Betrieb und Gewerkschaft

Der Pflegeaufstand hat gerade erst begonnen!

    Die Zustände im Sozial- und Gesundheitswesen werden immer schlimmer, für die PatientInnen und für die Beschäftigten. Die Politik ignoriert bzw. leugnet die Probleme (z.B. die Frage von Gangbetten) oder verschlimmert sie sogar. Sozial- und Gesundheitsausgaben sind weitgehend Landessache. Die Bundesregierung zieht sich aus der Verantwortung und verschiebt den Sparterror von der Bundes- einfach auf die Landesebene. Und die Länderregierungen setzen die Kürzungen dann folgsam um. Dabei zeigt sich, dass die verschiedenen Parteien in ihrer praktischen Politik nicht so weit auseinander liegen, da sie ALLE in verschiedenen Landesregierungen verantwortlich sind bzw. waren für Kürzungen bei Gesundheit und Sozialem.

    Die Gesundheitsberufe haben enorm hohe Burnout Raten. Doch in den letzten Monaten hat diese Wut über die Missstände sich in Widerstand verwandelt. Ausgehend vom Pflegepersonal in Salzburg, die als CaREvolution an die Öffentlichkeit gegangen sind, haben sich in verschiedenen Teilen Österreichs Plattformen und Bündnisse gebildet. Die Forderungen sind im wesentlichen ähnlich: mehr Bezahlung und mehr Personal an der Basis. Auslöser in Salzburg war die Veränderung der Arbeitszeitregelung: für die Einkommensverluste der ÄrztInnen war die Landesregierung, wie auch in Wien, bereit, Geld in die Hand zu nehmen. Die PflegerInnen aber sollten die Einkommensverluste einfach hinnehmen. Doch dazu waren und sind sie nicht bereit und wehren sich.

    Die ÄrztInnen haben ihr Ziel des vollständigen Abgleichs der Verluste noch nicht erreicht. Doch sie haben schon Zugeständnisse erkämpft. Möglich war ihnen das weil sie sich organisiert haben und ihre Kampfbereitschaft sehr deutlich gemacht hat. Da stellt sich die Frage, warum die Gewerkschaften des Pflegepersonals es ihnen nicht gleich tun?! Ein zentrales Problem dabei ist die gewerkschaftliche Zersplitterung der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich, die auf vier Teilgewerkschaften (GÖD, GdG, GPA-djp, Vida) aufgeteilt sind. Doch das würde bei einer kämpferischen Politik derselben kein Hindernis sein. Das Hauptproblem ist die Rolle der Gewerkschaftsführung: diese ist teilweise mit den jeweiligen politischen Verantwortlichen (von SPÖ bzw. ÖVP) eng verbunden, redet die Probleme ebenfalls schön, versucht Proteste zu verhindern bzw. in geordnete (=wirkungslose) Bahnen zu lenken und geht gegen KritikerInnen aus der Gewerkschaftsbasis vor. Und genau das versucht sie auch bei den aktuellen Protesten. In Salzburg hat der Zentralbetriebsrat einen mehr als miesen Deal mit der Landesregierung zugestimmt. Die betroffenen KollegInnen wurden wohlweislich nicht gefragt – war doch völlig klar, dass sie nicht zustimmen würden. Sogar von Einschüchterungsversuchen gegen jene KollegInnen, die sich gegen die „Einigung“ mit der Landesregierung aussprechen, wird berichtet.

    Beim „Pflegekongress“ in Wien erklärt die Verantwortliche – obwohl viele KollegInnen deutlich mehr Personal und mehr Geld verlangt haben – es ginge nicht ums Geld, sondern um mehr Anerkennung. Klar, ein paar schöne Worte kosten nichts. Doch sie bezahlen auch keine Rechnungen. Auch wenn sich die Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich über Lob und Anerkennung freuen, so brauchen sie v.a. mehr Geld und weniger Stress. Die Gewerkschaftsführung hat (spät aber doch) erkannt, dass der Sozial- und Gesundheitsbereich ein Pulverfass ist. In Wien versucht die Gewerkschaft die kritischen KollegInnen ruhig zu halten indem sie vorgibt, etwas zu tun. So wurde gemeinsam mit den kritischen und kämpferischen KollegInnen von care revolution Wien ein Flashmob organisiert. Doch der Wunsch der Beschäftigten, ein klares Zeichen zu setzen wurde von der abgehobenen Gewerkschaftsführung, missbraucht um daraus eine zahnlose Aktion zu machen die Aktivität vermitteln sollte, aber keine konkreten Auswirkungen hatte. Anstatt, die kämpferische Stimmung und die Motivation der vielen KollegInnen die am Flashmob beteiligt waren als Auftakt für weitere Proteste zu nutzen, ging man auseinander ohne konkrete Forderungen aufzustellen und ohne einen Plan für weitere Aktionen.

    Die Missstände im Sozial- und Gesundheitsbereich sind so groß, dass es auch in Zukunft wieder zu Protesten kommen wird. Das ist gut. In Kärnten wird ein massives Sparpaket geschnürt. Im AKH drohen die ÄrztInnen mit Streik und in Oberösterreich ist für den 16. Juni ein Streik der Beschäftigten im Sozialbereich geplant. Der Pflegeaufstand hat also gerade erst begonnen!

    Nun müssen wir überlegen, wie diese Kämpfe gewonnen werden können. Dazu braucht es Organisierung an der Basis. Und es muss über Kampfschritte nachgedacht werden, die weiter gehen als Flashmobs und Petitionen. Die Beschäftigten im Behindertenbereich haben einen Streik gegen die geplanten Kürzungen angekündigt. Das Streiken möglich ist, haben auch die Streiks bei der Berliner Charite gezeigt. Dazu brauchen wir aber auch eine völlig andere Gewerkschaft. Die Frage einer Gesundheitsgewerkschaft wird immer wieder angesprochen. Es ist dringend notwendig, dass die Beschäftigten aus den verschiedenen Gewerkschaften (und auch solche die nicht Gewerkschaftsmitglieder sind) sich organisieren. Auch wenn die offiziellen Strukturen des ÖGB das nicht vorsehen, ist eine Vernetzung des Gesundheitsbereichs möglich. Und zwar nicht durch die hochbezahlten SpitzenfunktionärInnen, die Kämpfe eher verhindern als organisieren, sondern durch die kämpferischen KollegInnen an der Basis.

