Geschichte und politische Theorie

Österreich 1918: Die halbe Revolution

Die Massen wollten 1918 „die sozialistische Republik“.
Sebastian Kugler

Österreich war der Schlüssel zur internationalen Revolution – und ihr Sargnagel.

 

Dass 1918 ein revolutionäres Jahr werden würde, zeichnete sich schon zu Jahresbeginn ab: Am 14. Jänner traten FabrikarbeiterInnen in Wiener Neustadt in den Streik - und ihre KollegInnen im ganzen sterbenden monarchistischen Staat schlossen sich ihnen an: Bis 22. Jänner streikten in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, der Obersteiermark, Krakau, Brünn und Budapest knapp eine Million. Auslöser war eine erneute Kürzung der Mehlrationen als Folge des zermürbenden Krieges gewesen. Doch es ging den ArbeiterInnen nicht nur ums Mehl. Sie streikten v.a. in Solidarität mit der Revolution in Russland: dort hatten die ArbeiterInnen mit ihrer revolutionären Partei, den Bolschewiki, die Macht selbst in die Hand genommen. Sie begannen, das Land unter den armen Bauern aufzuteilen, die Fabriken selbst zu führen und über die Geschicke des Landes selbst in Räten zu bestimmen – und sie wollten Frieden. Die österreichischen ArbeiterInnen hörten die Appelle der Bolschewiki, sich ebenfalls von ihren eigenen UnterdrückerInnen zu befreien, anstatt sich weiter für sie abschlachten zu lassen.

Sie wählten Räte, nach russischem Vorbild. Ebenso häuften sich an der Front Meutereien und Rebellionen wie im Marinehafen Cattaro. Anstatt auf die ArbeiterInnen anderer Länder wurden die Gewehre nun gegen die Offizierskommandos und Stabsführungen gewendet. Ebenso schöpften die von den Habsburgern in den K.u.K.-Staat gezwängten Nationen Hoffnung: Jahrhundertelang wurden sie von Wien aus unterdrückt, doch nun sollte Schluss damit sein.

Trotz ihrer Dominanz über die ArbeiterInnenbewegung wurde die sozialdemokratische Partei (SDAP) völlig überrumpelt. Die Führung versuchte alles, um die Lage in den Griff zu bekommen. Noch während des Jännerstreiks trafen sich die Parteiführer Victor Adler, Karl Renner und andere heimlich zu einer Konferenz im Außenministerium mit Baron Flotow. Dort bedauerten sie die Ausbreitung der Streikbewegung und sprachen von der Revolution als einer „Gefahr, vor der wir alle stünden“.

Warum handelte die Parteiführung so? Viele von ihnen verstanden sich ja tatsächlich als SozialistInnen. Doch für sie war die bürgerliche Republik eine nötige Vorstufe zum Sozialismus. Sie erklärten sich zwar in Worten mit den Bolschewiki solidarisch, doch eine sozialistische Revolution hielten sie für unmöglich oder zu gefährlich. In den letzten Jahrzehnten hatten sie gelernt, einen riesigen Parteiapparat von oben zu manövrieren – und genau so sollte auch der Sozialismus kommen: von oben, durch kluge Reformen der Parteiführung. Die ArbeiterInnenklasse hielten sie für dazu nicht in der Lage. Die Parteispitzen hatten auch beträchtliche Privilegien angesammelt – und nun akzeptierten die Christlichsozialen und Deutschnationalen, ja sogar die Habsburger, sie endlich notgedrungen im Club der Privilegierten. Ihre Aufforderungen zu Ruhe, Ordnung und Besonnenheit in dieser chaotischen Zeit stießen auch bei Teilen der ArbeiterInnenklasse auf offene Ohren, die sich nach den vierjährigen Strapazen nach etwas Stabilität sehnten. So konnte die Sozialdemokratie den Jännerstreik 1918 bändigen, aber der Zerfall der Monarchie ließ sich nicht aufhalten.

In die Risse, die der Staat an allen Ecken und Enden bekam, stießen die „Arbeiter- und Soldatenräte“ vor. Sie organisierten die Verteilung von Lebensmitteln, kämpften gegen Schleichhandel und Schwarzmarkt, wiesen Wohnungen zu und kontrollierten die Produktion. Doch hier zeichnete sich eine zentrale Frage ab: Sollten die Räte weiterhin nur Aufgaben erledigen, die der zerfallende Staat nicht mehr übernehmen konnte, bis er sich wieder aufrappelte – oder sollten sie, wie in Russland, selbst die Macht übernehmen?

Die Antwort der SDAP-Führung war klar – und sie konnte auf ihren immer noch fast ungebrochenen Einfluss in den Gewerkschaften und Räten vertrauen. Die radikalen Linken, die wie die Bolschewiki „Alle Macht den Räten!“ forderten, waren zu wenige und zu unerfahren. Im Verlauf von 1918 wurden die Räte immer mehr rein administrative Strukturen und immer weniger zu Kernen einer radikal anderen Gesellschaft. Auch das Level sozialer Kämpfe erreichte in der Folge nicht mehr jenes des Jännerstreiks.

Auslöser für den endgültigen Zusammenbruch der Monarchie war folglich auch nicht die Rätebewegung, sondern die militärischen Niederlagen und die Unabhängigkeitsbewegungen der nichtdeutschen Nationen im Habsburgerreich. Der Kollaps vollzog sich im Herbst 1918. Am 21. Oktober konstituierte sich die provisorische Nationalversammlung durch die drei großen Parteien – Sozialdemokratie, Christlich-Soziale und Deutschnationale. Bis kurz vor ihrer Ausrufung war die Republik nicht auf der Tagesordnung. Sie erfolgte als hastige Reaktion der Parteien auf eine Situation, die ihnen zu entgleiten drohte. Denn der Kollaps der Monarchie feuerte die revolutionären Tendenzen noch an. Auf dem Parteitag der SDAP am 31. Oktober und 1. November 1918 warnte Otto Bauer noch einmal: „Die Massen sind von Ungeduld erfüllt, die Massen meinen, es sei Zeit, weiterzugehen und die zunächst rein politische Revolution weiterzuführen zu einer sozialen“, wogegen sich Bauer jedoch ausgesprochen verwehrte. Die weitreichenden sozialen Verbesserungen, die mit der Einführung der Republik beschlossen wurden, waren somit nicht das Werk gütiger DemokratInnen – sondern Nebenprodukte einer abgebrochenen Revolution.

Einen Monat später wendete sich Ignaz Seipel, selbst Minister des letzten kaiserlichen Kabinetts und zentrale Persönlichkeit der Christlichsozialen, in einem vielsagenden Brief an einen deutschen Kollegen:

„Die Gefahr, dass die bolschewistischen Wellen zu uns hereinschlagen, war groß. So blieb nichts übrig, als dass der Kaiser zwar nicht abdankte, aber sich doch von den Regierungsgeschäften zurückzog, und die provisorische Republik proklamiert wurde. Die Parteikoalition blieb bis zur Stunde aufrecht, keinerlei nennenswerte Unruhe störte die bürgerliche Ordnung, aber wir leben in der ständigen Gefahr, dass die Berliner und Münchener Neuordnung auf uns übergreifen.“

Die „bolschewistischen“ Wellen, vor denen Seipel und sein sozialdemokratischer Koalitionspartner zitterten, schwappten in der Tat 1918/19 über ganz Europa: Von der ungarischen Räterepublik bis zum Sowjet in Belfast, von der Bremer Räterepublik bis zu den „zwei Roten Jahren“ in Italien. Ein sozialistisches Europa war in diesen Jahren greifbar nahe – und damit ein völlig anderer Verlauf der Geschichte. Die SDAP entschied sich jedoch, den Kapitalismus zu retten, indem statt des Kaisers nun ein bürgerliches Parlament dieses ausbeuterische und zerstörerische System verwalten sollte. Der Sozialismus wurde auf eine ferne Zukunft verschoben. So wurde Österreich zum Sargnagel der internationalen Revolution. Statt eine revolutionäre Brücke zwischen München und Budapest aufzubauen, ließ man diese Revolutionen im Stich – obwohl sie um Hilfe aus Wien flehten. Die Folgen waren verheerend: In Russland wurde die Revolution isoliert und mutierte zur stalinistischen Diktatur. Auf den gebrochenen Rücken der europäischen Revolutionen konnten sich in Ungarn, Italien und nicht zuletzt Deutschland und Österreich die faschistischen Bewegungen aufbauen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem, weit entfernt davon, sich von klugen SozialdemokratInnen human steuern zu lassen, erlitt bereits 1929 den nächsten Kollaps und bereitete den Weg in die faschistische Barbarei.

Why We Are Leaving the PRMI – and What Lessons We Draw

In August 2025 we decided to re-found our organization under the name “vorwärts.” This went hand in hand with discussions about our status as part of the Project for a Revolutionary Marxist International (PRMI). These discussions culminated in the unanimous decision in September to break with the PRMI. The following document aims to set out the reasons for this decision – but our concern is not inner-left factional quarrels with their all-too-familiar and often irrational dynamics. Our concern is a greater task: to draw the right lessons from the history of the CWI, the ISA, and the PRMI; to consciously reflect on the strengths and weaknesses of our own traditions; and to make a new beginning – one that is not merely formal, but based on a solid programmatic and methodological foundation.[1]

Particular weight – both in current social movements and in the political debates of recent years – must be given to questions of socialist feminism and of national and racial oppression. What we outline in this document represents an intermediate result of our ongoing theoretical work and discussions. It does not yet amount to a fully elaborated program, but it does lay out the approach we consider necessary in order to continue the building of an international revolutionary organization on a new basis.

In this document we put forward sharp criticisms. At the same time, we are aware that we ourselves have made political mistakes in the past – and that, in the current period of deepening and overlapping capitalist multi-crises, further mistakes will inevitably occur. The decisive question, therefore, is not whether an organization can claim to have always been correct (wherever such claims are made, they should be met with particular suspicion). The decisive question is whether an organization is capable of learning while moving forward.

For this reason, we invite our current, former, and future comrades and fellow activists and socialists, as well as all interested readers, to engage with the analyses and arguments put forward here. We welcome feedback, critique, and comradely exchange – with the aim of building common revolutionary practice.

Bureaucratic Centralism in the Handling of Safeguarding

The PRMI emerged in 2024 out of the split of the International Socialist Alternative (ISA). In many respects, the ISA split of 2024 resembled the CWI split of 2019: once again there stood on one side a politically weak and unrepentant leadership that acted bureaucratically in order to secure its control – and on the other side a collection of sections, groups, and individuals united more by their opposition than by any shared positive program. Once again, the international structures that were supposed to serve debate collapsed under the slightest pressure. Once again, the much-vaunted “democratic centralism” gave way immediately to tactical bureaucratic maneuvering.

Nevertheless, we too initially associated the founding of the PRMI with the hope of a necessary new beginning. After years of crises and degeneration within the CWI and the ISA, the PRMI seemed to offer the chance to critically examine our traditions, preserve their strengths, and overcome their weaknesses. At its founding, the PRMI rightly diagnosed the deep crisis into which our political tradition had fallen, and the need for a fundamental renewal on the theoretical, programmatic, and organizational level. Yet after just one year we must state clearly: the PRMI has failed in this task. From the outset, the development of a genuine program and of democratic international structures was indefinitely postponed. The recognition that much needed to be rethought from the ground up, and that a new International could not simply be proclaimed overnight, was correct. But in place of programmatic clarification there emerged an unchecked, pseudo-democratic federalism that in practice has led to an informal bureaucratic centralism concentrated at the top.

Our critique of the PRMI is therefore not aimed merely at an organization whose analyses are politically weak or whose strategic orientation is inadequate. If that were the case, the disputes could and should be carried out within the organization – through open debate, democratic decision-making, and programmatic clarification. But this is precisely what is not possible in the PRMI. Its undemocratic character is not a secondary issue, but one of the central reasons why political differences cannot be addressed constructively. As with the late CWI and the ISA, a bureaucratic centralism dominates, in which conflicts are managed along informal lines of loyalty. At the same time, this centralism is paradoxically combined with a federalist arbitrariness: the federal fragmentation produces nationally isolated partial perspectives with no coherent international foundation. Political opposition is discouraged or marginalized, rather than treated as an opportunity for clarification and development.

Yet a revolutionary International can only exist if it provides a lasting structure of democratic debate – an organization that treats dissent not as a threat, but as a motor of its own development. The PRMI has demonstrated that it is neither able nor willing to meet this requirement. The founding of vorwärts and our departure from the PRMI are therefore not the expression of a split for its own sake, but the necessary consequence of an organization that has rendered itself incapable of acting.

The PRMI leadership inherited not only its personnel but also its approach to internal democracy from the CWI and the ISA. This became more than clear in the handling of the crisis within the Austrian organization in the spring and summer of 2025. On the background of this crisis, our own response to it, and the lessons we drew, we published three statements in March and August.[2] Here we cite the relevant passages from our statement Learning While Moving Forward:

“The occasion was a case of sexual violence committed in 2014 by a person who only later joined our organization and has since been expelled. The case became known to the leadership in 2019 and was mishandled in a false and negligent way. Thanks to the insistence of the survivor, these grave mistakes were brought back onto the agenda in early 2025 (see our March 2025 statement). We therefore decided to suspend our activities and to confront the mistakes of our organization in the past, in collaboration with the leadership of the Project for a Revolutionary Marxist International (PRMI). Once again we would like to apologize to the survivor – and we hope that our past and ongoing work of reflection and accountability will contribute to a process of healing. In the weeks that followed, an international commission of inquiry of the PRMI worked on clarifying these failures. Numerous members who played a very active and/or leading role at the time were interviewed, in some cases several times, in order to reconstruct events and also to understand their current attitudes toward their past mistakes. In the conversations, especially with the two still-active members who were part of the national leadership at the time, there was broad agreement on the course of events and the collective and individual failures involved."[3]

Yet already during this process the bureaucratic-centralist approach of the PRMI leadership became apparent. Three months after the crisis broke, when no report from the commission had yet been presented, several members proposed in a letter that the organization should cautiously resume its activities to the extent that the investigation and reflection process allowed – because complete paralysis threatened the very existence of the organization. As we wrote in our statement, “the increasing isolation without any organizational or political perspective only led members and supporters to withdraw further – a situation that did not support the reflection process we were striving for.”[4]

This proposal was interpreted by the PRMI leadership as sabotage of the safeguarding process. Needless to say, the letter was in no way an attempt to sabotage – on the contrary, it was an attempt to secure the continuation of the organization, and thereby also of the reflection process, through a minimum level of activity. Instead of discussing the proposal democratically, the PRMI leadership threatened the signatories with suspension if they did not distance themselves from it. In one case, such a suspension was actually carried out (even though none of the signatories had distanced themselves from the content of the letter). Criticism of this bureaucratic approach was then portrayed as if it were opposition to safeguarding itself – a complete distortion of reality.

When the final report of the commission was eventually released, there was broad agreement on its substantive findings. Yet the PRMI leadership drew almost exclusively bureaucratic conclusions: the expulsion (or indirect expulsion) of the remaining former leadership members, and the dissolution of the organization – the latter “proposal” presented to the Austrian members only a few hours before the membership assembly. Anyone who argued that suspensions, expulsions, or ad-hoc dissolutions and refoundings were not adequate measures in this situation was again accused of not taking safeguarding seriously. A majority of the Austrian membership opposed this ultimately superficial approach, and emphasized the necessary connection between organizational activity and both collective and individual reflection.

It is a bitter irony, though by no means accidental, that the PRMI leadership has sought to present itself as the bureaucratic guardian of socialist feminism, even though many of its leading members had themselves spent decades within the leadership structures of the CWI, where they actively fostered its toxic internal culture – without ever being held accountable. The methods have remained the same, only the vocabulary has changed: in the past, political criticism was dismissed wholesale as “petty-bourgeois feminism” or “academic”; now it is silenced under the banner of “safeguarding.” Precisely because of our own past mistakes on this indispensable principle for building a revolutionary organization, we have been outspoken in criticizing the way the PRMI leadership has placed any political criticism of its political trajectory or practical conduct in the same category as abusive behavior – and sanctioned it accordingly. To play safeguarding off against democratic debate is to sabotage both.

Within the PRMI, there is no possibility of correcting this practice. There are no functioning democratic structures, no fora for serious political exchange. It is no surprise, then, that the PRMI has already begun to disintegrate wherever the direct influence of the bureaucratic leadership clique has receded. The atomization of the LSP/PSL in Belgium – which has fragmented into a host of small groups – is one such example. At the same time, the example of Austria shows how the PRMI leadership has sought to counteract such disintegration: not through political clarification and democratic debate, but through purely formal-bureaucratic measures – expulsions, suspensions, and the top-down imposition of new organizations. This condition of the PRMI is both the expression of its lack of political basis and perspective, and the reason why such a basis can never be developed under its current framework.

No Perspectives in Sight

What the PRMI presents as “analyses” and perspectives consists almost entirely of isolated contributions from the leadership’s inner circle, whose quality varies widely. A coherent programmatic orientation, or even the beginnings of one, for the building of a revolutionary international organization are completely absent. If there is any consistency at all in the PRMI’s publications, it is that the question of the necessity of a revolutionary organization is systematically downplayed or ignored altogether.

Even the texts on Asia – which count among the better publications of the PRMI – reveal this weakness clearly. The article on the youth revolt in Nepal and the one on the mass protests in Indonesia provide useful information, but when it comes to the question of a “way forward,” the analyses suddenly leap to ready-made slogans. Either the necessity of a “revolutionary government” is proclaimed without answering how such a government is to arise, which parties would constitute it, and on which structures it would rest – beyond vague references to the potential power of a united working class.[5] Or – as in the case of Indonesia – the formation of councils and committees is proclaimed as a sufficient basis for “a new kind of people’s power,” without explaining how such spontaneous structures could facilitate revolutionary processes.[6]

What is missing from all these texts is the central lesson of the successful Russian Revolution, as well as of the many failed revolutions of the 20th and 21st centuries: the indispensable necessity of an internationally organized revolutionary party. Councils, committees, or revolutionary transitional governments arise in most mass movements. Whether they can endure and be victorious, however, depends decisively on whether there exists a sufficiently rooted, democratically centralist, internationally organized party capable of playing a revolutionary role within these bodies. Trotsky and Lenin made it clear time and again: the revolutionary party is only one factor among many that determine the success or failure of a revolution – but it is precisely the factor that falls within the responsibility of those who call themselves Trotskyists and Leninists.

Needless to say, this difficulty is not resolved by simply appending the “necessity of the revolutionary party” like a catechism at the end of an article, as the late CWI often did. The task is to show concretely how such a party can be built out of the current situation and the struggles unfolding today. What organizational options exist in a given situation for workers, youth, and the oppressed? What are the specific strengths and weaknesses of these organizations? In which areas and questions is there an organizational and programmatic vacuum? Where do we see dynamics and potential to fill that vacuum? What concrete organizational proposals can we advance? It is no accident that the PRMI consistently omits these key questions in its analyses and perspectives: its inability to build a revolutionary and democratic organization of its own goes hand in hand with its inability to embed that necessity programmatically and strategically within today’s movements and struggles.

The task of a “Project for a Revolutionary Marxist International” should be to help movements and struggles both analytically and organizationally – by sharpening the still underdeveloped consciousness of the necessity of revolutionary political organization. Such organization must unify the struggles against exploitation and oppression and orient them toward a generalization in the fight against capitalism. Instead, the PRMI increasingly retreats into reproducing the existing consciousness within these movements. Rather than offering the movements a clear strategic perspective, it eclecticly imports slogans, catchphrases, and fragments of theories circulating within the movements into its own work – without critically examining them. This supposed “abandonment of sectarianism” is in truth nothing more than the reverse side of the very political isolation that sectarianism itself expresses.

As Frantz Fanon showed in his analysis of the role of intellectuals in colonial liberation movements, the distance of “revolutionary” intellectuals from actual struggles often reveals itself precisely in the desperate attempt to overcome that distance by simply repeating the language of the movement. Yet, as Fanon wrote, „by seeking to follow them too closely, the intellectual turns out to be nothing better than a vulgar opportunist, even behind the times.“[7]

Because the PRMI has nothing substantive to offer that could advance struggles strategically, it is left only with the escape forward into an ever-escalating rhetoric. One example is its systematic description of the genocide in Gaza as a “Holocaust” or “new Holocaust” – and correspondingly, its labeling of German police as “Gestapo-like” when they repress Gaza protesters.[8] Even if we assume that this is not merely an attempt to cover up political disorientation through sensationalist hyperbole, the question remains: What analytical value do these comparisons add to the movement against the genocide in Gaza? This question has nothing to do with the bourgeois myth of the “unique singularity” of the Holocaust. What is at stake is the necessary Marxist analysis of the social, political, and economic foundations of different genocides – as the precondition for deriving a revolutionary strategy to fight them.

Do we really need to explain that the Holocaust was an entirely different kind of genocide, and that the character of the Nazi regime was fundamentally different from that of today’s Israeli state? The Holocaust arose from a petty-bourgeois fascist mass movement that was instrumentalized by German imperialism in the global competition for power – not only to eliminate rival imperialisms but also to smash the Soviet Union and the revolutionary workers’ movement within Germany. The extermination of European Jews was decisive in this context, but the Holocaust encompassed much more: the annihilation of all “life unworthy of life” as well as the complete destruction of political opposition, especially the socialist and communist currents – all within the framework of the war of extermination against the Soviet Union as a (however Stalinistically degenerated) systemic alternative. In what sense does this historical constellation resemble the situation in Israel and Palestine? The same applies to the equation of German police with the Gestapo. If one takes this comparison analytically seriously, it necessarily follows that Germany today is a fascist state. From this one would have to derive the need to build underground networks, organize escape routes, and propagate armed struggle. Since the PRMI draws none of these conclusions, such comparisons do not demonstrate analytical clarity but rather strategic confusion.

In fact, these formulations have a double effect. First, they contribute to the confusion of the movement by making historical and political constellations indistinguishable. Second, they trivialize the functioning of the bourgeois-democratic state in passing. For the truly scandalous truth is this: capitalism does not need fascism in order to carry out genocide or to unleash massive repression against resistance. All of this is perfectly possible within bourgeois “democracy” itself – and anyone who ignores this only fosters illusions in its democratic structures and in the bourgeois state as such.

Because the PRMI has developed neither its own programmatic basis nor a strategic perspective, it increasingly substitutes rhetorical effects for genuine analysis. Instead of advancing movements in their consciousness by demonstrating the connection between exploitation and oppression, and translating that into a perspective of revolutionary organization, the PRMI makes itself dependent on the moods within the movements. It adopts their slogans and concepts uncritically, rather than mediating them critically and expanding them strategically. In doing so, the PRMI ultimately weakens precisely those struggles whose tail it chases.

Opportunism and Eclecticism

The problem becomes even more severe when the opportunism and eclecticism of the PRMI shape not only its propaganda but also its fundamental analyses. A particularly striking example is the lengthy article that promises “a Marxist approach to the struggle for Palestinian liberation.”[9] The entire document is built on a concept popular in parts of the Gaza solidarity movement: the notion of settler colonialism. Israel is described as a “peculiar form of settler colonialism” – a formulation that bears a striking resemblance to the old CWI’s theoretical helplessness in characterizing China, which it simply labeled “a peculiar form of state capitalism.” But what exactly “settler colonialism” is supposed to mean within the framework of a Marxist theory of state and economy remains completely unexplained.

