Das Ende des amerikanischen Traums

Haus, Auto, Job – immer mehr US-AmerikanerInnen können davon tatsächlich nur mehr träumen.
Sebastian Kugler

Erinnert sich noch jemand an die erfolgreiche Sitcom „Hör mal, wer da hämmert“? Darin spielt Tim Allen einen tollpatschigen Heimwerker, der mit seiner Musterfamilie in seinem Musterhaus in der Industriemetropole Detroit lebt. Die Allens leben, wie so viele Fernsehfamilien, den amerikanischen Traum: Haus, Auto(s), Familie, Sicherheit, Freiheit, und das alles eingebettet in eine endlos boomende Wirtschaft, in der es jeder und jede schaffen kann. Tatsächlich hievten der Nachkriegsboom und die imperialistische Vormachtstellung Teile der US-ArbeiterInnenklasse auf einen vergleichsweise hohen Lebensstandard. „Wenn du deinen ersten Lohnzettel von Steel and Tube in der Hand hattest, konntest du in die Stadt gehen und dir einen Kühlschrank kaufen und alles, was du wolltest – du konntest überall anschreiben lassen“, meint Granison Trimiar, ein schwarzer Stahlarbeiter, über die Zeit um 1968 in George Packers Reportage „Die Abwicklung“.

Das galt natürlich nie für alle. Für große Teile der US-ArbeiterInnenklasse, v.a. Frauen und Nicht-Weiße, war der amerikanische Traum nie erreichbar. Und der Mythos der zufriedenen US-AmerikanerInnen im goldenen Käfig hält der Realität nicht stand: In den letzten 100 Jahren gab es in jedem Jahrzehnt massive soziale Bewegungen – von den militanten Streiks der 1930er über die Bürgerrechtsbewegung, die Antikriegsbewegung und die Frauenrechtsbewegung in den 1960ern, der LGBTQ-Bewegung, die Aufstände in schwarzen Armenvierteln in den 1990ern, der Anti-Globalisierungsbewegung in den 2000ern bis zu Occupy und den aktuellen sozialen Explosionen.

Trotzdem gelang es dem US-amerikanischen Kapitalismus dank wirtschaftlicher Stärke und einem äußeren Feindbild während des Kalten Krieges, die Kontrolle und die Loyalität von bessergestellten Teilen der ArbeiterInnenklasse mehr oder weniger zu behalten. Doch diese Fassade begann zu bröckeln. Denn genau in der Zeit, in der ArbeiterInnen wie Trimiar begannen, in der US-Industrie zu arbeiten, leitete das Kapital weitreichende Veränderungen in der Produktion ein. Als Reaktion auf das Ende des Booms und verstärkte Konkurrenz aus dem Ausland wurde die Produktion automatisiert und ausgegliedert. Die Folgen: Arbeitslosigkeit, Zerschlagung gewerkschaftlicher Rechte, Verschlechterung von Arbeitsbedingungen und Lohndruck. „Die Mechanisierung der Industrie erzeugt einen relativen Bevölkerungsüberschuss, der für die Beschäftigung zu den für diese neuen Massenberufe charakteristischen niedrigen Lohnsätzen zur Verfügung steht“, schrieb damals der Fabrikarbeiter und revolutionäre Sozialist Harry Braverman in seinem Buch „Die Arbeit im modernen Produktionsprozess“.

An die Stelle der gut bezahlten Industriejobs traten also neue, schlecht bezahlte Massenberufe in weniger mechanisierten Sektoren wie im Dienstleistungsbereich und im Einzelhandel. Die wirtschaftliche und soziale Struktur der USA begann sich grundsätzlich zu ändern. Aus dem Herzland der Industrie, das sich im Osten von Philadelphia über New York bis in den Norden nach Detroit erstreckte, wurde der „Rust Belt“ („Rostgürtel“). In den 1990ern, als Tim Allen in Detroit hämmert, ist die Stadt bereits längst am absteigenden Ast. Lebten dort 1950 noch 1,8 Millionen Menschen, sind es jetzt nur noch knapp 700.000. 2014 reichte Detroit Konkurs ein.