    1. Vernetzt euch mit KollegInnen in Abteilungen, Spitälern, Einrichtungen – trefft euch regelmässig (z.B. als Aktionskomittees) um eure Forderungen und Aktionen zu diskutieren und planen

    2. Vernetzt euch mit KollegInnen in anderen Spitälern

    3. Wenn die Gewerkschaft bei Protesten hilft ist das gut, wenn sie es nicht tut dürfen wir uns nicht davon bremsen lassen

    4. Organisieren wir gemeinsam die nächsten lauten Proteste, auch Demonstrationen und wenn nötig auch Streiks

    mehr unter: Aktionsprogramm für den Gesundheitsbereich https://www.slp.at/artikel/aktionsplan-f%C3%BCr-das-sozial-und-gesundheitswesen-6533 und Das Streik 1x1 https://www.slp.at/artikel/das-kleine-streik-1x1-6572

     

    Am 12. Mai war bundesweiter Pflegeaufstand

    Christoph Glanninger

    Im Gesundheits- und Sozialbereich brodelt es, in ganz Österreich gibt es kämpferische KollegInnen und Basisinitiativen die etwas tun wollen. Die SLP nahm den internationalen Tag der Pflege als Anlass um einen österreichweiten Aktionstag vorzuschlagen, unter dem Motto: Pflegeaufstand!

    In Wien gab es gleich mehrere Aktionen. Beim Dienstwechsel organisierte die SLP zusammen mit PersonalvertreterInnen von der KIV und kämpferischen KollegInnen eine Kundgebung vor dem SMZ-Ost um Beschäftigten und KollegInnen direkt vor Ort die Möglichkeit zu geben die Forderung nach mehr Gehalt und Personal zu unterstützen. Die Reaktionen waren überaus positiv, viele KollegInnen hatten im Vorfeld schon von den verschiedenen Aktivitäten gehört waren froh darüber, dass auch direkt vor dem Krankenhaus Aktionen stattfinden.

    Am Nachmittag wurde ein Flashmob von der Hauptgruppe II der GdG und Care Revolution Wien organisiert. Rund 150 KollegInnen zeigten auf der Mariahilferstraße, dass sie die keine Lust mehr auf immer mehr Arbeit, Überlastung und miese Bezahlung haben. Kollektiv wurde demonstriert, dass die Pflege "am Boden ist" (alle legten sich hin). Und das die Pflege "aufsteht" (man stand wieder auf). Der Flashmob war wie schon die Aktion am 1. Mai ein guter erster Schritt, aber die Gewerkschaft hat leider kaum konkrete Forderungen aufgestellt, keine Eskalationsstrategie vorgestellt und auch keinen Plan wie es weiter gehen soll. Einige, v.a. ältere KollegInnen, die schon mehrere solcher Aktionen durch die Gewerkschaftsführung erlebt hatten waren ein bisschen enttäuscht darüber, dass keine konkreten nächsten Schritte angesprochen wurden. 

    Einige kämpferische KollegInnen entschlossen sich daraufhin noch gemeinsam mit AktivistInnen der SLP die Stadträtin für Gesundheit und Soziales Sonja Wehsely auf einer Veranstaltung anlässlich des internationalen Tages der Pflege mit ihrer Heuchelei zu konfrontieren. Ziel war, darauf hinzuweisen, dass auch in Wien nicht alles "in Ordnung" ist in der Pflege, sondern dass die Situation der Beschäftigten, und damit auch der PatientInnen im Argen liegt. Die Stadträtin zog es vor, die Veranstaltung verfrüht und durch die Hintertüre zu verlassen. Den wütenden KollegInnen entging sie so nicht und versuchte die Kritikpunkte der KollegInnen mit dem üblichen Schönreden und Ablenken zu ignorieren.

    In Salzburg fand ein Flashmob der Initiative CaRevolution statt. Nach dem schlechten Verhandlungsabschluss war die Stimmung auf dem CaRevolution Flashmob teilweise gedrückt. Der Zentralbetriebsrat ist den kämpferischen KollegInnen, mit seiner Zustimmung ohne der versprochenen Urabstimmung, in den Rücken gefallen. Trotzdem zeigten die KollegInnen, dass sie jetzt nicht aufgeben wollen sondern weiter aktiv sein wollen. Der Tenor unter den Anwesenden war, dass man sich jetzt vor allem organisieren muss.

    In Linz fand ein erstes Treffen von CaREvolution Linz statt. Im Zentrum standen die Lohnverhandlungen im Pflegebereich. Außerdem stehen dem Sozialbereich Einsparungen in Höhe von 17 Millionen Euro (früher: 25 Millionen) ins Haus. Dagegen hat es schon zwei große Demonstrationen gegeben und jetzt wird sogar ein Streik vorbereitet. Auch im Pflegebereich rumort es. So verbreitete sich die CaREvoltuion auch nach Oberösterreich. Beim ersten Treffen nahmen Beschäftigte, BetriebsrätInnen, Auszubildende und AktivistInnen teil.  

    Eines ist klar: der österreichweite Aktionstag war ein gutes Zeichen, aber das reicht noch lange nicht. Es rumort weiter im Gesundheitssystem, die Ärzte im Wiener AKH drohen mit Streik, in Oberösterreich fordern erstmals die Gewerkschaften aller Pflegebereiche (Privat, Religiös, Öffentlich) zusammen eine Gehaltserhöhung von 20%. Die Regierung wird weiterhin versuchen die Kosten für Krise, Hypo und Steuerreform am Gesundheits- und Sozialsystem abzuladen, aktuellstes Beispiel: in Kärnten soll es zu massiven Bettenkürzungen kommen. Deshalb müssen wir uns weiter organisieren und aktiv sein.

    Als Hilfe beim organisieren von Aktionen und weiteren Schritten hat die SLP einen Aktionsplan ausgearbeitet: https://www.slp.at/artikel/aktionsplan-f%C3%BCr-das-sozial-und-gesundheitswesen-6533

    Zahlen und Fakten: Einige der vielen Streiks in Österreich nach 1945

    Thomas Hauer

    >1948 streikten knapp 5.000 SchuharbeiterInnen für zwei Monate dagegen, dass die Kosten des Wiederaufbaus auf die Beschäftigten abgewältzt wurden. Einige trotzkistische Betriebsräte spielten dabei eine wesentliche Rolle. Die Ablehnung des Österreich-Patriotismus war ein wesentlicher politischer Faktor im Kampf gegen die Argumentation der Lohn-Preis-Abkommen. Erst durch einen geheim gehaltenen Kompromiss konnte die ÖGB-Führung den Streik „abdrehen“. Nach zwei Monaten wurde aber die Fixierung der 44 Stundenwoche erreicht.

     

    >1950 brach im Oktober in der westlichen Besatzungszone ein Streik gegen das 4. Lohn-Preis-Abkommen (Vorläufer der Sozialpartnerschaft) aus. 120.000 Menschen streikten gegen ein weiteres Absenken des Lebensstandards zu Gunsten der Wirtschaft. Der Streik wurde von ÖGB Führung verraten und als „Kommunisten-Putsch“ verunglimpft. Der ÖGB organisierte Streikbrecher und Schlägertrupps mit Hilfe der US-Besatzer und schlug den Streik nieder.

