Internationales

Das Comeback des Sozialismus

Sozialistische Organisationen wachsen in den USA – wie können sie erfolgreich sein?
Brettros

Die Idee des Sozialismus ist zurück in den USA. Infolge der inspirierenden Wahlkampagne von Bernie Sanders 2016 und der furchteinflößenden Realität von Donald Trump als Präsident sind zehntausende Menschen sozialistischen Organisationen beigetreten oder in verschiedenen Kampagnen aktiv geworden.

Die Organisation, die am meisten gewachsen ist, sind die Democratic Socialists of America (DSA). Sie spielten eine zentrale Rolle in der Sanders-Kampagne und wuchsen seither von 5.000 auf 50.000 Mitglieder. Im November wurden zwei Mitglieder der DSA in den Kongress gewählt: Rashida Tlaib und Alexandria Ocasio-Cortez – allerdings als Kandidatinnen der Demokratischen Partei.

Noch vor dem Durchbruch von DSA konnte die Schwesterorganisation der SLP, Socialist Alternative, spektakuläre Erfolge erzielen. Aus der Occupy Wall Street- Bewegung heraus führte Socialist Alternative eine erfolgreiche Wahlkampagne für den Stadtrat in Seattle. Trotz der erbitterten Opposition der Demokraten, welche den Stadtrat kontrollieren, wurde die unabhängig antretende Socialist Alternative-Aktivistin Kshama Sawant 2013 in den Stadtrat gewählt – und zwei Jahre später wiedergewählt. So wurde sie zur bekanntesten Sozialistin seit Jahrzehnten. Socialist Alternative wuchs in diesem Zeitraum von etwa 150 auf über 1.000 Aktivist*innen.

Socialist Alternative hat das Stadtrats-Mandat immer eng mit sozialen Bewegungen verbunden. Vor und nach der Wahl 2013 war die Kampagne für den 15$-Mindestlohn zentral. Hunderte Aktivist*innen wurden in der ganzen Stadt aktiv, um die Lügen des medialen und politischen Establishments zu kontern. Vor der Kampagne sprach sich kein anderes Stadtratsmitglied für $15 aus – aber der Druck der Kampagne in Kombination mit der Rolle Kshamas im Stadtrat brachten eine Mehrheit dazu, dafür zu stimmen.

Ähnliche Kampagnen drehten sich um wichtige Themen wie niedrigere Mieten und Reichensteuern. Im Mai 2018 präsentierte Socialist Alternative den Vorschlag einer Steuer auf Großunternehmen, um Projekte für Obdachlose zu finanzieren. Die Kampagne war zunächst erfolgreich und die Steuer wurde beschlossen. Doch dann gelang es Amazon, dessen Firmensitz in Seattle liegt, und anderen Konzernen, die Stadträte der Demokraten “umzustimmen” – und der Beschluss wurde gekippt. Der Kampf für die “Amazon Tax” zeigt die Notwendigkeit politischer Unabhängigkeit von Banken und Konzernen – und diese gibt es nicht innerhalb der Demokraten.

Doch nicht nur in Seattle hat Socialist Alternative großen Einfluss. In Minnesota wurden ebenfalls Mindestlohn-Kampagnen gestartet. Obwohl es dort keine Socialist Alternative Mitglieder in gewählten Ämtern gibt, war Socialist Alternative das Herz der Mindestlohnkampagnen in den beiden großen Städten: 2017 gelang es, den 15$ Mindestlohn in Minneapolis durchzusetzen, und 2018 in St.Paul. Das führte zu massiven Lohnerhöhungen für zehntausende Arbeiter*innen.

Viele dieser Beschäftigten arbeiten im Transportwesen. Dort wurde kürzlich Socialist Alternative-Aktivist Ryan Timlin zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Öffentlicher Verkehr in der Region gewählt. Die Beschäftigten wählten Ryan vor allem deshalb, weil er während der Lohnverhandlungen für einen Streik kampagnisiert hatte – und zwar zur Zeit der Super Bowl, die in Minneapolis stattfand. Ein Öffi-Streik während des größten Sport Events des Landes hätte massive Verbesserungen erkämpfen können. So zeigen Sozialist*innen, wie erfolgreiche Gewerkschaftspolitik funktionieren kann.

Seattle und Minneapolis sind nur zwei kleine Beispiele der Arbeit von Socialist Alternative. Doch sie zeigen die Möglichkeit und Notwendigkeit von linker Politik außerhalb der Demokraten. Socialist Alternative ist eine revolutionäre Organisation. Wie die SLP tritt sie dafür ein, dieses System durch den Aufbau einer mächtigen Bewegung zu stürzen und durch eine demokratische, sozialistische Gesellschaft zu ersetzen. Es zeigt sich aber, dass gerade ein solcher revolutionärer Ansatz auch das beste Mittel ist, um innerhalb dieses Systems Verbesserungen erkämpfen zu können.

Das unterscheidet Socialist Alternative von DSA, welche noch vor allem innerhalb der Demokraten antreten. Socialist Alternative hat ein solidarisches Verhältnis zu DSA – in vielen Städten werden gemeinsam Kampagnen gestartet oder gegenseitig Kandidat*innen unterstützt. Gleichzeitig macht Socialist Alternative immer auch klar, dass sie den Zugang, innerhalb der Demokraten anzutreten, nicht teilen. Denn um eine Bewegung aufzubauen, die den Kapitalismus in seiner eigenen Hochburg stürzen kann, braucht es eine unabhängige sozialistische Partei jenseits der Parteien des Kapitals.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Make Protests Great Again!

Trump ist kein Gegenentwurf zur bürgerlichen Normalität, sondern eines ihrer Gesichter in Krisen-Zeiten
Franz Neuhold

Trump zeigt auch das Potential für die Entwicklung einer antikapitalistischen Partei

 

Bemerkenswert ist eigentlich nicht, dass Trump und ein Großteil der Republikanischen Partei immer offener Verachtung für Frauen, Minderheiten und Meinungsfreiheit zeigen, sondern was das sogenannte weitsichtige Bürgertum rund um die Demokratische Partei macht. Kurzum: Nicht viel. Im Gegenteil, ihre Hauptsorge besteht darin, dass unkontrollierbare Bewegungen von unten als Reaktion auf Trumps Attacken entstehen. Mehr als ein Jahr wurde auf die Kongresswahlen vertröstet, die nun der Demokratischen Partei eine Mehrheit im Repräsentantenhaus brachten. Auch haben neue Kandidat*innen die Bühne betreten, die dynamischer und weniger etabliert scheinen. Einige davon bezeichnen sich sogar selbst als sozialistisch. Doch dies ändert den Charakter der Partei als wesentlichen Pfeiler des US-Kapitalismus keineswegs.

Natürlich ist es keine Kunst, „weniger schlimm“ als Trump zu sein. Doch Trump ist der fleischgewordene Ausdruck der kapitalistischen Krisenperiode. Wie darauf kurzfristig reagiert werden soll und welcher Tonfall angestimmt werden soll, darüber gibt es heftige Debatten unter den Herrschenden. Das US-Bürgertum wird deswegen aus der Trump-Ära noch gespaltener als zuvor hervorgehen. Aber alle Angriffe auf Beschäftigte, Arme, Minderheiten und demokratische Errungenschaften sind aus Sicht der Herrschenden und Besitzenden letztlich unvermeidbar. Deswegen wäre es falsch, auf eine „geregelte“ Aufarbeitung der Verbrechen von Trump & Co. durch die rechtsstaatlichen Institutionen zu warten. Wir können keine Hoffnungen in Sonderermittler, Justizapparat oder das neue Repräsentantenhaus legen. Dessen neuer demokratischen Vorsitzenden, Nancy Pelosi, ging es immer schon nur um Schadensbegrenzung für das Zwei-Parteien-System.

Entscheidend ist, ob und wann die vielfältigen Proteste und Bewegungen zu einer neuen Qualität und Generalisierung des Widerstands führen werden, der letztlich nicht nur den rechtsextremen Flügel des Establishments, sondern das gesamte Wirtschaftssystem in Frage stellen muss. Ein „Zurück zur Normalität“ darf und wird es nicht geben. Auch könnte ein landesweiter Massenstreik über 24-48 Stunden Trump viel wahrscheinlicher und schneller „amtsentheben“, als die Sonderermittlungen Robert Muellers. Dies allein ist jedoch zu wenig, um den Kapitalismus samt Rassismus, Frauenhass, Homophobie und Waffengewalt zu überwinden. Es braucht eine Massenpartei von und für Arbeiter*innen mit sozialistischem Programm. Diese wird sich nur über Kampagnen und Aktionen bis hin zu Streiks und Massenbewegungen bilden können. Welche Ansatzpunkte gibt es dafür? Werfen wir einen Blick auf politischen Widerstand und soziale Proteste in den USA:

Das Höchstgericht hat kürzlich eine wesentliche Einschränkung für die Finanzierung der Gewerkschaften im Öffentlichen Dienst verfügt. Weitere Angriffe (zB. Streikrecht) sind zu erwarten. Die unmittelbaren „Gründe“ dafür geben jedoch Hoffnung. Von den Medien wenig beachtet fand 2018 eine Serie höchst erfolgreicher Arbeitskämpfe von Lehrer*innen statt. Die Gewerkschaftsbewegung ist dabei, sich zu erneuern bzw. von (jungen) Basisaktivist*innen neu gestaltet zu werden. Als Folge dieser Entwicklung wächst die Zustimmung zu Gewerkschaften wieder. Ebenso lag die öffentliche Unterstützung für die Streiks in West Virginia und Arizona bei 73%. Die Forderungen der Lehrer*innen gingen weit, bis hin zur Frage der gesellschaftlichen Umverteilung. Große Streiks könnten bei UPS (Paketdienst), im Hotelgewerbe sowie in der Schwerindustrie bevorstehen.

Das Selbstbestimmungsrecht von Frauen steht unter Beschuss. Mit dem Fundamentalisten Kavanaugh als Höchstrichter hat die extreme Rechte nun eine Mehrheit zur Rücknahme wichtiger Errungenschaften, zB. beim Schwangerschafts-Abbruch. Doch Massenproteste können dies stoppen. Vielen wird klar, dass es sich um strukturelle Frauenfeindlichkeit eines Systems handelt, das auf Reichtum und Macht einer kleinen Minderheit beruht. Wie wichtig dabei die soziale Frage ist, zeigen die mutigen Streiks gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bei McDonald’s und Google. Die historische Bedeutung dieser Proteste kann nicht überschätzt werden! Nun ist #metoo nicht mehr nur ein Internet-Phänomen, getragen durch wohlhabende Prominente, sondern ein zentrales Thema von Arbeiter*innen, v.a. jenen, die zusätzlich durch Rassismus unterdrückt werden. Oftmals stehen weibliche Beschäftigte an vorderster Front. So hat die Gewerkschaft der Pfleger*innen schon 2016 maßgeblich Bernie Sanders Kandidatur mitgetragen. In diesem Präsidentschafts-Wahlkampf konnte Sanders mit einem anti-neoliberalen Programm über 200 Millionen US-Dollar an Kleinstspenden sammeln. Dies gibt einen Vorgeschmack, was möglich sein wird, wenn eine breite neue Arbeiter*innen-Partei das etablierte System aufs Korn nehmen wird.

Die Jugendrevolte gegen Waffengewalt und ihre Lobby bietet langfristig Chancen, zum Aufbau einer echten politischen Alternative beizutragen. Auch könnten Bewegungen von Menschen, die unter Rassismus und Polizeigewalt leiden, neuen Schwung aufnehmen (zB. „Black Lives Matter“ BLM). Trumps Gewaltaufrufe gegen Migrant*innen dürften – abgesehen bei seinen Kernschichten – nicht viel gebracht haben. So verlor seine Partei in Texas nicht nur in allen großen Städten, sondern auch in südlichen Grenz-Countys. Der Kampf für die Rechte von Migrant*innen wird nicht durch moralische Appelle gewonnen werden, sondern mittels solidarischer Aktionen, und eines Programms für soziale Verbesserungen für Alle: Sei dies am Arbeitsplatz durch einen 15$-Mindestlohn, durch ein Gesundheitssystem für Alle, durch freien Bildungszugang oder niedrigere Mietpreise.

Als Beispiel für die Zunahme politischer Aktivitäten seien DSA (Democratic Socialists of America) genannt, die massiven Mitgliederzuwachs verzeichnen. Sie wirken im Rahmen der Demokratischen Partei und wollen diese beeinflussen. Die letzten Monate brachten beeindruckende Erfolge für Alexandria Ocasio-Cortez (Repräsentantenhaus) und Julia Salazar (Senat), welche unter dem Banner der DSA für die Demokratische Partei antraten und gewannen. Es mag verlockend erscheinen, auf Basis der allgemeinen Radikalisierung die ein oder andere bislang konservativ geführte Parteifunktion für fortschrittliche Politik zu erobern. Doch eher früher als später werden DSA vor die Frage gestellt sein, ob ein eigenständiges Auftreten und ein offenes Angebot an die unzähligen Aktivist*innen außerhalb dieser Partei nicht die gewinnbringendere Variante für die Arbeiter*innen-Bewegung ist. So sieht es jedenfalls „Socialist Alternative“, die Schwesterorganisation der SLP in den USA. Natürlich können Wahlerfolge Menschen motivieren, und vielerorts sind DSA-Gruppen wichtige Bündnispartner. Im Mittelpunkt sollten sicherlich zuerst Forderungen und Methoden einer Kampagne stehen. Doch die Frage des organisatorischen Rahmens wird in diesen Bewegungen immer wieder aufgeworfen werden. Gerade dann, wenn die Demokratische Partei sich nicht mehr auf Trump und das „kleinere Übel“ ausreden wird können.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Land der Superreichen und Obdachlosen

Trumps Politik ist eine Steilvorlage für die Reichen und die Rechten
Georg Kummer

Die USA sind mittlerweile an einem Punkt, an dem das Töten von Kindern bei Amokläufen an Schulen schon fast Alltag ist. Zehntausende sterben jedes Jahr an Überdosen opioidhaltiger Schmerzmittel. Millionen haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem, leben in absoluter Armut oder sind obdachlos. Das ist der Hintergrund, vor dem Trump gewählt wurde. Unter Obama fand zur Sanierung der Banken und Konzerne eine gigantische Umverteilung von Reichtum von unten nach oben statt. Seine Regierung schob fast drei Millionen Menschen ab, mehr als jemals zuvor. Das Establishment ist verhasst. Viele, die keine Möglichkeit sahen, ihre Situation durch gemeinsame soziale Kämpfe zu verbessern, sahen in Trump eine Möglichkeit, es denen da oben zu zeigen - und jene, die noch weiter unten sind, fernzuhalten. Doch Trump griff zwar die Ärmsten der Gesellschaft an, die Mächtigen jedoch nicht. Zwei Jahre Trump zeigten, dass er für Lohnabhängige, Frauen oder Migrant*innen nicht nur Verachtung übrig hat, sondern eine tödliche Gefahr darstellt.

Den Konzernen hat Trump eine Billion Dollar als Steuersenkung geschenkt. Um noch mehr und besser Krieg führen zu können, wurde das Verteidigungsbudget um die größte Summe seit dem Kalten Krieg erhöht. Diese Ausgaben werden durch Kürzungen im Sozial-, Gesundheits- und Pensionssystem gegenfinanziert. Mit der Entsendung des christlichen Fanatikers Kavanaugh in den Obersten Gerichtshof soll das Recht auf Abtreibung endgültig abgeschafft werden. Die extrem einflussreichen fundamentalistischen Evangelikalen fühlen sich dadurch in ihrem Kampf gegen Frauenrechte bestärkt.

