Internationales

Dem System den Stecker ziehen

Von Zwentendorf bis in den Hambacher Forst – es gibt keinen sauberen Strom im Kapitalismus.
Moritz Bauer

40 Jahre nach dem Sieg gegen das AKW Zwentendorf ist der Atomausstieg längst nur noch hohle Phrase. Sogar Japan baut wieder fleißig. Der durchliberalisierte Energiemarkt sorgt dafür, dass auch Atomstrom durch österreichische Kabel fließt: Über 50% des Stroms in Österreich werden importiert, der Großteil aus Atomstrom-Ländern wie Deutschland oder Tschechien. Der Kapitalismus kommt nicht von Kernenergie los. Auch sonst werden Umweltstandards runtergefahren – zugunsten schmutziger Energieträger. Der Hintergrund: Die Wirtschaftskrise. Auch der aktuelle „Aufschwung“ geht auf Kosten von Umwelt und Klima. Und das, obwohl der Weltklimarat uns nur noch bis 2030 gibt, um radikale Maßnahmen gegen den Klimawandel umzusetzen – bevor auch die schlimmsten Folgen unumkehrbar werden.

Auch die Frage des Hambacher Forsts zeigt, dass das System nicht nur unfähig ist, tatsächlich sauberen Strom zu produzieren, sondern aktiv dagegen arbeitet: Der deutsche Energiekonzern RWE will den Wald roden, um dort Braunkohle abzubauen. Und das nicht einmal für den deutschen, sondern für den internationalen Markt. Denn Deutschland ist Stromexporteur. Von diesen Exporten sind viele Staaten abhängig.

Auch die Stromkonzerne hierzulande sind untrennbar mit dem globalen Markt verbunden und im (Teil-)Besitz anderer Unternehmen. RWE besitzt beispielsweise 1/3 der Kelag aus Kärnten. Der (Atom-) Energieerzeuger EnBW hält 1/3 der EVN aus Niederösterreich. Deren aktueller Kraftwerksneubau Rosenburg stellt ebenfalls einen zerstörerischen Eingriff in Auwald und Flusslandschaft dar. Die französische EfG, welche fast 1/4 des Stroms der EU liefert, besitzt 1/4 der Energie Steiermark.

Was also tun? Viele steigen auf „Ökostrom“ um, auch, weil Greenpeace und Co. dazu aufrufen. Insgesamt wird europaweit aber bereits jetzt mehr Strom aus erneuerbaren Energien eingespeist, als es „Ökostrom“-KundInnen gibt – dadurch wird hier auch kein Ausbau von erneuerbarer Energie bewirkt. Außerdem wird der Großteil der Energie für Industrie und Verkehr verwendet (in Österreich mehr als 60%) während nur ca. 1/4 in private Haushalte fließt. Individuelle Kaufentscheidungen ändern also nichts am großen Bild. Konzerne werden immer den kurzfristig billigsten Strom nutzen, um Profite zu machen. Ökostrom ist also auch keine Lösung für den Klimawandel innerhalb des Kapitalismus. Am Markt muss auch der „sauberste“ Strom nach den Regeln der Profitorientierung spielen.

Was wir stattdessen benötigen, ist eine Reorganisation des gesamten Energiesektors. Dieser darf nicht dem Profit dienen, sondern den Menschen und der Umwelt. Die Technologie dafür ist da, ein rascher Umstieg ist möglich. Und das ohne Verlust von Arbeitsplätzen: Die Klimakiller gehören enteignet und ihre Milliarden für Jobs im Bereich erneuerbarer Energien eingesetzt. Die Proteste im Hambacher Forst könnten Startpunkt für internationale Mobilisierungen gegen Klimawandel, Ausbeutung und Kapitalismus sein!

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Gelbe Westen gegen Macron

Die Spontane Massenbewegung der „Gilets jaunes“ zwingt die französische Regierung zum Rückzug
Clare Doyle, 4.12.2018

(Photo: Florian Pépellin/Wikimedia Commons)

Wochenlang demonstrieren die sogenannten „Gelbwesten“ gegen die Politik der Macron-Regierung. Ausgelöst wurden die Proteste durch die Ankündigung einer Zusatzsteuer auf Treibstoff, doch in den letzten Wochen sind sie zu einem allgemeinen Widerstand gegen die aktuelle Regierung angewachsen. Am dritten Dezember sah sich Macron schließlich gezwungen die Einführung der Steuer auszusetzen.

Nach drei Wochen zunehmend wütender Massenproteste hat der französische Präsident Emmanuel Macron die massiv umstrittene Treibstoffsteuer ausgesetzt. Es bleibt abzuwarten, ob dies die Massenbewegung aufhalten wird, die den Rücktritt seiner Regierung fordert.

Am Montag, den 3. Dezember, als der französische Premierminister Edouard Philippe mit den Führer*innen der Oppositionsparteien zusammentraf, erweiterte sich die Bewegung immer noch um weitere Bevölkerungsschichten, die von der Politik dieser „Regierung der Reichen“ getroffen wurden. Hundert Schulen wurden von Schüler*innen blockiert, die gegen Macrons „Bildungsreformen“ protestierten. Sanitäter*innen blockierten die Anreise zur Nationalversammlung aus Protest gegen Änderungen ihrer Arbeitsbedingungen, mindestens hundert Krankenwagen waren beteiligt. Auf Facebook konnte man beobachten, wie Feuerwehrleute vor der Stadtverwaltung protestierten.

Die „Bürger*innenprotestbewegung“, wie sie in der Presse genannt wird, hat nach den dramatischen Demonstrationen vom vergangenen Samstag bei weitem nicht nachgelassen, sondern hatte sich mit weiteren Demonstrationen gegen die Regierung, Barrikaden auf Straßen, in Tanklagern und anderswo in ganz Frankreich erweitert. Auch jetzt ist diese Bewegung noch nicht beendet.

Die Führung des größten Gewerkschaftsbundes – der CGT – kündigte am 14. Dezember einen nationalen Aktionstag an. Es wäre besser gewesen, wenn diese Aktion früher ausgerufen worden wäre, um auf der Dynamik der Bewegung und dem Rückzug der Regierung aufzubauen. Aber der Aktionstag hat noch immer das Potential enthusiastisch von Arbeiter*innen und jungen Menschen aufgegriffen zu werden, die immer noch wütend sind und ausnutzen wollen, dass die Regierung sich auf dem Rückzug befindet.

Das dritte Wochenende

Am Samstag, den 1. Dezember, eskalierten in Paris und ganz Frankreich die Proteste der „Gilets Jaunes“ (Gelbe Westen) gegen die Regierung Macron. Sie erstreckte sich auch über die Landesgrenzen hinaus auf Belgien und die Niederlande. Tausende kamen in Den Haag zu einer wütenden Demonstration zusammen, in Brüssel brannten Barrikaden und es kam zu Straßenschlachten.

In Paris sahen sich zehntausende Demonstrant*innen mit Wasserwerfern, Polizeischlagstöcken und Tränengas konfrontiert. Barrikaden wurden gebaut, Pflastersteine auf die Bereitschaftspolizei geworfen, Angriffe auf die Geschäfte der Superreichen verübt und es kam zu Demonstrationen auf den Stufen der Pariser Börse.

Dieser Ausbruch der Wut wurde von Sky News als der schlimmste Aufstand in Frankreich seit fünf Jahrzehnten und von der BBC als die Schlimmsten zu Lebzeiten des derzeitigen Präsidenten beschrieben.

Seit ihrem Ausbruch vor drei Wochen hat sich die Welle der Proteste gegen die so genannte „Umweltsteuer“ auf Dieselkraftstoff zu einer massiven Gegenmacht gegen die Regierung entwickelt. Diese Steuer war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Sie kam nach einer Reihe von Kürzungen der Sozialausgaben, einschließlich der Renten, und einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit (mit zehn Millionen Arbeitslosen oder Unterbeschäftigten). Dies geschah zur gleichen Zeit, als den Bossen massive neue Steuervergünstigungen gewährt wurden.

Allein am vergangenen Samstag gab es, zusätzlich zu den Protesten in der Hauptstadt, an fast 600 verschiedenen Orten im ganzen Land Demonstrationen und Blockaden, teilweise auch in Verbindung mit Auseinandersetzungen mit Einsatzkräften. (Seit Ausbruch der Bewegung gab es inzwischen Proteste an mehr als 2.000 verschiedenen Orten in Frankreich.)

