Internationales

Es tut sich mehr als Tito-Nostalgie!

Nach Nationalismus und Krieg spielen heute am Balkan soziale Kämpfe und neue linke Gruppen eine wichtige Rolle.
Michael Gehmacher

Auch wenn das Flüchtlingsthema die Schlagzeilen prägt: am Balkan tut sich viel mehr. Proteste in Serbien, Streiks in Slowenien, Massenproteste in Mazedonien – diese Seite ist zu kurz, um auch nur annähernd einen Überblick über die Vielzahl an Protesten zu geben. Der Aufschwung von sozialen Bewegungen und neuen linken Gruppen ist ein balkanweites Phänomen. Vor einigen Jahren bildeten sich an den Hochschulen Sloweniens und Kroatiens neue Studierendenorganisationen und balkanweit organisierten Belegschaften in vielen Betrieben Widerstand. In Serbien z.B. gab es 2009 bis zu 30 Streiks pro Tag in über 100 Unternehmen und mit über 30.000 Beteiligten. Berühmt wurde u.a. die Besetzung und Weiterführung unter Belegschaftskontrolle des Pharmaunternehmens Jugoremedija.

Oft vernetzt sich der Widerstand in „Foren". Beim Kampf gegen die Studiengebühren kam es in Slowenien und später in Kroatien zu Massenbewegungen. Unibesetzungen und große Demonstrationen gingen oft in die Besetzung öffentlicher Plätze über. Hier wurden Volksversammlungen (Plenas) organisiert. Die Plenumsidee spielte später auch in Bosnien und anderswo eine wichtige Rolle.

Explosiv ist auch die Wut über die korrupte Elite, die etwa zu Massenprotesten gegen den Bürgermeister von Maribor 2012 führte. Unter dem Motto "Sie sind alle fällig" gingen Zehntausende landesweit auf die Straße. Die AktivistInnen sahen sich als Bewegung gegen die herrschende Politik an sich und nicht nur gegen einzelne Parteien. Bemerkenswert auch der Schulterschluss zwischen Studierendenprotesten und ArbeiterInnenbewegung. In Kroatien protestierten StudentInnen und ArbeiterInnen, verschiedene Bündnisse entstanden. Ein wichtiger Schritt war die Gründung der "Radnicka Fronta" (Arbeiterfront). Sie sieht sich als neue, antikapitalistische Partei, die in soziale Bewegungen eingreift.

Insgesamt haben die sozialen Bewegungen am Balkan das Potential, den Nationalismus zurückzudrängen. Dies zeigte sich besonders in Bosnien, wo sich alle drei Volksgruppen an den Protesten beteiligten: 2014 kämpften in der bosnischen Industriestadt Tuzla ArbeiterInnen für die Auszahlung ausstehender Löhne. Dabei wurde eine Straßenkreuzung besetzt. Die polizeiliche Räumung löste Massenproteste von Jugendlichen und ArbeiterInnen in ganz Bosnien aus. In Tuzla, Sarajevo und Zenica kam es immer wieder zu Straßenkämpfen. In einzelnen Regionen traten die Regionalverwaltungen zurück. An den Universitäten und in öffentlichen Gebäuden wurden Plenas organisiert, die anfangs als "Volksversammlungen" einen Machtanspruch gegen die herrschenden Eliten stellten, später aber zu Diskussionsforen verkamen. Durch ihren internationalen Charakter und die Verbindung von ArbeiterInnen und Jugendlichen war die Bewegung in Bosnien 2014 von enormer Bedeutung. Valentin Inzko, österreichischer Diplomat und "Hoher Repräsentant" von UNO und EU in Bosnien schloss damals ein Eingreifen von EUFOR-Soldaten nicht aus. Ein klares Signal, dass UNO/EU-Truppen im Ernstfall gegen die protestierende Bevölkerung stehen.

Ein Ergebnis der Stimmung von Wut und Widerstand ist auch die Entstehung neuer linker Formationen. Eine der bekanntesten ist die "Vereinigte Linke" in Slowenien. Dieser Zusammenschluss aus drei Gruppen bekam bei den Parlamentswahlen 6% und sitzt mit drei Abgeordneten im slowenischen Parlament. In Mazedonien könnte die neue linke Partei "Levica" den Sprung ins Parlament schaffen. Die Entstehung solcher Organisationen ist ein Schritt vorwärts. Nun kommt es darauf an, was sie konkret machen.

Egal ob alt oder jung: überall am Balkan spürt man eine große Tito- und Jugoslawiennostalgie. Auch in den neuen linken Strukturen ist grenzüberschreitende Zusammenarbeit ein Thema. Der Nationalismus wird abgelehnt. Die Gefahr ist aber, dass die Ängste von nationalen Minderheiten unterschätzt werden. Offen ist auch, wie sich die neuen Gruppen entwickeln. Manche wünschen sich eine nationale Eigenständigkeit unter antikapitalistischen Bedingungen. "Sie haben uns vor 20 Jahren gefragt, ob wir unabhängig sein wollen - nicht ob wir den Kapitalismus wollen" stellte ein Redner bei den Protesten gegen die Privatisierung des Hafens im slowenischen Koper klar. Eine brave angepasste und auf die EU schielende Linke wird keine Antworten auf die soziale Katastrophe am Balkan haben. Auch unkritische Nostalgie bietet keine Antwort. Um soziales Elend und Nationalismus zu überwinden, braucht es kein abstraktes "neues Jugoslawien", sondern den konkreten Kampf gegen den Raubbau an der Zukunft der Menschen am Balkan. Die existierenden Proteste und Kämpfe können auf ihrer gemeinsamen Grundlage zusammengefasst werden: der kapitalistischen Ausbeutung und ihrer dramatischen Folgen. SLP und CWI werden ihren Beitrag in den sozialen Kämpfen und im Entstehungsprozess linker Gruppen leisten, um eine antikapitalistische, sozialistische Perspektive zu entwickeln.

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Der Westbalkan als Spielball des Imperialismus

EU, IWF, Weltbank, OECD & Co: Am Balkan werden die Interessen des Kapitals beinhart durchgedrückt.
Christoph Glanninger

Serbien müsse „seine Hausaufgaben machen, um in die EU aufgenommen zu werden“ erklärte die ehemalige österreichische Außenministerin Plassnik 2008. Solche „Hausaufgaben“ bedeuten in Serbien, dass allein 2016 im Öffentlichen Dienst 20.000 Jobs abgebaut werden sollen. EU, IWF & Co. meinen damit harte, von oben verordnete „Reformen“ (Privatisierungen und Sozialabbau) als einzigen Ausweg für die scheinbar aussichtslose soziale, politische und wirtschaftliche Situation am Westbalkan. Noch immer ist das BIP der Region auf einem niedrigeren Level als 1989. Die Arbeitslosigkeit liegt in den meisten Ländern bei ca. 20%. Und Bosnien gilt als der korrupteste Staat Europas.

