Betrieb und Gewerkschaft

Zehn Tage, die die Charité erschütterten

Wichtiger erster Erfolg im Kampf für mehr Personal im Krankenhaus
von Lucy Redler, aktiv im Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus und SAV-Bundessprecherin (SAV ist die deutsche Schwesterorganisation der SLP)

Niemand, der diesen Streik mitbekommen hat, wurde nicht davon berührt. Zehn Tage lang streikten Hunderte Beschäftigte an der Charité für eine tarifvertragliche Regelung für mehr Personal im Krankenhaus, bis am 1. Juli ein Eckpunktepapier zwischen Gewerkschaft und Vorstand erreicht wurde. Historisch betrachtet ist dies der erste Streik im Krankenhaus, der nicht für mehr Lohn, sondern für mehr Personal geführt wurde – im Interesse von Beschäftigten und PatientInnen.

„Seit gestreikt wird, werde ich besser gepflegt“, sagte ein 72-jähriger Patient der BZ Berlin mitten im Arbeitskampf. Das macht deutlich, wie sehr Kolleginnen und Kollegen bemüht waren, eine gute Notfallversorgung während des Streiks zu gewährleisten. Das Motto des Streiks ‘Nicht der Streik, sondern der Normalbetrieb gefährdet die Patienten’ traf den Nerv vieler Berlinerinnen und Berliner.1200 Betten wurden gesperrt, über 20 Stationen dicht gemacht, der Arbeitgeber an den Rand der Verzweiflung gebracht. Den Kolleginnen und Kollegen ist im Laufe des Streiks bewusst geworden, dass dies ein politischer Kampf ist: Gegen die Politik einer Regierung, die mit dem neuen Krankenhausstrukturgesetz eine weitere Milliarde Euro in deutschen Krankenhäusern einsparen will, während laut Ver.di 162.000 Beschäftigte in deutschen Krankenhäusern fehlen. Und dass sie Pioniere sind und möglicherweise Geschichte schreiben. Es ist dem Kampfeswillen und der Entschlossenheit der KollegInnen und einer kämpferischen Ver.di-Betriebsgruppe zu verdanken, dass mit der Vereinbarung eines Eckpunktepapiers ein erster Erfolg errungen werden konnte.

von Lucy Redler, aktiv im Bündnis Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus und SAV-Bundessprecherin

Am 1. Juli beschlossen Streikversammlungen demokratisch an allen drei Campussen der Charité, dass Ver.di Charité auf Grundlage des vorliegenden Eckpunktepapiers mit dem Arbeitgeber einen Tarifvertrag aushandeln soll und der Streik ausgesetzt wird. In den anstehenden Verhandlungen sind noch offene Fragen zu klären.
Carsten Becker, Vorsitzender der Betriebsgruppe an der Charité kommentierte dies am selben Tag wie folgt: „Nach 10 Tagen Streik geht es jetzt in die Verhandlungen zu unserem Tarifvertrag. Ein Tarifvertrag mit Quoten für Intensivpflege höchstens 1:2!, Intensivüberwachung höchstens 1:3!. Eine Quote für die stationäre Pflege konnten wir nicht erreichen (nur in der Kinderkrankenpflege 1:6,5). Aber dort, wie in den Funktionsbereichen, Psychiatrie, Radiologie und Kreißsaal entwickeln wir Mindeststandards, die erstens zu mehr Personal führen, zweitens bei drohender Unterschreitung zu Konsequenzen bis hin zum Bettensperren führen und drittens, dass wir nicht mehr allein im Nachtdienst sind. 
Dann noch einiges zu Gesundheitsschutz und Förderung, mit Elementen der kollektiven Eigenbeteiligung. Uff! Das alles verhandeln und schreiben wir in den nächsten Wochen, zum Glück mit über 100 TarifberaterInnen! Wenn es nicht klappt, streiken wir wieder und wenn es klappt, dann haben wir damit auch gleich ein kleines Stück Geschichte geschrieben. Mehr von uns ist besser für alle!” 

Signal: Geht doch!

Die Ausgangsforderungen von Ver.di Charité waren: Eine Quote für die Betreuung auf Intensivpflegestationen zwischen Pflegekraft und Patient von 1:2, in der stationären Pflege von 1:5 und Verbesserungen in allen nicht-pflegerischen Bereichen. Außerdem sollte kein Nachtdienst mehr allein verrichtet und das Recht auf Leistungseinschränkung tarifvertraglich fixiert werden.

Während Ver.di bundesweit darauf setzt, eine Personalbemessung gesetzlich durchzusetzen, hatVer.di Charité mit dem Streik etwas bewiesen, was lange auch in der eigenen Gewerkschaftumstritten war: dass ein Streik für eine tarifvertragliche Regelung möglich ist. Lange musste die Betriebsgruppe darum ringen. Zum einen mit dem Arbeitgeber, der zweimal versuchte den Streikmittels einstweiliger Verfügung gerichtlich zu untersagen und jedesmal scheiterte. Zum anderen mit der eigenen Gewerkschaftsführung, die erst nach starken Druck von unten grünes Licht für den Arbeitskampf gab. 

Das Zwischenergebnis ist nun auch ein wichtiges Signal an KollegInnen anderer Krankenhäuser, jetzt nachzuziehen und ebenfalls den Kampf aufzunehmen. Ein solcher Kampf würde nicht nur die eigene Gewerkschaft herausfordern, sondern vor allem die Gesundheitspolitik der Bundesregierung erschüttern, die mit den Fallpauschalen auf ein budgetbasiertes Finanzierungsmodell setzt. 

Wenn es zu einem Tarifvertrag an der Charité kommt, ist dies ein wichtiger tarifpolitischer Durchbruch. Zum ersten Mal in einem deutschen Krankenhaus werden dann im Intensivpflegebereich Quoten von 1:2 als Standard definiert (auch während der Nachtschicht) und Sondertatbestände festgelegt sowie eine Quote in der Kinderklinik eingeführt. Zudem werden weitere Stationen, die bisher der stationären Pflege zugeteilt waren, den Intensivpflegestationen zugerechnet. Ersten Informationen zufolge könnte es auf dieser Grundlage zu einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Regelung für den Intensivpflegebereich kommen.

Der Arbeitgeber sperrte sich jedoch gegen eine Quotenregelung für die stationäre Pflege und die Funktionsbereiche. Es ist stark davon auszugehen, dass es hier Druck von politischer Seite gab, keine solche Regelung zu treffen, um eine Nachahmung in anderen Krankenhäusern zu verhindern. Um auch in diesem Bereich Quoten durchzusetzen wäre ein ganz anderer gesellschaftlicher Druck – auch durch Ver.di bundesweit – und Streiks in mehreren Krankenhäusern nötig gewesen. 

Ein erstes Angebot nach vier Streiktagen, das lediglich zu Verbesserung im Intensivpflegebereich geführt hätte, wurde von den TarifberaterInnen zu Recht mit dem Argument zurück gewiesen, man wolle sich nicht spalten lassen.

Verbesserungen in der stationären Pflege

Nach weiteren drei Tagen Streik musste der Arbeitgeber auch ein Angebot für die stationäre Pflege auf den Tisch legen. Hier werden jetzt Mindeststandards als Haltelinien definiert und keiner soll mehr Nachtdienst allein verrichten. Auf Grundlage der in den neunziger Jahren angewandten Pflegepersonalregelung (PPR), die nach ihrer Abschaffung in manchen Kliniken noch als interner Berechnungsmaßstab verwendet wird, soll der errechnete Personalbedarf zu 90 Prozent PPR plus Nachtdienste und plus Sondertatbestände (besondere Tätigkeiten die zu erhöhter Belastung führen) erfüllt werden. Vor dem Streik hat der Arbeitgeber den Bedarf bei 85 Prozent PPR angesetzt und Nachtdienste und Sondertatbestände nicht beachtet. Oftmals wurde die 85 Prozent-Grenze sogar unterschritten. Dies ist jetzt nicht mehr möglich. KollegInnen jeder Station können nach Abschluss des Tarifvertrags selbst nachprüfen, wie viele Vollkräfte ihnen ungefähr zustehen. Der Anspruch für KollegInnen unterschiedlicher Stationen wird jetzt berechnet. Eine geplante Regelung zu Sondertatbeständen soll der Gewerkschaft und KollegInnen ein neues Instrument an die Hand geben, mehr Personalbedarf geltend zu machen und Sondertatbestände zu definieren wie zum Beispiel die Pflege von Demenzkranken. 

