Internationales

Russland: Putin unter Druck

Die massiven Jugendproteste gegen die Pensionsreform sind nur die Vorboten für breitere Proteste.
Rob Jones, Sozialistische Alternative (CWI in Russland)

2018 war ein schwieriges Jahr für die Herrschenden in Russland. Sie erwarteten die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, die Fußball Weltmeisterschaft zu feiern und die Unterstützung bei den Regionalwahlen im September zu festigen. Doch gleich nach Putins Sieg im April begann alles schief zu laufen - seine Ankündigung, die Pensionsreform durchzupeitschen, traf die russische Gesellschaft wie ein Blitz. 80% waren gegen die Anhebung des Pensionsalters und die Unterstützung für Putin und seine Institutionen sanken dramatisch - die aktuellen Umfragewerte sind die tiefsten seit dem ersten Amtsantritt.

Russland schaut auf ein verlorenes Jahrzehnt - bestenfalls kann man es als Periode der Stagnation bezeichnen. 2018 lag das BIP bei ca.1,6 Billionen US-Dollar - ungefähr derselbe Wert wie 2007/8. Die Realeinkommen sinken seit fünf Jahren. Obwohl der „Durchschnittslohn“ bei 43.000 Rubel (570 Euro) im Monat liegt, verdient die Hälfte der russischen Arbeiter*innen weniger als 26.000 Rubel (350 Euro). Eine wirkliche Verbesserung ist kurz- und mittelfristig nicht zu erwarten.

Die Unzufriedenheit wächst deutlich, was sich in den durch Alexei Navalnii organisierten Jugendprotesten zeigte. Weil die Jugend wiederholt auf die Straße ging, ohne Angst vor der Polizei oder vor Verhaftungen, sind auch andere Schichten selbstbewusster geworden, um ebenfalls aufzustehen - z.B. gegen die Abfallmisswirtschaft, zur Verteidigung von Internetrechten, gegen Polizeiwillkür etc. Die Pensionsproteste machten die riesige Wut sichtbar, die sich in der russischen Gesellschaft aufbaut.

Die Veränderung im Bewusstsein zeigt sich am deutlichsten unter der Jugend. Die Mehrheit der Schüler*innen und Studierenden denkt, dass der Staat für soziale Gleichheit, für gleiche Einkommen, garantierte Jobs und Lebensstandards wie auch freie Bildung und Gesundheitsversorgung sorgen sollte.

Die jüngste Ankündigung durch Navalnii, eine Gewerkschaft aufzubauen, zeigt eine weitere Bewegung des ehemaligen rechtsextremen Politikers in Richtung Linkspopulismus. Die Methoden, die er einsetzt - Überprüfung des Lohnniveaus und anschließend Meldung an die zuständigen Stellen – ist zwar nicht falsch, fußt aber nicht auf einer echten Einheit der Beschäftigten im kollektiven Kampf. Dennoch wirft diese Initiative die Frage von niedrigen Löhnen unter einer breiteren Schicht von Arbeiter*innen auf und markiert eine bedeutende Richtungsänderung durch die Opposition, hin zu einem direkten Appell an die Arbeiter*innenklasse, besonders im Öffentlichen Dienst.

Solche Entwicklungen machen unsere Arbeit in den Gewerkschaften umso wichtiger - innerhalb der Mediengewerkschaft und bezüglich der Initiative für eine Schüler*innen- und Studierendengewerkschaft. Wir intensivieren auch unsere Kampagne "300 Rubel/Stunde", die einen zentralen Slogan v.a. bei der Organisierung des prekären Sektors darstellt.

Unsere Kernaufgabe ist die Vorbereitung und Unterstützung der breiten Opposition der Arbeiter*innenklasse gegen Ausbeutung und Repression. Wenn sich diese Opposition entwickelt (und die Geschichte zeigt dass, sobald der Prozess gestartet ist, das sehr schnell gehen kann), ist es zentral, dass es einen gut vorbereiteten und erfahrenen jugendlichen und dynamischen Kader gibt, der die Bewegung organisieren helfen kann und vor allem sie mit einem sozialistischen Programm bewaffnen kann.

Gegenwärtig markieren die Proteste, die wir initiieren bzw. auf weiterer Ebene Proteste wie jene, die durch Navalnii organisiert werden, eine dramatische Veränderung in der Stimmung der Gesellschaft und vor allem der Jugend. Sie sind noch relativ klein, sowohl im Vergleich zu manchen Massenbewegungen in anderen Ländern wie auch im Vergleich zur russischen Bevölkerung – doch es ist unvermeidbar, dass zu einem gewissen Zeitpunkt weitere Proteste ausbrechen. Wie die Erfahrung aus der vergangenen Periode zeigt und wie sich in der Paranoia des Kremls widerspiegelt, können solche Proteste durchaus den Charakter der "Farbenrevolutionen" annehmen, die Massenunmut von unten ausdrückten, aber keinen klaren Klassencharakter hatten bzw. sich nicht klar auf die Arbeiter*innenklasse orientierten. In solchen Bewegungen müssen wir auf die Elemente der Arbeiter*innenklasse orientieren und für ein klares sozialistisches Programm argumentieren. Darin sollten sich nicht nur wirtschaftliche Forderungen finden, wie z.B. jene nach einem Mindestlohn von 300 Rubel/Stunde, gegen Arbeitslosigkeit oder soziale Forderungen, wie die Verteidigung von Frauen- und LGBT-Rechten, sondern auch Forderungen nach Verteidigung von Minderheitenrechten bezüglich Sprache und Nationalität sowie gegen Repression und für demokratische Rechte. Keine dieser Fragen kann von den anderen isoliert werden, aber alle benötigen den Aufbau einer Massenpartei der Arbeiter*innenklasse, die für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft kämpfen kann.


http://www.socialist.news

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Neuwahlen im spanischen Staat!

Besiegen wir die Rechte bei den Wahlen und auf der Straße!
Auszüge der Stellungnahme des Exekutivkomitees von Izquierda Revolucionaria (Revolutionäre Linke), der Schwesterorganisation der SLP im spanischen Staat

Die Amtszeit von Pedro Sánchez ist vorbei. Die vor acht Monaten gebildete Regierung wurde durch die Ablehnung des Haushaltsvorschlags zu Fall gebracht. Die vorzeitigen Neuwahlen zeigen die völlige Instabilität, die das nach dem Ende der Franco-Diktatur etablierte Regime von 1978 zerfrisst. Das zeigt sich in der Massenbewegung in Katalonien, dem Vormarsch der extremen Rechten und den verschiedenen sozialen Bewegungen, die ihre Wurzeln in der Verarmung der Bevölkerung und der wachsenden Ungleichheit haben.

Das schwache Glied des Kapitalismus

Die Krise des spanischen Kapitalismus ist die materielle Grundlage, die alle diese politischen Entwicklungen erklärt. Derzeit zeigen die Zahlen eine schnelle Verlangsamung des Wirtschaftswachstums nach Jahren der sozialen Katastrophe. Mehr als neun Millionen Beschäftigte verdienen weniger als 800 Euro im Monat, neunzig Prozent der in diesem Jahr unterzeichneten Verträge sind befristet und mehr als 3,5 Millionen Menschen sind arbeitslos. Die Situation ist für die Mehrheit zum Verzweifeln. Unter diesen Bedingungen ist es nicht möglich, politische Stabilität zu erwarten.

Die brutale Offensive gegen die Rechte der Arbeiter*innenklasse, der Abbau des Sozialstaates, die Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitswesen und die komplette Perspektivlosigkeit für junge Menschen haben eine explosive Situation geschaffen.

Aus dieser drastischen Veränderung der objektiven Lage nach der großen Krise des Jahres 2008 ist eine seit den siebziger Jahren beispiellose soziale Revolte hervorgegangen: Generalstreiks, Massenbewegungen wie die Grüne und Weiße Welle, die Märsche für die Würde, Gamonal (ein berühmter siegreicher Kampf in der Stadt Burgos gegen kriminelle Spekulationen), die großen Streiks an Schulen und Unis, die Massenmobilisierungen für Selbstbestimmung in Katalonien, sowie der bemerkenswerte Generalstreik am Frauentag vom 8. März 2018 und die großen Demonstrationen von Rentner*innen.