The most influential and widely known use of the term comes from J. Sakai’s book Settlers. There it is argued that the “Euro-Amerikan proletariat” – i.e. the working classes of the imperialist centers – are inherently counterrevolutionary by virtue of their “settler nature” and form a strategic unity with imperialism. Sakai writes explicitly:

“[It] disproves the thesis that in settler Amerika ‘common working class interests’ override the imperialist contradictions of oppressor and oppressed nations when it comes to tactical unity around economic issues. The same applies to the thesis that supposed ideological unity with the Euro-Amerikan ‘Left’ also overrides imperialist contradictions, and hence, even with their admitted shortcomings, they are supposed allies of the oppressed against U.S. Imperialism. Could it be the other way around? That despite their tactical contradictions with the bourgeoisie, that Euro-Amerikan workers and revisionistic radicals have strategic unity with U.S. Imperialism?” [10]

Sakai’s rhetorical question leaves no doubt as to his answer. If this is the basis for the PRMI’s use of the concept of “settler colonialism,” then this framework – despite its Marxist phraseology – has nothing in common with genuine, internationalist Marxism. If, however, the PRMI means something different by it, it has entirely failed to provide any definition.

Neither is it clarified what “settler colonialism” is supposed to mean within the framework of a Marxist economic and social analysis, nor what strategic consequences are meant to follow from it. The theoretical and practical implications are left unexamined: Who exactly are the “settlers”? Only those in the settlements in the occupied West Bank? The entire Israeli proletariat? Or a supposed “settler class,” as has sometimes been argued with reference to apartheid-era South Africa? And how is such a “settler class” analytically distinguished from the classic Marxist categories of proletariat and bourgeoisie, and their respective internal differentiations?

Instead of addressing these questions, the article merely points in a footnote to “different kinds of settler colonialism,” which the Israeli-British Marxist Moshe Machover supposedly describes. Machover was a co-founder of the Trotskyist organization Matzpen in Israel. Even though we certainly do not agree with him on everything, his analysis in the cited text is far more differentiated and instructive than anything the PRMI offers. Machover shows with great precision how the adoption of the settler-colonialism schema led the Palestinian liberation movement itself into an analytical and political dead end:

„Until 1969, the Palestinian nationalist movement regarded Palestine as forever the homeland of one national group: the Palestinian Arabs - it was an Arab country. However, they came to the conclusion, in view of the actual reality, that the Zionist settlers could not be dislodged. They are there to stay. So they reasonably thought that they should propose a solution that would incorporate them. But, being stuck in a nationalist mindset, they could not accept the idea that what had crystallised in the occupied part of Palestine, in Israel, was a national formation, a settler nation. This is not unique - there are other settler nations in the world - but this was a settler nation still in the process of colonisation, which made it even harder to accept.

So the PLO related to this particular settler nation as a religious entity - hence the word, “secular”. The future Palestine is going to be Arab in national character, but it is going to be secular: it is going to allow equal religious rights and freedom of religious worship to all concerned - Jews, Christians and Muslims.

Paradoxically, in relating to the settlers not as a new nation, but just as part of Jewry, they accepted implicitly the diametrically opposed stance of Zionism, which also regards the Israelis just as part of Jewry, not a new nation. Except that, according to Zionist ideology, all Jews around the world constitute a nation. However, this was 1969, remember - it was at the height of the Vietnam war and the PLO was no doubt inspired by the Vietnamese struggle against colonialism, although in very different circumstances. The inspiration and ideas they got from Vietnam were very unhelpful and in fact soon led to disaster.“[11]

The contrast with Moshe Machover’s analysis could hardly be greater. While Machover shows, in a materialist way, how the uncritical use of the “settler colonialism” schema led the Palestinian liberation movement itself into a strategic dead end with catastrophic consequences (Black September 1970), the PRMI repeats the very same mistake – but on an even weaker theoretical foundation. Instead of presenting a materialist class analysis of the Israeli state and its social formations, the PRMI uncritically adopts concepts and narratives that it has not itself theoretically grounded. The impression left is that the PRMI is not proceeding from its own analysis at all, but rather borrowing a concept on the cue of certain activist layers, without having worked through its political and theoretical implications. The result is a double weakening: 1. The movement against the genocide in Gaza is deprived of a clear analysis of how imperialism, national oppression, and class struggle are interconnected. 2. At the same time, uncritical importation of concepts injects additional confusion into the movement itself.

(National) Oppression and Class Perspective

It is obvious that the PRMI’s mistakes on questions of national oppression and class analysis are, in many respects, a reaction to the opposite mistakes made by the late CWI. Without doubt, this is a central complex of problems for Marxists in the current period of intensified imperialist rivalry and neocolonial exploitation: How can struggles against national, neocolonial, and imperialist oppression be successful? Which social forces can lead these struggles on the side of the oppressed nations? And what role do the working classes of the oppressor nations and imperialist centers play?

In its early phase, the CWI made decisive contributions to these questions. In Ireland, for example, while most left currents in the struggle against British imperialism placed their hopes in petty-bourgeois nationalist and sectarian forces such as the IRA, the CWI centered its approach on the unity of Catholic and Protestant workers. But this unity was never simply assumed: it was clear that it had to be fought for. This meant waging a consistent political struggle against British imperialism and its Unionist proxies in Northern Ireland, but also making a concrete appeal to Northern Irish Protestant workers to break with “their” British ruling class. At the same time, it required a sharp critique of the petty-bourgeois and equally pro-capitalist Irish nationalism of the IRA, Sinn Féin, & Co. as well as of their terrorist methods. Only on this basis, the CWI argued, was a united struggle of the entire working class for its common interests possible: a life in peace and prosperity, free from national oppression and capitalist exploitation, with guaranteed national and religious self-determination for all.[12]

Yet, as we have shown elsewhere in the example of socialist feminism, the CWI also exhibited the tendency to sideline questions of specific oppression in the name of preserving “unity” of the working class. As we wrote in the statement in question:

“The approach to struggles against specific forms of oppression was shaped by the idea of translating them into ‘social’ demands that could then be subsumed under the ‘real’ class struggle – understood primarily as economic struggles for higher wages, better working conditions, etc. In one sense, this was not entirely wrong: the fight for better living conditions for the entire working class can indeed undermine the ground on which racist propaganda grows. Yet, on the other hand, this conception of ‘class unity,’ by focusing only on what ‘all workers’ have in common, led to ignoring everything they do not share – for example, the lived experiences of specific oppression on the basis of origin, gender, sexual orientation, and so on.

As a result, little progress was made in anchoring the organization within migrant layers or in formulating politics from their perspective. The addressees of the anti-racist program were less the oppressed themselves, and more the ‘native’ workers, who were told that racism was merely a distraction from their ‘real’ social problems. But for migrants, racism is not a distraction tactic from their actual problems – they are the direct target of that tactic. Racism is their immediate problem.

What is needed is a Marxist program from the perspective of those layers of the class who are subjected to racial oppression, one that addresses the oppression they face on a daily basis. From the history of the revolutionary Jewish workers’ movement, to anti-colonial struggles, the U.S. Civil Rights Movement, the strikes of migrant workers in Germany, and the sans-papiers movement in France, there is no shortage of historical lessons. They also show that precisely such struggles can generate solidarity within the ‘majority’ of the working class, and win it away from racist propaganda.

Class unity is therefore not the ‘lowest common denominator’ that remains once everything else in life outside the paycheck has been stripped away. On the contrary: real class consciousness and actual unity of the working class can only consist in politically fighting all forms of oppression, and orienting that struggle toward the overthrow of capitalism and its state.”[13]

This is the central lesson from Lenin’s What Is To Be Done?, which in many ways marks the birth of Bolshevism. This lesson must be relearned today, and the one-sidedness of earlier understandings overcome. For Lenin, “genuine class consciousness” does not mean only that the working class understands itself as a “class for itself” and fights against the bourgeoisie for concrete improvements for its own conditions – important as this undoubtedly is. Above all, it is a “truly political” consciousness: one that does not merely reflect its own immediate oppression, but develops an all-encompassing awareness of the injustices that capitalism produces at every level. Lenin writes:

“The consciousness of the working masses cannot be genuine class-consciousness, unless the workers learn, from concrete, and above all from topical, political facts and events to observe every other social class in all the manifestations of its intellectual, ethical, and political life; unless they learn to apply in practice the materialist analysis and the materialist estimate of all aspects of the life and activity of all classes, strata, and groups of the population. Those who concentrate the attention, observation, and consciousness of the working class exclusively, or even mainly, upon itself alone are not Social-Democrats; for the self-knowledge of the working classis indissolubly bound up, not solely with a fully clear theoretical understanding – or rather, not so much with thetheoretical, as with the practical, understanding – of the relationships between all the various classesof modern society, acquired through the experience of political life.”[14]

This of course does not mean that Lenin demanded abandoning the class perspective – on the contrary. For Lenin, the class perspective is not a matter of staring at one’s own feet, but rather the vantage point from which all processes in society are to be observed, studied, and analyzed. The idea that one could “develop the class political consciousness of the workers from within, so to speak, from their economic struggle, i.e., by making this struggle the exclusive (or, at least, the main) starting-point, by making it the exclusive (or, at least, the main) basis,” Lenin considered “the basic error that all the Economists commit”.[15] Such consciousness, as he wrote in his often misunderstood formulation, “can be brought to the workers only from without, that is, only from outside the economic struggle, from outside the sphere of relations between workers and employers. The sphere from which alone it is possible to obtain this knowledge is the sphere of relationships of all classes and strata to the state and the government, the sphere of the interrelations between all classes.”[16] In other words, “from without” does not mean that bourgeois intellectuals should explain the world to the workers. Rather, Lenin meant that the working class, beyond the realm of economic struggle, must create for itself a political organization that enables it not only to fight the trench warfare of wages against bosses and police, but to analyze the entire social situation and target the system as a whole. This is why Lenin also called the “the conception of the economic struggle as the most widely applicable means of drawing the masses into the political movement,” as preached by the Economists, “extremely harmful and reactionary in its practical significance.”[17]

Many of today’s self-proclaimed “Marxists” find Lenin’s arguments deeply unsettling. They sidestep them awkwardly by claiming that in What Is To Be Done? Lenin merely “bended the stick” in one direction in order to balance a weakness in the other (this was the interpretation common in the CWI). Others remain entirely silent on the matter—always out of fear of being accused of “contaminating” class consciousness with “petty-bourgeois” issues, or of capitulating to “liberalism” or even “postmodernism.” To such “Marxists,” Lenin’s reply is unambiguous:

“He who sees in these tactics an obscuring of the class-consciousness of the proletariat and a compromise with liberalism […] drags Social-Democracy towards the “economic struggle against the employers and the government” and yields to liberalism, abandons the task of actively intervening in every “liberal” issue and of determining his own, Social-Democratic, attitude towards this question.”[18]

The significance of these arguments for today’s struggles against specific forms of oppression (racism, sexism, queerphobia, etc.) in connection with the general class struggle – which, for Lenin, must always be a struggle against the system as a whole – can hardly be overstated. Lenin makes this point explicitly. Equipped with real, political class consciousness, Lenin argues,

“the most backward worker will understand, or will feel, that the students and religious sects, the peasants and the authors are being abused and outraged by those same dark forces that are oppressing and crushing him at everystep of his life. Feeling that, he himself will be filled with an irresistible desire to react, and he will know how to hoot the censors one day, on another day to demonstrate outside the house of a governor who has brutally suppressed a peasant uprising, on still another day to teach a lesson to the gendarmes in surplices who are doing the work of the Holy Inquisition, etc.”[19]

Only when all these struggles are taken together do they constitute the political class struggle through which the working class can overthrow the ruling class and its system. One can, if desired, add contemporary struggles here – such as those against the climate crisis.

These considerations are particularly connected to the complex of imperialism and anti-imperialism. For the more mechanical the late CWI’s approach to the question of “class unity” became, the more abstract it grew in this context as well. To be sure, it correctly rejected approaches such as Sakai’s theory of “settler colonialism,” which explicitly wrote off the working classes of the imperialist centers. But in response it offered only the notion of the “common class interests” of workers in both the oppressor nations and the oppressed nations. This inevitably remained entirely abstract, especially for those layers who experience their oppression as tolerated – or even actively supported – by those relatively more privileged sections of the class. The result was an understanding of “class unity” based solely on the most general economic categories – particularly inadequate in the epoch of imperialist domination and wars.

Trotsky had already analyzed this problem in much more depth in 1914, in The War and the International. Faced with the mass support of the working classes in the imperialist countries for the First World War, he described “The dependence of the proletarian class movement, particularly in its economic conflicts, upon the scope and the successes of the imperialistic policy of the state”. Trotsky wrote:

„As capitalism passed from a national to an international-imperialistic ground, national production, and with it the economic struggle of the proletariat, came into direct dependence on those conditions of the world market which are secured by dreadnaughts and cannon. In other words, in contradiction of the fundarrental interests of the proletariat taken in their wide historic extent, the immediate trade interests of various strata of the proletariat proved to have a direct dependence upon the successes or the failures of the foreign policies of the governments.“[20]

Trotsky thus recognized that in the imperialist epoch the fundamental common interests of the world proletariat are by no means identical with the immediate interests of certain layers or national working classes. This does not mean that the working classes in the imperialist centers have a “strategic unity with imperialism,” as in Sakai’s theory of “settler colonialism.” But it does mean that a class perspective in anti-imperialist or anti-colonial struggles is not simply a matter of appealing to the “fundamental common interests” of the working classes in the imperialist centers and those in the oppressed countries or territories. Such appeals ignore the fact that the immediate interests of different layers or national working classes in these conflicts can indeed contradict one another – and thus appeals to “common interests” necessarily appear hollow and abstract. Only reformists and Economists can feign outrage when, like Trotsky, one points out that the working classes of the imperialist centers tie certain immediate interests to the success of “their” imperialism. The root error here again lies in the superficial conception of class as a purely economic category, and of class struggle as merely a struggle over surplus value in capitalist production. In this way, the struggle of the class becomes bound to the development of the “national” productive forces. Trotsky traced the emergence of this misunderstanding, and its fate in the imperialist epoch, as follows:

"As long as capitalism remained on a national basis, the proletanat could not refrain from cooperation in democratizing the political relations and in developing the forces of production through its parliamentary, communal and other activities. […] But when the capitalist states overstep their national form to become imperialistic world powers, the proletariat cannot oppose this new imperialism. And the reason is the so-called minimal program which fashioned its policy upon the framework of the national state. When its main concern is for tariff treaties and social legislation, the proletariat is incapable of expending the same energy in fighting imperialism that it did in fighting feudalism. By applying its old methods of the class struggle – the constant adaptation to the movements of the markets – to the changed conditions produced by imperialism, it itself falls into material and ideological dependence on imperialism."[21]

Here Trotsky formulates a central lesson for the question of class struggle in the imperialist centers: as long as it is waged on the basis of immediate economic demands, the dependence on one’s own imperialism cannot be broken. In the worst case, it is even reinforced, as Trotsky showed in relation to the German Social Democracy and the trade unions in 1914. For in their economistic and reformist logic – not  incorrectly – they tied immediate improvements for German workers to the military success of German imperialism in the war.

It is true that in the First World War – and in different forms also in later imperialist wars – the support of the proletariat for “its own” imperialism diminished the more obvious it became that the plunder of “their” rulers was failing, from which workers had hoped to gain a few crumbs. This was the basis for the Bolsheviks’ tactics during the war years.[22] But this by no means meant an automatic solidarity with those oppressed by their own imperialism. Even in the Russian February Revolution there was still a widespread hope among workers and peasants that by overthrowing the Tsar they could prosecute the war more effectively. Russian imperialism was only overthrown through the October Revolution and the decisive role of the Bolsheviks. This was only possible because the Bolsheviks (under Trotsky’s influence) understood the “immediate demands” of land, bread, and peace as the direct tasks of the social revolution, which by definition breaks with every imperialism. In the 1914 text cited, Trotsky already emphasized:

„The only way the proletariat can pit its revolutionary force against imperialism is under the banner of Socialism. The working class is powerless against imperialism as long as its great organizations stand by their old opportunist tactics. The working class will be all-powerful against imperialism when it takes to the battlefield of Social Revolution.“[23]

The working classes in the imperialist countries – whether in Austria, the United States, or Israel – are neither the strategic allies of their own imperialism, nor the saviors of the oppressed in the neocolonial countries who must rely on their goodwill. Yes, the workers in the imperialist centers have the fundamental interest and the historical responsibility to confront their own imperialism with their revolutionary power. But the history of anti-colonial struggles from Angola to Vietnam also shows that they have usually only done so to the extent that their imperialism had already been weakened by these struggles. The French May 1968 would be unthinkable without the simultaneous struggle of the Algerian people against French colonial rule, as well as France’s defeat in Vietnam only a few years earlier. The Portuguese Carnation Revolution of 1974 would have been impossible without the anti-colonial struggle in Angola. Yes, struggles against imperialist and neocolonial oppression need the support of workers in the imperialist centers. But for that support to realize its full strength, it requires even more the example and living experience of the uncompromising struggle of the nationally and colonially oppressed themselves. The program and tactics against national and neocolonial oppression therefore cannot be based on the present consciousness of the working classes in the oppressor countries or nations. Both must be formulated from the standpoint of the interests of the oppressed.

For Marxists, taking a genuine class standpoint in movements against imperialist or neocolonial oppression must therefore mean two things. First, within the struggles of the oppressed themselves, defending the independence of the working class from all petty-bourgeois nationalist or even feudal-reactionary forces, and asserting its claim to leadership as the only truly revolutionary force according to the Theory of Permanent Revolution – above all through the building of its own revolutionary organizations. Second, within the imperialist centers, carrying into the struggles of the working class the program for the defeat of “its own” imperialism and for the liberation of those it oppresses, on all levels. This will necessarily remain a minority program until the balance of forces is tipped by the strength of the struggles of the oppressed. But once such a point is reached, it can become a central lever of proletarian revolution in the imperialist centers – and thereby concretely link the fundamental common interests of the global working class with its immediate, everyday interests.

At this point, we have only sketched and briefly discussed some aspects of Lenin’s and Trotsky’s approach to the questions of class unity and national oppression. In our view, the depth and implications of this approach have yet to be fully grasped and updated. On the contrary, what we see, especially on the revolutionary left today, is a theoretical flattening that expresses itself both in opportunistic arbitrariness and in sectarian dogmatism.[24]

Outlook: Four Lessons and the Task of vorwärts

The preceding discussion has attempted to formulate some more fundamental analyses out of concrete points of contention and experiences of recent years. Without any claim to completeness, we want to highlight four concrete lessons that we take with us for our future political practice:

  • The first lesson concerns the relationship between exploitation and oppression. Capitalism does not create a homogeneous working class, but rather a plural and stratified class, incorporated into – or excluded from – the capitalist mode of production in diverse ways. If we take the working class seriously as the revolutionary subject, we cannot treat relations of oppression as “secondary contradictions,” but must instead place them at the center of a Marxist strategy. The struggles against racism, sexism, queerphobia, and colonial domination are not “additional fields,” but are decisive for the contemporary conditions of class struggle.
    The structural transformation of capitalism compels us to deepen this analysis. In the advanced capitalist centers, the reproductive systems – healthcare, education, care work, social systems – have gained enormous significance. These are areas in which a growing share of socially necessary labor is concentrated, and they are precisely the sectors marked by layers of the class that, due to traditional gender roles, global divisions of labor, and migration processes, are disproportionately female and migrantized. At the same time, industrial production has in large part shifted to the global South, where the proletariat lives under a double oppression: exploited by local capitalists while simultaneously subjugated by imperialist and neocolonial structures.
    A Marxist strategy that fails to account for these realities can grasp neither the struggles of the present nor the tasks of a revolutionary organization. Exploitation and oppression can only be fought together – or not at all.
  • From this follows directly a second lesson: socialist feminism and safeguarding must be central principles of organizational building. If we take seriously that the future of class struggle lies to a decisive extent in the hands of those layers who fight in the reproductive sectors of capitalism, in precarious forms of labor, and in movements against various forms of specific oppression, then these layers must today be able to feel as free, safe, and empowered as possible within our organization. Safeguarding is not a “secondary task” or a matter of individual sensitivity, but a political necessity: only if we create structures that prevent sexual assault, discriminatory behavior, and abuses of power as much as possible – and that ensure a consistent, survivor-centered response when such incidents occur – can we organize and retain those people who are indispensable to our perspective of building a revolutionary International. Socialist feminism therefore cannot be reduced to abstract proclamations, nor abused as a pretext for bureaucratic maneuvers, but must be expressed in a living organizational culture. The mistakes that the CWI, the ISA, and we ourselves made in the past in dealing with such cases must not be repeated.
  • The third lesson concerns the continuing relevance of the “dual task” – a concept developed by the CWI in the 1990s. It is not enough to build small revolutionary organizations or “pure propaganda groups” which, at best, provide political commentary, but at worst remain trapped in isolation. The decisive question is how we can contribute to the reorganization of the workers’ movement as a whole – and above all, its political expressions, which on a global scale will necessarily be far more diverse, fluid, and situationally adapted than the simple model of a “new workers’ party.” Revolutionary organizations must prove their usefulness: they must demonstrate that they can advance concrete struggles, that they can build structures which empower those directly involved. Projects like Sozial, aber nicht blöd![25] illustrate on a small scale how a revolutionary organization can root itself if it creates practice-oriented structures that both organize struggles and develop consciousness. Without such roots, even numerically large organizations remain little more than propaganda groups – incapable of truly shaping the dynamics of struggle.
  • The fourth lesson concerns the relationship between democracy, centralism, and party-building. A Marxist organization cannot pride itself on principles such as “complete freedom of debate” and the “right to recall leaders at any time” – only to abandon these principles the moment they are put to even the mildest test. Genuine political unity cannot be imposed through personal loyalties or administrative measures, but only through living, open debates in which minority rights are guaranteed and strategic conflicts are truly fought out. Only such inner democracy allows real political unity to emerge – and only on this basis can effective international centralism be built. Conversely, only a centralism rooted in such democracy can guarantee the international debate and collective capacity for action that are indispensable in a globalized capitalist world. The history of the CWI, ISA, and PRMI demonstrates that organizations which fail to establish this connection inevitably produce two false tendencies: bureaucratic-centralist ossification on the one hand, and federalist fragmentation on the other.
    These dangers are directly tied to the question of party culture and party-building. It is true, as Trotsky emphasized, that there can be no revolutionaries without a spirit of sacrifice – but such sacrifice can only arise from personal conviction and trust in the organization and its politics. It cannot be commanded or demanded. “Activist burnout” is a real problem, especially for revolutionary organizations operating under non-revolutionary conditions. It is the product of an ultimately unpolitical approach to practice and perspectives: in the absence of convincing political perspectives and of resource allocation and planning structured around them, a hyperactivism emerges which imagines it must be present everywhere at once – because “something could happen” anywhere.
    The result is an endless cycle of reacting rather than setting one’s own political-practical priorities. Far from being political flexibility, such hyperactivism stems from an inability to adjust perspectives. It is only logical that entire generations of activists have burned out in this mode of work: people participate as long as they can, “intervening” here and there, without feeling that their efforts, time, and sacrifices serve a clearly defined political (sub-)goal within a coherent perspective. In activities such as selling newspapers, personal conviction is replaced by a sense of duty to the organization, while on the organizational level the means (the sale of material) becomes the end and the measure of success. On this basis, the building of a healthy revolutionary organization is impossible.
    Commitment must not mean self-sacrifice. Bolshevism, as we understand it, is Bolshevism without burnout. Not because we want to demand “less” from our members in general, but because we know how fruitless it is to pressure people into activities they are not convinced of. Not because we deny the necessity of professional revolutionaries, but because we know that a student without children has different time resources than a working single mother – and that both must be able to participate in party work in their own way and according to their possibilities.

