA: Jill Stein wählen und Partei der 99 Prozent aufbauen!

Welche Strategie hinsichtlich der US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen?
Joshua Koritz, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV in den USA)

Befeuert durch die Wut über die massive soziale Ungleichheit und eine „Erholung“, von der die viel zitierten 99 Prozent der Bevölkerung nichts zu spüren bekamen, hat Bernie Sanders gezeigt, dass es möglich ist, eine bundesweit Aufsehen erregende Wahlkampagne zu führen – ohne dabei auf Spendengelder von den Konzernen angewiesen zu sein und das „lediglich“ auf Grundlage eines arbeitnehmerInnenfreundlichen Programms. Vor allem junge Leute, die Sanders in überwältigendem Maß unterstützt haben, haben die Präsidentschaft von Obama, die unter dem Motto „Hoffnung und Wandel“ gestanden hatte, mitbekommen und gesehen, dass es nur wenig Wandel und kaum Hoffnung gegeben hat.

„Socialist Alternative“ hat den Aufruf von Sanders zu einer „politischen Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre“ unterstützt. Leider sind seine AnhängerInnen im Regen stehen gelassen worden, weil er am Ende dann doch zur Wahl einer Vertreterin der Konzerne aufgerufen hat. Nun halten die bisherigen UnterstützerInnen von Sanders Ausschau nach einer Möglichkeit, wie diese Revolution fortgesetzt werden kann. Die Wahlkampagne von Jill Stein bietet die Möglichkeit, den Kampf, den Sanders begonnen hat, konkret fortsetzen zu können.

Jill Stein kandidiert für die „Green Party“ und hat sich auf korrekte Art und Weise an die Anhängerschaft von Sanders gewandt. Zuerst hat sie Sanders selbst einen Platz auf ihrer Kandidatinnenlisten angeboten und ist jetzt, nachdem er zur Wahl von Clinton aufruft, dazu übergegangen, direkte Aufrufe an seine UnterstützerInnen zu machen. Weil sie prominent und permanent bei den Protesten anlässlich des Nominierungsparteitags der „Demokraten“ in Philadelphia dabei war, konnte Stein direkt erleben, wie der Grad an Unterstützung für sie zugenommen hat. Das zeigt sich genauso an ihren Umfragewerten wie auch daran, dass ihr Name viel öfter in den Medien genannt wird und die Spendenbereitschaft für ihre Kampagne zugenommen hat.

Die Wut der Bevölkerung auf eine Politik, die nur im Sinne der Konzerne betrieben wird

Was die Präsidentschaftswahlen 2016 betrifft, so kann festgestellt werden, dass die Mehrheit der US-AmerikanerInnen angesichts des Ist-Zustands keine Illusionen mehr hat. Man erlebt die übliche Art von Politik, die nur im Sinne der Konzerne betrieben wird und bei der die KandidatInnen der Konzerne das Geschehen dominieren.

Die politische Situation ist reif für eine neue linke Partei, die für die Interessen der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ steht, Spendengelder von Konzernseite ablehnt und sich auf den Aufbau sozialer Bewegungen gründet. Auch wenn die Mehrheit der Sanders-AnhängerInnen „mit der Faust in der Tasche“ für Clinton stimmen wird, so kann der Wahlkampf von Jill Stein dennoch zum großen Bezugspunkt werden und die zehntausenden von Menschen vereinen, die die politische Revolution auch nach 2016 fortsetzen wollen. Das kann einen Beitrag dazu liefern, die Basis für lokale Kandidaturen gegen die konzernfreundlichen „Demokraten“ wie auch „Republikaner“ zu schaffen. Gleichzeitig wäre es ein Schritt in Richtung des Aufbaus einer neuen Partei.

Die beispielhafte Arbeit der sozialistischen Stadträtin Kshama Sawant untermauert zusätzlich, dass es möglich ist, es mit dem Establishment aufzunehmen und dabei auch noch zu gewinnen. Immerhin hat sie den Kampf für die Anhebung des Mindestlohns in der ersten Stadt der USA angeführt. Diese und weitere Kampagnen haben die politische Landschaft in Seattle verändert. „Socialist Alternative“ ist bereit beim Aufbau jeder erdenklichen Bewegung mitzuhelfen, mit der die Dominanz der Konzerne über die Gesellschaft herausgefordert werden kann.

Wir rufen dazu auf, eine neue Partei der 99 Prozent der Bevölkerung aufzubauen, die sich den Interessen der arbeitenden Menschen verschreibt. Vor kurzem hat Stein Dinge gesagt, die in genau diese Richtung deuten. Die „Green Party“ kann zwar eine wichtige Rolle beim Aufbau einer neuen Partei spielen. Es wird aber die aktive Einbindung von Gewerkschaften wie der NNU (National Nurses United – Gewerkschaft von KrankenpflegerInnen) und der CWA (Communication Workers Association – Gewerkschaft von Telekommunikationsbeschäftigten) bedürfen, genau wie der Teilnahme weiterer progressiver Bewegungen wie etwa von „Black Lives Matter“, der Studierendenbewegung und Initiativen einzelner Communities.

Den Rechtspopulismus bekämpfen – Jill Stein wählen!

Viele arbeitende Menschen sind angesichts der Gefahr, dass Trump gewinnen könnte, zurecht besorgt. Natürlich würde sich eine Präsidentin Hillary Clinton in vielerlei Hinsicht von einer Trump-Administration unterscheiden. Sie und die „Demokraten“ aber als Verbündete der arbeitenden Menschen und/oder der Unterdrückten zu bezeichnen, würde bedeuten, ihre Bilanz unter Obama zu ignorieren. Sie haben die Bankenrettungspakete geschnürt, Rekordzahlen an Abschiebungen durchgeführt, das Freihandelsabkommen TPP unterstützt und die BürgerInnenrechte eingeschränkt.

Beginnend mit Jimmy Carter (US-Präsident zwischen 1977 und 1981) hat die „Democratic Party“ den Neoliberalismus übernommen. Unter Bill Clinton brachten sie NAFTA ein, haben die „Glass-Steagall“-Gesetze (Bankenregulierung) abgeschafft, den Sozialstaat massiv beschnitten und das Mittel der massenhaften Verhaftungen heftigst ausgeweitet. Die Früchte, die die Serviceleistungen der „Demokraten“ für die Konzerne gebracht haben, werden heute von einem Donald Trump geerntet. Hillary Clinton verspricht, den Weg von Bill Clinton und Obama – sprich: die neoliberale Agenda – weiterzuverfolgen. Die Wahl von Clinton wird nicht dazu dienen, die politische Rechte zurückzuweisen. In Wirklichkeit wird eine Clinton-Administration dazu führen, dass der Rechtspopulismus neuen Auftrieb bekommt.

Egal, was das Ergebnis der Wahlen im November sein wird: Der Gefahr des Rechtspopulismus muss auf der Straße entgegengetreten werden, in den Betrieben und den Schulen und Hochschulen. Es reicht nicht allein, sich an den Präsidentschaftswahlen zu beteiligen, um gegen Ungleichheit und Unterdrückung zu kämpfen. Wir müssen Bewegungen aufbauen, die der Motor jeden Wandels sind, um sicherzustellen, dass die Bewegung „Black Lives Matter“ weitergeht, dass die LGBTQ-Community gleiche Rechte bekommt, dass wir alle kostenlose Bildung erhalten, der Mindestlohn steigt und es ein Gesundheitssystem gibt, das sich alle leisten können. Stein hat diese Punkte nicht nur in ihrem Programm, sie setzt sich auch konsequent dafür ein. Während sie ihren Wahlkampf führt, beteiligt sie sich am Aufbau sozialer Bewegungen.

Stein hat das Potential, den größten Stimmenanteil zu bekommen, den eine linke Kandidatur seit Ralph Nader im Jahr 2000 erreichen konnte. Wir stimmen zwar nicht mit allen Aspekten der Politik der „Green Party“ überein. Wenn es aber möglich ist, mehrere Millionen Stimmen für eine wirklich linke Kandidatin zu bekommen, so kann dies helfen, die Linke zu vereinen und unabhängige KandidatInnen zu motivieren, entsprechende Schritte weiter zu gehen. Eine Stimme für Jill Stein ist eine Stimme für ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem, den Mindestlohn von 15 Dollar und gebührenfreie öffentliche Bildung. Millionen von Stimmen für Stein würden die BefürworterInnen dieser Forderungen darin bestärken, 2017 politisch aktiv zu werden – um soziale Bewegungen aufzubauen und selbst bei den dann stattfindenden Kongress- und Kommunalwahlen anzutreten.