Die Eskalation des Klassenkampfes und die Linksverschiebung größerer Teile von Arbeiter*innen, Jugendlichen und der verarmten Mittelschicht erklärt eine Reihe von wichtigen Entwicklungen: die Entstehung von Podemos, die Probleme bei der Regierungsbildung 2015, die Neuwahlen 2016 und die Entwicklungen an der Spitze der PSOE. Hier wurde Pedro Sánchez erst von der Parteispitze entfernt, um eine Regierungsbildung möglich zu machen, bevor er durch den Druck der Mitgliedschaft wieder als Generalsekretär eingesetzt werden musste.

Jetzt hat die Situation eine neue Wendung genommen. Pedro Sánchez ist unter den Massen nicht so diskreditiert wie seine Vorgänger. Außerdem haben die Angriffe, die er in den letzten Wochen von der Rechten erhalten hat – die ihn als Kopf einer heutigen Volksfront (für seine Pakte mit Podemos) bezeichneten – ihm mehr Glaubwürdigkeit in Schichten der Arbeiter*innenklasse verschafft, als er verdient hat.

Die Neuwahlen im April werden weitere politische Polarisierung bedeuten. Das Dilemma ist offensichtlich: Entweder eine Regierung des reaktionären Blocks von PP, CS und Vox oder eine mögliche Koalition zwischen PSOE und Podemos mit der parlamentarischen Unterstützung des katalanischen und baskischen Nationalismus.

Für eine kämpfende Linke

Die PSOE hat entscheidend zur Demobilisierung der Wähler*innenbasis der Linken beigetragen, mit ihrer Politik der Fortsetzung von Kürzungspolitk, unerfüllten Versprechungen und Akzeptanz der kapitalistischen Logik. Aber ähnliches gilt auch für die Führung von Podemos mit ihrem Wunsch, um jeden Preis in die Regierung zu gehen, mit der Vernachlässigung von Systemkritik und sozialen Bewegungen und der Nachahmung der Sozialdemokratie. Aber die Ereignisse in Andalusien und der Aufstieg der nationalistischen Vox haben einen enormen Einfluss auf das Bewusstsein von Millionen von Arbeiter*innen und jungen Menschen im ganzen Staat gehabt. Angetrieben durch ihren Klasseninstinkt stellen sich jetzt viele Arbeiter*innen die Frage: „Können wir den Rechten erlauben, sich zu erheben und zu triumphieren?“.

Die Antwort auf diese Frage wird ein Wahlkampf in einem sehr instabilen und sich verändernden Umfeld liefern. Am 10. Februar sind PP, CS und Vox in ihrer „patriotischen spanischen“ Mobilisierung darin gescheitert, ihre soziale Basis auf die Straße zu bringen. Die große Demonstration für das Recht auf Selbstbestimmung am 16. Februar, in Barcelona mit mehr als einer halben Million Teilnehmer*innen, die gewaltigen Proteste für die öffentliche Gesundheit in Galicien und Teruel, die zahlreichen Demonstrationen von Rentner*innen, der große Taxistreik in Madrid oder ein neuer historischer Streiktag am 8. März werden zeigen, dass die Rechte besiegt werden kann.

Wir von Izquierda Revolucionaria werden mit aller Kraft zu ihrer Niederlage beitragen. Aber wir werden dabei Pedro Sánchez oder der PSOE keinen Blankoscheck ausstellen, sondern betonen, dass Wahlen nicht ausreichen. Wir müssen die Rechte an den Wahlurnen besiegen, ja, aber um die Politik der Rechten zurückzuschlagen und die parlamentarische Linke zu zwingen, eine Politik zu betreiben, die den Interessen der Arbeiter*innen und Unterdrückten dient, müssen wir die Mobilisierung auf den Straßen fortsetzen und eine kämpferische Linke aufbauen, die starke Wurzeln in der Arbeiter*innenbewegung und in den Gewerkschaften, unter Jugendlichen und Studierenden und in sozialen Bewegungen hat und ein Programm zum Bruch mit dem Kapitalismus, für das Recht auf Selbstbestimmung und eine sozialistische Republik vorlegt.

Warum es in Venezuela auch um Österreich geht

Sonja Grusch

Früher hieß es „geh doch rüber“ - gemeint war der stalinistische Osten. Dann kam den Herrschenden das Feindbild abhanden. Als Chavez vom „Sozialismus des 21. Jahrhundert“ sprach, wurde allen, die mit sozialistischen Ideen sympathisierten, das „Schreckgespenst“ Venezuela vorgehalten.

Die aktuelle Pattsituation zwischen Maduro und Guaidó hat auch die österreichische Politik auf den Plan gerufen. Kurz, der sich positiv auf die „erfolgreiche Außenpolitik“ von Trump bezog, hat Guaidó als „legitimen Übergangspräsidenten“ anerkannt. Dass es dabei nicht um Demokratie geht, wird spätestens dann klar, wenn man die sonstigen Partner von Kurz&Co ansieht. Die FPÖ-Nähe zu Putin ist bekannt, jene der ÖVP zu Orban und Salvini ebenso. Die metternichschen Bestrebungen von Kurz, die Informationspolitik zu steuern gehen Hand in Hand mit Überwachungsplänen. Es geht auch nicht wirklich um Demokratie, zentral kreidet Kurz die „sozialistische Misswirtschaft“ an. Wieder muss ein System, das ja eben gerade nicht sozialistisch ist, als Argument gegen staatliche Sozialprogramme, Umverteilungspolitik und internationale Kooperation der Unterdrückten herhalten. Wäre Venezuela tatsächlich sozialistisch, wäre die Wirtschaft verstaatlicht und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten gestellt worden. Doch darauf haben die Chavistas auch in Hoffnung auf Unterstützung der kapitalistischen Staaten bewusst verzichtet. Abseits aller Unterschiede ist in Venezuela, wie auch in Österreich der Versuch gescheitert, dem Kapitalismus durch staatliche Sozialprogramme die Zähne zu ziehen. Wer eine Revolution nur zu 50% macht, sieht sich einer Konterrevolution von 100% gegenüber. Der Vorstoß von Kurz in Venezuela ist Teil seiner Strategie in Österreich, Sozialmaßnahmen abzubauen und Widerstand zu unterdrücken. Beides gehört daher bekämpft.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Zwischen den Stühlen

Bericht vom Europaparteitag der LINKEN
Sascha Stanicic, Parteitagsdelegierter für die AKL

Der Höhepunkt des LINKE-Europaparteitags war nicht Teil der offiziellen Parteitagsberatung und wurde von einem Gast gesetzt: Pia Klemp, die Kapitänin der „Juventa“ und der „Seawatch3“, hielt eine Rede über ihre Arbeit im Rahmen der Seenotrettung, die gleichzeitig erschütterte und begeisterte. „Mit jedem Ertrinkenden im Mittelmeer, ertrinkt das Menschenrecht“ – mit diesem Satz sprach sie all denen aus der Seele, die an diesem Wochenende im Bonner World Conference Center in der EU kein humanistisches Friedensprojekt erkennen wollten. Das waren viele. Trotzdem konnte sich die Parteilinke nicht dabei durchsetzen, eine unmissverständliche und grundsätzliche Opposition zur EU festzuschreiben und beschlossen die Delegierten ein Wahlprogramm, dass hinsichtlich der Positionierung der Partei zur EU weder Fisch noch Fleisch ist.

 

Nachdem der Parteitag des Jahres 2018 – aufgrund der Debatte um und mit Sahra Wagenknecht und ihre migrationspolitischen Positionen – zu den lebhaftesten und kontroversesten in der mittlerweile zwölfjährigen Geschichte der Partei gehörte, war der Bonner Europaparteitag vom Kompromiss und der Vermeidung des Themas geprägt, welches für DIE LINKE in den letzten zwei Jahren zur Zerreißprobe geworden ist. Sahra Wagenknecht hatte ihre Teilnahme krankheitsbedingt absagen müssen und ihre Vereinigung „aufstehen“ hatte beim Parteitag keinen Info-Stand, verteilte kein Flugblatt und wurde auch so gut wie gar nicht erwähnt.