Drei Menschen sind an den Folgen der Proteste gestorben, mehr als 130 wurden schwer verletzt, Hunderte von Demonstrant*innen verhaftet und über dreihundert inhaftiert.

In den Medien wurde von der Einführung eines „Ausnahmezustands“ gesprochen, um den eskalierenden „Sicherheitsrisiken“ zu begegnen. Aber die Macron-Regierung hat bereits viele der Bestimmungen des zweijährigen staatlichen Ausnahmezustands, der von seinem Vorgänger Manuel Valls verhängt wurde, in das Gesetz aufgenommen. Dazu gehört auch die Befugnis, Demonstrationen zu verbieten. Macron hätte wenig zusätzlich tun können, um die polizeilichen Befugnisse noch weiter zu erhöhen; Armee und Polizei sind bereits völlig ausgelastet.

Anstatt die Demonstrationen unter Kontrolle zu bringen, hätte schon die Verhängung des Ausnahmezustands die Situation weiter angeheizt.

Wie weit hätte diese Bewegung gehen können?

Viele Menschen – junge und alte – sprachen von „einem neuen 68“ – einer Wiederholung der revolutionären Ereignisse, die dem Sturz des damaligen Präsidenten General de Gaulle und des Kapitalismus in Frankreich sehr nahe kamen und dadurch die reale Möglichkeit für einen erfolgreichen Kampf für Sozialismus auf europäischer und internationaler Ebene ebnen hätten können. Der Slogan auf einer der gelben Jacken der aktuellen Demonstrant*innen in Paris lautete: „Ich war 1968 hier und ich bin immer noch hier, um zu kämpfen!“

Die Ursprünge des Kampfes sind sehr unterschiedlich zu denen des Monats Mai 1968. Weder Student*innen noch organisierte Arbeiter*innen standen am Anfang an der Spitze der aktuellen Proteste. Aber das änderte sich langsam. Der französische Schriftsteller Christophe Guilluy kommentierte am vergangenen Wochenende, dass der Anstieg der Treibstoffpreise, der die Bewegung der „gelben Weste“ auslöste, nicht die Ursache war. „Die Wut wird immer größer und ist das Ergebnis einer wirtschaftlichen und kulturellen Abstiegsgeschichte, die in den 80er Jahren begann und die die ‚periphere‘ Bevölkerung Frankreichs betrifft.“

Die meisten Menschen an den Straßensperren stammten zunächst aus ländlichen Gebieten, die darauf angewiesen waren, ihr Auto täglich für Arbeit, Einkauf und Freizeit zu nutzen. Viele hatten in der Vergangenheit ein relativ komfortables Leben; jetzt sagen sie, dass ihr Lebensstandard auf ein unerträglich niedriges Niveau gesunken ist.

„Mein Vater hat mir immer gesagt, dass es die Reichen, die Mittelschicht und die Armen gibt“, kommentierte eine Frau bei einer Blockade einen Videobericht. „Jetzt gibt es nur noch die Reichen und die Arbeiter*innenklasse.“ Ihr Mann ist ein Manager und ihre Tochter geht zur Universität, aber jetzt findet sie es schwer, über die Runden zu kommen. Sie beschreibt die Stimmung unter den Protestierenden: „Wir fragen uns nicht gegenseitig, was unsere politische Meinung ist und wie wir gewählt haben, sondern nur, wie wir diese Regierung besiegen können.“

Die Macron-Regierung galt fast von Anfang an als die „Regierung der Reichen“. Aber diese Bewegung, der Ausdruck von angesammelter Wut, bringt viele zusammen, die in den letzten Wahlen sehr unterschiedliche gewählt haben – rechts, links und zentriert oder gar nicht.

 

Wer vertritt die Proteste?

Im vergangenen Jahr erreichte der Vorsitzende von France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), Jean-Luc Mélenchon, bei den Präsidentschaftswahlen fast die zweite Runde gegen Emmanuel Macron, in der ersten Runde hatte er mehr als sieben Millionen Stimmen erhalten. Mélenchon hat davon gesprochen, dass die gegenwärtige Bewegung Teil der von ihm seit langem geforderten „Bürgerrevolution“ sei, und fordert die Auflösung der Versammlung und Neuwahlen. Ein ähnlicher Aufruf wurde von Marine Le Pen von der rechtspopulistischen, Rassemblement National (ehemals Front National), gemacht. Der Anführer der Hauptpartei der französischen Bourgeoisie – Les Républicains – fühlt sich dazu gezwungen, ein Referendum über die CO2-Steuer der Regierung zu fordern. Das Resultat einer solchen Befragung kann man aus der Unterstützung dieses Aufstandes gegen die Regierung ablesen.

Zum ersten Mal seit Beginn der Bewegung und sehr spät rief die Führung der größten Gewerkschaft – die CGT – die Arbeiter*innen auf, gegen Kürzungspolitik und Arbeitslosigkeit zu demonstrieren, und zwar gleichzeitig mit der dritten Samstagmobilisierung der „gelben Westen“. In vielen Städten, wie Toulouse, Rouen und Marseille, verschmolzen beide Mobilisierungen miteinander. Die CGT-Führer*innen einigten sich schließlich darauf, ihren eigenen landesweiten Protest gegen die Regierungspolitik für Arbeitsplätze und Dienstleistungen, die für letzten Samstag in Paris geplant war, mit dem Protest der Kraftstoffsteuergegner zu verbinden. Lokale CGT-Führungskräfte haben sich inzwischen mit den Protesten gegen die Preiserhöhung in vielen Teilen Frankreichs verbunden.

Aber die Bewegung ist auch sehr vielfältig. Es gibt einige „Führer*innen“, die an diesem Montag Gespräche mit dem Premierminister aufgenommen haben. Dabei äußerten sie einige Elemente eines linken Minimalprogramms, aber sie „organisieren“ sich online und haben keine Struktur, mit der sie den Kampf bis zum Ende fortsetzen können. Ein Teil der Bewegung lehnt in einigen Regionen die Rolle von „Vertreter*innen“ ab; andere organisieren Wahlen von Vertretern*innen vor Ort bei den Blockaden.

Eine Arbeiterpartei, die für eine sozialistische Gesellschaft eintritt, würde sich für die sofortige Einrichtung einer revolutionären verfassungsgebenden Versammlung auf der Grundlage demokratisch gewählter Vertreter*innen auf allen Ebenen einsetzen. Versammlungen in den Arbeitsplätzen und Nachbarschaften sind entscheidend für die Entwicklung der Proteste von unten.

„Macron: trete zurück!“

Acht von zehn Französ*innen gaben an, die gegenwärtigen Proteste zu unterstützen, bei denen der Slogan „Macron: trete zurück!“ dominiert hat. Im letzten Monat sind die Ratings des Präsidenten um drei Punkte gesunken und befinden sich auf einem historischen Tiefstand, schlechter als Francois Hollande in einer ähnlichen Phase seiner Präsidentschaft. Der Präsident versucht, die Situation zu beruhigen, indem er anerkennt, dass er die Botschaft der Proteste „hört“. Aber General de Gaulle hat das Gleiche gesagt, bevor er Ende Mai 1968 aus dem Land floh – „Die Zukunft liegt nicht bei uns, sondern bei Gott“!

Eine Demonstrantin – eine 62-jährige Lehrerin – sagte der britischen Sonntagszeitung, der Observer, sie sei wütend darüber, dass sie gezwungen sei, zusätzliche Steuern zu zahlen „anstelle der Fluggesellschaften, der Reedereien und der Unternehmen, die mehr Verschmutzung verursachen, aber keine Steuern zahlen!“. Außerdem meinte sie: „Macron ist unser Louis XVI. und wir wissen, was mit ihm passiert ist. Er landete an der Guillotine!“

Emmanuel Macron hat sich selbst mehrfach als „Jupiter“ oder „Napoleon“ bezeichnet. Könnte er jetzt auf sein Waterloo treffen? Seit seinem Amtsantritt 2017 hat er bereits sieben Minister*innen „verloren“, die entweder in irgendeine Form von Korruption oder Gewalt verwickelt oder im besten Fall desillusioniert waren. Mindestens die Hälfte der Mitglieder seiner Partei – die LREM – haben aufgehört, zu den Versammlungen zu gehen, und die Partei selbst soll zersplittert sein. Es gibt eine Krise, die sich an der Spitze der Gesellschaft öffnet.