Im Wahlkampf verschärfte Trump seine rassistische Gangart noch einmal massiv: Migrant*innen aus Mittelamerika seien alle Kriminelle, Vergewaltiger und Terroristen, behauptete er. Er versuchte, das Recht auf Asyl außer Kraft zu setzen, schickte 15.000 Soldaten an die Grenze und trennte tausende Kinder von ihren Eltern. Außerdem möchte er das Recht auf Staatsbürgerschaft abschaffen, dass allen zusteht, die in den USA geboren werden. Davon wären bis zu 10 Millionen Menschen betroffen, die mit Abschiebung rechnen müssten. All diese Maßnahmen sind Rückenwind sowohl für traditionelle faschistische Strömungen, die immer öfter bewaffnet auftreten, als auch für die neofaschistischen „Alt-Right“ Aktivist*innen.

Es ist aber nicht einfach die Person Trump, die das alles aus Bösartigkeit tut. Trumps „Make America great again“ ist eine Reaktion auf die Krise des globalen Kapitalismus. Die Träume von einem harmonischen Welthandel, von dem alle profitieren, sind geplatzt. Trumps Handelskrieg ist der Versuch, auf den immer umkämpfteren globalen Märkten Stärke zu beweisen. „America First“ ist der Schlachtruf, der sowohl dem international orientierten US-Kapital versichern soll, dass die stärkste imperialistische Macht am Weltmarkt hinter ihm steht, als auch dem national orientierten US-Kapital verspricht, es vor der globalen Konkurrenz am heimischen Markt zu schützen.

Der US-Kapitalismus soll also auf Kosten der Arbeiter*innen zu Hause (Preissteigerungen) und in anderen Ländern (mehr Arbeitslosigkeit) saniert werden. Den Preis dafür sollen wir alle zahlen.

Diese Grundpfeiler von Trumps Politik teilen auch die Demokraten. Sie würden eine in Worten nettere, in Taten genauso rücksichtslose Politik fahren. Um das alles zu stoppen, reicht die Kandidatur eines linkeren Demokraten wie Bernie Sanders nicht, es braucht eine sozialistische Alternative, eine Partei, die den Menschen eine Alternative jenseits des Kapitalismus bieten kann. Was für Ansätze es für die Entstehung einer solchen geben kann, damit beschäftigt sich der aktuelle Vorwärts-Schwerpunkt.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

CWI Weltperspektiven: Das kapitalistische System steht vor politischen und sozialen Umbrüchen.

Nachfolgend veröffentlichen wir die endgültige, vereinbarte und geänderte Fassung des Weltperspektiven Dokuments, das auf der Sitzung des International Exekutiv Komitees des CWI im November 2018 beschlossen wurde.

Anmerkung: Das Dokument World Perspectives wurde vor dem Ausbruch der Massenproteste der „Gelben Westen“ in Frankreich fertiggestellt. Über diese Bewegung finden sich Berichte und Analysen auf socialistworld.net.

Die Krise des Weltkapitalismus hat sich, wie wir vorhergesagt haben, im Laufe des Jahres erheblich vertieft. Im entscheidenden Bereich der Weltwirtschaft bahnt sich eine neue Krise an, deren Zeitpunkt und Charakter allerdings noch offen sind. Trump hat in den internationalen Beziehungen die Spannungen mit der Ablehnung des iranischen Atomabkommens enorm verschärft, mitsamt seinen politischen Auswirkungen. Dazu gehören die Vertiefung der Konflikte mit China und jetzt mit Russland in einem neuen atomaren Wettrüsten der "Großmächte", aber auch die Verschlechterung der Beziehungen zur EU und praktisch zur gesamten übrigen Welt.

Dies spiegelte sich bei Trump's Rede in der jüngsten Generalversammlung der Vereinten Nationen wieder als es zu allgemeinem Lachen und Johlen kam, als er plump die Doktrin des US-Imperialismus vom Unilateralismus bekräftigte um "Amerika wieder groß zu machen". Dies war anstelle der bisherigen "regelbasierten" internationalen „Kooperation“ - eine weichere Form der Macht und Herrschaft des US-Kapitalismus. Außerdem trifft seine Ablehnung des Pariser Abkommens über den Klimawandel auf zunehmende weltweite Besorgnis. Das drückt sich in Massenbewegungen und einem erhöhten Bewusstsein über den Klimawandel in einigen jener Länder und Kontinente, die am meisten von einem Anstieg der Temperatur betroffen sind, aus. Die Klimakatastrophe kann nur abgewendet werden wenn global der unkontrollierte und ruinöse Kapitalismus durch eine demokratische sozialistische Gesellschaft ersetzt wird. Das ist nur möglich durch die Methoden des revolutionären und sozialistischen Kampf für den das CWI steht. 

Die Weltwirtschaft bleibt im Zentrum der Perspektiven. Die kapitalistischen Expert*innen behaupten, dass es eine synchrone wirtschaftliche Beschleunigung gegeben hätte, die großen Wirtschaften, außer Britannien, seien auf einem Wachstumspfad, der sich in einem Fall der offiziellen Arbeitslosenzahlen ausdrückt wie es das seit Jahrzehnten nicht gegeben hatte. In den USA ist die Arbeitslosenrate auf einem 49-Jahres-Tief. Die Realität ist jedoch, dass dieser "Boom" sehr ungleichmäßig ist. Sogar von den entwickelten kapitalistischen Ländern waren nicht alle Länder betroffen. Wie wir bereits oft festgestellt haben, basierte er auf Rekordzahlen bei prekären Jobs - die oft monatelang nicht bezahlt wurden - und war daher extrem einseitig.

Er fußt auch auf der Fortsetzung bei Niedriglöhnen und Lohndruck mit wenig substantiellen Verbesserungen für die Arbeiter*innenklasse. In Britannien ist die Stagnation der Löhne die schlimmste seit Beginn des 19. Jahrhunderts, während die Sparpolitik in Europa und den USA immer noch anhält und die Arbeiter*innenklasse trifft. Die neokoloniale Welt hat generell eine ernste Krise durchgemacht, mit der stärksten Schrumpfung seit dem 2. Weltkrieg in Brasilien, und einer bedeutenden Abschwächung der wirtschaftlichen Aussichten in Argentinien, der Türkei und Südafrika.

Wo es jedoch auch nur den geringsten wirtschaftlichen Aufschwung gab (was in einigen Ländern der Fall war), hat das die Arbeiter*innen ermutigt, sich zurück zu holen, was sie in und infolge der „großen Rezession“ verloren hatten. Das war in einigen Ländern in Europa der Fall, so auch in Osteuropa. In diesen Ländern gibt es eine kleine Zunahme an Streiks. Besonders in den USA gab es jedoch eine machtvolle Wiederkehr der Arbeiter*innenklasse in einer Serie von Streiks, inklusive dem sehr militanten Lehrer*innenstreik in West Virginia und anderen Staaten. Bei UPS (United Parcel Service) gab es eine Revolte der Basis gegen Verträge, die die Gewerkschaftsführung ausgehandelt hat. Diese und andere Arbeitskonflikte führen zu der größten Zahl von Streiks seit den 1980er Jahren. Nachdem die Fastfood Streiks die Idee von 15$ die Stunde popularisierten hatten, haben unsere politischen Partner*innen in Seattle (Socialist Alternative, Anm.) den Grundstein für die Bewegung gelegt, die den ersten großen Sieg für diese Forderung in einer großen Stadt erzielt hat. Die 15 Now Bewegung hat sich in Windeseile in der ganzen USA ausgebreitet, und hat konkrete Verbesserungen für die Arbeiter*innenklasse erkämpft. Socialist Alternative in den USA hat in diesen Prozess energisch interveniert und großartige Resultate erzielt. Das wiederum hat eine positive Veränderung ihrer sozialen Zusammensetzung bewirkt - es liegt nun mehr Gewicht intern bei Arbeiter*innen, ihrem politischen Standpunkt sowie der Wichtigkeit von Gewerkschaften. Das hat uns erlaubt tiefere Wurzeln zu schlagen und ein Attraktionspol für die besten Teile der Arbeiter*innenklasse in den USA zu werden.

Wir dürfen nicht vergessen dass der Boom auf einer massiven Ausdehnung von Schulden begründet ist, inklusive der privaten Haushaltsverschuldung, die generell in den fortgeschritten Industrieländern angestiegen ist. Die globale Staatsverschuldung ist auf 60% des Welt-BIP angestiegen, während die absolute Verschuldung von 173 Billionen Dollar (2010) auf 250 Billionen Dollar heute angestiegen ist. Ein kontinuierlicher Anstieg der Ungleichheit, gemeinsam mit intensivierten Spannungen auf geopolitischer Ebene trägt zu dem höchst instabilen Charakter dieses "Booms" bei. Wie man in Frankreich sagt: "Je mehr sich die Dinge verändern, desto gleicher bleiben sie."

Versprechungen, die Banken stark zu regulieren und die Flügel der parasitären "Finanzaristokratie" zu stutzen waren nicht effektiv umgesetzt worden. Kleinere Verbesserungen in der Bankenregulierung wurden versucht, aber sind nun in den USA wieder abgeschafft worden. Ein Resultat davon ist die Wiederkehr von finanzieller Instabilität - die Überhitzungsindikatoren zeigen eine anstehende Krise an, ein Vorbote ist der Einbruch bei Aktienpreisen. Der Preis der Aktie von Blackrock, dem größten Anlageverwalter weltweit, ist 2018 um mehr als ein Fünftel gefallen - die Einkünfte aus den Aktien sind signifikant zurückgegangen. Während die kommende Krise nicht exakt wie die letzte - die ja im Finanzsektor begonnen hatte, aber dann auf die "Realwirtschaft" übergegriffen hat - ablaufen mag, ist es möglich, dass sie sich viel früher in der "Realwirtschaft" widerspiegelt. 

Ein weiteres Resultat der letzten zehn Jahre war das kolossale Wachstum von Ungleichheit: "Milliardäre machten 2017 mehr Geld als in irgendeinem Jahr davor... Die letzten 30 Jahre haben größere Anhäufung von Vermögen gesehen als im späten 19. Jahrhundert" kommentiert der UBS-Milliardär*innen-Report. Wir wissen, dass diese Periode nur ein Vorspiel auf die massenhafte Unzufriedenheit war, die, gemeinsam mit anderen Faktoren, zur Russischen Revolution geführt hatte, und damit zu einer möglichen Weltrevolution. Die Konsequenz dieser sich öffnenden Einkommensschere ist, dass die Kluft zwischen den Klassen in den entwickelten Industrieländern, Osteuropa, China und der neokolonialen Welt unglaublich gewachsen ist. In anderen Worten, es gibt eine nie dagewesene Kluft zwischen den Klassen, die enorm gewachsen ist, und bereits jetzt eine riesige politische Auswirkung hat - die Möglichkeit von Revolutionen und Elementen von Konterrevolution sind damit Teil der Weltlage.

Die Handelskriege beginnen

Dies ist noch bevor die Auswirkungen des beginnenden Handelskrieges zwischen den USA und China, Kanada und Mexiko spürbar sind. Auch die EU und Asien könnten zunehmend in die "wirtschaftlichen Feindseligkeiten" hineingezogen werden. Die Logik von Trumps "America First"-Doktrin kann auch Konflikte mit den traditionellen "Verbündeten" des US-Kapitalismus bedeuten und nicht nur mit seinen "Feinden". Aber aktuell ist klar, dass der wirtschaftliche und strategische Hauptfokus der US-Politik der Konflikt mit China ist. Das geht über Handelsfragen hinaus und ist zunehmend eine Strategie mit dem Ziel, China zu blockieren und zwar insbesondere im Bereich der neuen Technologien, um zu verhindern, dass China hier mit den USA aufschließen oder diese übertreffen kann. Es ist zwar möglich, dass in Trumps Zollkrieg mit China ein Abkommen erzielt wird oder zumindest ein Waffenstillstand vereinbart wird. Aber das wäre wahrscheinlich nur eine vorübergehende Einstellung der Feindseligkeiten und es werden neuen Konflikte aufbrechen in der Frage von Technologieimporten, von Xi Jinpings Modernisierungsplan "Made in China 2025" und zu Chinas staatskapitalistische "Struktur", die den eigentlichen Kern dieses Streits bilden. Ein Währungskrieg und Wirtschaftssanktionen sind nicht ausgeschlossen.

Wenn sich das zu einem ausgewachsenen Handelskrieg entwickelt, wird es schwerwiegende Folgen für die Welt haben, einschließlich ihrer Hauptakteure USA, China und Europa. Die inoffizielle gemeinsame Front, die zwischen Mexiko und Kanada gegen Trump's aggressives Auftreten bestand, ist zerbrochen weil Mexiko Frieden suchte während Kanada scheinbar immer noch auf Konfrontation setzt. Allerdings sind die internationalen Geld- und Aktienmärkte erschüttert und es gibt bereits Rekordverluste bei Aktien- und Anleihekursen. Auch die Wachstumsaussichten für die Weltwirtschaft wurden bereits zurückgenommen. In der Bourgeoisie herrscht die allgemeine Erwartung, dass der derzeitige "Bullenmarkt" zu Ende geht. Das fasste die Schlagzeile der Zeitschrift Economist zu einem Sonderbericht zusammen: "Die nächste Rezession". Sie trösten jedoch damit, dass der Finanzsektor - insbesondere die Banken - rekapitalisiert wurden und meinen, dass es daher nicht zu einer Wiederholung des großen Zusammenbruchs, sondern nur zu einer "leichten Rezession" kommen wird.

Aber sie haben bereits viele jener Maßnahmen ausgeschöpft, die nötig sind um selbst einem "milden" Konjunkturrückgang entgegenzuwirken. Die massive Erhöhung der "Liquidität" in den USA – durch das Mittel der „quantitativen Lockerung“ (Quantitative Easing) - ist auf schätzungsweise 20% des BIP gestiegen. Die Europäische Zentralbank und die Bank of England haben zum selben Instrument gegriffen. Trump ist aber eher bereit, die Ausgabenseite durch Steuersenkungen zu erhöhen, um damit sowohl die Bourgeois als auch indirekt durch Lohnsteigerungen seine "Basis" zufrieden zu stellen. Diese Maßnahmen haben jedoch bereits kurzfristig nachteilige finanzielle Auswirkungen gehabt, indem sie das Staatsdefizit auf über 4 % des BIP erhöht und zudem zur Gefahr einer Inflationswelle geführt haben. Die schrittweise Erhöhung der Zinssätze durch die FED (US-Notenbank, Anm.) hat zwar den Zorn von Trump hervorgerufen, aber sie waren gezwungen so zu handeln, weil "die Wirtschaft bereits überhitzt ist".

Die USA werden um die Auswirkungen von Trumps Zöllen im Ausmaß von 250 Milliarden Dollar auf chinesische Waren nicht herum kommen. Zweifellos wird China - wenn dieser "Krieg" andauert - künftig Vergeltungsmaßnahmen in größerem Umfang ergreifen als die aktuell relativ zurückhaltenden Gegenmaßnahmen. Die Farmer im Mittleren Westen der USA und anderen Teilen des Landes, die eine wichtige Basis von Trump darstellen, werden von Strafzöllen gegen US-Agrarexporte nach China, insbesondere Soja, ernsthaft betroffen sein. Um seine Basis zu beruhigen, behauptet Trump: "Es ist einfach, einen Handelskrieg zu gewinnen". Doch das ist nicht die Erfahrung der 1930er Jahre mit dem Smoot Hawley Act, der damals die Depression verschlimmerte.

Die Welt ist dieser Situation damals zum Teil durch die Politik eines weitsichtigeren Vertreters der bürgerlichen Klasse, Franklin Roosevelt, entkommen, der die langfristigen Interessen der Kapitalist*innen besser vertrat, indem er sich seiner eigenen Klasse entgegen stellte und Maßnahmen setzte, die auf die Stimulierung der "Nachfrage" abzielten. Das gibt sogar der Economist zu: "Rezessionen treten dort auf, wo zu wenig ausgegeben wird, um zu verhindern, dass die Ressourcen einer Volkswirtschaft ungenutzt bleiben. Ökonom*innen haben das letzte Jahrzehnt damit verbracht, Wege zu finden, um die Ausgaben anzukurbeln und der Rezession zu entkommen, wenn die Zinsen bei Null liegen, wie sie es mit ziemlicher Sicherheit während des nächsten globalen Abschwungs sein werden." Dies ist genau jenes Argument, das wir vorgebracht haben, dass sich die gegenwärtige organische Krise des Kapitalismus nicht in einer Krise der "Rentabilität", sondern der "Nachfrage" widerspiegelt. Roosevelt war in den 1930er Jahren sogar bereit, sich teilweise auf die Gewerkschaften - genauer gesagt die Gewerkschaftsführung - zu stützen, um die Organisierung in Gewerkschaften anzuregen, was dann zu einer Reihe von Streiks führte, die die Löhne erhöhten und die Nachfrage ankurbelten.

