1848 und die Folgen: Eine neue Hoffnung 

Teil 2 der Artikelserie: Geschichte der österreichischen Arbeiter*innenbewegung
Albert Kropf

Revolution 1848: Anfangs sind die Arbeiter*innen im Schlepptau des Bürgertums. Im August wird den Erdarbeiterinnen der Lohn gekürzt, die folgenden Proteste, geführt von Frauen, werden von der bürgerlichen Nationalgarde in der “Praterschlacht” niedergeschossen. Ab da und spätestens dem Oktoberaufstand geht die revolutionäre Initiative auf die Arbeiter*innen über, das Bürgertum schließt Frieden mit dem alten Regime. Der sich in der Revolution gegründete “Erste Allgemeine Arbeiterverein” wird verboten. Das zeigt: Es braucht eigenständige Organisierung. Marx und Engels beschreiben diese Wandlung von der “Klasse an sich” zur “Klasse für sich”.

Trotz der harten Reaktion nach 1848 zeigte sich der Niedergang der Habsburgermonarchie auch in militärischen Niederlagen (Italienische Einigungskriege, Königgrätz 1866). Damit war die seit 1848 offene Frage der deutschen Einigung ohne Österreich “geklärt”. Um den Zerfall der Monarchie einzudämmen, folgte der “Ausgleich” mit Ungarn 1867, gemeinsam blieben Außen-, Kriegs- und Finanzministerium. Für den österreichischen Teil gab es Staatsgrundgesetz und Ende des Versammlungsverbots. Sofort erwachte die Arbeiter*innen-Bewegung, es wurden „Arbeitervereine“ gegründet, Pensions- und Invaliditätskassen, Keime der Gewerkschaften - Nun aber wesentlich politischer.

Für Teile der Arbeiter*innen-Bewegung bestand die 1848er Idee der deutschen Einigung nach Königgrätz weiter. Dadurch und durch das lange Verbot von Organisationen, konnte das stark auf preußischen Staat und legale Vereine orientierte Lassallianertum in Österreich nicht Fuß fassen. Im Gegenteil bestand der Kontakt zur Gruppe um Bebel und Liebknecht, die mit Marx und Engels in Verbindung standen. So waren bei der Gründung der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) im deutschen Eisenach 1869 österreichische Delegierte anwesend, die Kontrollkommission der für ganz Deutschland gegründeten Partei war in Wien. Das nützte die staatliche Reaktion: Unter dem Vorwand der gemein- und staatsgefährdenden Verbindung mit der SDAP wurden 1870 beim Hochverratsprozess führende Persönlichkeiten zu langer Haft verurteilt, die Arbeiter*innen-Bewegung unterdrückt. Der Rückschlag war durch die Wirtschaftskrise der 1870er Jahre verstärkt, viele Organisationen brachen unter wirtschaftlichem und politischem Druck zusammen. 

1874 war der Versuch, die verzweigten Äste beim Gründungskongress im damals ungarischen Neudörfl (heute Burgenland) zu vereinen. Doch waren die Unterschiede zu groß, die Spaltung blieb aufrecht. Wenn man sich aber nicht kollektiv organisieren und kämpfen kann, fallen individuelle Lösungen auf fruchtbaren Boden. Verzweifelte, anarchistische terroristische Anschläge gegen Polizeispitzel, Obrigkeit, Vorarbeiter etc. waren typisch für die 1880er. Doch keimte mit der wirtschaftlichen Erholung auch ein neuer Zweig der Arbeiter*innen-Bewegung um Victor Adler heran: Der ursprünglich bürgerlich-liberale Arzt stellte sich durch seine Frau Emma in den Dienst der sozialdemokratischen Bewegung. Sein Verdienst war, unterschiedliche Zugänge 1888/89 am Hainfelder Parteitag zu vereinen. Doch es mangelnde an marxistischer Tiefe. Waren anfangs Kautsky und Engels eine Stütze, fiel dieser notwendige Gegenpol zunehmend weg. Dass die großen Debatten der 2. Internationale wie der Revisionismus-Streit Bernsteins kaum in Österreich stattfanden, war nicht marxistischer Prinzipienfestigkeit geschuldet. Es fehlten vielmehr die objektiven Voraussetzungen. Der Neoabsolutismus erlaubte kein Mitregieren und Integration in den Staat wie in Deutschland nach dem Ende der Bismarck’schen Sozialismusgesetze.

Ein Hauptaugenmerk lag auf Koalitions- und allgemeinem Wahlrecht. Ersteres wurde 1890 durch die Gründung reichsweiter Gewerkschaftsverbände erkämpft. Zweiteres war Produkt der russischen Revolution von 1905. Neben sozialer Ungerechtigkeit war die nationale Unterdrückung wesentlicher Antrieb in Russland. Das schwappte auf die Vielvölker-Monarchie über. Um Ungarn zu halten, versprach der Kaiser in deren Reich das allgemeine Wahlrecht. Auch der tschechische Teil forderte im Sog der Revolution den Generalstreik fürs Wahlrecht, die Parteiführung zauderte. Der Streik wurde dennoch angekündigt, aber Adler versicherte in Geheimverhandlungen dem Kaiser, dass für die SDAP Revolution nicht auf der Tagesordnung stünde. Letztlich erreichte ein Massenprotest vor dem Parlament das Wahlrecht in Österreich, ohne Generalstreik aber nur für Männer.

War die Orientierung auf Deutschland anfangs fortschrittlich, wandelte sie sich zum Österreich-Chauvinismus gegenüber der Mehrheit der Monarchie. Sowohl Partei als auch Gewerkschaften brachen an ethnisch, sprachlichen Linien. Beim 1. Weltkrieg agierte die SDAP ähnlich wie das Gros der 2. Internationale. Bis zum Ausbruch gab man sich radikal pazifistisch, als es soweit war, stand die SDAP der österreichischen herrschenden Klasse zur Seite. Dass sie sich im Gegensatz zur SPD mit der Zustimmung der Kriegskredite nicht die Finger schmutzig machte, lag schlicht daran, dass sie nicht gefragt wurde. Die Sozialdemokratie hatte den Praxistest nicht bestanden, war am Österreich-Chauvinismus und der eigenen Prinzipienlosigkeit zusammengebrochen, ein Neuanfang stand wieder auf der Tagesordnung.

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