Frauen und LGBT

Der rechte Rand

Sarah Lammer

Sie leben im „unfreiwilligen Zölibat“. In Online-Netzwerken teilen sie Vergewaltigungs- und Mordfantasien und rufen zu Gewalttaten auf. Ziel ihrer Attacken sind neben Frauen häufig auch Muslime/a oder Jüd*innen, die sie für das Aussterben der „weißen Rasse“ verantwortlich machen.

Damit bedienen die sogenannten ‚Incels‘ (involuntary celibate) die Klassiker antifeministischer, rassistischer Weltanschauungen und bieten ein lukratives Rekrutierungsfeld für Rechte und Rechtsextreme.

FPÖ und Burschis fischen in diesem Sumpf, wenn behauptet wird, „Gendermainstreaming“ und Menschenrechte würden „den Völkern von oben herab (...) aufgezwungen“ (Axel Kassegger, FPÖ) oder „normal geblieben“ sei nur, an wem „Political Correctness und Genderwahn spurlos vorbeigezogen“ seien (Burschenschaft Olympia).

Die Identitären propagieren die rassistische Verschwörungstheorie des „großen Bevölkerungsaustausches“, die auch von Populist*innen wie Trump, Beatrix von Storch oder Strache benutzt wird. Sie alle sehen Frauen in ihrer „traditionellen Rolle“. Passend wettern christliche Fundis wie Rudolf Gehring gegen Abtreibung und Muslime/a, womit eine rechte Szene bedient wird, die sich mit den Incels überschneidet.

Auch wenn das Phänomen bis dato in Österreich kaum relevant erscheint, gab es bereits konkrete Gewaltakte (z.B. „Eisenstangen-Morde“ Wien 2018), die der Strömung zuzuordnen sind. FPÖ, Identitäre & Co. befeuern dieses Milieu, das immer weiter abdriftet in seine eigenen Wertesysteme und dabei zunehmend gefährlicher wird.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Polen: Massenbewegung zur Verteidigung der Abtreibungsrechte

Corona kann den massenhaftenden Zorn nicht aufhalten!
Paweł Nowak, Alternatywa Socjalistyczna (ISA in Polen)

Nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts vom vergangenen Donnerstag, dass Abtreibung bei fötalen Defekten verfassungswidrig sei, haben Proteste und Massendemonstrationen das Land überrollt und täglich an Zahl zugenommen. Nachdem das Urteil am Donnerstag verkündet worden war, zog eine spontane Demonstration am den Sitz der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) in Warschau vorbei, dann weiter zum Wohnhaus von Jarosaw Kaczyński, dem Vorsitzenden der PiS. Die Demonstrationen und Proteste haben seit der Verkündung des Urteils jeden Tag stattgefunden, an Umfang zugenommen und sich über das ganze Land ausgebreitet. Am Sonntag stürmten Tausende von Demonstrant*innen die Kirchen und standen in vielen Städten vor einer Auseinandersetzung mit der Polizei. Am Montag brachten Blockaden in über 50 Städten den Verkehr im Land zum Erliegen.

Abtreibung ist bereits bisher fast unmöglich

Gegenwärtig ist Abtreibung in Polen immer noch legal, in Fällen von Vergewaltigung, Inzest oder wenn das Leben oder die Gesundheit der Frau in Gefahr ist. In der Praxis wird das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch in diesen Fällen jedoch in der Regel durch das "Gewissen" des Arztes/der Ärztin blockiert, und es gibt Regionen des Landes, in denen kein Krankenhaus einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt. Der andere Fall eines legalen Schwangerschaftsabbruchs, bei dem der Fötus schwer geschädigt ist, wurde erstmals vor vier Jahren angegriffen, als ein Gesetzentwurf zur Einführung eines Verbots im Parlament diskutiert wurde. Damals entwickelte sich über mehrere Monate hinweg eine Massenbewegung, die in einem "Frauenstreik" gipfelte, an dem sich auch Schüler*innen und Studierende beteiligten. Aus Furcht, dass die Bewegung außer Kontrolle geraten könnte, beschloss die PiS, den Gesetzentwurf zum Abtreibungsverbot in die parlamentarische "Gefriertruhe" zu legen.