Die Regierung hat jetzt die Einführung der Diesel-Steuererhöhungen ausgesetzt – eine „Reform“, um einen weiteren Massenaufstand zu verhindern. Aber es scheint die Dinge nicht zu beruhigen. Die Proteste der Gelben Westen sind bereits über diese Forderung hinausgewachsen. Die Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten ist an die Oberfläche gekommen und können ihren Ausdruck auch in neuen Streiks und Massenprotesten finden, darunter auch eine mögliche Wiederaufnahme der Generalstreikbewegung von vor zwei Jahren gegen Änderungen des Arbeitsrechts unter Hollande.

Mitglieder des Gauche Revolutionnaire (CWI in Frankreich) berichten, dass es immer noch zu Streiks auf lokaler oder sektoraler Ebene kommt. Der Kraftstoffpreis wurde in jüngster Zeit nicht nur durch die neue „Umweltsteuer“, sondern auch durch Streiks in sieben von acht der riesigen Raffinerien des Landes beeinflusst.

Der Charakter der Bewegung

Die Idee, die Autobahnen als Form des Protestes zu blockieren, ist nicht neu. Aber zunächst wollten viele linke Kräfte diese spezielle Bewegung nicht unterstützen, da sie Elemente des „Poujadismus“ (einer Bewegung von Kleinunternehmer*innen) zeigte und die Rolle der Arbeiter*innenklasse nicht klar war. Es stimmt, dass die rechtsextreme Rassemblement National, angeführt von Marine Le Pen, die Macrons LREM bei den Umfragen zu den Europawahlen überholt hat, schon früh ihre Unterstützung für die Proteste ausgesprochen hat. Aber immer mehr Menschen, die für Mélenchon und die FI und andere Linke gestimmt haben, sind auf die Straße gegangen, ebenso wie enttäuschte ehemalige Macron-Anhänger*innen und Beschäftigte und junge Menschen, die bei den letzten Wahlen überhaupt nicht gewählt haben.

Es war der Mangel an Kämpfen unter der Führung der Gewerkschaften, der dazu geführt hat, dass die Bewegung der „Gelben Westen“ die aufgestauten Frustrationen aller Schichten der Gesellschaft zum Ausdruck bringen konnte. Es könnte durchaus noch eine Eskalation hin zu einer allgemeinen Bewegung zum Sturz der Regierung geben. Die Enttäuschung über die damals „neue“ politische Kraft um Macron ist weit verbreitet – obwohl es auch am Anfang keine große Hoffnungen gab! Er gewann 43 Prozent der Stimmen der gesamten Wählerschaft, und nur 16 Prozent derjenigen, die tatsächlich für ihn stimmten, taten dies aus Unterstützung für sein Programm und nicht, weil sie Le Pen besiegen wollten.

Die Situation, die sich gerade entwickelt zeigt die Notwendigkeit für eine linke Partei mit einem Programm, das die Unzufriedenheit aller Schichten der Gesellschaft rund um sozialistische Forderungen kanalisiert – die Unzufriedenheit der verarmten Mittelschicht, den Arbeiter*innen, deren Arbeitsplätze und Löhne bedroht sind und den Jugendlichen, die jetzt ohne Garantie auf Hochschulbildung oder Arbeitsplätze die Schule verlassen.

Ein Vertreterin von Gauche Revolutionnaire auf einem internationalen Treffen des CWI berichtete von „Besonderheiten“ in der gegenwärtigen Bewegung in Frankreich. Es gibt nicht nur Blockaden auf Straßen und Kreisverkehren, sondern auch Streikposten an Straßenmautstellen, die bei Autofahrer*innen sehr beliebt sind, weil sie ohne zu bezahlen durchgewunken werden! Bis zur Hälfte der Teilnehmer*innen an den Protesten sind Frauen, die in den meisten Fällen für den Umgang mit dem Haushaltsgeld verantwortlich sind.

In den Flugblättern, die von Gauche Revolutionnaire bei Demonstrationen verteilt werden, plädieren sie für einen Aktionstag, an dem die gesamte Wirtschaft durch Streiks und Blockaden zum Stillstand gebracht wird. „Durch einen Kampf aller Arbeiter*innen zusammen – einem Streik in jedem Sektor der Wirtschaft – kann Macron besiegt werden….Gauche Revolutionnaire kämpft für eine wirklich demokratische, brüderliche und kooperative Gesellschaft – für den Sozialismus.“

Clare Doyle arbeitet im Internationalen Büro des CWI (Committee for a Workers International, der internationalen Organisation der SLP) und ist unter anderem zuständig für die Entwicklungen in Frankreich. Sie ist Autorin des im Manifest-Verlag erschienenen Buchs „Frankreich 68 – die unvollendete Revolution

Kämpferinnen des Monats: Die Arbeiterinnen von Glasgow

Von 22.-24. Oktober streikten in Glasgow, Schottland über 10.000 Arbeiterinnen. Ihre Forderung: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Unterstützt wurden sie dabei von der Gewerkschaft Unison, in deren Glasgower Organisation die SozialistInnen unserer Schwesterorganisation Socialist Party Scotland eine zentrale Rolle spielen.

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Feministische Schul- und Unistreiks im spanischen Staat

1,5 Millionen Studierende beteiligen sich am Streik, 100.000 gehen auf die Straße!
Erklärung von „Sindicato de Estudiantes“ („Gewerkschaft der Schüler*innen und Studierenden“)

Der Generalstreik der Schüler*innen und Studierenden, zu dem „Sindicato de Estudiantes“ (SE) und „Libres y Combativas“ (frei und kämpferische, gemeinsame sozialistisch-feministische Plattform von SE und „Izquierda Revolucionaria“, der CWI-Sektion im spanischen Staat) aufgerufen hatten, war ein voller Erfolg. Über 1,5 Millionen Schüler*innen und Studierende ließen ihre Klassenräume verwaist zurück und 90 Prozent der Oberstufenschüler*innen unterstützen den Streik. Mehr als 100.000 Menschen nahmen in den Morgenstunden an über 60 Demonstrationen überall im spanischen Staat teil! Die Entschlossenheit, die wir gezeigt haben gegen Sexismus in den Schulen und Hochschulen, gegen sexistische Gewalt und patriarchales „Recht“ ist auch eine machtvolle Warnung an die Regierung Sanchez: Gesten und Versprechungen reichen uns nicht.

Wir haben genug von dieser Regierung, die wegsieht und nichts unternimmt, um den mächtigen Einfluss der katholischen Kirche in der Bildung zu beenden. Stattdessen wird die die homophobe und sexistische Propaganda der Kirche weiterhin toleriert, skandalöse Gerichtsurteile des francistischen Rechtssystems werden akzeptiert, das Vergewaltiger ungestraft davonkommen lässt. Darüber hinaus werden Kürzungen und Privatisierungen im Bildungssystem fortgesetzt.

Seit dem frühen Morgen war klar, dass der Streik stark und die Demonstrationen sehr groß werden würden. In den weiterführenden Schulen war der Streik sehr solide: 90 Prozent in Galizien, Asturien, dem Baskenland, Katalonien, Valencia, Andalusien, Madrid und andernorts und über 90 Prozent in der Extremadura, auf den Kanaren, in Murcia und so weiter. Auch an den Hochschulen im Land war die Beteiligung massiv.

Auch die Demonstrationen hatten beeindruckende Teilnehmerzahlen: 15.000 in Madrid, 12.000 in Barcelona, 5.000 in Bilbao und tausende in weiteren Städten des Baskenlandes, mehr als 15.000 in Andalusien, 5.000 in Galizien und 5.000 in Valencia, 2.000 in Gijon und zehntausende Weitere im ganzen Land.

Auf sämtlichen Demonstrationen war die Stimmung kämpferisch und voller Enthusiasmus. Wir skandierten Slogans wie: „Mein Rock provoziert nichts!“, „Mit oder ohne Kleidung: Fass mich nicht an!“, „Nein heißt nein – alles andere ist Vergewaltigung!“, „Ja zum Sexualkundeunterricht, nein zum Religionsunterricht!“, „Egal, wer regiert – wir werden für unsere Rechte kämpfen!“, „Der Kampf wird feministisch sein oder gar nicht!“ und etliche weitere. Sehr erfreut hat uns, dass hunderte Rentner*innen, Veteran*innen des Klassenkampfes, mit uns gemeinsam protestiert haben. Sie waren vom Koordinierungskreis der Massenbewegung der Rentner*innen zur Beteiligung an unseren Kundgebungen aufgerufen worden. Dass sie mit dabei waren, war eine Inspiration. Ausgedrückt hat sich das in ihrem Slogan: „Egal, wer regiert – wir werden für unsere Rechte kämpfen!“, den wir auch übernommen haben.