Das mag einerseits Ausdruck davon sein, dass bei „aufstehen“ schon wenige Monate nach der pompös verkündeten Gründung die Luft raus ist, andererseits aber auch zeigen, dass angesichts des Superwahljahres 2019 alle beteiligten Kräfte scheinbar nach dem Grundsatz „Einheit vor Klarheit“ verfahren und die tiefen bestehenden Kontroversen durch Formelkompromisse überdecken wollen. Das ist bei diesem Parteitag gelungen, aber eine solche Methode führt nicht zu Begeisterung, dementsprechend lau war die Stimmung und dementsprechend wenig Überraschungen gab es.

 

 

Was ist die EU?

Trotzdem wurde kontrovers debattiert um die Frage, was die EU ist und was für ein Europa DIE LINKE will. Hier standen sich vor allem zwei Pole gegenüber: die Antikapitalistische Linke (AKL – die Strömung, in der Mitglieder der SAV aktiv sind) hatte einen ausführlichen Änderungsantrag zur Präambel des Wahlprogramms vorgelegt, in dem die EU als Bündnis kapitalistischer Staaten und als „neoliberal, undemokratisch und militaristisch“ bezeichnet wurde. Dieser Dreiklang, der auch im Erfurter Grundsatzprogramm der LINKEN benannt ist und im ursprünglichen Antragsentwurf des Parteivorstands stand, war kurz vor dem Parteitag durch den Parteivorstand mit einer anderen Formulierung ersetzt worden.

Schon vor der letzten Europawahl hatte es zu dieser Formulierung eine heftige Kontroverse gegeben und sie war von der damaligen Parteitagsmehrheit abgelehnt worden. Auch auf diesem Parteitag sprach sich unter anderem Gregor Gysi dagegen aus, die EU als militaristisch zu bezeichnen – ohne zu erklären, wie man die in der EU bestehende Aufrüstungsverpflichtung sonst bezeichnen sollte.

Der AKL-Antrag betonte, dass die EU nicht reformierbar ist (und dementsprechend auch kein „Neustart“ möglich ist) und stellte ihr die Perspektive eines sozialistischen Europa entgegen – eine Formulierung, die auch an anderer Stelle im Wahlprogramm zu finden ist, da sie auf Antrag von AKL- und SAV-Genoss*innen schon im Parteivorstand beschlossen worden war.

Dem entgegen standen Anträge des forums demokratischer sozialismus (fds), die sich für eine „Republik Europa“ aussprachen und versuchten sich als die konsequentesten Gegner*innen des Nationalstaats darzustellen. SAV- und AKL-Redner*innen wiesen darauf hin, dass eine Republik Europa auf kapitalistischer Basis kein fortschrittliches Projekt wäre.

Letztlich kamen diese Anträge zur Präambel gar nicht zur Abstimmung, weil mehrheitlich beschlossen wurde die Formulierungen des Programmentwurfs nicht zu ändern. Nun heißt es unter anderem: „Die Europäische Union braucht einen Neustart. Dabei müssen die vertraglichen Grundlagen revidiert werden, die zur Aufrüstung verpflichten, auf Militärinterventionen orientieren, die Anforderungen der demokratischen Gestaltung entgegenstehen und die neoliberale Politik wie Privatisierung, Sozialabbau oder Marktradikalisierung vorschreiben.“

Der Verzicht auf eine eindeutige Ablehnung der kapitalistischen EU wird oftmals mit einer Pro-EU-Stimmung unter LINKE-Wähler*innen und in der Gesamtbevölkerung begründet. Abgesehen davon, dass es fatal wäre, wenn eine sozialistische Partei ihre Grundsatzpositionen von Stimmungen abhängig macht, kann dem damit begegnet werden, zu erklären, dass ein Nein zu dieser kapitalistischen EU keine nationalistische Position darstellt, sondern als Ausgangspunkt für den Kampf für eine sozialistische Vereinigung Europas zu verstehen ist.

Insgesamt landet das Wahlprogramm in der Frage der EU zwischen allen Stühlen und lässt eine klare oppositionelle Haltung gegenüber diesem Club der Reichen und Mächtigen vermissen – was fatalerweise der rechtspopulistischen AfD das Feld radikaler EU-Kritik überlässt. Denn bei den Wählerinnen und Wählern wird weniger die teils differenzierte Debatte auf Parteitagen wahrgenommen, als die Haltung der LINKE-Spitzenkräfte. Und da war von Katja Kipping, Gregor Gysi und anderen allzu oft das Bekenntnis zur „europäischen Integration“ und die Angst vor einem Auseinanderbrechen der EU zu vernehmen – was nun einmal nicht nach radikaler Opposition klingt.

Radikale Worte

Bemerkenswert war jedoch, dass die Kompromisslinie mittels radikaler Rhetorik durchgesetzt wurde. Selten wurde so viel und von so unterschiedlichen Kräften vom Sozialismus gesprochen, wie bei diesem Parteitag. Katja Kipping betonte in ihrer Rede, dass die Mitglieder niemals vergessen dürfen, dass sie Sozialistinnen und Sozialisten sind. Die Vorsitzende der linken Fraktion im Europaparlament, Gabi Zimmer, zitierte das von italienischen Antifaschisten während des Zweiten Weltkriegs geschriebene Manifest von Ventotene mit den Worten: „Die europäische Revolution muss sozialistisch sein.“ Der Bundesgeschäftsführer und ehemalige Berliner Finanzsenator Harald Wolf erwiderte auf die Befürworter*innen der „Republik Europa“, warum sie sich nicht für ein sozialistisches Europa aussprechen, wenn sie eine Vision propagieren wollen. Diese radikalen Worte fanden kaum Entsprechung in den Beschlüssen des Parteitags, mit Ausnahme eines angenommenen Antrags, der sich für die Enteignung von Wohnungsspekulanten ausspricht.

Die Kompromisslinie konnte auch nur deshalb durchgesetzt werden, weil sie von Teilen der Parteilinken mitgetragen wurde. So haben sich Vertreter*innen der neuen Gruppierung Bewegungslinke (die vor allem aus Marx21 und dem linken Teil der bisherigen Sozialistischen Linken besteht) auf ihrem Vortreffen sehr deutlich gegen den AKL-Antrag ausgesprochen und den Vorschlag des Parteivorstands unterstützt.

Stärkung der Reformer*innen?

Es wäre aber auch falsch, eine Stärkung des Reformflügels aus dem Parteitagsverlauf abzulesen. Auch wenn Anträge des fds zum Thema „Republik Europa“ mit knapp 45 Prozent etwas mehr Stimmen erhielten als in der Vergangenheit und ein weiterer Änderungsantrag aus diesem Lager überraschend eine Mehrheit fand, drückt das sehr wahrscheinlich nicht aus, dass die Unterstützung für diesen Parteiflügel insgesamt gestiegen ist oder auch nur eine bewusste Unterstützung für das Konzept „Republik Europa“. Es ist den Vertreter*innen dieser Idee, wie Klaus Lederer und anderen, nur gelungen diese als positive und visionäre Antwort auf die heutige Europäische Union darzustellen, was wahrscheinlich bei einigen politisch weniger festgelegten Delegierten fruchtete.

Bedenklich ist es aber, dass Vertreter*innen der Landesverbände Brandenburg und Thüringen ein Podium erhielten, um ihre Regierungsbeteiligungen abzufeiern und dies so gut wie keinen Widerspruch erntete und auch, dass die Bremer Spitzenkandidatin der LINKEN ihre Rede widerspruchslos dazu nutzen konnte, eine erste rot-rot-grüne Koalition in einem westdeutschen Bundesland argumentativ vorzubereiten.

