Mo 25.08.2025
1981 gründeten junge Sozialist:innen in der Sozialistischen Jugend die Strömung „Vorwärts“, die ab 1983 mit der gleichnamigen Zeitung zu einer wichtigen Kraft auf der österreichischen Linken wurde. Heute, in einer radikal veränderten Welt, wollen wir diesen Namen wieder aufgreifen. Indem wir uns erneut vorwärts nennen, wollen wir zu unseren Wurzeln zurück, aber auch über sie hinaus. Dazu ist es nötig, in die Vergangenheit zu blicken. Die folgende – verkürzte – Darstellung soll zeigen, woher wir kommen, was wir beibehalten wollen, was wir ablegen müssen und was es wiederzuentdecken gilt.
Wurzeln: CWI und Militant
Angestoßen wurde die Gründung von „Vorwärts“ 1981 von internationalen Aktivist:innen des erst sieben Jahre zuvor gegründeten Committee for a Workers International (CWI). Das CWI war damals eine dynamische Kraft, welche die stalinistische Orthodoxie der „kommunistischen“ Parteien genauso herausforderte wie die reformistische Bürokratie der sozialdemokratischen Parteien. Die Gründungsphase war geprägt von intensiver Beschäftigung mit theoretischen Debatten und ökonomischen Analysen. Das CWI wollte keine isolierte Sekte sein, sondern dort wirken, wo die Arbeiter:innenklasse organisiert war: vor allem Gewerkschaften und Massenparteien. Das bedeutete auch, diese Strukturen mitaufzubauen und etwa durch Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften Vertrauen zu gewinnen, indem man sich als beste Kämpfer:innen auch in tagtäglichen Auseinandersetzungen um Verbesserungen bewies. Das war eine Stärke, die auch die Rolle des britischen CWI-Flaggschiffs Militant ermöglichte: vom britischen Bergarbeiter:innenstreik, über den Kampf des Liverpooler Stadtrats gegen Thatcher bis zur Massenbewegung gegen die Poll Tax, welche Thatcher zu Fall brachte.
Der Sieg des Neoliberalismus und der Kollaps des Stalinismus führten jedoch zu einem Niedergang der Arbeiter:innenbewegung und einer beschleunigten Verbürgerlichung der ehemaligen Arbeiter:innenparteien. Korrekterweise analysierte das CWI Anfang der 1990er Jahre, dass es nun nicht mehr nur darum ging, eine neue revolutionäre Organisation aufzubauen, sondern die Arbeiter:innenbewegung grundlegend wiederaufzubauen: das nannte man die „doppelte Aufgabe“. Einerseits bedeutete dies, die Arbeit in den sozialdemokratischen Parteien zu beenden und sich außerhalb davon neuzugründen. So wurde aus der „Vorwärts“-Strömung die „Sozialistische Offensive Vorwärts“ und später – mitten in der Widerstandsbewegung gegen die erste Blau-Schwarze Regierung, in der wir eine zentrale Rolle spielten – die SLP. Andererseits bedeutete es, „neue Arbeiter:innenparteien“ mitaufzubauen, welche als Austragungsort von Richtungskämpfen funktionieren können, in denen eine revolutionäre Organisation überhaupt erst Massencharakter annehmen könnte. Deswegen verfolgte das CWI seit den 1990ern das Projekt, sich am Aufbau neuer linker Formationen zu beteiligen.