Nun hat die PiS jedoch erneut beschlossen, das Verbot durchzusetzen, indem sie zynisch die Tatsache ausnutzt, dass die neuen Pandemieeinschränkungen im Land öffentliche Versammlungen von mehr als fünf Personen verhindern. Die Verärgerung ist besonders groß, da dieses Urteil, das von Kaczyński's Handlangern im Verfassungsgericht verkündet wurde, zu einer Zeit kommt, in der die Covid-19-Pandemie mit täglich über 16.000 Neuinfektionen in Polen außer Kontrolle gerät. Doch wenn die PiS glaubte, dieses Verbot mit einem Minimum an Aufhebens einführen zu können, hat sie die tiefe Betroffenheit des Landes in dieser Frage ernsthaft unterschätzt. Der Ausbruch von Wut ist vergleichbar mit dem Abwurf einer Bombe in einen Vulkan, der vier Jahre lang relativ ruhig war. Trotz der Fünf-Personen-Grenze ist der Bogen der Bewegung heute viel weiter gespannt, mit viel größeren und wütenderen Protesten als vor vier Jahren, vor allem in den kleineren Städten.

Die Jugend ist auf der Straße

Wie vor vier Jahren sind viele junge Menschen beteiligt - Studierende und Schüler*innen. Doch diesmal hat die Wut gegen die PiS, die katholische Kirche und die rechtsextreme Partei Konfederacja Wolność i Niepodległość (Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit) den Siedepunkt erreicht. Es ist auch eine viel größere, breitere und spontanere Bewegung als vor vier Jahren. Obwohl die Facebook-Gruppen, die vor vier Jahren die Proteste organisierten, auch jetzt zum Handeln aufrufen, gibt es vor Ort keine Organisator*innen, keine Redner*innen, und Verlauf und Dauer der Demonstrationen kann man nur vermuten.

Vor vier Jahren konnten sich die Liberalen um die PO (Bürgerplattform) und das KOD (Komitee zur Verteidigung der Demokratie) an die Spitze der Bewegung stellen und die radikaleren Stimmen zum Schweigen bringen und sogar Protestierende ausschließen, die "vulgäre" Slogans auf ihren Plakaten hatten oder Abtreibung auf Verlangen forderten. Linken politischen Organisationen war es an vielen der Protete sogar verboten, Flugblätter zu verteilen.

Im Gegensatz dazu ist die Wut so groß, dass der zentrale Slogan nun "Wypierdalać!" (Verpisst euch) lautet. Ein anderer beliebter, aber subtilerer Slogan lautet "Ich wünschte, ich könnte meine Regierung abtreiben". Offensichtlich wollen die Protestierenden nicht einfach das Urteil des Verfassungsgerichts rückgängig machen - sie wollen die Regierung von Recht und Gerechtigkeit und die korrupte Kirchenhierarchie, die den Staat beherrscht, loswerden.

Für Mittwoch, den 28. Oktober wurde ein "Frauenstreik" ausgerufen. Alternatywa Socjalistyczna und die sozialistische feministische Kampagne Rosa Polska fordern die Gewerkschaften auf, sich klar gegen das Abtreibungsverbot auszusprechen, den Streik vom Mittwoch aktiv zu unterstützen und sich darauf vorzubereiten, in Zukunft einen eintägigen Generalstreik zu diesem Thema vorzubereiten. Wir rufen auch alle Schüler*innen und Studierenden auf, ihren Onlineunterricht am Mittwoch zu bestreiken, ihre Opposition zu zeigen und sich zu organisieren. Wir fordern Studierende und Schüler*innen auf, demokratische Komitees für den Widerstand auf Basis ihrer Schulklassen, Schulen und Hochschulen zu bilden.

