Fr 15.08.2025
Am 11. März 2025 veröffentlichte die ISA Österreich ein Statement, in dem wir über unseren falschen Umgang mit Safeguarding in der Vergangenheit Rechenschaft ablegten. Anlass war ein Fall sexueller Gewalt, begangen 2014 von einer erst später zu unserer Organisation gestoßenen und mittlerweile ausgeschlossenen Person. 2019 wurde der Fall der damaligen Führung bekannt und von ihr falsch und fahrlässig behandelt - dank der betroffenen Person wurden diese schweren Fehler Anfang 2025 wieder zum Thema (siehe unser Statement vom März 2025). Wir beschlossen daraufhin, unsere Aktivitäten vorerst einzustellen und uns den Fehlern unserer Organisation in der Vergangenheit zu widmen, in Zusammenarbeit mit der Führung des Projekts für eine revolutionäre marxistische Internationale (PRMI). Wir möchten uns noch einmal bei der betroffenen Person entschuldigen - und hoffen deshalb, dass unsere bisherige und fortlaufende Arbeit zur Aufarbeitung und zu einem Heilungsprozess beitragen.
In den darauffolgenden Wochen arbeitete eine internationale Untersuchungskommission des PRMI an der Aufklärung der Fehler. Zahlreiche Mitglieder, die damals eine sehr aktive und/oder führende Rolle spielten, wurden teils mehrfach befragt, um die Ereignisse zu rekonstruieren und teils auch um ihre heutigen Einstellungen zu ihren damaligen Fehlern in Erfahrung zu bringen. In den Gesprächen insbesondere mit den zwei noch aktiven Mitgliedern, die damals in der Bundesleitung waren, bestand weitgehende Einigkeit über den Ablauf der Geschehnisse und die kollektiven und individuellen Versäumnisse.
Gleichzeitig drehte sich die Welt jedoch weiter: vom Genozid in Gaza über die Agenda der neuen Regierung bis zu Schikanen am Arbeitsplatz waren unsere Mitglieder täglich mit politischen Fragestellungen und Aufgaben konfrontiert, sei es im persönlichen Umfeld, im Betrieb oder in der Schule. Viele von uns blieben individuell aktiv und beteiligten sich z.B. am Widerstand gegen Verschlechterungen im Sozialbereich und tun dies aktuell weiter. Es war klar, dass Einzelwiderstand nicht reicht: es braucht kollektive Organisierung mit sozialistischem Programm und Perspektive, und diese kann nur im aktiven Austausch mit unserer Umwelt bestehen – und zwar jeweils auf dem Level, welches der organisatorische Zustand und die politische Klarheit an einem bestimmten Punkt zulassen. Wichtig war für uns auch, dass zahlreiche Menschen auf sehr unterschiedliche Weise signalisiert haben, dass wir weitermachen sollen. Die sinngemäße Aussage: „Hört nicht auf – ihr werdet gebraucht“ haben wir nicht nur einmal gehört. Wir bedanken uns bei Freund:innen, Arbeitskolleg:innen, linken Aktivist:innen usw. dafür, dass sie uns Mut gemacht haben.
Auf Initiative einiger Aktivist:innen beschloss deswegen eine Mitgliederversammlung im Mai, die organisatorische und politische Aktivität aufzunehmen; und zwar in dem Rahmen, welchen die Diskussion und die Aufarbeitung der Fehler der Vergangenheit sowie die Lehren daraus zulassen – aber eben auch erfordern. Denn auf der anderen Seite führte die zunehmende Abschottung ohne jegliche organisatorische und politische Perspektive nur dazu, dass sich Mitglieder und Umfeld weiter zurückzogen – eine Situation, die den angestrebten und notwendigen Reflexionsprozess nicht unterstützte. In diesem Zusammenhang traten aber auch schwerwiegende Differenzen mit der PRMI-Führung auf. Denn obwohl über den inhaltlichen Teil des Abschlussberichts der Untersuchungskommission weitgehende Einigkeit herrschte, war der von ihr vorgeschlagene Umgang damit fast ausschließlich bürokratischer Natur: Ausschluss (bzw. Ausschluss auf Umwegen) der verbliebenen Ex-Leitungsmitglieder und Auflösung der Organisation – letzteren „Vorschlag“ unterbreitete die PRMI-Führung den österreichischen Mitgliedern nur wenige Stunden vor der Mitgliederversammlung. Eine Mehrheit stellte sich gegen dieses letztlich oberflächliche Vorgehen und betonte den notwendigen Zusammenhang von organisatorischer Aktivität und kollektiver sowie individueller Reflexion. Konkret bedeutet dies zum aktuellen Zeitpunkt klarerweise, dass wir noch viel Zeit und Energie für diese Aufarbeitung einplanen, und damit nicht im vollen Umfang nach außen aktiv sein werden.