Trump ist völlig unfähig, solche Maßnahmen zu setzen und konzentriert sich statt dessen auf die Steigerung der Gewinne der gefräßigsten, aber kurzsichtigen Kapitalist*innen - jener, die sich zwar bereits mit Superprofiten vollgestopft haben aber nicht in der Lage waren, den "früheren Wohlstand" wiederherzustellen. Er hofft, dass dies zu einem kontinuierlichen Wachstum bei der Anzahl der Beschäftigten führen wird, was dann wiederum seine Chancen bei den Midterms erhöht (Anmerkung: der Text wurde vor den Wahlen in den USA geschrieben) und es ihm dann ermöglicht, bei den Präsidentschaftswahlen 2020 einen Sieg einzufahren.

Einer der Faktoren, die es dem US-Kapitalismus ermöglichten, der Depression der 1930er Jahre zu entkommen, war zuerst der Anschub durch die Kriegsproduktion und dann die Situation nach dem 2. Weltkrieg mit Wiederaufbau, dem Wachstum des Welthandels und der Entwicklung und Nutzung neuer Technologien - paradoxerweise darunter auch die Entwicklung von Kunststoffen, die heute ein Fluch für die Umwelt sind und das Leben auf dem Planeten bedrohen. Doch heute gibt es weder für den internationalen Kapitalismus, noch für den US-Kapitalismus eine ähnliche Rettungsleine. Darüber hinaus wäre jeder Konflikt zwischen den Großmächten, auch wenn das aktuell nicht auf der Tagesordnung steht, katastrophal und für die Menschheit viel schlimmer als die ohnehin schon schrecklichen Auswirkungen der Weltkriege des 20. Jahrhunderts.

Seit 2007 ist es durch eine starke Zunahme von Fusionen und Übernahmen auch zu einer enormen Konzentration und Zentralisierung des Kapitalismus gekommen. Dennoch sind die Strateg*innen des Kapitals in Wirklichkeit pessimistisch bezüglich der Aussichten auf einen nachhaltigen Aufschwung. Die Financial Times spekuliert, dass Preisverluste bei finanziellen Vermögenswerten die Märkte in Angst versetzt haben. "Inwieweit könnten die sich entfaltenden Ereignisse die Sorgen verschärfen? Ein langer Weg ist die Antwort." Darüber hinaus "sind die Bewertungen risikoreicher Vermögenswerte in vielen Fällen überlastet und die Schwachstellen in der Bilanz sind pandemisch, wie der Global Financial Stability Report deutlich macht". Noch wichtiger ist ihr Fazit: "Die Weltwirtschaft und die Finanzsysteme sind fragil - niemand kann wissen, wie fragil sie sind, bis sie wirklich getestet werden. Die wichtigste Quelle der Fragilität ist jedoch die Politik, ein hinterherhinkendes Erbe der Finanzkrise. In jedem Land sind Populisten und Nationalisten an der Macht oder stehen kurz davor."

Am alarmierendsten für die Bourgeoisie sind die wahrscheinlichen Folgen eines "offenen Handelskrieges mit China". Die US-Regierung scheint auf einen neuen "Kalten Krieg" mit China eingestellt zu sein, so die Financial Times abschließend. Dieser wird wirtschaftlich wie auch militärisch sein. Trump spricht bar jeder Realität sogar davon, die chinesische Wirtschaft davon abzuhalten, "größer als wir zu werden", also die USA. Aber selbst wenn dieser Konflikt ein Kalter Krieg bleibt und kein "Heißer", der zu militärischen Auseinandersetzungen führt - die Folgen könnten für den Rest der Welt katastrophal sein. Und so ist die Schlussfolgerung eines weitsichtigeren Vertreters der Bourgeoisie: "Die offene Weltwirtschaft könnte zusammenbrechen. Dies sind gefährliche Zeiten - weitaus schlimmer, als viele heute erkennen. Die Warnungen des IWF sind rechtzeitig, aber vorhersehbar untertrieben." (Politics puts the skids under the bull market, Martin Wolf, FT 17. Oktober 2018)

Selbst ein kleiner Handelskrieg wird ernsthafte Auswirkungen sowohl auf die USA als auch auf China haben. China befindet sich in einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auf rund 6% pro Jahr - was für die USA oder Europa zwar spektakulär wäre, aber wachsende Probleme für die chinesische Wirtschaft und damit das Regime anzeigt. Die „Belt and Road Initiative“ (Neue Seidenstrasse, Anm.) - mit massiven Investitionen vor allem von den "staatlichen" Investmenthäusern Chinas, wie US-Sprecher*innen betonten - soll natürlich die internationale wirtschaftliche Reichweite Chinas stärken. China ist jedoch aufgrund des imperialistischen Charakters solcher Projekte in einer Reihe von Ländern der neokolonialen Welt auf Widerstand gegen die "Initiative" gestoßen.

Dies hat unweigerlich zu einem Zusammenstoß mit den USA geführt, der zwar zu diesem Zeitpunkt weitgehend wirtschaftlich ist, aber die Gefahr von bewaffneten Zusammenstößen in sich trägt sowie die Gefahr von Konflikten zwischen China und den USA mit ihren Verbündeten sowie anderen rivalisierenden Mächten, die den Besitz des Südchinesischen Meeres anfechten. Dies geschah nach einem – wie es das chinesische Regime betont -Jahrhundert der "Erniedrigung" durch imperialistische Mächte, die in China "besondere Interessen" absteckten. Es wurde als "neuer Kalter Krieg" bezeichnet, obwohl die Protagonisten nicht in unterschiedlichen sozialen Systemen wurzeln sondern in grundsätzlich ähnlichen kapitalistischen Regimen, wobei das chinesische System ein weitgehend, wie wir analysiert haben, staatskapitalistisches ist.

Die Beibehaltung eines großen staatlichen Sektors - einige Berichte und Analysen gehen davon aus, dass er formal größer ist als der eindeutig privatisierte Teil der Wirtschaft - gibt dem chinesischen Staat jedoch einen viel größeren Handlungsspielraum und beeinflusst die Richtung der Wirtschaft. Sie ermöglicht massive Liquiditätsspritzen, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu vermeiden, wie wir es in den letzten 10 Jahren gesehen haben. Es gibt einen "Renten" Aspekt (Anmerkung: gemeint ist hier schmarotzend) in der Art und Weise, wie der kapitalistische Sektor sich die Filetstücke der Wirtschaft holt.

Der chinesische Staat hat auch Dengs Maxime von "Verstecken und Abwarten" beiseitegeschoben. Das war eine Politik, die darauf abzielte, die wirtschaftliche und militärische Macht der chinesischen Elite in der Zeit nach den Ereignissen am Platz des Himmlischen Friedens (Anmerkung: Das Massaker gegen die Bewegung 1989) nur langsam aufzubauen. Jetzt setzt man auf eine neue imperialistische Durchsetzungskraft. Dies wiederum hat unweigerlich Analogien zu Kriegen der Vergangenheit, insbesondere des alten Griechenlands, hervorgerufen: das Thucydides-Paradoxon. Da stellte sich Sparta (die USA) gegen ein aufstrebendes Athen (China), was zu den Peloponnesischen Kriegen führte. Wie wir jedoch erklärt haben, sind die Bedingungen - das Verhältnis der Klassenkräfte - für einen weiteren umfassenden Konflikt unter direkter Beteiligung der Großmächte zum jetzigen Zeitpunkt ausgeschlossen, obwohl die Spannungen zwischen den imperialistischen Großmächten von den USA bewusst verstärkt werden.

Kriege auf regionaler Ebene

Aber Syrien und der Nahe und Mittlere Osten haben gezeigt, dass regional begrenzte, verheerende Kriege stattfinden können, bei denen die großen Weltmächten zwar involviert sind, die jedoch weitgehend von Stellvertretern geführt werden - die ihre militärische Ausrüstung allerdings von außen erhalten. Doch eine ernsthafte Konfrontation, kleine oder gar "zufällige" militärische Auseinandersetzungen sind in der Situation angelegt  zumal die Spannungen zwischen den imperialistischen Großmächten inklusive Russlands von den USA bewusst  verstärkt werden. Die chinesische Elite wurde von einem potenziellen "strategischen Partner" zu einem "strategischen Konkurrenten", während Russland sich für die gleiche Behandlung an der militärischen Front eingesetzt hat. Trump hat den Rückzug der USA aus dem 1987 von Gorbatschow und Reagan unterzeichnet Abkommen zur Begrenzung strategischer Atomwaffen, angekündigt. Dies hat sogar den inzwischen 87-jährigen Gorbatschow dazu provoziert, sich aus dem Ruhestand zu melden um den Rückzug aus dem Deal anzuprangern.

Trumps aggressiver Zugang hat zu einer gewissen Kooperation von China und Russland geführt. Der bilaterale Handel zwischen den beiden Ländern ist pro Jahr um 20 % auf über 100 Milliarden Dollar im Jahr 2018 angewachsen und die Kooperation in Fragen von Sicherheit und militärischer Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten hat zugenommen. In Folge der militärischen Manöver durch die USA und ihrer NATO-Verbündeten an den Grenzen Russlands gegen eine unspezifische "feindliche Invasion" organisierte Russland im September 2018 seine "historisch größten" militärischen Trainingsmanöver im fernen Osten des Landes. Es wurde behauptete, dass 300.000 russischen und 3.000 chinesische Truppen teilgenommen haben obwohl Militäranalyst*innen schätzen, dass es nicht mehr als 50.000 waren. Die Zusammenarbeit kann sich jedoch schnell ins Gegenteil verkehren - die russischen Medien haben kürzlich auf Vorschläge eines Teils der chinesischen Elite hingewiesen, die meinten, dass Sibirien relativ unbewohnt und voller natürlicher Ressourcen sei, die für die Ausbeutung durch China geeignet seien!

Das russische Regime hat nicht die wirtschaftliche Macht des chinesischen Regimes und nutzt daher seine Militärmaschinerie, die nicht nur den westlichen imperialistischen Interessen in der Ukraine und in Syrien erhebliche Schläge versetzt, sondern zunehmend auch in anderen Teilen der Welt, wie der Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo, im Sudan und im Jemen etc. zeigt. Russland, zweitgrößte diesbezüglich nach den USA, verkauft aggressiv Rüstungsgüter im Ausland und Skandale um die Verwendung von "leugnenswerten Vermögenswerten" (deniable assets) - militärischer Auftragnehmer entwickeln sich. Eine Gruppe von Söldnern hat sich nun an den Internationalen Strafgerichtshof gewendet, um den Kreml zu zwingen, sie für wie sie sagen hunderte Todesfällen in der Ukraine, Syrien und anderswo, zu entschädigen. Jetzt setzt der Kreml auf Libyen und hofft, dort seinen Erfolg von Syrien zu wiederholen.

Ein Merkmal dieser Zeit ist, dass rechtspopulistische Kräfte in der gesamten transatlantischen Welt auf dem Vormarsch sind, wie die Wahl von Bolsonaro in Brasilien zeigt. Sie sind angeblich der Grund für das Votum für Brexit im Vereinigten Königreich, die Wahl von La Lega und anderen rechten Kräften in Italien sowie für die autoritären Populisten unter deren Kontrolle Ungarn und Polen stehen. Die rechte „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist auf dem Vormarsch. Auch in Österreich, Frankreich, den Niederlanden und Schweden sind Rechtspopulisten gut verankert.

Der französische Präsident Macron hat sogar auf den deutschen Philosophen Hegel und seine Vorstellung von einem "Weltgeist" zurückgegriffen, um dieses Phänomen zu erklären. Trump soll demnach Weltkräfte verkörpern, die er selbst nur zur Hälfte versteht, Instrumente von etwas "Größerem". Napoleon und andere historische Persönlichkeiten mögen ein böses Ende genommen haben, im Falle des "kleinen Korporals" in Form eines Exils, aber sie handelten dennoch, so Macron, als angeblich "unbewusste Instrumente des Fortschritts". Das galt zweifellos für Napoleon, der sich trotz seiner Diktatur auf die Errungenschaften der Französischen Revolution stützte und diese Ideen - die Beseitigung der Überreste des Feudalismus - mit Waffengewalt nach Europa und anderswohin trug. Aber es gibt keinen Vergleich zwischen Napoleon und Trump heute, wobei der eine die selbstbewusste Jugend des Bourgeois repräsentiert und der andere ihren senilen Verfall. Trump, wie auch Macron, handelt in einer Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs und der Stagnation des weltweiten Kapitalismus. Trump und die Rechtspopulist*innen spiegeln die Konterrevolution in allen Bereichen wider: von der Wirtschaft mit einer Politik, die die Reichen auf Kosten der Armen massiv begünstigt, über Angriffe auf den Sozialstaat, die Opposition gegen Waffenkontrollen, die große Teile der Arbeiter*innen und Jugendlichen in den USA empört hat, bis zu demokratischen Rechte etc.

Das Gerede von einem neuen "Bürgerkrieg" in den USA ist gar nicht so weit von der Realität entfernt - aber es wird ein Krieg zwischen den Klassen sein. Dieses Bild ist vielleicht nicht so übertrieben wie es scheint angesichts der jüngsten brutalen Angriffe gegen jene, die er als seine Feinde wahrnimmt. Er beschwört nicht die Revolution, sondern das Gegenteil, die Konterrevolution, und ermutigt die rechten Kräfte in den USA und weltweit; aber auch, ohne es zu wollen, hat das der Linken und den Ideen des Sozialismus einen enormen Impuls gegeben, wodurch die DSA (Democratic Socialists of America, Anm.) auf über 50.000 Mitglieder angewachsen ist und unsere Organisation ihren Einfluss bei Arbeiter*innen und Jugendlichen weiter ausbauen konnte. In den kommenden Monaten und Jahren werden die Chancen für Marxist*innen in den USA noch größer werden.

Der Aufstieg des politisch nebulösen Populismus wurzelt in der Weltwirtschaftskrise von 2007/08 und ihren Folgen. Bürgerliche Analyst*innen, darunter Francis Fukuyama und eine Reihe von Kommentator*innen, spotten darüber, dass es nicht diese Linke, sondern die Rechte war, die am meisten von den politischen Folgen dieser Krise profitierte. Das stellt die Realität völlig auf den Kopf. Die Arbeiter*innenklasse wandte sich in vielen Ländern zunächst einmal der Arbeiter*innenbewegung und der Linken zu, um eine Erklärung und Lösungen für die Krise zu finden. Die Linke hätte angesichts der Schwere der Rezession, die zur Diskreditierung des Kapitalismus und seiner politischen Vertretung führte, erheblich gewinnen können.

Einige Kommentator*innen haben diese Krise in Bezug auf ihre dauerhaften wirtschaftlichen Auswirkungen als schlimmer beschrieben als die Depression der 1930er Jahre. Riesige Bevölkerungsschichten, nicht nur die Arbeiter*innenklasse, sondern auch die Teile der Mittelschicht wandten sich zunächst nach links als sie sich mit der Unmöglichkeit konfrontiert sahen, dass sie und ihre Kinder selbst nur bescheidenen Wohlstand erwerben können. Dazu kommt noch in Folge der Sparpolitik der Rückgang bei menschenwürdigem Wohnen, Bildung und Sozialleistungen. Die Unterstützung für linksreformistische und reformistische Ideen ist in dieser Zeit ebenfalls gewachsen, wie die anfängliche Unterstützung für Bernie Sanders, dann Jeremy Corbyn in Großbritannien und anderen zeigt.