Mit einer festen Untergrenze wird „der heimliche Stellenabbau an der Charité endlich gestoppt“, wie eine Kollegin unter Applaus sagte. „Alles in allem wird hier ein Systemwechsel von der budgetorientierten zur patientenorientierten Personalausstattung eingeführt,“ erklärt der Intensivpfleger Arthur Radvilas.

Entlastung schaffen

Wird die Vereinbarung nicht eingehalten, beispielsweise weil der Arbeitgeber nicht genug Personal bereit stellt, haben KollegInnen künftig über ihre Stations/Schichtleitungen das Recht, sich an einen Gesundheitsausschuss zu wenden und ihre Belastung anzuzeigen. In einer Eskalationskaskade wird dann Personal aufgestockt, die Arbeitsleistung eingeschränkt oder in letzter Konsequenz Betten gesperrt. Dies ist eine wichtige Regelung, um zu verhindern, dass im Falle fehlender Gelder zur Finanzierung oder unzureichender BewerberInnen, die Beschäftigten am Ende die Last tragen müssen. Unmittelbar sollen zudem alle befristeten Arbeitsverträge entfristet werden. Diese Regelungen sind auch deshalb sehr wichtig, weil davon auszugehen ist, dass es – im Falle einesfertigen Tarifvertrags – etwas dauern wird, bis eine Entlastung real spürbar wird.

In den Funktionsbereichen wie beispielsweise OP und Kreißsaal sollen Empfehlungen von Fachgesellschaften für die zukünftige Personalausstattung gelten. Jana Rauscheid von der Streikleitung des Virchow-Klinikums berichtet über einen Erfolg der KollegInnen der Radiologie: „Dass der Streik alle Beschäftigten betrifft und auch von den meisten mitgetragen wurde, zeigt sich darin, dass KollegInnen aus der Radiologie nach zehn Tagen solidarischem Mitstreiken feststellten, dass eben auch für sie eine personelle Verbesserung mit dem Abschluss des Tarifvertrags einhergeht.“

Kommt es zu einem solchen Tarifvertrag, soll dieser eine Mindestlaufzeit bis Ende 2016 haben.

„Waffenstillstand“

Um mögliche Fallstricke in den Verhandlungen mit dem Arbeitgeber über einen Tarifvertrag, den es bisher nicht gab, zu vermeiden, ist eine intensive Rückkopplung mit den TarifberaterInnen nötig. 

Sollte durch den Arbeitgeber während der Tarifverhandlungen gegen das Eckpunktepapier verstoßen werden, kann die Gewerkschaft die Verhandlungen abbrechen und den Streik erneut hochfahren. Ein Kollege formulierte den Zustand so: „Oder symbolisch gesagt, die Pistole steckt im Holster aber die Hand liegt noch an ihr.“ Oder mit den Worten Stephan Gummerts von der Streikleitung: „Streik ist ausgesetzt. Es beginnt nach dem Etappensieg nun die nächste Phase des Konflikts. Militärisch gesprochen befinden wir uns im Waffenstillstand.“

Solidarität

Ein Streik in einem Krankenhaus ist nicht zu vergleichen mit anderen Streiks. Krankenhausbeschäftigte arbeiten am Menschen und retten im Zweifelsfall Leben. Beschäftigte stehen unter enormen, auch seelischen Druck, weil sie sich ihren PatientInnen gegenüber verantwortlich fühlen. Deshalb mussten viele KollegInnen, die gern mit gestreikt hätten, Notdienste verrichten, um PatientInnen nicht zu gefähren. Jeden Tag kämpften KollegInnen auf Stationen dagegen, dass gesperrte Betten durch den Arbeitgeber neu belegt wurden. 

Ver.di Charité sorgte gemeinsam mit dem Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus dafür, PatientInnen und Angehörige zu informieren. Bei einer bewegenden Pressekonferenz des Bündnisses und Ver.di Charité am 1. Juli brachten PatientInnen zum Ausdruck, dass sie hinter dem Streik stehen. Die Patientenbeauftragte des Landes Berlins Karin Stötzner sagte deutlich: „Ich unterstütze den Streik aus tiefstem Herzen.“ Sie habe von keinem Patienten gehört, der sich durch den Streik gefährdet gesehen hätte. In einer nicht-repräsentativen Umfrage des Berliner Kuriers nach dem ersten Streiktag, unterstützten 99 Prozent der BerlinerInnen den Streik.

Dieser Streik war nicht nur ein offensiver, sondern auch ein aktiver Streik, der in die Kieze getragen wurde. Tausende Solidaritätsplakate wurden in der Stadt geklebt und verteilt, mit Flashmobs das Anliegen des Streiks in die Kieze getragen, bei Demonstrationen auf das Versagen der Regierungaufmerksam gemacht. Am elften Streiktag – nach der Unterzeichnung des Eckpunktepapiers – demonstrierten Hunderte Charité-Beschäftigte noch gemeinsam mit streikenden PostkollegInnen gegen die Bundesregierung. Solidaritätserklärungen kamen aus vielen Ländern, von Beschäftigten anderer Krankenhäuser und sogar vom Marburger Bund Berlin-Brandenburg, der Berliner Ärztekammer und der GDL. Max Uthoff von ‘Die Anstalt’ sprach den KollegInnen am fünften Streiktag Mut zu, hart zu bleiben.

Bei allen Demonstrationen sichtbar war auch die Unterstützung der KollegInnen der CFM. Bei der Charité-Tochter gibt es immer noch einen tariflosen Zustand und die KollegInnen bereiten sich auf eine Wiederaufnahme der Auseinandersetzung vor und haben dann unser alle Solidarität verdient.

Streikdemokratie

Der Streik war auch deshalb besonders, weil weitgehende Ansätze von Streikdemokratie vor, während und nach dem Streik praktiziert wurden. Diese waren auf den Campussen unterschiedlich stark ausgeprägt.

Wie bereits im Streik an der Charité und CFM 2011 gab es auch diesmal regelmäßige Streikversammlungen, bei denen diskutiert werden konnte und Entscheidungen getroffen wurden. Zusätzlich wurde ein System von TarifberaterInnen (Streikdelegierte) etabliert. KollegInnen jeder Station entsandten VertreterInnen in Treffen aller TarifberaterInnen, um Verhandlungsstände zu diskutieren, zu bewerten und in ihre Teams rückzukoppeln. Während des Streiks gab es tägliche Treffen dieser Struktur an zwei von drei Campussen und stadtweite Zusammenkünfte, bei denen die Verhandlungskommission über den Verhandlungsstand informierte und Rede und Antwort stehen musste. Bei campusübergreifenden Tarifberatertreffen beteiligten sich oft bis zu 100 TarifberaterInnen. Sie haben viele wichtige Diskussionen auch mit den KollegInnen geführt, die aufgrund von Notdiensten nicht mitstreiken konnten.

Die Entscheidung über die Annahme des Eckpunktepapiers und Aussetzung des Streiks wurde dann demokratisch von den Streikversammlungen entschieden.