Venezuela-Debatte

Zu großer Aufregung bei der Kommunistischen Plattform und anderen Parteilinken führte die Tatsache, dass der Parteitag aus Zeitgründen beschloss, alle weiteren Anträge an Bundesausschuss und Parteivorstand zu überweisen. Dazu gehörten auch Anträge, die sich mit der aktuellen Situation in Venezuela und dem Verhältnis Deutschlands zu Russland beschäftigten. Es entspricht nicht der Tatsache, wenn nun einige, wie das PV-Mitglied Harri Grünberg, öffentlich behaupten, der Parteitag habe diese Anträge abgelehnt. Sie wurden schlicht nicht behandelt. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, wenn vom Parteitag ein klares Signal gegen die Umsturzversuche in Venezuela ausgegangen wäre, abgelehnt wurde das aber nicht. Eine Solidaritätsaktion gegen den Umsturzversuch in Venezuela gab es aber auf der Bühne des Parteitags. Leider vertreten diejenigen Kräfte der Parteilinken, die dieses Thema beim Parteitag besetzten, eine unkritische Position gegenüber der derzeitigen Maduro-Regierung. Die Slogans auf den Schildern und Transparenten waren „Hands off Venezuela – Vorwärts zum Sozialismus“ – was nur so verstanden werden kann, als wenn eine reine Verteidigung der Regierung Maduros ein Schritt zum Sozialismus wäre. Nötig ist stattdessen, dass sowohl der von den USA und anderen imperialistischen Staaten unterstützte Umsturzversuch zurück geschlagen wird und eine gegen die bürokratische Maduro-Regierung gerichtete Position für den Kampf um eine sozialistische Demokratie eingenommen wird.

Wahlen

Bei den Wahen der Kandidat*innen-Liste zum Europaparlament gab es auf den als aussichtsreich geltenden ersten acht Listenplätzen keine Überraschungen und der Parteitag folgte dem Vorschlag des Bundesausschuss. Mit Martin Schirdewan und Özlem Demirel wurde mit Wahlergebnissen von 83 bzw. 84 Prozent ein Vertreter des Reformflügels und die der Parteilinken zuzurechnende Demirel als Spitzenkandidat*innen gewählt. Mit Claudia Haydt wurde auch eine AKL-Mitglied auf Platz Sieben der Liste gewählt. Überraschenderweise verlor die Berliner Parteilinke Judith Benda die Wahl auf Platz Neun gegen die schleswig-holsteinische Landessprecherin Marianne Kolter.

Fazit

Der Parteitag war in jeder Hinsicht ein Kontrapunkt zum Leipziger Parteitag von 2018. Das mögen einige als positiv werten weil die Partei geschlossener auftrat. Dieser vermeintlichen Geschlossenheit wurde aber die Möglichkeit geopfert, eine unzweideutige Haltung einzunehmen. Es ist davon auszugehen, dass auf dieser Basis ein begeisternder Europawahlkampf schwer umsetzbar wird und, was wichtiger ist, die Orientierung auf eine Fortsetzung der Regierungsbeteiligungen in Thüringen und Brandenburg den Trend nicht umkehren werden, dass die AfD der LINKEN im Osten Stimmen raubt. Ein Wiederaufflammen der parteiinternen Auseinandersetzungen nach den ostdeutschen Landtagswahlen ist daher zu erwarten. Das kann einhergehen mit dem möglichen Ende der Großen Koalition und eventuellen Neuwahlen zum Bundestag. Darauf muss sich die Parteilinke von jetzt an vorbereiten.

Die AKL war auf diesem Parteitag noch mehr als bei früheren, die sichtbarste linke und sozialistische Stimme der Opposition gegen Anpassung an die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse und Institutionen. Wenn sie das in den nächsten Wochen und Monaten in die Gewinnung neuer Mitglieder übersetzt, kann sie deutlich gestärkt aus diesem Jahr hervorgehen. SAV-Mitglieder konnten über achtzig Exemplare der Zeitung „Solidarität“ an die Parteitagsteilnehmer*innen verkaufen und hunderte Einladungsflugblätter zu den Sozialismustagen verteilen, was auf eine gute Resonanz stieß.

Brexit-Krise in Britannien

Für ein sozialistisches Europa der Arbeiter*innen statt dem kapitalistischen Chaos der Herrschenden
Roger Bannister, Mitglied des Bundesvorstandes der Socialist Party England und Wales

Wenige Wochen vor dem Brexit-Datum steckt die Tory-Regierung in einer tiefen Krise. Ein Brexit ohne Vertrag mit der EU ist der Albtraum des Hauptteils der herrschenden Klasse. Sie hatte den Brexit größtenteils nicht unterstützt, zu groß war die Sorge um den Verlust ihrer Profite durch eine Lähmung des Handels und die Einführung von Zöllen. Wie es weitergeht, ist völlig offen. Große Teile des Establishments hoffen auf ein zweites Referendum, was aber die schon angeschlagene Glaubwürdigkeit von demokratischen Institutionen weiter untergraben würde.

Mays Deal mit der EU war genau das, was die bewussteren Teile der herrschenden Klasse forderten: Eine formelle Abkehr von der EU während so viele Verbindungen wie möglich aufrechterhalten werden. Britannien stünde für eine Übergangsperiode von zwei Jahren weiterhin unter EU-Recht. Nach dem Ende dieser Phase würde Britannien immer noch für weitere acht Jahre einigen EU-Regeln und der Unterordnung unter den Europäischen Gerichtshof unterliegen. In dieser Zeit könnte Britannien in Ruhe und damit besserer Verhandlungsposition eigene Handelsverträge mit der EU und Anderen vereinbaren.
Nicht nur die Tories, sondern auch Labour ist in der Brexit-Frage gespalten. Der Labour-Vorsitzende Corbyn war früher, als linker Hinterbänkler, immer gegen die EU. Jetzt folgt er den Mehrheitsbeschlüssen der Partei, also einer pro-EU-Position. Das hat den rechten Flügel („Blairites“) gestärkt. Sie sehen eine Chance, den Brexit im letzten Moment zu stoppen und setzen Corbyn unter Druck. Der kontert, dass Labour den Brexit aus Respekt vor dem Ergebnis des Referendums unterstützen würde, stellt sich aber korrekterweise gegen Mays Deal und fordert Neuwahlen. Anders als Corbyn unterstützt der Labour-Parteitag aber die Idee eines zweiten Referendums, wenn Neuwahlen nicht möglich sind.

Besonders bedeutsam ist der sogenannte "Nordirland Backstop". Hier gilt es zu verhindern, dass die bisher praktisch offene Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik zu einer EU-Außengrenze wird. Keiner der Beteiligten will die Einführung einer harten Grenze, mit Zollstationen, Verkehrsverzögerungen etc. Aber wenn Britannien aus der EU-Freihandelszone fliegt, ist eine harte Grenze beinahe unvermeidbar.

Die Grenze hat tiefe historische und emotionale Bedeutung. Sie war ein wichtiger Grund für den Nordirlandkonflikt, der erst 1998 endete. Für die Einigung spielte es eine große Rolle, dass Britannien und Irland beide in der EU waren. Während Nordirland mehrheitlich gegen einen Brexit stimmte, war die sektiererische, protestantische „Democratic Unionist Party (DUP)“ dafür. Mit ihr ist keine Annäherung an die irische Republik zu machen und weil Mays Tories keine Mehrheit der Stimmen im Parlament besitzen, hängt das Überleben ihrer Regierung von der Unterstützung der DUP ab.

Umfragen zufolge ist die britische Arbeiter*innenklasse überwiegend für den Brexit, die Mittel- und Oberschicht dagegen. Die Wahlbeteiligung war höher als bei den meisten Wahlen, weil das Referendum eine Schicht von Arbeiter*innen zusätzlich mobilisierte, die sich von der etablierten Politik im Stich gelassen fühlt. Die Versprechen der EU glauben sie längst nicht mehr. Seit dem Referendum wurden Pro-Brexit Wähler*innen mit einer Wucht an herablassender Propaganda durch die kapitalistischen Medien überflutet. Aber die Arbeiter*innen verstehen sehr gut, dass die EU ein kapitalistischer Handelsblock ist, eine Front des globalisierten Neoliberalismus, dass der EU-Gerichtshof Arbeiter*innenrechten feindlich gegenüber steht, dass die EU Länder wie Griechenland in tiefe Armut zwingt, um die Profite des Kapitals zu verteidigen...
Gerne wird der Brexit im Zusammenhang mit dem Aufstieg der extremen Rechten in Europa gesehen, dabei wurde die rechtsextreme UKIP bei den anschließenden Wahlen heftig abgestraft und die neuerdings stark links ausgerichtete Labour-Party konnte deutlich dazugewinnen.