All these lessons together form the starting point of our own work. We want to build an organization that reconnects theory, strategy, and practice: one that understands the struggles against exploitation and oppression as a unity, proves its usefulness in real confrontations, and develops an international structure that combines democratic debate with coordinated action. This also means giving ourselves the time and space for serious perspectives work – not in the form of a collection of day-to-day political commentaries or vague predictions disguised as a “perspectives document”, but as a fundamental clarification of the conditions, possibilities, and strategies for revolutionary transformation in the 21st century.

We are thus faced with a task that recalls historical moments such as the emergence of the CWI in the 1970s, when there was likewise no current that could credibly claim to represent revolutionary Marxism internationally. Texts such as Trotsky’s Transitional Program of 1938 or Ted Grant’s Programme of the International of 1970 demonstrate how orientation can be created in such situations: through patient analysis, drawing lessons from history, and formulating perspectives that reach beyond the immediate moment.

This is the standard we take up – not to copy the past, but to build from it and go beyond it. vorwärts does not aim to be just another group among many, but a project dedicated to reworking the political and organizational foundations for a new revolutionary International. This means acknowledging mistakes, building structures that enable discussion, and working together with other currents and activists to fill the fatal programmatic and organizational void that currently exists on the revolutionary left.

 


[1] See our statement: https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393

[2] See: https://www.slp.at/artikel/schwere-fehler-unserer-organisation-im-bereich-des-safeguardings-bez%C3%BCglich; https://www.slp.at/artikel/lernen-im-vorw%C3%A4rtsgehen-11392; https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393   

[3] https://www.slp.at/artikel/lernen-im-vorw%C3%A4rtsgehen-11392

[4]  https://www.slp.at/artikel/lernen-im-vorw%C3%A4rtsgehen-11392

[5] https://revolutionarymarxism.com/nepals-gen-z-rise-up/

[6] https://revolutionarymarxism.com/indonesia-explodes-in-revolt/

[7] Frantz Fanon: The Wretched of the Earth. New York: Grove Press, 2004, p. 161.

[8] https://revolutionarymarxism.com/strike-against-gaza-holocaust-shut-down-the-system-of-genocide/; https://revolutionarymarxism.com/its-a-new-holocaust-stop-the-genocide-in-gaza/; https://revolutionarymarxism.com/sumud-flotilla-sets-out-as-arab-rulers-bury-heads-in-the-sand/

[9] https://revolutionarymarxism.com/marxist-approach-to-the-struggle-for-palestinian-liberation

[10] J. Sakai: Settlers. The Mythology of the White Proletariat. Chicago: Morning Star Press 1989, p.164.

[11] Moshe Machover: Two Impossibilities, https://weeklyworker.co.uk/worker/1395/two-impossibilities/

[12] See Peter Hadden: Troubled Times, https://www.marxists.org/history/etol/writers/hadden/1995/natq/index.html

[13] https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393

[14] V.I. Lenin: What is to be done? In: Collected Works, Vol. 5, pp. 347-530, p. 412-3., available at https://www.marxists.org/archive/lenin/works/1901/witbd/iv.htm

[15] Ibid., p. 421-2.

[16] Ibid., p. 422.

[17] Ibid., p. 413.

[18] Ibid., p. 436.

[19] Ibid., p. 414.

[20] Leon Trotsky: The War and the International. Available at https://www.marxists.org/archive/trotsky/1914/war/part3.htm#ch10

[21] Ibid.

[22] See our Publication: Roman Rosdolsky: Imperialist war and the question of peace. The Bolshevik Peace Politics of the Bolsheviks before the November 1917 Revolution (2024)

[23] Leon Trotsky: The War and the International. Available at https://www.marxists.org/archive/trotsky/1914/war/part3.htm#ch10

[24] On the dialectics of opportunism and sectarianism see our statement: https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393

[25] A rank’n’file initiative in the austrian social sector, initiated by us over ten years ago

Warum wir das PRMI verlassen – und welche Lehren wir daraus ziehen

Im August 2025 beschlossen wir die Neugründung unserer Organisation als „vorwärts“. Damit einher gingen Diskussionen über unseren Status als Teil des „Project for a revolutionary marxist International“ (PRMI). Diese Diskussionen mündeten in der einstimmigen Entscheidung im September, uns vom PRMI zu lösen. Das folgende Dokument will die Gründe dafür darlegen – doch es geht uns nicht um innerlinke Grabenkämpfe mit ihren leider oft irrationalen Dynamiken. Es geht um eine größere Aufgabe: aus der Geschichte von CWI, ISA und PRMI die richtigen Lehren zu ziehen, die Stärken und Schwächen unserer eigenen Traditionen bewusst zu reflektieren und einen Neuanfang zu wagen, der nicht bloß formal, sondern programmatisch und methodisch trägt.[1]

Einen besonderen Stellenwert – sowohl in aktuellen sozialen Bewegungen wie auch in den politischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre – nehmen Fragen des sozialistischen Feminismus und der nationalen bzw. rassistischen Unterdrückung ein. Unsere Ausführungen dazu in diesem Dokument sind ein Zwischenergebnis bisheriger theoretischer Arbeit und Diskussion. Sie stellen noch kein ausformuliertes Programm dar, wohl aber den Zugang, den wir für notwendig halten, um den Aufbau einer internationalen revolutionären Organisation auf einer neuen Grundlage weiterzuführen.

Wir üben in diesem Dokument durchaus harte Kritik. Dabei wissen wir, dass wir in der Vergangenheit selbst politische Fehler gemacht haben – und dass weitere Fehler in der aktuellen Periode sich ständig verschärfender und überlagernder kapitalistischer Multikrisen weitere Fehler wohl unvermeidbar sind. Entscheidend ist also nicht, ob man für die eigene Organisation und ihre Tradition behaupten kann, immer richtig gelegen zu sein (wo das behauptet wird, sollte man besonders misstrauisch sein). Entscheidend ist, ob eine Organisation es schafft, im Vorwärtsgehen zu lernen.

Wir laden deshalb aktuelle, frühere und künftige Weggefährt:innen und Genoss:innen und alle interessierten Leser:innen ein, die Analysen und Argumente dieses Dokuments mit uns zu diskutieren. Wir freuen uns über Feedback, Kritik und solidarischen Austausch mit dem Ziel gemeinsamer revolutionärer Praxis.

Bürokratischer Zentralismus im Umgang mit Safeguarding

Das PRMI ging 2024 aus der Spaltung der International Socialist Alternative (ISA) hervor. In vielerlei Hinsicht glich die ISA-Spaltung 2024 der CWI-Spaltung 2019: wieder stand auf der einen Seite eine politisch schwache und uneinsichtige Führung, die bürokratisch agierte, um ihre Kontrolle zu sichern – und wieder stand auf der anderen Seite eine Sammlung an Sektionen, Gruppen und Einzelpersonen, die mehr durch ihre Opposition geeint wurden als durch ein eigenes positives Programm. Wieder hielten die eigentlich für Debatten geschaffenen internationalen Strukturen schon dem geringsten Druck nicht stand. Wieder wich der vielbeschworene demokratische Zentralismus sofort taktischem bürokratischem Manövrieren.

Dennoch verbanden auch wir mit der Gründung des PRMI zunächst die Hoffnung auf einen notwendigen Neuanfang. Nach den jahrelangen Krisen und Degenerationstendenzen innerhalb von CWI und ISA schien das PRMI die Chance zu bieten, die eigenen Traditionen kritisch zu überprüfen, ihre Stärken zu bewahren und ihre Schwächen konsequent zu überwinden. Das PRMI analysierte mit seiner Gründung zurecht die schwere Krise, in welche die eigene politische Tradition geraten war und die Notwendigkeit eines grundlegenden Wieder- und Neuaufbaus auf theoretischer, programmatischer und organisatorischer Ebene. Doch bereits nach einem Jahr müssen wir festhalten, dass das PRMI daran gescheitert ist: von Anfang an schob man die Entwicklung eines eigenen Programms und eigener internationaler demokratischer Strukturen auf die lange Bank. Zwar war die Einsicht richtig, dass es notwendig ist, vieles grundlegend zu überdenken und nicht einfach „aus dem Stand“ eine neue Internationale aus dem Boden zu stampfen. Doch an die Stelle einer programmatischen Klärung trat ein ungesteuerter, pseudodemokratischer Föderalismus, der faktisch zu einem informellen, bürokratischen Zentralismus an der Spitze geführt hat.

Unsere Kritik am PRMI richtet sich nicht einfach gegen eine Organisation, deren Analysen politisch schwach oder deren strategische Orientierung unzureichend ist. Wäre das der Fall, könnte und müsste der Streit innerhalb der Organisation geführt und ausgetragen werden – durch offene Debatten, demokratische Entscheidungen und programmatische Klärungen. Doch genau das ist im PRMI nicht möglich. Der undemokratische Charakter des PRMI ist kein Nebenaspekt, sondern einer der zentralen Gründe dafür, dass politische Differenzen nicht konstruktiv bearbeitet werden können, wie beim späten CWI und der ISA dominiert ein bürokratischer Zentralismus, in dem Konflikte entlang von informellen Loyalitätslinien bearbeitet werden. Gleichzeitig verbindet sich dieser Zentralismus paradoxerweise mit einer föderalistischen Beliebigkeit: Die föderale Zersplitterung erzeugt zugleich national organisierte Teilperspektiven ohne kohärente internationale Grundlage. Politische Opposition wird entmutigt oder isoliert, statt als Chance zur Klärung und Weiterentwicklung begriffen zu werden.

Eine revolutionäre Internationale aber kann nur existieren, wenn sie eine dauerhafte Struktur demokratischer Auseinandersetzung bietet – eine Organisation, die Dissens nicht als Gefahr behandelt, sondern als Motor ihrer Weiterentwicklung versteht. Das PRMI hat gezeigt, dass es diesen Anspruch weder erfüllen kann noch will. Die Gründung von vorwärts und unser Austritt aus dem PRMI ist daher nicht der Ausdruck einer Spaltung um der Spaltung willen, sondern die notwendige Konsequenz aus einer Organisation, die sich selbst handlungsunfähig gemacht hat.

Die PRMI-Führung erbte also nicht nur ihr Personal, sondern auch ihren Zugang zur internen Demokratie von CWI und ISA. Das hat der Umgang mit der Krise der österreichischen Organisation im Frühjahr/Sommer 2025 mehr als deutlich gezeigt. Über den Hintergrund dieser Krise, unseren Umgang damit und die Lehren daraus haben wir im März und im August insgesamt drei Stellungnahmen veröffentlicht.[2] Wir zitieren deshalb an dieser Stelle die entsprechenden Passagen aus unserem Statement „Lernen im Vorwärtsgehen“:

„Anlass war ein Fall sexueller Gewalt, begangen 2014 von einer erst später zu unserer Organisation gestoßenen und mittlerweile ausgeschlossenen Person. 2019 wurde der Fall der damaligen Führung bekannt und von ihr falsch und fahrlässig behandelt - dank der betroffenen Person wurden diese schweren Fehler Anfang 2025 wieder zum Thema (siehe unser Statement vom März 2025). Wir beschlossen daraufhin, unsere Aktivitäten vorerst einzustellen und uns den Fehlern unserer Organisation in der Vergangenheit zu widmen, in Zusammenarbeit mit der Führung des Projekts für eine revolutionäre marxistische Internationale (PRMI). Wir möchten uns noch einmal bei der betroffenen Person entschuldigen - und hoffen deshalb, dass unsere bisherige und fortlaufende Arbeit zur Aufarbeitung und zu einem Heilungsprozess beitragen. In den darauffolgenden Wochen arbeitete eine internationale Untersuchungskommission des PRMI an der Aufklärung der Fehler. Zahlreiche Mitglieder, die damals eine sehr aktive und/oder führende Rolle spielten, wurden teils mehrfach befragt, um die Ereignisse zu rekonstruieren und teils auch um ihre heutigen Einstellungen zu ihren damaligen Fehlern in Erfahrung zu bringen. In den Gesprächen insbesondere mit den zwei noch aktiven Mitgliedern, die damals in der Bundesleitung waren, bestand weitgehende Einigkeit über den Ablauf der Geschehnisse und die kollektiven und individuellen Versäumnisse.“[3]

Doch bereits während dieses Prozesses zeigte sich der bürokratisch-zentralistische Zugang der PRMI-Führung: Als drei Monate nach Ausbruch der Krise noch immer kein Bericht der Kommission vorlag, schlugen einige Mitglieder in einem Brief vor, das Organisationsleben wieder in dem Maße neuzustarten, wie es der Untersuchungs- und Reflexionsprozess zulässt – denn der komplette Stillstand drohte, die Existenz der Organisation unmittelbar zu gefährden. Denn, wie wir in unserem Statement festhielten, „führte die zunehmende Abschottung ohne jegliche organisatorische und politische Perspektive nur dazu, dass sich Mitglieder und Umfeld weiter zurückzogen – eine Situation, die den angestrebten und notwendigen Reflexionsprozess nicht unterstützte.“[4]

Dieser Vorschlag wurde von der PRMI-Führung als Sabotage der Safeguarding-Aufarbeitung gewertet. Selbstverständlich stellte der briefliche Vorschlag in keinster Weise eine solche Sabotage dar – ganz im Gegenteil war es der Versuch, durch ein Mindestmaß an Aktivität den Fortbestand der Organisation und damit auch des Aufarbeitungsprozess zu sichern. Doch anstatt den Vorschlag demokratisch zu diskutieren, drohte die PRMI-Führung den Verfasser:innen des Briefs mit Suspendierung, wenn sie sich nicht davon distanzieren. In einem Fall wurde eine solche Suspendierung auch verhängt (obwohl keine:r der Verfasser:innen sich von dem Inhalt des Briefes distanziert hatte). Kritik an diesem bürokratischen Vorgehen wurde wiederum so dargestellt, als würde sie sich gegen Safeguarding an sich stellen – eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Als der Abschlussbericht der Untersuchungskommission endlich vorlag, herrschte über den inhaltlichen Teil des Berichts weitgehende Einigkeit. Doch das PRMI schloss fast ausschließlich bürokratische Konsequenzen: Ausschluss (bzw. Ausschluss auf Umwegen) der verbliebenen Ex-Leitungsmitglieder und Auflösung der Organisation – letzteren „Vorschlag“ unterbreitete die PRMI-Führung den österreichischen Mitgliedern nur wenige Stunden vor der Mitgliederversammlung. Wer der Meinung war, dass Suspendierungen, Ausschlüsse und aus dem Hut gezauberte Auflösungen/Neugründungen keine angemessenen Maßnahmen in dieser Situation sind, wurde wieder unterstellt, Safeguarding nicht ernst zu nehmen. Eine Mehrheit der österreichischen Mitglieder stellte sich gegen dieses letztlich oberflächliche Vorgehen und betonte den notwendigen Zusammenhang von organisatorischer Aktivität und kollektiver sowie individueller Reflexion.

Es ist eine bittere Ironie, aber keineswegs zufällig, dass die PRMI-Führung sich als bürokratische Verteidigerin des sozialistischen Feminismus inszeniert, obwohl ihre Mitglieder selbst teils jahrzehntelang in den Führungsstrukturen des CWI dessen toxische interne Kultur gefördert haben, ohne dafür irgendwo Rechenschaft abzulegen. Die Methoden blieben gleich, nur das Vokabular hat sich geändert: früher wurde politische Kritik pauschal als „kleinbürgerlich-feministisch“ oder „akademisch“ abgekanzelt – nun wurde sie mit dem Verweis auf „Safeguarding“ abgewürgt. Gerade wegen unserer eigenen Fehler in der Vergangenheit bezüglich dieses unverzichtbaren Prinzips für den Aufbau einer revolutionären Organisation kritisierten wir die Art und Weise, wie die PRMI-Führung jegliche politische Kritik an ihrer politischen Entwicklung oder ihrem praktischen Vorgehen in die gleiche Kategorie wie unterdrückerisches Verhalten steckte und auch so sanktionierte. Wer Safeguarding gegen demokratische Debatte ausspielt, sabotiert beides.

Möglichkeiten, diese Praxis zu korrigieren, gibt es innerhalb des PRMI keine. Es existieren keine funktionierenden demokratischen Strukturen, keine Foren für ernsthaften politischen Austausch. Kein Wunder, dass das PRMI überall dort, wo der direkte Einfluss der bürokratischen Führungsclique nachlässt, bereits auseinanderzufallen beginnt. Ein Beispiel dafür ist die Atomisierung der LSP/PSL in Belgien, wo die Organisation in zahlreiche Kleingruppen zerbrochen ist. Gleichzeitig zeigt das Beispiel Österreich, wie die PRMI-Führung diesem Zerfall entgegenzuwirken versucht: nicht durch politische Klärung und demokratische Debatten, sondern auf formal-bürokratische Weise – durch Ausschlüsse, Suspendierungen und aufoktroyierte Neugründungen von Organisationen. Dieser Zustand des PRMI ist zugleich Ausdruck einer fehlenden politischen Basis und Perspektive und Ursache dafür, dass eine solche Basis unter diesen Bedingungen nie erreicht werden wird.

Keine Perspektiven weit und breit

Was stattdessen an „Analysen“ und Perspektivtexten präsentiert wird, besteht fast ausschließlich aus vereinzelten Beiträgen aus dem Vertrautenkreis der Führungsclique, deren Qualität stark variiert. Eine kohärente programmatische Orientierung oder auch nur erste Ansätze für den Aufbau einer revolutionären internationalen Organisation fehlen völlig. Wenn es überhaupt eine Einheitlichkeit in den Veröffentlichungen des PRMI gibt, dann die, dass die Frage der Notwendigkeit einer revolutionären Organisation systematisch unterbelichtet oder vollständig ignoriert wird.

Selbst die Texte zu Asien, die noch zu den besseren Publikationen des PRMI zählen, zeigen diese Schwäche deutlich. Der Artikel zur Jugendrevolte in Nepal und derjenige zu den Massenprotesten in Indonesien liefern zwar nützliche Informationen, doch sobald es um die Frage eines „Wegs vorwärts“ geht, springen die Analysen unvermittelt zu fertigen Losungen: Entweder wird die Notwendigkeit eines „revolutionary government“ verkündet, ohne beantworten, wie eine solche Regierung entstehen, welche Parteien sie tragen und auf welche Strukturen sie sich stützen soll, abgesehen von dem Verweis auf die potentielle Macht einer vereinten Arbeiter:innenklasse.[5] Oder – wie im Fall Indonesiens – werden die Gründung von Räten und Komitees kurzerhand als ausreichende Basis für „a new kind of people’s power“ proklamiert, ohne zu erklären, wie aus solchen spontanen Strukturen dauerhafte revolutionäre Gegenmacht werden soll.[6]

Was in all diesen Texten fehlt, ist die zentrale Lehre der erfolgreichen Russischen Revolution ebenso wie der zahlreichen gescheiterten Revolutionen des 20. und 21. Jahrhunderts: die unumgängliche Notwendigkeit einer international organisierten revolutionären Partei. Räte, Komitees oder revolutionäre Übergangsregierungen entstehen in den meisten starken Massenbewegungen. Ob sie jedoch bestehen und siegreich sein können, hängt entscheidend davon ab, ob eine ausreichend verankerte, demokratisch-zentralistische, international organisierte Partei vorhanden ist, die in diesen Organen eine revolutionäre Rolle spielen kann. Trotzki und Lenin haben an zahlreichen Stellen klargestellt: Die revolutionäre Partei ist nur ein Faktor unter vielen, die über den Erfolg oder das Scheitern einer Revolution entscheiden – aber sie ist genau der Faktor, der in das Aufgabengebiet von selbsternannten Trotzkist:innen und Leninist:innen fällt.

Es versteht sich von selbst, dass diese Schwierigkeit nicht damit erledigt ist, im Stil des späten CWI die „Notwendigkeit der revolutionären Partei“ wie das Amen im Gebet an einen Artikel anzuhängen – es geht darum, aufzuzeigen, wie sie aus der aktuellen Situation und in den aktuellen Kämpfen aufgebaut werden kann. Welche organisatorischen Angebote gibt es in einer gegebenen Situation für Arbeiter:innen, Jugendliche und Unterdrückte? Worin bestehen die spezifischen Stärken und Schwächen dieser Organisationen? In welchen Fragen und Bereichen gibt es ein organisatorisches und programmatisches Vakuum? Wo gibt es Dynamiken und Potential, dieses Vakuum zu füllen? Welche konkreten organisatorischen Vorschläge können wir formulieren? Dass PRMI in seinen Analysen und Perspektiven diese Schlüsselfragen ausspart, ist kein Zufall: Die Unfähigkeit, eine eigene revolutionäre und demokratische Organisation aufzubauen, geht beim PRMI Hand in Hand mit der Unfähigkeit, deren Notwendigkeit in aktuellen Bewegungen und Kämpfen programmatisch und perspektivisch zu verankern.

Aufgabe eines „Projektes für eine revolutionär-marxistische Internationale“ wäre, Bewegungen und Kämpfen analytisch und organisatorisch weiterzuhelfen, indem das noch unentwickelte Bewusstsein über die Notwendigkeit revolutionärer politischer Organisierung geschärft wird – einer Organisierung, die die Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung bündelt und auf eine Verallgemeinerung im Kampf gegen den Kapitalismus orientiert. Stattdessen zieht sich das PRMI zunehmend darauf zurück, das bestehenden Bewusstsein in diesen Bewegungen zu reproduzieren. Statt den Bewegungen eine klare strategische Perspektive anzubieten, werden eklektisch Slogans, Parolen und Versatzstücke von Theorien, die in Bewegungen zirkulieren, in die eigene Arbeit hineinmontiert, ohne sie kritisch zu durchdringen. Dieses vorgeschobene „Ablegen des Sektierertums“ ist in Wahrheit nur die Kehrseite genau jener politischen Isolation, die das Sektierertum eigentlich kennzeichnet.

Wie Frantz Fanon in seiner Analyse der Rolle der Intellektuellen gerade in kolonialen Befreiungsbewegungen gezeigt hat, zeigt sich die Distanz der „revolutionären“ Intellektuellen zu den tatsächlichen Kämpfen oft gerade im verzweifelten Versuch, diese Distanz durch das bloße Wiederholen der Sprache der Bewegung zu überspringen. Doch, so Fanon, „wenn man ihnen zu sklavisch folgen will, entpuppt man sich oft als ein gewöhnlicher Opportunist, ja als ein Nachzügler.“[7]

Weil das PRMI den Bewegungen nichts Substanzielles anzubieten hat, das ihre Kämpfe strategisch voranbringen könnte, bleibt nur die Flucht nach vorn in eine sich ständig überschlagende Rhetorik. Nur ein Beispiel dafür ist die systematische Bezeichnung des Genozids in Gaza als „Holocaust“ oder „new Holocaust“ – und folgerichtig auch an der Gleichsetzung der deutschen Polizei mit der „Gestapo“, wenn diese gewaltsam gegen Gaza-Protestierende vorgeht.[8] Selbst wenn wir annehmen, dass es sich hier nicht um den Versuch handelt, durch effekthascherische Zuspitzung die eigene politische Orientierungslosigkeit zu übertünchen, bleibt die Frage: Welchen analytischen Mehrwert haben diese Gleichsetzungen für die Bewegung gegen den Genozid in Gaza? Die Frage hat nichts mit dem bürgerlichen Mythos von der „historischen Einzigartigkeit“ des Holocaust zu tun. Es geht vielmehr um die notwendige marxistische Analyse der sozialen, politischen und ökonomischen Grundlagen unterschiedlicher Genozide – als Voraussetzung, um daraus eine revolutionäre Strategie für den Kampf gegen sie abzuleiten.

