Antisemitismus bekämpfen: offensiv und sozialistisch!

Statt falsche Freunde: konsequent antikapitalistische Antwort auf steigende Gewalt und Unsicherheit.
Sebastian Kugler

Pittsburgh (USA), 27.10.2018: Der 46-jährige Robert G. Bowers tötet in der Tree-of-Life Synagoge während der Sabbat-Feierlichkeiten mit einem halbautomatischen Gewehr und drei Pistolen 11 Menschen und verwundet 7. Dabei brüllt er: „All diese Juden müssen sterben!“ Dieser Anschlag ist der blutigste, aber bei weitem nicht einzige Fall antisemitischer Gewalt in den letzten Monaten. Im Gegenteil: Zahlreiche Länder melden ein Ansteigen antisemitischer Übergriffe.

Immer mehr Jüd*innen auf der ganzen Welt fühlen sich bedroht. Auch wenn es stimmt, dass die absoluten Zahlen zwar steigen, jedoch im Vergleich zur Gewalt an z.B. Muslimen gering sind, müssen Sozialist*innen diese Angst ernst nehmen und sich als die entschiedensten Kämpfer*innen gegen Antisemitismus erweisen. Tun sie dies nicht, überlassen sie der bürgerlichen Rechten das Feld. Diese nutzt die Gefahr des Antisemitismus für ihre Zwecke. In Britannien wird Labour-Vorsitzender Corbyn für seine Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung von Konservativen und Medien als Antisemit beschimpft. Dabei geht es ihnen nicht um den Schutz jüdischer Bevölkerung im Palästina-Konflikt, sondern darum, sein Programm gegen die brutale Kürzungspolitik zu diskreditieren. Genauso zynisch ist die israelische Regierung selbst. Netanjahu treibt die rassistische Gewaltspirale im Nahen Osten immer wieder voran, um sich dann als Beschützer zu präsentieren. Genau diesen Schutz verwehrt der israelische Staat aber oft genau jenen, die ihn am dringendsten brauchen: Seit Jahrzehnten hält er sich äthiopische Jüd*innen vom Hals. Sie harren in Lagern in Äthiopien und im Sudan aus – über 3.000 haben das Warten nicht überlebt. Wer es doch nach Israel schafft, ist dort mit strukturellem Rassismus und Polizeigewalt konfrontiert, was 2015 zu großen Protesten führte. Währenddessen unterstützt Netanjahu kräftig Orbans antisemitische Kampagne gegen Soros, der als Strippenzieher hinter Migrationsbewegungen vor allem aus muslimischen Ländern hingestellt wird.

Die „Anti-Soros“-Kampagne, die auch aus FPÖ-Kreisen unterstützt wird, vereint Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Genau dasselbe tat der Mörder von Pittsburgh: Er wählte die Tree-of-Life-Synagoge aus, weil er ihr vorwarf (muslimische) Migrant*innen ins Land zu schleusen. Ebenso John T. Earnest, der am 27.4.2019 eine Synagoge in Poway (Kalifornien) stürmte, einen Menschen tötete und drei verwundete. Er nannte das Attentat auf die Moschee in Neuseeland als Inspiration.

Die schwarz-blaue Regierung leugnet diese Verbindung von Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus. Im Gegenteil: Sie gibt vor, gegen Antisemitismus einzustehen und hetzt in Wahrheit gegen Muslime. Das neueste Beispiel ist die von Nationalratspräsident Sobotka (ÖVP) beauftragte Antisemitismus-Studie. Diese beinhaltet zwar einen statistisch seriös gearbeiteten Teil mit ca. 2.100 repräsentativen Interviews, die alarmierend genug sind – 39% der Befragten stimmten etwa der Aussage zu, dass „die Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen“. Doch zusätzlich beinhaltet sie völlig unseriöse „Aufstockungsgruppen“ türkisch- und arabischsprachiger Befragter, die selbst laut Studienautoren „nicht repräsentativ“ sind. Der Regierung genügten jedoch die nicht repräsentativen Ergebnisse dieser Befragungen dafür, Muslime für Antisemitismus in Österreich hauptverantwortlich zu machen.

Ja, es gibt Antisemitismus unter Muslimen - reaktionäre Regime wie in der Türkei und Saudi-Arabien säen ihn bewusst. Das tun sie, um Muslime, die auf der Suche nach Antworten auf ihre eigene Unterdrückung sind, für geopolitische kapitalistische Zwecke zu missbrauchen. Dabei bedienen sie sich derselben Hetze wie die klassische Rechte in Österreich. Diese ist aber hierzulande eindeutig die Hauptquelle des Antisemitismus: Burschenschaften, die noch heute in Liedern von „der siebenten Million“ getöteter Juden und Jüdinnen träumen, sind einflussreiche Netzwerke der rechtsextremen Eliten und besetzen wichtige Ämter im Staat. Die überwältigende Mehrheit antisemitischer Vorfälle ist österreichisch-rechtsextremer Herkunft.

Antisemitische Hetze jeglicher Art nutzt die Wut über die Missstände im Kapitalismus sowie das Unverständnis ihrer Wurzeln. Sie schieben die Schuld für den alltäglichen kapitalistischen Wahnsinn – allgemeine Konkurrenz, undurchschaubare und unkontrollierbare wirtschaftliche Abläufe usw. – auf das Judentum, um somit den Kapitalismus freizusprechen. Die Antwort kann deswegen nur der Kampf gegen den Kapitalismus sein, der den Antisemitismus (wie andere Formen des Rassismus) immer wieder als Reaktion auf seine Widersprüche hervorbringt. Dieser Kampf ist der Kampf der Arbeiter*innenklasse in ihrer ganzen Vielfalt. Ein erster Schritt könnte eine Kampagne des ÖGB sein, der sich selbst am Kongress 2018 als „Bollwerk gegen Antisemitismus“ bezeichnet hat: Mit echten Mobilisierungen gegen Antisemitismus und für soziale Verbesserungen für alle und Veranstaltungen in Betrieben und Bildungseinrichtungen, in denen über die echten Ursachen für Unterdrückung und Ausbeutung aufgeklärt wird.

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