Schon seit Jahrhunderten ist die Region Spielball verschiedener Großmächte. Die Balkankriege 1912-13 waren Vorboten des 1. Weltkriegs, der am Balkan besonders schlimm wütete. Österreich, Russland, das Osmanische Reich und Italien kämpften um die Vorherrschaft in der Region. Im 2. Weltkrieg errichtete Nazi-Deutschland in Zusammenarbeit mit lokalen FaschistInnen (Ustascha & Co.) in Jugoslawien ein brutales Besatzungsregime.

Der Partisanenbewegung unter Tito gelang es, die Nazis aus dem Land zu jagen. Durch die Abschaffung des Kapitalismus wurden wichtige Verbesserungen für die Bevölkerung erreicht. Doch die Erfolge blieben beschränkt. Tito setzte, ganz in stalinistischer Tradition, nicht darauf, revolutionäre Bewegungen regional und international zu unterstützen. Er setzte auf „Sozialismus in einem Land“, was im Endeffekt zu einer Abhängigkeit von westlichen Krediten führte. Die Auslandsschulden Jugoslawiens verdreifachten sich so in den 1970ern. Das ermöglichte es Institutionen wie dem IWF (Internationaler Währungsfonds), Druck auf Jugoslawien auszuüben, um die Profitinteressen westlicher Banken und Konzerne durchzusetzen. Nationalismus war eines der Instrumente dafür. Der IWF selbst gab 2009 zu: „Die Austeritätsmaßnahmen, die der IWF Jugoslawien aufgezwungen hat, sind teilweise schuld am Beginn des Krieges.“

Doch statt die ArbeiterInnen gegen das IWF-Diktat zu mobilisieren, lies die jugoslawische Staats- und Parteiführung sie zahlen. 1980-85 sank das Realeinkommen um die Hälfte und die Arbeitslosigkeit  erreichte die Millionenmarke. Aber gleichzeitig erreichten auch die Streiks gegen Ende der 1980er Jahre ein Allzeithoch. Es gab erfolgreiche Lohnkämpfe, Solidaritätsstreiks über (Bundes)Landgrenzen hinweg und 1986 gelang es einer landesweiten Streikbewegung, die jugoslawische Bundesregierung zu Fall zu bringen. Die Mehrheit der jugoslawischen ArbeiterInnen und Jugendlichen antworteten auf die Krise Jugoslawiens mit gemeinsamem Widerstand und nicht mit Nationalismus.

Vielmehr waren es die verschiedenen nationalen Bürokratien in den Teilrepubliken, die verstärkt auf die nationalistische Karte setzten, um sich den Zugriff auf Betriebe und das Vermögen der jeweiligen Republiken zu sichern. Teile der alten Bürokratie wurden zu den neuen KapitalistInnen, schwach, oft vom Ausland abhängig und deshalb besonders korrupt und auch mit mafiösen Mitteln. Zusätzlich heizten westliche Akteure die Situation weiter an. Die Regierungen von Österreich und Deutschland gehörten zu den stärksten Unterstützern einer Unabhängigkeit von Slowenien, Kroatien und Bosnien, da sie sich aus einem Zusammenbruch Jugoslawiens neue Profitmöglichkeiten erhofften. Der erste Auslandsbesuch des kroatischen Premiers Tudjman war auf Einladung der Industriellenvereinigung Österreich.

Aber sogar noch vor Beginn des Bosnienkrieges 1992 nahmen in Sarajevo 1991 bis zu 100.000 an Friedensprotesten teil. Die Menschen desertierten massenweise aus der Volksarmee, und nicht nur in den Kriegsgebieten. In Serbiens Hauptstadt Belgrad war der Anteil von Wehrdienstverweigerern mit 85% besonders hoch. Und auch während die ganze Region in Nationalismus und Krieg versank, gab es bedeutende ArbeiterInnenproteste. Über den Sturz des nationalistischen Milosevic Regimes 1998 muss sogar die Financial Times berichten: „Streikkomitees, ArbeiterInnenkomitees, Besetzungen, Aussperrungen. Jugoslawien wurde überschwemmt mit Berichten von ArbeiterInnen, die gegen ihre Manager aus der Milosevic Ära revoltieren … ArbeiterInnen haben die kommunistische Rhetorik wörtlich genommen und die Kontrolle über ihre Betriebe übernommen“. Auch in Kroatien waren es 1998 große Gewerkschaftsproteste, die eine nationalistische Regierung zu Fall brachten.

Das zeigt, dass der Krieg mitsamt Nationalismus und ethnischen Säuberungen nicht von unten kam, sondern ein Resultat der machtpolitischen Spiele der lokalen und internationalen Eliten war.

Der Balkan diente dem internationalen Kapitalismus genauso wie Osteuropa als Lösung, um die angestauten Kapitalberge zu investieren. Unsummen wurden in den Bankensektor gesteckt, Land und Immobilien aufgekauft und lokale Firmen ausgeweidet. Z.B. werden heute ca. 74% des serbischen bzw. 97% des bosnischen Bankensektors durch ausländische Banken kontrolliert. Der Balkan ist militärisch das wichtigste Gebiet für das österreichische Bundesheer – um die Investitionen zu schützen.

Obwohl internationale Institutionen immer behaupten, dass die Bekämpfung der grassierenden Korruption Vorrang hat, sind es ihre Maßnahmen, die den Boden dafür bereiten. Wenn die öffentliche Gesundheitsversorgung zerschlagen wird, dann ist es klar, dass Leute beim Arzt Bestechungsgelder zahlen müssen. Wenn es keine Jobs gibt, zahlt man, um einen zu bekommen. Von den Millionenbeträgen, die im Unternehmensbereich illegal die Besitzer wechseln, ganz zu schweigen. Europäische Firmen sind nicht Opfer, sondern Täter - sie verhalten sich alles andere als „sauber“.

Die Geschichte des Balkan zeigt, dass es schon immer die Zusammenarbeit von Imperialismus mit lokalen Eliten war, die die Region in Armut und Abhängigkeit gehalten haben.