Wir haben auch Unterstützung von Dutzenden feministischen Organisationen, von LGBT- und Trans-Bewegungen bekommen. Vertreten waren auch viele aktuelle Bewegungen von Frauen, wie die „Kellys“ („Reinigungskräfte im Kampf“), Aktivist*innen gegen Gewalt an Frauen und Bewegungen für die Abschaffung der Prostitution, die bei unserer Kundgebung in Madrid eine sehr bewegende Rede gehalten haben.

In allen Großstädten haben bei den dortigen Veranstaltungen viele Aktivist*innen von „Libres y Combativas“ beziehungsweise von SE gesprochen, die noch Schüler*innen oder bereits Studierende sind. Dabei haben sie klargemacht, dass wir in unserem Kampf keinen Schritt zurück hinnehmen werden, dass wir einen revolutionären antikapitalistischen Feminismus vertreten, der kämpferisch ist, und dass wir keine Angriffe auf unsere Rechte tolerieren werden. Wir erklärten, wie die Bewegung der Frauen aus der Arbeiterschaft voll und ganz verbunden ist mit dem Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit und Unterdrückung durch das kapitalistische System.

Wir möchten auch betonen, dass tausende unserer männlichen Genossen mitgemacht haben. Sie haben sich an einem gemeinsamen Streik beteiligt und stehen mit uns in der ersten Reihe gegen Angriffe auf unsere Rechte und die Rechte der Menschen aus der LGBT-Community. Wir kämpfen gemeinsam gegen Sexismus und sexistische Vorurteile.

Dieser Streik war ein sehr wichtiger Schritt in Richtung des Aufbaus einer mächtigen Jugend- , Schüler*innen und Studierendenbewegung gegen Sexismus in den Schulen und Hochschulen. Dieser Streik folgte auf die großen Streiks am 8. März und 10. Mai dieses Jahres. Damit wollen wir unsere Forderungen gegenüber der Regierung und dem Bildungsministerium durchsetzen.

Wir werden nicht aufhören, bis wir die Regierung dazu gebracht haben Sexualkundeunterricht in allen Schulen einzuführen, der sich gegen Sexismus, Missbrauch, Verharmlosung von Vergewaltigung, Homo- und Transphobie richtet und aufklärt. Unser Kampf wird so lange andauern, bis sie sämtliche schulinternen Regeln abgeschafft haben, mit denen repressive Kleidungsvorschriften durchgesetzt werden oder die sexuelle Freiheit von LGTB und Trans-Personen eingeschränkt wird. So lange bis disziplinarische Maßnahmen gegen alle Lehrer*innen – dabei handelt es sich um eine kleine Minderheit der Lehrkräfte – ergriffen werden die sexistisches Verhalten verteidigen. Und wir werden so lange weiter kämpfen, bis sie ein für alle Mal das reaktionäre Bildungsgesetz namens LOMCE abgeschafft haben und kostenlose Bildung vom Kindergarten bis zur Universität für alle möglich ist.

Wir wollen Respekt und Würde, die Freiheit zu sein wie wir sind und dass Missbrauch und Erniedrigung endlich aufhören. Macht mit beim SE und bei „Libres y Combativas“. Lasst und gemeinsam den revolutionären antikapitalistischen Feminismus aufbauen!

#Thisisnotconsent: Proteste gegen „Victim Blaming“ in Irland

Schuldzuweisung an ein 17-jähriges Vergewaltigungsopfer provoziert Proteste
Von Reporter*innen der Sozialistischen Partei (Schwesterorganisation der SLP in Irland)

„Schließt die Beweisführung die Möglichkeit aus, dass sie sich von dem Angeklagten angezogen fühlte und offen war, jemanden zu treffen und mit jemandem zusammen zu sein? Man muss sich ansehen, wie sie gekleidet war. Sie trug einen String mit einer Spitzenfront.“

Diese Äußerungen von Verteidigerin Elizabeth O’Connell in einem Vergewaltigungsprozess in Cork haben auf der gesamten irischen Insel und international Empörung ausgelöst. Die Bemerkungen, die ohne jeden Einwand des Richters über eine 17-jährige junge Frau gemacht wurden, waren ein klares Beispiel für die Verwendung von „Victim Blaming“ (Schuldzuweisung an ein Opfer von sexuellen Übergriffen) und Vergewaltigungsmythen in öffentlichen Gerichtsverfahren. Dies geschieht in einer Situation, in der die Mehrheit der Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffe nicht gemeldet werden, und nur zehn Prozent der Meldungen mit einer Verurteilung enden.

Unter dem Hashtag #ThisIsNotConsent haben Frauen Fotos ihrer Unterwäsche veröffentlicht. Am Mittwoch, den 14. November, fanden sehr kurzfristig und während der Arbeitszeit wütende Proteste in Städten in ganz Irland statt. In Cork marschierten 500 Personen zum Gerichtsgebäude, wo die Äußerungen gemacht wurden, viele hinterließen Unterwäsche auf den Stufen und Geländern des Gebäudes. 500 protestierten auch im Zentrum Dublins, 250 in Belfast, 50 in Limerick und 40 in Galway. Die meisten dieser Proteste wurden auf Initiative von ROSA – der sozialistisch-feministischen Bewegung, in der die Sozialistische Partei ein zentraler Bestandteil ist – aufgerufen.

Diese Explosion der Wut spiegelt die Tatsache wider, dass Frauen und Jugendliche zunehmend nicht mehr bereit sind, „Victim Blaming“ und Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft zu akzeptieren. Im März/April dieses Jahres gingen Tausende auf die Straße, nachdem Ulster-Rugbyspieler in einem Vergewaltigungsprozess in Belfast freigesprochen worden waren, bei dem ähnliche Methoden zur Schuldzuweisung an das Opfer angewandt wurden. Sehr viele Menschen wurden in der Referendumskampagne aktiv, um die Aufhebung des Verbotes von Schwangertschaftsabbrüchen durchzusetzen.

Vor zwei Wochen haben Google-Mitarbeiter*innen in Dublin im Rahmen einer globalen Aktion gegen sexuelle Belästigung die Arbeit niedergelegt. Das letztgenannte Beispiel zeigt das Potenzial für Arbeitnehmer*innen, sich an ihren Arbeitsplätzen gegen sämtliche Erscheinungsformen von Sexismus zu organisieren. Dieses Thema muss auch von der Gewerkschaftsbewegung ernsthaft aufgegriffen werden.

String im Dáil

Ruth Coppinger, Abgeordnete von Solidarity und Mitglied der Sozialistischen Partei, brachte diese Stimmung in den Dáil (Parlament), als sie Leo Varadkar, den Premierminister, befragte. Sie forderte von der Regierung Maßnahmen gegen „Victim Blaming“ vor Gericht, indem sie einen String während ihrer Rede im Dáil hochhielt. Dies ist wahrscheinlich eine Premiere in der Geschichte des Dáil, und die Kameras schwenkten schnell weg von dem "provozierenden Gegenstand".  Doch wie Ruth betonte, wenn so etwas im Parlament unangebracht sein sollte, ist es umso unangebrachter, dass Unterwäsche vor Gericht als Beweis gegen eine Frau verwendet wird.

Ruths mutiger Auftritt hat zusammen mit den Protesten, die stattgefunden haben, große Aufmerksamkeit in den irischen Medien geweckt. Bedeutend ist, dass es auch in Medien in so unterschiedlichen Ländern wie Neuseeland, Australien, Indien, der Türkei, Kanada, den USA (einschließlich der New York Times, Newsweek und CNN) und in vielen Ländern Europas Beachtung gefunden hat. Auch deutsche Medien berichteten.

Streiks am Internationalen Frauentag

Es besteht Potenzial für eine neue Bewegung gegen „Victim Blaming“ und sexuelle Gewalt. ROSA ruft zu Massenprotesten und Streiks am Internationalen Frauentag 2019 auf und lässt sich dabei vom spanischen Beispiel inspirieren, wo ein „feministischer Streik“ in diesem Jahr Millionen von Menschen aus der Arbeit und auf die Straße brachte.