Doch dann erlebten sie vor allem die Sozialdemokratie in Europa und anderswo, die die gleiche Sparpolitik verfolgte, wie die Demokraten in den USA unter Obama und Hillary Clinton. Deren Programm bei den letzten US-Präsidentschaftswahlen war "weiter wie bisher, aber mehr davon". Diese Politik war verantwortlich für die die Öffnung hin zu Trump und ermöglichte es den diversen rechtspopulistischen Kräften in bedeutendem Umfang international Fuß zu fassen. Allerdings steht das langfristige Wachstum der Rechten auf wackeligen Beinen, wie man in Deutschland derzeit beobachten kann. Es stimmt, dass die Rechten und die extreme Rechte bei Wahlen gewonnen haben, aber gleichzeitig haben auch die Grünen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen zugelegt. Außerdem, wie unsere Genoss*innen in ihrem Material aufgezeigt haben, gab es zur gleichen Zeit, in der die Rechten diese Erfolge verbuchte und massive Aufmerksamkeit für ihre Demonstrationen erhielten gleichzeitig noch weit größere linke Demonstrationen - zum Beispiel eine Viertelmillion in Berlin - gegen die extreme Rechte und die rassistischen Angriffe auf Migrant*innen. So hat die Peitsche der Konterrevolution bereits große Teile der Arbeiter*innen, Frauen und Jugendlichen in die Aktivität getrieben.

Schamloser Trump

Trumps Präsidentschaft spielt dieselbe Rolle in den USA, er ist der große unbewusste Lehrer der Arbeiter*innenklasse. Neben der Politik von Trump ist auch die zunehmende Ungleichverteilung von Reichtum der Keim einer neuer "Anti-Kartell"-Bewegungen (die sich gegen Monopole, Kartelle bzw. Großunternehmen richtet, Anm.) in den USA und anderswo. Die US-Midterm-Wahlen 2018 sahen eine hohe Wahlbeteiligung und eine Niederlage für die Republikaner, wobei die Demokraten bei der landesweiten Wahl zum House über 9,6 Millionen Stimmen vorne lagen. Die Republikaner gewannen etwa 45% der Stimmen. Allerdings war diese Wahl mehr gegen Trump als für die Politik der Demokraten.

Diese Anti-Trumpstimmen zeigen, wie er von diesen Revolten untergraben wird, die seit langem in den USA gären und die anwachsen werden. Trumpf ist natürlich kein Faschist; die Bedingungen für ein solches Regime gibt es derzeit nirgendwo auf der Welt, auch nicht in den USA oder gar in Brasilien mit dem Amtsantritt des Möchtegern-Bonapartisten, Bolsonaro. Trump ist ein Vertreter der "Nach-der-Wahrheit" Reaktion, die in der letzten Zeit als die Politik der "großen Lüge" bekannt war. Er erzählt nicht bloß gelegentliche die Unwahrheit, sondern lügt systematisch. Die Demokratische Partei ist nun die Partei des "Verbrechens", die droht, "die USA in ein weiteres Venezuela zu verwandeln". Mit solchen Methoden bereitet er den Boden für eine starke Radikalisierung und fügt hinzu: "Wenn du nicht für mich stimmst, droht der Sozialismus" - was Sozialismus für Millionen nur noch attraktiver macht!

Natürlich lügen bürgerliche Politiker systematisch, aber Trump übertrifft sie alle. Bei einer der letzten Rallyes wurde geschätzt, dass es 74 nachweisbare Unwahrheiten gab! Mit dem systematischen Aufbau einer Hetzkampagne gegen alle Gegner*innen sind nun die ersten Versuche des rechten Terrorismus erfolgt.

Dieser obszöne, verwöhnte Großbürgerliche, der im Alter von acht Jahren (!) offiziell Millionär war, schaffte es, einen Wahlsieg mit drei Millionen Stimmen Rückstand auf Hillary Clinton zu erzielen, aufgrund der Tatsache, dass die amerikanische Verfassung und die Wahlkreiseinteilung Ergebnisse verzerrt. Bernie Sanders hätte, wenn er nicht vom Establishment der Demokraten blockiert worden wäre, laut Umfragen Trump geschlagen. In Abwesenheit eines echten linken Kandidaten konnte sich Trump erfolgreich als Verfechter der "Abgehängten" ausgeben, insbesondere in den deindustrialisierten Gebieten, dem so genannten "Rustbelt". Sein Angriff auf NAFTA und "Globalisierung" fand und findet immer noch Anklang bei arbeitslosen Arbeiter*innen die empört darüber sind, dass Industriebetriebe in andere Länder mit niedrigeren Löhnen verlagert wurden. Diese Entwicklung hatte dazu geführt, dass die Arbeiter*innen in diesen Gebieten in Armut und Verzweiflung festsitzen. Sogar seine Angriffe auf China und andere, die angeblich die US-Industrie "vergewaltigten", ihre Technologie und ihre Märkte stehlen, wurden von vielen Arbeiter*innen und der Mittelschicht bei den jüngsten Wahlen geteilt, und nicht alle waren Rechte. Dies ist verbunden mit Trumps utopischem Versprechen, die USA "wieder großartig" zu machen. Dies ist nicht das erste Mal in der Geschichte der USA, dass ein populistischer Demagoge in der Lage war, Teile der Bevölkerung eine Zeitlang zu täuschen.

Etwas Ähnliches gab es in Großbritannien, und es besteht immer noch, wenn ein Drittel der Arbeiter*innenklasse regelmäßig dazu verleitet wurde, bei Wahlen die Tories zu unterstützen, weil eingeredet wurde, dass diese als "Geschäftsleute" die Funktionsweise des Systems, des Kapitalismus, besser verstehen und daher eine sicherere Wahl wären als die Labour-Führung die sich nur einmischt! Mit dem Niedergang des britischen Kapitalismus und den daraus resultierenden Hammerschlägen auf den Lebensstandard ist diese Wähler*innenbasis nun weitgehend ausgehöhlt, da alle Teile der Arbeiter*innen- und Mittelschicht die Realität der brutalen Kürzungen spüren.

Absurderweise antwortete Trump auf die Frage nach dem Unterschied zwischen ihm und seinen Anhängern, dem so genannten "weißen Abfall" (white trash) - Slang für weiße Arbeiter*innen - dass "sie wie ich sind, nur arm". Trump erbte 400 Millionen Dollar von seinem Vater und ist Nummer 259 auf der Forbes-Liste der Superreichen! Der Konflikt um den Kandidat für den Obersten Gerichtshofs, Kavanaugh, hat nicht nur zu einer enormen sozialen Spaltungen geführt, die Frauen massiv entfremdet hat sondern auch in den gesamten USA ein Gefühl der Abscheu hervorgerufen.

Indem er seine Speichellecker mit aller Gewalt in den Obersten Gerichtshof bringt ist der erste Schritt von Trump getan um das Recht auf Abtreibung in den USA einzuschränken. Der großartige Aufstand der irischen Arbeiter*innenklasse gegen die Relikte der katholischen feudalen und halbfeudalen Reaktion v.a. im Sozialsektor, bei dem unsere Genoss*innen eine führende Rolle gespielt haben, kann in den USA, in Spanien und Argentinien wiederholt werden und Massenunterstützung von anderen Sektoren der Arbeiter*innenklasse erhalten. Der jüngste Streik von Arbeiterinnen in Glasgow (Schottland) für gleiche Bezahlung hatte aktive Unterstützung durch ihre Brüder, die männlichen Abfallarbeiter.

Revolutionen können oft mit der Bewegung der am stärksten unterdrückten Schichten beginnen, was besonders von den Frauen in der Russischen Revolution gezeigt wurde. Sie können handeln, bevor die schweren Bataillone der Arbeiter*innenklasse in den Kampf ziehen und sogar zu einem Leuchtfeuer und Katalysator für sie werden. In diesem Sinne können die gegenwärtigen Bewegungen von Frauen mächtige Vorläufer für eine Periode der Revolution sein, sogar und gerade in den USA. Es gibt aufgestaute Wut und Frustration, die sich über Jahrzehnte unter Frauen aufgestaut hat, die Arbeiter*innenklasse und Jugendliche werden aktiv im Kampf um die Verschuldung von Studierenden, wegen des US-Kapitalismus und Trumps Zugang zu Waffen, wegen niedriger Löhne und vieler anderer sozialer Fragen. Wir können unsere größten Durchbrüche erzielen, solange wir unsere Taktik und Orientierung in den USA und anderswo richtig setzen.

Die neokoloniale Welt - Lateinamerika, Afrika und Asien - steht in der nächsten Zeit noch intensiveren wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen gegenüber. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen Charakter dieser Krise, die es nicht zulässt, dass eine zentrale Region den Leiden des krisengeschüttelten Kapitalismus entkommt. Das drückt sich aus durch die verzweifelte Menge von Flüchtlingen aus allen diesen Kontinenten, sei es aus dem Nahen Osten und Afrikas südlich der Sahara oder jetzt aus durch Drogen zerrissenen Ländern Lateinamerikas, in denen Millionen verzweifelt nach "Frieden" und einem "besseren Leben" für sich und ihre Familien suchen. Sie sind auf die harte Faust des Trump-Regimes gestoßen, das kein Problem damit hat, Säuglinge und kleine Kinder von ihren Eltern zu trennen, auch nicht für längere Zeit. Selbst Trumps Frau gibt vor, über die bösartige Grausamkeit des Weißen Hauses "verärgert" zu sein. Es sei darauf hingewiesen, dass dieser Prozess zuerst von Obama eingeleitet wurde, der eine Rekordzahl von "illegalen" Einwanderern aus den USA abschob!

Nach der Weltwirtschaftskrise 2007/08 kam es zu einer gewissen Verlagerung von Kapitalinvestitionen aus den krisengeschüttelten entwickelten kapitalistischen Ländern in die "aufstrebenden" - jetzt abstrebenden - Länder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, was Erwartungen in einen erheblichen wirtschaftlichen "Aufschwung" weckte. Diese Hoffnung hat sich nun in der neokolonialen Welt in Luft aufgelöst. Das Versprechen, dass der Lebensstandard der "1. Welt" in Reichweite der Massen liegt, wurde durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch und einer Situation mit Elementen von Barbarei ersetzt.

Der Sieg Bolsonaros

Kein Land verkörpert das mehr als Brasilien, das größte und am stärksten industrialisierte Land in Lateinamerika. Der Sieg Bolsonaros bei den jüngsten Präsidentschaftswahlen repräsentiert eine neue Form des Rechtspopulismus, der eindeutig beabsichtigt über eine Art militarisierten parlamentarischen Bonapartismus zu herrschen. Unglücklicherweise wurde der Boden dafür durch Scheitern und Fehler von Lulas PT bereitet. Die massive Korruption, die Brasiliens Gesellschaft prägt, wird für große Teile der Massen durch die PT Regierungen Lulas und Dilmas symbolisiert.

Messbar wird dieser fürchterliche Kollaps u.a. darin, dass Brasilien 2018 ebenso viele Morde, meistens mit Drogen in Zusammenhang stehenden, verzeichnet wie im jährlichen Durchschnitt der syrische Bürger*innenkrieg. Dies führte bereits vor der Wahl zur Intervention der Armee, nun legitimieren die Wahlergebnisse ihren möglichen Einsatz auf breiter Ebene gegen soziale Massenbewegungen. Selbst unter Schichten, die in der Vergangenheit links gewählt haben und das dieses Mal auch hätten tun sollen, wie Frauen und ein Teile der LGBTQI Community, macht sich ein Verlangen nach wenigstens irgendeiner Art von Ordnung breit. Sie werden, ebenso wie die breiteren Massen, das Segel herumreißen angesichts der Verfolgung und Morde die kommen werden, etwa durch Todesschwadronen von denen die Rechte bereits gesprochen hat.

Bolsonaro hat die letzte Militärdiktatur (1964-1985) offen unterstützt. Er preist Folter und beabsichtigt die Ausrottung des „Kommunismus“ - damit meint er Demokratie und Arbeiter*innenrechte – inklusive Maßnahmen gegen Gewerkschaften. Unsere Organisation hat zur Bildung von Komitees für den Massenwiderstand gegen die offen militaristischen und faschistischen Elemente aufgerufen, denen ein Freibrief für eine mörderische Kampagne gegen Linke, Mitglieder der LGBTQI Community und kämpferische Arbeiter*innen ausgestellt werden wird. Unsere brasilianische Organisation hat in der jüngsten Vergangenheit jenen Teil der Linken kritisiert, die bei dem reaktionären – und erfolgreichen – Plan, Dilma durch einen undemokratischen parlamentarischen Putsch von der Macht zu entfernen eine neutrale Position einnahmen. In dieser Situation argumentierten wir für Elemente einer Einheitsfronttaktik, bei der wir, mit Lenins Worten, einen „Waffenstillstand“ mit der PT nutzen könnten, um uns den hinter zuerst Temer und jetzt Bolsonaro versammelten Kräften der Reaktion zu widersetzen.

Die Bourgeoisie blickt wehmütig auf die erst 1985 beendete Militärdiktatur in Brasilien zurück. In den letzten Jahren haben sie sich durch einen größtenteils parlamentarischen „langsamen Putsch“ vorgewagt, der in mehreren Stufen erreicht wurde: Erstens mit der Entfernung der von der PT gestellten Präsidentin Dilma und dann der Verhaftung von Lula selbst, dem Gründer der Partei, auf Basis von Korruptionsvorwürfen. Ohne die Korruption der PT zu verteidigen, haben unsere Genoss*innen darauf hingewiesen, dass jene, die die PT beschuldigen selbst bis zum Hals noch viel tiefer in der Korruption stecken!

Wir alle müssen Lehren aus den Geschehnissen in Brasilien ziehen, vor allem die revolutionären Kader im Land und in ganz Lateinamerika. Zweifelsohne haben viele von ihnen berechtigte Befürchtungen, die Einführung einer Militärdiktatur oder sogar des „Faschismus“ könnte in Brasilien unmittelbar bevorstehen. Zweifellos gibt es Elemente davon in dieser Situation, bei der das neue Regime sich vor allem auf außerparlamentarische und militärische Maßnahmen stützen könnte, um die Linke anzugreifen und zu schwächen. Wie wir jedoch zuvor schon erklärt haben, hat dieses Regime keine ausreichende soziale Basis – eine massenhafte Mittelklasse die mobilisiert werden könnte um die Arbeiter*innenklasse zu atomisieren – um diese Regierung zu konsolidieren oder gar ein starkes Militärregime ähnlich dem der letzten Militärjunta aufzubauen, geschweige denn Faschismus.

Außerdem könnte die Machtergreifung wie ein Donnerschlag wirken, der die Arbeiter*innenklasse in Brasilien und ganz Lateinamerika aufweckt und ihr jene Gefahr vor Augen führt, der sie wirklich gegenüberstehen. So kann die Basis für Massenmobilisierungen gelegt werden. Unsere Kräfte müssen bei diesem Prozess an vorderster Front stehen, unter Nutzung der Massenparteien wie vor allem der P-SOL und müssen die obdach- und landlosen Bewegung MTST verteidigen, die Bolsonaro in seiner Wahlkampagne als „Terroristen“ bezeichnete, ein Signal für Attacken und Morde an MTST Aktivist*innen. Ereignisse in Brasilien, dem wichtigsten und größten Land Lateinamerikas werden auf dem ganzen Kontinent und weltweit genauestens beobachtet werden. Wir müssen alles tun, sowohl politisch als auch materiell, um unsere Genoss*innen in diesem zentralen Kampf zu unterstützen.