     

    >1962 streikten 130.000 – 200.000 MetallarbeiterInnen für Lohnerhöhungen und andere Verbesserungen. In den 50er und 60er Jahren stieg die Produktivität um 14%, was sich aber nicht auf die Löhne auswirkte. Erreicht wurde eine Erhöhung der Mindestlöhne um 9-12%.

     

    >1966: 250.000 Beschäftigte streiken gegen die Einreise des selbsternannten Thronfolgers Otto Habsburg. Der Streik von 1966 markiert damit den wohl bedeutendsten politischen Streik der 2. Republik.

     

    >1970 erkämpften bei Bauknecht in Rottenmannn 1.600 Beschäftigte in zwölf Tagen die Erhöhung der Prämien und eine Fahrgeldvergütung.

     

    >1978 erreichten 2.000 Streikende bei Semperit in Traiskirchen eine Lohnerhöhung, jedoch bei gleichzeitigen Arbeitsverschlechterungen.

     

    >2003 streikten LehrerInnen, Beschäftigte bei ÖBB, AUA und Post gegen Kürzungen und andere Verschlechterungen. An einem Streiktag gegen die Pensionsreform legten über eine Million Menschen die Arbeit nieder.

     

    >2004 traten zum ersten Mal freie DienstnehmerInnen in den Streik. Die BotenfahrerInnen bei Veloce kämpften unter anderem um mehr Geld, mehr Transparenz bei den Zahlungen und für das Recht auf einen Betriebsrat.

     

    >2011 streikten die MetallerInnen für eine Lohnerhöhung von 5,5%. Erreicht wurden durchschnittlich 4,2%.

     

    >2012 drohte den Landesbeschäftigten in Salzburg eine Nulllohnrunde. Daraufhin traten tausende Beschäftigte, auch ohne Zustimmung der Gewerkschaft in Streik und erreichten eine Lohnerhöhung um 50,- Euro, während der Rest des Öffentlichen Dienstes leer ausging.

     

    >2014 trat die Belegschaft von KBA-Mödling in den unbefristeten Streik gegen den Abbau von 460 der 750 Arbeitsplätze. Die Gewerkschaft bremste und „verhandelte“ eine Reduktion um 385 Jobs und einen Sozialplan aus. Kaum ein Jahr später stehen die nächsten Jobs bei KBA auf dem Spiel.

    Erscheint in Zeitungsausgabe: 

    Der Generalstreik als Waffe der ArbeiterInnenklasse

    Die Gewerkschaftsbürokratie nützt Generalstreiks zum Dampfablassen – doch er kann den Kapitalismus stürzen
    Fabian Lehr

    Wenn die Klassiker des Marxismus immer wieder betonten, dass die ArbeiterInnenklasse die einzige Macht sei, die den Kapitalismus stürzen könne, dann war das keine auf moralischen Urteilen beruhende Marotte. Diese Einschätzung basierte auf der Tatsache, dass ein erfolgreicher gesellschaftlicher Umsturz nicht ohne eine potentiell überwältigende ökonomische Machtbasis vollzogen werden kann. So, wie nur das wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum den Adel entmachten und den Kapitalismus schaffen konnte, so kann in der Moderne nur die ArbeiterInnenklasse das Kapital stürzen und den Sozialismus errichten. Das naheliegendste Mittel des Kampfes ist für ArbeiterInnen der Streik: Wenn die ArbeiterInnen keinen Mehrwert mehr produzieren, entziehen sie dem Kapital die Basis. Zumindest theoretisch, denn Voraussetzung dafür ist ein ausgeprägtes Klassenbewusstsein und Solidarität der ArbeiterInnenklasse untereinander. Diese ergeben sich nicht automatisch. Die Regel sind kleinere Streiks, in denen ein Bruchteil der ArbeiterInnen für einen begrenzten Zeitraum für einzelne Verbesserungen ihrer wirtschaftlichen Situation streikt. Doch diese Kämpfe können ein Sprungbrett für das Bewusstsein und die Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse sein, wenn sie verknüpft und mit einem größeren Ziel verbunden werden. Ein ausdauernder Generalstreik ist ein Kampfmittel, das die ArbeiterInnenklasse potentiell unbesiegbar macht. Es kann aber nur realisiert werden, wenn zuvor das nötige politische Bewusstsein ausgebildet wurde - und wenn eine revolutionäre Partei ihn begleitet, die der Bewegung eine Kapitalismus überwindende Perspektive geben kann.

    Eines der eindrucksvollsten Beispiele für die theoretischen Möglichkeiten und die praktischen Begrenzungen des Generalstreiks sind die Geschehnisse um den Kapp-Putsch 1920. Ein Generalstreik von Millionen ArbeiterInnen brachte binnen Tagen eine rechtsextreme Putschregierung zu Fall. Aber hier zeigen sich auch die Grenzen des Generalstreiks: Die Sozialdemokratie, die zwei Jahre zuvor die sozialistische Revolution abgewürgt hatte, konnte wieder an die Macht zurückkehren, sich erneut mit den Freikorps arrangieren und sie gegen die ArbeiterInnen des Ruhrgebiets losschicken, die weiterstreikten und versuchten, die Situation in eine sozialistische Revolution zu überführen. Das politische Bewusstsein und die Klassensolidarität der meisten ArbeiterInnen waren stark genug, eine revolutionäre Situation zu schaffen – aber ihre revolutionäre Führung, die KPD, war nicht in der Lage, die Revolution zum Erfolg zu führen.

    Auch ein Blick auf Griechenland zeigt, dass der Generalstreik allein nicht ausreichend ist, um einen Systemsturz herbeizuführen. Dort fanden seit Beginn der brutalen Sparmaßnahmen der Troika dutzende Generalstreiks statt, aber immer nur zeitlich eng begrenzt und ohne systemüberschreitende Perspektive. So erschütterten die Streiks kaum die Stabilität der Regierungen und das Sparen konnte weitergehen. Solange die großen Gewerkschaften von einer Führung dominiert sind, die sich mit dem Kapitalismus gütlich einigen will, werden sie Generalstreiks nur in politischen und wirtschaftlichen Extremsituationen in Erwägung ziehen. Wenn solche Gewerkschaften unter dem Druck der Basis doch in einen Generalstreik gezwungen werden, versuchen sie diesen zu mäßigen und abzubremsen, ehe er dem Kapital gefährlich werden kann. Sie wollen das Kapital nur dazu bewegen, ihnen innerhalb des kapitalistischen Rahmens ein paar Konzessionen zu machen, nicht aber, diesen Rahmen zu sprengen.