In den 2000ern wurde – auch im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 und ihrer bis heute andauernden Folgen – jedoch ersichtlich, dass sich die Frage des (Wieder-)Aufbaus politischer Formationen der Arbeiter:innenklasse um einiges komplizierter und vielschichtiger gestaltet, als das CWI die Formel der „neuen Arbeiter:innenpartei“ verstand. Die Reorganisierung der Arbeiter:innenklasse wird viel instabilere und explosivere Formen annehmen, als bisher angenommen. Sie wird sich auf verschiedenen organisatorischen und politischen Ebenen abspielen und dabei ungleiche und kombinierte Dynamiken hervorbringen: feministische Massenbewegungen, wie wir sie in den letzten Jahren etwa in Südamerika rund um den Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch gesehen haben; Wiederbelebungen und Neugründungen von gewerkschaftlichen Strukturen, wie es in den USA zu beobachten ist; studentische Untergrundzirkel, die sich mit Fabrikarbeiter:innen solidarisieren wie in China; spontane Verteidigungskomittees gegen Militär und Polizei in Massenrevolten wie im Sudan; Widerstand von lokalen bzw. indigenen Bevölkerungen gegen zerstörerische Infrastrukturprojekte und Raubbau; Selbstorganisierung von migrantisierten Menschen gegen rassistische Polizeigewalt; betriebliche Basisinitiativen von Beschäftigten im Gesundheitswesen usw. – es geht darum, alle diese Formen unter dem Blickwinkel der „doppelten Aufgabe“ als Aspekte dieses widersprüchlichen Reorganisierungsprozesses zu analysieren und durch aktive Teilnahme und Aufbau zu politisieren – das heißt, vorzuschlagen, wie die Kämpfe gewonnen werden können und Strukturen aufzubauen, die über ihre unmittelbaren Anlässe hinausgehen und das System ins Visier nehmen.
Stärken und Schwächen
In der frühen Phase des CWI half seine Massenorientierung auch in der Frage von Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung, etwa in Irland: Man stellte sich konsequent gegen den britischen Imperialismus und seine unionistischen Stellvertreter in Nordirland, aber auch gegen den kleinbürgerlichen irischen Nationalismus von IRA, Sinn Fein & Co sowie ihre terroristischen Methoden – und richtete stattdessen einen konkreten Appell an die nordirisch-protestantischen Arbeiter:innen, mit „ihren“ britischen Herrschenden zu brechen und gemeinsam mit der katholischen Arbeiter:innenklasse für ihre gemeinsamen Interessen zu kämpfen: ein Leben in Frieden und Wohlstand, mit garantierter nationaler und religiöser Selbstbestimmung für alle.
Gleichzeitig blieb eine differenzierte Position bei sozialistischem Feminismus und queerer Befreiung eher aus. Hier zog sich das CWI auf Allgemeinplätze zurück, Initiativen blieben meist einzelnen Sektionen oder gar einzelnen Genoss:innen überlassen. So gab es zwar in einzelnen Ländern wichtige sozialistisch-feministische Kampagnen – auch in Österreich, wo wir in den 1990er und 200er Jahren den Kampf gegen die radikalen Abtreibungsgegner:innen zentral mitorganisierten und konkrete Erfolge verzeichneten. Doch insgesamt gab es im CWI ebenso die Tendenz um der „Einheit“ der Arbeiter:innenklasse willen Fragen spezifischer Unterdrückung hintanzustellen. Der Zugang zu Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung war davon geprägt, diese durch „soziale“ Forderungen in den „eigentlichen“ Klassenkampf zu überführen – worunter man ökonomische Kämpfe um höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen etc. verstand. Das war einerseits nicht falsch: der Kampf um bessere Lebensbedingungen der gesamten Arbeiter:innenklasse kann rassistischer Propaganda den Boden entziehen. Doch andererseits führte diese Vorstellung von „Klasseneinheit“ durch die Konzentration auf das, was „alle Arbeiter:innen“ betrifft, dazu, von allem abzusehen, was nicht alle gemeinsam haben: z.B. Erfahrungen spezifischer Unterdrückung aufgrund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung usw. Entsprechend wenig gelang es, sich in migrantischen Schichten zu verankern und Politik aus ihrer Perspektive zu formulieren. Adressat des antirassistischen Programms waren weniger Betroffene selbst, sondern „einheimische“ Arbeiter:innen, denen man erklärte, Rassismus sei Ablenkung von sozialen Problemen. Doch für Migrant:innen ist der Rassismus keine Ablenkungstaktik von ihren eigentlichen Problemen – sie sind das direkte Ziel dieser Taktik, er ist ihr unmittelbares Problem. Es braucht ein marxistisches Programm aus der Perspektive der rassistisch unterdrückten Schichten der Klasse für den Kampf gegen die Unterdrückung, die sie selbst tagtäglich erleben. Von der Geschichte der revolutionären jüdischen Arbeiter:innenbewegung über antikoloniale Kämpfe, die US-Bürgerrechtsbewegung bis zu Gastarbeiter:innenstreiks in Deutschland und der Sans Papier-Bewegung in Frankreich gibt es dafür zahlreiche historische Lehren. Sie zeigen auch, dass gerade solche Kämpfe Solidarität in der „Mehrheits“-Arbeiter:innenklasse erzeugen und diese der rassistischen Propaganda entreißen können.