Diese Bewegung muss unbedingt Veränderungen fordern und erkämpfen, wie zum Beispiel die verpflichtende Ausbildung von Richtern und Geschworenen in Fällen von sexueller Gewalt und die Aufklärung über Konsens (Zustimmung) an Schulen. Der Fall in Cork ist jedoch kein isoliertes Beispiel. „Victim Blaming“ und Frauenfeindlichkeit, durchziehen das Justizsystem, den Staat und die Gesellschaft solange das kapitalistische System existiert, dass auf Sexismus und Ungleichheit aufgebaut ist.

Wir müssen eine Bewegung von Frauen, Jugendlichen, LGBTQ und allen Teilen der Arbeiter*innenklasse aufbauen. Mit einen antikapitalistischen und sozialistischen Feminismus, der dieses System und all die Ungerechtigkeiten, die es aufrecht erhalten, bekämpft.

Gegen den Gipfel der Eliten!

Moritz Bauer

Am 20.9. fand in Salzburg ein inoffizieller EU-Gipfel statt. Das war auch der Höhepunkt unserer Kampagne gegen die EU der Banken und Konzerne und die schwarz-blaue Regierung. Im Rahmen dieser veranstalteten wir zahlreiche Aktionstage – teils mehrere pro Woche - und kamen mit über tausend Menschen in Diskussion über die Heuchelei der EU und ihre Politik für die Reichen und Superreichen. Wir verteilten tausende Flyer, verkauften hunderte Vorwärts und zig Broschüren. Interessierte Personen luden wir zu unseren Aktionskomitees ein, auf denen wir inhaltliche Diskussionen führten, aber auch weitere Proteste und Aktionstage planten.

Nach dem Sommercamp von SLP und SAV Ende August kamen deutsche SozialistInnen nach Salzburg. Bei einer Veranstaltung ging es um G20 und den EU-Gipfel, wir suchten und fanden Parallelen und bereiteten uns auf die Gipfelproteste hier vor. Die Erfahrungen aus dem Gipfel in Hamburg halfen uns, mögliche Gefahren zu erkennen, wie eine Eskalation durch die Polizei, und uns einen Umgang damit zu überlegen. An unseren Aktionstagen verteilten wir nicht nur Flyer und verkauften Vorwärts und Broschüren. Wir hielten auch zahlreiche Reden, in denen wir die Verbindung zwischen der Politik der einzelnen Regierungen der Mitgliedsstaaten und der Politik der EU selbst aufzeigten. Wir erklärten, warum wir die EU nicht reformieren können, aber auch keine nationalen Alleingänge wollen, sondern gemeinsam für ein Europa kämpfen, in dem die Profitlogik gestürzt wird - ein sozialistisches Europa.

Mit Schulbeginn begannen wir auch vor Schulen zu flyern. In den Komiteetreffen nutzten wir die Zeit, um eventuelle Bedenken und Sorgen bezüglich der Demonstration zu diskutieren. Außerdem betonten wir, dass die Proteste weitergehen müssen und besprachen, welche Kämpfe sich in der nächsten Zeit entwickeln könnten. Auch weitere Aktionen und Diskussionsveranstaltungen planten wir. Auf den Demonstrationen am 19. und 20.9. bildeten wir einen Jugendblock, in dem wir über Demosprüche, Transparente und Schilder unsere EU-Kritik mit dem Widerstand gegen Schwarz-Blau verbanden. Unsere Flyer auf der Demo kündigten weitere Veranstaltungen an und riefen dazu auf, mit uns auch über den Gipfel hinaus aktiv zu werden.

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Landtagswahlen in Deutschland läuten Ende von Merkel ein

Warum die Grünen mehr zulegen als DIE LINKE
Claus Ludwig

Die Landtagswahlen sind eine Misstrauenserklärung gegenüber Merkel und ihre SPD-Gefolgschaft. 22,2 Prozentpunkte verlieren die Parteien der Berliner Koalition in Hessen, 21,4 in Bayern. Bemerkenswert ist, dass diese Wahlrebellion gegen die Regierung in einer Phase ökonomischen Wachstums stattfindet, bei steigender Beschäftigung. Das drückt aus, dass es vielen Menschen trotzdem nicht besser geht, aber es scheint auch , als ahnten viele Wähler*innen schon kommende Krisen.

Die Etablierung der AfD auf hohem Niveau setzt sich in Bayern und Hessen fort, ohne spektakuläre Erfolge für die Rechtspopulisten. Ihr permanenter Aufstieg scheint erst einmal gebremst. Gleichzeitig wird mit jeder Wahl klarer: die AfD wird so schnell nicht verschwinden. Sie wird nur zurück gedrängt werden können, wenn sich eine politische Alternative entwickelt, die ihr den Nimbus der einzigen wirklichen Anti-Establishment-Kraft nimmt und wenn Rassismus in der Gesellschaft durch gemeinsame soziale Kämpfe von Deutschen und Nichtdeutschen zurückgedrängt wird.

Hauptgewinnerin sind die Grünen. Ihnen gelingt der Spagat, sich im bürgerlichen Lager als eine liberale Alternative zu den immer wieder nach rechts zuckenden CDU und FDP darzustellen und von der CDU sowie der SPD massiv Stimmen zu gewinnen.

Der Versuch der Union, den eigenen rechten Rand durch das Kopieren der AfD einzubinden, ist in Hessen zum x-ten Mal gescheitert, das Original zieht stärker. Der Zuwachs der AfD in den westlichen Bundesländern kommt zu großen Teilen von CDU und CSU.

Die Ankündigung von Angela Merkel, nicht mehr als CDU-Parteivorsitzende zu kandidieren, ist das Eingeständnis, dass ihre Regierung keine Zukunft hat. Das gilt auch wenn die GroKo nicht unmittelbar zu Fall gekommen ist. Ob Merkel aber bis 2021 Kanzlerin bleiben kann, ist fraglich. Vieles spricht dafür, dass spätestens mit den Landtagswahlen 2019 in Ostdeutschland die nächsten Erschütterungen einschlagen werden.

Als Kandidat*innen für den CDU-Vorsitz wurden innerhalb weniger Stunden nach Merkels Ankündigungen die Namen von Annegret Kamp-Karrenbauer, Friedrich Merz, Armin Laschet und Jens Spahn genannt. Die Wahl von Spahn und noch mehr von Merz würden einen Rechtsruck der CDU symbolisieren. Eine Rechtsverschiebung an der CDU-Spitze kann zur Bruchstelle mit der SPD werden.

This is the End

In den Köpfen der sozialdemokratischen Parteiführung laufen die Synapsen heiß: Springen oder im brennenden Haus bleiben und auf Rettung warten? Suizid oder Warten auf den Todesstoß von außen?

Die Parteivorsitzende Andrea Nahles hatte sich am hessischen Wahlabend entschlossen, den Rauch in der SPD als gemächlichen Schwelbrand zu interpretieren und nicht zu springen. Man wolle bis zur „Halbzeitbilanz“ – bis irgendwann 2019 – abwarten, ob die GroKo irgendetwas Politikähnliches auf die Reihe und kommuniziert bekomme. Man werde das Schicksal der SPD nicht „in die Hände“ von CDU und CSU legen, meinte Nahles. Ist auch gar nicht nötig, die SPD ist schon längst abhängig von den Irrungen der Union.

Nahles‘ Vorgehen ist genauso klug oder dumm wie der sofortige Ausstieg aus der GroKo mit anschließenden Neuwahlen. Die SPD kann unmittelbar nur verlieren. Allerdings bleibt offen, ob der Rest der Führung das genauso sieht. In der SPD ist nichts ausgeschlossen. Die unendliche Treue der Partei zu Staat und Kapitalismus ließ sich an der Mehrheit der Basis für die GroKo Anfang dieses Jahres ablesen. Die sind glatt in der Lage, immer so weiterzumachen, bis bei den ersten Landtagwahlen die Fünf-Prozent-Hürde droht. Ebenso ist es möglich, dass Teile der Führung jetzt auf die Bremse treten, Nahles von der Spitze verdrängen und ein Neuwahlen-Desaster riskieren, in der trügerischen Hoffnung, mittelfristig wieder auf die Füße zu kommen. Dann stünden FDP und Grüne wohl bereit, um eine Jamaika-Koalition zu bilden, wahrscheinlich unter der Bedingung, dass Merkel auch als Kanzlerin abtritt.