Auch jetzt, bei der Erarbeitung des Tarifvertrags, soll es eine enge Rückkopplung und Diskussion mit den TarifberaterInnen geben, um Fehler zu vermeiden und die Expertise vieler KollegInnen einzubeziehen. Klar ist jedoch auch, dass dieses System an den unterschiedlichen Campussen unterschiedlich stark entwickelt ist und die Einbeziehung noch gesteigert und Abläufe weiter verbessert werden können. Einige KollegInnen, vor allem am Campus Benjamin Franklin in Steglitz, hätten sich gewünscht bei den Streikversammlungen noch detaillierter zu diskutieren, was das Ergebnis für ihre Station bedeutet. Dafür wäre möglicherweise noch mehr Zeit hilfreich gewesen. Das muss jetzt nachgearbeitet werden.

Politisierung

Beeindruckend ist das politische Niveau, auf dem während des Streiks diskutiert wurde. Das hängt erstens mit den Streikerfahrungen der Streikleitung und der Belegschaft aus den Streiks 2006 und 2011 zusammen. Zweitens haben sich KollegInnen bei den Tarifberatertreffen und Streikversammlungen selbst stark eingebracht, weil sie gespürt haben, dass dies ihr Streik ist. Drittens wurden im Rahmen einer ‘Streikuni’ – organisiert durch das Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus – politische Bildungsveranstaltungen organisiert. Die Autorin dieser Zeilen referierte beispielsweise an zwei Campussen über politische Streiks in Deutschland. Daraus entstanden lebendige Diskussionen von jeweils fünfzig bis siebzig Streikenden darüber, was den Streik an der Charité so politisch macht, wie die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen werden können und warum es in Deutschland so lange keinen Generalstreik mehr gab. Andere Themen umfassten praktische Fragen zum Aufbau der eigenen Gewerkschaft. Dorit Hollasky aus Dresden berichtete in einem gemeinsamen Workshop mit Nadja Rakowitz von dem erfolgreichen Kampf gegen die Privatisierung der Dresdner Kliniken.

Der Streik hat nicht nur vieles in Bewegung gebracht, sondern die Streikenden selbst enorm bewegt.  So meinte ein Ostberliner Intensivpfleger des Campus Mitte, dass er zum ersten Mal seit der Wende das Gefühl habe, er könne was bewegen.

Wäre mehr drin gewesen?

Stephan Gummert erklärte während des Streiks zu Recht: „Die Forderung nach mehr Personal ist systemimmanent innerhalb der herrschenden Budgetlogik der Fallpauschalen nicht zu realisieren. Sie rührt an der Systemgrenze der Krankenhausfinanzierung und damit an der Markt- und Verwertungslogik, die uns der Kapitalismus ja auch im Gesundheitsbereich organisiert.“

Während des Streiks wurde klar, dass der Streik – wenn er auf die Charité begrenzt bleibt – das Kräfteverhältnis nicht so weit verschieben kann, dass die Forderungen voll durchgesetzt werden.

Ver.di Charité, das Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus und einzelne Gruppen wie die SAV haben sehr viel unternommen, Öffentlichkeit zu schaffen und den politischen Druck zu erhöhen.

Es wäre ein qualitativer Unterschied gewesen, wenn Ver.di bundesweit ihre Strategie geändert hätte und auf einen Kampf für eine tarifliche Regelung auch in anderen Krankenhäusern gesetzt hätte undVer.di-Betriebsgruppen in vier oder fünf anderen Krankenhäusern ebenfalls den Kampf aufgenommen hätten. 

Zudem hätte Ver.di bundesweit die Möglichkeit gehabt, Solidarität zu organisieren und dieVerbindung zu anderen Belegschaften herzustellen, die in Auseinandersetzungen stehen. Mehr als eine Unterschriftenliste, die auf der Ver.di-Website schwer zu finden ist, gab es jedoch nicht.

Viele KollegInnen fanden es sehr gut, dass es am letzten Streiktag nach der Unterzeichnung des Eckpunktepapiers eine gemeinsame Demo mit den streikenden PostkollegInnen gab. Das wurde durch beide Betriebsgruppen von unten vereinbart. Doch warum gab es keine gemeinsamen Demos von Beschäftigten von Amazon, Sozial und Erziehungsdiensten, Post, Bahn, Staatsballett, Charité und weiteren KollegInnen in Berlin und bundesweit? Es würde doch auf der Hand liegen, gerade wenn die öffentlichen Arbeitgeber in vielen Bereichen eine harte Haltung zeigen, KollegInnen zusammen zu bringen. Während einige Gewerkschaftssekretäre vor Ort diese Idee gut finden, unternimmt die Ver.di-Führung nichts, um einen solchen Prozess zu organisieren.

Mit solchen gemeinsamen Protesten, einer kämpferischen Kampagne zur Abschaffung der Fallpauschalen und für eine tariflich erkämpfte Personalbemessung hätte sowohl der Druck auf den Arbeitgeber an der Charité und auch auf die Regierung für eine gesetzliche Regelung qualitativgesteigert werden können. Vor dem Hintergrund, dass dies ausblieb, ist es mehr als beachtlich, was in einem Krankenhaus durchgesetzt werden konnte. 

Solch eine kämpferische Gewerkschaftspolitik ist bundesweit nötig. KollegInnen, die sich für einen solchen Kurs einsetzen wollen, sollten sich vernetzen, auf Fachbereichsebene sowie übergreifend. So können Forderungen und Kampfvorschläge gemeinsam diskutiert werden, und kann der Druck für eine solche Gewerkschaftspolitik gemeinsam aufgebaut werden.

Die LINKE ist die einzige Partei im deutschen Bundestag, die sich solidarisch mit dem Streik erklärthat. Das ist enorm wichtig. SAV-Mitglieder sind in der LINKEn aktiv und setzen sich für einen kämpferischen und sozialistischen Kurs ein. Sowohl der Bundesparteitag im Juni als auch die Bundestagsfraktion zeigten sich solidarisch mit den Streikenden. Bei den Streikenden kam es sehr positiv an, dass die Fraktion während der ersten Demo der Beschäftigten Plakate zur Unterstützung des Streiks aus ihren Büros hängen ließen und den Streikenden zujubelten. Parteivorstandsmitglieder nahmen auch an der Demo teil. Doch insgesamt blieb die Partei mit 60.000 Mitgliedern weit unter ihren Möglichkeiten, den Kampf bekannt zu machen und Unterstützung zu organisieren, zum Beispiel durch Erstellung von Info-Flugblättern und massenhafter Verteilung vor Krankenhäusern bundesweit.Sie hätte viel stärker zum Faktor in der Auseinandersetzung werden können, ohne den Streik zu dominieren oder zu instrumentalisieren.

SAV aktiv im Streik

Mitglieder der SAV waren sowohl als Teil der Streikleitung als auch als UnterstützerInnen täglich im Streik aktiv. Gemeinsam mit anderen im Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus haben wir einen Beitrag geleistet, die Streikleitungen zu unterstützen, PatientInnen zu informieren, den Streik in die Kieze zu tragen, eine Solidaritätsveranstaltung von 200 Menschen – darunter GewerkschafterInnen aus anderen Betrieben – vor dem Streik auf die Beine zu stellen, Veranstaltungen im Rahmen der Streikuni und Solidaritätserklärungen bundesweit und international zu organisieren.

Mitglieder der SAV innerhalb und außerhalb der Charité waren bereits in den Streiks 2006 und 2011 aktiv, haben die Tarifbewegung für mehr Personal seit 2012 eng begleitet und haben wichtige politische Erfahrungen aus diesen Streiks an der Charité und der CFM gesammelt, die in diesem Streik sehr nützlich waren. Für viele unserer GenossInnen war die Unterstützung und Mitarbeit im Streik extrem spannend und wir möchten uns bei den KollegInnen für die tolle Zusammenarbeit bedanken. Wir freuen uns darüber, dass sich einige überlegen, in der SAV aktiv zu werden oder diese Entscheidung bereits getroffen haben.

