Aller Anfang ist schwer…

Teil 1 der Artikelserie: Geschichte der österreichischen Arbeiter*innenbewegung
Sebastian Kugler

Arbeiter*innenklasse und –bewegung in Österreich: Eine widersprüchliche und revolutionäre Entwicklung.

Als „ewiges Bollwerk der Barbarei“ bezeichnete Friedrich Engels das habsburgische Österreich Anfang 1848. Die Auswirkungen der englischen industriellen Revolution und der französischen sozialen Revolution brachten in Europa im 19. Jahrhunderts immer mehr den Kampf des Proletariats um das Ende jeglicher Ausbeutung auf die Tagesordnung. Doch das „biedermeierliche“ Österreich schien trotz seiner Größe und politischen Macht dem Zeitgeist hinterherzuhinken. Das hatte gute Gründe: Die Epizentren des frühen Kapitalismus hatten sich im 17. und 18. Jahrhundert ja vor allem rund um Handelsstädte an wichtigen Küsten gebildet, und davon hatte die Monarchie nur eine (Triest). Im 18. Jahrhundert hatten die Habsburger unter Maria Theresia und Joseph II. noch versucht, dem Kapitalismus Starthilfe zu verschaffen: Der Staat förderte den Handel, erste Fabriksgründungen und befreite sie vom Zunftzwang, die drückendsten Formen der Leibeigenschaft wurden abgeschafft. Ein unabhängiges und starkes Bürgertum, das in anderen Ländern der Träger dieser Entwicklungen war, bildete sich so allerdings kaum. Die Französische Revolution 1789 jagte dem Kaiserhaus schließlich einen solchen Schrecken ein, dass Kaiser Franz II/I sich alle Mühe gab, die kapitalistische Entwicklung, und mit ihr die Entstehung der neuen gesellschaftlichen Kräfte Bürgertum und Proletariat, aufzuhalten. Bauverbote für Fabriken im Wiener Umland wurden beschlossen. Auf die Förderung des Eisenbahnwesens angesprochen, antwortete der Kaiser: „Na, na, durch die Eisenbahnen käm' nur die Revolution ins Land.“

Dennoch begann das Bollwerk zu bröckeln. Ironischerweise beschleunigte sich diese Entwicklung erst nach dem konterrevolutionären Sieg Österreichs und seiner Verbündeten über das napoleonische Frankreich 1815. Vor allem die westlichen Gebiete der Monarchie wurden in den Strom des Kapitalismus gerissen. Federführend war dabei die Textilindustrie, besonders in Niederösterreich und Böhmen. Bezeichnenderweise war es vor allem ausländisches Kapital, das diese Entwicklungen in Gang setzte, wie etwa John Thornton aus Manchester, der die Technologie der englischen Textilindustrie nach Österreich brachte. Brünn (heute Brno) erlangte aufgrund seiner Textilfabriken sogar den Beinamen „Manchester Österreichs“. Den Inseln der Industrialisierung standen jedoch breite Landstriche gegenüber, die immer noch stark feudal geprägt waren: „Kennzeichnend für die stoßweise vorangetriebene frühe Industrialisierung der österreichischen Monarchie war die ungleichmäßige Entwicklung, die zu auffallenden Disproportionalitäten [Ungleichgewichten] führte.“ (Wolfgang Häusler). So entstanden die „für Österreich typischen feudal-kapitalistischen Mischverhältnisse“ (Ernst Hanisch). Die politischen Konsequenzen dieser „ungleichen und kombinierten Entwicklung“ (Leo Trotzki) waren zweierlei: Einerseits blieben Adel und Grundbesitz politisch vorherrschend – das Bürgertum war nicht nur zu schwach, eine bürgerlich-demokratische Entwicklung voranzutreiben, sondern auch unwillens, da es sich im Schoße der Monarchie entwickelt hatte und auf ihre Stabilität angewiesen war. Andererseits entstand ein modernes Proletariat, das sich sowohl gegen seine wirtschaftlichen Ausbeuter (das Bürgertum) als auch seine politischen Unterdrücker (den Adel) in Stellung brachte. Die Lage der arbeitenden Klasse in Österreich stand dabei an Armut und Elend ihrer englischen Vorgängerin um nichts nach.

Das Revolutionsjahr 1848 fand unter diesen Voraussetzungen in Österreich einen fruchtbaren Boden. Und es ist nicht verwunderlich, dass es das Proletariat war, welches die größte revolutionäre Energie entfaltete. Der 1848er-Revolutionär Violand berichtet in seinen Erinnerungen: „Die entschlossene Haltung der Arbeiter gab den entscheidenden Ausschlag […] niemand konnte auch wütender über die Zustände in Österreich sein als das Proletariat, welches für sein Leben kämpfte.“ Während im März Proletariat und Bürgertum noch gemeinsam für demokratische Rechte und soziale Verbesserungen kämpften, wechselten immer größere bürgerliche Schichten im Verlaufe des Jahres die Seiten, als sie erkannten, dass ein Sieg der Revolution den gesamten Habsburgerstaat sprengen würde. Leo Trotzki schrieb über die Ereignisse: „Die Arbeiter waren tapfer genug, die Reaktion zu zerschlagen, aber nicht organisiert und bewusst genug, um deren Erbe anzutreten. Es gab eine kraftvolle Arbeiterbewegung, aber noch keinen entwickelten Klassenkampf des Proletariats, der sich bestimmte politische Ziele gesetzt hätte.“ Dafür fehlten Erfahrung, Theorie und Organisation. Die Folgen waren blutig: Im August massakrierte die bürgerliche Nationalgarde in der „Praterschlacht“ demonstrierende Arbeiter*innen. Als im Oktober kaiserliche Truppen Wien zurückeroberten, stellte sich ihnen nur das Proletariat entgegen: Mehr als 240 der 360 Toten der Oktoberkämpfer waren Fabriksarbeiter*innen. Dennoch hatte die Klasse grundlegende Kampf- und in Form des „Ersten Wiener Allgemeinen Arbeitervereins“ auch politische Organisationserfahrung gesammelt.

 

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