Müssen wir hier wirklich erklären, dass der Holocaust ein völlig anders gelagerter Genozid war? Dass der Charakter des NS-Regimes ein anderer war als des heutigen israelischen? Der Holocaust entsprang einer kleinbürgerlichen faschistischen Massenbewegung, die vom deutschen Imperialismus im globalen Konkurrenzkampf instrumentalisiert wurde – nicht nur zur Ausschaltung imperialistischer Rivalen, sondern auch zur Zerschlagung der Sowjetunion und der revolutionären Arbeiterinnenbewegung im Inneren. Die Vernichtung der europäischen Jüd:innen war in diesem Kontext zwar von entscheidender Bedeutung, aber der Holocaust umfasste weit mehr: die Auslöschung allen „unwerten“ Lebens ebenso wie die vollständige Zerschlagung der politischen Opposition, insbesondere der sozialistischen und kommunistischen Strömungen – und zwar im Rahmen des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion als (wenn auch stalinistisch degenerierte) Systemalternative. Inwiefern gleicht diese historische Konstellation der Lage in Israel und Palästina? Dasselbe gilt für die Gleichsetzung der deutschen Polizei mit der Gestapo. Wenn man diesen Vergleich analytisch ernst nimmt, folgt daraus zwingend die Schlussfolgerung, dass Deutschland heute ein faschistischer Staat sei. Daraus müsste man wiederum ableiten, Untergrundnetzwerke aufzubauen, Fluchtrouten zu organisieren und den bewaffneten Kampf propagieren. Da das PRMI diese Konsequenzen jedoch nicht zieht, zeigen die Vergleiche nicht analytische Klarheit, sondern strategische Verwirrung.

Tatsächlich bewirken diese Formulierungen zweierlei:1. Sie tragen zur Verwirrung der Bewegung bei, indem sie historische und politische Konstellationen ununterscheidbar machen. 2. Sie verharmlosen im Vorbeigehen die Funktionsweise des bürgerlich-demokratischen Staates. Denn die tatsächlich skandalöse Wahrheit lautet: Der Kapitalismus braucht keinen Faschismus, um einen Genozid zu verüben oder massive Repression gegen Widerstand auszuüben. All das ist innerhalb der bürgerlichen „Demokratie“ möglich – wer das ignoriert, schürt Illusionen in ihre demokratischen Strukturen und in den bürgerlichen Staat selbst.

Weil das PRMI weder eine eigene Programmatik noch eine strategische Perspektive entwickelt, ersetzt es Analyse zunehmend durch rhetorische Effekte. Statt Bewegungen in ihrem Bewusstsein voranzubringen, indem es den Zusammenhang von Ausbeutung und Unterdrückung aufzeigt und diesen in eine Perspektive revolutionärer Organisierung übersetzt, macht sich das PRMI abhängig von den Stimmungen innerhalb der Bewegungen. Es übernimmt ihre Parolen und Begriffe unreflektiert, anstatt sie kritisch zu vermitteln und strategisch zu erweitern. Damit schwächt das PRMI genau jene Kämpfe, denen es hinterherläuft.

Opportunismus und Eklektizismus

Noch gravierender wird dieses Problem, wenn der Opportunismus und Eklektizismus des PRMI nicht nur seine Propaganda, sondern auch seine grundlegenden Analysen prägen. Ein besonders deutliches Beispiel liefert der mehr als ausführliche Artikel, der einen „marxist approach to the struggle for Palestinian liberation“ verspricht.[9] Dort baut das PRMI das ganze Dokument auf einem in Teilen der Gaza-Solidaritätsbewegung populären Konzept auf: dem Begriff des „Siedlerkolonialismus“. Israel wird als eine „peculiar form of settler-colonialism“ bezeichnet – eine Formulierung, die frappierend an die theoretische Ratlosigkeit des alten CWI gegenüber dem Charakter Chinas erinnert, welches man dann einfach „a peculiar form of state capitalism“ bezeichnete. Doch was der Begriff „Siedlerkolonialismus“ im Rahmen einer marxistischen Staats- und Wirtschaftstheorie konkret bedeuten soll, bleibt völlig unerklärt.

Die einflussreichste und bekannteste Verwendung dieses Begriffs stammt aus dem Buch „Settlers“ von J. Sakai. Dort wird argumentiert, dass das „Euro-Amerikanische Proletariat“ – also die Arbeiter:innenklassen der imperialistischen Zentren – aufgrund ihrer „Siedler-Natur“ inhärent konterrevolutionär seien und eine strategische Einheit mit dem Imperialismus bildeten. Sakai schreibt explizit:

„[Das] widerlegt die These, dass im Siedler-Amerika die „gemeinsamen Interessen der Arbeiterklasse“ die imperialistischen Widersprüche zwischen unterdrückenden und unterdrückten Nationen bei der Frage der taktischen Einheit in ökonomischen Kämpfen überlagern. Dasselbe gilt für die These, dass eine vermeintliche ideologische Einheit mit der euro-amerikanischen ‚Linken‘ diese imperialistischen Widersprüche ebenfalls überlagern würde und dass sie daher – trotz ihrer eingestandenen Schwächen – als Verbündete der Unterdrückten gegen den US-Imperialismus anzusehen seien. Könnte es nicht vielmehr umgekehrt sein? Dass die euro-amerikanischen Arbeiter:innen und revisionistischen Linken trotz ihrer taktischen Widersprüche mit der Bourgeoisie in strategischer Einheit mit dem US-Imperialismus stehen?“[10]

Sakais rhetorische Frage lässt keine Zweifel über ihre Antwort zu. Wenn dies die Grundlage des vom PRMI verwendeten Begriffs „Siedlerkolonialismus“ ist, dann hat dieses Konzept – trotz seiner marxistischen Phraseologie – nichts mit einem genuinen, internationalistischen Marxismus zu tun. Sollte PRMI jedoch eine andere Definition meinen, bleibt es diese vollständig schuldig.

Weder wird geklärt, was „Siedlerkolonialismus“ im Rahmen einer marxistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsanalyse eigentlich bedeutet, noch welche strategischen Konsequenzen sich daraus ergeben sollen. Die theoretischen und praktischen Implikationen werden nicht diskutiert: Wer genau sind die „Settlers“ – nur die Bewohner:innen der Siedlungen, das gesamte israelische Proletariat oder eine „settler class“, wie sie für das Apartheid-Südafrika festgemacht wird? Und wie wird diese Kategorie der „settler class“ analytisch von den klassischen marxistischen Klassen-Kategorien Proletariat und Bourgeoisie abgegrenzt?

Statt diese Fragen zu klären, verweist der Artikel lediglich in einer Fußnote auf „verschiedene Arten von Siedlerkolonialismus“, die angeblich der israelisch-britische Marxist Moshe Machover darstellen würde. Machovers war Mitbegründer der trotzkistischen Organisation Matzpen in Israel. Auch wenn wir sicher nicht in allem mit ihm übereinstimmen, ist seine Analyse in dem zitierten Text um ein Vielfaches differenzierter und lehrreicher als das, was PRMI anbietet. Machover zeigt präzise auf, wie die Übernahme des Siedlerkolonialismus-Schemas die palästinensische Befreiungsbewegung selbst in eine analytische und politische Sackgasse geführt hat:

„Bis 1969 betrachtete die palästinensische nationale Befreiungsbewegung Palästina für alle Zeiten als die Heimat einer einzigen nationalen Gruppe: der palästinensischen Araber – es war ein arabisches Land. Angesichts der Realität kamen sie jedoch zu der Schlussfolgerung, dass die zionistischen Siedler nicht vertrieben werden konnten. Sie waren gekommen, um zu bleiben. Also hielten sie es für naheliegend, eine Lösung vorzuschlagen, die diese miteinbezieht. Doch da sie in einer nationalistischen Denkweise gefangen waren, konnten sie die Vorstellung nicht akzeptieren, dass sich im besetzten Teil Palästinas, in Israel, eine nationale Formation herausgebildet hatte – eine Siedler-Nation. Das ist nichts Einzigartiges – es gibt auch andere Siedler-Nationen in der Welt –, doch hier handelte es sich um eine Siedler-Nation, die sich noch im Prozess der Kolonisierung befand, was es noch schwerer machte, dies zu akzeptieren.

So bezog sich die PLO auf diese spezielle Siedler-Nation als eine religiöse Gemeinschaft – daher das Wort „säkular“. Das zukünftige Palästina sollte arabisch im nationalen Charakter sein, aber säkular: Es sollte allen Beteiligten gleiche religiöse Rechte und Religionsfreiheit garantieren – Juden, Christen und Muslimen.

Paradoxerweise übernahm die PLO, indem sie die Siedler nicht als neue Nation, sondern lediglich als Teil des Judentums betrachtete, implizit den diametral entgegengesetzten Standpunkt des Zionismus, der die Israelis ebenfalls nur als Teil des Judentums ansieht, nicht als neue Nation. Allerdings besagt die zionistische Ideologie, dass alle Juden weltweit eine Nation darstellen. Wir dürfen nicht vergessen, dass dies 1969 war – auf dem Höhepunkt des Vietnamkriegs, und zweifellos war die PLO vom vietnamesischen Kampf gegen den Kolonialismus inspiriert, wenn auch unter ganz anderen Umständen. Doch die Inspiration und die Ideen, die sie aus Vietnam übernahmen, erwiesen sich als äußerst unheilvoll und führten in der Tat bald in die Katastrophe.“[11]

Die Differenz zu Moshe Machovers zitierter Analyse könnte größer kaum sein: Während Machover materialistisch zeigt, wie der unkritische Gebrauch des „Siedlerkolonialismus“-Schemas die palästinensische Befreiungsbewegung selbst in eine strategische Sackgasse mit katastrophalen Konsequenzen (schwarzer September 1970) geführt hat, wiederholt PRMI denselben Fehler – allerdings auf einer noch schwächeren theoretischen Grundlage. Statt eine materialistische Klassenanalyse des israelischen Staates und seiner sozialen Formationen vorzulegen, übernimmt PRMI unreflektiert Begriffe und Narrative, die es selbst nicht theoretisch fundiert. So bleibt der Eindruck zurück, dass das PRMI an dieser Stelle nicht von einer eigenen Analyse ausgeht, sondern auf Zuruf bestimmter aktivistischer Schichten ein Konzept übernimmt, dessen politische und theoretische Implikationen es selbst nicht durchdrungen hat. Die Folge ist eine doppelte Schwächung: 1. Die Bewegung gegen den Genozid in Gaza erhält keine klare Analyse, wie Imperialismus, nationale Unterdrückung und Klassenkämpfe zusammenhängen. 2. Gleichzeitig wird durch den unkritischen Begriffsimport zusätzliche Verwirrung in die Bewegung hineingetragen.

(Nationale) Unterdrückung und Klassenstandpunkt

Es ist offensichtlich, dass die Fehler des PRMI in den Fragen von nationaler Unterdrückung und Klassenanalyse eine Reaktion auf die entgegengesetzten Fehler des späten CWI darstellen. Es handelt sich dabei zweifellos um einen zentralen Problemkomplex für Marxist:innen in der aktuellen Periode intensivierter imperialistischer Konkurrenz und neokolonialer Ausbeutung: Wie können Kämpfe gegen nationale, neokoloniale und imperialistische Unterdrückung erfolgreich sein? Welche gesellschaftlichen Kräfte können diese Kämpfe auf der Seite der unterdrückten Nationen führen? Und welche Rolle spielen die Arbeiter:innenklassen in den Unterdrückernationen und imperialistischen Zentren?

In seiner fühen Phase hatte das CWI entscheidende Beiträge zu diesen Problemen geliefert. Während etwa in Irland die meisten linken Strömungen im Kampf gegen den britischen Imperialismus auf kleinbürgerlich-nationalistische und sektiererische Kräfte wie die IRA setzten, stellte das CWI die Einheit von katholischen und protestantischen Arbeiter*innen ins Zentrum. Diese Einheit wurde aber nicht einfach als gegeben vorausgesetzt: es war klar, dass sie erkämpft werden musste. Das bedeutete einen konsequenten politischen Kampf gegen den britischen Imperialismus und seine unionistischen Stellvertreter in Nordirland, aber auch einen konkreten Appell an die nordirisch-protestantischen Arbeiter*innen, mit „ihren“ britischen Herrschenden zu brechen. Gleichzeitig bedeutete es die Kritik des kleinbürgerlichen und ebenso pro-kapitalistischen irischen Nationalismus von IRA, Sinn Fein & Co sowie ihrer terroristischen Methoden. Nur auf dieser Basis sei ein gemeinsamer Kampf der gesamten Arbeiter*innenklasse für ihre gemeinsamen Interessen möglich: ein Leben in Frieden und Wohlstand, frei von nationaler Unterdrückung und kapitalistischer Ausbeutung, mit garantierter nationaler und religiöser Selbstbestimmung für alle.[12]

Wie wir jedoch schon an anderer Stelle am Beispiel des sozialistischen Feminismus dargestellt haben, gab es im CWI ebenso die Tendenz, um der „Einheit“ der Arbeiter:innenklasse willen Fragen spezifischer Unterdrückung hintanzustellen. Wir zitieren aus dem betreffenden Statement:

„Der Zugang zu Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung war davon geprägt, diese durch „soziale“ Forderungen in den „eigentlichen“ Klassenkampf zu überführen – worunter man ökonomische Kämpfe um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen etc. verstand. Das war einerseits nicht falsch: der Kampf um bessere Lebensbedingungen der gesamten Arbeiter:innenklasse kann rassistischer Propaganda den Boden entziehen. Doch andererseits führte diese Vorstellung von „Klasseneinheit“ durch die Konzentration auf das, was „alle Arbeiter:innen“ betrifft, dazu, von allem abzusehen, was nicht alle gemeinsam haben: z.B. Erfahrungen spezifischer Unterdrückung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung usw. Entsprechend wenig gelang es, sich in migrantischen Schichten zu verankern und Politik aus ihrer Perspektive zu formulieren. Adressat des antirassistischen Programms waren weniger Betroffene selbst, sondern „einheimische“ Arbeiter:innen, denen man erklärte, Rassismus sei Ablenkung von sozialen Problemen. Doch für Migrant:innen ist der Rassismus keine Ablenkungstaktik von ihren eigentlichen Problemen – sie sind das direkte Ziel dieser Taktik, er ist ihr unmittelbares Problem.

Es braucht ein marxistisches Programm aus der Perspektive der rassistisch unterdrückten Schichten der Klasse für den Kampf gegen die Unterdrückung, die sie selbst tagtäglich erleben. Von der Geschichte der revolutionären jüdischen Arbeiter:innenbewegung über antikoloniale Kämpfe, die US-Bürgerrechtsbewegung bis zu Gastarbeiter:innenstreiks in Deutschland und der Sans Papier-Bewegung in Frankreich gibt es dafür zahlreiche historische Lehren. Sie zeigen auch, dass gerade solche Kämpfe Solidarität in der „Mehrheits“-Arbeiter:innenklasse erzeugen und diese der rassistischen Propaganda entreißen können.

Klasseneinheit ist also nicht der „größte gemeinsame Nenner“, der übrig bleibt, sobald man alles andere wegstreicht, was die eigene Lebenserfahrung außerhalb des Lohnzettels ausmacht. Im Gegenteil: wirkliches Klassenbewusstsein und tatsächliche Einheit der Arbeiter:innenklasse besteht darin, alle Formen von Unterdrückung politisch zu bekämpfen und diesen Kampf auf den Sturz des Kapitalismus und seines Staates zu orientieren.“[13]

Das ist die zentrale Lehre aus Lenins Schrift Was tun?, die gewissermaßen die Geburtsstunde des Bolschewismus darstellt. Diese Lehre gilt es zu aktualisieren und die Einseitigkeit im bisherigen Verständnis zu überwinden. „Wahrhaftes Klassenbewusstsein“ ist für Lenin nicht nur, sich als „Klasse für sich“ zu verstehen und gegen die Bourgeoisie für konkrete Verbesserungen für die Klasse zu kämpfen – so wichtig dieser Aspekt selbstverständlich ist. Es ist vor allem ein „wahrhaft politisches“ Bewusstsein, das nicht nur die eigene unmittelbare Unterdrückung reflektiert, sondern ein allseitiges Bewusstsein über sämtliche Missstände, die der Kapitalismus auf allen Ebenen hervorbringt. So schreibt er:

„Das Bewußtsein der Arbeiterklasse kann kein wahrhaft politisches sein, wenn die Arbeiter nicht gelernt haben, auf alle und jegliche Fälle von Willkür und Unterdrückung, von Gewalt und Mißbrauch zu reagieren, welche Klassen diese Fälle auch betreffen mögen, und eben vom sozialdemokratischen und nicht von irgendeinem anderen Standpunkt aus zu reagieren. Das Bewußtsein der Arbeitermassen kann kein wahrhaftes Klassenbewußtsein sein, wenn die Arbeiter es nicht an konkreten und dazu unbedingt anbrennenden (aktuellen) politischen Tatsachen und Ereignissen lernen, jede andere Klasse der Gesellschaft in allen Erscheinungsformen des geistigen, moralischen und politischen Lebens dieser Klassen zu beobachten; wenn sie es nicht lernen, die materialistische Analyse und materialistische Beurteilung aller Seiten der Tätigkeit und des Lebens aller Klassen, Schichten und Gruppen der Bevölkerung in der Praxis anzuwenden. Wer die Aufmerksamkeit, die Beobachtungsgabe und das Bewußtsein der Arbeiterklasseausschließlich oder auch nur vorwiegend auf sie selber lenkt, der ist kein Sozialdemokrat, denn die Selbsterkenntnis der Arbeiterklasse ist untrennbar verbunden mit der absoluten Klarheit […] der durch die Erfahrung des politischen Lebens erarbeiteten Vorstellungen von den Wechselbeziehungen aller Klassen der modernen Gesellschaft.“[14]

Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass Lenin hier fordert, den Klassenstandpunkt aufzugeben, im Gegenteil. Der Klassenstandpunkt ist für Lenin nicht das Starren auf die eigenen Füße, sondern sozusagen die Perspektive, von der aus alle Vorgänge in der Gesellschaft beobachtet, studiert und analysiert werden sollen.[15] Die Vorstellung, dass man ein solcherart politisches Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse „aus ihrem ökonomischen Kampf sozusagen von innen heraus entwickeln könne, d. h. ausgehend allein (oder zumindest hauptsächlich) von diesem Kampf, basierend allein (oder zumindest hauptsächlich) auf diesem Kampf“ hält Lenin für den „Grundirrtum aller Ökonomisten“. Ein solches Bewusstsein kann den Arbeiter:innen, in einer oftmals missverstandenen Formulierung, „nur von außen gebracht werden“. Damit meint Lenin nicht, dass bürgerliche Intellektuelle den Arbeiter:innen die Welt erklären sollen. Er meint, wie er sofort anschließt: „das heißt aus einem Bereich außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern. Das Gebiet, aus dem allein dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen.“ Das von außen ist also nicht darauf bezogen, dass eine Elitetruppe von außerhalb der Klasse eingreift, sondern dass sich die Klasse außerhalb des ökonomischen Kampfes eine politische Organisation schaffen muss, die sie in die Lage versetzt, nicht nur den ökonomischen Stellungskrieg gegen die Bosse und die Polizei zu führen, sondern die gesellschaftliche Gesamtsituation zu analysieren und das ganze System ins Visier zu nehmen. Deswegen hält Lenin auch die „Predigt“ der Ökonomist:innen, „daß der ökonomische Kampf das weitest anwendbare Mittel zur Einbeziehung der Massen in die politische Bewegung sei“, für „überaus schädlich und ihrer praktischen Bedeutung nach so überaus reaktionär.“[16]

So manchen heutigen „Marxist:innen“ bereiten diese Aussagen Lenins großes Unbehagen. Sie schummeln sich verlegen daran vorbei, indem sie behaupten, Lenin hätte in Was tun? in die eine Richtung übertrieben, um die Schwäche aus der anderen Richtung auszubalancieren (so wurde die Schrift im CWI behandelt), oder sie schweigen sich komplett darüber aus – immer aus der Angst vor dem Vorwurf, man würde auf diese Weise das Klassenbewusstsein mit „kleinbürgerlichen“ Themen verunreinigen oder vor dem „Liberalismus“ oder gar der „Postmoderne“ einknicken. Solchen „Marxist:innen“ richtet Lenin unmissverständlich aus:

„Wer in dieser Taktik eine Verdunkelung des Klassenbewußtseins des Proletariats und ein Kompromiß mit dem Liberalismus erblickt, […] zerrt damit die Sozialdemokratie zum „ökonomischen Kampf gegen die Unternehmer und gegen die Regierung" und kapituliert vor dem Liberalismus, denn er verzichtet darauf, sich aktiv in jede „liberale" Frage einzumischen und seine, die sozialdemokratische, Stellung zu dieser Frage zu bestimmen.“[17]

Die Bedeutung dieser Ausfürhungen für heutige Kämpfe gegen spezifische Unterdrückung (Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit usw.) im Zusammenhang mit dem allgemeinen Klassenkampf, der nach Lenin immer ein Kampf ums Ganze sein muss, kann kaum überschätzt werden. Lenin führt das auch explizit aus. Mit einem solchermaßen politischen Klassenbewusstsein

„wird auch der unentwickeltste Arbeiter verstehen oder fühlen, daß der Student und der Sektierer[18], der Bauer und der Schriftsteller von derselben finsteren Macht verhöhnt und mißhandelt werden, die ihn selber auf Schritt und Tritt unterdrückt, und sobald er das fühlt, wird er von dem Willen, unwiderstehlich von dem Willen beseelt werden, auch selbst zu reagieren, wird es dann verstehen, heute den Zensoren Katzenmusik zu machen, morgen vor dem Hause des Gouverneurs, der einen Bauernaufstand unterdrückt hat, zu demonstrieren, übermorgen den Gendarmen im Priesterrock, die die Arbeit der Heiligen Inquisition verrichten, eine Lektion zu erteilen usw.“[19]

Erst all diese Kämpfe zusammen ergeben den politischen Klassenkampf, durch den die Arbeiter:innenklasse die Herrschende Klasse und ihr System stürzen kann. Man kann hier nach Belieben heutige Kämpfe, z.B. gegen die Klimakrise, einfügen.

Insbesondere sind diese Gedanken jedoch mit dem Problemkomplex Imperialismus-Antiimperialismus verbunden. Denn je mechanischer der Zugang des späten CWI zu Fragen der „Klasseneinheit“ wurde, desto abstrakter wurde er auch in diesem Zusammenhang. Man lehnte zwar korrekterweise Zugänge ab, die wie z.B. Sakais Theorie des „Siedlerkolonialismus“, die Arbeiter:innenklassen in den imperialistischen Zentren ausdrücklich abgeschrieben hatten. Aber dem stellte man nur die „gemeinsamen Klasseninteressen“ der Arbeiter:innen in den Unterdrückernationen und den unterdrückten Nationen entgegen. Das musste notwendigerweise völlig abstrakt wirken, insbesondere für jene Schichten, die erleben müssen, wie ihre Unterdrückung von den in diesem Sinne privilegierteren Schichten der Klasse toleriert oder sogar unterstützt wird. Das ist das Ergebnis eines Verständnisses von „Klasseneinheit“, das sich nur auf die allgemeinsten ökonomischen Kategorien gründet – insbesondere in der Epoche imperialistischer Unterdrückung und Kriege.