Was bleibt

Viele KollegInnen wissen, dass dies erst der Anfang war. 455 KollegInnen sind seit März neu in die Gewerkschaft eingetreten. Es kommt jetzt darauf an, die Betriebsgruppe weiter aufzubauen, den Tarifvertrag in Absprache mit TarifberaterInnen fertig zu stellen und wachsam zu sein, ob der Arbeitgeber sich an Vereinbarungen hält. Die Belegschaft der Charité geht aus diesem Streik politisch gestärkt mit vielen Erfahrungen hervor. 

Eine Kinderkrankenschwester brachte das auf den Punkt: „Ich war nie politisch aktiv, aber diese Streikwoche war für mich teilweise sehr emotional. Also dieses Zusammenstehen und für etwas stehen, das hat mir ein ums andere Mal auch Gänsehaut bereitet. Und ich hab das Gefühl, ich bin in den Streiktagen zwei Zentimeter gewachsen. Es macht ein unheimlich gutes Gefühl. Ich bin nie ein Nein-Sager gewesen, aber so aufzustehen, wie ich es jetzt gerade mache und den Mund aufzumachen, ist für mich persönlich ein neues Gefühl, aber es erfüllt mich einfach mit Stolz – Für mich, für mein Team, für die Charité, für die Gewerkschaft.“

 

Streik bei der Berliner Charité

Streik im Krankenhaus: Erstmalig fordert Gewerkschaft ver.di Personalquoten per Kollektivvertrag
Sascha Stanicic, CWI Deutschland und aktiv im Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“

„Wir haben einen langen Atem, aber keine Geduld mehr!“ Mit diesem Satz sprach Carsten Becker den streikenden Beschäftigten von Europas größtem Universitätsklinikum, der Berliner Charité,

aus dem Herzen. Der Betriebsgruppensprecher der Gewerkschaft ver.di hatte vor 1.500 Beschäftigten und ihren UnterstützerInnen aus anderen Gewerkschaften, der Partei DIE LINKE etc. auf einer Demonstration am 28. April das Wort ergriffen, die den Abschluss von zwei historischen Warnstreiktagen darstellte.

Historisch, weil erstmals in einem deutschen Krankenhaus Beschäftigte streikten, um feste Personalquoten auf den Stationen und verbindliche Regelungen zum Gesundheitsschutz per Kollektivvertrag festzuschreiben. ver.di fordert, dass auf einer Normalstation eine Pflegekraft nicht mehr als fünf PatientInnen versorgen muss, im Intensivbereich nicht mehr als zwei, und dass keine Nachtschichten mehr alleine getätigt werden müssen.

Angesichts von 162.000 fehlenden Stellen in den Krankenhäusern der Republik, davon 70.000 in der Pflege, ist es höchste Zeit, dass solche Aktionen stattfinden. Die Gewerkschaft ver.di fordert, wie auch die Partei DIE LINKE, eine gesetzliche Personalbemessung in Krankenhäusern. Die Charité-Beschäftigten wollen nicht darauf warten, dass sich „die Politik“ bewegt und fordern einen entsprechenden Kollektivvertrag. Sie sind sicher, dass ein Erfolg ihres Kampfes auch dem Kampf für eine gesetzliche Regelung Rückenwind geben würde und sehen darin, zurecht, keinen Widerspruch.

Unterstützt werden die Charité-Beschäftigten wie schon bei früheren Streiks auch von außen, unter anderem vom Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“. Für dieses sprach auch SAV-Mitglied Lucy Redler auf der Demonstration. Sie zeigte überzeugend auf, dass das Dienstgeber-Argument des fehlenden Geldes zur Erfüllung der Forderungen vorgeschoben ist, angesichts von Milliardenausgaben für Bauruinen wie den neuen Berliner Flughafen BER oder die so genannte „Kanzler-Bahn“, einen Streckenabschnitt der Berliner U-Bahn, den niemand braucht. Schließlich ist die Charité eine Landesklinik und hängt es letztlich an politischen Entscheidungen, wie ihre finanzielle Ausstattung aussieht.

Der Dienstgeber wollte auch nach dem Ausstand, der zum Ausfall von fast allen Operationen und der Schließung von 500 Betten führte, die Forderungen nicht erfüllen. In einem typischen Versuch, die Belegschaft zu spalten, wurden nur Verbesserungen für die Intensivstationen angeboten. Die dort beschäftigten KollegInnen fallen darauf aber nicht herein und haben deutlich gemacht, dass sie bereit sind, so lange an Streiks teilzunehmen, bis Verbesserungen für alle Beschäftigten erreicht sind. Damit sind auch nicht nur die Pflegekräfte gemeint, sondern auch die vielen KollegInnen der nichtpflegerischen Bereiche, wie zum Beispiel der IT-Abteilung, die auch am Streik teilnahmen. Nun hat ver.di eine Urabstimmung über einen unbefristeten Ausstand eingeleitet. Unter den Gewerkschaftsmitgliedern besteht kein Zweifel, dass die Streikbereitschaft hoch ist. Das gilt auch für die Unterstützung unter PatientInnen und in der Bevölkerung. Der Kampagne-Slogan „Mehr von uns ist besser für Alle!“ bringt es auf den Punkt: hier geht es nicht nur um die Interessen der Beschäftigten, sondern auch um die Sicherheit für die PatientInnen.

Ein solcher Streik hätte zweifellos bundesweite, aber auch internationale Bedeutung. Viele gewerkschaftliche Betriebsgruppen aus dem Rest der Republik hatten Solidaritätserklärungen nach Berlin geschickt und deutlich gemacht, dass sie aus dem Kampf an der Charité Mut schöpfen, auch selber Kämpfe vorzubereiten. Da sich die Logik der Auseinandersetzung gegen die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und die Fallkostenpauschalen als Abrechnungsmechanismus wendet – was von den GewerkschafterInnen an der Charité bei jeder Gelegenheit betont wird – handelt es sich ohnehin um einen höchst politischen Kampf. Die Sozialistische Alternative (SAV) unterstützt seit vielen Jahren die Kämpfe der Charité-Beschäftigten. Über internationale Solidaritätsadressen, auch von der SLP, haben sich die Streikenden sehr gefreut und ihrerseits solidarische Grüße an die kämpfenden Pflegekräfte nach Österreich gesendet (siehe Foto).

www.sozialismus.info/category/themen/bundg/cfmstreik/ und www.mehr-krankenhauspersonal.de

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der Pflegeaufstand hat begonnen

Lukas Kastner

Endlich regt sich Widerstand gegen die Kürzungspolitik im Gesundheitsbereich. Am 12. Mai, dem internationalen Tag der Pflege, gingen in mehreren Städten Österreichs PflegerInnen und solidarische Menschen auf die Straße, um ihrem Ärger über die Misere im Gesundheitsbereich Luft zu machen. Seit Monaten befinden sich Aktionsbündnisse, wie CaREvolution in ganz Österreich und 30 Prozent Plus sowie Care Revolution in Wien, im Aufbau. Diese Initiativen kämpfen für eine Lohnerhöhung und (in Wien) eine Personalaufstockung von 30 Prozent. Weil von Gewerkschaftsseite v.a. schöne Worte und zahme Erklärungen kommen, beschlossen mehrere Initiativen den 12.5. für den Kampf für ihre Rechte zu nutzen und Druck auf Gewerkschaften und Politik auszuüben. Vor dem Wiener SMZ Ost protestierten Beschäftigte und PatientInnen. Auf der Mariahilferstraße fand ein Flashmob mit 200 TeilnehmerInnen statt. Auch in Linz wurde gegen Kürzungen von 17 Millionen protestiert. In Salzburg fand eine lautstarke Kundgebung statt. Eine Pflegerin im Salzburger Landeskrankenhaus auf der Kundgebung: „Es reicht endgültig! Wir haben genug von aufmunternden Schulterklopfern. Was es braucht, ist eine finanzielle Besserstellung und mehr Personal. Das wäre eine echte Aufwertung der Pflege.“

