Berlin im Streik

SAV (dt. Schwesterorganisation der SLP) unterstützt Streiks der Landesbeschäftigten, Krankenhäuser und BVG
Michael Koschitzki

Kaum ein Tag vergeht in dieser Februar-Woche, ohne dass eine Gewerkschaftsdemonstration durch Berlin zieht. Die Landesbeschäftigten kämpfen im Rahmen der Tarifrunde der Länder für höhere Löhne, bei der BVG wird der Manteltarifvertrag neu verhandelt und die Therapeut*innen der landeseigenen Berliner Krankenhäuser Charité und Vivantes gehen erneut für gleichen Lohn auf die Straße. Die Berliner SAV war bei allen Streiks dabei und unterstützt sie tatkräftig.

„Das ist schon echt eine Pariser Woche“ sagte eine Physiotherapeutin der Charité in Anspielung auf französische Streiktraditionen zu Beginn der Woche. Tatsächlich hatte aber auch die französische Bahngewerkschaft mitgekriegt, was sich in Berlin abspielt. Deshalb wurde bei der Kundgebung von über 3.000 BVG- und BT-Beschäftigten eine Grußbotschaft der Pariser SNCF verlesen, die den Kolleg*innen viel Kraft und Erfolg wünscht.

Die BVG/BT Beschäftigten kämpfen im Rahmen ihrer Tarifrunde für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich von 39 auf 36,5 Stunden für alle Neubeschäftigten. Seit der Absenkung 2005 müssen nämlich alle neuen Kolleg*innen zweieinhalb Stunden mehr arbeiten. Und nach dem neuesten Abschluss in Brandenburg sind sie jetzt auch die schlechtbezahltesten Beschäftigten im Nahverkehr bundesweit. Und das vor dem Hintergrund, dass die Vorstandsvorsitzenden gleichzeitig zu den bestbezahltesten gehören. Auch innerhalb Berlins beträgt die Lohndifferenz beispielsweise zu S-Bahn-Fahrer*innen um die 900 Euro. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die BVG Probleme hat, Personal einzustellen.

Wut auf die Streiks?

Alle großen Berliner Tageszeitungen haben gegen die Streiks gewettert. „Streikt uns mal den Buckel runter“ titelte der Berliner Kurier. Doch die Erfahrungen der Kolleg*innen waren positiver als beim letzten Streik vor elf Jahren. Viel weniger Anfeindungen gab es diesmal, weil mehr Leute verstehen, dass solche Löhne zu niedrig sind und die Arbeitsbelastung zu hoch. Die SAV Berlin verteilte ein Flugblatt unter dem Titel „Streiken! Nicht buckeln!“ um ihre Solidarität zu überbringen und den Kolleg*innen den Rücken zu stärken.

Ähnliches hatten Erzieher*innen berichtet, die am Mittwoch streikten. Anders als in anderen Bundesländern gehören sie zur Tarifrunde der Länder. Mit insgesamt 12.000 Streikenden übertraf ihr Warnstreik alle Erwartungen. Vor allem die Erzieher*innen, die mehrere hundert Euro weniger verdienen, als im Nachbarbundesland, waren eine treibende Kraft hinter dem Streik – über dreiviertel der Streikdemo waren von GEW-Fahnen gesäumt. Einige Eltern solidarisierten sich mit den Erzieher*innen, auch weil zahlreiche KITA‘s ihre Platzkapazitäten aufgrund von Personalmangel nicht ausfüllen können und es in Berlin extrem schwer ist, einen Kitaplatz zu bekommen.

Das von der SAV verteilte Flugblatt vom Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di mit dem Titel „Volle Durchsetzung der Forderungen: nötiger denn je“ kam deshalb auch sehr gut an. Aber auch die aktuelle Zeitung mit mehreren Artikeln über Mieterkämpfe und die Enteignung von Deutsche Wohnen fand großes Interesse, weil die Mietsteigerungen der letzten Jahre bei vielen jede Lohnerhöhung aufgefressen hatte.

Was macht Rot-Rot-Grün?