Trotzki hat diese Problematik bereits 1914 in Der Krieg und die Internationale weit differenzierter analysiert. Angesichts der massenhaften Unterstützung der Arbeiter:innenklassen in den imperialistischen Ländern für den Ersten Weltkrieg beschreibt er „die Abhängigkeit der Klassenbewegung des Proletariats, insbesondere seiner ökonomischen Kämpfe, von Umfang und Erfolgen der imperialistischen Politik des Staates“[20]. Trotzki analysiert:

„In dem Maße, als der Kapitalismus vom nationalen Boden auf einen international-imperialistischen übertrat‚ geriet die nationale Produktion und mit ihr der ökonomische Kampf des Proletariats in unmittelbare Abhängigkeit von jenen Bedingungen des Weltmarktes, die mit Hilfe der Dreadnougths und Mörser gesichert werden. Mit anderen Worten: im Gegensatz zu den grundsätzlichen Interessen des Proletariats, in ihrem vollen historischen Umfang genommen, erwiesen sich die unmittelbaren beruflichen Interessen seiner einzelnen Schichten in direkter Abhängigkeit von den Erfolgen oder Misserfolgen der äußeren Politik der Regierung.“[21]

Trotzki erkennt also, dass in der imperialistischen Epoche die grundlegenden gemeinsamen Interessen des Weltproletariats keineswegs deckungsgleich mit den unmittelbaren Interessen bestimmter Schichten oder nationaler Arbeiter:innenklassen sind. Das bedeutet nicht, dass die Arbeiter:innenklassen in den imperialistischen Zentren eine „strategische Einheit mit dem Imperialismus“ haben, wie etwa Sakais Theorie des „Siedlerkolonialismus“ behauptet. Aber es bedeutet: Einen Klassenstandpunkt in anti-imperialistischen bzw. anti-kolonialen Kämpfen zu beziehen heißt nicht einfach nur, an die gemeinsamen „grundsätzlichen Interessen“ der Arbeiter:innenklassen in den imperialistischen Zentren und jener in den unterdrückten Ländern bzw. Gebieten zu appellieren. Denn dadurch wird ignoriert, dass sich die unmittelbaren Interessen verschiedener Schichten bzw. nationaler Arbeiter:innenklassen in diesen Konflikten sehr wohl widersprechen können – und entsprechende Appelle an die „gemeinsamen Interessen“ notwendigerweise hohl und abstrakt wirken müssen. Nur Reformist:innen und Ökonomist:innen können sich empören, wenn man wie Trotzki darauf hinweist, dass die Arbeiter:innenklassen der imperialistischen Zentren am Erfolg „ihres“ Imperialismus einzelne unmittelbare Interessen knüpfen. Tatsächlich besteht auch hier der Grundfehler in der oberflächlichen Vorstellung von Klasse als einer rein ökonomischen Kategorie und von Klassenkampf als Kampf um den Mehrwert aus der kapitalistischen Produktion. Denn dadurch wird der Kampf der Klasse an die Entwicklung der „eigenen“ Produktivkräfte gekoppelt. Trotzki zeichnet die Entwicklung dieses Missverständnisses und sein Schicksal in der imperialistischen Epoche nach:

„Solange der Kapitalismus auf nationaler Grundlage verblieb, konnte sich das Proletariat an der Mitwirkung der Demokratisierung der politischen Beziehungen und der Entwicklung der Produktivkräfte mittels seiner parlamentarischen, kommunalen und sonstigen Tätigkeit nicht entziehen […]. Soweit aber die kapitalistischen Staaten aus nationalen Gebilden zu imperialistischen Weltstaaten werden, kann das Proletariat diesem Imperialismus keine Opposition entgegensetzen auf Grund des sogenannten Minimalprogramms, das seiner Politik im Rahmen des Nationalstaates die Richtung gebeben hat. Auf der Grundlage eines Kampfes um Tarifverträge und Sozialgesetzgebung ist das Proletariat außerstande, die gleiche Energie gegen den Imperialismus zu entwickeln, wie es dies gegen den Feudalismus getan hat. Indem es auf den veränderten kapitalistischen Grundlagen seine alte Methode des Klassenkampfes – der ständigen Anpassung an die Bewegung des Marktes – anwendet, gerät es selbst, materiell und ideell, in Abhängigkeit vom Imperialismus.“[22]

Hier formuliert Trotzki eine zentrale Lehre für die Frage des Klassenkampfs in den imperialistischen Zentren: Solange er auf der Grundlage von ökonomischen Tagesforderungen geführt wird, kann die Abhängigkeit vom eigenen Imperialismus nicht gebrochen werden. Im schlimmsten Falle wird sie sogar verstärkt, wie Trotzki an der deutschen Sozialdemokratie und den Gewerkschaften 1914 zeigt. Denn diese knüpften – in ihrer ökonomistischen und reformistischen Logik nicht zu unrecht – unmittelbare Verbesserungen für die deutschen Arbeiter:innen an den militärischen Erfolg des deutschen Imperialismus im Krieg.

Es stimmt, dass im Ersten Weltkrieg – und in unterschiedlicher Form auch in späteren imperialistischen Kriegen – die Unterstützung des Proletariats für „seinen“ Imperialismus abnahm, je offensichtlicher der Raubzug der eigenen Herren scheiterte, von dem man sich ein paar Krümel erhofft hatte. Daran knüpfte sich die Taktik der Bolschewiki in den Kriegsjahren.[23] Keineswegs bedeutete dies aber automatisch die entsprechende Solidarität mit den vom eigenen Imperialismus Unterdrückten. Sogar in der russischen Februarrevolution gab es in der Arbeiter:innenklasse und der Bauernschaft noch die weit verbreitete Hoffnung, durch den Sturz des Zaren den Krieg effektiver fortführen zu können. Der russische Imperialismus wurde erst durch die Oktoberrevolution und die entscheidende Rolle der Bolschewiki gestürzt. Das war nur möglich, weil die Bolschewiki (unter dem Einfluss Trotzkis) die „Tagesforderungen“ Land, Brot und Frieden als die unmittelbaren Aufgaben der sozialen Revolution verstanden, die mit jedem Imperialismus bricht. In dem zitierten Text von 1914 weist Trotzki bereits darauf hin:

„Dem Imperialismus seine revolutionäre Kraft entgegenstellen, kann das Proletariat nur unter dem Banner des Sozialismus als einer unmittelbaren Aufgabe. Die Arbeiterklasse erweist sich umso machtloser gegen den Imperialismus, je länger ihre alten mächtigen Organisationen auf dem Boden der alten possibilistischen Taktik verbleiben; die Arbeiterklasse wird übermächtig gegen den Imperialismus, wenn sie den Kampfesweg der sozialen Revolution betritt.“[24]

Die Arbeiter:innenklassen in den imperialistischen Ländern – sei es Österreich, die USA oder Israel – sind also weder die strategischen Verbündeten ihres eigenen Imperialismus, noch sind sie die Heilsbringer der Unterdrückten in den neokolonialen Ländern, auf deren Wohlwollen diese Unterdrückten angewiesen sind. Ja, die Arbeiter:innen in den imperialistischen Zentren haben das grundsätzliche Interesse und die historische Verantwortung, dem eigenen Imperialismus ihre revolutionäre Kraft entgegenzustellen – doch die Geschichte der antikolonialen Kämpfe von Angola bis Vietnam zeigt auch, dass sie dies meist nur in dem Maße tun, wie ihr Imperialismus bereits von diesen Kämpfen geschwächt wurde. Undenkbar wäre der französische Mai 1968 ohne den zeitgleich andauernden Kampf des algerischen Volkes gegen die französische Kolonialmacht, sowie deren Niederlage in Vietnam nur wenige Jahre zuvor. Unmöglich wäre die portugiesische Nelkenrevolution 1974 ohne den antikolonialen Kampf in Angola. Ja, Kämpfe gegen imperialistische und neokoloniale Unterdrückung benötigen die Unterstützung der Arbeiter:innen in den imperialistischen Zentren – doch um ihre Kraft entfalten zu können, benötigt diese Unterstützung noch vielmehr das Beispiel und die lebendige Erfahrung des kompromisslosen Kampfes der national und kolonial Unterdrückten. Das Programm und auch die Taktik gegen nationale und neokoloniale Unterdrückung kann deswegen nicht vom gegenwärtigen Bewusstsein der Arbeiter:innenklassen in den Unterdrückerländern bzw. -nationen ausgehen. Beide müssen vom Standpunkt der Interessen der Unterdrückten aus formuliert werden.

In Bewegungen gegen imperialistische bzw. neokoloniale Unterdrückung einen wirklichen Klassenstandpunkt zu beziehen, muss für Marxist:innen also zweierlei bedeuten. Erstens: Im Kampf der Unterdrückten selbst die Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse von allen kleinbürgerlich-nationalistischen oder gar feudal-reaktionären Kräften zu verteidigen und im Sinne der Theorie der Permanenten Revolution ihren Führungsanspruch als einzig wirklich revolutionäre Kraft durchzusetzen – vor allem durch den Aufbau eigener revolutionärer Organisationen. Zweitens: In den imperialistischen Zentren das Programm für die Niederlage des „eigenen“ Imperialismus und für die Befreiung der von ihm Unterdrückten auf allen Ebenen in die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse zu tragen. Dies ist notwendigerweise ein Minderheitenprogramm, bis das Kräfteverhältnis durch die Stärke des Kampfes der Unterdrückten kippt. An einem solchen Punkt kann es aber zu einem zentralen Hebel der proletarischen Revolution in den imperialistischen Zentren werden – und damit die grundsätzlichen gemeinsamen Interessen der weltweiten Arbeiter:innenklassen konkret mit ihren unmittelbaren Tagesinteressen vermitteln.

Wir haben an dieser Stelle nur einige Aspekte des Zugangs zu Fragen von Klasseneinheit und nationaler Unterdrückung von Lenin und Trotzki skizziert und andiskutiert. Unserer Einschätzung nach sind die Tiefe und die Konsequenzen dieses Zugangs noch lange nicht ausreichend erfasst und aktualisiert worden. Im Gegenteil sehen wir vor allem auf der revolutionären Linken eher eine theoretische Verflachung, die sich sowohl in opportunistischer Beliebigkeit wie auch in sektiererischem Dogmatismus äußert.[25]

Ausblick: Vier Lehren und die Aufgabe von vorwärts

Die vorangegangenen Ausführungen haben versucht, aus konkreten Streitpunkten und Erfahrungen der letzten Jahre einige grundlegendere Analysen zu formulieren. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien darüber hinaus an dieser Stelle vier konkrete Lehren angeführt, die wir für unsere künftige politische Praxis mitnehmen:

  • Die erste Lehre betrifft das Verhältnis von Ausbeutung und Unterdrückung. Der Kapitalismus schafft keine homogene Arbeiter:innenklasse, sondern eine plural zusammengesetzte Klasse, die auf vielfältige Weise in die kapitalistische Produktionsweise eingebunden ist oder von ihr ausgeschlossen wird. Wenn wir die Arbeiter:innenklasse als das revolutionäre Subjekt ernst nehmen, dürfen wir Unterdrückungsverhältnisse nicht als „Nebenwidersprüche“ behandeln, sondern müssen sie ins Zentrum einer marxistischen Strategie stellen. Die Kämpfe gegen Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und koloniale Herrschaft sind keine Zusatzfelder, sondern bestimmen entscheidend die heutigen Bedingungen des Klassenkampfes.
    Der Strukturwandel des Kapitalismus zwingt uns, diese Analyse zu aktualisieren: In den entwickelten kapitalistischen Zentren haben die reproduktiven Systeme – Gesundheit, Bildung, Pflege, Sozialsysteme – enorme Bedeutung gewonnen. Hier liegt ein wachsender Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, und genau diese Bereiche sind geprägt von Schichten, die aufgrund tradierter Geschlechterrollen, globaler Arbeitsteilung und Migrationsprozessen überproportional weiblich und migrantisiert sind. Gleichzeitig hat sich die industrielle Produktion in großen Teilen in den globalen Süden verlagert, wo das Proletariat in einer doppelten Unterdrückung lebt: ausgebeutet durch lokale Kapitalist:innen und gleichzeitig unterdrückt durch imperialistische und neokoloniale Strukturen.
    Eine marxistische Strategie, die diesen Realitäten nicht Rechnung trägt, kann weder die Kämpfe der Gegenwart noch die Aufgaben einer revolutionären Organisation erfassen. Ausbeutung und Unterdrückung können nur gemeinsam bekämpft werden – oder überhaupt nicht.
  • Daraus folgt unmittelbar eine zweite Lehre: sozialistischer Feminismus und Safeguarding müssen zentrale Prinzipien des Organisationsaufbaus sein. Wenn wir ernst nehmen, dass die Zukunft des Klassenkampfs in entscheidendem Maß in den Händen jener Schichten liegt, die in den reproduktiven Bereichen des Kapitalismus, in prekären Arbeitsverhältnissen und in Bewegungen gegen verschiedene Formen spezifischer Unterdrückung kämpfen, dann müssen diese Schichten sich heute in unserer Organisation so frei, sicher und handlungsfähig wie möglich fühlen können. Safeguarding ist dabei keine „Nebenaufgabe“ oder eine Frage individueller Sensibilität, sondern eine politische Notwendigkeit: Nur wenn wir Strukturen schaffen, die sexuellen Übergriffe, diskriminierendem Verhalten und Machtmissbrauch so weit wie möglich vorbeugen bzw. einen konsequenten und betroffenenzentrierten Umgang damit schaffen, können wir jene Menschen organisieren und halten, die für unsere Perspektive einer revolutionären Internationale unverzichtbar sind. Sozialistischer Feminismus darf sich daher nicht auf abstrakte Proklamationen beschränken oder als Vorwand für bürokratische Manöver missbraucht werden, sondern muss sich in der gelebten Organisationskultur ausdrücken. Die Fehler, die CWI, ISA und auch wir selbst in der Vergangenheit im Umgang mit Vorfällen gemacht haben, dürfen sich nicht wiederholen.
  • Die dritte Lehre betrifft die Aktualität der „doppelten Aufgabe“ – ein Konzept, das vom CWI in den 1990er Jahren entwickelt wurde. Es reicht nicht aus, kleine revolutionäre Organisationen oder „reine Propagandagruppen“ aufzubauen, die im besten Fall politische Kommentare liefern, im schlimmsten Fall aber in Isolation verharren. Die entscheidende Frage ist, wie wir dazu beitragen können, die Arbeiter:innenbewegung als Ganze zu reorganisieren – und vor allem ihre politischen Ausdrucksformen, die auf globaler Ebene viel vielfältiger, fluider und situationsangepasster sein werden müssen als das schlichte Modell „neuen Arbeiter:innenpartei“. Revolutionäre Organisationen müssen nützlich sein: Sie müssen zeigen, dass sie konkrete Kämpfe voranbringen können, dass sie Strukturen aufbauen, die die Beteiligten selbst ermächtigen. Projekte wie „Sozial, aber nicht blöd!“ zeigen im Kleinen, wie eine revolutionäre Organisation verankert werden kann, wenn sie praxisorientierte Strukturen schafft, die zugleich Kämpfe organisieren und Bewusstsein entwickeln. Ohne diese Verankerung bleiben selbst zahlenmäßig große Organisationen politische Propagandagruppen – unfähig, die Dynamik von Kämpfen wirklich zu beeinflussen.
  • Die vierte Lehre betrifft das Verhältnis von Demokratie, Zentralismus und Parteiaufbau. Es kann nicht sein, dass eine marxistische Organisation sich mit Prinzipien wie „völlige Freiheit der Debatte“ und „jederzeitige Abwählbarkeit von Führungspersonen“ schmückt – und diese Prinzipien dann jedesmal, sobald sie auch nur auf den harmlosesten Prüfstand geraten, über Bord geworfen werden. Echte politische Einheit kann nicht durch Loyalitäten oder administrative Maßnahmen erzwungen werden, sondern nur durch lebendige, offene Debatten, in denen Minderheitenrechte garantiert sind und strategische Konflikte wirklich ausgetragen werden. Erst eine solche innere Demokratie ermöglicht die Entstehung einer tatsächlichen politischen Einheit – und nur auf dieser Grundlage kann ein effektiver internationaler Zentralismus aufgebaut werden. Umgekehrt gilt: Nur ein solcher demokratisch verankerter Zentralismus kann die internationale Debatte und gemeinsame Handlungsfähigkeit sichern, die in einer globalisierten kapitalistischen Welt notwendig sind. Die Geschichte von CWI, ISA und PRMI zeigt, dass Organisationen, die diese Verbindung nicht schaffen, zwangsläufig zwei falsche Tendenzen hervorbringen: bürokratisch-zentralistische Erstarrung und föderalistische Fragmentierung.
    Diese Gefahren hängen auch unmittelbar mit der Frage von Parteikultur und Parteiaufbau zusammen. Es stimmt zwar, wenn Trotzki betont, dass es keine Revolutionär:innen ohne Opferbereitschaft geben kann – doch diese Opferbereitschaft kann nur aus eigener Überzeugung und Vertrauen in die Organisation und ihre Politik entstehen. Sie kann nicht verlangt oder verordnet werden. „Activist Burnout“ ist ein reales Problem, besonders für revolutionäre Organisationen, die unter nicht-revolutionären Umständen arbeiten. Es ist das Produkt von einer letztlich unpolitischen Herangehensweise an Praxis und Perspektiven: Aus Mangel an überzeugenden politischen Perspektiven und einer entsprechenden Einteilung der Ressourcen und Planung entlang dieser Perspektiven entsteht ein Hyperaktivismus, der sich einbildet, überall gleichzeitig sein zu müssen – weil ja überall etwas passieren könnte.
    In der Folge ist man dazu verdammt, immer nur zu reagieren, anstatt eigene politisch-praktische Akzente zu setzen. Mit politischer Flexibiliät hat dieser Hyperaktivismus nichts zu tun, im Gegenteil entsteht er aus der Unfähigkeit, Perspektiven anzupassen. Es ist nur logisch, dass ganze Generationen von Aktivist:innen in diesem Hyperaktivismus ausbrennen: Man macht mit, solange man kann, „interveniert“ hier und dort, ohne das Gefühl zu haben, dass die eigene Arbeit, der eigene Zeitaufwand, die eigene Opferbereitschaft einem klar definierten politischen (Teil)Ziel im Rahmen einer bestimmten Perspektive zugute kommt. Bei Aktivitäten wie dem Zeitungsverkauf ersetzt das Pflichtgefühl gegenüber der Organisation die politische Überzeugung auf der individuellen Ebene, auf der organisatorischen Ebene wird das Mittel (der Verkauf von Material) zum Zweck und Indikator für den Erfolg einer Aktivität. Mit einer solchen Praxis ist der Aufbau einer gesunden revolutionären Organisation unmöglich.
    Opferbereitschaft kann nicht Selbstaufgabe bedeuten. Bolschewismus, wie wir ihn verstehen, ist Bolschewismus ohne Burnout. Nicht, weil wir von unseren Mitgliedern einfach generell „weniger“ verlangen wollen, sondern weil wir wissen, wie unfruchtbar es ist, Mitglieder zu bestimmten Aktivitäten zu überreden, von denen sie nicht überzeugt sind. Nicht, weil wir die Notwendigkeit professioneller Revolutionär:innen leugnen, sondern weil wir wissen, dass ein Studierender ohne Betreuungspflichten andere Zeitressourcen zur Verfügung hat als eine berufstätige alleinerziehende Mutter – und beide auf ihre Weise und ihren Möglichkeiten entsprechend an der Parteiarbeit teilnehmen können müssen.

All diese Lehren bilden zusammen den Ausgangspunkt unserer eigenen Arbeit. Wir wollen eine Organisation aufbauen, die Theorie, Strategie und Praxis wieder miteinander verschaltet: die die Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung als Einheit begreift, ihre Nützlichkeit in realen Auseinandersetzungen beweist und eine internationale Struktur entwickelt, die demokratische Debatte und koordinierte Aktion verbindet. Das bedeutet auch, uns die Zeit und den Raum für ernsthafte Perspektivenarbeit zu nehmen – nicht in Form einer Sammlung von tagespolitischen Kommentaren oder vagen Prognosen getarnt als „Perspektivendokument“, sondern als grundsätzliche Klärung der Bedingungen, Möglichkeiten und Strategien einer revolutionären Umwälzung im 21. Jahrhundert.

Wir stehen damit vor einer Aufgabe, die an historische Momente wie die Entstehung des CWI in den 1970er Jahren erinnert, als es ebenfalls keine Strömung gab, die glaubwürdig von sich behaupten konnte, den revolutionären Marxismus international zu repräsentieren. Texte wie Trotzkis Übergangsprogramm von 1938 oder Ted Grants Programm der Internationale von 1970 zeigen, wie in solchen Situationen Orientierung geschaffen werden kann: durch geduldige Analyse, das Ziehen von Lehren aus der Geschichte und die Formulierung von Perspektiven, die über den Tag hinausweisen.

Diesen Anspruch greifen wir auf – nicht, um die Vergangenheit zu kopieren, sondern um von ihr auszugehen und sie zu überwinden. vorwärts will dabei nicht nur eine weitere Gruppe unter vielen sein, sondern ein Projekt, das darauf abzielt, die politische und organisatorische Grundlage für eine neue revolutionäre Internationale neu zu erarbeiten. Das bedeutet, dass wir Fehler anerkennen, Strukturen aufbauen, die Diskussion ermöglichen, und gemeinsam mit anderen Strömungen und Aktivist:innen daran arbeiten, die fatale programmatische und organisatorische Leere zu füllen, die auf der revolutionären Linken derzeit herrscht.

 


[1] Vgl. unsere Stellungnahme: https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393

[2] Vgl. unsere Stellungnahmen: https://www.slp.at/artikel/schwere-fehler-unserer-organisation-im-bereich-des-safeguardings-bez%C3%BCglich; https://www.slp.at/artikel/lernen-im-vorw%C3%A4rtsgehen-11392; https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393  

[3]  https://www.slp.at/artikel/lernen-im-vorw%C3%A4rtsgehen-11392

[4]  https://www.slp.at/artikel/lernen-im-vorw%C3%A4rtsgehen-11392

[5] https://revolutionarymarxism.com/nepals-gen-z-rise-up/

[6] https://revolutionarymarxism.com/indonesia-explodes-in-revolt/

[7] Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S.190.

[8] https://revolutionarymarxism.com/strike-against-gaza-holocaust-shut-down-the-system-of-genocide/; https://revolutionarymarxism.com/its-a-new-holocaust-stop-the-genocide-in-gaza/; https://revolutionarymarxism.com/sumud-flotilla-sets-out-as-arab-rulers-bury-heads-in-the-sand/

[9] https://revolutionarymarxism.com/marxist-approach-to-the-struggle-for-palestinian-liberation/#elementor-toc__heading-anchor-1

[10] Unsere Übersetzung. Original: „[It] disproves the thesis that in settler Amerika "common working class interests" override the imperialist contradictions of oppressor and oppressed nations when it comes to tactical unity around economic issues. The same applies to the thesis that supposed ideological unity with the Euro-Amerikan "Left" also overrides imperialist contradictions, and hence, even with their admitted shortcomings, they are supposed allies of the oppressed against U.S. Imperialism. Could it be the other way around? That despite their tactical contradictions with the bourgeoisie, that Euro-Amerikan workers and revisionistic radicals have strategic unity with U.S. Imperialism?“ - J. Sakai: Settlers. The Mythology of the White Proletariat. Chicago: Morning Star Press 1989, S.164.

[11] Unsere Übersetzung. Original: „Until 1969, the Palestinian nationalist movement regarded Palestine as forever the homeland of one national group: the Palestinian Arabs - it was an Arab country. However, they came to the conclusion, in view of the actual reality, that the Zionist settlers could not be dislodged. They are there to stay. So they reasonably thought that they should propose a solution that would incorporate them. But, being stuck in a nationalist mindset, they could not accept the idea that what had crystallised in the occupied part of Palestine, in Israel, was a national formation, a settler nation. This is not unique - there are other settler nations in the world - but this was a settler nation still in the process of colonisation, which made it even harder to accept.