  • Wir kämpfen nicht nur gegen den gegenwärtigen Angriff auf das Abtreibungsrecht. Wir fordern das Recht der Frau, über ihren Körper entscheiden zu dürfen - Abtreibung auf Verlangen, ohne Fragen zu stellen, kostenlos und mit freiem und einfachem Zugang zu Empfängnisverhütung.
  • Der Einfluss religiöser Fundamentalist*innen auf den Staat, das Gesundheitswesen und die Schulen muss beseitigt werden. Wir fordern eine massive Erhöhung des Gesundheitsbudgets, um die COVID-19-Pandemie zu bekämpfen und die reproduktiven Rechte der Frauen zu verbessern.
  • Eine kostenlose Kinderbetreuung.
  • Eine massive Erhöhung des Betreuungsgeldes für Eltern von behinderten Kindern und Erwachsenen.
  • Die Trennung von Kirche und Staat.
  • Den Ersatz des Religionsunterrichts in den Schulen durch Sexualerziehung, die von gut ausgebildeten Fachpädagog*innen unterrichtet wird.
  • Schließlich muss diese religiös-fundamentalistische rechte Regierung abgeschafft werden - treiben wir PiS-Regierung ab, und das System, das sie vertritt.
  • Aber damit Frauen wirklich eine Wahl haben, dürfen wir nicht dabei stehen bleiben. Wir müssen die gesellschaftlichen Grundlagen verändern, die uns einengen. Das erfordert sozialistische Veränderungen.

Mehr unter http://socjalizmxxi.nazwa.pl/mainsite/

Gewalt gegen Frauen hat System!

Am 25.11. ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Das geht uns alle an!
Sonja Grusch

Lies weiter, denn dieses Thema betrifft uns alle: Wir sind selbst betroffen, haben eine Kollegin, eine Schwester, eine Freundin, die ein blaues Auge überschminkt, Flecken auf den Armen auch bei Hitze mit langen Ärmeln verdeckt oder zusammenzuckt, wenn jemand laut wird. Hin und wieder „schafft“ es ein Fall in die Medien, meist erst wenn eine Frau tot ist. Fakt ist, dass mindestens 1 von 5 Frauen betroffen ist. Fakt ist auch, dass kaum was dagegen getan wird.

Jetzt könnte man denken, naja was kann man denn schon tun, wenn einer auszuckt. Aber so simpel ist die Sache nicht. Warum müssen so viele Frauen in einer Beziehung bzw. „Wohngemeinschaft“ bleiben mit einem Mann, der gewalttätig ist? Weil es zu wenig leistbaren Wohnraum gibt und weil die Einkommen der meisten zu niedrig sind, um zwei Haushalte finanzieren zu können. Viele Frauen bekommen nur Teilzeitjobs, es fehlt an Kinderbetreuung und an Vermögen sowieso. Wer finanziell abhängig ist, kann sich oft nicht trennen. Und dann ist da noch die Frage, warum zuckt der Typ aus? Weil er selbst ein Gewaltopfer ist? Weil er den Druck im Job nicht aushält? Weil das ganze Leben Sch*** ist? All das ist garantiert keine Ausrede – aber eine Erklärung. D.h. auch hier wäre es notwendig, zu unterstützen, Druck raus zu nehmen und Perspektive zu geben. Doch weder Hilfe für die eine, noch für die andere Seite ist groß ein Thema für die herrschende Politik.

Gewalt gegen Frauen ist tief verwurzelt im (kapitalistischen) System, das die „traditionelle“ Familie ebenso braucht wie die unbezahlte Arbeit von Frauen in Haushalt und Familie. Darum bleiben die Maßnahmen der Herrschenden auch bestenfalls an der Oberfläche. Während Milliarden zur Stützung der Profite ausgegeben werden, stehen weiterhin Wohnungen aus Spekulationsgründen leer, die dringend benötigt werden. Gerade Frauen sind die ersten, die den Job verlieren und sie sind auch 2021 noch schlecht(er) bezahlt. Aufklärung ist gut, aber ein finanziell unabhängiges Leben ist besser. Doch das muss erkämpft werden!

Die SLP fordert:

  • Gewalt gegen Frauen muss Gewerkschaftsthema werden. Für eine Aufklärungskampagne in allen Gewerkschaftsmedien
  • Leistbarer Wohnraum für alle durch Wohnbauoffensive und Enteignung von leerstehendem Wohnraum.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sexismus? Nicht mit Mir!