Die SPD folgt den Schwesterparteien auf europäischer Ebene. In Griechenland, Italien, Frankreich, Niederlande und Belgien sind die traditionsreichen Sozialdemokratien auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit oder längst dort angekommen. Auch andere etablierte Parteien wie Christdemokraten und Konservative sind geschwächt, aber ihre Krise ist in der Regel noch nicht final.

Die Sozialdemokratie wird zerrieben zwischen ihrem historischen Erbe und dem daraus resultierenden Anspruch, die Interessen der Arbeiter*innenklasse zu vertreten und der Realität, bei allen kapitalistischen Sauereien, allen Angriffen auf die Arbeiter*innenklasse mitgemacht, dabei oft in erster Reihe gestanden und „Hurra“ gerufen zu haben.

Sie haben den Lohnabhängigen nicht nur Geld gestohlen, sondern sie dabei entwürdigt und zunächst jeder Alternative beraubt. Jedes Wahlplakat der SPD, auf dem „Bezahlbarer Wohnraum“ oder „Soziale Gerechtigkeit“ gefordert wird, wirkt wie eine Provokation, schlimmer, als wenn andere Parteien dasselbe sagen. Der CDU nimmt man das ohnehin nicht ab, bei den Grünen denken viele „mal gucken“ und bei der LINKEN „haben eigentlich Recht, aber ich weiß nicht so genau, ob sich die Wahl lohnt.“ Bei der SPD denken viele nur „Verarscht uns jetzt nicht auch noch.“

Die totale Selbstaufgabe der Sozialdemokratie hat, neben der Kampfesverweigerung der oft mit ihr verbundenen Gewerkschaftsführung, den Boden bereitet, auf dem die Rechtspopulisten gedeihen konnten. Gerade die Gewerkschaften könnten den Unterschied machen. Sie sind Massenorganisationen mit deutschen und nicht-deutschen Mitgliedern aller Hautfarben und Religionen. Sie könnten helfen, Vorurteile abzubauen, aber vor allem die sozialen Ursachen des Aufstiegs der Rechtspopulist*innen wirksam bekämpfen – durch Aufklärungskampagnen und gemeinsame Streiks für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich.

Manche hoffen auf einen Corbyn-Effekt in der SPD. Aber weder gibt es eine mit Jeremy Corbyn vergleichbare Person in der SPD, noch sind die Ausgangsbedingungen vergleichbar. Corbyn wäre in Deutschland schon lange Mitglied der LINKEN. Sein Aufstieg basiert teilweise auf Besonderheiten des britischen Wahlsystems, die das Entstehen einer Wahlalternative links von Labour stärker blockiert haben als in anderen Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine linke Strömung in der SPD entsteht, ist deutlich geringer als auf der Insel. Der weitere Niedergang der Sozialdemokratie ist daher die wahrscheinlichste Perspektive.

Stärkung der Grünen

In der Diskussion innerhalb der Linken wird die Stärkung der Grünen oftmals einseitig als Stärkung kleinbürgerlicher Ideen beschrieben. Das ist angesichts der tatsächlichen Politik der Grünen verständlich, denn diese bieten der Union weitere taktische Möglichkeiten, regieren mit und machen eine genauso unsoziale Politik wie die anderen etablierten Parteien.

Doch diese Wahrnehmung ist oberflächlich. In Zeiten ohne größere Klassenkämpfe und ohne eine breit verankerte Arbeiter*innenpartei bleibt den Lohnabhängigen kaum etwas übrig, als überwiegend bürgerliche und kleinbürgerliche Parteien zu wählen. Alle Parteien von Grüne bis AfD werden auch von Lohnabhängigen gewählt. Nur eine Minderheit von ihnen wählt DIE LINKE. Der bürgerliche Charakter der grünen Partei beantwortet demnach nicht die Frage, aus welchen Motiven sie gewählt wird.

Sie profitieren derzeit davon, dass sie Stimmen aus allen Richtungen bekommen. Unstrittig dürfte sein, dass Teile der Mittelschichten mit bürgerlichem Politikverständnis als liberale, weltoffene Alternative zu CDU/CSU und FDP sehen. Auf dieser Grundlage konnten sie in den ländlichen Regionen Bayerns, Baden-Württembergs und Hessens punkten. Interessanter ist, dass die Grünen von der politischen Polarisierung nach links profitieren.

In den letzten Jahren haben wir nicht nur den Aufstieg der AfD, rassistische Gewalt und Aufmärsche erlebt, sondern auch massive Gegenreaktionen. 242.000 bei #unteilbar in Berlin, mehrere Zehntausender-Demos gegen rechts in Bayern, 65.000 beim Konzert in Chemnitz, unzählige örtliche antirassistische Demonstrationen, organisierte Flüchtlings-Solidarität in jeder Stadt – es haben sich auch linke Ideen entwickelt, die auf politischer Ebene nur verzerrt ausgedrückt werden.

Diese Polarisierung findet statt, während die sozialen Kämpfe auf einem niedrigen Niveau sind, die Selbstaktivität der Arbeitenden nur schwach entwickelt ist. Auch wenn Mietenexplosion und Pflegenotstand viele Menschen beschäftigen und Proteste ausgelöst haben, waren es keine wahlentscheidenden Themen. Die Polarisierung zwischen links und rechts erscheint vordergründig als „Wertefrage“, als ginge es nur um „weltoffen“ gegen reaktionär, flüchtlingsfreundlich –oder feindlich.

In dieser Situation tritt die unsoziale Praxis der Grünen in den Hintergrund. Sie erscheinen vorübergehend als stärkste Kraft links der Union und profitieren damit von den fortschrittlichen, aber teils von der Klassenfrage abgekoppelten Stimmungen vor allem bei Angestellten und akademisch gebildeten Schichten in den Großstädten, in hohem Maße bei der Jugend (26 Prozent) und bei den Frauen (22 Prozent). Die Grünen sind bei den Hessen-Wahlen die Partei der jüngeren Frauen in den Städten. Darunter dürften sowohl Gewinner*innen des ökonomischen Aufschwungs sein als auch Frauen in prekären Verhältnissen im Dienstleistungssektor oder in Berufen mit hohem Arbeitsdruck im Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich.

Ökologische Frage

Längst ist die Umweltfrage in vielen Köpfen präsent. Hitzesommer und Klimaentwicklung, die Proteste am Hambacher Forst, der Diesel-Skandal und der Verkehrskollaps in den Städten – das steht „offiziell“ nicht im Vordergrund, aber die Notwendigkeit radikaler Änderungen bei Energie und Verkehr beschäftigen immer mehr Menschen – und führen zu einem mittelfristigen Trend, der den Grünen nutzt. Die Schichten der Bevölkerung, auch der Lohnabhängigen, die auch nur ahnen, wie bedeutungslos die Flüchtlingszahlen im Vergleich zur ökologischen Katastrophe sind, auf die der Planet zurast, treffen zunächst auf die Grünen.

Zu Recht sagt die LINKE: „Wer grüne Politik will, muss rot wählen“. Denn die Grünen machen in der Praxis nicht die ökologische Politik, die auf ihren Fahnen steht. Sie haben in Hessen die Erweiterung des Frankfurter Flughafens durchgewinkt. Sie haben den Hambacher Forst zur Rodung freigegeben. Doch anders als die SPD, deren mehrfacher historischer Verrat an der Arbeiter*innenklasse allgemein anerkannt ist, haben die Grünen weder ihre „Kriegskredite“ noch ihr „Hartz IV“ bezüglich der Ökologie erlebt. Sie gelten in dem Bereich immer noch als glaubwürdig. Das gilt besonders für die Wähler*innen zwischen 18 und 24, die mit 26 Prozent die Grünen zur stärksten Partei in dieser Altersgruppe gemacht haben.

Besonderheit Landtagswahlen

Die Landtagswahlen begünstigen die Grünen in zweierlei Hinsicht gegenüber der LINKEN. Erstens wählen viele im Land pragmatischer im Bund. Es zählen weniger die grundlegenden Überzeugungen und mehr die Frage, welche Partei realistisch an die Regierung kommen kann, um ihre Ziele umzusetzen. Viele Wähler*innen geben sich im Land mit der Hoffnung auf kleinere Verbesserungen zufrieden und lassen ihre Grundsätze außen vor. Das hat neben anderen Faktoren mit dazu geführt, dass DIE LINKE in NRW und Bayern den Einzug in den Landtag verpasst hat. In Hessen, wo ihr erneuter Einzug als gesichert galt, war es ein Faktor, der das Wachstum begrenzt und verhindert hat, dass die Partei stärker von der Krise der SPD profitiert.