So the PLO related to this particular settler nation as a religious entity - hence the word, “secular”. The future Palestine is going to be Arab in national character, but it is going to be secular: it is going to allow equal religious rights and freedom of religious worship to all concerned - Jews, Christians and Muslims.

Paradoxically, in relating to the settlers not as a new nation, but just as part of Jewry, they accepted implicitly the diametrically opposed stance of Zionism, which also regards the Israelis just as part of Jewry, not a new nation. Except that, according to Zionist ideology, all Jews around the world constitute a nation. However, this was 1969, remember - it was at the height of the Vietnam war and the PLO was no doubt inspired by the Vietnamese struggle against colonialism, although in very different circumstances. The inspiration and ideas they got from Vietnam were very unhelpful and in fact soon led to disaster.“ - Moshe Machover: Two Impossibilities, https://weeklyworker.co.uk/worker/1395/two-impossibilities/

[12] Siehe dazu Troubled Times (1995) von Peter Hadden, https://www.marxists.org/history/etol/writers/hadden/1995/natq/index.html

[13] https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393

[14] W.I. Lenin: Was tun?, in: LW 5, S.426

[15] Zum Folgenden vgl. W.I. Lenin: Was tun?, in: LW 5, S.435-436

[16] W.I. Lenin: Was tun?, in: LW 5, S.426

[17] W.I. Lenin: Was tun?, in: LW 5, S.451

[18] Lenin meint hier nicht politische „Sektierer“, wie wir den Begriff heute benutzen, sondern Angehörige religiöser Minderheiten!

[19] W.I. Lenin: Was tun?, in: LW 5, S.427

[20] Leo Trotzki: Der Krieg und die Internationale, in: Ders.: Europa im Krieg. Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1988, S.377-455, hier: S.445.

[21] Leo Trotzki: Der Krieg und die Internationale, in: Ders.: Europa im Krieg. Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1988, S.377-455, hier: S.446.

[22] Leo Trotzki: Der Krieg und die Internationale, in: Ders.: Europa im Krieg. Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1988, S.377-455, hier: S.447-448.

[23] Vgl. unsere Publikation: Roman Rosdolsky: Imperialist war and the question of peace. The Bolshevik Peace Politics of the Bolsheviks before the November 1917 Revolution (2024)

[24] Leo Trotzki: Der Krieg und die Internationale, in: Ders.: Europa im Krieg. Essen: Arbeiterpresse Verlag, 1988, S.377-455, hier: S.448.

[25] Zur Dialektik von Sektierertum und Opportunismus siehe unser Statement: https://www.slp.at/artikel/aus-isaslp-wird-vorw%C3%A4rts-11393

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Aus ISA/SLP wird: "vorwärts"!

1981 gründeten junge Sozialist:innen in der Sozialistischen Jugend die Strömung „Vorwärts“, die ab 1983 mit der gleichnamigen Zeitung zu einer wichtigen Kraft auf der österreichischen Linken wurde. Heute, in einer radikal veränderten Welt, wollen wir diesen Namen wieder aufgreifen. Indem wir uns erneut vorwärts nennen, wollen wir zu unseren Wurzeln zurück, aber auch über sie hinaus. Dazu ist es nötig, in die Vergangenheit zu blicken. Die folgende – verkürzte – Darstellung soll zeigen, woher wir kommen, was wir beibehalten wollen, was wir ablegen müssen und was es wiederzuentdecken gilt.

Wurzeln: CWI und Militant
Angestoßen wurde die Gründung von „Vorwärts“ 1981 von internationalen Aktivist:innen des erst sieben Jahre zuvor gegründeten Committee for a Workers International (CWI). Das CWI war damals eine dynamische Kraft, welche die stalinistische Orthodoxie der „kommunistischen“ Parteien genauso herausforderte wie die reformistische Bürokratie der sozialdemokratischen Parteien. Die Gründungsphase war geprägt von intensiver Beschäftigung mit theoretischen Debatten und ökonomischen Analysen. Das CWI wollte keine isolierte Sekte sein, sondern dort wirken, wo die Arbeiter:innenklasse organisiert war: vor allem Gewerkschaften und Massenparteien. Das bedeutete auch, diese Strukturen mitaufzubauen und etwa durch Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften Vertrauen zu gewinnen, indem man sich als beste Kämpfer:innen auch in tagtäglichen Auseinandersetzungen um Verbesserungen bewies. Das war eine Stärke, die auch die Rolle des britischen CWI-Flaggschiffs Militant ermöglichte: vom britischen Bergarbeiter:innenstreik, über den Kampf des Liverpooler Stadtrats gegen Thatcher bis zur Massenbewegung gegen die Poll Tax, welche Thatcher zu Fall brachte.
Der Sieg des Neoliberalismus und der Kollaps des Stalinismus führten jedoch zu einem Niedergang der Arbeiter:innenbewegung und einer beschleunigten Verbürgerlichung der ehemaligen Arbeiter:innenparteien. Korrekterweise analysierte das CWI Anfang der 1990er Jahre, dass es nun nicht mehr nur darum ging, eine neue revolutionäre Organisation aufzubauen, sondern die Arbeiter:innenbewegung grundlegend wiederaufzubauen: das nannte man die „doppelte Aufgabe“. Einerseits bedeutete dies, die Arbeit in den sozialdemokratischen Parteien zu beenden und sich außerhalb davon neuzugründen. So wurde aus der „Vorwärts“-Strömung die „Sozialistische Offensive Vorwärts“ und später – mitten in der Widerstandsbewegung gegen die erste Blau-Schwarze Regierung, in der wir eine zentrale Rolle spielten – die SLP. Andererseits bedeutete es, „neue Arbeiter:innenparteien“ mitaufzubauen, welche als Austragungsort von Richtungskämpfen funktionieren können, in denen eine revolutionäre Organisation überhaupt erst Massencharakter annehmen könnte. Deswegen verfolgte das CWI seit den 1990ern das Projekt, sich am Aufbau neuer linker Formationen zu beteiligen.
In den 2000ern wurde – auch im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 und ihrer bis heute andauernden Folgen – jedoch ersichtlich, dass sich die Frage des (Wieder-)Aufbaus politischer Formationen der Arbeiter:innenklasse um einiges komplizierter und vielschichtiger gestaltet, als das CWI die Formel der „neuen Arbeiter:innenpartei“ verstand. Die Reorganisierung der Arbeiter:innenklasse wird viel instabilere und explosivere Formen annehmen, als bisher angenommen. Sie wird sich auf verschiedenen organisatorischen und politischen Ebenen abspielen und dabei ungleiche und kombinierte Dynamiken hervorbringen: feministische Massenbewegungen, wie wir sie in den letzten Jahren etwa in Südamerika rund um den Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gesehen haben; Wiederbelebungen und Neugründungen von gewerkschaftlichen Strukturen, wie es in den USA zu beobachten ist; studentische Untergrundzirkel, die sich mit Fabrikarbeiter:innen solidarisieren wie in China; spontane Verteidigungskomittees gegen Militär und Polizei in Massenrevolten wie im Sudan; Widerstand von lokalen bzw. indigenen Bevölkerungen gegen zerstörerische Infrastrukturprojekte und Raubbau; Selbstorganisierung von migrantisierten Menschen gegen rassistische Polizeigewalt; betriebliche Basisinitiativen von Beschäftigten im Gesundheitswesen usw. – es geht darum, alle diese Formen unter dem Blickwinkel der „doppelten Aufgabe“ als Aspekte dieses widersprüchlichen Reorganisierungsprozesses zu analysieren und durch aktive Teilnahme und Aufbau zu politisieren – das heißt, vorzuschlagen, wie die Kämpfe gewonnen werden können und Strukturen aufzubauen, die über ihre unmittelbaren Anlässe hinausgehen und das System ins Visier nehmen.

Stärken und Schwächen
In der frühen Phase des CWI half seine Massenorientierung auch in der Frage von Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung, etwa in Irland: Man stellte sich konsequent gegen den britischen Imperialismus und seine unionistischen Stellvertreter in Nordirland, aber auch gegen den kleinbürgerlichen irischen Nationalismus von IRA, Sinn Fein & Co sowie ihre terroristischen Methoden – und richtete stattdessen einen konkreten Appell an die nordirisch-protestantischen Arbeiter:innen, mit „ihren“ britischen Herrschenden zu brechen und gemeinsam mit der katholischen Arbeiter:innenklasse für ihre gemeinsamen Interessen zu kämpfen: ein Leben in Frieden und Wohlstand, mit garantierter nationaler und religiöser Selbstbestimmung für alle.
Gleichzeitig blieb eine differenzierte Position bei sozialistischem Feminismus und queerer Befreiung eher aus. Hier zog sich das CWI auf Allgemeinplätze zurück, Initiativen blieben meist einzelnen Sektionen oder gar einzelnen Genoss:innen überlassen. So gab es zwar in einzelnen Ländern wichtige sozialistisch-feministische Kampagnen – auch in Österreich, wo wir in den 1990er und 200er Jahren den Kampf gegen die radikalen Abtreibungsgegner:innen zentral mitorganisierten und konkrete Erfolge verzeichneten. Doch insgesamt gab es im CWI ebenso die Tendenz um der „Einheit“ der Arbeiter:innenklasse willen Fragen spezifischer Unterdrückung hintanzustellen. Der Zugang zu Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung war davon geprägt, diese durch „soziale“ Forderungen in den „eigentlichen“ Klassenkampf zu überführen – worunter man ökonomische Kämpfe um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen etc. verstand. Das war einerseits nicht falsch: der Kampf um bessere Lebensbedingungen der gesamten Arbeiter:innenklasse kann rassistischer Propaganda den Boden entziehen. Doch andererseits führte diese Vorstellung von „Klasseneinheit“ durch die Konzentration auf das, was „alle Arbeiter:innen“ betrifft, dazu, von allem abzusehen, was nicht alle gemeinsam haben: z.B. Erfahrungen spezifischer Unterdrückung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung usw. Entsprechend wenig gelang es, sich in migrantischen Schichten zu verankern und Politik aus ihrer Perspektive zu formulieren. Adressat des antirassistischen Programms waren weniger Betroffene selbst, sondern „einheimische“ Arbeiter:innen, denen man erklärte, Rassismus sei Ablenkung von sozialen Problemen. Doch für Migrant:innen ist der Rassismus keine Ablenkungstaktik von ihren eigentlichen Problemen – sie sind das direkte Ziel dieser Taktik, er ist ihr unmittelbares Problem. Es braucht ein marxistisches Programm aus der Perspektive der rassistisch unterdrückten Schichten der Klasse für den Kampf gegen die Unterdrückung, die sie selbst tagtäglich erleben. Von der Geschichte der revolutionären jüdischen Arbeiter:innenbewegung über antikoloniale Kämpfe, die US-Bürgerrechtsbewegung bis zu Gastarbeiter:innenstreiks in Deutschland und der Sans Papier-Bewegung in Frankreich gibt es dafür zahlreiche historische Lehren. Sie zeigen auch, dass gerade solche Kämpfe Solidarität in der „Mehrheits“-Arbeiter:innenklasse erzeugen und diese der rassistischen Propaganda entreißen können.
Klasseneinheit ist also nicht der „größte gemeinsame Nenner“, der übrig bleibt, sobald man alles andere wegstreicht, was die eigene Lebenserfahrung außerhalb des Lohnzettels ausmacht. Im Gegenteil: wirkliches Klassenbewusstsein und tatsächliche Einheit der Arbeiter:innenklasse besteht darin, alle Formen von Unterdrückung politisch zu bekämpfen und diesen Kampf auf den Sturz des Kapitalismus und seines Staates zu orientieren. Dieses Verständnis gilt es zu vertiefen. Im Bereich des sozialistischen Feminismus ist uns in dieser Hinsicht in den letzten Jahren bereits einiges gelungen, im Bereich des Antirassismus fehlt dies noch – trotz teils zentraler Rollen in Kampagnen gegen Abschiebungen in den frühen 2010er Jahren sowie in der Geflüchtetenbewegung 2013-2014.

Niedergang  des CWI & Gründung der ISA
Mit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 sah das CWI den Kapitalismus in eine „Periode von Revolution und Konterrevolution“ eintreten. Doch dieser Einschätzung folgten kaum tiefergehende Analysen – weder was die ökonomische Struktur der kapitalistischen Dauerkrise betrifft, noch in der Frage des Bewusstseins unter verschiedenen Schichten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend, insbesondere im Zusammenhang mit dem wiederholten Scheitern neuer Linksparteien, dem tragischen Schicksal von Massenrevolten wie im arabischen Frühling und Bewegungen gegen spezifische Unterdrückung wie Metoo und Black Lives Matter. Mangels einer eigenen gefestigten Programmatik und Perspektive begann man überall „Abgleitflächen“ und „fremde Ideen“ zu wittern. Aber es gab keine ernsthafte Auseinandersetzung mit Ideen und Konzepten, die in neuen sozialen Bewegungen aufkamen oder von Jugendlichen in ihrem Politisierungsprozess aufgenommen wurden. Je mehr es auf internationaler Ebene an politischer Führung mangelte, desto mehr waren die Sektionen in ihrer Arbeit notwendigerweise auf sich alleingestellt. So wuchs im CWI ein Föderalismus, den die Führung durch Einfordern von Loyalität einzudämmen suchte. Diese Dynamiken führten zur Krise des CWI 2017/18, aus welcher die International Socialist Alternative (ISA) hervorging. Die SLP schloss sich beinahe geschlossen der ISA an und benannte sich als österreichische Sektion in ISA um. Die neue Internationale wurde jedoch bald auf schwere Proben gestellt: kurz nach der Gründung stand man mit der Covid-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und dem Aufflammen von Black Lives Matter vor einer Reihe neuer Herausforderungen. Bald zeigte sich, dass die Schwächen des CWI auch in der ISA fortwirkten. Schon ihre Gründung war mehr durch die Ablehnung der alten CWI-Führung bedingt als durch eine gemeinsame politische Plattform. Gleichzeitig war das Hauptproblem weniger die Existenz verschiedener Positionen – sondern die Unfähigkeit oder der Unwillen, eine offene und demokratische Debatte innerhalb einer revolutionären Organisation zum Ziel programmatischer Klärung zu führen. So wurden einerseits politische Fragen verschleppt – andererseits kehrte die schlechte CWI-Tradition wieder zurück, Konflikte hinter verschlossenen Türen und entlang von Loyalitäten auszutragen.

Fragen des sozialistischen Feminismus
Das zeigte sich auch an der Frage von sozialistischem Feminismus. Unterschiedliche Perspektiven für die Entwicklung von Bewegungen gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit – bzw. der Bedeutung dieser Fragen in breiteren Bewegungen – wurden deutlich: die einen waren geprägt von Niederlagen wie in den USA im Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch sowie den Erfahrungen mit der Kooptierung von feministischem Vokabular durch bürgerliche Parteien wie die US-Demokraten. Ihre Perspektiven wurden dementsprechend pessimistisch. Währenddessen wiesen die anderen auf die Veränderung in der Zusammensetzung  der Arbeiter:innenklasse hin, wodurch Frauen und queeren Personen insbesondere in Schlüsselsektoren wie in Gesundheitssystemen eine besondere Bedeutung zukommt; aber auch auf die Bedeutung für verallgemeinerte politische Kämpfe, die feministische Themen haben können, wie es in der iranischen Frau-Leben-Freiheit-Revolte sichtbar wurde. Diese Seite entwickelte auch einen optimistischeren Zugang insbesondere zu jungen, sich politisierenden Schichten. Zu diesem Teil der ISA zählten vor allem die Sektionen, die in den Jahren zuvor bereits einerseits verstärkt auf neuere und kämpferische Schichten der Arbeiter:innenklasse insbesondere im Sozial- und Gesundheitsbereich orientiert hatten und andererseits Initiativen im Bereich sozialistischer Feminismus gesetzt hatten – nicht zuletzt auch Österreich.
2013 hatten wir rund um die Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Sozialbereich die Kampagne „Sozial, aber nicht blöd!“ (SANB) initiiert. In den folgenden Jahren entwickelte sich SANB zu einer wichtigen Plattform für kämpferische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die entscheidend dazu beitrug, dass das Streik-Tabu im Gesundheits- und Sozialbereich in Österreich gebrochen wurde. Auch über den ursprünglichen Organisierungsbereich hinaus wurde SANB zu einem Orientierungspunkt für betriebliche Aktivist:innen und kämpferische Gewerkschafter:innen in ganz Österreich. Seit einigen Jahren organisiert SANB auch überbetriebliche Kundgebungen zum 8. März, um die Organisierung für feministische Streiks nach vorne zu bringen. 2014 starteten wir unsere sozialistisch-feministische Kampagne „Nicht mit mir!“, die wir im Zuge des Erfolgs der irischen sozialistisch-feministischen Plattform ROSA ebenfalls in ROSA umbenannten. Schnell wurde ROSA zu einer wichtigen und teils führenden Kraft in der feministischen Bewegung in Österreich, nicht zuletzt durch: Offensive Mobilisierungen gegen Femizide sowie zum Tag gegen genderspezifische Gewalt, einen Schulstreik gegen Sexismus zum 8. März, die führende Rolle bei den explizit linken und anti-imperialistischen Solidaritätsprotesten mit der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung im Iran usw. Im Zuge der Fortschritte, die wir in Österreich im Bereich des sozialistischen Feminismus machten, wurden jedoch auch unsere bisherigen Schwächen immer offensichtlicher. Das betraf insbesondere Fragen von Safeguarding, also dem Umgang mit unterdrückerischen Verhaltensweisen in unserer eigenen Organisation. Während auf dem Papier zwar keine Form von sexistischem Verhalten etc. geduldet wurde, fehlte in der Praxis ein systematischer sozialistisch-feministischer Umgang mit konkreten Vorfällen und Vorwürfen – genauso wie ein Bewusstsein über die Notwendigkeit eines solchen Zugangs fehlte.

Sektierertum und Opportunismus
Die widersprüchliche Geschichte der österreichischen Organisation ist auch Teil der widersprüchlichen CWI/ISA-Tradition: jahrzehntelang hatte man Debatten und Theorieentwicklung außerhalb der eigenen vier Wände ignoriert – ohne selbst substantielle Theorien und Konzepte zu entwickeln, die der Komplexität von Bewusstseinsentwicklung im Spannungsfeld kapitalistischer Ausbeutung und spezifischer Unterdrückung im aktuellen Katastrophenkapitalismus Rechnung trugen. Entsprechend interpretierte der pessimistische Teil der ISA die Politisierung insbesondere von jüngeren Schichten rund um spezifische Unterdrückung als „Bedrohung“ durch „fremde Ideen“ – während der optimistische Teil in Konzepten, Autor:innen und Vokabular, die mehr oder weniger zufällig ihren Weg in Debatten und auf Demoschilder gefunden hatten, den Ausweg aus der vulgärmarxistischen Sackgasse sah. Es zeigte sich eine Dialektik von Sektierertum und Opportunismus: Wer sich sektiererisch zu linken Debatten und Theorieentwicklung verhält – vor allem in Fragen spezifischer Unterdrückung – passt sich notwendigerweise an zurückgebliebenes Bewusstsein in Schichten der Arbeiter:innenklasse an, die empfänglich für Hetze gegen alles „Woke“ sind. Das wurde greifbar in der Tendenz des späten CWI und des pessimistischen ISA-Teils, die eigene Propaganda (und letztlich Programmatik) nicht an die fortschrittlichsten Schichten der Arbeiter:innenklasse zu wenden, sondern sich an einem abstrakten Verständnis von „dem Arbeiter“, den man nicht „abschrecken“ dürfte zu orientieren, das selbst oft bürgerliche Vorurteile über die Arbeiter:innenklasse (als rassistische, sexistische „Proleten“) reproduziert – und das ist nichts anderes als opportunistisch. Die Zögerlichkeit, mit der CWI und ISA an den Kampf gegen den Genozid in Gaza herangehen, ist letztlich Ausdruck davon: etwa, indem aus falscher „Rücksicht“ auf die im Vergleich zu den palästinensischen Massen ungleich besser gestellte israelisch-jüdische Arbeiter:innenklasse darauf verzichtet wird, die Wahrheit des Genozids beim Namen zu nennen – was wir auch in Österreich zu spät getan haben.
Wer andererseits immer stärker dazu übergeht, aktuelle Bewegungen ideologisch zu spiegeln und Kämpfen nur ihre eigenen Parolen als Echo zurückwirft, um sich ihnen opportunistisch anzubiedern, verhält sich letztlich sektiererisch gegenüber jenen Schichten und Betroffenheiten, die diese Bewegungen aufgrund ihrer politischen Beschränktheit nicht berücksichtigen. Es war ein Beispiel für dieses Problem in der Gaza-Solidaritätsbewegung, die meist allgemein und unkritisch vom „Widerstand“ spricht, wenn in Wien syrische Geflüchtete bewusst Demos gegen den israelischen Angriff auf den Libanon fernblieben – und zwar, weil auf diesen Demos die Hisbollah implizit oder explizit als Widerstandskraft gegen Israel akzeptiert wird; die Hisbollah, die in Syrien eine zentrale Stütze des brutalen Assad-Regimes war. Deshalb ist es letztlich sektiererisch, die reaktionäre Rolle und Natur von etwa Hamas und Hisbollah nur in Nebensätzen zu erwähnen, anstatt die Kritik offensiv in die Bewegung zu tragen, um dadurch zum Aufbau einer wirklichen Befreiungskraft beizutragen.
Es ist vor dem Hintergrund der geschilderten Debatten und Schwächen kein Wunder, dass die internationale ISA durch den falschen Umgang der Führung der US-Sektion Socialist Alternative mit einem Safeguarding-Fall 2024 in eine schwere Krise geriet – ein falscher Umgang, der von der Mehrheit der ISA-Führung unterstützt und gedeckt wurde. Zurecht regte sich Widerstand, der auf die politische Dimension hinwies: der falsche Kurs und die falschen Perspektiven der mehrheitlich pessimistischen ISA-Führung gegenüber dem Bewusstsein fortgeschrittener Schichten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend sowie gegenüber Bewegungen und Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung – letztlich unterschied sich die Mehrheit der ISA-Führung darin kaum vom alten CWI. Mehrheitlich schloss sich die österreichische Organisation dieser Kritik an und unterstützte in der Folge die Gründung des „Project for a Revolutionary Marxist International“ (PRMI). Doch schon nach einem Jahr ist klar: das Projekt scheiterte. Von Anfang an schob man Programmentwicklung und demokratische Strukturen auf. Die sich indes mehr oder weniger informell herauskristallisiernde Führung gibt den politischen Optimismus und die Bewegungsorientierung, welche zunächst die Opposition im CWI und dann in der ISA ausgezeichnet hatten, immer mehr politischer Beliebigkeit preis – einer Beliebigkeit, der nun auch die positiven Errungenschaften dieser Tradition zum Opfer fallen. Jene Aktivist:innen in Österreich, die zu diesem Schluss gekommen sind, gründen nun vorwärts. Wir sind eine kleine Gruppe – doch wir sind davon überzeugt, dass es einen Weg gibt für revolutionäre Organisierung jenseits von pseudoproletarischem Vulgärmarxismus und kleinbürgerlicher Identitätspolitik, jenseits von sektenhaftem Korpsgeist und individualistischer Selbstzerfleischung: einen Weg „vorwärts“.