Chris Melt

Am 20.9 gab es ein erfolgreiches Treffen von „Nicht mit mir“ in Wien. Es kamen Teilnehmer*innen aus verschiedenen Bundesländern. „Nicht mit mir“ ist die sozialistisch-feministische Kampagne der SLP, die schon länger am Laufen und Teil von Rosa-International ist.

Beim Treffen haben wir unsere Kampagne zum internationalen Aktionstag gegen Gewalt an Frauen am 25.11. geplant. Wir haben vor, uns mit verschiedenen Aspekten von Gewalt gegen Frauen, wie Sexismus, dem Gesundheits- und Sozialbereich und insbesondere der Arbeit der Gewerkschaften in diesem Bereich auseinander zu setzen und Aktionen zu den jeweiligen Themen zu machen. Ebenfalls haben wir vor, weitere Aktivist*innentreffen zu organisieren, zu denen jeder und jede herzlich eingeladen ist: Beteilige auch du dich!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Stellungnahme zu den Vorwürfen des Coacc

Das Coacc, eine kleine Gruppe die sich selbst als Aktivist*innen gegen Sexismus definiert, hat die SLP mit einer Aktion kritisiert. Kern des Vorwurfs ist, dass ein Mitglied der SLP noch Mitglied ist, obwohl er vor rund 6 Jahren und vor seiner SLP-Mitgliedschaft ein sexuell übergriffiges Verhalten hatte. Die SLP nimmt jeden Vorwurf bezüglich Sexismus und übergriffigem Verhalten sehr ernst, wir haben diesen Fall, als er uns vor ca. 1,5 Jahren bekannt wurde, untersucht und entsprechende Maßnahmen gesetzt. 

Zu unserem grundsätzlichen Umgang mit Sexismus und übergriffigem Verhalten, dem Spannungsfeld zwischen Opferschutz, gesellschaftlichem Hintergrund und Täter*innenarbeit möchten wir auf diese längere Stellungnahme verweisen: https://www.slp.at/artikel/stellungnahme-zum-umgang-mit-sexismus-10086

Zum konkreten Fall

Zum konkreten Fall müssen wir zu den vom Coacc in skandalisierender Form vorgebrachten Vorwürfe hier die Fakten nennen: Es handelt sich um Ereignisse aus dem Jahr 2014, die mehrere Monate vor dem Beitritt des Genossen zur SLP stattgefunden haben. Zwischen den Beteiligten gab es einen Altersunterschied von 3 Jahren. Es kam zu übergriffigem Verhalten, das wir klar ablehnen. Was das Coacc allerdings verschweigt: der betroffene Genosse selbst lehnt dieses Verhalten inzwischen entschieden ab. Es gibt keine Rechtfertigung, kein Herunterspielen, keine Relativierung - sondern das Verständnis für ein grundlegend falsches Verhalten. Das zeigt den problematischen Umgang von Coacc mit der Frage von Übergriffen: es wird ignoriert, dass in den Jahren, die seither vergangen sind, eine massive Veränderung im politischen Bewusstsein und im Verhalten des Genossen stattgefunden hat. 

Wir akzeptieren die persönliche Betroffenheit der Person. Aber wir lehnen den Ansatz ab, den das Coacc wiederholt ausdrückt und der im Endeffekt darauf hinausläuft, dass alle, die sich jemals in ihrem Leben sexistisch verhalten haben, dauerhaft von politischer Aktivität ausgeschlossen werden müssen, unabhängig davon ob eine Veränderung im Bewusstsein und ein Verständnis für ihr Fehlverhalten bzw. eine Weiterentwicklung stattgefunden hat. Dieses Verständnis zu “Strafe” und “Sanktionen” kennen wir von Rechtsextremen und Faschist*innen - unseres ist es nicht. Wir möchten unser Verständnis mit einem Vergleich zu einer anderen Frage deutlich machen: kann ein Nazi-Aussteiger, der nun aktiv gegen Faschismus kämpft und selbstkritisch sein früheres Verhalten reflektiert, aktives Mitglied in einer antifaschisten Organisation sein? Wir beantworten diese Frage mit einem klaren Ja.