Klasseneinheit ist also nicht der „größte gemeinsame Nenner“, der übrig bleibt, sobald man alles andere wegstreicht, was die eigene Lebenserfahrung außerhalb des Lohnzettels ausmacht. Im Gegenteil: wirkliches Klassenbewusstsein und tatsächliche Einheit der Arbeiter:innenklasse besteht darin, alle Formen von Unterdrückung politisch zu bekämpfen und diesen Kampf auf den Sturz des Kapitalismus und seines Staates zu orientieren. Dieses Verständnis gilt es zu vertiefen. Im Bereich des sozialistischen Feminismus ist uns in dieser Hinsicht in den letzten Jahren bereits einiges gelungen, im Bereich des Antirassismus fehlt dies noch – trotz teils zentraler Rollen in Kampagnen gegen Abschiebungen in den frühen 2010er Jahren sowie in der Geflüchtetenbewegung 2013-2014.
Niedergang des CWI & Gründung der ISA
Mit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 sah das CWI den Kapitalismus in eine „Periode von Revolution und Konterrevolution“ eintreten. Doch dieser Einschätzung folgten kaum tiefergehende Analysen – weder was die ökonomische Struktur der kapitalistischen Dauerkrise betrifft, noch in der Frage des Bewusstseins unter verschiedenen Schichten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend, insbesondere im Zusammenhang mit dem wiederholten Scheitern neuer Linksparteien, dem tragischen Schicksal von Massenrevolten wie im arabischen Frühling und Bewegungen gegen spezifische Unterdrückung wie Metoo und Black Lives Matter. Mangels einer eigenen gefestigten Programmatik und Perspektive begann man überall „Abgleitflächen“ und „fremde Ideen“ zu wittern. Aber es gab keine ernsthafte Auseinandersetzung mit Ideen und Konzepten, die in neuen sozialen Bewegungen aufkamen oder von Jugendlichen in ihrem Politisierungsprozess aufgenommen wurden. Je mehr es auf internationaler Ebene an politischer Führung mangelte, desto mehr waren die Sektionen in ihrer Arbeit notwendigerweise auf sich alleingestellt. So wuchs im CWI ein Föderalismus, den die Führung durch Einfordern von Loyalität einzudämmen suchte. Diese Dynamiken führten zur Krise des CWI 2017/18, aus welcher die International Socialist Alternative (ISA) hervorging. Die SLP schloss sich beinahe geschlossen der ISA an und benannte sich als österreichische Sektion in ISA um. Die neue Internationale wurde jedoch bald auf schwere Proben gestellt: kurz nach der Gründung stand man mit der Covid-Pandemie, dem Ukraine-Krieg und dem Aufflammen von Black Lives Matter vor einer Reihe neuer Herausforderungen. Bald zeigte sich, dass die Schwächen des CWI auch in der ISA fortwirkten. Schon ihre Gründung war mehr durch die Ablehnung der alten CWI-Führung bedingt als durch eine gemeinsame politische Plattform. Gleichzeitig war das Hauptproblem weniger die Existenz verschiedener Positionen – sondern die Unfähigkeit oder der Unwillen, eine offene und demokratische Debatte innerhalb einer revolutionären Organisation zum Ziel programmatischer Klärung zu führen. So wurden einerseits politische Fragen verschleppt – andererseits kehrte die schlechte CWI-Tradition wieder zurück, Konflikte hinter verschlossenen Türen und entlang von Loyalitäten auszutragen.