Ein Ausweg für die Region kann nur gelingen, wenn ArbeiterInnen und Jugendliche Wirtschaft und Politik aus den Händen von Kapitalismus und Imperialismus reissen und von unten ein demokratisches sozialistisches System aufbauen, in dem die Interessen der Menschen zählen und nicht die von Hypo, IWF, EU & Co.. Die Keimzellen für so ein System kann man in den unzähligen sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen sehen, die es am Westbalkan in den letzten Jahren gegeben hat - bei denen StudentInnen, ArbeiterInnen und Arme immer wieder die Initiative übernommen, scheinbar aussichtslose Kämpfe gewonnen und kurzzeitig neue Formen von Demokratie und ArbeiterInnenkontrolle von unten etabliert haben. Statt einen utopischen „besseren“ Kapitalismus zu erhoffen, braucht es eine demokratische gesamtwirtschaftliche Planung der Wirtschaft. Die Schlüsselbetriebe können unter Kontrolle und Leitung der ArbeiterInnen geführt, geschlossene Betriebe wieder eröffnet werden und zum Wohle der Allgemeinheit arbeiten. Und durch die Enteignung der korrupten Elite und die Übernahme der internationalen Unternehmen sowie den Stopp der Schuldenrückzahlung an die Verantwortlichen für Krieg und wirtschaftlichen Verfall (IWF, EU und Co.) könnten endlich genug finanzielle Mittel für eine Ausfinanzierung öffentlicher Dienste zur Verfügung stehen. Für so eine (sozialistische) Alternative braucht es den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen und Jugendlichen in der gesamten Region. Dieser hat in der Vergangenheit immer wieder nationale Spannungen zu überwunden. Nur so kann es gelingen, Jahrhunderte der imperialistischen Unterdrückung ein für alle mal zu beenden.

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Neokolonialistische Ausbeutung

Thomas Hauer

2700 Wasserkraftwerke sind momentan auf dem Balkan geplant. 535 davon in strengen Schutzgebieten. Österreichische Firmen und Banken sind dabei besonders stark involviert. Die österreichische Firma „ENSO Hydro“ leitete trotz Protesten Wasser aus einem Nationalpark ab und legte ihn damit trocken.

Gegen zwei Personen von WTE (deutsche Tochterfirma von EVN) laufen, gemeinsam mit vier weiteren, Ermittlungen wegen Bestechung und Untreue im Zuge des Baus einer Kläranlage in Zagreb. Die Stadt Zagreb und das Projekt sollen um insgesamt 6 Mio. € geschädigt worden sein.

Das ehemals zweitgrößte österreichische Bauunternehmen Alpine stand vor seiner Pleite am Balkan für dubiose Geldflüsse und Korruption. Aufträge wurden an Firmen von Alpine-Mitarbeitern vergeben. Über Scheinrechnungen und Beratungsfirmen sind in zwei Jahren mindestens 6 Mio.€ in dunkle Kanäle geflossen.

Österreichische Banken halten 85% des Finanzsektors in Bosnien-Herzegowina. Die Raiffeisenbank hat einen Marktanteil von ca. 30%, gefolgt von der Ersten Group mit ca. 8%. Es wird aber nicht in die Wirtschaft investiert, sondern v.a. Kredite vergeben.

Österreichische Firmen kontrollieren mit knapp einem Viertel der ausländischen Investitionen am Balkan einen großen Teil der Profitmasse, die aus dem Land fließt.

Der kroatische Journalist Hrvoje Appelt bezeichnete die Hypo-Bank als eine der größten kriminellen Organisationen in Kroatien - mit mächtigem politischem Hintergrund und Protektion von höchster Stelle.

Die Privatisierungen führten, egal ob mittels Pyramidenschema wie in Albanien oder Vouchern wie in Bosnien, überall dazu, dass sich eine kleine heimische Elite gemeinsam mit ausländischen GroßinvestorInnen die Wirtschaft einverleibte. Die Bevölkerung ging leer aus.

In Bosnien sind in Folge der Kürzungen im Gesundheitswesen nur ca. 60% krankenversichert.

Auf Druck der EU wurden in Kroatien Staatsunternehmen, vor allem in wichtigen Bereichen wie Schiffsbau, Logistik, Telekommunikation, Öl- und Medizinalindustrie, privatisiert. Das kostete zehntausende Arbeitsplätze, die nie wieder ersetzt wurden.

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Soziale Verwüstung am Balkan

Am Balkan hat der Kapitalismus sein wahres Gesicht gezeigt, in Form von Krieg, wirtschaftlicher Verelendung und sozialen Verschlechterungen.
Alec Jakolic

In den 1980ern konnte man noch ohne große Grenzkontrollen von Belgrad nach Wien reisen. Heute ist dieser Weg geprägt von Grenzzäunen, Jagd auf Flüchtlinge und sozialem Verfall. Der Zerfall Jugoslawiens, der wachsende Nationalismus und das Durchsetzen kapitalistischer Prinzipien wurden sowohl von den „eigenen“ Eliten, als auch vom Westen vorangetrieben. Heute ist die Region geprägt von Nationalismus, Armut und Korruption.

Internationale Konzerne und Institutionen dominieren den Westbalkan. Überall sieht man Lidl und Filialen von österreichischen Banken und Versicherungen. In Kroatien fließt ein großer Teil der Einnahmen aus dem Tourismus in ausländische Hände.

Auch auf politischer Ebene ist diese Dominanz kaum zu übersehen: Bosnien ist de facto eine EU Kolonie. Das oberste Amt wird von einem EU-Diplomaten (dem Österreicher Valentin Inzko) bekleidet, der undemokratisch eingesetzt wird und weitreichende Rechte hat: Gesetze ohne Parlament zu beschließen oder zu verhindern, und Nato-Einsätze anzuordnen. Ähnliches gilt für Kosovo/a.

Die soziale Lage und das Nord-Süd Gefälle sind seit Wiedereinführung des Kapitalismus nur noch schlimmer geworden, und auch in den einzelnen Staaten wird die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer: 13% sind in Slowenien armutsgefährdet, v.a. Junge haben wenig Perspektiven. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch und die Mehrheit der 18-34jährigen muss noch bei den Eltern leben, weil sie sich keine Wohnung leisten können. In den anderen Ländern sieht es noch weit düsterer aus: in Kosovo/a gibt es eine Arbeitslosenrate von 40 %, bei Jugendlichen sogar 70%. 34% leben in absoluter Armut (täglich verfügbares Einkommen geringer als € 1.55) und 12% in extremer Armut (€ 1.02) und Kosovo/a hat eine der höchsten Säuglingssterblichkeiten Europas.

Während der Flüchtlingskrise wurde die Hauptlast auf die Länder am Balkan abgeladen. Obwohl die Situation nicht mehr so angespannt ist wie 2015, kommen auch im Sommer 2016 pro Tag ca. 500 Flüchtlinge nach Serbien und sitzen dort wegen Grenzzäunen und Obergrenzen fest.