Zudem hat DIE LINKE traditionell Schwierigkeiten, ihre Wähler*innen zu Wahlen unterhalb des Bundes zu mobilisieren. Ein Teil der linken Wählerschaft hält diese Wahlen für nicht wichtig genug.

Situation der LINKEN

DIE LINKE legt in Bayern und Hessen zu, angesichts der dramatischen Verluste für die Sozialdemokratie aber in einem viel zu geringem Ausmaß. Ein unmittelbarer Faktor dafür ist die Rolle von Sahra Wagenknecht in der Debatte um Migration und die Gründung der Sammlungsbewegung „aufstehen“. Das hat die Verwirrung, wie es mit der LINKEN weiter geht und wofür sie genau steht, verstärkt. Die Grünen konnten sich als konsequenteste Kämpfer*innen für Flüchtlingsrechte darstellen, weil die Position der LINKEN durch Wagenknechts Querschüsse unklar ist. Das ist ein Grund, warum DIE LINKE ihr Potenzial nicht ausschöpft und nicht einmal die in Umfragen prognostizierten acht Prozent in Hessen bzw. fünf Prozent in Bayern erreicht hat.

Die Ursachen für die jetzigen Ergebnisse liegen aber in den versäumten Chancen der Vergangenheit, sie liegen in der bundesweiten Wahrnehmung der Partei und nicht im hessischen (oder bayrischen) Landesverband. Statt als kämpferische Alternative aufzutreten, hat DIE LINKE sich in den letzten Jahren als parlamentarische Ergänzungspartei zu SPD und Grünen präsentiert. In Ostdeutschland beteiligt sie sich an Landesregierungen, die keine grundlegend andere Politik eingeleitet haben, mit dem Ergebnis, dass sich die Rechtspopulisten als einzige Anti-Establishment-Kraft darstellen konnten. Die Stimmenzahlen im Osten sind deutlich eingebrochen. Das ist Ausdruck eines doppelten Glaubwürdigkeitsproblems der Partei: zum einen aufgrund ihrer Regierungspraxis, zum anderen weil sie in den Augen vieler Menschen immer noch nicht eine ausreichend klare Abgrenzung zum politischen System der DDR einnimmt.

In dem Zusammenhang muss gesagt werden, dass die Avancen der hessischen LINKE-Führung an SPD und Grüne in den letzten Wochen des Wahlkampfs ein Fehler waren. Ob sie große Auswirkungen in die eine oder andere Richtung für das Wahlergebnis hatten, ist unwahrscheinlich, da den meisten Wähler*innen diese Option ohnehin als unrealistisch galt. Sie verstärken das Gesamtbild der LINKEN als Regierungspartei im Wartestand, selbst wenn der hessische Landesverband nicht so agiert. Außerdem stellen solche Äußerungen SPD und Grünen das Label aus, links zu sein und haben möglicherweise den Grünen eher geholfen.

In Westdeutschland ist die Partei jünger, aktivistischer, in vielen Bewegung präsent, wird von den dort Aktiven positiv wahrgenommen. Wo sie eine stärkere Verankerung hat, vor allem in den Städten, gewinnt sie sogar deutlich. In armen, aber jungen Vierteln wie Kassel-Nord (Holland) wurde sie sogar stärkste Partei. Das deutet auf das Potenzial hin, das aber bei weitem nicht ausgeschöpft wird. Es zeigt auch, wie sehr Wahlerfolge mit Verankerung in der Bevölkerung zusammen hängen.

Diese wiederum hängt mit dem Aufbau einer starken und aktiven Parteiorganisation vor Ort zusammen. Eine solche entwickelt sich da, wo DIE LINKE nicht vor allem auf Parlamentsarbeit setzt, sondern an den sozialen Kämpfen und Bewegungen, an betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen dran ist, diese unterstützt und voran treibt und die politische Verbindung zwischen verschiedenen Bewegungen herstellt. Die Pflege- und der Mietenkampagne ist dafür ein guter Ansatz, der aber ausgebaut werden müsste.

Die Kritiker*innen, die von einer Stagnation der LINKEN reden, haben in der Sache Unrecht. Die Partei ist im Westen gewachsen und sie verliert im Osten, hat neue Mitglieder und Aktive gewonnen und bei Wahlen im Westen zugelegt, teilweise deutlich, teilweise bescheiden. Das ist auch Ausdruck der unterschiedlichen politischen Ausrichtung der Partei in Ost und West. Daraus sollten alle nötigen Schlussfolgerungen gezogen werden.

Es ist bei aller Anerkennung des engagierten Wahlkampfes allerdings nicht richtig, wenn die Fraktionsvorsitzende in Hessen, Janine Wissler, von einem „großartigen Ergebnis“ spricht oder wenn der Parteivorsitzende Bernd Riexinger sich im Stil parlamentarischer Routine am Wahlabend äußert, man hätte prozentual zugelegt, demnach wäre das ein Erfolg.

Das klingt wie Schönreden angesichts der historischen Krise der Sozialdemokratie, den allgemeinen Auf- und Ab-Bewegungen im Parteiensystem und der Etablierung einer rechtspopulistischen, rassistischen Partei mit über zehn Prozent in jedem Bundesland. Viele Mitglieder und linke Aktivist*innen spüren, dass DIE LINKE Gefahr läuft, ins Hintertreffen zu geraten, wenn der sich neu auftuende politische Raum von Rechtspopulist*innen und anderen gefüllt wird.

Die linke Parteispitze sollte die dramatischen Verschiebungen zur Kenntnis nehmen. Statt einem Schönreden der Ergebnisse sollte die Führung der LINKEN ein anderes Signal aussenden: sie sollte offen sagen, dass diese Entwicklung nicht zufriedenstellend ist. Gleichzeitig kann die Partei selbstbewusst darstellen, dass sie dort zulegt, wo die Partei ein kämpferisches Profil hat. Die Schlussfolgerung muss sein: weiter ran an Kämpfe und Bewegungen, klare Abgrenzung vom bürgerlichen Establishment, klare Kante gegen Rechts und keine Regierungskoalitionen mit SPD und Grünen.

Mit dieser Mischung aus ehrlicher Analyse ohne nerviges Politikergequatsche, einer Kampfansage an alle etablierten Parteien und einer Bekräftigung der Orientierung auf soziale Bewegungen würde DIE LINKE an solch einem Wahlabend besser fahren.

Der Niedergang der SPD wird weitergehen. Die Grünen werden ihre derzeitige Unterstützung angesichts der Realität ihrer Regierungsarbeit – möglicherweise auch bald per Jamaika im Bund – nicht halten können. Es besteht die Gefahr, dass im Zuge der kommenden wirtschaftlichen Verwerfungen eine „italienische“ Situation entstehen, mit einer diskreditierten Linken, in der die Rechtspopulisten die Unzufriedenheit weiter nach rechts kanalisieren können . Noch kann eine solche Situation verhindert werden. Die Bedingungen zum Aufbau der LINKEN werden sich in Zukunft wieder massiv verbessern. Darauf muss sich die Partei vorbereiten, indem sie jetzt schon alle Möglichkeiten nutzt und klare Kante sowohl gegen das bürgerliche, auch rot-grüne, Establishment und gegen Rassismus und Rechtspopulismus zeigt.

Brasilien: Schock nach Sieg von Bolsonaro

André Ferrari, LSR (Liberdade Socialismo e Revolução / Freiheit Sozialismus und Revolution, CWI in Brasilien)

Gemeinsamen Widerstand aufbauen, um die Rechte von Arbeiter*innen und Unterdrückten zu verteidigen

Der Sieg von Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen in Brasilien mit einem Vorsprung von zehn Prozent gegenüber dem Kandidaten der PT (Arbeiterpartei) Haddad bedeutet einen Rückschlag für die brasilianische Arbeiterklasse und eröffnet ein neues Kapitel in Brasilien. Das wird auch die extreme Rechte in anderen lateinamerikanischen Ländern stärken.