Seit dem Aufflammen der Proteste hat die SLP die Initiativen der KollegInnen unterstützt. Wir betonten stets, dass notwendig ist, auf der Straße Druck auszuüben und nicht auf die abgehobene Gewerkschaftsbürokratie und Verhandlungen im Hinterzimmer zu vertrauen. In Wien haben wir – im Gegensatz zur Gewerkschaftsführung – betont, dass auch Streik ein mögliches und nötiges Kampfmittel im Gesundheitswesen ist. Unser Aktionsplan für das Gesundheitswesen wurde mit großem Interesse aufgenommen. Zudem sind wir bemüht, durch den Aufbau von Solidaritätskomitees zum Schulterschluss zwischen PflegerInnen und KollegInnen in anderen Bereichen beizutragen. Der Kampf für bessere Gehälter und Personalschlüssel muss weitergeführt werden. Auf die Gewerkschaftsführung können wir uns nicht verlassen, erkämpft müssen diese Verbesserungen von den KollegInnen selbst werden. Der 12.5. kann nur der Anfang für weitere Proteste sein. Die SLP wird die PflegerInnen in ihrem Kampf weiter solidarisch unterstützen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Für eine kämpferische Gesundheitsgewerkschaft

Überall gibt es Basisinitiativen im Gesundheitsbereich für mehr Personal und mehr Gehalt.
Christoph Glanninger

„Es gärt gewaltig im Pflegebereich“ meint kein anderer als ÖGB-Boss Foglar. Das macht GewerkschaftsbürokratInnen wie ihm zurecht Angst.

Denn immer mehr Beschäftige sind nicht nur wütend auf das Kaputtsparen der Regierenden, sondern auch auf die Gewerkschaftsführung, die kaum was tut, um die katastrophale Situation zu verbessern. Außerdem sind für den Sozial- und Gesundheitsbereich vier Gewerkschaften zuständig (GdG, GÖD, GPA-djp, Vida), was gemeinsames Handeln extrem erschwert.

Deshalb wünschen sich immer mehr KollegInnen eine neue kämpferische Gesundheitsgewerkschaft. Eine solche wird die Bürokratie im ÖGB sicher nicht einfach so von oben gründen. Doch sie kann auch nicht einfach so aus dem Nichts gegründet werden. Was aber sofort möglich und nötig ist, ist die Vernetzung von Basisstrukturen der Beschäftigten des Sozial- und Gesundheitsbereichs. Über Fraktions- und Fachgewerkschaftsgrenzen hinweg und auch unter Einbeziehung von KollegInnen, die noch nicht oder nicht mehr Gewerkschaftsmitglied sind, kann man sich regelmäßig treffen, über Forderungen diskutieren und Aktionen planen. Ein solches Vorgehen ist im ÖGB nicht vorgesehen – doch was will die Gewerkschaftsführung tun, um KollegInnen davon abzuhalten?

Längerfristig muss eine neue Gesundheitsgewerkschaft das Resultat solcher Basisstrukturen sein. Eine Gewerkschaft, die sich tatsächlich für die Interessen ihrer Mitglieder einsetzt, und wenn nötig auch zu Kampfmaßnahmen wie Streiks greift, um Forderungen durchzusetzen. Ansatzpunkte können Basisinitiativen wie CaRevolution sein, die sich in mehreren österreichischen Bundesländern gebildet haben.

So kann auch Druck auf die Gewerkschaftsführung aufgebaut werden. Durch Resolutionen von Beschäftigten und Protestaktionen kann erreicht werden, dass keinen faulen Deals zugestimmt wird und Verhandlungsergebnisse einer Urabstimmung unterzogen werden. Proteste über Gewerkschaftsgrenzen hinweg können organisiert werden. Konkrete Aktionen werden der Startpunkt einer kämpferischen Gesundheitsgewerkschaft sein.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Kollektivvertrag (KV) JournalistInnen: Ohne Moos nix los?

Christian Bunke

Stell dir vor es gibt einen Kollektivvertrag, aber kein Unternehmen hält sich dran. So wirds von den im Verband Österreichischer Zeitungen organisierten Medienunternehmen gemacht. Am 1.12.2014 trat nach gefühlten ewigen Zeiten ein neuer KV für freie JournalistInnen in Kraft. Dieser sieht eine Erhöhung des Zeichensatzes von 25,80 auf 34,50 Euro pro 1000 Zeichen vor.

Das hat der VÖZ zwar unterschrieben, aber die VÖZ-Unternehmen zahlen nicht. Dafür nutzen sie fadenscheinige, rechtlich nicht haltbare Entschuldigungen. Darum hat die Mehrheit der freien JournalistInnen von der Erhöhung bislang nix gesehen.

Die Gewerkschaft behauptet, nichts machen zu können und hat fröhlich schon mal den KV für 2015 ausgehandelt. Obwohl die meisten für 2014 schon nicht gekriegt haben, was ihnen zusteht. Nicht einmal zu einer Klage hat sich die Gewerkschaft durchgerungen! Dabei ist viel mehr nötig: Kampf für die Einhaltung des KV und eine Vernetzung freier JournalistInnen mit den Stammbelegschaften. Denn auch diese sind zunehmend von unsicheren Arbeitsverhältnissen betroffen. Der Angriff auf den KV durch die VÖZ richtet sich gegen alle. Den Widerstand müssen wir selbst organisieren, dann kommt hoffentlich auch die Gewerkschaft in die Gänge!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Frisch gekämpft ist halb gewonnen: GDL-Streik

Moritz C. Erkl

Die GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) hat wieder gestreikt. Ende Mai fand in Deutschland bereits der neunte Streik der kämpferischen KollegInnen seit Herbst 2014 statt. Bei diesem Klassenkampf ging es ums Eingemachte: das deutsche Kapital versuchte, unterstützt durch Medien und Regierung, gewerkschaftliche Grundrechte zu beschneiden. So regt sich Sigmar Gabriel (SPD-Vizekanzler) über die „schweren Folgen“ auf, die die Streiks für die deutsche Wirtschaft nach sich zögen. Die Führung des DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund), brav wie der ÖGB, hat Angst um ihren Einfluss. Anstatt gewerkschaftliche Grundrechte zu verteidigen, stellt sie sich auf die Seite der Regierung. DGB-Chef Hoffmann erklärt gar, er habe kein Verständnis für die Kampfmaßnahmen. Um die GDL rund um Klaus Weselsky auszuhebeln, ist schon länger ein „Tarifeinheitsgesetz“ geplant, das verhindern soll, dass sich KollegInnen die kämpferischere Gewerkschaft im Betrieb aussuchen. Weil er durch seine Politik des Co-Managements Mitglieder verliert, hofft der DGB seinen Einfluss durch eine solche „Nur eine Gewerkschaft ist erlaubt“-Regelung zu sichern. Der aktive Streik der GDL, bei dem es auch Solidarität aus der Bevölkerung gab, hat Erfolg gebracht: So verteidigte die GDL vorerst das Recht, dass sich Beschäftigte aussuchen können, von welcher Bahngewerkschaft sie sich vertreten lassen wollen. Sie verteidigte auch das Streikrecht, das unter Beschuss steht.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Charité-Streik: Ein Krankenhaus schreibt Geschichte

Bericht vom Streik für mehr Personal am Berliner Uniklinikum
Michael Koschitzki, SAV (CWI in Deutschland)

Zwei Tage Streik für mehr Personal am Berliner Uniklinikum

Der Streik für einen Tarifvertrag zur Personalbemessung der Charité Beschäftigten hat eine Bedeutung weit über das Uniklinikum hinaus. Überwältigende Solidarität schlägt den Beschäftigten entgegen, die ihren Streik zwei Tage lang aufbauten und eine Demonstration mit zweitausend TeilnehmerInnen abhielten.