Fragen, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen, sind: welche Strukturen und Zustände unserer Organisation haben diese Fehler begünstigt? Welche Strukturen braucht es, um solche Fehler in Zukunft möglichst zu vermeiden? Welche Möglichkeiten haben wir, Betroffene, so dies gewollt wird, zu unterstützen? Mit welchen Maßnahmen lassen sich „Einbunkerungstendenzen“ von Führungsstrukturen verhindern? Welche regelmäßigen politischen Schulungen zu Fragen von spezifischer Unterdrückung und revolutionärer Organisation brauchen wir? Wie gestalten wir unsere Strukturen, damit sich Aktivist:innen und Genoss:innen mit spezifischer Unterdrückungserfahrung frei entwickeln können? Dabei gilt selbstverständlich, dass jene, die 2019 in führenden Strukturen waren und heute noch Mitglied unserer Organisation sind, sich ihrer Verantwortung stellen müssen und aktiv zu den Verbesserungen beitragen sollen. Anknüpfen wollen wir dabei an den Geist und die Beschlüsse unserer Konferenz vom Mai 2024, bei welcher die Kritik an bisherigen Top-Down-Methoden, ein Bekenntnis zu konsequentem sozialistischen Safeguarding und die Überzeugung von der Notwendigkeit einer internationalen revolutionären Organisation im Zentrum standen.
Bei all dem geht es nicht um linke Nabelbeschau – ein Blick auf aktuelle Krisen, Kämpfe und Bewegungen genügt, um klarzustellen: es wird keine erfolgreiche linke revolutionäre Organisierung geben, die zu Fragen spezifischer Unterdrückung wie Sexismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit keinen offensiven und gleichzeitig selbstkritischen Zugang entwickelt. Einige Zugänge, gerade auch von Gruppen mit trotzkistischem Anspruch – welchem wir nach wie vor verbunden sind –, reagieren in letzter Zeit auf die Herausforderungen neuer sozialer Bewegungen wie Black Lives Matter und MeToo mit einem Rückzug auf vulgärmarxistische Positionen und Phrasen. Doch wer auf diese Weise Klassenkampf und Kampf gegen spezifische Unterdrückung in Theorie, Praxis (oder schlimmstenfalls beidem) trennt, wird unweigerlich scheitern – sowohl dabei, aktuellen Kämpfen und Bewegungen eine marxistische Perspektive zu geben, wie auch dabei, eine solidarische und demokratische interne Organisationskultur zu schaffen, welche die Basis für einen ernsthaften Aufbau legen kann. Für uns wird es deshalb in den nächsten Wochen und Monaten auch darum gehen, einerseits unseren Leitfaden für den Umgang mit spezifischer Unterdrückung und diskriminierendem Verhalten (“Code of Conduct”) zu überarbeiten und zu vertiefen, und andererseits ein neues politisches Grundsatzprogramm in einem demokratischen Prozess zu erstellen, in welches die Erfahrungen der letzten Jahre zentral miteinfließen.
Neustart – aber nicht von Null
Wir gehen diesen Neustart also nicht überstürzt, sondern wohlüberlegt an. Wir wollen Fehler aus der Vergangenheit vermeiden und mit möglichst vielen Menschen in einen politischen Austausch kommen. Wir sehen die Verdienste und Erfolge anderer linker Gruppen und Einzelpersonen und schätzen diese als Teil des Wiederaufbaues einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung. Gleichzeitig sehen wir unseren Zugang, Bewegungen und Kämpfe aktiv mitaufzubauen, ohne dabei sektiererisch noch opportunistisch vorzugehen, als eine besondere Qualität unserer Organisation. Das ist ein wichtiger Grund, warum wir weitermachen wollen. In diesem Prozess beginnen wir nicht bei Null. Zu unserer Vergangenheit gehören nicht nur politische Fehler, sondern auch richtige und praxistaugliche politische Analysemethoden, z.B. zur Frage der Gewerkschaften, der Sozialdemokratie, des Charakters der FPÖ, den Wurzeln für nationale Unterdrückung, der Notwendigkeit einer unabhängigen politischen Formation der Arbeiter:innenklasse und vielem mehr – gerade in den letzten Jahren insbesondere zu Fragen eines offensiven sozialistischen Feminismus. Neben diesen wichtigen politischen Punkten haben wir auch zahlreiche Erfahrungen in vielen wichtigen Bewegungen gemacht, und viele kleinere und größere Erfolge gehabt. Vom Kampf gegen den aufkommenden Rechtsextremismus seit den 90ern, den Widerstand gegen die erste blau-schwarze Bundesregierung 2000, über den Kampf gegen radikale Abtreibungsgegner:innen, die erfolgreichen Kampagnen gegen Abschiebungen, den Mitaufbau der Geflüchtetenbewegung 2013-2015 bis zur Gründung der sozialistisch-feministischen Initiative ROSA und dem Mitaufbau von betrieblichen Basisstrukturen wie „Sozial, aber nicht blöd“ und vieles mehr. Unsere Organisation besteht seit über 40 Jahren. Die Erfahrungen in unterschiedlichsten Regionen Österreichs im jahrzehntelangen Aufbau in Betrieben (seit Mitte der 90er machen wir kontinuierlich Betriebsarbeit), im Bereich des sozialistischen Feminismus und im Kampf gegen Rassismus auf der Straße und im Staat sind ein wichtiger Teil von uns. Wir können diese Erfahrungen und Erkenntnisse in den Aufbau von Widerstand, und den Wiederaufbau einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung einbringen. Das wollen wir in den nächsten Monaten verstärkt tun. Wir freuen uns dafür auf Deine Fragen, Beiträge und vieles mehr. Wenn Du dich mit uns austauschen möchtest, melde dich bei uns!