Das Zwei-Parteien-System ist am Boden

Dieses Zwei-Parteien-System liegt danieder. In den Vorwahlen haben sich lediglich 14 Prozent der Wahlberechtigten entweder für Trump oder für Clinton entschieden. Bei der Mehrzahl der Urnengänge auf kommunaler Ebene handelt es sich im Prinzip um Wahlen, bei denen nur eine einzige Partei zu wählen ist.

Die „Democratic Party“ wie auch die „Republican Party“ haben nun die Kandidatin und den Kandidaten nominiert, die – was ihre Unbeliebtheit angeht – einen der vorderen Plätze in der jüngeren Geschichte der USA einnehmen. Millionen von arbeitenden Menschen sind angewidert aufgrund der „Wahl“ zwischen einem Egomanen und einer Komplizin der Konzerne. Und in dieser Situation kommen dann noch die führenden VertreterInnen der „Democratic Party“ aus den Stadt-, Kommunal- und Regionalgliederungen daher, um uns zu erzählen, dass dies unsere einzige Wahl wäre.

Schließt euch uns an und nehmt Abstand vom Zwei-Parteien-System, das einzig und allein im Interesse der Konzerne funktioniert. Baut die sozialistische Bewegung auf gegen Unterdrückung, Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit, die der Kapitalismus mit sich bringt. Werdet Mitglied bei „Socialist Alternative“. Stimmt für Jill Stein.

Pakistan: Schulbehörde führt Zwangsversetzungen durch

Bitte um Solidarität!
BerichterstatterInnen des Komitees für eine Arbeiterinternationale, Provinz Sindh

Die Schulbehörde in der südostpakistanischen Stadt Mirpur Khas, die in der Provinz Sindh liegt, hat 15 LehrerInnen ohne rechtliche Grundlage suspendiert und 50 LehrerInnen in andere Gebiete strafversetzt. Der Anlass für dieses Vorgehen ist die Beschwerde einer Kollegin, der die Schulbehörde zuvor den Mutterschaftsurlaub verweigert hat.

Ein Beamter der Behörde hatte nach diesem Vorfall die entsprechende Schule besucht, und gegen 15 KollegInnen zum Gegenschlag ausgeholt. Sie alle sind suspendiert worden. An dieser Schule arbeiten 22 LehrerInnen, die zusammen rund 600 SchülerInnen unterrichten. Die Vereinigung der GrundschullehrerInnen hat unmittelbar danach eine Protestaktion organisiert. Auch das ArbeitnehmerInnenbündnis in Sindh hat die KollegInnen unterstützt und sich dem Protest angeschlossen.Die o.g. Schulbehörde hat es nicht nur abgelehnt, mit den protestierenden KollegInnen zu sprechen oder die LehrerInnen wiedereinzustellen. Sie ist sogar  dazu übergegangen, auch gegen die LehrerInnen vorzugehen, die sich solidarisch an den Protesten beteiligt haben. 50 LehrerInnen ist mitgeteilt worden, dass sie an andere Schulen in ganz anderen Orten versetzt werden, was zu enormen Problemen für sie führen würde. Der Beamte der Behörde hat auch einschüchternde Telefonate mit LehrerInnen geführt, die Mitglied der Gewerkschaft sind.Weil auch die Eltern und weitere UnterstützerInnen der betroffenen LehrerInnen vor Ort dazu gekommen sind, wachsen die Proteste weiter an. Vor dem Pressebüro in Mirpur Khas kommt es auf regelmäßiger Basis zu Protestkundgebungen. Einige LehrerInnen beteiligen sich zudem an der Protestform des Fastens, die täglich stattfindet.In einem verzweifelten Versuch, die Proteste zu beenden, hat die Schulbehörde bei der Polizei erfundene Vorwürfe geltend gemacht, die jeder Grundlage entbehren. Dies hat dazu geführt, dass die Polizei die Privatwohnungen der Gewerkschaftsvorsitzenden durchsucht hat. Die LehrerInnen fordern nun auch, dass diese Methoden sofort ein Ende haben. 

Ihre Forderungen:

* Einsetzung einer Untersuchungskommission und Durchführung von Maßnahmen gegen das Vorgehen des Beamten von der Schulbehörde

* Wiedereinsetzung aller suspendierten LehrerInnen

* Rücknahme der Versetzungen

* Auszahlung der Löhne und Gehälter, die ohne Begründung bzw. sogar Information an die LehrerInnen einbehalten worden sind

* Untersuchung der Bedingungen in der Schule vor Ort, wo es trotz der der Aufsichtsbehörde zugewiesener Gelder an Ausstattung mangelt

 Schreibt bitte Solidaritäts- bzw. Protestadressen an:http://complaint@sindheducation.gov.pkProtest über die Homepages:http://www.sindh.gov.pk/dpt/services/secrt.htmhttp://www.cmsindh.gov.pk/complaint.htmhttp://www.cmsindh.gov.pk/contact.htm Kopien bitte an th@sav-online.de und slp@slp.at Protest via Telefon:Bildungsministerium (Secretary, Education & Literacy Department)(Vorwahl Pakistan: 0092 bzw. +92)99211225-9921123899211238 Innenministerium (Secretary, Home Department)(Vorwahl Pakistan: 0092 bzw. +92)99211259-99211355

99211549

Brexit als Chance für die britische Linke?

Interview mit Paula Mitchell, Socialist Party England und Wales

Die mehrheitliche Entscheidung der britischen Bevölkerung, mit dem Brexit aus der Europäischen Union auszuscheiden, hat wahre Schockwellen in die Welt ausgesandt. Auch in Großbritannien gab es politische Verwerfungen. Wir sprachen mit Paula Mitchell vom Vorstand der Socialist Party, der Schwesterorganisation der SLP in England und Wales.

Welche Auswirkungen hatte der Brexit auf die politische Lage?

Das Brexit-Votum war ein Ausdruck der Wut der arbeitenden Bevölkerung gegen die Etablierten und die Kürzungspolitik der letzten Jahre. Es gab eine groß angelegte Kampagne von pro-kapitalistischen Parteien und den Medien, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, für den Verbleib in der EU zu stimmen.

Wir haben gesagt, dass die ArbeiterInnenklasse das Referendum nutzen wird, um den etablierten Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Tatsächlich hat der Brexit eine umfassende Krise in den beiden größten politischen Parteien ausgelöst, den Tories und der Labour Party. David Cameron hat nach Bekanntgabe des Ergebnisses seinen Posten als Premierminister und Vorsitzender der Tory-Partei geräumt. Theresa May wurde zu Camerons Nachfolgerin ernannt. Sie soll die Wogen glätten, steht aber vor einer völlig gespaltenen Partei, die nur über eine knappe Mehrheit im Parlament verfügt.

May hat verstanden, das es einen Zusammenhang von Austerität und dem massenhaften Nein zur EU gibt. Da vorgezogene Parlamentswahlen drohen, gibt sie jetzt vor, eine etwas „sozialere“ Agenda verfolgen zu wollen. Aber auf solche Versprechen ist wenig zu geben.

Markiert das Brexit-Votum einen gesellschaftlichen Rechtsruck?

So haben es auch viele Linke interpretiert. Sie meinten, dass NationalistInnen und RassistInnen gestärkt aus dem Referendum hervorgehen. Aber weder Boris Johnson, das Gesicht der Brexit-Befürworter der Tories, noch Nigel Farage von der rechtspopulistischen UKIP konnten Profit aus der Situation schlagen. Boris Johnson galt als möglicher Nachfolger von Cameron, wurde allerdings von seiner eigenen Partei blockiert und ist gescheitert. Farage ist nach Bekanntwerdung des Brexits von seiner Position als UKIP-Vorsitzender zurückgetreten.

Viele MigrantInnen haben Angst, mit einem EU-Austritt ihren Aufenthaltstitel zu verlieren.

Alle größeren Parteien standen unter hohem gesellschaftlichen Druck und mussten versichern, dass ein EU-Austritt keine Verschlechterung des Bleiberechts bedeuten wird. Umfragen zufolge sind achtzig Prozent der Bevölkerung dafür, dass EU-MigrantInnen bleiben sollen. Unter den Brexit-Befürwortern waren es siebzig Prozent.