Alle Zurückhaltung fiel von den Beschäftigten ab, als sie am Ende ihrer Demonstration empört leere Spritzen in Richtung Bundesministerium für Gesundheit warfen. Der Bund, das Land und der Vorstand der Charité: sie alle sind mit ihrer Politik für den Pflegenotstand, den fortschreitenden Kostendruck im Gesundheitswesen und den Einsparungen auf dem Rücken des Personals verantwortlich. Was war in den zwei Tagen Streik passiert, mit dem sie dieser Situation ein Ende setzen wollen?

Streikfront steht

Der Arbeitgeber behinderte den Streikbeginn an vielen Fronten. Bett für Bett musste in manchen Häusern erkämpft werden. Doch die Streikleitung reagierte besonnen und zum Wohl der Patienten. Die Bilanz kann sich aber sehen lassen. Bis zu 900 von den insgesamt 3000 Betten wurden am Dienstag bereits bestreikt. 200 Operationen mussten abgesagt werden. Über zwanzig Stationen wurden geschlossen.

Bei den täglichen Diskussionen im Streiklokal und den Streikversammlungen wird immer mehr KollegInnen klar, welche Bedeutung ihr Kampf hat. Wenn ihre Forderungen nach Mindestbesetzung tarifvertraglich festgelegt werden, wäre das bundesweit einmalig. Andere Krankenhäuser könnten nachziehen. Der Druck auf betrieblicher Ebene würde den politischen Druck für eine gesetzliche Personalmindestmessung erhöhen. Auch für andere Berufe wäre ein Beispiel geschaffen, ihre Arbeitsbelastung durch Tarifverträge zu senken. Beim Vortrag des Bündnisses „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ im Streiklokal wurde sogar der Vergleich zu dem 114 tägigen Streik der MetallerInnen in Schleswig Holstein gezogen, die tariflich die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall erkämpften, was in den fünfziger Jahren zur gesetzlichen Einführung der Lohnfortzahlung führte.

Allein damit, dass die ver.di Betriebsgruppe für ihre Forderungen streik- und mobilisierungsfähig geworden ist, hat den Kampf an der Charité zum bundesweiten Beispiel gemacht und schreibt Geschichte. „Wir haben einen Notruf der Charité abgesetzt, laut und deutlich“ fasste es Betriebsgruppenvorsitzender Carsten Becker unter Jubel der KollegInnen bei der Demonstration zusammen, „und wir werden so lange streiken, bis wir bessere Arbeitsbedingungen bekommen.“

Streikaktivitäten

Und so steigt auch das Selbstbewusstsein der Streikenden. Mehrmals täglich gehen sie über Stationen, um Beschäftigte und PatientInnen über den Streik zu informieren. Zahlreiche PatientInnen drücken ihre Solidarität aus und schicken Protestpostkarten an den Vorstand. Transparente wurden gemalt und Streiklieder einstudiert. Außerdem wurde begonnen in der Stadt Flugblätter zu verteilen und Plakate zu kleben, um für Solidarität für den Streik zu werben.

Eine Delegation von Beschäftigten des Virchow Klinikums besuchte am Dienstag auch eine Streikversammlung der streikenden Postbeschäftigten. Der Streikversammlung, der von Lohndumping und Ausgründung Betroffenen überbrachten sie die Solidarität und luden sie zu gemeinsamen Aktionen ein. Lautstark hatten die über tausend Streikenden ihre Solidarität wiederum zum Ausdruck gebracht.

Streikdemokratie

Mehrfach am Tag finden Streikversammlungen statt bei denen über den aktuellen Stand und geplante Aktionen informiert wird. Streikende berichten dort über die Lage auf ihren Stationen und können sich selbst einbringen. UnterstützerInnen des Streiks die nicht an der Charité arbeiten können sich mit Vorschlägen einbringen und helfen bei der Umsetzung mit.

Darüber hinaus sollen Stationen Delegierte bestimmen, die als sogenannte TarifberaterInnen mithelfen, Meinungen von ihren Teams zurückzukoppeln und bei möglichen Verhandlungen über den Stand informiert werden. Wenn es dazu kommt, soll währenddessen der Streik fortgesetzt und eine demokratische Entscheidung über Annahme oder Fortsetzung des Streiks ermöglicht werden.

Überwältigende Solidarität

Die Freude darüber, dass der Streik es in Tagesschau und Heute Journal gebracht hatte, war groß. Viele Zeitungen berichteten über den Streik. Das half enorm, ihn bundesweit bekannt zu machen. Aus zahlreichen Krankenhäusern und darüber hinaus gab es unzählige Solidaritätsbekundungen. Auch die Stimmung in der Bevölkerung und unter den PatientInnen ist überaus positiv. Die Tatsache, dass der Streik zur Verbesserung der medizinischen Versorgung führt, bringt ihm noch mehr Unterstützung als bisherige Kämpfe für bessere Bezahlung. Eine nichtrepräsentative Leserumfrage des Berliner Kuriers, dem zu folge zwischen 98 und 99 Prozent den Streik für angemessen halten, stärkte die Zuversicht der Streikenden.

Das drückte sich auch bei der Streikdemonstration am Dienstag aus. Statt der circa 600 Streikenden waren insgesamt zweitausend Menschen im strömenden Regen auf der Straße. VertreterInnen vom Einzelhandel und der Post überbrachten ihre solidarischen Grüße. Medizinstudierende, Vivantes-Beschäftigte und einzelne Ärzte waren auf der Demonstration zu sehen. Die Linksfraktion zeigte sich mit Banner, Fahnen und Plakaten solidarisch. Andere linke Organisationen und GewerkschafterInnen waren vertreten.

Julia Dück vom Bündnis für mehr Krankenhauspersonal erklärte, wie wichtig der Kampf auch für Angehörige und PatientInnen sei, „Nicht wir sind es Herr Einhäupel, die die Patientinnen und Patienten in Geiselhaft nehmen […] Es ist der Normalzustand, der die Patienten gefärdet.“

Lucy Redler warf mit Blick auf die laufenden Tarifauseinandersetzungen die Frage auf, wie man es schaffen könne, gemeinsam zu kämpfen und ob man nicht von anderen Ländern, wo es Generalstreiks gab, lernen könne, hier mindestens im Öffentlichen Dienst, sich mal gemeinsam zur Wehr zu setzen.

Wie geht’s weiter?

Der Arbeitgeber ging nach seiner Niederlage vor dem Arbeitsgericht am letzten Freitag in Berufung. Der Termin ist für diesen Mittwoch angesetzt. Sollte das Landesarbeitsgericht die bisherige Entscheidung kassieren und den Streik für unverhältnismäßig erklären, wäre das ein riesiger Skandal und gegen diese Entscheidung müsste auf allen Ebenen vorgegangen werden. Doch die ver.di Verhandlungsführerin Meike Jäger gab sich auf der Demonstration optimistisch, dass der Arbeitgeber vor Gericht wieder besiegt werden würde, wie schon zuvor. Sie zog außerdem die Verbindung zur gesetzlichen Ebene. Man brauche zwar, ein Gesetz für personelle Mindestbemessung, aber man kann nicht drei Jahre warten, bis so etwas kommt, sondern eine Regelung für die Charité müsse jetzt erkämpft werden.

Der Charité Vorstand kündigte an, vor der Gerichtsentscheidung kein Angebot zu machen und Vorstandsvorsitzender Einhäupel sagte, eine Einigung würde man auf deutlich niedrigerem Niveau als den ver.di Forderungen machen müssen, da ihre Umsetzung 36 Millionen Euro pro Jahr kosten würden. Was für ein Angebot ist zu erwarten? Einerseits sieht sich der Vorstand enormen finanziellen Verlusten, einer streikbereiten Belegschaft und überwältigender Solidarität für den Streik gegenüber. Andererseits fürchtet er die finanziellen Konsequenzen und die Signalwirkung des Streiks. Ob und was für ein Angebot kommen wird, bleibt also abzuwarten und wird in Ruhe von den KollegInnen bewertet werden müssen. Bis dahin sollte der Streik entwickelt und weiterhin kämpferisch fortgesetzt werden.