    Der Generalstreik ist potentiell eine machtvolle Waffe der ArbeiterInnen - aber nur, wenn ihre Organisationen bereit und fähig sind, ihn in revolutionärem Sinn anzuwenden. Ein Generalstreik kann zu einem Systemsturz führen und mehr sein als eine Drohgebärde, um der Gewerkschaftsbürokratie etwas Prestige zu verschaffen. Dazu ist die enge Zusammenarbeit mit einer revolutionären Partei nötig. Die demokratischen Strukturen, die eine Streikbewegung braucht, um funktionieren zu können wie ArbeiterInnenräte, proletarische Selbstverteidigungskomitees usw. bilden auch die Basis für eine echte neue Demokratie, wenn der Kapitalismus durch Generalstreik und Revolution hinweggefegt wird. Diese Strukturen entstehen meist spontan, doch wenn sie sich vernetzen, Betriebe übernehmen und Nachbarschaften verwalten, stellen sie die Keimzelle einer sozialistischen Gesellschaft dar. Doch dafür braucht es bewusste politische Agitation im Streik und den Strukturen. Der Generalstreik allein stürzt noch nicht den Kapitalismus - aber mit einer revolutionären Partei, die ihn zu nutzen weiß, kann er der Beginn sein.

    Erscheint in Zeitungsausgabe: 

    Das kleine Streik-1x1

    Streiken ist ein politisches Grundrecht und immer notwendiger: Aber wir sind aus der Übung gekommen.

    In Österreich gab es in den letzten Jahrzehnten kaum Streiks, es fehlt „die Übung“. Zusätzlich gibt es FunktionärInnen der Gewerkschaft, die es sich in der Sozialpartnerschaft so bequem gemacht haben, dass sie zwar mit Streiks drohen, diese aber nicht wirklich organisieren und lieber faulen Kompromissen zustimmen. Daher ist es besonders wichtig, die Erfahrung früherer Streiks und von Arbeitskämpfen in anderen Ländern zu sammeln und daraus zu lernen.

    1. Ein Streik muss gut organisiert sein. Dafür braucht es die Einbindung möglichst vieler KollegInnen. Dazu können Arbeitsgruppen von KollegInnen eingerichtet werden (zur Sammlung von Informationen, zur Information der Öffentlichkeit, zur Herausgabe einer Streikzeitung etc.) und es müssen regelmäßig (z.B. täglich oder jeweils zu Schicht- bzw. Dienstbeginn) Versammlungen organisiert werden, an denen die streikenden KollegInnen und UnterstützerInnen, aber keine VertreterInnen oder Spitzel der Geschäftsleitung, teilnehmen.

    2. Damit ein Streik funktioniert und v.a. damit er, wenn nötig, auch länger durchgehalten werden kann, muss er demokratisch sein. Ein Instrument kann ein gewähltes Streikkomitee sein, das sich aus den engagiertesten KollegInnen zusammensetzt. Das können BetriebsrätInnen und GewerkschaftsvertreterInnen sein, muss aber nicht, wenn sich herausstellt, dass andere mehr Vertrauen in der Belegschaft genießen. Dieses Streikkomitee steht ständig in Kontakt mit den KollegInnen und informiert über alle Schritte. Und es muss auch „grade stehen“ für das, was es tut – und wenn die KollegInnen unzufrieden mit der Arbeit des Streikkomitees sind, dann können sie es auch jederzeit wieder abwählen.

    3. Oft versuchen UnternehmerInnen, Medien und Regierung eine Belegschaft, die sich gegen Verschlechterungen wehrt, mit Rassismus und Sexismus zu spalten. Manchmal treffen diese Versuche auch auf bereits vorhandene. Auch die Vielzahl unterschiedlicher Verträge und Dienstverhältnisse in einem Betrieb dienen dazu, um Beschäftigte voneinander zu trennen. Doch es ist wichtig, sich klar gegen jegliche Form von Diskriminierung und Spaltung einzusetzen. Nur wenn wir geschlossen auftreten können wir auch erfolgreich sein.

    4. Oft wird uns auch das Recht zu streiken abgesprochen. Doch Streiken ist legal. Das gilt sowohl für die Privatwirtschaft als auch für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Das gilt für „ökonomische“ wie auch „politische“ Streiks. Und: Es ist gut, wenn ein Streik von der Gewerkschaft unterstützt wird – aber rechtlich ist es nicht notwendig. Ein sogenannter „wilder“ Streik (ohne Unterstützung der Gewerkschaft) ist zwar schwerer durchzuführen, weil es z.B. kein Streikgeld gibt. Dafür kann aber auch keine Gewerkschaftsführung bremsen. Auch ein „wilder“ Streik ist möglich, legal und kann erfolgreich sein.

    5. Und selbst wenn sie versuchen, uns mit Gesetzen vom Kämpfen abzuhalten: Streik ist ein politisches Grundrecht, das wir uns nicht nehmen lassen dürfen. Gute Argumente, Unterschriften und Protestkundgebungen reichen oft nicht, um soziale und demokratische Rechte zu verteidigen. Trotzdem werden KollegInnen entlassen oder Löhne bzw. Zusatzzahlungen gestrichen. Oder wenn der Arbeitsdruck immer größer wird - dann bleibt uns gar nichts anderes übrig, als uns mittels Streik zu verteidigen.

    6. Die KollegInnen in einem Betrieb wissen am besten, was sie brauchen und was möglich ist. Daher müssen wichtige Entscheidungen auch von ihnen gefällt werden. Über Punkte wie Streikbeginn, Streikende, die Annahme oder Ablehnung von Verhandlungsergebnissen und z.B. in Spitälern den Umfang eines Notbetriebes muss es daher nach ausführlichen demokratischen Diskussionen Abstimmung geben. Die Verhandlungen mit Behörden, Wirtschafts- und UnternehmensvertreterInnen müssen von den Beschäftigten (z.B. via Videoübertragung) mitverfolgt werden können. Geheimverhandlungen dienen nur dazu, die Belegschaft zu spalten und damit die Gegenseite nachher bereits gemachte Zugeständnisse leugnen kann. Es mag sein, dass eine solche Demokratie komplizierter ist, aber das ist kein Argument dagegen, sondern sagt nur, dass sie gut organisiert sein muss.

    Wir kriegen nichts geschenkt: Streik ist die beste Grundlage für erfolgreiche Verhandlungen

    7. Die Angriffe auf die Beschäftigten betrifft viele Menschen: Angehörige, Menschen in der Region, bei Dienstleistungsunternehmen die KundInnen, im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich die KlientInnen, PatientInnen und SchülerInnen bzw. Studierende sowie auch KollegInnen in anderen Betrieben in der Branche etc. Für einen erfolgreichen Streik ist es notwendig, diese Menschen einzubinden. Überall wo mit Menschen gearbeitet wird, werden Streikende gern als „verantwortungslos“ hingestellt – dabei bedeutet mehr LehrerInnen, mehr Personal im Spital und wenn diese ordentlich bezahlt sind auch bessere Betreuung und Versorgung. Gerade hier ist die Einbindung und Solidarität durch die sonst zu betreuenden/pflegenden/unterrichtenden Menschen besonders wichtig.