Die Frage der Gefahr von Rechts ist trotzdem ernstzunehmen. Bestimmte Schichten sehen Migration als Problem an, weil sie damit den Mangel an Arbeitsplätzen und Wohnraum in Verbindung bringen. Deswegen ist es gerade wichtig, die soziale Frage von links zu besetzen und Perspektiven aufzuzeigen, wie gemeinsam Verbesserungen erkämpft werden können.

Wie steht es um die Labour Party und ihren neuen linken Vorsitzenden Jeremy Corbyn?

Corbyn konnte mit seiner Kandidatur zum Vorsitzenden der Labour Party im letzten Jahr hunderttausende Menschen für sich begeistern. Mit ihm werden Hoffnungen auf eine andere Labour Party und ein Ende der Austerität verbunden.

Viele seiner UnterstützerInnen sind Mitglied der Labour Party und seiner Gruppierung Momentum geworden. In den ersten zwei Wochen nach dem Brexit gab es eine neue Welle von Beitritten: 170.000 Britinnen und Briten schrieben sich bei Labour ein.

Aber auch Anhänger des rechten Flügels der Labour Party um Tony Blair blieben nicht untätig. Die sogenannten „Blairites“ warten schon lange auf eine günstige Gelegenheit, um Jeremy Corbyn zu stürzen. Sie werfen ihm vor, Mitschuld am Brexit zu tragen, weil er sich nicht genug für einen Verbleib in der EU eingesetzt habe. Die Perspektive vorgezogener Parlamentswahlen macht die „Blairites“ besonders nervös. Deswegen haben sie ein Misstrauensvotum gestellt, bei dem über 170 Labour-Abgeordnete dem Parteivorsitzenden die Gefolgschaft versagt haben. Gegen diesen Putschversuch sind im ganzen Land spontan tausende Menschen auf die Straße gegangen und haben für Corbyn demonstriert. Aktuell ist auch seine ablehnende Haltung gegen Atomwaffen und die „Trident“-Nuklearbewaffnung britischer U-Boote ein rotes Tuch für die Labour-Rechte. Während die „Blairites“ versuchen, mit bürokratischen Methoden die Bewegung um Jeremy Corbyn zu schwächen, fordert diese eine Demokratisierung der Partei. Gefordert wird, dass Labour-Abgeordnete bei wichtigen Parlamentsentscheidung sich nach entsprechenden Abstimmungen der Mitglieder richten sollen.

Kann aus der Bewegung um Corbyn eine neue linke Partei entstehen?

Ja, das halten wir durchaus für möglich. Der rechte Parteiflügel wird sich nicht mit einer klaren Haltung gegen Krieg und Austeritätsmaßnahmen abfinden und das Feld nicht freiwillig räumen. Deswegen ist eine Spaltung wahrscheinlich. In dem Prozess werden auch die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen. Aktuell steht die Mehrheit der Gewerkschaften hinter Corbyn. Wir als Socialist Party bleiben vorerst mit der RMT (Transportarbeitergewerkschaft), Mitgliedern der PCS (Gewerkschaft der Staatsbediensteten) und anderen in dem linken Wahlbündnis der „Trade Unionist and Socialist Coalition“ (TUSC) organisiert. Da sich die Entwicklungen gerade im Fluss befinden, ist aber eine flexible Herangehensweise erforderlich. GenossInnen der Socialist Party spielen eine wichtige Rolle dabei, Corbyn-UnterstützerInnen zusammenzubringen mit AktivistInnen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Gemeinsam gilt es, Corbyn gegen die undemokratischen Angriffe der Labour-Rechten zu verteidigen und eine neue Kraft zu schaffen, die die Interessen der „99 Prozent“ vertritt. Der Aufbau einer linken Massenpartei, die entschlossen gegen die Austeritätspolitik und Rassismus kämpft ist dringend nötig.

Biafra: Ist Unabhängigkeit die Lösung?

Bringt das eine Verbesserung der Lebensbedingungen?
Von H.T. Soweto, „Democratic Socialist Movement“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Nigeria)

Die Agitation für einen souveränen Staat Biafra hat erneut die Debatte darüber in den Vordergrund rücken lassen, ob die Abspaltung einer der Regionen Nigerias vom Bundesstaat automatisch zu einem besseren Leben für die Menschen führt, die schon so lange zu leiden haben. Und in der Tat ist es in Radio- oder Fernsehinterviews, am Zeitungsstand oder im Bus nicht ungewöhnlich Leute mit großer Bestimmtheit sagen zu hören: „Die Lösung für die Probleme Nigerias besteht darin, dass die Volksgruppen Yoruba, Igbo und Hausa eigene Wege gehen“.

Direkt zu Beginn sei gesagt, dass diese Debatte keineswegs neu ist. In den gesamten 56 Jahren, in denen Nigeria nun schon existiert, begleitet diese Idee in der ein oder anderen Form das Land und wird von Personen, die den unterschiedlichen ethnischen Gruppen angehören, immer wieder vorgetragen. Es geht dabei immer um Punkte wie das Problem der Marginalisierung bei der Verteilung der wirtschaftlichen und politischen Privilegien, die Kontrolle über die Rohstoffe und Bodenschätze und/oder die Abtrennung.

Fakt ist, dass Nigeria ohne die Bajonette von Polizei und Armee aus Kolonialzeiten nach dem Zusammenschluss von 1914 nicht lange als zusammengefasste Einheit überlebt hätte. Ebenso gilt für die Zeit nach der Unabhängigkeit und bis heute, dass ein vereintes Nigeria die wiederholten Krisen häufig nur deshalb überlebt hat, weil zunehmend von staatlichen Kräften Gebrauch gemacht wurde, um abweichende Meinungen niederzuhalten.

Zweifellos gehen die internen ethno-religiösen Krisen, die für die politische Landschaft Nigerias in den letzten 56 Jahren charakteristisch sind, in erster Linie auf die undemokratische Art und Weise zurück, in der Nigeria durch den Zusammenschluss von 1914 vom britischen Kolonialismus konfiguriert wurde. Dabei wurde kein Wert auf die demokratische Zustimmung der Volksgruppen gelegt zu der mehr als 250 Ethnien gehören, die das riesige geografische Gebiet ausmachen, das dann als Nigeria bekannt geworden ist. Sie wurden einfach nicht gefragt, ob überhaupt und wie sie zusammenleben wollen. Während dies nur die Basis für ethnische Rivalitäten geschaffen hat, so ist es das ungerechte System des Kapitalismus, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln basiert, das das leicht entflammbare Material für ethnische Krisen liefert. Dadurch wird sichergestellt, dass der immense Reichtum, der in Form von „Humankapital“ und Bodenschätzen im Land vorhanden ist, nicht im Sinne einer gleichmäßigen und harmonischen Entwicklung der Gesellschaft eingesetzt wird oder nur zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der arbeitenden Menschen (ohne Ansehen der Muttersprache oder Stammeszugehörigkeit) genutzt wird.

Dennoch erkennen SozialistInnen im Kampf für die Einheit der arbeitenden Menschen das Recht auf Selbstbestimmung an und verteidigen dieses. Gerade jetzt, angesichts einer Zunahme an Protesten, fordern wir, dass die Volksgruppe der Igbo das Recht haben sollte, frei und demokratisch zu bestimmen, ob sie sich abspalten oder Teil Nigerias bleiben wollen. Darüber hinaus verurteilen wir die wiederholten Tötungen von unbewaffneten Mitgliedern der „Independent People of Biafra“ (IPOB; dt.: „Unabhängiges Volk von Biafra“), des „Movement for the Actualisation of the Sovereign State of Biafra“ (MASSOB; dt.: „Bewegung zur Verwirklichung des souveränen Staats Biafra“) und des „Biafra Independence Movement“ (BIM; „Unabhängigkeitsbewegung Biafra“) durch Soldaten und Polizeibeamte, die auf Befehl der Regierung Buhari handeln. Unsere Position ist, dass die Mitglieder dieser Bewegungen das demokratische Rechte haben, für Belange agitieren zu dürfen, die für sie von allgemeinem Interesse sind. Und dazu zählt auch das Recht auf Abspaltung. Deswegen fordern wir die sofortige und bedingungslose Freilassung von Nnamdi Kanu und allen anderen, die deswegen in Haft sitzen. Sie und die Familien der umgebrachten anderen AgitatorInnen müssen angemessen entschädigt werden.