Wir rufen alle dazu auf, sich mit dem Streik solidarisch zu zeigen. Schickt Solidaritätsbotschaften und Fotos an die ver.di Betriebsgruppe und das Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus Kommt zu Streikaktionen, die täglich von 11 bis 13 Uhr an den Streiklokalen stattfinden. Außerdem wird es im Rahmen einer sogenannten Streikuni zahlreiche Diskussionen und Veranstaltungen geben, an denen man sich beteiligen kann.

Denn wie Stephan Gummert von der ver.di Betriebsgruppe bei der Kundgebung sagte: „Ich möchte nicht mehr in diese Gesichter sehen, die Gesichter der Kaufleute, der Prozessoptimierer, der Stellenabbauer, die mir und uns allen immer wieder erklären, wie wir mit noch weniger Personal und noch mehr Fällen noch mehr Erlöse generieren sollen. Ich möchte in eure und unsere Gesichter blicken, Gesichter die seit gestern lachen, die rufen und schreien und die mit Würde und Wut diesem kranken System trotzen.“

OÖ-Sozialbereich: Nein zum faulen Kompromiss!

Der Kampf im oberösterreichischen Sozialbereich hätte erfolgreich sein können, wenn er entschlossen geführt worden wäre!
Jan Millonig, Pflegeschüler

Im März plante die oberösterreichische Landesregierung um Landeshauptmann Phüringer (ÖVP) und der Soziallandesrätin Jahn (SPÖ) Einsparungen im Sozialbereich von 25 Millionen Euro bis 2018. Das hätte nach Schätzung der Gewerkschaft rund 500 Arbeitsplätze gekostet. Betroffen sind vor allem der Behindertenbereich, die Wohnungslosenhilfe und psychosoziale Dienste.

Der Druck von zwei Demonstrationen mit jeweils tausenden Beschäftigten und der jahrelangen Mobilisierungen in dem Bereich konnten die geplanten Kürzungen von 25 auf 17 Millionen Euro runter drücken. Doch jeder Cent ist zu viel und so wurde von den Gewerkschaften (Vida und GPA-djp) für den 16. Juni ein Streik angekündigt. Dieser wurde am Freitag, 12. Juni abgeblassen, weil ein Verhandlungsergebnis erzielt worden war. Während sich die Gewerkschaftsführung offensichtlich damit zufrieden gibt sind die Ergebnisse der Verhandlungen aber alles andere als zufriedenstellend.

Dadurch dass die Beschäftigten Kampfeswillen bewiesen und angedroht haben, konnte zwar erreicht werden, dass die Streichung der 500 Stellen (vorerst) vom Tisch ist. Doch die Kürzung der Finanzierung hat sich nur „verändert“. 12,5 Million Euro müssen im Zeitraum von 5 Jahren eingespart werden.

Die ArbeitgeberInnen haben zwar (nur mündlich) zugesichert, dass es deswegen keine Leistungsverdichtung geben wird. Doch BetriebsrätInnen und Beschäftigte bezweifeln das stark. „Es wird eine, wertfrei gesagt, ‚Qualitätsveränderung‘ geben.“, meint Thomas Erlach, Betriebsratsvorsitzender bei „Exit-Sozial“ für den Gewerkschaftlichen LinksBlock (GLB). Er und die Beschäftigten bei „Exit-Sozial“ sehen das Ergebnis ebenfalls kritisch und sind mit der Absage des Streiks nicht einverstanden.

Die Landesregierung schiebt die Verantwortung einfach ab, denn die Sozialvereine müssen durch „Ressourcenfreiwerdung“ 4,5 Millionen Euro für neue Investitionen bereitstellen. Das von Organisationen und Trägern zu verlangen, die vor allem auf öffentliche Förderungen angewiesen und ohnehin extrem „knapp“ finanziert sind, wo die Arbeitsbedingungen und die Betreuung schon jetzt am (oder oft sogar über dem) Limit des erträglichen ist, ist eine Verhöhnung der Beschäftigten wie auch der KlientInnen!

Alles in allem bleibt das Kürzungspaket von 17 Millionen Euro also bestehen, wurde nur etwas verändert.

Ein weiterer Erfolg der Proteste ist die künftige Übernahme der jährlichen Gehaltserhöhungen durch das Land. Wenn man sich aber die mickrigen Abschlüsse der Kollektivvertragsverhandlungen (KV) in der Vergangenheit ansieht, dann stellt das kaum eine effektive Verbesserung für die Beschäftigten dar. Hier bleibt zu sehen, ob die Gewerkschaftsführung endlich einmal mit einer konsequenten und kämpferischen Politik, die auch Arbeitskämpfe beinhaltet, ordentliche KV-Erhöhungen erreicht. In den letzten Jahren hat sie nur allzu oft faulen Kompromissen zugestimmt.

Zusammenfassend muss man sagen, die Kampfkraft der KollegInnen hat einige der ärgsten Verschlechterungen verhindert, doch die Gewerkschaftsführung hat sich wieder einmal über den Tisch ziehen hat lassen. „Die Kürzungen müssen zurückgenommen werden, darüber hinaus wollen wir eine bedarfsgerechte Finanzierung des Sozialbereichs“, so Andreas Stangl, Regionalgeschäftsführer der GPA OÖ, noch vor dem Streik. Doch die fehlende Mobilisierung für den 16. Juni lässt die Vermutung zu, dass die Gewerkschaftsführung nie wirklich vor hatte in den Streik zu treten, was wohl auch die Zuständigen auf der anderen Seite erkannt haben.

Das Ganze hat die Gewerkschaftsführung auch noch mit „kryptisch formulierten“ Aussendungen als glatten Erfolg verkauft. „Jetzt sind viele KollegInnen verunsichert. Wegen der spärlichen Informationen seitens der Gewerkschaft, wissen sie nicht genau was das Verhandlungsergebniss wirklich für sie bedeutet. Eigentlich ist ja alles beim Alten, außer der gleichbleibende Personalstand.“, berichtet ein Kollege aus der Lebenshilfe OÖ.

Die großen Mobilisierungen haben gezeigt, dass die KollegInnen nur allzu bereit sind, zu kämpfen. "Es reicht", "Nicht wieder einen faulen Kompromiss", "Diesmal müssen wir endlich wirklich kämpfen" haben wir oft auf den beiden Kundgebungen gehört.

Es ist kein Naturgesetz, dass Regierung bzw. Unternehmen etwas fordern und man sich dann nach Verhandlungen auf einen Kompromiss einigt. Denn diese Kompromisse bedeuten Verschlechterungen für Beschäftigte und KlientInnen. Für Stadtwache, Prestigeprojekte und Bankenrettung haben Stadt und Land ja offensichtlich ausreichend Geld!

Die Sozialistische LinksPartei (SLP), selbst schon lange aktiv in Kämpfen im Gesundheits- und Sozialbereich, wie z.B. bei „CaREvolution“ (www.facebook.com/carevolutionoesterreich) oder „Wir sind sozial, aber nicht blöd!“ (http://sozialabernichtbloed.blogspot.co.at/), meint:

Es ist nicht zu akzeptieren, dass in Bereichen, in denen jetzt schon chronische Unterfinanzierung, Personalmangel und Gehälter 20 % unter dem österreichischen Durchschnitt herrschen, nicht einmal Verschlechterungen abgewehrt werden können. Denn nötig wären eigentlich Offensivkämpfe für ein massives Investitionsprogramm, deutliche Gehaltserhöhungen und Personalaufstockungen!

Es ist nur zu logisch, dass in einem System, wo nur Profit zählt und mit einer herrschenden Politik, die diese Logik mitträgt, bei uns ArbeiterInnen, Jugendlichen, Frauen, MigrantInnen, PensionistInnen, KlientInnen, PatientInnen, Arbeitslosen und Armen und gespart wird, anstatt dass die Reichen und Unternehmen zur Kasse gebeten werden. Deshalb kämpfen wir auch für eine Zukunft jenseits des Kapitalismus und für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen und Demokratie von im Zentrum stehen.