Der Niedergang der US-Industrie und die neoliberale Wende durch Carter und Reagan bedeuteten das endgültige Aus des amerikanischen Traums als Massenideologie. Ein Haus mit Garten, früher nach ein paar Jahren Arbeit als Alleinverdiener leistbar, wurde nur mehr durch Aufnahme von Krediten und mindestens zwei Einkommensquellen möglich. Auf allen Ebenen wurde dereguliert. Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Drogenmissbrauch stiegen massiv an. Das spiegelte sich auch in der „Traumfabrik“ Hollywood wider: Das Kino in den 1980er Jahren wurde merklich düsterer, an die Stelle des optimistischen Blicks in die Zukunft traten die düsteren Zukunftsszenarien von „Blade Runner“ und „Mad Max“.

Der Trend setzte sich in den 1990er Jahren fort. Im Zuge des „Krieges gegen Drogen“ wurde vor allem die schwarze Bevölkerung Ziel einer gigantischen Welle an Gewalt und Repression. Die durch die Erfolge der Bürgerrechtsbewegung genährte Hoffnung, Schwarze könnten in diesem System ihrer Unterdrückung entkommen, wurde brutal zerstört.

 

Das Ende des amerikanischen Traums ist der Beginn einer Periode der Rebellion.

Natürlich gelang es den Herrschenden immer wieder, die inneren Widersprüche zu kaschieren und sozialen Zusammenhalt zu beschwören. Die Anschläge des 11. September 2001 nützte die Bush-Regierung, um eine Welle des Patriotismus loszutreten. Doch als Bush im Zuge von Hurricane Katrina 2005 über 1800 Menschen in New Orleans sterben ließ und die Folgen des Irakkriegs sichtbar wurden, war es damit auch wieder vorbei.

Die verheerende Krise 2007/8 eröffnete schließlich die aktuelle Periode sozialer Unruhen. Das Ende des Nachkriegsbooms hatte zu einer ersten Weltwirtschaftskrise in den 1970ern geführt, deren Opfer die US-Industrie wurde. Der wirtschaftliche Niedergang der USA wurde aber vorübergehend abgefedert durch die imperialistische Politik, die Expansion des Kreditvolumens und eine riesige Immobilienblase. Dazu kam noch die Integration zuvor außerhalb des Arbeitsmarktes stehender Teile der ArbeiterInnenklasse wie Frauen in neue, Niedriglohn-Massenberufe. Doch genau diese Entwicklungen lösten die Wirtschaftskrise schließlich aus. Die Krise stürzte Millionen in Armut, Arbeits- und Obdachlosigkeit.

Die Hoffnung, die die Wahl von Obama brachte, zerschellte an der düsteren Wirklichkeit. Unter Obama erreichten die sozialen Widersprüche ihr bislang höchstes Niveau: Vor vierzig Jahren lag der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den reichsten und den ärmsten 10% bei einem Jahr – heute sind es 14 Jahre. Verdienten führende ManagerInnen, Vorstände und GeschäftsführerInnen in den 1970ern noch durchschnittlich das 30fache von ArbeiterInnen, ist es heute das 296fache. Die Situation der schwarzen Bevölkerung hat sich unter Obama weiter verschlechtert: Heute sind mehr Schwarze in Gefängnisse gesperrt als 1850 versklavt waren. Auch sind mehr Menschen denn je vom Wahlrecht ausgeschlossen: Denn um zu wählen, braucht man einen Ausweis und einen festen Wohnsitz – und das haben Millionen US-AmerikanerInnen, die z.B. in den Wohnwagensiedlungen außerhalb der Städte leben müssen, nicht.

Enttäuscht von Obama und wütend über die Politik im Sinne der Banken und Konzerne, sahen beim Ausbruch der Occupy-Bewegung 2010 Millionen Menschen zum ersten Mal, dass sie mit ihrer Wut nicht alleine waren. Seither kommt das Land nicht zur Ruhe: NiedriglohnarbeiterInnen kämpfen für einen $15 Mindestlohn, Schwarze gegen Polizeigewalt und Rassismus, UmweltaktivistInnen gegen ökologische Zerstörung und vieles mehr.

Vor allem Jugendliche beginnen nun, andere Träume zu träumen. In einer aktuellen Protestwelle boykottieren sogar immer mehr das Aufstehen zur Nationalhymne. Die, die nichts mehr kennen als Niedriglohnjobs, Schulden und Polizeigewalt. Die, die von Obama enttäuscht und dadurch radikalisiert wurden, die aus den Erfahrungen mit Occupy gelernt haben, sich zu organisieren. Die, die sich nun in Umfragen mehrheitlich gegen den Kapitalismus aussprechen und für sozialistische Ideen interessieren – Sie können die Träume von einer Welt ohne Ausbeutung und Armut Wirklichkeit werden lassen.

 

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