Der Berliner Finanzsenator Kollatz leitet auf der Arbeitgeberseite die Verhandlungen beim Tarifvertrag der Länder. Bei der BVG, Charité und Vivantes streiken landeseigene Betriebe. Die Rot-Rot-Grüne Regierung hat sich „Gute Arbeit in der sozialen Stadt“ in den Koalitionsvertrag geschrieben. Aber in ihrer Praxis ist bisher kein großer Unterschied zu spüren: Kollatz wehrt sich gegen Zuschläge für Pflegekräfte und die Forderungen der Landesbeschäftigten. Die BVG legte bisher kein Angebot vor und forderte Beschäftigte sogar zu Streibruch auf. Bei der Charité und Vivantes wurden zwar die nächsten Landeszuschüsse an einen Plan zur Rückführung der Töchter CPPZ und VTD gekoppelt, doch die Geschäftsführungen weigern sich weiterhin die Lohnungleichheit zu beenden.

DIE LINKE müsste klar machen, dass sie voll hinter den Forderungen der Beschäftigten steht und sich für deren Umsetzung stark macht. Doch bei den Streiks trat die LINKE nicht sichtbar auf. Dabei greifen die Beschäftigten sogar Forderungen von ihr auf. Beispielsweise fordern sie bei den Ländern, dass Eingruppierungen unter dem Landesvergabemindestlohn von 11,30 Euro, den DIE LINKE mit durchgesetzt hat, abgeschafft werden.

DIE LINKE sollte aktiv für die Einhaltung des Flächtentarifvertrag und höhere Löhne werben und eine Kampagne zur Unterstützung der Beschäftigten organisieren. Im Senat sollte sie für die Erfüllung der Forderungen eintreten und auch Druck auf den Finanzsenator und die landeseigenen Betriebe ausüben. Wenn sie dem nicht folgen, sollte sie auch mit dem Austritt aus der Regierung drohen, um sich klipp und klar an die Seite der kämpfenden Beschäftigten zu stellen und Solidarität dafür in der Stadt organisieren.

Wie weiter?

Weil es letztendlich alles Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes sind, liegt es auf der Hand, die Streiks zusammenzuführen und gemeinsam auf die Straße zu gehen. Ein Schulterschluss von Erzieher*innen, Busfahrer*innen, Krankenhausbeschäftigten usw würde die eigene Stärke bewusst machen und ein gemeinsamer Austausch hätte eine enorm motivierende Wirkung. Die Gewerkschaftsführung hätte die Möglichkeit, zu gemeinsamen Kundgebungen aufzurufen. Der Besuch der Beschäftigten der CPPZ bei den Streiks und deren Erwähnung ist dafür ein erster Anfang.

Bei der BVG glaubten viele Beschäftigten nicht daran, dass die Gewerkschaftsführung für die volle Durchsetzung der Forderungen kämpft. In Redebeiträgen war auch mehr von „Angeboten“ und „Verhandlungen“ die Rede als von der Durchsetzung von Forderungen. Gerade bei der BVG hat ver.di in der Vergangenheit schmerzhafte Verschlechterungen mitgetragen (teilweise unter einem SPD-LINKE Senat). Um wirklich Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen, braucht es dafür eine ganz andere kämpferische Strategie bis hin zu unbefristeten Streiks. Mögliche Angebote sollten auf Streikversammlungen vorgestellt und dort richtig diskutiert werden, so dass die Beschäftigten von unten entscheiden können, wie weit sie kämpfen und was sie durchsetzen wollen.

Mit einem Erfolg bei der BVG hätte auch das Thema Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als Antwort auf Arbeitshetze und schlechte Arbeitsbedingungen wieder mehr Rückenwind. Ein Antrag für eine bundesweite Kampagne liegt dazu schon auf Initiative von SAV Mitgliedern vom Landesbezirksfachbereich Medien, Kunst und Industrie Berlin-Brandenburg beim ver.di Bundeskongress vor.

Unmittelbar brauchen auch die Beschäftigten der CPPZ volle Unterstützung. Ihr Kampf kann eine wichtige Signalwirkung gegen Outsourcing und Niedriglohn in der Stadt und im Krankenhausbereich generell haben. Sie befinden sich ab jetzt durchgehend im Streik. Solidaritätsadressen können geschickt werden an mk[at]sav-online.de und werden an die Kolleg*innen weitergeleitet.