30 Stunden in der Woche sind genug!

Arbeitszeitverkürzung ist längst überfällig, aber Gewerkschaftsbosse lassen uns im Stich
Helga Schröder

Wir müssen immer mehr arbeiten um leben zu können, obwohl technologisch mit sehr viel weniger menschlicher Arbeit die Bedürfnisse aller Menschen erfüllbar wären. 2012 wurden in Österreich 68 Millionen unbezahlte(!) Überstunden gemacht. Eine Million Menschen sind von der Arbeit krank, mindestens 40 % der Beschäftigten von Burnout bedroht. Auf der anderen Seite sind 420.000 Menschen ohne Job. Absurd? Profitabel für das Kapital! Unternehmen und Regierung wollen die Arbeitszeit sogar erhöhen und legal bis zu 12 Stunden pro Tag arbeiten lassen, um die Kosten der Krise auf uns abzuwälzen.

Die letzte Arbeitszeitverkürzung ist 40 Jahre her. 1983 beschloss der ÖGB die Forderung der 35h-Woche, was von der Gewerkschaftsbürokratie seitdem ignoriert und teilweise zurückgenommen wurde. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – etwa in einem ersten Schritt auf 30 Stunden pro Woche - ist nötig. Nur so kann die Arbeit auf alle verteilt und die Massenarbeitslosigkeit beseitigt werden.

Die gpa-djp-Aktionswoche „Kürzer arbeiten – leichter leben!“ (15.-19. Juni) ist ein guter Ansatz. Die Gewerkschaft beschränkt sich aber auf das Argument der Schaffung von Beschäftigung. Sie versucht, den Kapitalismus „besser“ zu machen, was scheitern muss. Und es fehlt eine Kampfstrategie, wie das erreicht werden kann. Bei Arbeitszeitverkürzung geht es auch um Reduzierung der Ausbeutung, um Verschiebung des von den ArbeitnehmerInnen geschaffenen Mehrwerts, den das Unternehmen einstreift, zu den ArbeiterInnen. Dazu muss die Arbeitszeitverkürzung aber bei vollem Lohn stattfinden und es müssen zusätzliche Beschäftigte eingestellt werden, damit es nicht zu einem Mehr an Überstunden kommt.

Die KapitalistInnen behaupten schon immer, eine Verkürzung der Arbeitszeit würde sie in den Ruin treiben. Doch solange die Maßnahme im Rahmen des Kapitalismus bleibt, führt die Arbeitszeitverkürzung zu einem Modernisierungsschub der Unternehmen und zum Überbleiben der modernsten Unternehmen. Die dann die Ausbeutung wieder erhöhen, Löhne senken, Arbeitszeit erhöhen bzw. Arbeitsdruck steigern...

Verbesserungen für die Beschäftigten kann in Aufschwungzeiten leichter, auch nur durch gewerkschaftliche Appelle, erreicht werden, nicht aber in Krisenzeiten. Und Wirtschaftsaufschwung ist im Kapitalismus eine temporäre Erscheinung, Krisen sind unvermeidbar und wiederkehrend. Was erreicht und erhalten wird, hängt vom Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit ab. Sind die ArbeiterInnen nicht kampffähig, holt sich das Kapital das Gegebene wo anders zurück, wie z.B. bei der Arbeitszeitverkürzung in Frankreich. Dort fehlte verpflichtender Personalausgleich, die Arbeitszeitverkürzung war verbunden mit Deregulierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen, nur gültig für Betriebe über 20 Beschäftigte, wurde umgangen und war verbunden mit Verschlechterungen der Arbeitssituation und Steigerung des Arbeitsdrucks.

Zu Recht wehren sich auch derzeit Beschäftigte des Gesundheitswesens gegen eine „Arbeitszeitverkürzung“, die mit massiven Einkommenseinbußen und weiterer Verschärfung der ohnehin schon katastrophalen Personalsituation – also mit Erhöhung des Arbeitsdrucks - verbunden ist. Die immer stärkere Arbeitsbelastung hat den fürs Kapital angenehmen Effekt, dass kaum Ressourcen bleiben, um sich zu organisieren. Arbeitszeitverkürzung erhöht daher auch die Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse. Da das naturgemäß den KapitalistInnen nicht gefällt, kann es nur durch entschlossenen organisierten Kampf erreicht werden, der die kapitalistische Sachzwang-Logik durchbricht – genau das, was der ÖGB nicht macht. Eine 6. Urlaubswoche ohne gleichzeitige Reduzierung der Wochenarbeitszeit und ohne zu gewährleisten, dass der Urlaub auch genommen werden kann, bleibt totes Recht.

Statt sich von ihren Forderungen zu verabschieden, muss die Gewerkschaft sowohl Arbeitszeitverkürzung als auch mehr Urlaub UND vollen Lohn- und Personalausgleich erkämpfen. Doch die Gewerkschaftsführung, die an der neoliberalen SPÖ klebt, hat dafür keine wirkliche Perspektive. Die Lohnsteuerreform gibt mit der einen Hand, was die Kürzungen mit der anderen nehmen. Eine Arbeitszeitverkürzung durch diese SPÖ würde ähnlich aussehen. Dass es auch anders geht, haben linke Regierungen auch auf kommunaler Ebene gezeigt. Der sozialistische Stadtrat von Liverpool unter politischer Führung von Militant (CWI Britannien) in den 1980er Jahren mobilisierte die ArbeiterInnen und reduzierte die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Damit es nicht bei frommen Wünschen bleibt, braucht es eine ArbeiterInnenpartei und eine Kampfstrategie. Eine Strategie, die nicht bei den Beschränkungen der kapitalistischen Logik stehen bleibt, sondern den Kapitalismus abschafft und die vorhandene Arbeit und den vorhandenen Wohlstand auf alle aufteilt und modernste Technologie nützt, um uns möglichst viel Freizeit zu verschaffen. Freizeit, in der wir uns an der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beteiligen können, kreativ und sozial tätig sein können, Neues lernen können oder einfach auch mal nichts tun können.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Regierung gegen Weiterbildung

Der Kürzungsterror geht weiter
Christoph Glanninger

Am 2. Juni nahmen auch VertreterInnen der SLP - als Beschäftigte des Bereiches und als solidarische Menschen - an der von der GPA-djp organisierten öffentlichen Betriebsversammlung teil. Unter dem Motto "Schutzschirm statt Kahlschlag" demonstrierten ca. 1500 Beschäftigte gegen die Kürzung des AMS-Budgets auf dem Wiener Ballhausplatz. Die Kürzungen in der Erwachsenenbildung führen zu massivem Jobabbau und Standortschließungen. Bereits 500 TrainerInnen haben den Job verloren, betroffen sind bis zu 1.500. Wieder einmal sollen die Beschäftigten in Folge der Sparmaßnahmen der Regierung ihren Job verlieren.

Die Kurse selbst sind teilweise durchaus kritisch zu sehen, klagen doch Arbeitslose immer wieder über mangelnde Qualität und sogar Schikane. Um tatsächlich Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und um zu verhindern, dass die KollegInnen ihre Stellen verlieren fordern wir:

  • Ausreichend gute, freiwillige und staatliche Schulungsangebote, statt AMS-Zwangsmaßnahmen.
  • Festanstellung für die Ausbildenden statt prekärer Beschäftigungsverhältnisse.
  • Eine Arbeitszeitverkürzung, bei vollem Gehalt. Niemand soll arbeitslos sein, während andere sich krank arbeiten.
  • Öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit uns Soziales.

Die RednerInnen der Gewerkschaft waren recht vage dabei, was die nächsten Schritte sein sollen, sollte die Regierung - und davon ist auszugehen - die Kürzungen nicht zurücknimmt. Eine neuerliche Kundgebung im Herbst, wie angekündigt, wird wohl nicht reichen...

Seiten