    8. Die Medien machen streikende ArbeiterInnen eigentlich immer schlecht und informieren falsch – darum brauchen wir eigene Medien (Streikzeitung, Internet, Einladung, den bestreikten Betrieb zu besuchen etc.). Je entschlossener die KollegInnen auftreten und je demokratischer der Streik geplant ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, noch zögernde GewerkschafterInnen dazu zu bringen, den Streik zu unterstützen. Was in einem Betrieb versucht wird (Kurzarbeit, Lohnkürzungen, negative Arbeitszeitveränderungen etc.) finden wir bald in anderen wieder. Der Erfolg oder Misserfolg eines Arbeitskampfes hat auch auf andere Betriebe Auswirkungen. Solidarität ist daher im Eigeninteresse der Beschäftigten.

    9. Streiks wenden sich häufig gegen die Schließung bzw. Verlagerung von Betriebsteilen/Abteilungen bzw. ganzen Betrieben/Einrichtungen. Um das praktisch zu verhindern kann es nötig sein, den Betrieb zu blockieren bzw. zu besetzen. Das kann auch notwendig sein, um zu verhindern, dass Firmenunterlagen, Lagerbestände und sonstiges von Wert von der Unternehmensleitung „auf die Seite geschafft wird“. Letztlich ist es eine ganz praktische Frage: Warum sollen die Werte eines Unternehmens einem/r „BesitzerIn“ gehören, der/die den Betrieb z.B. geerbt hat bzw. in den Bankrott getrieben hat. Gehört er nicht eigentlich viel eher jenen Menschen, die über Jahre und Jahrzehnte täglich die Werte in diesem Unternehmen geschaffen haben?! International gibt es eine Reihe von Beispielen, wo sich KollegInnen mit Besetzungen erfolgreich gegen Entlassungen oder Werksschließungen gewehrt haben.

    10. Viele Angriffe kommen nicht von einzelnen Unternehmen, sondern von Branchen, Unternehmerorganisationen oder auch Regierungen. Auch gegen diese müssen wir uns wehren. Dazu kann ein Generalstreik ein Mittel sein. Dieser ist genauso legal und legitim wie ein „normaler“ Streik, hat aber natürlich größeres Ausmaß, braucht eine bessere Vorbereitung und auch klare politische Ziele.

    Streik ist eine scharfe Waffe. Sie wird nicht leichtfertig eingesetzt. Doch sie wird immer notwendiger, um sich gegen den unmenschlichen Arbeitsdruck, die Prekarisierung der Arbeit, Stellenabbau und Einkommensverluste zu wehren. Und wenn wir uns wehren – dann richtig!

    Die Texte in diesem Artikel wurden im Wesentlichen aus den Broschüren „Streik – kurz & bündig“ und „Sozialistische Antworten auf die Krise“ übernommen

    Erscheint in Zeitungsausgabe: 

    Kampf der Bahnbeschäftigten ist berechtigt

    Solidarität mit dem Streik der GDL!
    von Torsten Sting, Mitglied im ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand Rostock, Verkehr *

    Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat den bisher längsten Streik in der Geschichte der Bahn AG ausgerufen. Das ist berechtigt und gut so! Die Spitze der DB tut so, als könne sie kein Wässerchen trüben. Personalvorstand Weber meinte schon vor den Streiks im April, es sei „völlig unverständlich“, dass die GDL „einen Meter vor der Ziellinie“ zum Ausstand aufrufe. Es ist offensichtlich, dass der gutbetuchte Spitzenmanager der Öffentlichkeit Sand in die Augen streuen und vertuschen will, wer für die Zuspitzung verantwortlich ist.

    Verschleppungstaktik

    Die Gespräche waren gescheitert, nachdem die Kapitalseite unter anderem auf der Schlechterstellung der Lokrangierführer beharrte. Alles riecht danach, dass die Spitze der DB nach einem Vorwand suchte um die Verhandlungen in die Länge zu ziehen. Warum? Weil zum 1. Juli das „Tarifeinheitsgesetz“ in Kraft treten soll. Dieses sieht vor, dass in Betrieben mit mehreren Tarifverträgen, nur noch jener Anwendung findet, der durch die Mitgliederstärkste Gewerkschaft abgeschlossen wurde.

    Solidarität

    Bei der Deutschen Bahn ist dies nach wie vor die EVG. In letzter Konsequenz droht der GDL als kämpferische Gewerkschaft kaltgestellt zu werden.

    Je konsequenter der Arbeitskampf geführt wird, desto eher kann er auch erfolgreich sein. Ein Erfolg der GDL würde alle GewerkschafterInnen ermutigen offensiv für die eigenen Forderungen zu kämpfen. Umgekehrt bedeutet eine Niederlage für die Lokführer eine Ermutigung für die Kapitalisten, Errungenschaften der Beschäftigten anzugreifen und würde den Widerstand gegen das Gesetz zur Tarifeinheit schwächen. Umso wichtiger ist es wieder auf den Bahnhöfen Flagge zu zeigen und die KollegInnen zu unterstützen. Bei den Gewerkschaften des DGB und bei der LINKEN sollte für konkrete Solidarität vor Ort und in der Öffentlichkeit geworben werden.


    * = Funktionsangabe dient nur zur Kenntlichmachung der Person

    Streiken für ein besseres Leben!

    Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt... Oder warum wir uns das Kampfmittel Streik nicht nehmen lassen dürfen.
    Dominik Unter

    Überall wird gespart - sei es im Bildungssektor mit der Zentralmatura oder im Sozialbereich mit Millionen-Kürzungen bei Behinderteneinrichtungen. Das Geld reicht nicht, die Mieten sind zu teuer, die Preise und Gebühren zu hoch. Der Lebensstandard in Österreich sinkt immer tiefer, Reallöhne fallen seit Jahren und immer mehr Menschen finden keine Arbeit mehr. Durch die immer längeren Arbeitszeiten werden viele ArbeiterInnen ins Burnout getrieben.

    Gerade in Zeiten der Krise reden PolitikerInnen immer wieder von Gürteln, die enger geschnallt werden müssen. Damit sind natürlich nicht die ihren gemeint, sondern die Budget-Gürtel der „normalen“ Menschen. Einem kleinen Häufchen Superreicher stehen Millionen Menschen gegenüber, die ihren hart erarbeiteten Lohn fürs Notwendigste zusammenkratzen müssen. Und die Krise ist nicht vorbei, sondern steht grad vor dem nächsten Eintauchen und damit vor noch aggressiveren Angriffen.