Es muss aber auch gesagt werden, dass SozialistInnen die arbeitenden Massen und die jungen Leute davor warnen möchten, nicht der Illusion zu unterliegen, dass die Loslösung irgendeines Teils von Nigeria automatisch die alles umfassende Lösung für die Krisen darstellt, von denen die arbeitenden Menschen betroffen sind. Beispiele von Unabhängigkeitskämpfen auf dem Kontinent (vor allem im Falle des Süd-Sudan) zeigen, dass eine Loslösung nicht notwendiger Weise zum Eldorado für die arbeitenden Massen führt, wenn nicht gleichzeitig auch das kapitalistische System beseitigt wird.

Ohne dieses verkommene kapitalistische System zu beenden, würde eine Loslösung Biafras nur dazu führen, dass eine herrschende kapitalistische Elite (z.B. die herrschende Elite der Hausa/Fulani/Yoruba) durch eine andere (z.B. die der Igbo) ersetzt wird. Doch weil der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Gesellschaft auf ausgeglichene Weise weiterzuentwickeln, würde am Ende dieselbe Erfahrung stehen. Möglicherweise wäre die Lage für die arbeitenden Massen sogar noch schlimmer und es käme in einer kapitalistischen Republik Biafra zu noch stärkerer Unterdrückung als im gegenwärtigen Nigeria ohnehin schon der Fall.

An dieser Stelle macht es Sinn, auf die Tatsache hinzuweisen, dass jedes Mitglied der kapitalistischen herrschenden Elite jeder Zeit die Möglichkeit hat, an die Macht zu kommen. Sie bereichern sich nur selbst und in den meisten Fällen bemühen sie sich nicht einmal zu versuchen, das Leben der Masse der Bevölkerung ihrer eigenen ethnischen Gruppe zu verbessern. In den acht Jahren, in denen Obasanjo Präsident von Nigeria war, hat dies absolut nicht dazu geführt, dass es den arbeitenden Menschen der Volksgruppe der Yoruba, der er angehört, besser gegangen wäre.

Dasselbe gilt für die Amtszeit von Jonathan, der sechs Jahre lang Präsident von Nigeria war. In dieser Zeit haben weder sein Heimatort Otuoke noch die Region des Niger Delta irgendeine echte Veränderung verspüren können. Obwohl zum ersten Mal in der Geschichte Nigerias ein Mitglied einer kleineren ethnischen Gruppe ein solch einflussreiches Amt bekleiden konnte, ist die Regierung Jonathan derart ineffektiv gewesen, dass sie noch nicht einmal die Umweltprobleme der Volksgruppe der Ogoni und anderer Gemeinden in der Region in den Griff bekommen hat. Die Zerstörung der Umwelt ist auf die Ölförderung (durch SHELL und andere europäische Konzerne; Erg. d. Übers.) zurückzuführen, und in den letzten Jahrzehnten stand die Forderung, sich dem Problem zu widmen, im Niger Delta an erster Stelle.

Dasselbe gilt auch für die nördlichen Teile des Landes. Von hier stammt die herrschende Elite, die den Oligarchien der Hausa bzw. Fulani entstammt und die Nigeria seit mehr als der Hälfte der Zeit seit der Staatsgründung regiert. Trotzdem bleibt der Norden der Inbegriff von Armut, Analphabetismus und Elend. Die Situation dort kommt dem Aufstand von „Boko Haram“ sehr zu Gute.

Abgesehen davon ist es eine unbestreitbare Tatsache, dass es sich bei den Gouverneuren der nigerianischen Bundesstaaten, die sich im Südosten und Süden des Landes befinden, um die korruptesten Politiker überhaupt handelt. Wenn diese Gouverneure die Bundesmittel und ihre eigenen Einnahmen vernünftig eingesetzt hätten, die jeder dieser Bundesstaaten allein in den letzten 16 Jahren eingenommen hat, dann wären viele der sozio-ökonomischen Krisen, von denen diese Gebiete betroffen sind, viel besser in den Griff zu bekommen. Aber nein! Trotz des großen Potentials, das zur Entwicklung zur Verfügung steht (dazu zählt auch der schon legendäre Unternehmergeist der Igbo), ist die Masse auch der Igbo-Bevölkerung dazu verdammt, in elenden Umständen zu leben.

Auf der Grundlage oben beschriebener Perspektiven müssen die arbeitenden und geschundenen Massen in vollem Umfang verstehen, dass jeder Einsatz für die Loslösung vom Bundesstaat Nigeria, der nicht mit einer Massenbewegung zur Sicherstellung der demokratischen Rechte (die für alle Minderheiten eines etwaigen neuen Staates zu gelten haben), der Beendigung des Kapitalismus und der Einführung eines demokratischen sozialistischen Systems einhergeht, nur dazu führen wird, dass man vom Regen in die Traufe geworfen wird. Ohne Sozialismus würde eine souveräner Staat Biafra für die geschundenen arbeitenden Massen der Igbo in die Sackgasse führen. Im Sozialismus werden die Schlüsselindustrien verstaatlicht und der demokratischen Kontrolle und Geschäftsführung der ArbeiterInnen unterstellt. Das würde die Korruption genauso beenden wie die Herrschaft einer Minderheit von Reichen, die ihren Profit dadurch generiert, dass sie die Mehrheit ausbeutet.

Eine sozialistische Planung der Wirtschaftsabläufe würde hingegen den Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen. Das wäre auch ein Beispiel, an dem sich die ArbeiterInnen und verarmten Massen im Rest des Landes und in ganz Westafrika orientieren könnten. Wenn einem solchen Beispiel gefolgt würde, so würde dies den Weg ebnen zu einem umfassenden Bruch mit dem Kapitalismus. Es wäre der Beginn eines demokratischen Plans, mit dem alle Ressourcen der gesamten Region genutzt werden können, um sie im Sinne der arbeitenden Menschen einzusetzen.

 

Originalartikel in engl. Sprache: http://socialistnigeria.org/page.php?article=3158

Brasilien: Nach dem rechtsgerichtetem Putsch

Neue Phase des Kampfes bricht an
Bericht von Michael O’Brien, Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Irland)

Bei der Sommerschulung des „Committee for a Workers´ International“ (CWI, dessen Sektion in Österreich die SLP ist), die in diesem Jahr im belgischen Leuven stattfand, ermöglichte uns die Genossin Maria Clara von „Liberdade, Socialismo e Revolução“ (LSR; Schwesterorganisation der SLP in Brasilien) einen lebhaften Einblick in die bedeutsamen Wendungen, die die Ereignisse im Land genommen haben. Den bisherigen Höhepunkt fanden die Entwicklungen im kürzlich durchgeführten parlamentarischen Putsch der traditionell rechten Parteien, der sich gegen Präsidentin Dilma Rousseff von der „Arbeiterpartei“ (PT) richtete.

Die diesem „Coup“ zugrunde liegenden ökonomischen Bedingungen wurden dabei ausgiebig beleuchtet. Die PT ist in der Zeit der Diktatur gegründet worden, die bis 1985 andauerte. Trotz ihrer fundamental-reformistischen Politik hat sich diese Partei in der ArbeiterInnenklasse ein starkes Ansehen erworben, was 2002 zur Wahl von Lula Da Silva zum Präsidenten des Landes geführt hatte. Zur Enttäuschung vieler, die zu den AnhängerInnen der PT zählten, haben Lula und seine Nachfolgerin Rousseff die Herrschaft des Kapitals jedoch nie in Gefahr gebracht. Begleitet wurde diese Situation allerdings eine Zeit lang auch von einem Wirtschaftsboom, der auf die Rohstoffexporte nach China zurückzuführen war.

Doch der Wirtschaftsabschwung in China hatte einen katastrophalen Effekt auf den Lebensstandard in Brasilien. Das Bruttoinlandsprodukt des lateinamerikanischen Staates ist im vergangenen Jahr um drei Prozent zurückgegangen. Mit dem Rückgang der Industrieproduktion um 25 Prozent innerhalb der letzten drei Jahre ist die Erwerbslosigkeit um drei Millionen zusätzliche Erwerbslose auf insgesamt elf Millionen angestiegen. Ein Viertel der Beschäftigten verdient weniger als den gesetzlichen Mindestlohn, der bei 240 Euro pro Monat liegt.