Argentinien liegt in Bezug auf die Konflikte zwischen den Klassen nicht weit hinter Brasilien. Im März 2019 ging ganz Argentinien auf die Straße, von Buenos Aires bis in alle Ecken des Landes. Es handelte sich um einen Protest gegen die neoliberale Politik der reaktionären Macri Regierung. Einst das neuntreichste Land der Welt, durchlief Argentinien einen Prozess von Zusammenbruch und Instabilität. Macri kam als bürgerliche Lösung für die chronische Instabilität, die das Land plagt, an die Macht. Schon innerhalb der ersten Monate war er mit einem Generalstreik gegen seine Kürzungen konfrontiert. Dennoch führte er seine Gegen-Reformen weiter, wenn auch mit dem Versuch ihre Auswirkungen abzuschwächen. Es kann jederzeit zu einer sozialen Explosion kommen; ein Zeichen für die Radikalisierung in dem Land ist der Wahlerfolg der FIT (Frente de Izquierda y de los Trabajadores – „Linke Arbeiter*innenfront“). Das ist eine Koalition von verschiedenen trotzkistischen Organisationen mit einer kleinen Anzahl Abgeordneter im Parlament. Wir haben auch Diskussionen mit einer der an der Koalition teilnehmenden Parteien PTS geführt, in der wir argumentierten, dass sie einen breiteren Ansatz wählen sollten, unter Einschluss linker Kräfte innerhalb des Peronismus, der immer noch großen Einfluss auf erhebliche Teile der argentinischen Arbeiter*innenklasse hat.

Die Wahl von AMLO in Mexiko ist ein historischer Wendepunkt. Mexiko ist zentral für Entwicklungen in ganz Zentral- und Lateinamerika, aber auch in den USA. Allerdings steht es nicht im gleichen Stadium des Klassenkampfes wie andere lateinamerikanischen Ländern wie Brasilien, Venezuela, Ecuador, usw. AMLO ist nach rechts gerückt und versucht sowohl den mexikanischen Kapitalismus als auch den US-Imperialismus zu besänftigen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass AMLO unter den Auswirkungen großer Wirtschaftskrisen oder sozialer Umbrüche dazu gezwungen wird, an einem bestimmten Punkt wieder eine radikalere Richtung einzuschlagen und einige Schläge gegen die herrschende Klasse auszuführen. Doch das ist nicht sicher. Jedenfalls öffnet seine Wahl ein neues Kapitel des Kampfes, wie bereits von der enormen Bewegung der Studierenden an der Universität UNAM gezeigt wurde, in welcher unsere Genoss*innen hervorragend intervenierten. Die Fehler anderer linker Regierungen in Venezuela, Brasilien, usw. sind eine Warnung für die mexikanischen Massen. Unsere mexikanischen Genoss*innen werden in der jetzt beginnenden Periode eine wichtige Rolle und große Möglichkeiten haben.

Wir haben auch einflussreiche Kräfte in Chile und Kontakte über den ganzen Kontinent. Besonders wichtig ist die aktuelle Situation in Venezuela. Im Land mit den weltweit größten Erdölreserven wäre ein anderer Weg möglich gewesen, hätte Hugo Chavez ein mutiges sozialistisches Programm umgesetzt; dafür hätte es begeisterte massenhafte Unterstützung im Land und am ganzen Kontinent gegeben. Jene, die Illusionen in Chavez geschürt haben, der größtenteils im Rahmen des venezuelanischen und weltweiten kapitalistischen Marktes blieb, anstatt sich für eine Verbreitung der Revolution in der ganzen Region und international einzusetzen, tragen eine gewisse Verantwortung für die aktuelle Situation. Trump, die britische und die weltweite Bourgeoisie wollen das aktuelle Chaos in Venezuela ausnutzen um die Idee des Sozialismus zu diskreditieren: „Corbyn verkörpert den gleichen Ansatz wie Chavez und wird für die gleichen desaströsen Ergebnisse sorgen,“ behaupten etwa die britischen Tories. Man bräuchte nur „Corbyn“ durch „die Demokraten“ ersetzen und bekommt die gleiche Botschaft von Donald Trump.

Die Tode von Fidel Castro und Chavez stehen symbolisch für das Ende einer Ära, die durch den Durchbruch der kubanischen Massen und die Etablierung eines Arbeiter*innenstaates in Kuba geprägt war – auch wenn dieser nicht direkt unter der Kontrolle und Verwaltung eines Systems der Arbeiter*innendemokratie steht – der aber einen Vorgeschmack darauf gab, was auf Basis einer Planwirtschaft in einem unterentwickelten Land möglich ist: ein Gesundheitssystem und große Verbesserungen im Lebensstandard der Arbeiter*innen, bevor die imperialistische Blockade begann.

Es ist bisher eine offene Frage, ob Kuba nun dem Druck des Kapitalismus standhalten kann. In Ermangelung einer politischen Revolution können die Forderungen einer neuen Generation von Kubaner*innen nach „Demokratie“, Reisefreiheit und Zugang zu Konsumgütern ein mächtiger Anziehungspunkt für eine Generation werden, die nur mehr lose Verbindungen mit den heroischen Kämpfen der Vergangenheit hat. Für Sozialist*innen, Marxist*innen und die Arbeiter*innenklasse ist jeder Schritt hin zur Wiederherstellung des Kapitalismus in Kuba ein Rückschritt. Außerdem werden die Bedingungen einer neuen kapitalistischen Krise und ihrer Vertiefung in Lateinamerika auch in Kuba deutlich fühlbar sein, was zum Aufhalten oder der Umkehrung der Entwicklungen in Richtung einer Wiederherstellung des Kapitalismus in Kuba führen kann.

Die Krise in Lateinamerika und der gesamten neokolonialen Welt ist so akut, dass neue Durchbrüche gegen Kapitalismus und Großgrundbesitz möglich werden, welche selbst die großartige kubanische Revolution in den Schatten stellen könnten. Der große Flüchtlingszug von Guatemala in die USA ist symptomatisch. Wie groß werden erst die Effekte einer neuerlichen Rezession oder Krise sein, die schließlich zu revolutionären Umbrüchen in Lateinamerika und der neokolinalen Welt führen wird.

Das CWI muss die positiven Aspekte aus der Erfahrung der kubanischen Planwirtschaft mitnehmen, jedoch zur gleichen Zeit darauf pochen, dass die neuen „Kubas“ unbedingt ein System der Arbeiter*innendemokratie auf jedem Level des Arbeiter*innenstaates als Voraussetzung für jeglichen Übergang des Kapitalismus in die Anfänge des Sozialismus brauchen. Wir sollten das immer verbinden mit der internationalen Perspektive einer sozialistischen Föderation Lateinamerikas und einer sozialistischen Weltföderation.

Syrien

Im Nahen Osten befindet sich der Syrienkrieg in seiner letzten militärischen Phase mit der bevorstehenden blutigen Niederlage und der Vertreibung der letzten größeren jihadistischen militärischen Strukturen. Das geschieht auf Kosten einer erheblichen Zerstörung nicht nur Syriens, sondern auch seiner Nachbarländer, die von Hunderttausenden wenn nicht Millionen von Flüchtlingen überschwemmt wurden. Eine friedliche und stabile Entwicklung in der Region kann auf kapitalistischer Basis ausgeschlossen werden. Es wird einige Zeit dauern, bis in diesen Ländern zumindest ein Fünkchen Zivilisation wieder erglimmt, inklusive einer funktionierenden Arbeiter*innenbewegung.

Indessen stellen die Streiks und Proteste im Iran im vergangenen Jahr eine wichtige Entwicklung beim Wiederaufbau einer unabhängigen Arbeiter*innenbewegung dort dar. Besonders bedeutend sind die jüngsten Forderungen der Arbeiter*innen der Haft-Tappeh Fabrik nach Wiederverstaatlichung ihrer Firma unter Arbeiter*innenkontrolle.

Das Trump Regime garantiert mit seinem Austritt aus dem Atomdeal und den weiteren Sanktionen gegen sowohl den Iran, als auch alle die es wagen mit ihm zu handeln, für weitere chronische Instabilität und eine Vergiftung der Beziehungen zwischen USA und Iran. Das wird Auswirkungen auf den gesamten Nahen und Mittleren Osten haben. Es wird nicht, wie Trump anscheinend glaubt, die „liberale“ Opposition – geschweige denn die Arbeiter*innenbewegung, die unabhängig Schritte gegen das Regime setzt – darin bestärken ihre Opposition gegen die herrschende Gruppe der Mullahs und Revolutionsgarden, die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichert, zu erhöhen. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Gegner*innen des Regimes davor zurückschrecken werden, jemanden wie Trump die Tür zu öffnen der für die Unterstützung von Israel, Saudi Arabien und dem „sunnitischen Block“, den Gegnern des hauptsächlich schiitischen Iran, steht. Der militaristische, interventionistische, neokonservative John Bolton, Trumps nationaler Sicherheitsberater, hat längst öffentlich seine Pläne zugegeben, im Iran einen Regimewechsel anzustreben und das Rad der Zeit zurück zu den Tagen des Schah-Regimes zu drehen!

Der widerliche Mord und die Zerstückelung von Jamal Kashoggi, der zu einer zentralen Figur der bürgerlichen Opposition geworden war, in der Türkei durch das blutrünstige saudische Regime, beweist ein weiteres Mal den mörderischen Charakter des halbfeudalen Regimes in dem Land. Mohammad bin Salman (MBS), dessen Initialen angesichts der gruseligen Geschehnisse rund um den Mord auch für „Mister Bone Saw“ (Knochensägenmann) stehen könnten, hat Saudi Arabien fest im Griff! Schon letztes Jahr wurde der libanesische Premierminister entführt und erst wieder freigelassen, als er sich den saudischen Forderungen beugte! Auch der türkische Präsident Recip Erdoğan ist ein Heuchler, wenn er das saudische Regime für seine Rolle in dem grausamen Mord beschuldigt, und doch selbst zehntausende Lehrer*innen, öffentlich Bedienstete und Journalist*innen ohne ordentliche Gerichtsverfahren wegen deren angeblicher Verbindungen mit dem Putsch„versuch“ von 2016 ins Gefängnis gesteckt hat.

Erdogan geht es vor allem darum, seine eigene Rolle als Rivale um die Führung des sunnitischen Blocks zu stärken. Er hat nicht die volle Wahrheit über die Hinrichtung veröffentlicht, um Zugeständnisse von den Saudis zu erzwingen. Innerhalb von vier Monaten hat das saudische Regime 48 Menschen köpfen und weitere 150 hinrichten lassen sowie das öffentliche Auspeitschen von Regimegegner*innen wieder eingeführt. Selbst die Aristokrat*innen und Vertreter*innen der Bourgeoise die das Regime unterstützen, fürchten angesichts des unvorhersehbaren Verhaltens von MBS um ihr Leben. Sie würden einen Versuch, ihn in die Schranken zu weisen, wohl unterstützen. Die USA wiederum profitieren vom saudischen Öl und vom Verkauf riesiger Mengen militärischen Materials. Sie hoffen auf die Quadratur des Kreises und wünschen sich die Handlungen der brutalen herrschenden Bande einfach weg, um weitermachen zu können wie bisher.

Während wir Sozialist*innen natürlich jeden Mord an Gegner*innen des saudischen Regimes verurteilen, sind wir weit mehr besorgt wegen des blutigen und widerwärtigen Genozids am praktisch wehrlosen jemenitischen Volkes durch die blutrünstige Gruppe der herrschenden Saudis. Mit seinen wahllosen Bombardierung und einem Lebensmittelembargo über ein Land, in dem 8,5 Millionen Menschen von ausländischen Nahrungslieferungen abhängig sind, bringt das saudische Regime 6,5 Millionen Menschen in akute Lebensgefahr. Die Proteste im September 2018, sowohl in den vom Saudi-gestützten Regime gehaltenen Gebieten als auch in jenen des oft korrupten Houthi Regimes, waren kleine aber wichtige Entwicklungen in Richtung des Aufbaus einer unabhängigen Bewegung der Arbeiter*innen und Armen, ebenso wie die diesjährige Gründung einer unabhängigen Gewerkschaft der Beschäftigten im Energiesektor, die sich seit langem in einem Kampf um die Auszahlung ausstehender Löhne befinden.

Der Konflikt zwischen den Palästinenser*innen und dem israelischen Regime, in dem den Palästinenser*innen selbst grundlegende Rechte verweigert werden, geht weiter mit regelmäßigen blutigen Ausbrüchen. Unsere Sektion in Israel/Palästina hat heroische Versuche unternommen, um einen Zugang zu den unterdrückten palästinensischen Arbeiter*innen zu finden. Sie halten die Flamme der Klasseneinheit aufrecht, die sich ab einer bestimmten Phase in Israel, durch die palästinensischen Gebiete bis in die gesamte arabische Welt wieder selbst entflammen wird. Weder ist das Beispiel des „Arabischen Frühlings“ von 2011 tot, noch sind es die Lehren dieser großen Ereignisse, welche nicht nur die arabische Welt sondern auch die hochentwickelten Industrieländer erschütterten.

Nigeria und Südafrika sind die wichtigsten Sektionen des CWI in Afrika. Die Wahl Buharis (in Nigeria, Anm.) im Jahr 2015 war die erste demokratische Machtübergabe von einer Partei zur anderen in der nigerianischen Geschichte. Er wird als anders gesehen. Es gab Illusionen, die auch von Gewerkschaftsführer*innen geschürt wurden, Buhari würde die in Nigeria vorherrschende Korruption beenden, die sich durch den ganzen afrikanischen Kontinent zieht. Jetzt könnte er 2019 vor einer Wahlniederlage stehen.

Die nigerianische Wirtschaft schrumpft

Im Jahr 2016 schrumpfte die nigerianische Wirtschaft zum ersten Mal seit 25 Jahren bei einer offiziellen Inflation von 18%, doch für viele Menschen war der Preisanstieg für lebensnotwendige Güter weit höher. Wie in vielen der neokolonialen Länder, und auch in zunehmendem Maße in wirtschaftlich fortgeschritteneren Ländern, wird vielen Arbeiter*innen ihr Gehalt schon seit einigen Monaten nicht mehr ausbezahlt, besonders im öffentlichen Sektor von über 20 Ländern. Diese Bedingungen erzeugten massive Unzufriedenheit so dass sich die Gewerkschaftsführung gezwungen sah, in den Jahren 2000 bis 2012 neun Generalstreiks auszurufen. Da die Massenmobilisierungen allerdings ohne Endergebnisse blieben, nahm die Unterstützung von immer mehr dieser Generalstreike ohne klare Ziele immer weiter ab. Die ökonomische Krise führte, verbunden mit dem Versagen der Gewerkschaftsführung, einen Ausweg aufzuzeigen, zu einem Anstieg nationaler und religiös motivierter Spannungen, insbesondere im Nord-Osten, wo sich die islamistische Terrororganisation Boko Haram befindet und wiederholt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen muslimischen Hirten und vornehmlich christlichen Ackerbauern in Zentralnigeria. 2018 wurde teilweise erfolgreich zu einem Generalstreik aufgerufen, der die Erhöhung des Mindestlohns forderte - die Gewerkschaftsführung sagte diesen aber auf der Grundlage von Verhandlungsversprechen ab, die bisher allerdings nichts gebracht haben.

Ein zentrales Thema ist, wie auch in vielen anderen afrikanischen Ländern, der Kampf dafür, einen politischen Referenzpunkt für die Arbeiter*innenklasse aufzubauen. Es gab bereits Versuche eine solche Partei zu organisieren, diese scheiterten allerdings oder waren lediglich halbherzig. In den 1990er und frühen 2000er Jahren gab es eine Periode, wo die radikale NCP (National Conscience Party), in der wir ebenfalls eine Schlüsselrolle spielten, in der Lage war, Teile der Arbeiter*innenklasse und der Armen sowohl in Kämpfen, wie auch auf der Wahlebene zu mobilisieren.

Diese Partei brach zusammen, doch das hinderte unsere Genoss*innen nicht daran, jene Partei, die die Gewerkschaftsführung selbst ins Leben gerufen hatten sich dann aber weigerte, sie aufzubauen, zumindest in Richtung Grundlagen für eine neue Arbeiteri*innenpartei zu entwickeln. Die jüngsten Bemühungen sind die Organisierung der Sozialistischen Partei Nigerias (SPN), die zunächst vielleicht keine große Stimmenzahl gewinnen wird, der nigerianischen Arbeiter*innenklasse allerdings eine echte Alternative bieten kann, sobald sie Wurzeln geschlagen hat.