Bolsonaro ist ein rechtsextremer Populist mit militärischem Hintergrund. Er hat das ehemalige Militärregime genauso wie die Anwendung von Folter verteidigt und sowohl während des Wahlkampfes als auch davor elitäre, rassistische, frauenfeindliche und homophobe Positionen vertreten. Bei seiner letzten Wahlkampfveranstaltung sprach er von der Notwendigkeit, „die Opposition, Sozialismus und Kommunismus zu eliminieren“.

Große Gefahren

Im Vorfeld der Wahlen hatte die Militärpolizei über zwanzig Universitäten gestürmt, nachdem Wahlrichter gegen „antifaschistische“ Gruppen, die an den Universitäten gebildet worden waren, geurteilt hatten. Diese Entscheidung wurde später von anderen Bereichen der Justiz aufgehoben. Es veranschaulicht jedoch den extrem repressiven Charakter, den die neue Regierung von Bolsonaro haben wird. Bei einer PT-Kundgebung stürmte ein Bewaffneter aus einem Auto und erschoss einen Demonstranten. Bei den Bolsonaro-Feiern schossen seine Anhänger mit geschwungenen Pistolen in die Luft. In Sao Paulo, wurde eine Trans-Person bei einem eindeutig politisch motivierten Angriff erschossen. In Nitero, in der Nähe von Rio, fuhren militärische Panzerwagen durch die Straßen, um den Sieg von Bolsonaro zu feiern.

Widerstand

Dieser Sieg stellt eine Bedrohung und Herausforderung für die Arbeiter*innenbewegung und die Linke dar. In der Endphase der Kampagne entwickelte sich eine wachsende Widerstandsbereitschaft, die sich in massiven Anti-Bolsonaro-Protesten in Rio und anderen Städten widerspiegelte. PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) und der MTST (Bewegung der obdachlosen Arbeiter*innen) haben zu Recht die Initiative ergriffen, diese Woche zu Protesten aufzurufen. Eine neue Schicht von Arbeiter*innen und jungen Menschen, die der PT von links viel kritischer gegenübersteht, hat sich aktiviert.

Versagen der Linken

Der Sieg von Bolsonaro ist das Ergebnis des Scheiterns der „linken“ Regierungen an der Macht. Die PT war zusammen mit allen kapitalistischen Parteien in Brasilien in Korruption verwickelt. Sie führte prokapitalistische Politik ein und versäumte es, sozialistische Maßnahmen zu ergreifen. Brasilien stürzte in die tiefste Rezession seit einem Jahrhundert. Die sozialen Folgen, die sich in dem schrecklichen Anstieg der städtischen Gewalt widerspiegeln, wurden von Bolsonaro populistisch genutzt. Im vergangenen Jahr wurden in Brasilien fast 70.000 Menschen ermordet. Bolsonaro nutzte auch die Krise in Venezuela, um die Linke zu attackieren. Das Versagen der Chavista-Regierung mit dem Kapitalismus zu brechen, hat zu einer sozialen Katastrophe geführt, die nun zum Angriff auf den Sozialismus genutzt wird.

Aufbau sozialistischer Alternative

Nach dem Sieg von Bolsonaro wird es einen neuen Anlauf geben, die von Temer geplante und zunächst zurück geschlagene Rentenreform nun doch durchzubringen. Diese und andere Angriffe werden der Linken die Möglichkeit geben, mit dem Aufbau einer kämpferischen sozialistischen Alternative zu beginnen.

Die dritte Runde wird auf der Straße ausgetragen. Die Arbeitnehmer*innen und die linken Organisationen müssen zusammengebracht werden, um mit dem Widerstand zu beginnen, um demokratische Rechte zu verteidigen und gegen alle Angriffe auf die Arbeiter und alle Unterdrückten zu kämpfen. Unmittelbar bedeutet das die Notwendigkeit, Selbstverteidigungsausschüsse gegen Bedrohungen und Angriffe von rechtsextremen Kräften zu bilden. Die LSR kämpft jetzt dafür, den Widerstand in einer dritten Runde auf den Straßen aufzubauen und den Aufbau einer einflussreicheren sozialistischen Alternative zu stärken.

 

Mehr zum Thema: 

Britannien und das Brexit-Chaos

Ohne eigene Position verliert die ArbeiterInnenklasse beim Kräftemessen um den Brexit.
Laura Rafetseder

Nordirlandgrenze, Sonderverträge, Binnenmarkt etc. - die Verhandlungen stecken fest. Es ist ein Kräftemessen zwischen verschiedenen Teilen des europäischen Kapitals.

Die Abstimmung für den Brexit war nicht gegen Europa, sondern ein Ausdruck der Wut der britischen ArbeiterInnenklasse über die jahrzehntelange Sparpolitik. Corbyns Erfolg (trotz schwankender Position zur EU) und die Beliebtheit seines Anti-Sparprogramms ist ebenso Ausdruck davon.

Sowohl Tories wie auch der rechte Labour Flügel haben nur das Wohl des britischen Kapitals im Auge. Corbyn zögert, diesen Kurs zu verlassen und den Kampf mit der Labour Rechten, die ihn laufend torpediert, aufzunehmen und sich ohne Kompromisse gegen jede Maßnahme zu stellen, die zu Lasten der ArbeiterInnen geht. Beim Brexit, aber auch bei Neuwahlen müsste Corbyn für ein klar sozialistisches Programm eintreten: Er müsste Forderungen nach Verstaatlichung, die in seinem Programm schüchtern angeschnitten sind, ausweiten in Richtung Verstaatlichung der großen Banken und Konzerne – und die Eigentumsfrage stellen. Eine Regierung, die nicht unter der Knute der EU steht, könnte das umsetzen - hin zu einem sozialistischen Brexit, also einem Bruch mit der kapitalistischen Logik der EU. Das könnte Vorbildwirkung haben für Spanien, Portugal, Irland, Griechenland etc. Nein zur EU der Bosse, ja zu einer sozialistischen Föderation Europas auf freiwilliger Basis.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Internationale Notizen - Schweden - Mexiko - Jemen

Schweden: Rechtsruck?

Die Wahlen in Schweden waren eine Abrechnung mit der neoliberalen etablierten Politik. Sozialdemokratie und Konservative fuhren das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Hauptsächlich profitierten die rassistischen Schwedendemokraten. Doch auch die Linke baute ihre Position aus. So steigerte die Linkspartei ihr Ergebnis von 6 auf 8%. Die sozialistische Gerechtigkeitspartei RS (CWI in Schweden) konnte mit ihrer Wahlkampagne Tausende erreichen. Sie organisierte neben Demonstrationen gegen Neonazis auch Proteste mit AltenpflegerInnen und Seniorenorganisationen für mehr Personal und gegen Kürzungen. RS hielt beide Stadtratsmandate in Lulea, verlor aber ihren Sitz in Haninge durch eine undemokratische Wahlreform, obwohl sie ihren Stimmenanteil ausbaute.

www.socialisterna.org

 

Mexiko: Aufstand der Uni

Seit langem nützen korrupte PolitikerInnen in Mexiko „Porros“, faschistische Schlägertruppen gegen politisch aktive Studierende. Am 3. September griffen 50 Porros eine Studierendendemonstration an, sechs Menschen wurden teils schwer verletzt. Daraufhin stimmten die Studierenden von 40 Kampussen in demokratischen Versammlungen für die Bestreikung der Universitäten. Die Bewegung zeigt bereits Erfolge, so entließ die Universität von Mexiko-City bereits 18 der Faschisten. Doch diese Erfolge sind nicht langfristig, solange in der Uni-Verwaltung Verbündete der „Porros“ tätig bleiben. Izquierda Revolucionaria (CWI in Mexiko) ist aktiver Teil der Proteste und fordert eine demokratische Universität, deren Führungskräfte von den Beschäftigten und Studierenden gewählt werden.

http://www.izquierdarevolucionariamx.net

 

Jemen

Die Ölfirma Total im Jemen weigerte sich 2016/17, Löhne zu zahlen. Bei einem Angriff wurden drei Arbeiter, die dagegen protestierten, getötet. Der Gewerkschaftsbund blieb untätig. Nun gründen ehemalige Beschäftigte eine neue Gewerkschaft.  Das CWI unterstützte die KollegInnen damals mit weltweiten Solidaritätsaktionen und hilft nun beim Aufbau der Gewerkschaft.

http://www.socialistworld.net

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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