Trotzdem ist die Mehrheit der Gewerkschaften gegen den Brexit, weil ihre Führung sich auf die EU und ihre Institutionen für die Verteidigung von Arbeiter*innenrechten stützt, anstatt ihre Mitglieder für Kämpfe zu mobilisieren. Allerdings können Arbeiter*innen niemals auf kapitalistische Institutionen wie die EU vertrauen. Sozialist*innen müssen Illusionen der rechten Gewerkschaftsführung in die EU bekämpfen und Corbyn unter Druck setzen, die Forderungen nach einem Brexit der Arbeiter*innen aufzugreifen. Ein linker Brexit würde bestehende Arbeiter*innenrechte garantieren und auf gewerkschaftlichen Mindestlöhnen für alle Arbeiter*innen bestehen, egal woher sie kommen. Die Privatisierungen, die unter Druck der EU vollzogen wurden, könnten rückgängig gemacht werden und darüber hinaus Schlüsselindustrien verstaatlicht werden, ohne dass ein EU-Gerichtshof das verhindern würde.
So ein Programm würde die Arbeiter*innenklasse hinter Labour vereinen und Corbyn den Rückenwind geben, den er für den Kampf gegen die Parteirechte braucht. Eine Corbyn-Regierung mit einem sozialistischen Programm könnte dann einen Appell für ein sozialistisches Europa, statt der EU des Kapitals, an die Arbeiter*innenklasse der Krisenstaaten in der EU richten!


http://www.socialistparty.org.uk

Massenbewegung in Serbien

Wenn die Arbeiter*innen und ihre Forderungen die Proteste dominieren, wird es für Vucic gefährlich.
Brettros

Seit Dezember sind jede Woche Zehntausende gegen Präsident Vucic auf den Straßen Serbiens, u.a. in Belgrad, Novi Sad und Niš. Ausgelöst wurde die Protestwelle im November von einem blutigen Angriff auf einen Oppositionspolitiker. Rasch standen Pressefreiheit und Korruption im Zentrum. Die Bewegung der "gelben Westen" in Frankreich diente als Inspiration.

Aktuell werden die Demonstrationen von Mitgliedern der "Oppositionsparteien" angeführt, die vor Vucic an der Macht waren, linke Forderungen versuchen sie draußen zu halten. Sie sind für zwei Jahrzehnte von Sparmaßnahmen und Privatisierungen verantwortlich, was sie in den Augen vieler Arbeiter*innen und Jugendlicher diskreditiert. Aber ohne ein klar linkes Angebot wurden viele Menschen trotz dieser "Führung" von der Bewegung angezogen.

Der Hintergrund ist die verzweifelte soziale Lage. Die Gehälter der meisten liegen unter 400 € pro Monat, und viele warten monatelang auf Bezahlung, die oft gar nicht kommt. Weil viele Junge in Serbien keine Zukunft sehen, verlassen sie das Land.

Aktivist*innen der Protestbewegung müssen Forderungen gegen diese soziale Krise aufstellen und Führung und Charakter der Proteste ändern. Dazu gehört die Anhebung des Mindestlohns (liegt bei knapp über 1.-/Stunde) und das Ende der Privatisierungen. Das könnte viel breitere Schichten der Arbeiter*innenklasse mobilisieren und eine solche Bewegung würde Vucic wirklich Angst machen.

Mehr zum Thema: 

Italien: Budget ist Mogelpackung

Giuliano Brunetti

Wie sozial sind die Maßnahmen der italienischen Regierung?

Giuliano Brunetti von Resistenze Internazionali: Die Regierung musste im Konflikt mit der EU-Kommission das Budget ändern, das weiterhin starke Kürzungen bei öffentlichen Ausgaben vorsieht. Die Prestigeprojekte "Quota 100" Pensionsreform und Bürgergeld sind zwar vorgesehen, aber mit weniger Mitteln. Die Pensionsreform wird nur wenige Beschäftigte im Norden treffen. Für den Rest bleibt die harte „Fornero-Reform“. Das Bürgereinkommen bekommt nur, wer bereit ist, jede Arbeit anzunehmen – und für maximal 18 Monate. Wer Wohnung, Haus oder mehr als 5.000 Euro auf der Bank hat, erhält es nicht. Und bei Ausgabenüberschreitungen bis 2020 steigt die Mehrwertsteuer auf 26,5%.

Die Regierung präsentiert sich als Kämpferin gegen die EU...

Sie hat keinen Kampf geführt, weil sie den neoliberalen Plan aus Brüssel teilt. Die italienische herrschende Klasse will Kürzungen und Privatisierungen fortsetzen. Die "sozialen Maßnahmen" im Budget dienen der Stabilität der Regierung, für die man ein Auge zugedrückt hat. Das Manöver der EU-Kommission bringt die italienische Regierung und die Bourgeoisie in eine ausgezeichnete Situation: Sie konnten ihre eigenen Vorschläge, von denen sie ohnehin nicht überzeugt waren, zurückfahren und gleichzeitig Brüssel für Kürzungen verantwortlich machen. Perfekt!

Wie würde eine sozialistische Regierung ein "Budget ohne Kürzungen" verteidigen?

Auf die Vertretung durch Personen oder Parteien zu setzen, die das Schlachtfeld verlassen, weil sie mit dem Gegner übereinstimmen, bringt uns nichts gegen die Abwärtsspirale von Kürzungen. Um mit den neoliberalen Verträgen der EU und mit der italienische Bourgeoisie, die das soziale Massaker geschaffen haben, zu brechen, brauchen wir ein Programm, das der Aufgabe gewachsen ist. Ein antikapitalistisches Programm, das darauf abzielt, die Schlüsselsektoren der Wirtschaft und des Bankensektors zu verstaatlichen und unter Kontrolle der Arbeiter*innenklasse zu stellen. Dazu ist es notwendig, eine Bewegung aufzubauen, um jene radikalen Maßnahmen zu verteidigen und um auf die Drohungen durch die italienischen und europäischen Kapitalist*innen entsprechend zu reagieren.

Mehr zum Thema: 

Internationale Notizen - Nigeria - Indien - USA

Nigeria: Kandidatur

2012 gründete Democratic Socialist Movement (CWI in Nigeria) mit Gewerkschafter*innen und anderen Aktivist*innen die Socialist Party Nigeria (SPN). Doch erst nach jahrelangem politischen und rechtlichen Kampf wurde die Partei 2018 offiziell zugelassen. Nun kandidiert sie bei den Parlamentswahlen im Februar in vielen Regionen. Sie fordert u.a. die Verstaatlichung der Reichtümer und Industrien des Landes unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten. Im Unterschied zu den anderen Parteien setzt die SPN im Wahlkampf nicht auf Geld und Wahlgeschenke – sondern auf Massenbewegungen und Arbeitskämpfe. So war sie eine treibende Kraft der großen Proteste für einen Mindestlohn von 30.000 Naira im Jänner, z.B. in Lagos, Abuja und Oyo.

http://socialistpartyofnigeria.blogspot.com


Indien: Streik

200 Millionen Arbeiter*innen streikten am 8. und 9. Jänner in Indien. Ihre Wut richtet sich gegen Präsident Modi und seine rassistische Politik für die Reichen. New Socialist Alternative (CWI in Indien) war mittendrin: In Bangalore wurde eine Streikversammlung mit 3.000 Beschäftigten mitorganisiert. CWI-Aktivist*innen wurden von verschiedenen TV-Stationen interviewt.

http://Socialism.in


USA: Lehrer*innenstreik

In Los Angeles streikten im Jänner über 30.000 Lehrer*innen für kleinere Klassen und höhere Löhne – über 90% der Schulen blieben geschlossen. Socialist Alternative (CWI in den USA) beteiligte sich aktiv am Streik, sowohl auf den Massendemonstrationen mit 40.000 und über 60.000 Teilnehmenden, als auch bei den Streikposten. Eine gemeinsame Veranstaltung mit Streikenden wurde organisiert und per Livestream ausgestrahlt. Socialist Alternative fordert massive Steuern auf Reichtum, um das Bildungssystem zu finanzieren. Gleichzeitig machen sie klar: „Das ist ein Kampf um das ganze öffentliche Bildungssystem – ein Kampf der Arbeiter*innenbewegung gegen Privatisierung, Neoliberalismus und die Klasse der Milliardär*innen“.

http://Socialistalternative.org

 

Berlin im Streik

SAV (dt. Schwesterorganisation der SLP) unterstützt Streiks der Landesbeschäftigten, Krankenhäuser und BVG
Michael Koschitzki

Kaum ein Tag vergeht in dieser Februar-Woche, ohne dass eine Gewerkschaftsdemonstration durch Berlin zieht. Die Landesbeschäftigten kämpfen im Rahmen der Tarifrunde der Länder für höhere Löhne, bei der BVG wird der Manteltarifvertrag neu verhandelt und die Therapeut*innen der landeseigenen Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes gehen erneut für gleichen Lohn auf die Straße. Die Berliner SAV war bei allen Streiks dabei und unterstützt sie tatkräftig.