„Ramaphoria“

Nach dem Sturz von Zuma in Südafrika übernahm Cyril Ramaphosa das Präsidentenamt. Die Begeisterung für Ramaphosa ("Ramaphoria") war allerdings ein sehr begrenztes Phänomen. Letztlich war die Korruption der Zuma-Jahre ein Symptom des verfaulten südafrikanischen Kapitalismus und nicht seine zugrunde liegende Ursache. In grundlegenden Fragen bietet Ramaphosa dieselbe alte neoliberale Politik an. Die Wirtschaft stagniert weiter und es gibt seit seinem Amtsantritt zehntausende neue Arbeitslose. Ramaphosa wird auch als “Schlächter von Marikana“ bezeichnet. (Anm.: Im August 2018 ließ er Polizisten in Marikana auf streikende Bergarbeiter schießen, wobei 34 Bergarbeiter getötet wurden.)

Unsere südafrikanische Sektion hat sich eine kleine, aber wichtige Basis in den Gewerkschaften aufgebaut und arbeitet in der neu gegründeten Südafrikanischen Gewerkschaftsvereinigung (SAFTU). Wir haben eine Schlüsselrolle dabei gespielt, eine große Diskussion rund um die Gründung einer neuen Massenarbeiter*innenpartei innerhalb dieses Verbands aufzuwerfen. Bezeichnenderweise hat die Föderation, bei der wir wieder eine wichtige Rolle spielen, in einem Working Class Summit (WCS – zu Deutsch: Arbeiter*innengipfel) eine Schicht von Gemeinde- und Jugendorganisationen sowie andere Kampagnen um sich organisiert. Sowohl Saftu als auch das WCS haben Resolutionen zur Unterstützung der Gründung einer neuen Arbeiter*innenpartei verabschiedet.

Ein verkomplizierender Faktor dabei stellt die Entschlossenheit eines Teils der Führung der Metallarbeiter*innengewerkschaft NUMSA dar, ihr eigenes sektiererisches stalinistisches politisches Projekt - die Socialist Revolutionary Workers Party (SRWP) - voranzutreiben. Dies wurde isoliert von und in Konkurrenz zu dem umfassenderen, demokratischeren und allgemein politisch gesünderen Prozess getan, der sich um SAFTU herum abspielt.

Es besteht die Gefahr, dass die SRWP zu einem weiteren Hindernis für eine breite Einheit der Arbeiter*innenklasse wird, die zu diesem Zeitpunkt durchaus möglich wäre und was jeder Neubildung die größte Chance auf einen Durchbruch geben würde. Wir sind überzeugt, dass nur ein offener und demokratischer Prozess, der auf der Grundlage einer föderalen Struktur aufgebaut ist, andere Formationen der Arbeiter*innenklasse dazu bringen kann, sich rechtzeitig für die Parlamentswahlen 2019 unter einem Banner zu vereinen.

China

In China steht Xi Jinpings Regime nur wenige Monate nach seiner „Krönung“ als lebenslanger Herrscher vor den schwersten Prüfungen. Massenunruhen sind ausgebrochen, an denen zehntausende Armeeveteranen, Muslime, Opfer von zusammengebrochenen Finanzunternehmen und der Bedrohung neuer Umweltverschmutzung beteiligt waren. Es gibt eine ausgeprägte politische Radikalisierung unter chinesischen Jugendlichen und eine offenere Kritik des Regimes wegen der starken Zensur im Internet. In der städtischen Mittelschicht, früher eine wichtige Basis von Xi‘ Unterstützung, ist die Unzufriedenheit wegen der Einschränkung der Freiheit mittlerweile weit verbreitet. Am wichtigsten ist jedoch, dass die wachsende Welle von (nicht gewerkschaftlich organisierten) Arbeitskämpfen mit dem Aufkommen von provinzübergreifenden Streiks von Kranführern, Lieferarbeitern, LKW-Fahrern und anderen Arbeiter*innen ein neues Niveau erreicht hat.

Im Kampf der Jasic-Arbeiter*innen in Südchina haben unsere chinesischen Genoss*innen, unterstützt durch Solidaritätsaktionen der gesamten Internationale des CWI, eine wichtige Intervention vorgenommen. Unsere Forderungen nach unabhängigen Gewerkschaften gegen die "Polizeigewerkschaft" des Regimes gewinnen ein Echo unter einer sehr bedeutsamen Schicht Jugendlicher die sich nach links bewegt, die sich als "Marxist*innen" und "Revolutionär*innen" sehen und sich auf Konfrontationskurs mit dem Regime befinden.

Asien wurde von Naturkatastrophen, ausgelöst durch den Klimawandel, sowie von der Verlangsamung des weltweiten Wachstums getroffen. Pakistan befindet sich in einer tiefen Wirtschaftskrise und hat sich für Rettungsschirme an Saudi-Arabien und China gewandt und sucht erneut Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds (nachdem dieser bereits 13 solcher Rettungsschirme gewährt hatte) verbunden mit den unvermeidlichen harten Bedingungen einer solchen Darlehnsvergabe.

Dies ist das "Geschenk" – ein auswegloses wirtschaftliches Szenario - das dem kürzlich gewählten Premierminister und ehemaligen Kricketstar Imran Khan präsentiert wurde. In weiten Kreisen wird die Wahl von Khan als jene eines Vertreters der militärische Elite gesehen, die Pakistan de facto in den 70 Jahren seines Bestehens, wenn auch hauptsächlich von hinter den Kulissen, regiert hat. In jüngster Zeit ist das Land auch von Chinas „Belt-and-Road“ Projekten bei der Infrastrukturentwicklung und dem Bau eines großen Hafens im Südwesten des Landes abhängig geworden. Pakistan stehen große Umbrüche bevor, welche uns Möglichkeiten bieten werden zu wachsen, besonders aber für die Entwicklung einer neuen Massenpartei. Gleichzeitig stellen jüngsten Proteste von rechten Fundamentalist*innen gegen Blasphemie eine anhaltende Warnung vor reaktionären Kräften dar.

Indien gilt als die am schnellst wachsende Wirtschaft der Welt mit einer "stabilen Regierung", allerdings hat Indien, um den Schwellenländern beitreten zu können, eine gehörige Tracht Prügel beziehen müssen, wie die Financial Times kommentierte.

In diesem Jahr ist die indische Rupie gegenüber dem Dollar um 15% gefallen. Doch die indische Wirtschaft und die Regierung von Modi konnten die Abwertung der Währung nicht nutzen, um die Verkäufe auf den internationalen Märkten zu steigern. Dies spiegelt die Schwäche des indischen Kapitalismus wider, und es gibt Anzeichen, dass die reale Situation von der Regierung vertuscht wurde. Modis Versprechen, Qualitätsjobs zu schaffen, sind das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurden. Nur eine Handvoll Jobs wurden geschaffen, und angesichts der riesigen Anzahl junger Menschen, die in den Arbeitsmarkt drängen, sind Aufstände und Proteste vorprogrammiert. Unsere Kräfte werden Teil dieser Bewegungen sein auch um unsere Stärke und unseren Einfluss zu steigern.

Auch Malaysia sieht sich nach den Wahlen, bei denen Najib Razak und seine Partei UMNO erstmals seit der 57-jährigen Unabhängigkeit von Großbritannien der Macht enthoben wurden, Umbrüchen gegenüber. Die neue Regierung wird vom 93-jährigen ehemaligen UMNO Premierminister Mahathir Mohammed geführt.

Es gibt keine brauchbare Massenpartei der Arbeiter*innen und die Forderung für eine solche ist die wichtigste Propagandawaffe für unsere Sektion in Malaysia. Wir versuchen auch eine solide Basis in Indonesien und anderorts in Asien aufzubauen.

Unsere Genoss*innen in Sri Lanka kämpfen gegen große Widrigkeiten - das Erbe des kommunalistischen Bürgerkriegs (Anm. zwischen tamilischer und singhalesischer Bevölkerung) und die schwierige wirtschaftliche Lage haben eine signifikante Auswirkung auf die Massen - nichtsdestotrotz spielen sie eine wichtige Rolle. Im Oktober wurde das Land in eine Verfassungskrise gestürzt, bei der der Präsident den demokratisch gewählten Ministerpräsident Ranil Wickremasinghe „entlassen“ und durch den nicht gewählten singhalesischen Chauvinisten und früheren Präsidenten Rajapaksa ersetzt hat. Während dieses Dokument geschrieben wird ist der Konflikt nicht beigelegt und könnten ernsthafte, eventuell auch gefährliche rassistische Konfrontationen ausbrechen.

Obwohl Australien geographisch in Asien liegt, ist es wirtschaftlich ein „1. Welt“- Land, das seit über 25 Jahren eine "angenehme" Situation, einen Boom, erlebt. In jüngster Zeit gab es jedoch große Demonstrationen gegen niedrige Löhne, bei denen im Oktober in Melbourne über 100.000 Menschen zusammenkamen, was auf eine schiefe wirtschaftliche Entwicklung hindeutet, die der in Europa, den USA und dem Rest der "entwickelten Welt" ähnelt.

Deshalb ist das "Glücksland" vielleicht in Zukunft nicht mehr so glücklich, da es wirtschaftlich und sozial zum Rest der Welt aufholt. Die Arbeiter*innenklasse wird sich mit demselben Wirtschaftsszenario von stotterndem Wachstum, niedrigen Löhnen und Angriffen auf Errungenschaften der Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Dazu kommt auch noch die Bedrohung durch den Klimawandel, der sich insbesondere auf Australien auswirken wird; Es wird uns nun möglich sein, in Australien und der gesamten Region relevante Kräfte aufzubauen.

Putins Unterstützung fällt

Obwohl Putin der im Mai wiedergewählt wurde, erwartet, zumindest bis 2024 an der Macht zu sein, sind seine Umfragewerte scharf gefallen - auf das Niveau von zu Beginn der globalen Krise. Die Euphorie über die Krim ist nun einer Ernüchterung gewichen - und der Erkenntnis dass die Wirtschaft stagniert. Mehr als die Hälfte der Arbeiter*innen verdienen weniger als 350 Euro im Monat und mehr als 70% der Bevölkerung waren gegen die Anhebung des Pensionsantrittsalters. Sanktionen, der Krieg in der Ukraine und der Skandal rund um die Vergiftungen bei den britischen und US-Wahlen waren von Putin genutzt worden, um seine Unterstützung aufrecht zu erhalten, allerdings verkehrt sich das nun in sein Gegenteil. Während er rechte Populist*innen wie Salvini, Le Pen und Kneissl in der EU hofiert, haben seine Aktivitäten in der Ukraine andere autoritäre Führungspersonen wie Lukaschenko in Weißrussland verärgert.

Unsere Genoss*innen in Russland haben die explosiven Jugendproteste vorhergesehen, die der Aufdeckung der Korruption um Putin und seine Entourage durch Navalny, einem kleinbürgerlichen Oppositionsführer, folgten. Sie waren vorbereitet und nicht überrascht von der linken Rhetorik Navalnys bzw. seiner nach links gerückten Forderungen, die die Stimmung dieser Jugendlichen, die mit Putins Kapitalismus aufgewachsen waren, ausdrückten. Obwohl noch eine Minderheit, hat die Furchtlosigkeit der Jugend - sie stellten sich Polizeibatallionen und Verhaftungen entgegen obwohl einige von ihnen erst elf Jahre alt waren -  anderen Schichten Selbstvertrauen gegeben. Die größten Proteste gegen die Pensionsreform kamen von Jugendlichen und Arbeiter*innen. Die offiziellen pro-Kreml Parteien inklusive der Kommunistischen Partei - deren Name irreführend ist - unternahmen alles was sie konnten, um die Proteste zu entwaffnen. Es ist essentiell dass unsere russische Organisation weiterhin Unterstützung unter jungen Arbeiter*innen und Studierenden gewinnt um eine starke Organisation aufzubauen, die fähig ist, in die Kämpfe der Arbeiter*innenklasse einzugreifen, die ohne Zweifel ab einem gewissen Punkt ausbrechen werden. 

Es gibt mittlerweile keinen Teil der Welt, wo es nicht politische oder soziale Turbulenzen gibt oder geben wird. Wir konnten in einigen Ländern dramatische Fortschritte erzielen, besonders in den USA. Allerdings scheint es in anderen Regionen oder Ländern eine gewisse Pause zu geben, besonders bei der Gewinnung signifikanter Kräfte für unsere Organisation. Aber es herrscht großer Aufruhr unter der Arbeiter*innenklasse, mit Millionen, die nach Antworten suchen für die Unzahl an Problemen, die die Krise des Kapitalismus schafft. Wir müssen an ihrer Seite stehen, unsere Sektionen müssen ihre Probleme und Schwierigkeiten teilen und sich darauf vorbereiten, zu intervenieren, wann immer es eine bedeutsame Bewegung gibt oder sich abzeichnet. Oftmals in der Geschichte - ganz zu schweigen von den großen Internationalen vor uns - konnten kleine Propagandagruppen sich rasch in große Organisationen transformieren, die dann die Basis für eine kleine Partei und dann für Massenkräfte zu einem späteren Zeitpunkt bilden können. Sich darauf vorzubereiten ist eine dringende Aufgabe des CWI.

Brasilien: Kampf gegen Bolsonaro!

Einheit der Arbeiter*innenbewegung aufbauen, um den Attacken der neuen rechten Regierung zu kontern!
Marcus Kollbrunner, Liberdade Socialismo e Revolução

Am 28.10. wurde mit 55% der gültigen Stimmen der reaktionäre Ex-Militär Bolsonaro gegen Haddad von der Arbeiterpartei (PT) zum Präsidenten gewählt. Die Wahlen zum Präsidenten, zur Abgeordnetenkammer, für Teile des Senats sowie die Regionaloberhäupter zeigte das Wachstum einer neuen Rechten. Diese setzt auf Rhetorik gegen Korruption und gegen Linke, auf Rassismus sowie reaktionäre Positionen zu Fragen wie Kriminalität, Frauenrechte, sowie zu LGBT Personen.

Hintergrund ist die tiefe wirtschaftliche Krise von 2014-15: Das BIP brach um fast 8% ein, die Arbeitslosigkeit stieg stark. Die PT-geführte Regierung hatte zwar einige wichtige Reformen für die ärmsten Schichten umgesetzt, war aber im Wesentlichen eine Regierung für die Banken und Konzerne. Sie beschloss entgegen ihrer Versprechungen neoliberale Kürzungen. Das führte zur Vertrauenskrise in die PT. In Folge von Untersuchung und Inhaftierungen wegen Korruption (Operation Autowäsche), geriet die Regierung in eine tiefe Krise – die frühere PT-Präsidentin Dilma wurde des Amtes enthoben.

In dieser Situation konnte die Rechte Teile der Mittelklassen mobilisieren, die das Gefühl hatten, nichts von den guten Jahren vor 2014 abbekommen zu haben. Es gab auch linke Proteste, aber die PT dominierte die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, um eine Erneuerung der Linken zu unterlaufen. Dass der Kampf gegen die Rechten mit der Verteidigung der PT-Regierung und ihrer Fehler verbunden wurde, schwächte ihn. Sogar als Dilma des Amtes enthoben wurde, hielt die PT die Kämpfe in Schlüsselmomenten zurück. Als der prominente PTler Lula verurteilt und inhaftiert wurde, damit er diesmal nicht antreten konnte, beschränkten sie sich darauf, seine Beliebtheit zu betonen.