Vamos, Allez, Yalla, Vorwärts!
In den 1980er Jahren war der Begriff „Vorwärts“ noch eng mit der Tradition der österreichischen Arbeiter:innenbewegung verknüpft: das Gebäude in Wien, in dem lange Zeit die sozialdemokratische Parteiführung tagte und die „Arbeiterzeitung“ hergestellt wurde, nennt sich das „Vorwärts-Haus“. Als das „Vorwärts“ gegründet wurde, gab es immer noch den sozialdemokratischen „Vorwärts“-Verlag. In der Welt der Sozialdemokratie verstand man unter „Vorwärts“ jedoch eine Art automatische und lineare geschichtliche Bewegung, die vom Kapitalismus Schritt für Schritt zum Sozialismus führen würde. Diese Vorstellung ging einher mit dem Reformismus als politischem Programm.
Die Erfahrungen des 20. und 21. Jahrhunderts sprechen diesen naiven Vorstellungen Hohn. Die Russische Revolution 1917 ereignete sich gerade in einem halbfeudalen Land –theoretisch vorausgesehen nur von Leo Trotzki, dessen Theorie der permanenten Revolution jeder mechanischen Vorstellung von abzuspulenden „Etappen“ der ökonomischen oder politischen Entwicklung im Zeitalter des globalen Kapitalismus eine klare Absage erteilt. Der Sieg des Faschismus zeigte, wie reaktionär die kapitalistische Gesellschaft ihre inneren Widersprüche ausdrücken kann – nicht umsonst formulierte Walter Benjamin im Angesicht dessen das Marx’sche Wort von der Revolution als „Lokomotive der Geschichte“ um: die Revolution, so Benjamin, sei nun vielmehr der Griff zur Notbremse in einem Zug, der sich auf dem Kurs ins Verderben befinde. Angesichts der andauernden Klimakatastrophe und der immer offeneren reaktionären Bedrohung könnten diese Worte nicht eindringlicher wirken. „Vorwärts“ kann also nicht heißen: „gerade aus weiter“ – es muss einen radikalen gesellschaftlichen Richtungswechsel bedeuten.
Wenn wir uns heute also vorwärts nennen, so verstehen wir das gewissermaßen konträr zu der Bedeutung, die der Begriff im Reformismus der Vergangenheit hatte. Wir verstehen „vorwärts“ als Aufforderung – ähnlich den jenen Parolen, die auf der ganzen Welt immer wieder auftauchen, wo sich Massen in Bewegung setzen und ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen: Vamos! Allez! Yalla! Vorwärts!

Lernen im Vorwärtsgehen

Am 11. März 2025 veröffentlichte die ISA Österreich ein Statement, in dem wir über unseren falschen Umgang mit Safeguarding in der Vergangenheit Rechenschaft ablegten. Anlass war ein Fall sexueller Gewalt, begangen 2014 von einer erst später zu unserer Organisation gestoßenen und mittlerweile ausgeschlossenen Person. 2019 wurde der Fall der damaligen Führung bekannt und von ihr falsch und fahrlässig behandelt - dank der betroffenen Person wurden diese schweren Fehler Anfang 2025 wieder zum Thema (siehe unser Statement vom März 2025). Wir beschlossen daraufhin, unsere Aktivitäten vorerst einzustellen und uns den Fehlern unserer Organisation in der Vergangenheit zu widmen, in Zusammenarbeit mit der Führung des Projekts für eine revolutionäre marxistische Internationale (PRMI). Wir möchten uns noch einmal bei der betroffenen Person entschuldigen - und hoffen deshalb, dass unsere bisherige und fortlaufende Arbeit zur Aufarbeitung und zu einem Heilungsprozess beitragen.

In den darauffolgenden Wochen arbeitete eine internationale Untersuchungskommission des PRMI an der Aufklärung der Fehler. Zahlreiche Mitglieder, die damals eine sehr aktive und/oder führende Rolle spielten, wurden teils mehrfach befragt, um die Ereignisse zu rekonstruieren und teils auch um ihre heutigen Einstellungen zu ihren damaligen Fehlern in Erfahrung zu bringen. In den Gesprächen insbesondere mit den zwei noch aktiven Mitgliedern, die damals in der Bundesleitung waren, bestand weitgehende Einigkeit über den Ablauf der Geschehnisse und die kollektiven und individuellen Versäumnisse.

Gleichzeitig drehte sich die Welt jedoch weiter: vom Genozid in Gaza über die Agenda der neuen Regierung bis zu Schikanen am Arbeitsplatz waren unsere Mitglieder täglich mit politischen Fragestellungen und Aufgaben konfrontiert, sei es im persönlichen Umfeld, im Betrieb oder in der Schule. Viele von uns blieben individuell aktiv und beteiligten sich z.B. am Widerstand gegen Verschlechterungen im Sozialbereich und tun dies aktuell weiter. Es war klar, dass Einzelwiderstand nicht reicht: es braucht kollektive Organisierung mit sozialistischem Programm und Perspektive, und diese kann nur im aktiven Austausch mit unserer Umwelt bestehen – und zwar jeweils auf dem Level, welches der organisatorische Zustand und die politische Klarheit an einem bestimmten Punkt zulassen. Wichtig war für uns auch, dass zahlreiche Menschen auf sehr unterschiedliche Weise signalisiert haben, dass wir weitermachen sollen. Die sinngemäße Aussage: „Hört nicht auf – ihr werdet gebraucht“ haben wir nicht nur einmal gehört. Wir bedanken uns bei Freund:innen, Arbeitskolleg:innen, linken Aktivist:innen usw. dafür, dass sie uns Mut gemacht haben.

Auf Initiative einiger Aktivist:innen beschloss deswegen eine Mitgliederversammlung im Mai, die organisatorische und politische Aktivität aufzunehmen; und zwar in dem Rahmen, welchen die Diskussion und die Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit sowie die Lehren daraus zulassen – aber eben auch erfordern. Denn auf der anderen Seite führte die zunehmende Abschottung ohne jegliche organisatorische und politische Perspektive nur dazu, dass sich Mitglieder und Umfeld weiter zurückzogen – eine Situation, die den angestrebten und notwendigen Reflexionsprozess nicht unterstützte. In diesem Zusammenhang traten aber auch schwerwiegende Differenzen mit der PRMI-Führung auf. Denn obwohl über den inhaltlichen Teil des Abschlussberichts der Untersuchungskommission weitgehende Einigkeit herrschte, war der von ihr vorgeschlagene Umgang damit fast ausschließlich bürokratischer Natur: Ausschluss (bzw. Ausschluss auf Umwegen) der verbliebenen Ex-Leitungsmitglieder und Auflösung der Organisation – letzteren „Vorschlag“ unterbreitete die PRMI-Führung den österreichischen Mitgliedern nur wenige Stunden vor der Mitgliederversammlung. Eine Mehrheit stellte sich gegen dieses letztlich oberflächliche Vorgehen und betonte den notwendigen Zusammenhang von organisatorischer Aktivität und kollektiver sowie individueller Reflexion. Konkret bedeutet dies zum aktuellen Zeitpunkt klarerweise, dass wir noch viel Zeit und Energie für diese Aufarbeitung einplanen, und damit nicht im vollen Umfang nach außen aktiv sein werden.

Fragen, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen, sind: welche Strukturen und Zustände unserer Organisation haben diese Fehler begünstigt? Welche Strukturen braucht es, um solche Fehler in Zukunft möglichst zu vermeiden? Welche Möglichkeiten haben wir, Betroffene, so dies gewollt wird, zu unterstützen? Mit welchen Maßnahmen lassen sich „Einbunkerungstendenzen“ von Führungsstrukturen verhindern? Welche regelmäßigen politischen Schulungen zu Fragen von spezifischer Unterdrückung und revolutionärer Organisation brauchen wir? Wie gestalten wir unsere Strukturen, damit sich Aktivist:innen und Genoss:innen mit spezifischer Unterdrückungserfahrung frei entwickeln können? Dabei gilt selbstverständlich, dass jene, die 2019 in führenden Strukturen waren und heute noch Mitglied unserer Organisation sind, sich ihrer Verantwortung stellen müssen und aktiv zu den Verbesserungen beitragen sollen. Anknüpfen wollen wir dabei an den Geist und die Beschlüsse unserer Konferenz vom Mai 2024, bei welcher die Kritik an bisherigen Top-Down-Methoden, ein Bekenntnis zu konsequentem sozialistischen Safeguarding und die Überzeugung von der Notwendigkeit einer internationalen revolutionären Organisation im Zentrum standen.

Bei all dem geht es nicht um linke Nabelbeschau – ein Blick auf aktuelle Krisen, Kämpfe und Bewegungen genügt, um klarzustellen: es wird keine erfolgreiche linke revolutionäre Organisierung geben, die zu Fragen spezifischer Unterdrückung wie Sexismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit keinen offensiven und gleichzeitig selbstkritischen Zugang entwickelt. Einige Zugänge, gerade auch von Gruppen mit trotzkistischem Anspruch – welchem wir nach wie vor verbunden sind –, reagieren in letzter Zeit auf die Herausforderungen neuer sozialer Bewegungen wie Black Lives Matter und MeToo mit einem Rückzug auf vulgärmarxistische Positionen und Phrasen. Doch wer auf diese Weise Klassenkampf und Kampf gegen spezifische Unterdrückung in Theorie, Praxis (oder schlimmstenfalls beidem) trennt, wird unweigerlich scheitern – sowohl dabei, aktuellen Kämpfen und Bewegungen eine marxistische Perspektive zu geben, wie auch dabei, eine solidarische und demokratische interne Organisationskultur zu schaffen, welche die Basis für einen ernsthaften Aufbau legen kann. Für uns wird es deshalb in den nächsten Wochen und Monaten auch darum gehen, einerseits unseren Leitfaden für den Umgang mit spezifischer Unterdrückung und diskriminierendem Verhalten (“Code of Conduct”) zu überarbeiten und zu vertiefen, und andererseits ein neues politisches Grundsatzprogramm in einem demokratischen Prozess zu erstellen, in welches die Erfahrungen der letzten Jahre zentral miteinfließen.

Neustart – aber nicht von Null

Wir gehen diesen Neustart also nicht überstürzt, sondern wohlüberlegt an. Wir wollen Fehler aus der Vergangenheit vermeiden und mit möglichst vielen Menschen in einen politischen Austausch kommen. Wir sehen die Verdienste und Erfolge anderer linker Gruppen und Einzelpersonen und schätzen diese als Teil des Wiederaufbaues einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung. Gleichzeitig sehen wir unseren Zugang, Bewegungen und Kämpfe aktiv mitaufzubauen, ohne dabei sektiererisch noch opportunistisch vorzugehen, als eine besondere Qualität unserer Organisation. Das ist ein wichtiger Grund, warum wir weitermachen wollen. In diesem Prozess beginnen wir nicht bei Null. Zu unserer Vergangenheit gehören nicht nur politische Fehler, sondern auch richtige und praxistaugliche politische Analysemethoden, z.B. zur Frage der Gewerkschaften, der Sozialdemokratie, des Charakters der FPÖ, den Wurzeln für nationale Unterdrückung, der Notwendigkeit einer unabhängigen politischen Formation der Arbeiter:innenklasse und vielem mehr – gerade in den letzten Jahren insbesondere zu Fragen eines offensiven sozialistischen Feminismus. Neben diesen wichtigen politischen Punkten haben wir auch zahlreiche Erfahrungen in vielen wichtigen Bewegungen gemacht, und viele kleinere und größere Erfolge gehabt. Vom Kampf gegen den aufkommenden Rechtsextremismus seit den 90ern, den Widerstand gegen die erste blau-schwarze Bundesregierung 2000, über den Kampf gegen radikale Abtreibungsgegner:innen, die erfolgreichen Kampagnen gegen Abschiebungen, den Mitaufbau der Geflüchtetenbewegung 2013-2015 bis zur Gründung der sozialistisch-feministischen Initiative ROSA und dem Mitaufbau von betrieblichen Basisstrukturen wie „Sozial, aber nicht blöd“ und vieles mehr. Unsere Organisation besteht seit über 40 Jahren. Die Erfahrungen in unterschiedlichsten Regionen Österreichs im jahrzehntelangen Aufbau in Betrieben (seit Mitte der 90er machen wir kontinuierlich Betriebsarbeit), im Bereich des sozialistischen Feminismus und im Kampf gegen Rassismus auf der Straße und im Staat sind ein wichtiger Teil von uns. Wir können diese Erfahrungen und Erkenntnisse in den Aufbau von Widerstand, und den Wiederaufbau einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung einbringen. Das wollen wir in den nächsten Monaten verstärkt tun. Wir freuen uns dafür auf Deine Fragen, Beiträge und vieles mehr. Wenn Du dich mit uns austauschen möchtest, melde dich bei uns!
  
   

 

 

 

“Es komme die Revolution!” - Ingeborg Bachmann zum 50. Todestag

zuerst veröffentlich in der VORWÄRTS vom November 2023
von Sebastian Kugler

Ingeborg Bachmann war die wichtigste österreichische Schriftstellerin der Nachkriegszeit. In ihren Gedichten, Erzählungen und (unvollendeten) Romanen verarbeitet sie auf unvergleichliche Weise das Fortwirken des Nazi-Faschismus und patriarchale Gewalt - gleichzeitig handeln ihre Texte auch immer vom Versuch, als Unterdrückte und Ausgeschlossene eine eigene Stimme zu finden. Zeitlebens wurde sie vom kapitalistischen Literaturbetrieb und von der zutiefst sexistischen Literaturkritik darauf reduziert, eine junge Frau zu sein, die schöne Gedichte schreibt. Ihr Privatleben wurde ausgeleuchtet und Gerüchte verbreitet - an jedem ihrer Texte deutelte man herum, welche Affäre denn da drin verpackt sein könnte. Sie war also selbst betroffen von der systemischen Brutalität, gegen die sie anschrieb - auch das trug zu ihrem frühen Tod mit 47 Jahren bei.

Ingeborg Bachmann. Reise in die Wüste, der neue Film von Margarete von Trotta, ist eine Hommage an Bachmann anlässlich des Todestags. In ihm wird der Sexismus, mit dem Bachmann konfrontiert war, anhand ihres zeitweiligen Partners, des Schriftstellers Max Frisch gezeigt. Leider kommt jedoch auch dieser Film nicht davon weg, sie hauptsächlich über ihr Privatleben zu definieren - und nicht über ihr vielfältiges Schaffen.

Die politische Bachmann

Ingeborg Bachmann war ein hochpolitischer Mensch. Schon in ihrer Dissertation stellte sie sich vor allem gegen den Nazi-Philosophen Martin Heidegger, der im Nachkriegsdeutschland  ungebrochen großes Ansehen besaß. Aus Protest gegen die Zusammenarbeit ihres Verlages Piper mit dem früheren HJ-Führer Hans Baumann kündigte sie öffentlich die Zusammenarbeit auf. Doch gerade die politische Bachmann spart Von Trottas Film aus. Teilweise nimmt er wörtliche Zitate von Bachmann und schneidet die explizit politischen Stellen hinaus. So gibt es im Film eine Szene, in welcher Bachmann sagt: “Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich gegen die Ehe bin”. Der Satz stammt aus einem Statement für eine Fernseh-Doku, das Bachmann kurz vor ihrem Tod verfasste. Darin beschrieb sie die Situation in Italien, wo sie lebte, und fuhr folgendermaßen fort: “Die italienische Arbeiterin wehrt sich zum ersten Mal gegen die Ehe, und sie kämpft für ihre Freiheit. Unter Freiheit versteht sie nicht, dass sie nicht arbeiten will, sondern dass sie nicht mehr die Sklavin sein will, zu der man sie gemacht hat.” Bachmann verstand, dass Kapitalismus und Sexismus - also auch Feminismus und Klassenkampf - untrennbar voneinander sind.

In einem weiteren Statement für die Doku hält sie fest: “Ich glaube nicht an diesen Materialismus, an diese Konsumgesellschaft, an diesen Kapitalismus, an diese Ungeheuerlichkeit, die hier stattfindet, an diese Bereicherung der Leute, die kein Recht haben, sich an uns zu bereichern.” Kein Wunder also, dass Bachmann sich immer mehr für sozialistische Ideen interessierte. Die stalinistischen Diktaturen lehnte sie dabei konsequent ab. So schrieb sie an ihren Freund Hans Werner Henze: “Alle meine Neigungen sind auf der Seite des Sozialismus, des Kommunismus, wenn man will, aber da ich seine Verirrungen, Verbrechen etc kenne, kann ich nicht votieren.” Mit der stalinistischen Verdrehung des Marxismus konnte und wollte sie sich nicht abfinden. In einem Interview wurde sie 1963 gefragt, was sie gerade lese. Ihre Antwort: ”Im Moment sieht es sogar nach recht systematischer Beschäftigung aus mit dem historischen Materialismus, von Marx und Lenin über die diversesten Stationen bis zu Ernst Bloch und Kolakowski.” Der Pole Leszek Kolakowski war damals einer der wichtigsten antistalinistischen Marxist*innen. Bachmanns Widerstand gegen Sexismus und Kapitalismus und ihre Suche nach einer Alternative endeten nicht mit ihrem Tod - sie leben in ihren Schriften weiter und können uns heute noch viel lehren.

 

Info:

Zu den wichtigsten Werken Ingeborg Bachmanns zählen: Die Gedichtbände Die gestundete Zeit und Anrufung des großen Bären, der Erzählband Das dreißigste Jahr und ihr einziger vollendeter Roman Malina.

 

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Welcome back, Lenin!

zuerst veröffentlicht in der VORWÄRTS vom April 2024

In einer Welt, in der die Machthaber*innen verschiedener Staaten und Wirtschaftsblöcke immer mehr auf Kriegsfuß miteinander stehen und ihre Medien jeweils gegen den “degenerierten Westen” oder den “barbarischen Osten” Stimmung machen, scheint man sich in den Regierungsbänken von Moskau bis Washington und in den Redaktionsräumen vom “Standard” bis zum “Pragmaticus” wenigstens auf eines einigen zu können: Alle hassen Lenin.

Klar, dass 2024 zum 100. Todestag des russischen Revolutionärs die Rechten ausrücken, um längst widerlegte Schauergeschichten aus der antikommunistischen Mottenkiste zu holen. Doch auch Historiker*innen wie Verena Moritz und Bernhard Leidinger stimmen darin ein und behaupten z.B. allen Ernstes, Lenin hätte sich über Hungersnöte “gefreut”. Lenin als dämonischer Comic-Superbösewicht - das ist natürlich politisch opportuner als eine Analyse der widersprüchlichen Prozesse, die in Russland zunächst zur ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution, dann zu einem zermürbenden Bürger*innenkrieg und schließlich zur stalinistischen Diktatur führten.

Auch Putin erkennt in Lenin seinen Erzfeind. Zurecht. Denn nicht nur zerstörte die Russische Revolution das Zarenreich, welches Putin auferstehen lassen will - Lenins Kampf für das Recht auf nationale Selbstbestimmung bedeutete auch Autonomie für die Ukraine. Was er unter “Sowjetunion” verstand, war ein freiwilliger Zusammenschluss von Ländern, in denen die Herrschaft der Kapitalist*innen und Großgrundbesitzer*innen durch Massenbewegungen überworfen wurde - kein diktatorischer “Ostblock” unter russischer Führung, wie ihn Stalin schuf.

Lenin war weder der blutrünstige Diktator, als den ihn die Bürgerlichen aller Schattierungen gerne zeichnen, noch der unfehlbare Messias, als den ihn die stalinistische Propaganda darstellte, während sie seine Leiche in einen Glassarg sperrte und seine Ideen verriet.

Die Welle an Feindschaft, die sich von allen Fraktionen der Herrschenden heute über Lenin ergießt, sollte Interesse bei all jenen wecken, die sich ihnen entgegenstellen wollen. Denn eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Lenin zeigt: 100 Jahre nach seinem Tod ist er aktueller als je zuvor. Wer heute gegen die Ausbeutung und Unterdrückung ankämpfen will, kommt an Lenin nicht vorbei.

 

Lenin: aktueller denn je

von Sebastian Kugler

Seine politischen Ideen entwickelte Lenin nicht als allgemeine Wahrheiten, sondern als konkrete Antworten auf aktuelle Probleme: Wie können wir uns gegen die Bosse und ihre Politik organisieren? Wie können wir gegen Krieg und Unterdrückung kämpfen? Und wie kann ein tatsächlicher Sturz des Systems gelingen, das sie hervorbringt?

Lenin war Marxist. Das heißt: Er analysierte den Kapitalismus als ein Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, in dem vor allem der Profit zählt. Dieser Profit wird von uns - Arbeiter*innen aller Art - erwirtschaftet, aber von den Besitzer*innen der Unternehmen - den Kapitalist*innen - eingesackt. Die Profitwirtschaft führt nicht nur zu extremer Ungleichheit, sie bringt auch immer schwerere und umfassende Krisen hervor, die mittlerweile den Fortbestand der Gesellschaft gefährden. Als Marxist wusste Lenin, dass dieses System gestürzt werden muss und kann - und zwar von jenen, die darunter leiden: die Arbeiter*innen aller Länder.

Klassenkampf und Kampf gegen jede Unterdrückung

Gleichzeitig arbeitete Lenin schärfer als andere Marxist*innen den politischen Charakter der kapitalistischen Herrschaft heraus: Arbeiter*innen werden nicht nur rein ökonomisch ausgebeutet, indem mit ihrer Arbeit Profit gemacht wird - sie werden auf vielfache Weisen unterdrückt, um das System aufrechtzuerhalten: Demokratie hört spätestens bei den Grundpfeilern des Kapitalismus auf - für den größten Teil der Weltbevölkerung schon viel früher. Entzug demokratischer Rechte, aber auch Rassismus, Sexismus, nationale und religiöse Diskriminierung - Lenin erkannte, dass all diese Unterdrückungsformen nicht sekundär gegenüber der “eigentlichen” ökonomischen Klassenausbeutung sind. Vielmehr sind sie damit untrennbar verbunden.

Deswegen polemisierte Lenin in seiner ersten wichtigen Schrift “Was tun” heftig gegen die sogenannten Ökonomist*innen. Diese predigten zwar den Kampf gegen die Kapitalist*innen in den Betrieben, lehnten es aber ab, um solche allgemeinen politischen Fragen, die jenseits des Lohnzettels liegen, zu kämpfen. Für Lenin endet der Klassenkampf jedoch nicht am Fabriktor. Im Gegenteil: Der wirkliche Klassenkampf ist ein politischer Kampf, der alle Bereiche der Gesellschaft umfasst. Darum schreibt er: “Das Bewußtsein der Arbeiterklasse kann kein wahrhaft politisches sein, wenn die Arbeiter nicht gelernt haben, auf alle und jegliche Fälle von Willkür und Unterdrückung, von Gewalt und Missbrauch zu reagieren”.

Erst alle gemeinsamen Kämpfe gegen Ausbeutung und Unterdrückung zusammen ergeben den politischen Klassenkampf, durch den die Arbeiter*innenklasse die herrschende Klasse und ihr System stürzen kann. Gerade heute ist dieser Zugang von unglaublich großer Bedeutung. Denn viele der wichtigsten Bewegungen gegen dieses System der letzten Jahre haben sich gerade auf dieser Ebene bewegt: von den antiimperialistischen Massenprotesten gegen das Massaker in Gaza, der weltweiten Klimabewegung, der Massenbewegung gegen nationale Unterdrückung in Katalonien und der weltweiten feministischen Revolte inklusive der “Frau, Leben, Freiheit”-Bewegung im Iran. All diese Bewegungen sind Teil des Klassenkampfes und gerade im Iran zeigte sich, wie der Aufstand von jungen Frauen und nationalen Minderheiten das ganze Land mitreißen kann. 