Doch auch das reicht der kapitalistischen Klasse noch nicht. Sie ist entschlossen, die Kürzungen auszuweiten, um auf Kosten der ArbeiterInnenklasse und der verarmten Schichten die Profitabilität wieder herzustellen. Die HauptvertreterInnen des Kapitals und die traditionellen konservativen Parteien haben entschieden, dass sie von der Regierung Rousseff keine derartige Ausweitung der Kürzungsmaßnahmen erwarten können.

Wendepunkt 2013

2013 stand für einen Wendepunkt. Damals – vor der noch anstehenden Fußball-WM im eigenen Land – explodierte eine wütende Bewegung. Die Menschen aus der ArbeiterInnenklasse hatten mit ansehen müssen, wie umfangreiche Mittel zu Gunsten des Turniers in die Infrastruktur gepumpt wurden und parallel dazu dem System der öffentlichen Daseinsvorsorge das Wasser abgegraben wurde.

Bei den Wahlen von 2014 hatte Rousseff es noch vermocht, an der Macht bleiben zu können. Dies geschah nicht, weil die Massen gemeint hätten, dadurch eine gute Regierung zu erhalten, sondern vielmehr weil eine Regierung der traditionellen Rechten (wozu auch Kräfte zählen, die Verbindungen zur alten Diktatur haben) noch schlimmer gewesen wäre.

Als dann Korruptionsskandale aufgedeckt wurden, in die die PT verwickelt ist und bei denen alles danach aussah, als sei diese Partei genauso korrupt wie der Rest, wurde ihre Position weiter geschwächt. Die „Operation Autowäsche“ führte zur Inhaftierung derart vieler Konzernvorstände und ParteivertreterInnen, dass ein Minister meinte, die Untersuchungen sollten eingestellt werden, weil einfach alle Abgeordneten mit drin hängen würden.

Kabinett Temer

Angesichts einer stärker werdenden Protestbewegung, die sich diesmal eher aus der Mittelschicht rekrutierte, wurde von PolitikerInnen, die genauso korrupt sind wie die PT, ein Amtsenthebungsverfahren im Parlament durchgesetzt, das zur zeitweiligen Suspendierung von Rousseff führte und dazu, dass sie durch Temer ersetzt wurde. Letzterer hatte in den 13 Jahren zuvor als Juniorpartner ebenfalls der Regierung angehört.

Dass sein neues Kabinett ausschließlich aus weißen Männern besteht, steht sinnbildlich für die reaktionäre Wende, die diese Regierung vollziehen will. Die Ministerien für ethnische Gleichheit, Frauen und Kultur sind abgeschafft worden, wobei die Proteste von KünstlerInnen und MusikerInnen, die in Form von direkten Aktionen zum Ausdruck kamen, dafür gesorgt haben, dass letzteres wieder eingeführt wurde.

Die ArbeitgeberInnen verlangen wesentliche Verschlechterungen von dieser Regierung wie zum Beispiel eine Reform des Arbeitsschutzgesetzes, um Menschen leichter entlassen zu können. Auch die Anhebung des Renteneintrittsalters wird wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen. Fakt ist, dass sich – obwohl sich die Protestwelle, die den Hintergrund für den Sturz von Rousseff bildete, gegen die Regierung gerichtet und in erster Linie aus der Mittelschicht rekrutiert hat – daraus kein genereller Rechtsschwenk der brasilianischen Gesellschaft ableiten lässt. Die Leute wehren sich auch gegen die arbeitnehmerInnenfeindliche Politik, die die ArbeitgeberInnen wollen.

Die Opposition, der sich diese neue Regierung gegenüber sieht, hat eine breite gesellschaftliche Dimension. Die Regierung Temer will sich die Rechte der LGBTQ-Community genauso vornehmen wie die Möglichkeit einschränken, an Abtreibungspillen zu kommen. Diese Faktoren wie auch der jüngste Fall einer Gruppenvergewaltigung eines minderjährigen Mädchens, der kein strafrechtliches Urteil nach sich gezogen hat, haben zu einer Revolte unter Frauen geführt.

Proteste weiten sich aus

Ein über vier Monate dauernder Streik im Bildungssektor ist zeitlich zusammengefallen mit einer Protestbewegung von SchülerInnen, die zur Besetzung von Schulgebäuden übergegangen sind. Allein in Sao Paulo waren zweihundert Schulen betroffen, was die geplanten Schulschließungen vorerst gestoppt hat. Ähnliche Kämpfe sind auch bei bei Volkswagen und General Motors ausgebrochen. Dort wehren sich die KollegInnen gegen Betriebsauslagerungen. Die unterschiedlichen Kämpfe sind bisher vereinzelt geblieben, und die Regierung verspürt – auch wenn sie immer nervöser wird – noch nicht den Druck, der nötig ist, um die Angriffe zurück zu nehmen. Aus Angst vor dem Aufkommen einer erneuten Protestbewegung, wie sie die Regierung Rousseff während der Fußball-WM erleben musste, hat die nationale Regierung Ausnahmegesetze verabschiedet, um in den Wochen, in der die Olympischen Spiele ausgetragen werden, hart gegen Proteste durchgreifen zu können.

Inmitten all dieser Entwicklungen musste LSR zu einer korrekten Position gegen diesen institutionalisierten Putsch kommen. Gleichzeitig durften wir dabei weder Rousseff noch die PT aus der Verantwortung nehmen. Schließlich haben auch sie umgesetzt, was die ArbeitgeberInnen wollten.

Im Gegensatz dazu hat eine andere bekannte Organisation der revolutionären Linken, die PSTU, eine nicht tragfähige Position eingenommen, bei der sie die alte mit der neuen Regierung im Wesentlichen gleichsetzt. Damit entfernt sie sich von der Opposition gegen Temer. Die PSTU ist sogar so weit gegangen zu sagen, dass die Absetzung von Rousseff ein Sieg für die ArbeiterInnenklasse sei. Dabei war ganz offenkundig, dass Rousseffs Ende nicht auf außerparlamentarische Kämpfe zurückzuführen ist. Diese falsche Position war ein wichtiger Faktor, der zu einer größeren Spaltung innerhalb der PSTU geführt hat.

Möglichkeiten für P-SOL

Die LSR steht in Opposition zum Putsch und beteiligt sich am Banner „Volk ohne Angst“ gemeinsam mit einer Reihe anderer linker und ArbeitnehmerInnenorganisationen. Die „Partei für Sozialismus und Freiheit“ (P-SOL), in der die LSR mitarbeitet, schneidet in den Umfragen besser ab. Sie wird als Kraft gesehen, die mit der allgemein korrupten Politik in Brasilien nichts zu tun hat. P-SOL könnte bei den überall im Land anstehenden Kommunalwahlen in wichtigen Städten große Zugewinne einzufahren.

Der Fall Rousseff fällt zusammen mit einem allgemeinen Trend, der bei reformistischen und ehemals reformistischen linken Kräften zu beobachten ist. Ehemals linke PräsidentInnen lateinamerikanischer Länder werden – wie in Argentinien – wieder aus dem Amt gewählt. Das könnte demnächst auch in Venezuela passieren, wo eine schwerwiegende gesellschaftliche Krise herrscht. Die grundlegende Lehre daraus ist, dass es nicht viel Wert hat, ein politisches Amt zu erringen, wenn eine Regierung, die sich selbst als links bezeichnet, nicht dazu bereit ist, den Kapitalismus als System anzugreifen und für sozialistischen Wandel zu kämpfen.

Andere über uns!

In Deutschland gründete sich das linke Zeitungsprojekt „Faktencheck Europa“, das helfen will, international Widerstand gegen die EU der Banken und Konzerne aufzubauen. In der ersten Ausgabe gibt es zahlreiche Analysen und Berichte – und auch AktivistInnen aus verschiedenen Ländern kommen zu Wort. Darunter Sebastian Kugler, Aktivist der SLP, der über die Entwicklungen um „Aubfruch“ berichtet.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Irland: 73 Prozent zahlen keine Wassergebühren

Für die Abschaffung der Sondersteuer – jetzt!
Von Katia Hancke, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in Irland)

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Artikel aus der aktuellen Ausgabe von „The Socialist“, Zeitung der „Socialist Party“ in Irland. Darin geht es um die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit dem massenhaften Boykott gegen die Wasser-Abgabe, bei dem die „Socialist Party“ und ihre drei Abgeordneten der „Anti Austerity Alliance“ (Paul Murphy, Ruth Coppinger und Mick Barry) an vorderster Front der Mobilisierungen stehen.