Die nationalen Spannungen sind auch heute noch präsent und können wieder aufbrechen. In Bosnien, Kosovo/a und anderen Ländern versuchen lokale Eliten noch immer, nationale Konflikte für ihre Interessen zu nutzen.

Ein Beispiel ist die kroatische Stadt Vukovar, die in Jugoslawien die zweitreichste Stadt der Region war. Hier streikten serbische und kroatische ArbeiterInnen 1987 noch zusammen und besetzten das Parlament. Heute liegt das BIP pro Kopf weit unter kroatischem Durchschnitt und die Stadt ist zwischen KroatInnen und der serbischen Minderheit gespalten.

In der serbischen Hauptstadt Belgrad merkt man die Auswirkungen des Kapitalismus besonders stark. Das neoliberale Bauprojekt Beograd na vodi vertreibt ArbeiterInnen aus ihren Vierteln, um Wolkenkratzer für die Eliten des Landes und der ganzen Welt zu bauen. Die soziale Lage hat sich auch hier seit den 1990er Jahren verschlechtert. Drogen und Mafia üben eine wichtige Machtposition aus, Serbien ist Hauptexporteur von Piko, einem Abfallstoff von Chrystal Meth.
Doch immer mehr Menschen wollen diese Situation nicht mehr länger akzeptieren und es brodelt in der ganzen Region. Ein gutes Beispiel dafür sind die Massenproteste in Belgrad unter dem Slogan „lassen wir Belgrad nicht ertrinken“ gegen das oben beschriebene Bauprojekt. Schon mehrmals gingen zehntausende auch trotz staatlicher Repression auf die Straße. Auch in Bosnien, Slowenien und in Makedonien zeigt die ArbeiterInnenklasse in Massenprotesten gegen Korruption ihre Kampfbereitschaft. Trotz Korruption, Armut und Nationalismus gibt es am Westbalkan jede Menge Widerstand.

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Brexit: Revolte der ArbeiterInnenklasse

Brexit ist v.a. eine Niederlage der herrschende Klasse in Britannien und Europa.
Roger Bannister, Socialist Party und Mitglied des Bundesleitungsgremiums NEC der Gewerkschaft UNISON (dient zur Kenntlichmachung der Person)

Ein Heulen der Ungläubigkeit erhob sich angesichts von 52% für Leave (Austritt aus der EU) im Brexit-Referendum. Behauptungen, dass das Wahlvolk, zum Hauptteil ArbeiterInnenklasse, nicht intelligent genug wäre, um die Folgen abschätzen zu können und Rufe nach einem neuen Referendum füllten die kapitalistischen Medien. Leider schlossen sich viele Linke, die die Remain (in der EU bleiben)-Position unterstützt hatten, dem Chor an. Sie befürchteten eine reaktionäre Welle und dass Boris Johnson, der in der Leave-Kampagne eine prominente Rolle gespielt hatte, die Führung der konservativen Tories und die Position des Premierministers übernehmen würde.

Das Brexit-Votum war in Wirklichkeit eine Niederlage der herrschenden Klasse in Britannien und Europa. Sie hat die in der Gesellschaft bereits existierenden Widersprüche zugespitzt. Sie hat die Tories und die Labour Party tief gespalten. Cameron trat zurück, UKIP-Chef Farage trat zurück, Boris Johnson nahm von einer Kandidatur für die Parteiführung Abstand.

Labour und Corbyn führen die Umfragen an. Der rechte Flügel in Labour inszenierte aus Angst vor Neuwahlen und einem Labour-Wahlsieg unter Corbyn einen Putsch gegen diesen. In Labour herrscht Bürgerkrieg. Es sind zwei Parteien in einer. Tausende AktivistInnen sind in den letzten Wochen in die Labour-Party eingetreten und drohen, die Partei wieder zu verlassen, wenn sich der rechte Flügel durchsetzt. International gesehen stärkt der Brexit die GegnerInnen der Politik der Troika - für Griechenland z.B. ist die Drohung bezüglich dramatischer Folgen eines Grexit nun wesentlich entschärft, denn die Welt steht auch nach dem Brexit-Votum noch und die Börsen sind weltweit nicht zusammengebrochen.

Das Brexit-Votum war kein Sieg des Rassismus, sondern v.a. eine Revolte der ArbeiterInnenklasse gegen das Establishment. Die Rolle von UKIP und den rechten Kräften innerhalb der Tories und ihre rassistische Kampagne, die die Sorge über Migration nutzte, wurde von den Medien hochgespielt. Es gibt eine Zunahme von Rassismus, dem wir von links durch die Verteidigung sozialer Rechte kontern müssen. Aber selbst die Sorge über Migration war nicht die Hauptmotivation für die Leave-Stimmen. Eine Umfrage nach dem Referendum nannte als Hauptgrund “Kontrollverlust”. Bei fallenden Löhnen, steigenden Hauspreisen, Kürzungen im Öffentlichen Dienst usw., war das Referendum für viele eine Möglichkeit, ihre Wut auf die Regierung und die EU-Sparpolitik auszudrücken. Ebenso sollte man Ängste aufgrund einer sich verschlechternden sozialen Situation nicht mit Rassismus verwechseln. 77% jener, die für einen Austritt gestimmt haben, denken, dass jedeR der/die im Land lebt ein Bleiberecht haben sollte.

Im Unterschied zu Österreich liegt UKIP als rechtspopulistische Partei bei nur 16%, während Labour die Umfragen anführt. Am Tag vor dem Referendum hatten LehrerInnen für Streikaktionen am 5. Juli gestimmt, und eine kleine Streikwelle bei Eisenbahnen und BäckerInnen hatte begonnen. Diese Entwicklungen zeigen, dass das Referendum keine reaktionäre Stimmung innerhalb der ArbeiterInnenklasse ausdrückt. In Wirklichkeit sahen viele ArbeiterInnen das Referendum als Chance, um der verhassten Tory-Regierung eins auszuwischen.

Leider war Labour trotz ihres linken Vorsitzenden Corbyn für einen Verbleib in der EU, obwohl Corbyn selbst lange als Gegner der EU bekannt ist. Die Position von Labour war mit jener der Tory-Regierung quasi ident. Hätte Corbyn eine klare sozialistische und internationalistische Position eingebracht, hätte er seine Unterstützung innerhalb und außerhalb von Labour ausbauen können. Es war ein Fehler und eine vergebene Möglichkeit Labour an die Spitze der Austrittsbewegung zu setzen und das Thema von links zu besetzen.