„Das ist schon echt eine Pariser Woche“ sagte eine Physiotherapeutin der Charité in Anspielung auf französische Streiktraditionen zu Beginn der Woche. Tatsächlich hatte aber auch die französische Bahngewerkschaft mitgekriegt, was sich in Berlin abspielt. Deshalb wurde bei der Kundgebung von über 3.000 BVG- und BT-Beschäftigten eine Grußbotschaft der Pariser SNCF verlesen, die den Kolleg*innen viel Kraft und Erfolg wünscht.

Die BVG/BT Beschäftigten kämpfen im Rahmen ihrer Tarifrunde für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich von 39 auf 36,5 Stunden für alle Neubeschäftigten. Seit der Absenkung 2005 müssen nämlich alle neuen Kolleg*innen zweieinhalb Stunden mehr arbeiten. Und nach dem neuesten Abschluss in Brandenburg sind sie jetzt auch die schlechtbezahltesten Beschäftigten im Nahverkehr bundesweit. Und das vor dem Hintergrund, dass die Vorstandsvorsitzenden gleichzeitig zu den bestbezahltesten gehören. Auch innerhalb Berlins beträgt die Lohndifferenz beispielsweise zu S-Bahn-Fahrer*innen um die 900 Euro. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die BVG Probleme hat, Personal einzustellen.

Wut auf die Streiks?

Alle großen Berliner Tageszeitungen haben gegen die Streiks gewettert. „Streikt uns mal den Buckel runter“ titelte der Berliner Kurier. Doch die Erfahrungen der Kolleg*innen waren positiver als beim letzten Streik vor elf Jahren. Viel weniger Anfeindungen gab es diesmal, weil mehr Leute verstehen, dass solche Löhne zu niedrig sind und die Arbeitsbelastung zu hoch. Die SAV Berlin verteilte ein Flugblatt unter dem Titel „Streiken! Nicht buckeln!“ um ihre Solidarität zu überbringen und den Kolleg*innen den Rücken zu stärken.

Ähnliches hatten Erzieher*innen berichtet, die am Mittwoch streikten. Anders als in anderen Bundesländern gehören sie zur Tarifrunde der Länder. Mit insgesamt 12.000 Streikenden übertraf ihr Warnstreik alle Erwartungen. Vor allem die Erzieher*innen, die mehrere hundert Euro weniger verdienen, als im Nachbarbundesland, waren eine treibende Kraft hinter dem Streik – über dreiviertel der Streikdemo waren von GEW-Fahnen gesäumt. Einige Eltern solidarisierten sich mit den Erzieher*innen, auch weil zahlreiche KITA‘s ihre Platzkapazitäten aufgrund von Personalmangel nicht ausfüllen können und es in Berlin extrem schwer ist, einen Kitaplatz zu bekommen.

Das von der SAV verteilte Flugblatt vom Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di mit dem Titel „Volle Durchsetzung der Forderungen: nötiger denn je“ kam deshalb auch sehr gut an. Aber auch die aktuelle Zeitung mit mehreren Artikeln über Mieterkämpfe und die Enteignung von Deutsche Wohnen fand großes Interesse, weil die Mietsteigerungen der letzten Jahre bei vielen jede Lohnerhöhung aufgefressen hatte.

Was macht Rot-Rot-Grün?

Der Berliner Finanzsenator Kollatz leitet auf der Arbeitgeberseite die Verhandlungen beim Tarifvertrag der Länder. Bei der BVG, Charité und Vivantes streiken landeseigene Betriebe. Die Rot-Rot-Grüne Regierung hat sich „Gute Arbeit in der sozialen Stadt“ in den Koalitionsvertrag geschrieben. Aber in ihrer Praxis ist bisher kein großer Unterschied zu spüren: Kollatz wehrt sich gegen Zuschläge für Pflegekräfte und die Forderungen der Landesbeschäftigten. Die BVG legte bisher kein Angebot vor und forderte Beschäftigte sogar zu Streibruch auf. Bei der Charité und Vivantes wurden zwar die nächsten Landeszuschüsse an einen Plan zur Rückführung der Töchter CPPZ und VTD gekoppelt, doch die Geschäftsführungen weigern sich weiterhin die Lohnungleichheit zu beenden.

DIE LINKE müsste klar machen, dass sie voll hinter den Forderungen der Beschäftigten steht und sich für deren Umsetzung stark macht. Doch bei den Streiks trat die LINKE nicht sichtbar auf. Dabei greifen die Beschäftigten sogar Forderungen von ihr auf. Beispielsweise fordern sie bei den Ländern, dass Eingruppierungen unter dem Landesvergabemindestlohn von 11,30 Euro, den DIE LINKE mit durchgesetzt hat, abgeschafft werden.

DIE LINKE sollte aktiv für die Einhaltung des Flächtentarifvertrag und höhere Löhne werben und eine Kampagne zur Unterstützung der Beschäftigten organisieren. Im Senat sollte sie für die Erfüllung der Forderungen eintreten und auch Druck auf den Finanzsenator und die landeseigenen Betriebe ausüben. Wenn sie dem nicht folgen, sollte sie auch mit dem Austritt aus der Regierung drohen, um sich klipp und klar an die Seite der kämpfenden Beschäftigten zu stellen und Solidarität dafür in der Stadt organisieren.

Wie weiter?

Weil es letztendlich alles Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes sind, liegt es auf der Hand, die Streiks zusammenzuführen und gemeinsam auf die Straße zu gehen. Ein Schulterschluss von Erzieher*innen, Busfahrer*innen, Krankenhausbeschäftigten usw würde die eigene Stärke bewusst machen und ein gemeinsamer Austausch hätte eine enorm motivierende Wirkung. Die Gewerkschaftsführung hätte die Möglichkeit, zu gemeinsamen Kundgebungen aufzurufen. Der Besuch der Beschäftigten der CPPZ bei den Streiks und deren Erwähnung ist dafür ein erster Anfang.

Bei der BVG glaubten viele Beschäftigten nicht daran, dass die Gewerkschaftsführung für die volle Durchsetzung der Forderungen kämpft. In Redebeiträgen war auch mehr von „Angeboten“ und „Verhandlungen“ die Rede als von der Durchsetzung von Forderungen. Gerade bei der BVG hat ver.di in der Vergangenheit schmerzhafte Verschlechterungen mitgetragen (teilweise unter einem SPD-LINKE Senat). Um wirklich Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen, braucht es dafür eine ganz andere kämpferische Strategie bis hin zu unbefristeten Streiks. Mögliche Angebote sollten auf Streikversammlungen vorgestellt und dort richtig diskutiert werden, so dass die Beschäftigten von unten entscheiden können, wie weit sie kämpfen und was sie durchsetzen wollen.

Mit einem Erfolg bei der BVG hätte auch das Thema Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als Antwort auf Arbeitshetze und schlechte Arbeitsbedingungen wieder mehr Rückenwind. Ein Antrag für eine bundesweite Kampagne liegt dazu schon auf Initiative von SAV Mitgliedern vom Landesbezirksfachbereich Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg beim ver.di Bundeskongress vor.

