Die USA im Umbruch

Die USA erleben im Moment die größten sozialen und gesellschaftlichen Kämpfe seit den 1960ern.
Nicolas Prettner

Mit „Yes we can!“ hatte Obama in seinem Wahlkampf 2008 Begeisterung erzeugt. Doch von dieser Phrase lässt sich schon lange niemand mehr begeistern. Immer mehr Menschen in den USA verlieren das Vertrauen in das Establishment, seine Parteien, die Demokraten und Republikaner, und in das kapitalistische System an sich. Laut Umfragen misstrauen 32% der Bevölkerung dem Supreme Court, dem höchsten Gericht in den USA. 51% aller Jugendlicher lehnen den Kapitalismus ab und 33% davon sprechen sich sogar für Sozialismus aus. Woher kommt das?

Von der herbeigeschriebenen wirtschaftlichen Erholung merkt ein Großteil der Bevölkerung nichts. Im Gegenteil: die sozialen und gesellschaftlichen Probleme nehmen zu. Laut einer Studie sind Studierende heute so politisch aktiv und linksgerichtet wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Diese Generation hat Rezession mitgemacht, den Irak-Krieg miterlebt, ist mit den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert und wird einen niedrigeren Lebensstandard als ihre Eltern haben.

Im Zuge dieser gesellschaftlichen Radikalisierung nach links kommt es in vielen Bereichen vermehrt zu Protestbewegungen. Die LGBTQ-Bewegung setzt sich im Kampf um das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehe in immer mehr Staaten durch. Der Kampf um einen $15 Mindestlohn konnte schon eine Reihe an Erfolgen erzielen, nachdem in Seattle der Durchbruch gelang. „Black Lives Matter“ kämpft gegen Rassismus, Polizeigewalt und Racial Profiling. Auf regelmäßiger Basis können immer wieder tausende Menschen mobilisiert werden und im Gegensatz zu früheren BürgerInnenrechtsbewegungen grenzen sich die meisten AktivistInnen klar von der Demokratischen Partei ab. Aber auch zum Thema Umweltschutz gibt es große Bewegungen. Im Moment beteiligen sich Tausende an Protesten gegen die Dakota Access Pipeline, ein Bauprojekt, das die Wasserversorgung von Millionen Menschen bedroht. In den letzten Monaten gab es eine Reihe kämpferischer Streiks, etwa beim Mobilfunkanbieter Verizon oder bei den LehrerInnen in Chicago.

Hinzu kommt noch, dass sich die Herrschenden in einer massiven Krise befinden. Ihre bisherigen politischen Vertretungen, die zwei großen Parteien, erweisen sich als zunehmend unfähig, stabile Herrschaft in instabilen Zeiten zu garantieren. Trump ist das beste Beispiel. Er gewann die Nominierung der Republikaner aufgrund des sehr schlechten Zustandes der Partei. Sein populistisches Auftreten spricht viele an, die von der konzernfreundlichen Politik genug haben. Doch das ändert nichts daran, dass er der unpopulärste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten ist – und Clinton ist am zweiten Platz. Die Wut auf das Establishment und seine Parteien zeigte sich auch in der Kampagne von Bernie Sanders, der sich selbst als Sozialist bezeichnete und zur politischen Revolution gegen das sogenannte „obere 1%“ aufrief. Beide Parteien befinden sich in tiefen Krisen und schaffen es nicht einmal, ihre Parteitage ohne Skandale über die Bühne zu bringen. Zu Recht haben immer mehr Menschen die Nase voll von ihnen. Eine Umfrage aus dem Jahr 2014 zeigt, dass sich bereits 58% aller AmerikanerInnen für eine dritte Partei aussprechen. Dieser Trend wird noch weiter steigen.

Einige, die ursprünglich Sanders unterstützt haben, werden sich dem scheinbar kleineren Übel Clinton beugen. Manche werden sogar Trump wählen, um ihrer Wut über das Establishment Ausdruck zu verleihen. Doch für viele war die Erfahrung von Sanders‘ Ausverkauf eine wichtige Lehre: Es braucht eine unabhängige, sozialistische Kraft. Die momentanen Klassenkämpfe bringen immer mehr Menschen linke und sozialistische Ideen näher und können ein wichtiger Schritt in Richtung einer solchen Partei sein.

 

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