So waren beide Seiten der Debatte von den Rechten dominiert. ArbeiterInnen reagierten aber positiv auf die Argumente der linken „Leave“-Kampagne der Trade Union and Socialist Coalition (TUSC) und der Socialist Party (CWI in England&Wales). Wir erklärten, dass die EU für die Interessen der großen Konzerne steht. Sie ist eine kapitalistische Institution und steht als Teil der Troika an der Spitze des internationalen Neoliberalismus. Wenn eine Labour-Regierung unter Corbyn an die Macht käme und Politik gegen die Interessen der KapitalistInnen umsetzen würde (z.B. durch Verstaatlichungen), würde sich die Troika querlegen. Griechenland hat das gezeigt. Unsere Alternative muss internationale Solidarität der ArbeiterInnenklasse in Europa sein sowie ein Brexit auf sozialistischer Basis, der gleichzeitig mit dem Kapitalismus bricht, als erster Schritt hin zu einer sozialistischen Föderation Europas.

http://www.socialistparty.org.uk

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"Gestoppt werden kann die AfD nur dann, wenn wir ihr auch diesen Boden, auf dem sie wachsen konnte entreißen."

Interview mit Sarah Moayeri, die in Berlin Reuterkiez (Wahlkreis 1) für die Linke kandidiert

Du trittst in Berlin für die Linke an, was sind deine zentralen Forderungen?

Wir haben ein umfassendes Programm gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn, Armut, Rassismus und prekäre Beschäftigung. Berlin-Neukölln, wo ich als Direktkandidatin antrete, gehört zu den ärmsten Stadtteilen Berlins. Jedes zweite Kind wächst hier in einer Familie auf, die von Hartz IV abhängig ist. Die Mieten sind teilweise in den letzten fünf Jahren um 80% gestiegen.

Um diese Probleme zu lösen, braucht es unter anderem massive Investitionen durch das Land Berlin in neue Stellen im Öffentlichen Dienst, Infrastruktur und bezahlbaren Wohnraum. Der privatisierte Wohnraum muss rekommunalisiert werden, neue städtische und bezahlbare Wohnungen müssen gebaut werden, private Immobilienkonzerne gehören enteignet und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung gestellt. Zentral ist, dass wir für das alles und viele weitere Forderungen, die wir aufstellen (mehr Schulen, Schaffung von neuen tariflich bezahlten Arbeitsplätzen, keine Massenunterkünfte für Geflüchtete etc.) das Geld bei den Reichen holen wollen. Das heißt: Massive Besteuerung dieser und ein Nein zur Schuldenbremse, Bankenrettung und einer Politik im Interesse der Banken und Konzerne auf Bundesebene. Wir akzeptieren nicht die Sachzwänge des Kapitalismus. Wenn Berlin jährlich 1,7 Milliarden Euro Zinsen an Banken zahlen kann, ist offensichtlich genügend Geld da um soziale Missstände zu beseitigen.

Wir rufen die Leute aber vor allem nicht nur dazu auf, mich zu wählen, sondern für all diese Dinge selbst aktiv zu werden. Denn für eine solche Politik gegen die Interessen des Kapitals ist eine soziale Bewegung notwendig. Grundlegende Verbesserungen in der Stadt konnten nur durchgesetzt werden, weil Menschen selbst für ihre Rechte gekämpft haben, das wird auch in Zukunft immer der Fall sein. Das beste Beispiel dafür ist die Durchsetzung des ersten Tarifvertrags (Anm. Kollektivvertrag) für mehr Personal im Krankenhaus in der Geschichte der Bundesrepublik an der Berliner Charité.

Wie tut man sich als Linke in der Linken angesichts der Koalitionen wo die Linke Sozialabbau betrieben hat oder abschiebt?

Mit einer klaren Vorstellung davon, wie eine starke Linkspartei, die konsequent auf der Seite von ArbeiterInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen steht und kämpft, aussehen muss und gemeinsam mit vielen anderen innerhalb der Partei, die für einen klassenkämpferischen Kurs eintreten ist es einfacher, da einen kühlen Kopf zu bewahren.

In Berlin ist die Situation besonders schwierig, weil die LINKE hier zehn Jahre lang an der Regierung beteiligt und in dieser Zeit unter anderem mitverantwortlich war für 100.000 privatisierte Wohnungen und den Abbau von 35.000 Stellen im Öffentlichen Dienst. Umso wichtiger ist es, diese Regierungszeit nicht schönzureden wie es die landesweite Führung der Linkspartei tut, sondern mit einem antikapitalistischen Programm im oberen Sinne in die Offensive zu gehen und dabei zu erklären, weshalb ein solches nicht gemeinsam mit bürgerlichen Parteien wie SPD und Grüne durchzusetzen ist und dass eine Politik im Interesse der Arbeiter*innenklasse dem Charakter dieser Parteien grundlegend widersprechen würde.

Wir sind zwar mit diesen Positionen in der Berliner LINKEN ziemlich isoliert, aber konzentrieren unsere Arbeit trotzdem mit vollster Motivation darauf, in Bewegungen und auf der Straße aktiv zu sein, mit Leuten zu diskutieren und dabei unsere Strukturen weiter aufzubauen und zu wachsen. Wir haben in kurzer Zeit eine neue Linksjugend Basisgruppe aufbauen können, sind wöchentlich auf der Straße gegen Nazis, organisieren eine ziemlich erfolgreiche Aufklärungskampagne gegen die AfD und haben ein großes Umfeld an jungen AktivistInnen.

Ich denke, dass man eine solche Herangehensweise verallgemeinern kann: Für eine starke innerparteiliche Opposition gegen Anpassung und Anbiederung an etablierte Parteien müssen wir mehr werden, auf soziale Kämpfe und Bewegungen orientieren und diese vorantreiben und gleichzeitig einen starken, organisierten linken Flügel aufbauen.

Wir sind als SAV Mitglieder innerhalb der LINKEN aktiv in der AKL (Antikapitalistische Linke) und im Jugendverband im BAK Revolutionäre Linke, um genau das zu tun. Wir wollen als bewegungsorientierter Flügel eine Kraft gegen die Gysis, Ramelows & Co bilden, Kampagnen anstoßen und für sozialistische Positionen und eine konsequente Haltung gegen Krieg, Abschiebungen und Kapitalismus innerhalb der Partei kämpfen.

Wir betonen, dass es die Aufgabe einer linken Partei sein muss, im Parlament Sprachrohr von Bewegungen zu sein und selbst aktiv Widerstand zu organisieren.Diese Position bringen wir stets in Debatten innerhalb der Partei ein und setzen sie selbst in Kampagnen beispielhaft um.)