Unmittelbar brauchen auch die Beschäftigten der CPPZ volle Unterstützung. Ihr Kampf kann eine wichtige Signalwirkung gegen Outsourcing und Niedriglohn in der Stadt und im Krankenhausbereich generell haben. Sie befinden sich ab jetzt durchgehend im Streik. Solidaritätsadressen können geschickt werden an mk[at]sav-online.de und werden an die Kolleg*innen weitergeleitet.

Venezuela: internationaler Kapitalismus stellt sich hinter rechte Opposition

Mobilisierung der Arbeiter*innenbewegung ist nötig!
Leitartikel aus „The Socialist“, der Wochenzeitung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisationen der SLP und Sektion des CWI in England und Wales)

Die gesellschaftliche, politische und ökonomische Krise, die derzeit Venezuela erschüttert, bringt entscheidende Fragen und aufschlussreiche Lehren für Sozialist*innen und die internationale Arbeiter*innenklasse mit sich.

Darüber hinaus ist die venezolanische Krise auch eine drastische Warnung vor der Gefahr, der eine möglich „Labour“-Regierung unter Jeremy Corbyn in Großbritannien ausgesetzt sein wird, sollte diese den Versuch unternehmen, ein Programm radikaler Reformen umzusetzen, ohne dabei mit dem Kapitalismus zu brechen.

Die Kräfte des internationalen Kapitalismus haben sich hinter die Erklärung von Juan Guaidó, dem rechten Oppositionsführer in Venezuela, formiert, der sich selbst zum „Übergangspräsidenten“ ausgerufen hat. Jeremy Hunt, der Schlächter des britischen. Gesundheitssystems NHS, will, dass in Venezuela Wahlen stattfinden – während er sich Großbritannien gegen Neuwahlen wehrt!

Ein Putsch durch Juan Guaidó würde Privatisierungen, Austerität und noch stärkere Repression gegenüber Arbeitnehmer*innen bedeuten.

Zusammen mit einer Reihe weiterer rechtsgerichteter und reaktionärer Regierungen haben US-Präsident Trump, Brasiliens Präsident Bolsonaro und der argentinische Präsident Macri, Guaidó umgehend als Präsidenten anerkannt. Das war ein eindeutiger Bestandteil einer im voraus geplanten und koordinierten Intervention unter der Führung von Trump und dem US-Imperialismus.

Es ist offensichtlich, dass sie versuchen, einen Putsch durchzuführen, um Amtsinhaber Nicolás Maduro aus dem Amt zu jagen. Diesem schamlosen Eingreifen von Trump folgte die britische Premierministerin Theresa May genauso wie andere Regierungen in Europa, die auf herablassende Art gefordert haben, dass Maduro innerhalb von acht Tagen Neuwahlen anberaumen müsse.

Selbst die sogenannten „sozialistischen“ Regierungen in Spanien und Portugal haben sich der reaktionären Kampagne angeschlossen und drängen auf einen „Regimewechsel“. Führende Köpfe der Sozialdemokrat*innen, die sich in Deutschland mit Merkel in der Koalition befinden haben –ganz nach der Art eines modernen Noske oder Scheidemann (sozialdemokratische Politiker, die durch ihre Zustimmung für den Ersten Weltkrieg die Arbeiter*innen verraten haben) – diese Forderungen ebenfalls unterstützt.

Imperialistische Intervention

Trump hat „nichts ausgeschlossen“ und deutet eine militärische Intervention für den Fall an, dass Maduro einen Rücktritt ablehnt. Indem er Elliot Abrams zum Sonderbeauftragten für Venezuela ernannt hat, hat Trump den blutigen Charakter seiner Intervention klar gemacht. Abrams ist wegen seiner Rolle bei der Bewaffnung der „Contras“ in den 1980er Jahren in Nicaragua verurteilt worden.

Sozialist*innen und Arbeiter*innen sollten die reaktionären Putschversuchen, organisiert durch rechte Kräfte, nicht mittragen oder auf irgendeine Art unterstützen.

Sollten diese Kräfte erfolgreich sein, dann wird Repression und Angriffe gegenüber Arbeiter*innen und Sozialist*innen Venezuelas, die ohnehin schon genug zu leiden haben, noch dramatischer ausfallen. Jedes rechte Regime, das an die Macht kommt und Maduro ablöst, wird Rache nehmen an der Arbeiter*innenklasse und an den Sozialist*innen im Land.

Die Heuchelei des westlichen Imperialismus kennt keine Grenzen. Sie verurteilen die Regierung Maduro, arbeiten aber gleichzeitig mit brutalen Regimen in Asien, Afrika und Lateinamerika zusammen und unterstützen diese. Die Liste beinhaltet Saudi Arabien, den Irak, die Militär-Diktatur in Chile, Argentinien, Brasilien und andernorts – um nur einige zu nennen!

Auch wenn Sozialist*innen sich gegen die reaktionären Putschversuche positionieren, können sie auch dem Maduro-Regime kein Vertrauen schenken.

In Venezuela braut sich eine ökonomische und gesellschaftliche Katastrophe zusammen. Das BIP ist zwischen 2013 und 2017 um 35 Prozent eingebrochen! Das ist ein stärkerer Abschwung als zwischen 1929 und 1933 in den USA zur Zeit der großen Depression. Damals sank das BIP um 28 Prozent. Der Zusammenbruch ist sogar ein wenig stärker als den, den die UdSSR durchgemacht hat, als diese 1992 auseinanderbrach und der Kapitalismus wieder hergestellt wurde.

Die Prognosen des IWF deuten darauf hin, dass die Hyperinflation in diesem Jahr auf bis zu 10.000.000 Prozent ansteigen wird, was die Löhne wertlos werden lässt. Das ist vergleichbar mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in der Weimarer Republik in den Jahren zwischen 1921 und 1923.

Der ökonomische Kollaps in Venezuela hat dazu geführt, dass die Fortschritte bei der Gesundheitsversorgung, der Bildung und anderen Bereichen zunichte gemacht worden sind, zu denen es zuvor unter der Regierung von Hugo Chávez gekommen ist.

Der Hunger ist zurück und die gesellschaftliche Kollaps lässt sich in den Großstädten an einer steigenden Kriminalitätsrate ablesen. In der größten Flüchtlingskrise in der Geschichte Lateinamerikas haben schätzungsweise drei Millionen Menschen die Flucht aus Venezuela angetreten. Das sind zehn Prozent der Bevölkerung!

Die kapitalistische Klasse und ihre politischen Vertreter*innen machen sich diese verheerende soziale und wirtschaftliche Krise auf internationaler Ebene zu Nutze, um zu behaupten, dass der „Sozialismus ein weiteres Mal gescheitert“ ist.

In Spanien und Brasilien ist Venezuela in einer wüsten Kampagne benutzt worden, um den Sozialismus an sich in Verruf zu bringen. In Großbritannien wurde das Beispiel Venezuela während der Parlamentswahlen gegen den Kandidaten Jeremy Corbyn ins Feld gebracht und wird bei den nächsten Wahlen wahrscheinlich in noch stärkerem Umfang herangezogen werden. Corbyn will „London zum neuen Caracas“ machen, wird der Chor aller Voraussicht nach tönen.

Bedauerlicherweise haben Jeremy Corbyn und die meisten anderen Vertreter*innen der sozialistischen Linken der herrschenden Klasse in die Hände gespielt, indem sie unkritisch Lob über Maduro und die vorherigen Regierungen von Hugo Chávez nach dessen Wahl im Jahr 1999 ausgeschüttet haben.

Scheitern des Reformismus

Die kapitalistischen Kommentator*innen, die Jeremy Corbyn, Owen Jones und Sozialist*innen wegen ihrer unkritischen Verteidigungshaltung gegenüber der Regierung in Venezuela angreifen, ignorieren die „Socialist Party“ oder unsere internationale Organisation, das „Committee for a Workers‘ International“//“Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI). Wir haben die Reformen und Schläge gegen den Kapitalismus durch die Arbeiter*innenklasse Venezuelas und Hugo Chávez immer verteidigt. Dabei haben wir aber stets davor gewarnt, dass die Reformen unter Beschuss stehen und wieder umgekehrt werden, wenn der Kapitalismus nicht besiegt und durch eine demokratisch organisierte Planwirtschaft mit Verstaatlichungen ersetzt wird.