Erinnert ihr euch, dass die Mehrheit der Bevölkerung durch die Fortsetzung eines Zahlungsboykotts das Thema der Wassergebühren im letzten Wahlkampf auf die Tagesordnung gebracht hat und dass 70 Prozent der Wählerschaft für KandidatInnen gestimmt haben, die sich gegen diese Sondersteuer ausgesprochen haben? Erinnert ihr euch an die neue und schwache Regierung, die das Thema klammheimlich unter den Teppich kehren wollte, indem sie die Zahlungsaufforderungen ausgesetzt und einen schwammigen Plan zur Einrichtung einer „Experten“-Kommission aufgestellt hat? Nichtsdestotrotz scheint das Thema nun mit voller Wucht erneut über die Regierung hereinzubrechen.

Als die vorige Regierung 2014 beim Versuch die Wassergebühren einzuführen, auf eine beeindruckende Basis-Bewegung stieß, die sich gegen diese Sonderabgabe zur Wehr setzte, setzte sie auf die „Zuckerbrot-und-Peitsche“-Methode. So sah sie sich unter anderem gezwungen, die Höhe der Gebühr drastisch zu reduzieren. Trotzdem wurde der Massen-Boykott aufrechterhalten, und die Position der Regierung wurde so stark geschwächt, dass sie das äußerst bedeutsame Zugeständnis machen musste, im Nachgang der letzten Wahlen sämtliche Gebührenpläne wieder auf Eis zu legen.

„Zuckerbrot und Peitsche“

Und nun kommt eine neue und noch viel schwächere Regierung auf dem Weg in ihre Sommerpause daher … und was findet wieder seinen Platz auf der Tagesordnung? Die Wassergebühren! Und was macht die Regierung? Sie versucht es erneut mit der alten „Zuckerbrot und Peitsche“-Taktik. Und schon wieder läuft es nicht nach ihrem Plan.

Das „Zuckerbrot“ wird uns dankenswerter Weise von Joe O’Toole, einem „Experten“ für die Zahlung von Wassergebühren (und ehemaligem Bürokraten des Gewerkschaftsbunds „Irish Congress of Trade Unions“!), erklärt, der nun den Sprecher der Expertenkommission gibt: „Die Menschen haben gewählt, wie sie gewählt haben. Das irische Parlament Leinster House ist nicht bereit, das heiße Eisen anzupacken, weshalb wir eine Lösung finden müssen, die mit genügend Zuckerguss überzogen ist, damit die Medizin leichter durch den Rachen gleiten kann“.

Nur für den Fall, dass irgendjemand noch der Illusion unterlegen war, diese Kommission könne eventuell zu einem positiven Ergebnis führen, hat O’Toole uns allen damit nun deutlich gemacht, worum es in Wirklichkeit gehen wird. Die „Socialist Party“ (Schwesterorganisation CWI in Ireland) und die Parlamentsabgeordneten des Wahlbündnisses „Anti Austerity Alliance“ haben darauf hingewiesen, dass seine Äußerungen diese „Experten“-Kommission zum Gespött werden lassen. Für seine plumpe Unverblümtheit sind wir hingegen äußerst dankbar. Bald darauf ist O’Toole dazu gedrängt worden, sich seinen Gehaltsscheck für die geleistete Arbeit abzuholen, womit er zum zweiten Mal in Folge zum Fiasko für die Regierung geworden ist.

EU verlangt nach der Wassergebühr

Parallel dazu ist die EU-Kommission eingeladen worden, ihr Urteil darüber zu fällen, ob wir die Wassergebühr nun zahlen sollen oder nicht. Sie brauchten zwei Anläufe, um zu einem „korrekten“ Ergebnis zu gelangen. Beim ersten Mal – es war Ende Mai – äußerten sie sich noch recht unverbindlich. Doch nach einem Stups in die Seite und einem gewissen Zunicken und Augenzwinkern verfestigten sie ihre Antwort. Und – ratet mal, wie sie lautete: Die nicht durch eine Wahl legitimierte, für Privatisierungen stehende EU-Kommission meint, dass wir definitiv Wassergebühren bezahlen sollen. Nur wenige Tage nach dem „Brexit“ haben sie ihr wahres Gesicht gezeigt, indem sie die Interessen der multinationalen Konzerne verteidigt und sich gegen den klaren Willen der Mehrheit der Menschen aus der irischen Arbeiterklasse für die neoliberale Agenda einer nicht enden wollenden Austerität ausgesprochen haben.

Den Druck aufrechterhalten

Trotz der Manöver über zwei Jahre hinweg ist das Establishment ohne Erfolg geblieben. Sie haben es nicht geschafft, uns die Abgabe auf unser Trinkwasser abzuringen. Die aktuellsten Zahlen bezüglich der Nicht-ZahlerInnen der Gebühr zeigen, dass nach dem letzten Debakel noch mehr Menschen mit den Füßen abgestimmt haben als zuvor: Die Zahl derer, die sich weigern die Wassergebühr zu entrichten, ist von 45 Prozent auf 75 Prozent der Haushalte angestiegen! Massenhafter Widerstand auf der Straße und vor allen Dingen die Weigerung zu bezahlen, haben diese neoliberale Steuer zum Desaster für die Regierung werden lassen.

Diese jüngsten Geschehnisse zeigen aber auch, dass das Establishment noch längst nicht aufgegeben hat. Die Bewegung gegen die Wassergebühren hat ihren Plänen zwar einen sehr bedeutsamen Schlag versetzt. Wir müssen aber wachsam bleiben und mobilisieren, damit sie nicht vergessen, was wir in Wirklichkeit wollen: Die Abschaffung der Gebühren – jetzt!

 

Zur Lage der Weltwirtschaft

Kein Ausweg aus der Krise
Linda Fischer (aktiv in der Linksjugend [‘solid] Hamburg und Mitglied des SAV Bundesvorstands, die SAV ist die Schwesterorganisation der SLP)

CC0 Public Domain

Kein Ausweg aus der Krise

Immer wieder neue, widersprüchliche Nachrichten über die Situation auf den Weltmärkten erreichen uns – mal Erholungsverlautbarungen, mal düstere Prognosen. Aktuell überwiegen die Anzeichen für eine sich verstärkende krisenhafte Entwicklung. Exakte Vorhersagen über den genauen Verlauf kann niemand treffen, aber es lohnt sich den Blick auf die aktuelle Weltwirtschaftslage und die Entwicklungen der letzten Jahre zu richten: Welche Folgen hatte die Wirtschafts- und Finanzkrise für die Arbeitenden und Armen? Was soll man von den verschiedenen Anti-Krisen-Rezepten halten? Was könnte ein Ausweg sein?

Die Weltbank hat im Juni ihre Wachstumsvorhersage für die Weltwirtschaft im Jahre 2016 auf nur noch 2,4 Prozent reduziert. Schaut man sich die Entwicklungen seit 2007 an, so hat eine Erholung nur bedingt stattgefunden. 2010 und 2011 wuchs die Wirtschaft um 5,4 bzw. 4,1 Prozent und verlangsamte sich dann in den Jahren 2012 bis 2015 auf 3,4 bis 3,1 Prozent (statista.com). Das ist im Vergleich zu den sogenannten Boom-Jahren der Nachkriegszeit wenig. Von Anfang der 1950er bis Anfang der 1970er Jahre wuchs die Weltwirtschaft im Mittel immer mit über vier Prozent, phasenweise mit über fünf Prozent. Anders als heute, kam damals ein größerer Teil des jährlichen Steigerung der Produktion der breiten Masse der Bevölkerung zugute, ihr Lebensstandard stieg. Heute fahren Regierungen und Kapitalisten rund um den Globus massive Angriffe gegen die Bevölkerung.