Kann, bzw. wie kann die Linke den Aufstieg der AfD stoppen?

Der Aufstieg der AfD hängt mit einer jahrelangen Spar- und Kürzungspolitik, der tiefen Krise des kapitalistischen Systems und einer damit wachsenden Wut auf die etablierten Parteien zusammen. Rassisten und Rechtspopulisten haben es außerdem überall dort, wo es keine echte linke Alternative gibt leichter, sich als Anti-Establishment Kraft zu präsentieren. Gestoppt werden kann die AfD nur dann, wenn wir ihr auch diesen Boden, auf dem sie wachsen konnte entreißen.

Die LINKE hat das Potential, dabei eine entscheidende Rolle zu spielen, wenn sie wie schon angesprochen stets Antirassismus mit der sozialen Frage verbindet, die Funktion von Rassismus als Spaltungsmechanismus im Kapitalismus erklärt und eine Kraft gegen das Establishment, die herrschenden Parteien und das Kapital bildet. Ihre Aufgabe ist es, zu sagen: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten, die wahren Verursacher von sozialen Missständen zu benennen und damit die Klassenfrage aufzuwerfen. Genauso wäre es die Aufgabe von Gewerkschaften, antirassistische Initiativen zu ergreifen, Geflüchtete in ihren Reihen aufzunehmen und in Kämpfe einzubeziehen etc.

Wir brauchen Massenmobolisierungen auf der Straße gegen Rassismus mit Abgrenzung von der Kürzungs- und Abschiebeparteien, aber dauerhaft wird die AfD durch gemeinsame Kämpfe von Deutschen und Nichtdeutschen für gute Arbeit, Soziales und für mehr günstigen Wohnraum für alle zurückgedrängt werden. Statt sich an SPD und Grüne anzubiedern, muss die LINKE mit einem radikalen Programm gegen die kapitalistische Misere Teil von diesen sozialen Kämpfen sein.

Aus deiner Erfahrung in der Linken, was würdest du einem neuen linken Projekt in Österreich an Tips geben, worauf ist zu achten?

Zentral sind demokratische Strukturen, die eine offene und breite Debatte über Programm und Strategie ermöglichen. Bürokratische Tricks und Beschlüsse hinter verschlossenen Türen müssen verhindert werden.

Insbesondere die Erfahrung im Jugendverband zeigt, dass es durch eine kämpferische und klassenbasierte Kampagnenarbeit möglich ist, viele neue Mitglieder zu gewinnen und auzubauen. Lokale Initiativen und funktionierende Basisgruppen in verschiedenen Orten müssen den Kern bilden für eine bundesweite Vernetzung und auch bundesweite Kampagnen. Eine linke Partei bzw. Projekt muss immer auf Bewegungen und Selbstorganisierung orientieren und einen Klassenstandpunkt einnehmen, um kommenden Protesten und Kämpfen mit einem sozialistischen Programm zu begegnen und einen organisierten Ausdruck zu verleihen.

https://www.sozialismus.info/

17. September: Kampf gegen TTIP

Kapital plant neuen Angriff auf die ArbeiterInnenklasse!
Sonja Grusch

Die Aussichten für die Wirtschaft sind alles andere als rosig. Die Krise ist nicht vorbei, die „Aufschwünge“ schwach und die nächsten Einbrüche nur eine Frage der Zeit. Das ist auch den KapitalistInnen und ihrer Vertretung in der Politik bewusst und sie bereiten sich vor. Einerseits suchen sie nach größeren wirtschaftlichen Zusammenschlüssen um gemeinsam gegen dritte Konkurrenten besser dazustehen. Andererseits um die Ausbeutung der ArbeiterInnenklasse auf allen Ebenen zu erhöhen. Dazu hat das Kapital auch schon in der Vergangenheit internationales Vertragswerk genützt. Freihandelsabkommen wie NAFTA, Verträge wie Acta und in den 90er Jahren MAI (beide nicht abgeschlossen, aber geplant) und letztlich auch die EU haben diese Aufgabe: die Ausgangsbedingungen für das Kapital zu verbessern und va ihm Waffen gegen Schutzbestimmungen und Rechte der ArbeiterInnenbewegung in die Hand zu geben.

In den 1990er Jahren gab es einen Vorstoss in diese Richtung mit dem MAI (dem Multilateralen Investitionsabkommen), dessen Ziel es war, die Macht der Großkonzerne gegenüber Nationalstaaten und der ArbeiterInnenklasse zu stärken. Der Vorstoss aber wurde 1998 durch internationale Proteste 1998 gestoppt.

Doch nun ist MAI zurück – unter neuem Namen und als geheime Mission. „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP, auch bekannt als TAFTA und Ökonomische Nato) ist das Projekt des US und europäischen Kapitals das seit Juli 2013 in geheimen Treffen unter Einbeziehung von hunderten „BeraterInnen“ des Großkapitals diskutiert wird. Informationen darüber wurde nur bekannt, weil Dokumente geleakt und veröffentlicht wurden. Ergänzt werden soll TIPP, das den weltweit größten Wirtschaftsblock bilden würde, durch TPP (Trans Pacific Partnership), ein Bündnis das schon seit einigen Jahren zwischen USA und Kanada einerseits und Chile, Singapur, Neuseeland, Brunei, Peru, Vietnam, Malaysia, Mexiko, Kanada, Japan, Südkorea, Taiwan und Australien andererseits ergänzt werden soll. Aussen vor bleiben bei diesem Konzept starke – und für die USA und Europa gefährliche – Wirtschaftsfaktoren wie China, Russland und Brasilien.

TIPP stellt den Versuch eines Generalangriffes auf Umwelt-, KonsumentInnen und v.a. ArbeiterInnenrechte dar, der frühere, ähnliche Versuche zusammenfasst. Es handelt sich keineswegs um ein Freihandelsabkommen zum Abbau von Zöllen, auch weil diese zwischen den USA und Europa ohnehin nicht hoch sind, sondern um eine „Harmonisierung“ der Profit-Maximierungsbedingungen für das Kapital an den jeweils niedrigsten Standards. Das soll sich auf zwei Ebenen abspielen: 1) Unternehmen können verlangen (und das auch Einklagen) dass der rechtliche Rahmen bei unterschiedlichsten Fragen in keinem Land schlechter für sie sein darf, also die Möglichkeiten, Profite zu erzielen dort beeinträchtigt ist. 2) Nachdem Investitionen getätigt sind, darf sich für das jeweilige Kapital nichts zum Nachteil der Profitmaximierung verändern, d.h. Gesetzliche Veränderungen sind nicht zulässig.