Fragen des sozialistischen Feminismus
Das zeigte sich auch an der Frage von sozialistischem Feminismus. Unterschiedliche Perspektiven für die Entwicklung von Bewegungen gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit – bzw. der Bedeutung dieser Fragen in breiteren Bewegungen – wurden deutlich: die einen waren geprägt von Niederlagen wie in den USA im Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch sowie den Erfahrungen mit der Kooptierung von feministischem Vokabular durch bürgerliche Parteien wie die US-Demokraten. Ihre Perspektiven wurden dementsprechend pessimistisch. Währenddessen wiesen die anderen auf die Veränderung in der Zusammensetzung der Arbeiter:innenklasse hin, wodurch Frauen und queeren Personen insbesondere in Schlüsselsektoren wie in Gesundheitssystemen eine besondere Bedeutung zukommt; aber auch auf die Bedeutung für verallgemeinerte politische Kämpfe, die feministische Themen haben können, wie es in der iranischen Frau-Leben-Freiheit-Revolte sichtbar wurde. Diese Seite entwickelte auch einen optimistischeren Zugang insbesondere zu jungen, sich politisierenden Schichten. Zu diesem Teil der ISA zählten vor allem die Sektionen, die in den Jahren zuvor bereits einerseits verstärkt auf neuere und kämpferische Schichten der Arbeiter:innenklasse insbesondere im Sozial- und Gesundheitsbereich orientiert hatten und andererseits Initiativen im Bereich sozialistischer Feminismus gesetzt hatten – nicht zuletzt auch Österreich.
2013 hatten wir rund um die Kollektivvertragsverhandlungen im privaten Sozialbereich die Kampagne „Sozial, aber nicht blöd!“ (SANB) initiiert. In den folgenden Jahren entwickelte sich SANB zu einer wichtigen Plattform für kämpferische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, die entscheidend dazu beitrug, dass das Streik-Tabu im Gesundheits- und Sozialbereich in Österreich gebrochen wurde. Auch über den ursprünglichen Organisierungsbereich hinaus wurde SANB zu einem Orientierungspunkt für betriebliche Aktivist:innen und kämpferische Gewerkschafter:innen in ganz Österreich. Seit einigen Jahren organisiert SANB auch überbetriebliche Kundgebungen zum 8. März, um die Organisierung für feministische Streiks nach vorne zu bringen. 2014 starteten wir unsere sozialistisch-feministische Kampagne „Nicht mit mir!“, die wir im Zuge des Erfolgs der irischen sozialistisch-feministischen Plattform ROSA ebenfalls in ROSA umbenannten. Schnell wurde ROSA zu einer wichtigen und teils führenden Kraft in der feministischen Bewegung in Österreich, nicht zuletzt durch: Offensive Mobilisierungen gegen Femizide sowie zum Tag gegen genderspezifische Gewalt, einen Schulstreik gegen Sexismus zum 8. März, die führende Rolle bei den explizit linken und anti-imperialistischen Solidaritätsprotesten mit der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung im Iran usw. Im Zuge der Fortschritte, die wir in Österreich im Bereich des sozialistischen Feminismus machten, wurden jedoch auch unsere bisherigen Schwächen immer offensichtlicher. Das betraf insbesondere Fragen von Safeguarding, also dem Umgang mit unterdrückerischen Verhaltensweisen in unserer eigenen Organisation. Während auf dem Papier zwar keine Form von sexistischem Verhalten etc. geduldet wurde, fehlte in der Praxis ein systematischer sozialistisch-feministischer Umgang mit konkreten Vorfällen und Vorwürfen – genauso wie ein Bewusstsein über die Notwendigkeit eines solchen Zugangs fehlte.