    Da zeigt sich auch, dass die Darstellung vom Boot, in dem wir alle gemeinsam sitzen, nicht stimmt. Die Interessen von Unternehmen (längere Arbeitszeit und weniger Lohn) und Beschäftigten (kürzere Arbeitszeit und mehr Lohn) sind nicht gleich, sondern stehen in direktem Widerspruch.

    Im Kapitalismus herrscht aufgrund dieses Widerspruches eigentlich permanent Klassenkampf, zur Zeit ist er oft ein einseitiger, es hagelt Angriffe von Regierung und Unternehmen. In Österreich war Streik lange undenkbar, doch seit ein paar Jahren kommt er wieder vor, als Möglichkeit. International und auch in Europa nehmen in den letzten Jahren Streiks in allen verschiedenen Formen zu: kurze, lange und Generalstreiks, wilde und solche mit gewerkschaftlicher Unterstützung, für ein paar Stunden und unbefristete... Von Norwegen bis Italien, von Nord-Irland bis in die Türkei, überall wehren sich die ArbeiterInnen. Wo gestreikt wird, können Angriffe aufgehalten oder zumindest abgeschwächt werden, können sogar Verbesserungen erreicht werden.
    Der ÖGB hinkt da noch hinterher. Oft wird zu Kundgebungen aufgerufen, wo jedoch meistens die kämpferische Stimmung der Beschäftigten in SPÖ-Lobhudelei kanalisiert wird, und der ÖGB die „kompromissfähige Zusammenarbeit“ anpreist. Die Sozialpartnerschaft zieht den Gewerkschaften die Zähne, wenn es darum geht, bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und mehr Jobs zu erkämpfen. Das können wir uns einfach nicht mehr leisten!

    Streiken ist ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Bestandteil im Kampf für soziale Verbesserungen. Volksbegehren können in Schubladen verschwinden, Petitionen und Unterschriftenlisten bauen keinen politischen Druck auf. Jedenfalls nicht genug, um den PolitikerInnen richtig einzuheizen. Um die Superreichen, UnternehmerInnen und ihre Vertretungen in Parlament und Regierung wirklich in die Mangel zu nehmen, müssen wir ihnen das entziehen, was ihren Reichtum schafft - unsere Arbeitskraft! Denn nicht der Chef oder die Managerin schafft die Werte, sondern die ArbeiterInnen und Angestellten. Indem sie ihre Arbeitskraft verweigern, machen sie auf diese Tatsache aufmerksam. Sie setzen den Boykott der Arbeit gemeinsam als Druckmittel ein.

    Nein, wir streiken nicht gerne, aber es ist eine der wenigen wirkungsvollen Waffen, die die ArbeiterInnenklasse noch hat. Wir haben lange genug verhandelt, gute Fakten gebracht und versucht, zu überzeugen. Jetzt müssen wir kämpfen. Und dazu brauchen wir kämpferische und demokratische Gewerkschaften, die bereit sind, Streiks zu organisieren und zu führen!

    Erscheint in Zeitungsausgabe: 

    Tag 2: Charité-Warnstreik endet mit Großdemonstration

    1.500 für mehr Personal im Krankenhaus auf der Straße
    Sascha Stanicic (Sprecher der deutschen Schwesterorganisation der SLP, SAV)

    Am 27. und 28. April wurde ein Stück Gewerkschaftsgeschichte geschrieben: erstmals streikten an einem deutschen Krankenhaus Beschäftigte für eine tarifvertragliche Regelung zur Personalbemessung, sprich: für mehr Personal. Und das mit großem Erfolg: 400 Operationen wurden abgesagt, 500 Betten konnten nicht belegt werden, ein finanzieller Schaden von zwei Millionen Euro für Deutschlands größtes Universitätsklinikum verursacht.

    „Im Nachtdienst kommen 31 Patienten auf eine Pflegekraft“, „es geht hier sowohl um Eigengefährdung als auch um Patientengefährdung“, wir haben weder ausreichend Zeit für die Patienten, noch für die Angehörigen“, bei der Medikamentenvergabe haben wir keine Zeit, die nötige Sorgfalt aufzubringen“, „Kolleginnen und Kollegen schleppen sich krank zur Arbeit, das ist auch für Patienten unverantwortlich“ – unzählige solcher Aussagen konnte man an den zwei Streiktagen von Beschäftigten vernehmen. Sie geben einen Eindruck von den katastrophalen Zuständen an deutschen Krankenhäusern.

    Dagegen sind die Beschäftigten an der Charité nun aufgestanden und haben ein deutliches Zeichen gesetzt. Darauf mussten nun auch Vertreter der Parteien reagieren, die für die Misere verantwortlich sind. Der gesundheitspolitische Sprecher der Berliner SPD, Thomas Isenberg, behauptete, seine Partei stünde an der Seite der Streikenden. Und trat gleichzeitig auf die Bremse, als er Finanzierbarkeit und schrittweise Umsetzung von Verbesserungen betonte. Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) sprach sich für „rechtssichere Personalschlüssel“ aus, allerdings nur für die Intensivpflege und möglicherweise für Nachtdienste. Auf diese Herren sollten und können die Beschäftigten nicht hoffen, aber deren „verständnisvolle“ Reaktion zeigt, welchen Druck der Warnstreik erzeugt hat und wie groß die Unterstützung in der Bevölkerung für die Forderungen der ver.di Betriebsgruppe an der Charité ist.

    Große Demo-Beteiligung

    Das zeigte sich auch bei der zentralen Streikdemonstration am Dienstag Nachmittag, an der 1.500 Menschen teilnahmen – nicht nur die circa 500 Streikenden, sondern MitarbeiterInnen, die aus aufgrund der Notversorgung nicht am Streik teilnehmen konnten, und UnterstützerInnen aus dem Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, sozialen Bewegungen, der LINKEN und anderen Gewerkschaften.

    Zum Auftakt sprach der Krankenpfleger und Gewerkschafter Stephan Gummert und verlas unter anderem die Solidaritätserklärung der drei irischen Parlamentsabgeordneten der Anti-Austerity Alliance (Bündnis gegen Austerität). Solidaritätsreden gab es auch von der ver.di-Landesbezirksleitung, einer Kollegin der Vivantes-Kliniken, Medizinstudierenden, dem Bündnis für den Mietenvolksentscheid in Berlin und dem LINKE-Vorsitzenden Bernd Riexinger. Auch Vertreter von SPD und Grünen erklärten ihre Unterstützung. Wie weit entfernt der SPD-Vertreter Isenberg von der Lebensrealität der Beschäftigten ist, zeigte er mit dem Satz: „Danke, dass sie sich Zeit für den Warnstreik genommen haben.“ Entsprechend höflich und bescheiden viel der Applaus aus. Für das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ sprachen Lucy Redler und Heike Pelchen. Lucy Redler nahm das Argument, die ver.di-Forderungen seien nicht finanzierbar auseinander, indem sie darauf hinwies, dass die laufenden Kosten für zwei Monate Flughafen BER-Baustelle oder 55 Meter der Baukosten der so genannten Kanzler-U-Bahn ausreichen, um die Forderungen für ein Jahr zu erfüllen. Sie machte klar, dass es darum geht, ob das Gesundheitswesen nach Profit funktioniert oder bedarfsgerecht und unterstrich den politischen Charakter des Streiks. Heike Pelchen, selbst Ärztin, forderte die Ärzteschaft dazu auf, sich solidarisch an die Seite der Pflegekräfte und anderen Beschäftigten zu stellen.