Betroffen sind alle Bereiche des Lebens:

  • KonsumentInnen- und Umweltschutz: die Fragen von gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, Auszeichnungspflichten, Anti-Raucher-Gesetze oder der Einsatz von Giftstoffen bei der Nahrungsmittelproduktion
  • Soziale Standards und Privatisierungen: Energie-, Gesundheit- und Bildungssektor müssten dem Privatsektor vollständig geöffnet werden
  • Datenschutz und Patentfragen: hier geht es um einen Versuch, das abgewehrte Acta-Abkommen doch noch durchzusetzen
  • Finanzsektor: einige der – ohnehin geringen – Beschränkungen der Finanzmärkte bzw. Instrumente, die in Folge der Krise gesetzt wurden sind hier unter Beschuss (und das ist auch einer jener Bereiche, wo das europäische (Banken-)Kapital u.a. in Form der Deutschen Bank sich gegen die in diesem Bereich schärferen US-Bestimmungen stellt. Es ist also keineswegs ein einseitiger Versuch des US-Kapitals Europa auszuboten!)
  • ArbeiterInnen-Schutzbestimmungen und Rechte: diese sind in vielen Bereichen in Europa weiter ausgebaut als in den USA, sowohl was Schutzbestimmungen, Arbeitszeit und Sozialleistungen angeht, als auch die Frage von gewerkschaftlicher Organisierung – all das möchte das europäische Kapital schon längst loswerden

Insgesamt stellt TIPP auch eine weitere Verschärfung des Abbaus demokratischer Rechte dar. Nicht nur, dass die Verhandlungen im Geheimen stattfinden und eine kleine Minderheit des berühmt-berüchtigten 1% hier Regelungen beschließen möchte, die für die restlichen 99% dramatische Auswirkungen haben werden. Sondern auch die Tatsache, das Bundes- und Regionalregierungen/Parlamente nach Unterzeichnung kaum noch Rechte haben macht die Dominanz der Wirtschaft über die Politik deutlich. Eine Veränderung des Vertragswerkes ist juristisch kaum möglich, wenn einmal unterschrieben, da eine Änderung nur mit der Unterschrift aller unterzeichnenden Staaten möglich sein soll. Die Entscheidungen über die Klagen und Forderungen der Unternehmen werden bei Gericht gefällt werden, deren „Unabhängigkeit“ ist hinlänglich bekannt.

Beispiele für die Folgen eines solchen Regelwerkes gibt es bereits. In den letzten Jahren haben eine Reihe von Unternehmen Staaten geklagt – und gewonnen. Es gab Klagen ausländischer Firmen gegen den Mindestlohn in Ägypten, der US-Tabakriese Philip Morris hat Uruguay und Australien vor Gericht gezerrt. Argentinien wurde verklagt, als es in Folge von Krise und Massenprotesten beschlossen hatte, Miet- und Energiepreise einzufrieren. In den letzten Jahren wurden Staaten zu Strafen in der Höhne von mindesten 400 Millionen Dollar verdonnert, Prozesse im Ausmaß von weiteren 14 Milliarden stehen noch aus.

Das Kapital bereitet sich so auch auf künftige Siege der ArbeiterInnenklasse in Klassenkämpfen vor. Linke Regierungen, die unter dem Druck der Massen positive Reformen oder auch nur Schutzbestimmungen erlassen sollen juristisch bekämpft werden. Ob sie damit im Angesicht von Massenprotesten durchkommen, ist eine andere Frage, aber das Ziel ist klar.

Die Frage ist: wird TIPP so durchgehen?

Das ist in dieser Form, in diesem Zeitraum und in vollem Umfang unwahrscheinlich. Frühere Abkommen wurden durch Massenproteste gestoppt und auch die Nationalstaaten als Repräsentanten ihrer jeweiligen Kapital-Gruppen haben kein Interesse daran, die Möglichkeiten, im Sinne ihres Kapitals die Märkte zu kontrollieren, völlig aus der Hand zu geben. Auch spiegelt das Abkommen den Versuch eines Teils des Kapitals wieder, dem aber die Interessen anderer Teile (z.B. die europäische Agrarindustrie) gegenüberstehen. Dennoch ist TIPP eine gefährliche Drohung - denn auch wenn der Pakt als ganzes scheitert, bedeutet das nicht, dass nicht Teile, insbesondere dort, wo es um die Nach-Unten-Angleichungen für die ArbeiterInnenklasse geht, vorangetrieben werden – und durchgehen könnten, wenn es keinen starken Widerstand dagegen gibt.

Bei früheren, ähnlichen Projekten gab es große Protestbewegungen dagegen: Der Aufstand in Chiapas/Mexiko, die erste Herausforderung kapitalistischer Logik nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten und dem „Sieg“ des Kapitalismus. Die Massenproteste gegen MAI und später gegen Acta und ähnliches.

Bis jetzt gibt es kaum Proteste gegen TIPP, einige NGOs haben das Thema aufgegriffen, Attac fordert ein „Ende der Verhandlungen“ und die linke Fraktion im EU-Parlament hat begonnen (maßgeblich aufgegriffen durch Paul Murphy, den sozialistischen EU-Abgeordneten der irischen Schwesterorganisation Socialist Party), sich mit dem Thema zu beschäftigen. Eine Massenbewegung v.a. von Seiten der Gewerkschaften fehlt (hoffentlich: noch) völlig.

Doch eine solche ist dringend notwendig. Sie braucht einen internationalen Anspruch, der über Länder- und auch Kontinente hinweg ArbeiterInnen und Jugendliche im Kampf gegen diesen neuerlichen Angriff des Kapitals zusammenfasst und internationalistische Antworten gibt (und nicht nationalistische wie die Rechten und Rechtsextremen es tun). Es wird notwendig sein, die Versprechen der Befürworter zu kontern, die mit viel Geld- und Medienaufwand wieder einmal über die ernorme Vorteile Lügen verbreiten werden, die TIPP angeblich für „uns alle“ hätte und das Abkommen als Möglichkeit verkaufen werden wollen, um Europa und die USA aus der Krise zu helfen. Hier ist es notwendig auf die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus hinzuweisen, auf unterschiedliche Interessen zwischen Kapital und Arbeit und zwar jeweils unabhängig von ihrer Nationalität. Und es ist notwendig, den undemokratischen Charakter des Kapitalismus aufzugreifen, und dem undemokratischen Pakt der Herrschenden und KapitalistInnen die Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft durch die ArbeiterInnenklasse, durch Gewerkschaften, KonsumentInnen und KlientInnen entgegen zu setzen. Auf so einer Basis, kann eine Kampagne gegen TIPP grosse Teile der ArbeiterInnenbewegung und der Jugendlichen erreichen und der Offensive des Kapitals die Offensive der ArbeiterInnenklasse entgegensetzen und die Herrschaft des Dogmas der Profitlogik stürzen und durch eine demokratische sozialistische Gesellschaft ersetzten.