Sektierertum und Opportunismus
Die widersprüchliche Geschichte der österreichischen Organisation ist auch Teil der widersprüchlichen CWI/ISA-Tradition: jahrzehntelang hatte man Debatten und Theorieentwicklung außerhalb der eigenen vier Wände ignoriert – ohne selbst substantielle Theorien und Konzepte zu entwickeln, die der Komplexität von Bewusstseinsentwicklung im Spannungsfeld kapitalistischer Ausbeutung und spezifischer Unterdrückung im aktuellen Katastrophenkapitalismus Rechnung trugen. Entsprechend interpretierte der pessimistische Teil der ISA die Politisierung insbesondere von jüngeren Schichten rund um spezifische Unterdrückung als „Bedrohung“ durch „fremde Ideen“ – während der optimistische Teil in Konzepten, Autor:innen und Vokabular, die mehr oder weniger zufällig ihren Weg in Debatten und auf Demoschilder gefunden hatten, den Ausweg aus der vulgärmarxistischen Sackgasse sah. Es zeigte sich eine Dialektik von Sektierertum und Opportunismus: Wer sich sektiererisch zu linken Debatten und Theorieentwicklung verhält – vor allem in Fragen spezifischer Unterdrückung – passt sich notwendigerweise an zurückgebliebenes Bewusstsein in Schichten der Arbeiter:innenklasse an, die empfänglich für Hetze gegen alles „Woke“ sind. Das wurde greifbar in der Tendenz des späten CWI und des pessimistischen ISA-Teils, die eigene Propaganda (und letztlich Programmatik) nicht an die fortschrittlichsten Schichten der Arbeiter:innenklasse zu wenden, sondern sich an einem abstrakten Verständnis von „dem Arbeiter“, den man nicht „abschrecken“ dürfte zu orientieren, das selbst oft bürgerliche Vorurteile über die Arbeiter:innenklasse (als rassistische, sexistische „Proleten“) reproduziert – und das ist nichts anderes als opportunistisch. Die Zögerlichkeit, mit der CWI und ISA an den Kampf gegen den Genozid in Gaza herangehen, ist letztlich Ausdruck davon: etwa, indem aus falscher „Rücksicht“ auf die im Vergleich zu den palästinensischen Massen ungleich besser gestellte israelisch-jüdische Arbeiter:innenklasse darauf verzichtet wird, die Wahrheit des Genozids beim Namen zu nennen – was wir auch in Österreich zu spät getan haben.
Wer andererseits immer stärker dazu übergeht, aktuelle Bewegungen ideologisch zu spiegeln und Kämpfen nur ihre eigenen Parolen als Echo zurückwirft, um sich ihnen opportunistisch anzubiedern, verhält sich letztlich sektiererisch gegenüber jenen Schichten und Betroffenheiten, die diese Bewegungen aufgrund ihrer politischen Beschränktheit nicht berücksichtigen. Es war ein Beispiel für dieses Problem in der Gaza-Solidaritätsbewegung, die meist allgemein und unkritisch vom „Widerstand“ spricht, wenn in Wien syrische Geflüchtete bewusst Demos gegen den israelischen Angriff auf den Libanon fernblieben – und zwar, weil auf diesen Demos die Hisbollah implizit oder explizit als Widerstandskraft gegen Israel akzeptiert wird; die Hisbollah, die in Syrien eine zentrale Stütze des brutalen Assad-Regimes war. Deshalb ist es letztlich sektiererisch, die reaktionäre Rolle und Natur von etwa Hamas und Hisbollah nur in Nebensätzen zu erwähnen, anstatt die Kritik offensiv in die Bewegung zu tragen, um dadurch zum Aufbau einer wirklichen Befreiungskraft beizutragen.