Aus Sicht der kapitalistischen Kommentatoren ist besonders besorgniserregend, dass es keine neuen Antworten auf kommende Krisen gibt. Zinssenkung lautete bisher ein Rezept gegen Krisen. Doch inzwischen gibt es fast keine Zinsen auf Bankeinlagen mehr (bzw. sogar negativ Zinsraten). Neuerdings werden Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit sogar negativ verzinst. Der Bund erhält also Geld dafür, dass er es sich geliehen hat und Anleger zahlen drauf, wenn sie Geld verleihen.

„Quantitative Lockerung“

Die „Quantitative Lockerung“, eine Maßnahme zur Bereitstellung günstiger Kredite durch die Zentralbanken (insbesondere in den USA, Großbritannien und der EU), hat nicht dazu geführt, die Produktion von Waren bzw. die Zurverfügungstellung von Dienstleistungen deutlich wiederzubeleben. Was aber hat die Politik der Europäischen Zentralbank (EZB) und das Expertengefasel über Krisenentwicklungen und finanzpolitische Maßnahmen (von dem jeder normale Mensch nur einen Bruchteil versteht) mit den eigenen Lebensbedingungen zu tun?

Verkürzt kann zusammengefasst werden, dass, um Banken und Konzerne zu retten, die Kosten der Krise auf die normale Bevölkerung abgewälzt werden.

Beispiel EZB: Ihr „Krisenmanagement“ bestand und besteht weiterhin aus Zinssenkung, Geld drucken und Kürzungspolitik. In gefühlt immer kürzeren Abständen verkündet die EZB die Zinsen für Kredite an Banken erneut zu senken. Aktuell ist der sogenannte Leitzins der EZB bei Null Prozent gelandet! Erklärtes Ziel ist es, Anreize für Investitionen zu schaffen. Das gelingt nur mäßig. Sehen Unternehmen keine ausreichenden Möglichkeiten, ihr Kapital profitabel zu verwerten, werden auch die billigsten Kredite nicht in Anspruch genommen. Deswegen fordert die EZB zeitgleich die ‘Verbesserung der Bedingungen’ für das Wirtschaftswachstum. Gemeint sind damit massive Kürzungen der Sozialausgaben und Löhne, Massenentlassungen usw. Die normale Bevölkerung soll für die Profite der Banken und Konzerne bluten. Im Mai 2010 begann die EZB erstmals mit dem Kauf von Staatsanleihen. Anfang 2015 beschloss sie ein Programm, nach dem sie monatlich Anleihen über sechzig Milliarden Euro kauft, dies wurde mittlerweile auf achtzig Milliarden erhöht. Im Frühjahr wurde beschlossen, nicht nur Staatsanleihen sondern zusätzlich (private) Unternehmenspapiere zu kaufen. Während versucht wird, Banken und Wirtschaft mit künstlich gedrucktem Geld zu füttern, läuft parallel dazu in vielen Ländern eine massive Austeritätspolitik (Kürzungspolitik) die bereits Millionen in Armut gestürzt hat. Auch wenn es bezüglich Griechenland oder anderen Ländern gebetsmühlenartig wiederholt wird: Gekürzt wird nicht, weil zu wenig Geld da ist, sondern weil zu viel Kapital angehäuft wird, was sich nicht profitabel genug verwerten lässt. Für die USA berichtete beispielsweise die Financial Times (25. Juli 2013): „Die Profite befinden sich in den USA auf einem Allzeithoch, aber perverser Weise stagnieren die Investitionen.“

Die Herrschenden haben Grund zur Beunruhigung. Die billigen Kredite haben vordergründig zu spekulativen Investitionstätigkeiten der Industriestaaten in die sogenannten Schwellenländern geführt aber nicht in deren Realwirtschaft. Und so schaffen die Maßnahmen zur Bekämpfung der alten Krise die Voraussetzungen für eine Neue: Blasen auf den Immobilienmärkten, im Rohstoffhandel und bei den Finanzanlagen. Es gibt keine neuen Antworten auf erneute Krisen. Vermehrt wird die Politik der EZB und Co. kritisiert, aber grundlegend andere Antworten gibt es nicht.

Schwellenländer

Die deutlich schwächelnde Wirtschaft in China, und die Krisenentwicklungen in Brasilien und anderen Schwellenländern könnten in dieser Situation massive Auswirkungen auf den Rest der Welt haben, da die „Erholung“ vordergründig auf die Entwicklungen in diesen Ländern zurückzuführen ist. Brasilien leidet unter der härtesten Rezession seit den 1930ern (bzw. seit Beginn der entsprechenden Statistiken). Im ersten Quartal 2016 war das Bruttoinlandsprodukt um 5,4 Prozent geringer als ein Jahr zuvor. In den letzten zwei Jahren ist die Anzahl der (offiziell) Arbeitslosen in Brasilien von sieben auf elf Million gestiegen. Der nach dem Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin der so genannten Arbeiterpartei, Dilma Roussef, als Regierungschef eingesetzte Konservative Michel Temer plant ein massives Kürzungsprogramm der öffentlichen Ausgaben: Angriffe auf die Rente, Bildung, Gesundheit. Er wird von kapitalistischen Kommentatoren dafür gefeiert, dass endlich Privatisierung kein Tabu mehr sei (vgl. The Economist, 4. Juni 2016).

Nachdem in den letzten Jahren spekulatives Kapital in die Schwellenländer gepumpt wurde, dreht sich nun der Trend um und Kapital wird abgezogen. Viele der weniger entwickelten Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika geraten in die Krise.

In China führen die riesigen Immobilien- und Finanzblasen, Schulden und massiven Überkapazitäten zu einer explosiven Mischung. Die Ausmaße der Überkapazitäten zeigen sich an den Regierungsplänen, in den nächsten drei bis fünf Jahren die Erzeugungskapazitäten für 150 Millionen Tonnen Rohstahl stillzulegen (das entspricht in etwa der gesamten EU-Jahresproduktion). Vielen Unternehmen droht die Pleite, auch wenn das chinesische Regime weiterhin Ressourcen hat, um Banken, Unternehmen und Einkommen zu subventionieren.

Situation in Deutschland

Die Entwicklungen in China und den Schwellenländern haben Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft. Beim exportabhängigen Deutschland (2015 gab es mit 250 Milliarden Euro wieder ein Rekordüberschuss im Außenhandel) schwächeln die Ausfuhren in den Rest der Welt, so Anton Börner, Chef des Außenhandelsverbands BDA. Umso wichtiger sei daher ein stabiler Absatzmarkt in den EU-Ländern. Deshalb ist für Deutschland das Fortbestehen des Schengen-Abkommens wichtig. „Das Risiko ist unsere große Abhängigkeit von den Exporten. Circa fünfzig Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung hängen am Export, vor allem in die europäischen Nachbarstaaten. Das bedeutet, dass Deutschland einen hohen Preis zahlt, wenn es Europa oder der Weltwirtschaft schlecht geht oder die Grenzen durch eine Rücknahme des Schengen-Abkommens geschlossen werden.“ so Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin. (Mit ‘Deutschland’ ist natürlich immer die deutsche Wirtschaft und damit die Interessen der Kapitalbesitzer gemeint). Deshalb wird auch der Brexit mit großen Sorgen aus der deutschen Wirtschaft betrachtet.

Kapitalisten in Zwickmühle

Die weltweite Krise 2007/2008 war die tiefste der Nachkriegszeit und steht für eine Phase, in der der Kapitalismus in einer chronischen Schwäche steckt. Die Erholungsphasen können nicht die Probleme des langfristigen Niedergangs aufwiegen. Die von der Arbeiterklasse in einigen Ländern erkämpften Zugeständnisse des Nachkriegsaufschwungs: relative Vollbeschäftigung, Lohnerhöhungen, Sozialstaat wurden mit zurückgehender Profitabilität ab Ende der 1960er Jahre angegriffen. Die Weltwirtschaftskrise 1974/75 markierte einen Wendepunkt: Neoliberale Reformen sollten die Profitabilität wieder herstellen. Durch Privatisierung, kapitalistischer Globalisierung, Deregulierung und Ausweitung des Finanzsektors sollten neue profitable Anlagemöglichkeiten für das Kapital geschaffen werden. Seit den 1980er Jahren ist die Entwicklung in den meisten OECD-Ländern tendenziell durch verlangsamtes Wachstum, steigende Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne und eine zunehmende soziale Polarisierung geprägt. Die massive Austeritätspolitik der letzten Jahre hat die Situation verschärft und soziales Elend produziert.