Gleichzeitig wusste Lenin, dass unterdrückerische Ideologien nicht mit dem Sturz des Kapitalismus einfach verschwinden. Auch nach der Revolution bezeichnete er diese “Mächte und Traditionen der alten Gesellschaft” als “die fürchterlichste Macht”. Besonders patriarchales Denken prangerte er an: “Das alte Herrenrecht des Mannes lebt versteckt weiter”, zitiert Clara Zetkin Lenin. Und weiter: “Unsere kommunistische Arbeit unter den Frauenmassen, unsere politische Arbeit schließt ein großes Stück Erziehungsarbeit unter den Männern in sich ein. Wir müssen den alten Herrenstandpunkt bis zur letzten, feinsten Wurzel ausrotten.” Nicht im Traum wäre es Lenin eingefallen, die Schärfung des eigenen Bewusstseins für verinnerlichte Vorurteile oder Verhaltensweisen und den kollektiven Kampf gegen die systemischen Ursachen von Rassismus, Sexismus usw. gegeneinander auszuspielen.

Imperialismus und Krieg

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, stimmten die reformistischen Anführer*innen der internationalen Arbeiter*innenbewegung in das nationalistische Kriegsgeheul ein. Lenin jedoch legte dar, dass es für keine der kriegführenden Mächte um “Freiheit”, “Demokratie” oder “Selbstverteidigung” ging - sondern um den imperialistischen Kampf um Ressourcen und Märkte. Er war der Wortführer einer kleinen Minderheit, die sich weigerte, gemeinsam mit den Kapitalist*innen der “eigenen” Nation die Arbeiter*innen anderer Nationen zu ermorden. Heute leben wir wieder in einer Zeit intensivierter imperialistischer Konflikte. Und wieder glauben viele Linke, sie müssten sich auf die Seite “ihres” Machtblocks stellen bzw. unter dem konkurrierenden Imperialismus (USA, EU, Russland, China…) das kleinste Übel wählen. Von Lenin können wir dagegen lernen, dass es die Aufgabe von Sozialist*innen ist, eine internationale Bewegung gegen alle Kriegstreiber aufzubauen. Lenin wusste aber auch, dass Frieden im Kapitalismus nur die Abwesenheit des Krieges ist - und dass imperialistische und neokoloniale Unterdrückung gerade auch durch “Frieden” verfestigt werden, wenn er nach den Spielregeln der Kriegsherren geschlossen wird. Heute wird das in der Ukraine und in Gaza mehr als deutlich. Der Kampf gegen den Krieg kann darum für Lenin nicht darin bestehen, pazifistische Appelle an die Herrschenden zu richten. 1915 hielt er fest, „dass die imperialistischen Mächte keinen demokratischen Frieden schließen können. Diesen muss man suchen und erstreben, aber nicht in der Vergangenheit, in der reaktionären Utopie eines nicht-imperialistischen Kapitalismus, sondern in der Zukunft, in der sozialistischen Revolution des Proletariats.”

Reform und Revolution

Und tatsächlich führten die Bolschewiki, in denen Lenin eine wichtige - aber keineswegs allmächtige - Rolle spielte, 1917 die erste erfolgreiche sozialistische Revolution an. Lenin und die Bolschewiki waren keine revolutionären Fanatiker*innen. Sie stellten sich als einzige Partei konsequent gegen den Krieg. Sie forderten die notwendigsten Reformen: “Land, Friede, Brot”. Sie erklärten, dass dies nur dadurch erreicht werden kann, indem die Arbeiter*innenräte (“Sowjets”), die sich bereits im Zuge der Februarrevolution überall im Land gebildet hatten, die Kontrolle übernehmen: “Alle Macht den Räten!” Der Sturz der völlig morschen provisorischen Regierung im Oktober verlief fast ohne Konfrontationen, niemand wollte mehr für sie kämpfen. An ihre Stelle trat der Kongress der Arbeiter*innenräte, die bis heute demokratischsten politischen Strukturen der Geschichte. In den Räten saßen nicht abgehobene Politiker*innen, die auf den Gehaltslisten der Superreichen stehen, sondern Arbeiter*innen und Bauern. Unter ihnen hatten die Bolschewiki nun aufgrund ihres konsequenten Kampfes für die Rätedemokratie die Mehrheit - von wegen “Putsch”! Lenins Politik war entscheidend für die erfolgreiche Taktik der Bolschewiki 1917 - und sie bleibt das wichtigste Lehrstück dafür, wie eine Revolution auch heute gelingen kann.

 

Marx aktuell

von Julia Hauzmayer

Von vielen Seiten wird die Vermutung oder gar der Vorwurf geäußert, der totalitäre Stalinismus sei eine zwangsläufige Folge des Leninismus gewesen (und Kommunismus müsse daher immer in einer stalinistischen Diktatur enden). Doch wie hat sich der Stalinismus tatsächlich entwickelt und in welchem Verhältnis steht er zu den Ideen Lenins?

Nach der Russischen Revolution 1917 übernahmen jederzeit (ab-)wählbare Arbeiter*innenräte („Sowjets“) die Macht. Die Bolschewiki sahen diese Revolution als Beginn einer notwendigen internationalen Revolution - für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft weltweit.

Die Russische Revolution hatte auch eine Vorbildwirkung für die Arbeiter*innenbewegungen in europäischen Ländern nach dem Ende des I. Weltkriegs. Allerdings versagte die Führung dieser Bewegungen, während die Spitze der Sozialdemokratie offenen Verrat beging und sich an der gewaltsamen Niederschlagung des Arbeiter*innenaufstandes beteiligte - so blieb die Russische Revolution isoliert. Gleichzeitig führten die Kapitalist*innen in Russland - unterstützt von ausländischen Mächten - einen Bürgerkrieg gegen die Bolschewiki. Die verheerenden Verluste des drei Jahre dauernden Krieges schwächten das Land und die Rätedemokratie stark und der herrschende Mangel an allem Lebensnotwendigen wurde zentral.

Diese Umstände begünstigten die Entwicklung bürokratischer Tendenzen und einer privilegierten Verwaltungselite, deren Repräsentant Stalin wurde. Dieser konnte die Bürokratisierung und seine Ideologie des „Sozialismus in einem Land“ gegen Lenin und Trotzki durchsetzen und seine Macht durch massenhafte Verhaftungen und Ermordungen der übrig gebliebenen Revolutionär*innen erhalten. Das undemokratische und bürokratische System des Stalinismus erstickte und stand im Gegensatz zu Lenins Ideen einer proletarischen, von Sowjets angeführten Demokratie und seiner Vorstellungen über den Aufbau einer revolutionären Partei bzw. die Notwendigkeit eines demokratischen Zentralismus.

 

Was ist Bolschewismus (heute)?

von Christoph Glanninger

Eine der wichtigsten Beiträge Lenins zur internationalen Arbeiter*innenbewegung waren seine Ideen zur revolutionären Partei und demokratischem Zentralismus. Aber gerade diese Ideen werden teilweise am missverständlichsten interpretiert. 

Was tun?

In “Was tun?” entwickelt Lenin seine Vorstellungen für eine revolutionäre Partei - den demokratischen Zentralismus. Er beginnt dabei mit den politischen Aufgaben - dem Kampf gegen den Ökonomismus. Für den Kampf zum Sturz des Systems braucht es eine landesweite Organisation, theoretische Auseinandersetzung, ein gemeinsames revolutionäres Programm, eine landesweite Zeitung, um dieses zu verbreiten, und Mitglieder*innen mit der theoretischen und praktischen Grundlage, diese Aufgaben zu erfüllen. Natürlich waren die konkreten Ausführungen in “Was tun?” zugespitzt auf die Arbeit unter einer Diktatur, aber die dahinter liegende Methode ist noch immer relevant. 

Lenin schreibt davon, dass die Partei die Avantgarde der Bewegung sein muss. Aber er meint damit nie einen kleinen elitären Zirkel, sondern vor allem die kämpferischsten Teile der Arbeiter*innenklasse. Während die Arbeit am Anfang des 20. Jhd. unter einer Diktatur eine sehr straff organisierte Organisation aus “Berufsrevolutionär*innen” benötigte, war es zum Beginn der ersten russischen Revolution 1905 notwendig und möglich, die Organisation zu öffnen. Lenin argumentierte für eine Erneuerung der Partei durch die tausenden Arbeiter*innen, die gerade neu aktiv geworden waren, und stellte sich dabei gegen einen konservativen Zugang vieler alten “Berufsrevolutionär*innen”. Genau diese Arbeiter*innen stellten 1917 das Rückgrat der Partei und Revolution dar und korrigierten auch gemeinsam mit Lenin die ursprünglich falsche Orientierung der bolschewistischen Führung. Nur durch die jahrelange Organisierung der fortgeschrittensten Teile der Klasse rund um ein revolutionäres Programm konnte die Oktoberrevolution im Gegensatz zu anderen Revolutionen siegen. 

Und heute?

Heute sind wir als Sozialist*innen mit anderen Herausforderungen konfrontiert: einer sich verschärfenden kapitalistischen Krise - Teuerung, Femizide, Krieg, Rechtsruck usw. Gleichzeitig hinkt das Niveau an Klassenkampf noch hinterher und eine Perspektive auf eine sozialistische Veränderung ist nicht absehbar. Das kann auch zu Frustration und Ohnmacht führen. Hier können Lenins Ideen von demokratischem Zentralismus und der revolutionären Partei eine große Rolle spielen. In der ISA schulen wir uns anhand politischer Theorie und der Analyse aktueller Entwicklungen und entwickeln ein Programm. Wir sind international organisiert und nutzen diese Erfahrungen. Wir entwickeln Perspektiven für die politische Situation und den Weg zu einer revolutionären Systemveränderung - und welche Bereiche des Klassenkampfes und des Widerstandes am fortgeschrittensten sind. Darauf konzentrieren wir dann unsere Kräfte (demokratischer Zentralismus). Z.B. haben wir vor mehreren Jahren als unsere Schwerpunkte die Arbeitskämpfe im Care-Bereich (Gesundheit, Bildung, Soziales) und sozialistischen Feminismus gewählt. Das hat es uns trotz enorm beschränkten Kräften ermöglicht, gemeinsam mit anderen dazu beizutragen, den Sozialbereich zum kämpferischsten Sektor der Gewerkschaftsbewegung zu machen und die größten linken, feministischen Solidaritäts-Proteste mit der “Frau, Leben, Freiheit”-Bewegung im Iran zu organisieren. Das zeigt, welche Rolle sogar im kleinen, noch immer relativ ruhigen Österreich eine revolutionäre Partei und ein demokratisch-zentralistischer Ansatz für Sozialist*innen spielen kann. International hat z.B. unsere auch sehr kleine Schwesterorganisation in Irland durch diesen Zugang eine zentrale Rolle beim erfolgreichen Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und gegen die unsoziale Wassersteuer gespielt. Noch entscheidender ist so eine Organisation natürlich in einer Zuspitzung des Klassenkampfes und einer revolutionären Situation - gerade in den letzten Jahren haben wir unzählige beeindruckende Bewegungen - Iran, Sudan, Chilé - erlebt, die unter anderem am Fehlen so einer Partei gescheitert sind. Umso dringender ist der Aufbau einer Organisation mit diesem Zugang international - nicht als elitäre Sekte, sondern als Ausdruck der wichtigsten Kämpfe der Klasse rund um ein sozialistisches Programm.

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

ABC des Marxismus: Gewerkschaften

Was sind Gewerkschaften? Wie sind sie entstanden und welche Funktion haben Sie? Und warum arbeiten Revolutionär*innen in den Gewerkschaften?
zuerst veröffentlicht in der VORWÄRTS im Februar 2024

Gemeinsam erreicht man mehr als alleine – diesen Grundsatz machten sich die Arbeiter*innen Anfang des 19. Jahrhunderts zu eigen, als sie sich zusammenschlossen, um gegen die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, überlangen Arbeitszeiten und für höhere Löhne zu kämpfen. Oft waren sie gezwungen, Hilfskassen einzurichten oder für Streiks Geld zu sammeln. Das war die Geburtsstunde der Gewerkschaften. 

Sie hatten sich auf betrieblicher Ebene gebildet, konnten sich aber schnell ausbreiten. Es kam zu branchenweiten regionalen und nationalen Zusammenschlüssen, die sich oft nach ideologischen Grundsätzen ausrichten: sozialdemokratische, kommunistische, christliche, anarchistische bzw. anarcho-syndikalistische etc. Gewerkschaften oder Gewerkschaftsfraktionen.

Trotz unterschiedlicher ideologischer Zugehörigkeit und Kampftradition sehen die Gewerkschaften ihre Aufgabe allgemein im Kampf um Arbeitsbedingungen und Löhne innerhalb des bestehenden kapitalistischen Systems. Das heißt nicht, dass dieser Kampf nicht auch radikale und antikapitalistische Dynamiken entwickeln kann: Wir sehen manchmal von Gewerkschaften geführte knallharte Arbeitskämpfe mit Straßenschlachten, Betriebsbesetzungen, Auseinandersetzungen mit Repressionskräften des Staates – bleiben diese Kämpfe jedoch auf gewerkschaftlicher Ebene, bleiben sie auch im Rahmen des Systems.

Nicht zuletzt aufgrund dieser Beschränktheit entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts neben den Gewerkschaften Arbeiter*innen-Parteien. Diese führten den politischen Kampf für soziale und demokratische Verbesserungen bis hin zum Sturz der kapitalistischen Gesellschaft. Marxist*innen erfassten dabei die Wichtigkeit der Gewerkschaften als elementare Klassenorganisation: durch den Arbeitskampf lernen die Arbeiter*innen, sich als Klasse mit gemeinsamen Interessen zu identifizieren, erkennen ihren Gegner, erfahren Repression durch den Staat etc. – Klassenkampf als Lehrmeister der Revolution!

Grundsätzlich gilt dieser Ansatz für uns bis heute. Doch die Bedingungen haben sich verschlechtert. Waren die Gewerkschaften Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mehrheitlich klassenkämpferisch orientiert (obgleich sich die Gewerkschaftsführungen meist auf dem rechten Flügel ihrer Parteien fanden), spielt die Gewerkschaftsbürokratie heute eine bremsende Rolle, am schlimmsten die österreichische, die dem Mythos „Sozialpartnerschaft“ immer noch nachläuft.

Trotzdem sind die Gewerkschaften aufgrund der gegensätzlichen Stellung von Kapital und Arbeit – Unternehmer*innen wollen, dass Arbeiter*innen möglichst lange und billig arbeiten, diese wollen möglichst wenig fremdbestimmt arbeiten und gut entlohnt werden – immer wieder gezwungen, Arbeitskämpfe zu führen, wenn die Unternehmer*innen aus ökonomischen Zwängen zur Sicherung ihrer Profite auf hart schalten. Auch die österreichischen – wie die Streiks im letzten Herbst gezeigt haben. 

Marx forderte von den Gewerkschaften, “als organisierende Zentren der Arbeiterklasse zu handeln, im großen Interesse ihrer vollständigen Emanzipation.” Das hieß für ihn: “Sie müssen jede soziale und politische Bewegung unterstützen, die diese Richtung einschlägt.” Auch heute kämpfen Marxist*innen für Gewerkschaften, die über den engen ökonomischen Rahmen hinaus auch allgemeine politische Fragen der Arbeiter*innenklasse (wie Rassismus und Sexismus) aufgreifen. Besonders unterdrückte Schichten der Klasse werden jedoch von der Gewerkschaftsbürokratie meist ignoriert. Dagegen forderte Marx: die Gewerkschaften “müssen sich sorgfältig um die Interessen der am schlechtesten bezahlten Gewerbe kümmern”, und zwar um zu beweisen, dass ihre Bestrebungen “auf die Emanzipation der unterdrückten Millionen gerichtet sind”.

Die Aufgabe von Marxist*innen ist es heute, sich in den Betrieben zu verankern, um sowohl von innen wie von außen Kämpfe zu unterstützen und weiterzutreiben, die Beschränktheit der Logik der Gewerkschaftsbürokratie („Sozialpartnerschaft“) aufzuzeigen, Vertrauen in uns und über unsere Methoden aufzubauen und so neue Aktivist*innen für den Kampf um andere Gewerkschaften - klassenkämpferisch und demokratisch – bis hin zum Sturz des Kapitalismus zu gewinnen.  

 

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

ABC des Marxismus: die nationale Frage

Andrea Gasperlmair

Die nationale Frage ist eine der wichtigsten Fragen mit der sich Sozialist*innen beschäftigen müssen. Sie kann unterschiedlich aussehen: Vom Befreiungskampf gegen den israelischen Siedler*innenkolonialismus in Palästina, über die neokoloniale wirtschaftliche Abhängigkeit wie z.B im Kongo, bis hin zu Minderheitenrechten wie für die Kärntner Slowen*innen. Wie kann das Recht auf nationale Selbstbestimmung für alle garantiert werden? Wie können unterdrückte Nationen, wie wir es heute mit Palästina, Kurdistan, Tibet, Kosovo, Ukraine uvm. sehen, mit einem revolutionären Programm zur Befreiung kommen und welche Rolle spielt diese Befreiung im Kampf der gesamten Arbeiter*innenklasse?

Maßgebende Schriften wurden zu dieser Frage schon im Zuge des 1. Weltkrieges verfasst, wie zum Beispiel „Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ von Wladimir Lenin.

Zudem unterscheidet sich der Nationalismus von unterdrückten Völkern grundsätzlich von dem rechtsextremen Nationalismus in den westlichen Staaten. Während in den imperialistischen Nationen der Nationalismus immer als Rechtfertigung für ihre Unterdrückung genutzt wurde, haben marginalisierte, unterdrückte oder kolonialisierte Nationen ihre kulturelle Identität und politisches Selbstbestimmungsrecht gegen imperialistische Mächte mit historischem Widerstand verteidigt.

Befreiung oder „Frieden“?

Nationale Unterdrückung ist meistens mit kriegerischer imperialistischer Expansion verbunden. Wenn im Zuge eines Krieges von den Herrschenden über ein Bestreben nach Frieden oder Friedensabkommen gesprochen wird, ist damit das Niederlegen der Waffen gemeint. Doch bringt das wirklich Frieden? Und für wen eigentlich? Natürlich ist ein Waffenstillstand die dringendste erste Forderung. Doch unterdrückte Nationen leiden auch ohne aktiven Krieg unter systematischer Ausbeutung und Armut, Vertreibung, Polizeigewalt und Überwachung. Ein Zurückkehren zum “Status Quo“, ein Stopp des aktiven Mordens, ist das absolute Minimum an Menschlichkeit. Wer wirklichen Frieden will, muss für echte Befreiung kämpfen, also für das Recht aller Völker auf vollständige nationale Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Eine solche Forderung ist keineswegs utopisch, oder „nach der Revolution“ relevant, auch wenn es klar ist, dass die Welt im System des Imperialismus immer in Unterdrücker und Unterdrückte geteilt ist. Im Gegenteil, die sozialistische Revolution ist etwas Fortlaufendes und wird sich gerade in den Befreiungskämpfen und internationalen Solidarität der Arbeiter*innenklasse über Jahre oder Jahrzehnte entfalten. Wie wir mit der Palästina-Solidaritätsbewegung sehen, kommen jetzt schon Millionen Menschen zu Schlußfolgerungen über die Rolle des Westens, Imperialismus und Unterdrückung!

Die Aufgaben von Sozialist*innen

Die Arbeiter*innenklasse in den unterdrückenden Ländern darf sich nicht mit leeren pazifistischen Versprechen eines "friedlichen Kapitalismus" der reformistischen Politiker*innen zufriedengeben. Revolutionär*innen müssen die Frage nach den Grenzen eines Staates aufwerfen, die auf nationaler Unterdrückung und Gewalt beruhen. Sie müssen konsequent gegen die gewaltsame Zurückhaltung der unterdrückten Nationen innerhalb der Grenzen eines bestimmten Staates kämpfen. Genau das bedeutet der Kampf für das Selbstbestimmungsrecht. 

Die Aufgabe von Revolutionär*innen in den unterdrückten Nationen ist es, für die politische und organisatorische Einheit zwischen den Arbeiter*innen der unterdrückten Nation und den Arbeiter*innen der unterdrückenden Nation zu kämpfen und diese aufrechtzuerhalten. Eine solche Einheit ist notwendig für eine unabhängige proletarische Selbstorganisierung und internationale Klassensolidarität. Doch diese Einheit kann, wie zuvor beschrieben, nur unter der Bedingung geschehen: Eine konsequente Ablehnung von nationaler Unterdrückung unter Arbeiter*innen der unterdrückenden Nation.

Der nationale Befreiungskampf gegen eine imperialistische Macht kann unter Umständen von einer anderen Großmacht für ihre ebenfalls imperialistischen Interessen ausgenutzt werden. Dabei müssen Revolutionär*innen klar machen, dass in keine einzige imperialistische Großmacht Vertrauen geschenkt werden darf, auch wenn diese sich vermeintlich als große Verbündete inszeniert (aber z.B. im eigenen Land selbst nationale Minderheiten unterdrückt). Für eine echte und endgültige Befreiung kann nur die internationale Arbeiter*innenklasse kämpfen.

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Marx aktuell: Wahlen

von Agnes Gasperlmair

Der Kapitalismus lässt sich nicht im Parlament abwählen. Dennoch sind Wahlen für Marxist*innen nicht unbedeutsam. Eine Partei wie die KPÖ, als einzige antikapitalistische Kraft am Stimmzettel, kann eine wertvolle Gegenstimme im immer weiter nach rechts rutschenden politischen Diskurs sein. Denn auf die rassistische Hetze und Kürzungspolitik braucht es eine linke Antwort, die die Lügen von FPÖ und Co. aufdeckt und rassistische und sexistische Angriffe verhindert. Die Umsetzung von progressiven Reformen würde ebenso erleichtert werden. Doch hier sind die Grenzen des Parlamentarismus auch schon erreicht.

Die alte Debatte, dass Reformismus uns nicht zum revolutionären Umsturz bringt, führte schon Rosa Luxemburg vor 120 Jahren gegen die Führung der Sozialdemokratie. Sie leugnete nicht den Nutzen parlamentarischer Opposition - aber sie stellte sich klar gegen Regierungs-Illusionen: „In die Volksvertretung treten die Sozialisten ein, um die bürgerliche Klassenherrschaft zu bekämpfen, in die bürgerliche Regierung – um die Verantwortlichkeit für die Akte dieser Klassenherrschaft auf sich zu laden.“

Die unlösbaren Widersprüche im Kapitalismus machen es unmöglich, echte Verbesserungen für die Arbeiter*innenklasse zu erzielen. Das reformistische Limit wird in Zeiten der Krise besonders klar: Der Spielraum für Reformen wird immer kleiner und selbst kleine Schritte vorwärts erfordern die Bereitschaft, komplett mit dem System zu brechen - andernfalls rettet man es auf dem Rücken der Arbeiter*innenklasse, z.B. durch Budgetkürzungen. Am allermeisten betrifft dies Arbeitslose, Migrant*innen und Frauen.

Den Kapitalismus stellvertretend von oben abzuschaffen wäre gar nicht möglich, denn nur die Massen selbst können sich befreien und eine Gesellschaft nach ihren Bedürfnissen aufbauen. Die Organisierung der Massen, der Aufbau von Streikkommitees am Arbeitsplatz und der Kampf auf der Straße sind die effektivsten Mittel zum Erfolg. Revolutionär*innen können Parlamente jedoch als Bühne nützen sowie als Sprachrohre von Kämpfen und Bewegungen agieren und sie so stärken - wie unsere Schwesterorganisation Socialist Party in Irland.

 

 

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