30 Stunden in der Woche sind genug!

Arbeitszeitverkürzung ist längst überfällig, aber Gewerkschaftsbosse lassen uns im Stich
Helga Schröder

Wir müssen immer mehr arbeiten um leben zu können, obwohl technologisch mit sehr viel weniger menschlicher Arbeit die Bedürfnisse aller Menschen erfüllbar wären. 2012 wurden in Österreich 68 Millionen unbezahlte(!) Überstunden gemacht. Eine Million Menschen sind von der Arbeit krank, mindestens 40 % der Beschäftigten von Burnout bedroht. Auf der anderen Seite sind 420.000 Menschen ohne Job. Absurd? Profitabel für das Kapital! Unternehmen und Regierung wollen die Arbeitszeit sogar erhöhen und legal bis zu 12 Stunden pro Tag arbeiten lassen, um die Kosten der Krise auf uns abzuwälzen.

Die letzte Arbeitszeitverkürzung ist 40 Jahre her. 1983 beschloss der ÖGB die Forderung der 35h-Woche, was von der Gewerkschaftsbürokratie seitdem ignoriert und teilweise zurückgenommen wurde. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – etwa in einem ersten Schritt auf 30 Stunden pro Woche - ist nötig. Nur so kann die Arbeit auf alle verteilt und die Massenarbeitslosigkeit beseitigt werden.

Die gpa-djp-Aktionswoche „Kürzer arbeiten – leichter leben!“ (15.-19. Juni) ist ein guter Ansatz. Die Gewerkschaft beschränkt sich aber auf das Argument der Schaffung von Beschäftigung. Sie versucht, den Kapitalismus „besser“ zu machen, was scheitern muss. Und es fehlt eine Kampfstrategie, wie das erreicht werden kann. Bei Arbeitszeitverkürzung geht es auch um Reduzierung der Ausbeutung, um Verschiebung des von den ArbeitnehmerInnen geschaffenen Mehrwerts, den das Unternehmen einstreift, zu den ArbeiterInnen. Dazu muss die Arbeitszeitverkürzung aber bei vollem Lohn stattfinden und es müssen zusätzliche Beschäftigte eingestellt werden, damit es nicht zu einem Mehr an Überstunden kommt.

Die KapitalistInnen behaupten schon immer, eine Verkürzung der Arbeitszeit würde sie in den Ruin treiben. Doch solange die Maßnahme im Rahmen des Kapitalismus bleibt, führt die Arbeitszeitverkürzung zu einem Modernisierungsschub der Unternehmen und zum Überbleiben der modernsten Unternehmen. Die dann die Ausbeutung wieder erhöhen, Löhne senken, Arbeitszeit erhöhen bzw. Arbeitsdruck steigern...

Verbesserungen für die Beschäftigten kann in Aufschwungzeiten leichter, auch nur durch gewerkschaftliche Appelle, erreicht werden, nicht aber in Krisenzeiten. Und Wirtschaftsaufschwung ist im Kapitalismus eine temporäre Erscheinung, Krisen sind unvermeidbar und wiederkehrend. Was erreicht und erhalten wird, hängt vom Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit ab. Sind die ArbeiterInnen nicht kampffähig, holt sich das Kapital das Gegebene wo anders zurück, wie z.B. bei der Arbeitszeitverkürzung in Frankreich. Dort fehlte verpflichtender Personalausgleich, die Arbeitszeitverkürzung war verbunden mit Deregulierungs- und Flexibilisierungsmaßnahmen, nur gültig für Betriebe über 20 Beschäftigte, wurde umgangen und war verbunden mit Verschlechterungen der Arbeitssituation und Steigerung des Arbeitsdrucks.

Zu Recht wehren sich auch derzeit Beschäftigte des Gesundheitswesens gegen eine „Arbeitszeitverkürzung“, die mit massiven Einkommenseinbußen und weiterer Verschärfung der ohnehin schon katastrophalen Personalsituation – also mit Erhöhung des Arbeitsdrucks - verbunden ist. Die immer stärkere Arbeitsbelastung hat den fürs Kapital angenehmen Effekt, dass kaum Ressourcen bleiben, um sich zu organisieren. Arbeitszeitverkürzung erhöht daher auch die Kampfkraft der ArbeiterInnenklasse. Da das naturgemäß den KapitalistInnen nicht gefällt, kann es nur durch entschlossenen organisierten Kampf erreicht werden, der die kapitalistische Sachzwang-Logik durchbricht – genau das, was der ÖGB nicht macht. Eine 6. Urlaubswoche ohne gleichzeitige Reduzierung der Wochenarbeitszeit und ohne zu gewährleisten, dass der Urlaub auch genommen werden kann, bleibt totes Recht.

Statt sich von ihren Forderungen zu verabschieden, muss die Gewerkschaft sowohl Arbeitszeitverkürzung als auch mehr Urlaub UND vollen Lohn- und Personalausgleich erkämpfen. Doch die Gewerkschaftsführung, die an der neoliberalen SPÖ klebt, hat dafür keine wirkliche Perspektive. Die Lohnsteuerreform gibt mit der einen Hand, was die Kürzungen mit der anderen nehmen. Eine Arbeitszeitverkürzung durch diese SPÖ würde ähnlich aussehen. Dass es auch anders geht, haben linke Regierungen auch auf kommunaler Ebene gezeigt. Der sozialistische Stadtrat von Liverpool unter politischer Führung von Militant (CWI Britannien) in den 1980er Jahren mobilisierte die ArbeiterInnen und reduzierte die Arbeitszeit bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Damit es nicht bei frommen Wünschen bleibt, braucht es eine ArbeiterInnenpartei und eine Kampfstrategie. Eine Strategie, die nicht bei den Beschränkungen der kapitalistischen Logik stehen bleibt, sondern den Kapitalismus abschafft und die vorhandene Arbeit und den vorhandenen Wohlstand auf alle aufteilt und modernste Technologie nützt, um uns möglichst viel Freizeit zu verschaffen. Freizeit, in der wir uns an der demokratischen Gestaltung der Gesellschaft beteiligen können, kreativ und sozial tätig sein können, Neues lernen können oder einfach auch mal nichts tun können.

 

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