Hinter den der Fokussierung auf die spekulativen Investitionen, steckt die (kurzfristig) deutlich höhere Renditeerwartung. Die zu erwartenden Profite in der Realwirtschaft sind niedriger, das „Investitionsklima“ unsicher, die Märkte gesättigt. Dies ist nicht vor allem auf eine schwächelnde kaufkräftige Nachfrage zurückzuführen, sondern ist Folge des privaten Profitsystems und Konkurrenzprinzips. Der Kapitalismus beruht auf Produktion für Profit, Privateigentum an den Produktionsmitteln und Konkurrenz. Investitionen müssen einen größtmöglichen Profit abwerfen und nicht den Bedürfnissen von Gesellschaft und Umwelt dienen. Hinzu kommt, dass jeder Kapitalist (und jeder kapitalistische Staat) um einen möglichst großen Anteil am Markt konkurriert, Kapazitäten werden ausgebaut, um durch Wachstum möglichst hohen Profit zu erwirtschaften. Das alte und weiterhin sehr treffende Zitat des ehemaligen BMW-Chefs von Kuenheim bringt es auf den Punkt: „Es gibt auf der Welt zu viele Autos, aber zu wenig BMW.“ Das Wett-Wirtschaften führt zu immer mehr Überproduktion und Überkapazitäten, wie oben am Beispiel der Erzeugungskapazitäten von Rohstahl in China erläutert. Krisen entstehen dann, wenn das angehäufte Kapital nicht mehr vermehrt werden kann, wenn für die Produkte kein profitabler Absatzmarkt mehr gefunden werden kann. Letztendlich ist der Abbau von Überkapazitäten und Überproduktion im Kapitalismus nur durch Massenentlassungen und Schließung ganzer Betriebe kurzfristig möglich – nur um das Spiel wieder von vorne beginnen zu lassen. Jedes Kind würde einem einen Vogel zeigen, wenn man ihm versucht zu erklären, dass das schon alles seine Richtigkeit habe und der Kapitalismus halt das einzige System sei, was „funktionieren“ würde.

Krise des gesamten Systems

Wir leben in einer Zeit, in der die Technik so weit fortgeschritten ist, um mehr als genug Essen, Kleidung, Wohnraum für alle Menschen auf der Welt zu produzieren und zwar nachhaltig. Und trotzdem gerät die Welt aus den Fugen. Das auf Privateigentum an der Wirtschaft und Konkurrenz beruhende kapitalisitsche Profitsystem verhindert, dass die vorhanden Möglichkeiten für alle nutzbar gemacht werden können. In Zeiten wirtschaftlicher Krise ist das besonders spürbar. Der Konkurrenzkampf um profitable Anlagemöglichkeiten zwischen Kapitalisten, Unternehmen aber auch Staaten wird stärker. Die Zunahme von Kriegen und kriegerischen Auseinandersetzungen und die daraus folgende steigende Anzahl von Flüchtlingen ist Ausdruck davon. Auch Deutschland „bringt sich immer mehr ein“. Nicht mehr nur als einer der größten Waffenexporteure, sondern auch in der (militärischen) Erschließung neuer Regionen.

Dieser Wahnsinn kann nur gestoppt werden, wenn das Privateigentum an Firmen und das Profitsystem aufgehoben werden. Dann können wir eine Gesellschaft aufbauen, die im Interesse der Mehrheit funktioniert. Gemeinsam könnten wir planen was und wie viel benötigt wird und wie dies umweltschonend produziert werden könnte. Höchste Zeit, dass die Arbeitenden und Armen die Bühne der Geschichte betreten und sich den Kapitalisten organisiert entgegenstellen. Und das sie dies mit einem klaren Ziel tun: dieses verrückte System überwinden und durch eine sozialistische Demokratie ersetzen. Ob Frankreich, Brasilien, Griechenland – in vielen Ländern ist die Kampfbereitschaft da.

Ne da(vi)mo Beograd!

Initiative kämpft gegen das Bauprojekt "Beograd na vodi" in Belgrad/Serbien.
Alec Jakolic

 

Gentrifizierung auf Serbisch: Die in Saudi Arabien sitzenden Betreiber des Mega-Bauprojektes versprechen, dass die Stadt dadurch auf die Liste der global wichtigsten Städte gesetzt wird, und die größte Tourismusmetropole Europas wird. Während 60% des Bauprojektes Wohnraum werden soll, wird nicht erwähnt, dass es nur von PolitikerInnen und anderweitig Privilegierten bewohnt werden wird, bereits jetzt gab es Angriffe auf den Lebensstandard der Bevölkerung. Eine Aktivistin berichtet: „Das Vertreiben der ärmsten Schicht Belgrads hat bereits angefangen die lokale Bevölkerung wird terrorisiert. Neben Kürzungspolitik wurde angekündigt, Zwangsräumungen großräumig durchzuführen. In den Stadtteilen Bari Venecija und Savamali, wo ArbeiterInnen in Eisenbahnwagons und verfallenden Arbeiterbaracken leben, gab es bereits Einschüchterungen.“

Es gibt große Proteste gegen das Projekt. Doch Demonstrationen alleine werden nicht reichen. Wie auch bei anderen Angriffen setzt die Regierung auf Einschüchterung. Viele ArbeiterInnen haben Angst, gekündigt zu werden, sobald sie Betriebsräte gründen. Die existierenden Gewerkschaften haben sich bisher nicht an den Protesten beteiligt. Doch es ist eben deren Aufgabe, gegen dieses Bauprojekt zu kämpfen, weil durch die enormen entstehenden Schulden weitere Kürzungen auf das Proletariat zukommen. Bauprojekte? Ja, aber für günstige, gute Wohnungen für alle, gebaut durch ordentlich bezahlte BauarbeiterInnen!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Brexit: Die EU ist angezählt

Flo Klabacher

Trotz monatelanger pro-EU-Kampagne britischer und europäischer Medien und etablierter Parteien stimmten 52% für den Brexit. Ein harter Schlag für das Europa der Banken und Konzerne – und eine Kampfansage an die Kürzungspolitik der konservativen Tories und der EU.

Der Austritt hätte ein Erfolg der Linken sein können. Mit Corbyn hat die Labour-Partei einen linken Vorsitzenden. Der Parteiapparat wird aber von Neoliberalen dominiert, die für Kürzungspolitik, Privatisierungen und Kriege stehen. Corbyn ist deren Druck gewichen. Er hat sich in eine Reihe mit (inzwischen Ex-)Premierminister Cameron und dessen Regierung gestellt. Deshalb konnten rechte Kräfte wie UKIP die Austritts-Kampagne dominieren.

Gewerkschaften der EisenbahnerInnen, des Öffentlichen Dienstes und sozialistische Kräfte wie die „Trade Union & Socialists Coalition“, in denen auch die Mitglieder der „Socialist Party“ (CWI in England) aktiv sind, konnten das nicht verhindern. Trotzdem war es richtig, für einen Austritt zu kampagnisieren.

Die EU ist undemokratisch, militaristisch, steht für arbeiterInnenfeindliche Politik. Spardiktate in Griechenland, Spanien, Portugal,... haben gezeigt: Sie ist ein Instrument der herrschenden Klassen Europas gegen die ArbeiterInnenklasse. Durch den Brexit ist sie nachhaltig geschwächt und beschädigt. Das kann es linken Bewegungen in Zukunft leichter machen, gegen das EU-Spardiktat zu kämpfen. Das Abstimmungsergebnis zeigt, dass das vielen ArbeiterInnen und sozial schwachen klar ist. Gerade bei ihnen gibt es eine große Mehrheit für den Austritt.

Cameron musste zurücktreten, die Nationalen Fragen zu Schottland und Nordirland sind wieder aufgebrochen, die Parteienlandschaft ist im Umbruch. Das britische Establishment ist erschüttert, die Regierung wankt. Eine entschlossene Kampagne von Gewerkschaften, linken Gruppen und der Labour-Linken rund um Corbyn ist nötig: für Neuwahlen, ein klares Anti-Kürzungs-Programm und den Kampf gegen Tories, UKIP, die Labour-Bürokratie. Ein Internationalismus „von unten“ - gemeinsamer Kampf von ArbeiterInnen, Jugendlichen und sozial schwachen – kann eine Welle von Klassenkämpfen in ganz Europa auslösen und so auch verhindern, dass rechte Kräfte europaweit den Brexit besetzen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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