Erst nach einer Messerattacke hatte Bolsonaro massive Medienpräsenz, die anderen Kandidat*innen hielten sich nun zurück. Dadurch, dass Lula nicht mehr im Rennen war, führte er die Umfragen an. Als gegen Ende des Wahlkampfes klar wurde, dass Alckmin, der Hauptkandidat der herrschenden Klasse, keine Chance hatte, versammelten sich immer mehr Kräfte hinter Bolsonaro. Das Resultat war eine Stärkung der Rechten, mit Kandidat*innen, die sich als neu und Anti-Establishment präsentierten.

Auf der Linken versammelten sich die Kräfte jedoch hinter der PT, die ihren Kandidaten in die zweite Runde bekamen – was aber auch eine Erneuerung der Linken blockierte. Die Angst vor einem Sieg Bolsonaros führte zu einem steigenden Druck in Richtung kleineres Übel PT. Der Kandidat von PSOL, jener linken Partei, in der auch LSR (CWI in Brasilien) vertreten ist, war Boulos, Anführer der kämpferischsten sozialen Bewegung in der jüngsten Periode, der MTST (Bewegung obdachloser Arbeiter*innen). Er bekam zwar nur 0,6%, aber PSOL stellt nun sechs statt bisher zehn Abgeordnete. Gleichzeitig hat die Mehrheit der Bevölkerung, 89,5 Millionen, nicht für Bolsonaro gestimmt.

Bolsonaro wird ab Jänner im Amt sein und bereitet neoliberale Attacken (Privatisierung, Kürzungen, Attacken auf Arbeitsrechte und Pensionen), reaktionäre Politik gegen Frauen und LGBT-Personen sowie Rassismus und verstärkte Repression vor.  Während des Wahlkampfes meinte er, dass man sich der Linken „entledigen solle“ und erklärte soziale Bewegungen wie MTST und MST (Bewegung der Landlosen Arbeiter*innen) zu Terrorist*innen.

Der Sieg Bolsonaros ist eine Niederlage, die vermieden hätte werden können. Die Linke wurde zurückgedrängt, aber die Arbeiter*innenklasse hat keine entscheidende Niederlage erlitten. Die nächste Periode wird ein Test sein für die Fähigkeit der Arbeiter*innen, zurückzuschlagen, auch wenn es ein wenig Zeit benötigt, bis die Bewegung sich von diesem Schock erholt. Das Kräfteverhältnis wird auch von konkreten Aktionen durch die Organisationen der Arbeiter*innenklasse bestimmt. Am 30. Oktober fanden bereits Massendemonstrationen statt. Es gab während der 2. Runde bereits Proteste, mit Komitees, „Demokratiebrigaden“ und antifaschistischen Fronten. Diese müssen ausgeweitet werden, in den Nachbarschaften, Schulen und Betrieben, um eine Bewegung aufzubauen. Wir müssen klarmachen, dass wir die Straße nicht aufgeben. Die Gewerkschaften müssen gegen die Angriffe und Kürzungen der Regierung mobilisieren. Zur selben Zeit gibt es eine wichtige Schicht an Jugendlichen, die aufgrund des Schocks und der Enttäuschung über die PT nach einer sozialistischen Alternative suchen, mit einem erhöhten Interesse an der PSOL und an LSR. Die PT hat den Aufstieg Bolsonaros mit zu verantworten. Als Alternative ist es nötig, das Bündnis zwischen PSOL und Bewegungen wie der MTST zu stärken, als Schritt hin zu einer neuen sozialistischen Linken, die ein echtes Angebot für die Massen darstellt. Wir müssen die stärkste mögliche Einheit der Arbeiter*innenbewegung aufbauen, um die Angriffe durch die neue Regierung zu kontern. Eine neue stürmische Periode hat in Brasilien begonnen.


http://www.lsr-cit.org

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Gelbe Revolution? Paris im Ausnahmezustand

Augenzeugenbericht von der Protestbewegung der „Gelbwesten“
Miguel Empleado und Fyn Hansow (Hamburg)

Auch vergangenen Samstag haben die landesweiten Proteste der Gilets Jaunes (Gelbwesten) in Frankreich wieder die Macron-Regierung in Atem gehalten und die Massen auf die Straße gebracht. Zwei SAV-Mitglieder (Sozialistische Alternative, deutsche Schwesterorganisation der SLP) waren den ganzen Tag über in Paris, haben an den Demonstrationen teilgenommen und mit Anwohner*innen und Mitgliedern der Schwesterorganisation der SAV in Frankreich, Gauche Révolutionnaire, gesprochen.

Die Stimmung ist ausgelassen, tausende Menschen stehen Schulter an Schulter auf dem Place de la République, lauschen den Reden, die von den Lautsprecherwagen schallen oder diskutieren miteinander. Essen wird verteilt, Kinder laufen umher. Dann geht Jubel durch die Menge: Demonstrant*innen in gelber Weste sind auf die Bronzestatue in der Mitte des Platzes geklettert, einer hebt das Symbolbild der französischen Revolutionen hoch, „Die Freiheit führt das Volk“. Über die Fahne schwenkende Frau wurde eine gilets jaune, eine gelbe Weste geklebt.

Jenseits des Platzes blinken die Sirenen unzähliger Einsatzwagen der französischen Polizei, schwer gerüstete Beamte stehen vor ihren Wagen und blockieren die Straße, manche haben Granatwerfer unter den Arm geklemmt, einer sogar ein Sturmgewehr. Schließlich lösen sie die bis zum Schluss friedlich gebliebene Demonstration mit Tränengas auf, sie sei länger auf dem Platz geblieben als angekündigt. Einige Stunden zuvor hatte eine ebensolche Tränengasgranate einem Demonstranten die Hand abgerissen, am anderen Ende der Innenstadt von Paris verlor eine Frau, vermutlich eine Passantin, ein Auge, nachdem man ihr mit einem Gummiprojektil ins Gesicht geschossen hatte.

Wer in diesen Wochen nach Frankreich fährt, dem wird die Rolle der Polizei als bewaffnetes Repressionsorgan des bürgerlichen Staates nur allzu bewusst. Offiziellen Angaben zufolge liegt die Zahl der am Samstag eingesetzten Einsatzkräfte bei 89.000 im ganzen Land, der größte Einsatz seit dem Mai 1968, private Sicherheitsdienste und Ähnliches nicht mit eingerechnet. Die tatsächliche Ziffer ist wahrscheinlich noch um einiges höher. Drastische Polizeigewalt, wie wir sie vielerorts im vergangenen Sommer in den Tagen des G20-Gipfels in Hamburg erlebt haben, scheint in Paris zum allwöchentlichen Normalzustand geworden zu sein.

Dem gegenüber stehen Hunderttausende Protestierende, die zum vierten Mal in Folge den Aufrufen zu landesweiten Protesten und Demonstrationen folgten, und das trotz der Aufhebung der geplanten „Öko-Steuer“, also dem Anheben der Preise für Kraftstoffe, die die Proteste ausgelöst hatte. Die Forderungen der Gilets Jaunes gehen längst weiter als das. Zwar ist die Massenbewegung, die inzwischen die Unterstützung von fast zwei Dritteln in der französischen Bevölkerung hat, sowohl in ihrer regionalen als auch ihrer sozialen Zusammensetzung verschiedenartig, die Wut gegen die Politik „der da Oben“ und die Forderung nach einem Rücktritt Macrons sind aber allgegenwärtig.

#unteilbar auf Französisch

In Paris manifestierten sich die Proteste am vergangenen Samstag auf drei Großdemonstrationen: Der wöchentlichen Gilets Jaunes Demo auf dem Champs-Élysée, die die Polizei von vornherein verboten hatte, einem Demozug aus Arbeiter*innen und Studierenden, die in der Woche zuvor auf gemeinsamen Versammlungen demokratisch entschieden hatten, teilzunehmen und ihren Demonstrationszug mit den Gilets Jaunes zu vereinen, und einer jährlich stattfindenden Demonstration für Umweltschutz, die zum Place de la République ziehen sollte.

Als wir uns am Vormittag der Umweltschutz-Demonstration anschlossen, berichtete uns ein Mitglied der „Gauche Révolutionnaire“ (Revolutionäre Linke, Schwesterorganisation der SAV in Frankreich), der zuvor am Champs Élysée war, über die Situation. Bis zu dem Zeitpunkt gab es bereits mehr als 500 Festnahmen (!) und die Großdemonstrationen, obwohl bis dahin ruhig, waren von der Polizei blockiert worden. Doch das, was die Polizei an diesem Samstag mit aller Gewalt versuchte zu verhindern, die Verbindung der einzelnen Protestgruppen, war längst Realität geworden: Die ganze Woche über hatte es Schulstreiks und Unibesetzungen gegen die Reform des französischen Abiturs und für die Forderungen der Gilets Jaunes gegeben, Feuerwehrleute und Sanitäter*innen hatten sich solidarisiert, Arbeiter*innen forderten von ihren Gewerkschaften, endlich zu Streiks für höhere Löhne aufzurufen und sogar eine kleine Polizeiverwaltungsgewerkschaft solidarisierte sich.

Die französische Arbeiter*innenklasse zeigt sich unteilbar und genau darin liegt die unglaubliche Stärke, die Macron noch in dieser Woche zu weitgreifenden Zugeständnissen wie der Erhöhung des Mindestlohns und gleichzeitig weiterer Repression veranlasste. Das zeigt das gewaltige Potenzial, welches in einer vereinten Massenbewegung steckt.

Die „linken“ Vorurteile, die Gelben Westen protestierten gegen eine umweltbewusstere Politik oder Steuern allgemein, wurden auf der Umweltschutz-Demonstration wie selbstverständlich weggewischt. Über 20.000 Menschen fanden sich zusammen, überall leuchteten gelbe Westen aus der Masse und Gilets Jaunes hatten noch eine Stunde vor dem Beginn Flyer an vorbeifahrende Autofahrer*nnen verteilt. Klimaschutz steht außer Frage. Die soziale Ungerechtigkeit und Steuerverteilung bringt die Menschen auf die Straße, und das wurde auch von den wenigen Zugeständnissen der Regierung kein bisschen angetastet. Die von Macron abgeschaffte Vermögenssteuer hat dieser in seinen „besorgten“ Reden über die Lage der Nation nicht einmal erwähnt. Gleichzeitig verliert die brutale Repression im Angesicht der Wut der Bevölkerung ihre Wirkung, die Zahlen der Demonstrierenden sind gleich hoch wie in den vorangegangenen Wochen.

Pour la révolution!

Der Flyer, mit dem unsere französischen Genoss*innen der „Gauche Révolutionnaire“ am Samstag auf den Demos unterwegs waren, um unsere Ideen und Vorschläge einzubringen und die Bewegung voran zu tragen, trug den Titel „Pour un nouveau Mai 68!“ („Für einen neuen Mai 68!“). Vor 50 Jahren war der entscheidende Faktor, der aus Unruhen eine revolutionäre Situation gemacht hat, also eine Situation, in der es mit der richtigen Strategie absolut möglich ist, die Forderungen der Massenbewegung nach einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft durchzusetzen und die kapitalistische Regierung abzuschaffen, die Arbeiter*innenklasse.

Durch einen der größten Generalstreiks in der Menschheitsgeschichte wurde das ganze Land zum Stillstand gebracht, die Regierung quasi auf einen Schlag in eine tiefe Krise gestürzt und der damalige Präsident in die Flucht geschlagen. Dass es bereits erste Entwicklungen dahin gibt, wie das Ausrufen eines Aktionstages am 14. Dezember durch eine der größten Gewerkschaften, der CGT, ist auch der Grund, warum Macron sich beeilt hat, zu versichern, er würde den Forderungen entgegenkommen. Doch dieser Aktionstag geht nicht weit genug und konnte nur durch den Druck der vielen tausend Arbeiter*innen auf den Straßen gegen die Gewerkschaftsbürokratie durchgesetzt werden, die am liebsten weiter mit Macron und seinen Minister*innen an einem Tisch sitzen und an der prekären Situation großer Teile der Bevölkerung nichts verändern wollen.

Doch von den historischen Ereignissen zu lernen heißt auch, aus den damaligen Fehlern zu lernen: Es braucht eine demokratisch legitimierte Führung mit einer klaren Strategie, um gegen die zu allem entschlossene Regierung anzukommen.

Deshalb kämpft „Gauche Révolutionnaire“ innerhalb der Bewegung für die sofortige Umsetzung folgender Punkte:

  • Ausrufen eines landesweiten Generalstreiks
  •  Gründung von basisdemokratischen Komitees in allen Betrieben, Schulen, Universitäten und Gilets Jaunes Gruppen zur Vorbereitung der Streiks und Aktionen
  •  Landesweite Delegiert*Innenkonferenz, um der Bewegung eine demokratische Führung zu geben und Korruption, Missbrauch und Spaltung entgegenzuwirken und den Forderungskatalog demokratisch aufzustellen.

Illusionen und die Linke

Wenn wir uns am Samstag auf den Straßen umsahen, wurde das Ausmaß dieser sozialen Bewegung eindeutig. Die Gilets Jaunes, anfangs vor allem dominiert vom ländlichen Mittelstand und Kleinbürgertum, haben wie ein Katalysator für den Klassenkampf gewirkt. Schüler*innen laufen neben Familien und erfahrenen Gewerkschafter*innen, Umweltaktivist*innen rufen Slogans. Wo anfangs vor allem asylkritische Forderungen mitschwangen, haben sich die Kritik an der kolonialen Ausbeutung afrikanischer Staaten und die Forderung nach Wohnungsbau für alle Bahn gebrochen. Nicht alle sind sich einig über die richtigen Aktionsformen, oder was ihre Lage dauerhaft verbessern würde, aber sie alle wollen sich nicht zufrieden geben mit den paar Krümeln, die ihnen „der Präsident der Reichen“ hinwirft.

Massenbewegungen in diesen Ausmaßen beginnen niemals mit einem klaren, politisch korrekten Programm, mit dem alle Schichten übereinstimmen. Verschiedene Vorstellungen werden auf die Blockaden, Demonstrationen und Treffen mitgebracht, teilweise auch rassistische oder sexistische Vorurteile. Utopische oder reformistische Illusionen oder aber auch progressive Ideen sind vorhanden, aber keine genaue Vorstellung davon, wie diese umgesetzt werden können.

Die Aufgabe von Sozialist*innen ist es, durch Mitarbeit in der Bewegung zu neuen Ideen und Diskussionen anzuregen. Dass die Proteste in den ersten Wochen in einigen Landesteilen durch rechte Elemente geprägt wurden, ist vor allem dem Nichterfüllen dieser Aufgabe durch große Teile der französischen Linken zu verdanken. Während diese steuerkritische Äußerungen oder rassistische Kommentare der inoffiziellen Führungsfiguren (die nicht einmal von der Mehrheit der Gilets Jaunes unterstützt werden!) als Grund vorschoben, sich von den Protesten zu distanzieren, marschierten organisierte rechte Gruppen mit auf dem Champs Élysée und Marine Le Pen stilisierte sich in den Medien als Wortführerin. Der ehemalige französische General Pierre de Villiers, 2017 nach einem Disput mit Macron zurückgetreten, wird mit seinen autoritär-konservativen Vorstellungen von rechten Teilen der Gilets Jaunes als möglicher Nachfolger Macrons gehandelt, seine Bücher landeten in den letzten Wochen auf den Bestsellerlisten und wir konnten sie auch gleich in den Händen mehrerer Gelbwesten auf der Straße entdecken. Anstatt mit konstruktiven Vorschlägen den Glauben an rechte Politiker*innen als Illusion zu enttarnen, hat der linke Politiker Jean-Luc Mélenchon erst im Verlauf der letzten Woche zu einer Beteiligung an den Protesten aufgerufen und kein Wort zu einer längerfristigen Strategie verloren. Wenn der Kampf der unteren Klassen aber in eine offensive Phase geht, dann ist die Beteiligung daran kein Punkt zur Diskussion, sondern Pflicht für Linke!

In Deutschland erleben wir in der LINKEN, in der wir als SAV für sozialistische Ideen einstehen, ähnliche Debatten. Weder die Verharmlosung des rechten Einflusses noch die Isolation vor der Bewegung aus diesem Grund sind eine Lösung, vor allem nicht, wenn wir Solidarität mit unseren französischen Nachbar*innen bekunden und in unserem eigenen Land in die Offensive gehen wollen.