    Carsten Becker, ver.di-Betriebsgruppenvorsitzender, brachte die Stimmung auf den Punkt, als er sagte: „Wir haben einen langem Atem, aber wir haben keine Geduld!“

    Mit dieser Streikbereitschaft und schwindenden Geduld muss sich die Charité-Leitung nun auseinandersetzen. Legt sie kein Angebot vor, dass für wirklich alle Beschäftigtengruppen Verbesserungen beinhaltet, kann es schon bald zu einer Urabstimmung und einem Erzwingungsstreik kommen.

    Tag 1: Warnstreik an der Charité

    „Mehr von uns ist besser für alle“ – Für mehr Personal im Krankenhaus
    Sascha Stanicic, CWI Deutschland

    „Wir kümmern uns genug um die Patienten und haben auch derzeit ausreichend Personal.” So lautete die Reaktion von Professor Frei, des ärztlichen Direktors des Berliner Universitätsklinikums Charité auf den heutigen Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft ver.di aufgerufen hatte. Als die Streikenden diese hörten, mischten sich Heiterkeit und Wut. Ihre tägliche Erfahrung im Beruf spricht eine andere Sprache. Deshalb streikten erstmals Beschäftigte eines deutschen Krankenhauses nicht etwa für höhere Löhne, sondern für mehr Personal und Gesundheitsschutz – und das mit großen Erfolg.

    Vor fast drei Jahren forderte die ver.di Betriebsgruppe an der Charité erstmals eine tarifliche Regelung für eine Mindestpersonalbemessung und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten. Die Kernforderungen für den Bereich Pflege sind: Quoten von einer Pflegekraft auf zwei PatientInnen auf Intensivstationen, von eins zu fünf auf Normalstationen und „Keine Nacht allein“. Es geht aber nicht nur um die Überlastung der Beschäftigten, die direkt Dienst am Patienten tun, sondern um die Arbeitsbedingungen aller Charité-MitarbeiterInnen. Zuerst behauptete der Arbeitgeber, diese Forderungen seien „grundgesetzwidrig“, dann musste er sich aufgrund des großen Drucks doch auf Verhandlungen einlassen und verzögerte diese, dann gestand er die Einstellung von achtzig Vollzeitkräften ein, die sich aber als Luftnummer herausstellte. Jetzt kam es – endlich aus Sicht vieler Beschäftigter – zum Warnstreik.

    „Streikziel erreicht!“ konnte die ver.di Betriebsgruppe am heutigen ersten Streiktag verkünden! Die Beteiligung, aber vor allem die Streikbereitschaft waren enorm und überstiegen sogar das Ausmaß des großen fünftägigen Erzwingungsstreiks im Jahr 2011. Eine Reihe von Stationen waren erstmals im Streik.

    Doch ein Streik im Krankenhaus ist nicht mit einem Streik in der Fabrik vergleichbar, wo in der Regel alle KollegInnen den Hammer fallen lassen können bzw. die Bänder abgestellt werden. Im Krankenhaus muss eine Notversorgung für PatientInnen gewährleistet werden. Ein Umstand, mit dem die ver.di Betriebsgruppe äußerst verantwortlich umgeht – und den die Arbeitgeberseite zur Untergrabung des Streiks auszunutzen versucht. So kam es in den letzten Tagen zu einem regelrechten Guerillakrieg zwischen Leitung der Charité und den streikwilligen Beschäftigten. Plötzlich wurde von Leitungsseite für Stationen ein Mindeststandard verlangt, der an 363 Tagen im Jahr nicht besteht, aber an zwei Streiktagen formuliert wird, um Beschäftigten die Teilnahme unmöglich zu machen. So sollten auf einer Station plötzlich zwei Pflegekräfte pro fünf PatientInnen anwesend sein müssen, wo sie sonst das Vielfache an PatientInnen versorgen müssen. Für die Beschäftigten bedeutet das einen enormen moralischen Druck, da sie als „Patientengefährder“ an den Pranger gestellt werden. Ein nicht zu unterschätzender Erfolg der gewerkschaftlichen Aktivitäten an der Charité ist, dass sich immer mehr Pflegekräfte aus diesem Druck befreien und sagen: die tägliche Realität ist patientengefährdend und nicht unser Kampf für eine Verbesserung der Situation!

    Letztlich konnten aber aufgrund der Haltung der Arbeitgeberseite nicht alle Streikwilligen auch am Streik teilnehmen. Besondere Erwähnung fand die Station 13 des Virchow-Klinikums, wo noch am Wochenende von dreißig angeblich nicht verlegungsfähigen PatientInnen die Rede war, von denen dann heute nur noch 17 übrig waren. Trotzdem durfte die Station nicht streiken, was zu regelmäßigen Solidaritätsbesuchen der Streikenden auf der Station führte.

    Professor Frei hatte in den Medien verkündet, durch den Streik würden PatientInnen in Geiselhaft genommen. Stephan Gummert von der ver.di-Streikleitung nannte es unfassbar, welche Sprache hier von Arbeitgeberseite verwendet wird, mit dem die Beschäftigten in die Nähe von kriminellen und Terroristen gerückt werden. Er entgegnete: „Wir Beschäftigte sind 365 Tage in Geiselhaft. Wenn Herr Frei eine solche Sprache verwendet, darf er sich über unsere Antwort nicht wundern.“

    Eine Besonderheit an dem Arbeitskampf an der Charité ist die enge Kooperation der ver.di-Betriebsgruppe mit dem Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“, an dem sich auch SAV-Mitglieder aktiv beteiligen. Dies ergibt sich aus dem Verständnis, dass es sich bei diesem Arbeitskampf um eine gesellschaftspolitische Auseinandersetzung handelt und die Ziele der KollegInnen im Interesse aller sind, die potenzielle PatientInnen sind. Eine weitere Besonderheit ist, dass die ver.di-Betriebsgruppe eine „Tarifberater“-Struktur entwickelt hat, durch die Delegierte der Stationen und Bereiche informiert werden und in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

    Streiks an der Charité sind immer aktive Streiks. So gab es auch heute Kundgebungen, eine Schulung zur Krankenhausfinanzierung, Campus-Demonstrationen, Besuche auf Stationen, Unterschriftensammlungen und Flugblatt-Verteilaktionen.

