Brexit-Krise in Britannien

Für ein sozialistisches Europa der Arbeiter*innen statt dem kapitalistischen Chaos der Herrschenden
Roger Bannister, Mitglied des Bundesvorstandes der Socialist Party England und Wales

Wenige Wochen vor dem Brexit-Datum steckt die Tory-Regierung in einer tiefen Krise. Ein Brexit ohne Vertrag mit der EU ist der Albtraum des Hauptteils der herrschenden Klasse. Sie hatte den Brexit größtenteils nicht unterstützt, zu groß war die Sorge um den Verlust ihrer Profite durch eine Lähmung des Handels und die Einführung von Zöllen. Wie es weitergeht, ist völlig offen. Große Teile des Establishments hoffen auf ein zweites Referendum, was aber die schon angeschlagene Glaubwürdigkeit von demokratischen Institutionen weiter untergraben würde.

Mays Deal mit der EU war genau das, was die bewussteren Teile der herrschenden Klasse forderten: Eine formelle Abkehr von der EU während so viele Verbindungen wie möglich aufrechterhalten werden. Britannien stünde für eine Übergangsperiode von zwei Jahren weiterhin unter EU-Recht. Nach dem Ende dieser Phase würde Britannien immer noch für weitere acht Jahre einigen EU-Regeln und der Unterordnung unter den Europäischen Gerichtshof unterliegen. In dieser Zeit könnte Britannien in Ruhe und damit besserer Verhandlungsposition eigene Handelsverträge mit der EU und Anderen vereinbaren.
Nicht nur die Tories, sondern auch Labour ist in der Brexit-Frage gespalten. Der Labour-Vorsitzende Corbyn war früher, als linker Hinterbänkler, immer gegen die EU. Jetzt folgt er den Mehrheitsbeschlüssen der Partei, also einer pro-EU-Position. Das hat den rechten Flügel („Blairites“) gestärkt. Sie sehen eine Chance, den Brexit im letzten Moment zu stoppen und setzen Corbyn unter Druck. Der kontert, dass Labour den Brexit aus Respekt vor dem Ergebnis des Referendums unterstützen würde, stellt sich aber korrekterweise gegen Mays Deal und fordert Neuwahlen. Anders als Corbyn unterstützt der Labour-Parteitag aber die Idee eines zweiten Referendums, wenn Neuwahlen nicht möglich sind.

Besonders bedeutsam ist der sogenannte "Nordirland Backstop". Hier gilt es zu verhindern, dass die bisher praktisch offene Grenze zwischen Nordirland und der Irischen Republik zu einer EU-Außengrenze wird. Keiner der Beteiligten will die Einführung einer harten Grenze, mit Zollstationen, Verkehrsverzögerungen etc. Aber wenn Britannien aus der EU-Freihandelszone fliegt, ist eine harte Grenze beinahe unvermeidbar.

Die Grenze hat tiefe historische und emotionale Bedeutung. Sie war ein wichtiger Grund für den Nordirlandkonflikt, der erst 1998 endete. Für die Einigung spielte es eine große Rolle, dass Britannien und Irland beide in der EU waren. Während Nordirland mehrheitlich gegen einen Brexit stimmte, war die sektiererische, protestantische „Democratic Unionist Party (DUP)“ dafür. Mit ihr ist keine Annäherung an die irische Republik zu machen und weil Mays Tories keine Mehrheit der Stimmen im Parlament besitzen, hängt das Überleben ihrer Regierung von der Unterstützung der DUP ab.

Umfragen zufolge ist die britische Arbeiter*innenklasse überwiegend für den Brexit, die Mittel- und Oberschicht dagegen. Die Wahlbeteiligung war höher als bei den meisten Wahlen, weil das Referendum eine Schicht von Arbeiter*innen zusätzlich mobilisierte, die sich von der etablierten Politik im Stich gelassen fühlt. Die Versprechen der EU glauben sie längst nicht mehr. Seit dem Referendum wurden Pro-Brexit Wähler*innen mit einer Wucht an herablassender Propaganda durch die kapitalistischen Medien überflutet. Aber die Arbeiter*innen verstehen sehr gut, dass die EU ein kapitalistischer Handelsblock ist, eine Front des globalisierten Neoliberalismus, dass der EU-Gerichtshof Arbeiter*innenrechten feindlich gegenüber steht, dass die EU Länder wie Griechenland in tiefe Armut zwingt, um die Profite des Kapitals zu verteidigen...
Gerne wird der Brexit im Zusammenhang mit dem Aufstieg der extremen Rechten in Europa gesehen, dabei wurde die rechtsextreme UKIP bei den anschließenden Wahlen heftig abgestraft und die neuerdings stark links ausgerichtete Labour-Party konnte deutlich dazugewinnen.

Trotzdem ist die Mehrheit der Gewerkschaften gegen den Brexit, weil ihre Führung sich auf die EU und ihre Institutionen für die Verteidigung von Arbeiter*innenrechten stützt, anstatt ihre Mitglieder für Kämpfe zu mobilisieren. Allerdings können Arbeiter*innen niemals auf kapitalistische Institutionen wie die EU vertrauen. Sozialist*innen müssen Illusionen der rechten Gewerkschaftsführung in die EU bekämpfen und Corbyn unter Druck setzen, die Forderungen nach einem Brexit der Arbeiter*innen aufzugreifen. Ein linker Brexit würde bestehende Arbeiter*innenrechte garantieren und auf gewerkschaftlichen Mindestlöhnen für alle Arbeiter*innen bestehen, egal woher sie kommen. Die Privatisierungen, die unter Druck der EU vollzogen wurden, könnten rückgängig gemacht werden und darüber hinaus Schlüsselindustrien verstaatlicht werden, ohne dass ein EU-Gerichtshof das verhindern würde.
So ein Programm würde die Arbeiter*innenklasse hinter Labour vereinen und Corbyn den Rückenwind geben, den er für den Kampf gegen die Parteirechte braucht. Eine Corbyn-Regierung mit einem sozialistischen Programm könnte dann einen Appell für ein sozialistisches Europa, statt der EU des Kapitals, an die Arbeiter*innenklasse der Krisenstaaten in der EU richten!


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