Wir haben davor gewarnt, dass es ohne diese Maßnahmen zwangsläufig zu ökonomischer Sabotage und zu Verwerfungen kommen wird und dass es der Konterrevolution ermöglichen wird, erneut an Boden zu gewinnen.

Beständig haben wir uns gegen die bürokratischen „top-down“-Methoden ausgesprochen, die vom Regime angewendet worden sind. Im Gegensatz dazu haben wir uns für eine echtes System der demokratischen Kontrolle und Verwaltung durch die Beschäftigten eingesetzt. Nur so kann der Korruption und den repressiven Methoden entgegengewirkt werden, die verstärkt zum Merkmal des chavistischen Regimes geworden sind.

Mit Bedauern müssen wir feststellen, dass diese Warnungen von vielen innerhalb der sozialistischen Linken ignoriert worden sind, die nun ihrerseits die herrschende Klasse mit einer Waffe ausgestattet haben, mit der sie den Sozialismus in Misskredit bringen wollen.

Es ist nicht der Sozialismus, der in Venezuela gescheitert ist. Gescheitert ist der Versuch, auf bürokratische Weise und von oben Reformen durchzuführen, ohne dabei über eine gemischten kapitalistische Wirtschaft mit bedeutenden staatlichen Interventionen hinauszugehen.

Dies ist eine Warnung für alle künftigen radikal linken Regierungen und auch für eine mögliche Corbyn-Regierung in Großbritannien. Ein radikal linkes Reformprogramm wird auf den erbitterten Widerstand von Seiten der kapitalistischen Klasse stoßen, die alles daran setzen wird, um eine solche Regierung zu untergraben und zu sabotieren.

Es wird nur möglich sein, eine solche Kampagne zurückzuweisen, indem ein Programm zur Abschaffung des Kapitalismus und zum Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft aufgelegt wird, die demokratisch geplant werden und auf der Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Banken basieren muss, die die ökonomischen Abläufe kontrollieren.

Das hat in Venezuela zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Die derzeitige Krise ist eine Folge dieses Versagens. Wären diese Schritte auf dem Höhepunkt der revolutionären Bewegung (die sich nach dem gescheiterten Putsch gegen Chávez im Jahr 2002 entwickelte) in Venezuela durchgeführt worden, dann wäre es möglich gewesen, eine freiwillige demokratisch-sozialistische Föderation zusammen mit Kuba, Bolivien und Ecuador zu schaffen.

Dadurch hätte die Situation in ganz Lateinamerika und darüber hinaus vollkommen verändert werden können. Tragischer Weise zahlt die Arbeiter*innenklasse Venezuelas nun den Preis für das Scheitern des Reformismus, der nicht endgültig mit dem Kapitalismus brechen will.

Es ist nicht sicher, ob der Putschversuch, der von Trump unterstützt wird, Maduro erfolgreich von der Macht vertreiben kann. Trump und sein führender Kriegstreiber der „Nationale Sicherheitsberater“ John Bolton, der für den Plan des Regime-Wechsels verantwortlich ist, scheinen darin gescheitert zu sein die erste Grundlage für einen erfolgreichen Putsch sicherzustellen: Dass das Militär auf ihrer Seite ist!

Bislang macht das Oberkommando den Eindruck, als verharre es auf der Seite Maduros. Ein Grund dafür ist, dass das Militär durch und durch mit dem Regime verwoben ist, leitende Funktionen in der Regierung besetzt und dadurch sehr lukrative Geschäftsinteressen absichern kann – vor allem in Bezug auf das staatliche Öl-Unternehmen PDVSA.

Trotz des Angebots einer „Amnestie“ durch Guaidó, vertrauen viele Offiziere berechtigter Weise nicht seinen Zusagen. Wahrscheinlich erinnern sie sich nur allzu gut an die „Amnestie“, die den „M19 Guerrillas“ in Kolumbien in Aussicht gestellt wurde. Nachdem sie die Waffen niedergelegt hatten, sind sie in den 1980er und -90er Jahren von der kolumbianischen Regierung ermordet worden.

Sollte jedoch mehr dafür sprechen, dass das Regime seinem Ende entgegen geht oder in sich zusammenfällt, dann kann die Unterstützung des Militärs für Maduro allerdings einbrechen. Es könnte zu Spaltungen und Flügelkämpfen kommen.

Guaidó war in der Lage, nicht nur die Mittelschicht sondern auch Teile der Arbeiter*innenklasse und der Armen zu mobilisieren, die zuvor Chávez unterstützt haben und (bis vor kurzem noch) bereit waren, „Maduro eine Chance“ zu geben.

Jetzt aber, da 90 Prozent der Venezolaner*innen in Armut leben, haben sich Teile der Arbeiter*innen aus den alten Hochburgen von Chávez – wie etwa dem „23 de Enero“ (einem Arbeiter*innenviertel, das nach dem Aufstand vom 23. Januar 1958 gegen das damalige Militärregime benannt wurde) – aus Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung den Protesten von Guaidó angeschlossen.

Explosive Situation

Vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs und von gesellschaftlichen Auflösungserscheinungen kommt es zu einer extrem explosiven und instabilen Situation. Venezuela könnte zerfallen und zu einem „failed state“ (dt.: „gescheiterter Staat“) werden. Elemente dieses Phänomens sind bereits erkennbar.

Sollte die Armee auseinanderbrechen – was nicht auszuschließen ist –, dann könnte Venezuela in einen Bürgerkrieg gerissen werden. Möglich ist sogar, dass das Land eine Entwicklung wie im Libanon durchmacht und unterteilt wird. Maduro könnte sich dann im Präsidentenpalast Miraflores einrichten und einige Regionen und Städte unter seiner Kontrolle haben. Auf der anderen Seite stünde ein Regime Guaidó, das Altimira kontrolliert und andere reiche Teile von Caracas oder andere Städte.

Sollten die USA direkt militärisch eingreifen – was ebenfalls nicht vollkommen ausgeschlossen ist –, so würde dadurch eine schlimme Situation nur noch katastrophalere Ausmaße annehmen. Die meisten Venezolaner*innen und die Masse der Menschen in Lateinamerika sind gegen eine derartige Intervention. Die Geschichte US-imperialistischer Interventionen in Lateinamerika wäre die Basis für eine Reaktion großer Teile der venezolanischen Gesellschaft und der Massen auf dem gesamten Kontinent.

Solch eine Entwicklung vorangetrieben durch das Regime von Trump würde die Beziehungen zwischen den Großmächten (vor allem zu Russland und China) schwer in Mitleidenschaft ziehen. Sowohl Russland als auch China halten zu Maduro, da sie über ihn Einfluss auf Lateinamerika aufrecht erhalten.

Das chinesische Regime hat Kredite in Höhe von 38 Mrd. £ an Venezuela vergeben, die es im Falle einer Entfernung des Maduro-Regimes zu verlieren droht. Hinzu kommt, dass Maduro auch der engste Verbündete Chinas auf dem lateinamerikanischen Kontinent ist. Sollte er durch Guaidó abgelöst werden, so wäre dies ein Rückschlag für die Interessen Chinas in der Region. Schließlich wäre dadurch das Band Venezuelas zum US-Imperialismus gestärkt.

Diese Krise hält enorm zentrale Lehren für die internationale Arbeiterklasse bereit. Sozialist*innen müssen sich gegen jeden Putschversuch der Rechten stellen und sich gegen jegliche imperialistische Intervention wehren.

Aber trotzdem können Sozialist*innen der Regierung Maduro nicht trauen. In Venezuela kämpfen die Mitglieder unserer dortigen CWI-Sektion namens „Izquierda Revolucionaria“ (dt.: „Revolutionäre Linke“) heldenhaft für eine gemeinsame Front aller Sozialist*innen, ehemaliger Chávistas und Arbeiter*innen, um für eine Alternative zur rechte Konterrevolution aufzubauen und eine echte sozialistische Alternative, basierend auf tatsächlicher Arbeiter*innendemokratie zu erkämpfen.

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