    Für das Bündnis „Berlinerinnen und Berliner für mehr Personal im Krankenhaus“ hielten Heike Pelchen und Lucy Redler am Virchow-Klinikum eine Solidaritätsrede. Besonders viel Beifall gab es als Lucy Redler darauf hinwies, dass am selben Tag Postbeschäftigte streiken, sich zur Zeit auch die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsdienste in einer Tarifauseinandersetzung befinden und es höchste Zeit ist, dass alle gemeinsam streiken und demonstrieren. Am Campus Benjamin Franklin in Berlin-Steglitz konnte unter anderen Angelika Teweleit für das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ Solidaritätsgrüße überbringen. SAV-Mitglieder waren an allen drei Sandorten der Charité von sechs Uhr morgens zur Unterstützung des Streiks dabei und verteilten ein Flugblatt mit internationalen Grußbotschaften aus Venezuela, England, Schweden, Österreich und Südafrika.

    Morgen geht es weiter. Wir rufen aller Berlinerinnen und Berliner auf, an der gemeinsamen Streikdemonstration aller drei Kliniken teilzunehmen, die um 15:30 Uhr am Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, startet.


    Solidaritätserklärung für Charité-Streik aus Irland

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    im Namen des „Bündnisses gegen Austerität“ (Anti-Austerity Alliance) möchten wir unsere Solidarität für die Beschäftigten der Charité zum Ausdruck bringen, die am 28. und 28. April in den Streik treten.

    In Irland haben wir in den letzten sieben Jahren brutale Austeritätsmaßnahmen erlitten. Dazu gehörten auch heftige Kürzungen im Gesundheitswesen. Löhne und Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten wurden angegriffen und die Rechte und Pflege der Patientinnen und Patienten wurden verschlechtert. Das hat zu enormen Wartelisten auch für Routineuntersuchungen, überfüllte und unterbesetzte Krankenhäuser geführt.

    Wir haben verstanden, dass ver.di eine gesetzliche Regelung für eine Personalmindestbesetzung fordert. Eine solche Gesetzgebung wäre willkommen zu heißen und würden einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Sicherheit der Patientinnen und Patienten bedeuten und gleichzeitig die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen verbessern.

    Unsere Erfahrungen in Irland zeigen, dass es aber wichtig ist, dass neben Kampagnen für gesetzliche Regelungen, die Beschäftigten sich organisieren und selber in Aktion treten. Das ist der beste Weg, um einen maximalen politischen Druck zu erzeugen und kann dazu führen, dass auch im Rahmen eines Tarifvertrags garantierte Mindestpersonalbesetzungen erreicht werden.

    Solidarische Grüße

    Ruth Coppinger

    Joe Higgins

    Paul Murphy

    Abgeordnete der Anti-Austerity Alliance im irischen Nationalparlament


    Solidaritätsbotschaft der SLP

    Volle Solidarität mit dem Warnstreik an der Charite

    Liebe Kolleginnen und Kollegen,

    Der Gesundheits- und Sozialbereich steht überall unter Beschuss – und überall regt sich Widerstand. Immer mehr KollegInnen sind – absolut zu Recht – nicht mehr bereit, für Bankenrettungspakete oder Steuergeschenke an Unternehmen noch mehr zu arbeiten. In Österreich gibt es aktuell eine Reihe von Initiativen, die eine bessere Bezahlung und mehr Personal sowie ein Ende der Kürzungen fordern. U.a. am 12. Mai, dem „Internationalen Tag der Pflege“ wird es in mehreren Städten Aktionen zum „Österreichweiten Tag des Pflegeaufstandes“ geben.

    Wir haben die Kämpfe der vergangenen Jahre an der Charite mit Interesse und Sympathie verfolgt, gibt es doch viel von Euch zu lernen. Ihr zeigt, dass ein Streik im Sozial- und Gesundheitsbereich nicht nur notwendig, sondern möglich ist. Ihr handelt damit – im Gegensatz zu den scheinheiligen Aussagen der Kürzungs-PolitikerInnen – verantwortungsvoll: Ihr tut etwas dafür, dass es mehr Personal und mehr Geld für die Beschäftigten gibt. Die besten Mittel um Burn-Out, Berufserkrankungen UND eine bessere Betreuung für die PatientInnen/KlientInnen zu erreichen.

    Wir wünschen euch viel Kraft, Solidarität und Standhaftigkeit in eurem aktuellen Kampf!

    Mit solidarischen Grüßen,

    Sonja Grusch, für die SLP

    für die Sozialistische LinksPartei SLP

    +30% Personal an der Basis - +30% Gehalt

    „Schluss mit der Überlastung“

    Immer mehr Stress, zuwenig Personal an der Basis, unbesetzte Dienststellen, unzureichende Bezahlung und noch viele andere Probleme: das sind die unzumutbaren Arbeitsbedingungen im Pflege- und Sozialbereich.

    Lange Wartezeiten, unzureichende Betreuung und eine 2-Klassen-Medizin sind die negativen Folgen auch für PatientInnen und KlientInnen.

    Die Politik hat Milliarden für Banken und Millionen für Eigenwerbung und die Führungsetagen. Das Geld wird für eine echte Verbesserung des Gesundheits- und Sozialbereichs dringender benötigt!

    Das Fass ist schon zu lange übervoll mit Wut und Frust. Doch endlich tut sich etwas: in ganz Österreich sagen die Beschäftigten „Es reicht!“. Überall gibt es Initiativen von Beschäftigten, aber auch Solidarität von PatientInnen/KlientInnen. Das wollen wir verbinden und gemeinsam Aktionen, Proteste und Arbeitskämpfe organisieren, die nicht mehr ignoriert werden können. Denn alleine können wir nicht viel ausrichten, aber gemeinsam sind wir stark!

     

    Termine:

    27.4. Aktionstreffen für alle die was tun wollen (16.00, Wien 2, Große Mohrengasse 42/Odeongasse)

    1.5. Gemeinsame Aktion „+30%“ - Treffpunkt um 9.30 direkt vor dem Burgtheater

    8.5. Aktionstreffen für alle die was tun wollen (16.00, Wien 2, Große Mohrengasse 42/Odeongasse)

    12.5. Aktionstag anlässlich des „Internationalen Tages der Pflege“

    September: Großdemonstration für den Pflege- und Sozialbereich in Wien


    +30% wird unterstützt von:

    • Konsequente Interessensvertretung KIV
    • Sozialistische LinksPartei SLP
    • Klartext
    • Sozial aber nicht blöd
    • Herzschlag
    • KOMintern

     

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