Die Genoss*innen von Gauch Révolutionnaire haben uns am Samstag in Diskussionen und durch ihre Arbeit auf der Straße ein eindrucksvolles Beispiel darin gegeben, welchen Weg Revolutionär*innen in einer solchen Situation einzuschlagen haben.

Perspektiven

Die Situation verändert sich mit jeder Stunde. Wie bereits oben erwähnt hat das neoliberale Macron-Regime inzwischen weitere Zugeständnisse angekündigt, die jedoch den Großteil der französischen Bevölkerung zurecht nicht ansatzweise zufrieden stellen. Es hat am Dienstagabend in Straßburg einen tragischen Terroranschlag gegeben und wir konnten den hetzerischen Versuch der französischen als auch deutschen Medien und Regierungen beobachten, diesen für rassistische Spaltung und Ablenkung zu missbrauchen. Vielleicht pokert die Regierung auf die Weihnachtsfeiertage, die die Situation beruhigen und die Menschen zuhause halten könnten.

Die Schüler*innen haben am Dienstag zu einem „Mardi Noir“ (Schwarzen Dienstag) aufgerufen und haben an hunderten Schulen ihre Streiks und Proteste fortgesetzt und so ihre Rolle als vorwärts treibender Teil der Bewegung ein weiteres Mal unter Beweis gestellt. Einfahrten zu Amazon und Aribus werden von Gelbwesten blockiert und an den wichtigen Häfen sind die Hafenarbeiter*innen im Streik. Am Freitag, den 14.12., besteht, wie oben bereits ausgeführt, mit dem Aktionstag der Gewerkschaften nun die Chance, mit Massenstreiks ein neues Level des Widerstandes einzuläuten. Dieser Versuch verdient die Unterstützung aller Linken und internationale Solidarität!

Als wir am Abend schließlich versuchen vom Place de la République zum Champs Élysée zu gelangen, laufen wir durch eine Stadt im Ausnahmezustand. Technisches Gerät und Einsatzfahrzeuge blockieren jede Zufahrt, Polizist*innen, egal ob in Rüstung oder Zivil, jagen Gilets Jaunes durch die Straßen, Tränengaswolken hängen zwischen den Fassaden und Graffitis bedecken die verbarrikadierten Schaufenster. An einer Häuserwand steht in schwarzer Schrift: „Vive la Commune! Justice sociale ou guerre totale“ (Es lebe die Kommune! Soziale Gerechtigkeit oder totaler Krieg). Nicht weit davon treffen wir auf einen Pariser, der mit seinen Freunden durch die Straßen zieht. Ist er heute auf der Straße gewesen? Na klar, antwortet er und alle seine Freunde nicken heftig, und „wir werden definitiv wiederkommen, da kann Macron machen was er will“.

Am nächsten Morgen gelangen wir schließlich endlich auf „die schönste Straße der Welt“. Putzkräfte müssen die ganze Nacht über im Einsatz gewesen sein, bis auf ein paar Stellen sind alle Graffitis weg. Nur die Holzwände, die noch manche Schaufenster schützen, erinnern an die Gilets Jaunes. Und zehn schwarz gekleidete Männer, die vor dem Eingang zu McDonalds die Taschen durchsuchen. Aber so einfach wegwischen lassen wird sich diese Massenbewegung nicht. Es ist vielleicht (noch) keine Revolution, aber sie bedeutet jetzt schon einen tiefen Einschnitt und den Beginn einer neuen Offensive von unten. Und das Potenzial ist noch viel größer.

USA: Militäreinsatz gegen MigrantInnen

Der MigrantInnen-Marsch belegt die Unfähigkeit des Kapitalismus, eine sichere Zukunft zu bieten.
Franz Neuhold

Etwa 7.000 MigrantInnen aus Mittelamerika marschieren gemeinsam durch Mexiko Richtung US-Grenze, in der Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben. Schon seit Jahren finden solche Märsche statt. Die nunmehrige Karawane erhielt deshalb Aufmerksamkeit, da Trump angesichts schlechter Umfragen für die Kongresswahlen die Flucht nach vorne antrat: Er verlegte Truppen an die Grenze zu Mexiko. Das Schüren von Angst gegen unbewaffnete Menschen soll über die Kernschichten hinaus mobilisieren. Doch selbst wenn dies gelingt, wird langfristig ins Bewusstsein dringen: Die Regierung des mächtigsten imperialistischen Staates gerät in Panik, wenn wenige Tausend Menschen (erfahrungsgemäß schwellen die Märsche bis zur Grenze deutlich ab) Arbeit, Freiheit und Sicherheit einfordern. Wie kaputt dieses System bereits ist, bekommen ebenso ArbeiterInnen und Arme in den USA zu spüren. Unvorstellbare Umverteilung zu den Superreichen durch eine „Steuerreform“, während jährlich 600.000 in den Privatkonkurs müssen; aufgrund unbezahlbarer Krankenhaus-Rechnungen. Die Schwesterorganisation der SLP, 'Socialist Alternative', verbindet die Interessen von US-ArbeitnehmerInnen und ImmigrantInnen durch soziale und Arbeitskämpfe: z. B. für höhere Löhne (+ Mindestlohn von $15), ein frei zugängliches Gesundheitssystem, gegen Bildungskürzungen, Mietwucher und Anti-Gewerkschafts-Gesetze. Sie fordert: „Umgehende und bedingungslose Legalisierung aller 'papierlosen' ImmigrantInnen; gleiche Rechte für alle!“

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Internationale Notizen

Brasilien: Gegen Bolsonaro!

Liberdade, Socialismo e Revolução (Freiheit, Sozialismus und Revolution - CWI in Brasilien) kämpft in der PSoL (Partei für Sozialismus und Freiheit) und auf der Straße für den Neuaufbau der Linken als sozialistische Alternative zum rechten Präsidenten Bolsonaro – und gegen den Kapitalismus. Am 29. September organisierte eine Gruppe von Aktivistinnen unter dem Motto #elenão (ihn nicht) eine Demonstration mit 80.000 TeilnehmerInnen. Seit dem ersten Wahlgang am 7.10. protestierte die LSR mit anderen Organisationen wie der Bewegung obdachloser ArbeiterInnen (MTST) unter dem Motto „Nossas Vidas Importam!“ („Unsere Leben Zählen!“) gegen die Gefahr für das Leben von Schwarzen, LGBTIQ+ und Frauen, die von Bolsonaro ausgeht.

http://www.lsr-cit.org

 

 

Pazifik

In Colombo (Sri Lanka) trafen sich Mitte Oktober VertreterInnen des CWI aus Sri Lanka, Indien, Malaysia, Australien und Indonesien. Gemeinsam mit Gästen aus Kaschmir und London ging es um den Handelskrieg zwischen den USA und China und eine mögliche Wiederholung der Asienkrise von 1997. Diskutiert wurde weiters die Bedeutung der Überwindung nationaler Spaltung für SozialistInnen.

http://www.socialistworld.net

 

Israel/Palästina

Israels Regierung plant, das Beduinendorf Khan al-Ahmar, zu dem eine Schule für 150 Kinder gehört, abzureißen, um Platz für eine neue Siedlung zu schaffen. Socialist Struggle Movement (CWI in Israel/Palästina) protestierte am 15. und 19.10. gemeinsam mit BewohnerInnen des Dorfes und machte klar, dass eine Lösung der nationale Frage nur auf sozialistischer Grundlage möglich ist.

http://www.socialism.org.il

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

BRD: Rechtsruck oder Polarisierung?

Christoph Glanninger, Berlin

In den letzten Jahren galt die deutsche Regierung oft als Hort der Stabilität. Aber jetzt rutscht auch die Bundesrepublik immer stärker in eine politische Krise. Die Bundestagswahlen 2017 brachten den Einbruch der ehemaligen Großparteien SPD bzw.  CDU/CSU. Der Trend setzt sich auch bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen fort. Die etablierten Parteien verlieren, während die AfD in Parlamente und Landtage einzieht. Aber auch in der tagtäglichen Regierungsarbeit fällt die große Koalition vor allem durch interne Streitigkeiten und verzweifelte Machterhaltung auf. Alle Maßnahmen gegen soziale Missstände wie explodierende Mietpreise oder Personalmangel im Krankenhaus reichen nicht, um weitere Verschlechterungen aufzuhalten. Gleichzeitig verdunkeln sich auch die Aussichten für die Wirtschaft. Vor kurzem betonte der Chef des Bundesverbands der deutschen Industrie, man solle sich „auf den Abschwung der Konjunktur gefasst machen. Deshalb müssen wir jetzt vorsorgen.“. Vorsorge des Kapitals bedeutet für die Mehrheit Angriffe auf Arbeitsbedingungen, Löhne und Sozialleistungen.

Aber im Spätsommer und Herbst gab es auch eine beeindruckende Welle an Protesten. Einige Höhepunkte waren mehrmals 40.000 Menschen in München gegen Rassismus und neue Polizeigesetze, 25.000 in Berlin für leistbaren Wohnraum, 65.000 in Chemnitz gegen rechte Gewalt, über 50.000 gegen Umweltzerstörung im Hambacher Forst und 242.000 bei der Großdemonstration „#Unteilbar – Solidarität statt Ausgrenzung“. Auch bei den Wahlen in Hessen und Bayern gab es keine eindeutige Rechtsverschiebung, vor allem die Grünen können aktuell profitieren, während die LINKE durch interne Streitigkeiten geschwächt ist und ihr Potential nicht voll ausschöpft.

Diese Entwicklungen zeigen, dass kein Rechtsruck, sondern eine Polarisierung stattfindet. Die deutsche Schwesterorganisation der SLP, die Sozialistische Alternative (SAV), ist Teil sämtlicher Proteste. Wir treten in der LINKEn und den Gewerkschaften dafür ein, dass diese Organisationen ihre Größe nutzen, um bundesweite Kampagnen zu organisieren und den Widerstand gegen Rassismus mit dem Kampf gegen Wohnungsnot, Pflegenotstand und Umweltzerstörung zu verbinden.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Tschechien: Land der Widersprüche

Steigendes Selbstvertrauen der Beschäftigten und wachsende reaktionäre Bewegungen: Ein explosiver Mix.
Petr Jindra, Socialistická alternativa Budoucnost,

Knapp 30 Jahre nach der Wiedereinführung des Kapitalismus in Tschechien ist sein ideologisches Fundament so brüchig wie noch nie. Bei den Wahlen 2017 erreichten die offen neoliberalen Parteien nicht einmal 30% der Stimmen. Auch die Sozialdemokratie CSSD und die „kommunistische“ KSCM stürzten fast auf die 5%-Hürde ab. Großer Sieger war mit knapp 30% die Partei „ANO 2011“ („Aktion unzufriedener BürgerInnen“). Die Partei präsentiert sich als „Protestbewegung“ – wurde aber gegründet und finanziert vom Unternehmer und Milliardär Andrej Babiš. Sie punktet, ähnlich wie die „5 Sterne“ in Italien, durch oberflächliche und nach rechts offene Anti-Establishment-Rhetorik. ANO 2011 stützt sich auf jene Teile der Eliten, die zwischen der EU und den westlichen Staaten auf der einen Seite, und Russland/China auf der anderen Seite balancieren. Die aktuelle Regierung ist eine unheilige Allianz von ANO 2011 und der CSSD - mit Unterstützung der KSCM. Die KSCM macht damit den nützlichen Idioten für den nationalistischen Anti-Migrationsflügel der Eliten. Dieser Rassismus von oben gibt der von der AfD und der FPÖ inspirierten rechtspopulistischen „SPD“ Rückenwind.

Die politische Lage ist Ausdruck der widersprüchlichen Entwicklungen, die das wirtschaftliche Wachstum einerseits und die trotzdem enttäuschten Hoffnungen in den Kapitalismus andererseits hervorbrachten. Im April 2018 gab es erstmals mehr offene Stellen als offiziell Arbeitslose. Die Arbeitslosigkeit lag im September bei 3%, der niedrigste Wert in Europa. Das stärkt das Selbstvertrauen von breiten Schichten der Beschäftigten. Zu ihnen gehören nun auch vermehrt Frauen und Roma - nach einer ganzen Generation mit Arbeitslosigkeit, Armut und Leben am Rand der Gesellschaft. So erreichten etwa die Beschäftigten von Skoda durch die Androhung eines unbefristeten Streiks 20% Lohnerhöhung. Der Lohn bei Skoda liegt nun bei 1.900 Euro brutto – immer noch die Hälfte verglichen mit dem deutschen Mutterkonzern VW. Die Situation in der Autoindustrie zeigt jedoch auch die brüchige Grundlage des Aufschwungs: Tschechien hat sich in den letzten Jahren als Niedriglohnbasis für die EU etabliert. Manche bezeichnen es als „17. Bundesland“ von Deutschland.

Der Mangel an Arbeitskräften zwingt die KapitalistInnen einerseits, höhere Löhne zu gewähren und stärkt die Gewerkschaften - andererseits verstärkt er den Ruf nach billigen Arbeitskräften aus der Ukraine, Slowakei, Polen etc. Die größte Gewerkschaft CMKOS wuchs letztes Jahr um 14.000 Mitglieder. Die Gewerkschaftsführung führt zwar Kampagnen gegen Billigjobs und Billiglöhne oder für Arbeitszeitverkürzung, jedoch ohne wirkliche Mobilisierungen und Streiks. Doch die Furcht vor der ArbeiterInnenklasse bringt die Herrschenden dazu, wie bei Skoda vorauseilend Zugeständnisse zu machen: So erhöhte die Regierung den Mindestlohn um 50% auf 470 Euro – ein Ausdruck des Mangels an Arbeitskräften – und hob das Einfrieren der Löhne im Öffentlichen Dienst auf. Das ist nur möglich aufgrund des Wachstums.

Dennoch wächst die Kluft zwischen Profiten und Löhnen. Während das BIP nominal fast um 40% höher ist als 2009, sind die Löhne nur um 25% gewachsen. Das zeigt: Der Aufschwung kommt vor allem den Reichen zugute. Fast eine Million Menschen (10%) lebt an der Armutsgrenze. Deswegen gibt es trotz des Aufschwungs große Enttäuschung über die nicht erfüllten Hoffnungen nach der Wiedereinführung des Kapitalismus. Viele, die keine Chance sehen, ihre Situation durch soziale Kämpfe zu verbessern, bauen deswegen auf die rechtspopulistische SPD, um ihre Angst und Wut auszudrücken – vor allem in vernachlässigten ländlichen Regionen. Andererseits müssen hunderttausende MigrantInnen aus der Ukraine und anderen ärmeren osteuropäischen Ländern unter furchtbaren Bedingungen arbeiten und leben, diktiert durch Arbeitsagenturen unter der Aufsicht staatlicher Behörden.

Aber auch die Bereiche, wo sich Widerstand regt, werden mehr. Eine Situation wie bei Skoda existiert auch in anderen Unternehmen. Bildungs- und Gesundheitssystem sind unterfinanziert und die Beschäftigten in diesen Bereichen überarbeitet – und wütend. Die Mieten in Prag sind nun um 10-20% teurer als in Berlin, und wir sehen immer mehr lokalen Protesten gegen Immobilienhaie. Die Jugend lehnt das alte korrupte System der letzten 30 Jahre ab und ist angewidert vom Rassismus, Sexismus und der Homophobie der politischen Parteien.

Dieser explosive Mix schafft große politische und soziale Spannungen. MarxistInnen können die Kristallisationspunkte von Protest ausweiten, radikalisieren und eskalieren – und sie zu generalisierten Massenbewegungen vereinen. In solchen Bewegungen können wir die notwendige Kraft aufbauen, um den Kapitalismus zu stürzen und eine demokratische sozialistische Gesellschaft aufzubauen, ohne den Horror der bürgerlichen Herrschaft oder jenem der stalinistischen Bürokratie.

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