Es ist vor dem Hintergrund der geschilderten Debatten und Schwächen kein Wunder, dass die internationale ISA durch den falschen Umgang der Führung der US-Sektion Socialist Alternative mit einem Safeguarding-Fall 2024 in eine schwere Krise geriet – ein falscher Umgang, der von der Mehrheit der ISA-Führung unterstützt und gedeckt wurde. Zurecht regte sich Widerstand, der auf die politische Dimension hinwies: der falsche Kurs und die falschen Perspektiven der mehrheitlich pessimistischen ISA-Führung gegenüber dem Bewusstsein fortgeschrittener Schichten der Arbeiter:innenklasse und der Jugend sowie gegenüber Bewegungen und Kämpfen gegen spezifische Unterdrückung – letztlich unterschied sich die Mehrheit der ISA-Führung darin kaum vom alten CWI. Mehrheitlich schloss sich die österreichische Organisation dieser Kritik an und unterstützte in der Folge die Gründung des „Project for a Revolutionary Marxist International“ (PRMI). Doch schon nach einem Jahr ist klar: das Projekt scheiterte. Von Anfang an schob man Programmentwicklung und demokratische Strukturen auf. Die sich indes mehr oder weniger informell herauskristallisiernde Führung gibt den politischen Optimismus und die Bewegungsorientierung, welche zunächst die Opposition im CWI und dann in der ISA ausgezeichnet hatten, immer mehr politischer Beliebigkeit preis – einer Beliebigkeit, der nun auch die positiven Errungenschaften dieser Tradition zum Opfer fallen. Jene Aktivist:innen in Österreich, die zu diesem Schluss gekommen sind, gründen nun vorwärts. Wir sind eine kleine Gruppe – doch wir sind davon überzeugt, dass es einen Weg gibt für revolutionäre Organisierung jenseits von pseudoproletarischem Vulgärmarxismus und kleinbürgerlicher Identitätspolitik, jenseits von sektenhaftem Korpsgeist und individualistischer Selbstzerfleischung: einen Weg „vorwärts“.
Vamos, Allez, Yalla, Vorwärts!
In den 1980er Jahren war der Begriff „Vorwärts“ noch eng mit der Tradition der österreichischen Arbeiter:innenbewegung verknüpft: das Gebäude in Wien, in dem lange Zeit die sozialdemokratische Parteiführung tagte und die „Arbeiterzeitung“ hergestellt wurde, nennt sich das „Vorwärts-Haus“. Als das „Vorwärts“ gegründet wurde, gab es immer noch den sozialdemokratischen „Vorwärts“-Verlag. In der Welt der Sozialdemokratie verstand man unter „Vorwärts“ jedoch eine Art automatische und lineare geschichtliche Bewegung, die vom Kapitalismus Schritt für Schritt zum Sozialismus führen würde. Diese Vorstellung ging einher mit dem Reformismus als politischem Programm.
Die Erfahrungen des 20. und 21. Jahrhunderts sprechen diesen naiven Vorstellungen Hohn. Die Russische Revolution 1917 ereignete sich gerade in einem halbfeudalen Land –theoretisch vorausgesehen nur von Leo Trotzki, dessen Theorie der permanenten Revolution jeder mechanischen Vorstellung von abzuspulenden „Etappen“ der ökonomischen oder politischen Entwicklung im Zeitalter des globalen Kapitalismus eine klare Absage erteilt. Der Sieg des Faschismus zeigte, wie reaktionär die kapitalistische Gesellschaft ihre inneren Widersprüche ausdrücken kann – nicht umsonst formulierte Walter Benjamin im Angesicht dessen das Marx’sche Wort von der Revolution als „Lokomotive der Geschichte“ um: die Revolution, so Benjamin, sei nun vielmehr der Griff zur Notbremse in einem Zug, der sich auf dem Kurs ins Verderben befinde. Angesichts der andauernden Klimakatastrophe und der immer offeneren reaktionären Bedrohung könnten diese Worte nicht eindringlicher wirken. „Vorwärts“ kann also nicht heißen: „gerade aus weiter“ – es muss einen radikalen gesellschaftlichen Richtungswechsel bedeuten.
Wenn wir uns heute also vorwärts nennen, so verstehen wir das gewissermaßen konträr zu der Bedeutung, die der Begriff im Reformismus der Vergangenheit hatte. Wir verstehen „vorwärts“ als Aufforderung – ähnlich den jenen Parolen, die auf der ganzen Welt immer wieder auftauchen, wo sich Massen in Bewegung setzen und ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen: Vamos! Allez! Yalla! Vorwärts!