Dieser Artikel wurde 2013 geschrieben.

28.9. Aktionstag für Frauenrechte

Abtreibungen sind in Irland gesetzlich verboten – das tötet Frauen! Mit diesem internationalen Aktionstag wird daher der Druck auf die irische Regierung erhöht und die Kampagne in Irland unterstützt. Die SLP und „Nicht Mit Mir“ rufen zum Protest in Wien auf. Kommt vorbei und unterstützen wir die irischen Frauen im Kampf für einen sicheren und legalen Zugang zu Abtreibung.

28.9. um 17.00, Wien 1 – Rotenturmstr./Fleischmarkt vor der Irischen Botschaft

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Ermutigende Teilerfolge für DIE LINKE

Heino Berg

Zu den Kommunalwahlen in Niedersachsen

Landesweit kam Die LINKE (ohne WählerInnenbündnisse) auf 3,3 Prozent (+0,9) und insgesamt 225 Mandate. Einbußen gaben es landesweit bei den Grünen (-3,4 auf 14.3 Prozent) und bei der SPD (-3 Prozent). Rot-Grün verlor die Mehrheit in Hannover und Osnabrück. Die AfD verfehlte ihr Ziel von 10 Prozent und kam auf 7,8 Prozent und schnitt damit schlechter ab als bei den Kommunalwahlen in Hessen. Die Wahlbeteiligung stieg um 2 Prozent .
Insgesamt spiegelt sich auch in den niedersächsischen Kommunalwahlen wachsende Unzufriedenheit mit Rot-Grün und den anderen etablierten Parteien wider, von der die AfD in Niedersachsen hier jedoch weniger profitieren konnte als zuletzt etwa in Mecklenburg-Vorpommern, wo sich die LINKE als Regierungspartei angedient hatte und massiv eingebrochen ist.

In Quakenbrück konnte die LINKE mit Andreas Maurer (AKL) ihren Anteil auf über 20 Prozent steigern. Auch in Oldenburg (knapp 10 Prozent), wo sich Die LINKE mit einer coolen Plakatwand „Keine Macht dem Kapital!“ als Systemopposition präsentiert hatte, sowie in Lüneburg, Osterholz und in Hannover (7 Prozent) gab es zum Teil deutliche Zugewinne. Mit der Teilnahme an Großdemonstrationen gegen TTIP und CETA, dem Kampf gegen Klinikschließungen, für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten und die Beschlagnahmung von leerstehendem Wohnraum oder durch Blockaden von Naziaufmärschen wurden Stimmenverluste der LINKEN wie in Mecklenburg-Vorpommern oder in Sachsen-Anhalt vermieden.

Ergebnis in Göttingen

Bei den Kommunalwahlen in Göttingen konnte die Göttinger Linke trotz der Konkurrenzkandidatur aus den früher eigenen Reihen und Gegenwind aus der Landesorganisation ihr Ergebnis von 6,2 auf 6,3 Prozent leicht verbessern. Sie zieht mit drei Genossen (Gerd Nier, Rolf Ralle und Edgar Schu) wieder in den Stadtrat ein. “Wir haben ein sehr gutes Ergebnis erzielt, sagte Gerd Nier von der Göttinger Linke. Nach der Abspaltung der Antifa Linke von der WählerInnengemeinschaft sei damit nicht unbedingt zu rechnen gewesen.” (Göttinger Tageblatt)

Bei der Landratswahl kam Eckhard Fascher auf 6,8 Prozent, die LINKE erreichte 4,4 Prozent bei der Kreistagswahl und damit drei statt bisher zwei Sitze im Kreistag. Die Konkurrenzliste um den früheren Ratsherren Patrick Humke (2,2 Prozent), die jetzt nur noch durch Thorsten Wucherpfennig im Stadtrat vertreten ist, hatte KandidatInnen der Göttinger Linken wie Edgar Schu öffentlich als “Antisemiten” beschimpft, ohne damit auf den Widerspruch der Landesvorsitzenden zu stoßen.

Trotz dieser internen Probleme stabilisiert sich Die LINKE Niedersachsen mit guten Wahlplakaten und sozialen Forderungen, durch die Solidarität mit Geflüchteten und im Widerstand gegen Neonazis und konnte als Oppositionspartei ohne Regierungsambitionen an ähnliche Fortschritte wie bei den hessischen Kommunalwahlen anknüpfen. Das sollte zum Ausgangspunkt genommen werden, um zu den Demonstrationen gegen CETA und TTIP am 17. September mit aller Kraft zu mobilisieren und DIE LINKE als kämpferische Kraft weiter aufzubauen.

Frisch gestreikt ist halb gewonnen

Nicolas Prettner

Vom 1.-4. Juli blockierten die ArbeiterInnen des slowenischen Hafens Koper die Zufahrtswege. Grund waren die Privatisierungspläne der Regierung, in die angeblich auch die ÖBB involviert sein soll. Der Widerstand zahlte sich aus und die Privatisierung konnte vorerst verhindert werden.

Wie konnte das erreicht werden? Eine wichtige Rolle für den Erfolg von Arbeitskampf und auch Blockade spielte eine Solidaritätsbewegung, die sowohl lokal als auch international war. Von zahlreichen anderen Häfen kamen Solidaritätsschreiben, wie z.B. vom kroatischen Hafen Rijeka, der bereits privatisiert wurde. Die HafenarbeiterInnen in Triest traten in einen Bummelstreik, um ihre Solidarität mit den KollegInnen zu zeigen. Doch entscheidend war die Solidarität der lokalen Bevölkerung. Eine breite Initiative wurde gegründet um den Arbeitskampf zu unterstützen, an der eine kämpferische Basisgewerkschaft aber auch die Partei „Združena levica“ (Vereinigte Linke) beteiligt sind. Diese organisierte in Koper selbst, einer Stadt mit nur 50.000 EinwohnerInnen, eine Demonstration an der 4.000 Menschen teilnahmen. An der Blockade beteiligten sich auch FreundInnen und Familie der Beschäftigten. Die Blockade in Koper zeigt eindrucksvoll was der beliebte Demonstration-Slogan „Hoch die internationale Solidarität“ in der Praxis bedeutet. Wenn sich ArbeiterInnen auf lokaler Ebene und über Ländergrenzen hinweg solidarisieren kann Widerstand erfolgreich sein!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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