Wir wollen als Sozialist*innen eine Mehrheit der Arbeiter*innenklasse für unsere Idee und Organisationen gewinnen um das kapitalistische System von Ausbeutung und Unterdrückung zu stürzen. Es ist eine Tatsache, dass in der Mehrheit der aktuellen Bevölkerungen verschiedene sexistische und rückschrittliche Ideen noch sehr präsent sind. Wir alle werden in einer kapitalistischen Gesellschaft mit patriarchalen Rollenbildern sozialisiert, und kaum jemand wird sich nicht schon einmal sexistisch oder auch rassistisch verhalten haben. Wir sind uns dessen bewusst, aber wir akzeptieren keinerlei sexistisches Verhalten und bekämpfen es entschieden. Wir sind aber auch davon überzeugt, dass Menschen sich ändern können. 

Kollektive demokratische Diskussion nötig

Das Coacc ist eine anonyme Struktur und beansprucht ohne demokratische Legitimation, für die gesamte Linke Maßstäbe und Verhaltens- sowie Umgangsnormen zu definieren. Die Aktivist*innen entziehen sich auch jeglicher Diskussion außerhalb ihres eigenen, engen Kreises. Debatten, Erfahrungen und Umgänge in anderen Organisationen, auch der SLP, ignorieren sie dabei völlig.

Als SLP gehen wir die Sache anders an, für uns ist der Kampf gegen Sexismus in- und außerhalb unserer Organisation ein zentrales Thema - für uns stellt sich immer die Frage wie man sexistisches Verhalten konkret und grundsätzlich bekämpfen kann. Schon lange vor der Gründung des Coacc haben wir im Dezember 2019 beschlossen, als Organisation einen detaillierten Leitfaden zum Umgang mit sexistischem Verhalten zu erarbeiten. Wir haben diese Entscheidung getroffen, weil wir eine Organisation brauchen, in der Mitglieder nicht durch diskriminierendes Verhalten an ihrer politischen Arbeit und Entwicklung gebremst werden. Der Leitfaden erfasst Themen vom Umgang mit sexistischen Sprüchen und Vorurteilen bis hin zur Vorbeugung und dem Umgang mit sexistischen Übergriffen. Diesen Leitfaden haben wir auch unter Einbeziehung der Erfahrungen anderer Sektionen unserer Internationale erarbeitet und diskutieren ihn in allen Parteigremien um ihn auf unserer Konferenz Ende diesen Jahres zu beschließen - das bedeutet Diskussionen in unserer Bundesleitung, dem Bundesvorstand, unseren lokalen Treffen und der sozialistisch-feministischen Initiative “Nicht mit mir - Rosa International”. Eine intensive, demokratische und kollektive Diskussion, wie sie so wohl kaum in einer anderen linken Organisation zu finden ist. 

Raus aus der innerlinken Komfortzone

Die Methoden von Coacc mögen “aufsehenerregend” sein, sie helfen allerdings weder dabei, Sexismus insgesamt, noch innerhalb der Linken zu bekämpfen. Das Ziel von Coacc ist es, Menschen, die sich sexistisch verhalten haben, zu stigmatisieren und zu isolieren. Es werden also bestenfalls Symptome, aber keine Ursachen, bekämpft. Coacc geht es darum, einzelne Fälle möglichst öffentlichkeitswirksam anzusprechen, dabei tragen sie aber dazu bei, den Umgang mit Fällen zu tabuisieren: sexistisches Verhalten gibt es in allen linken Organisationen. Es wird sich aufgrund der gesellschaftlichen Sozialisierung in einer kapitalistischen Gesellschaft mit patriarchalen Unterdrückungsmustern auch in der Linken wohl kaum ein Mann finden, der sich im Laufe seines Lebens nicht irgendwann sexistisch verhalten hat. Ein ernsthafter Zugang innerhalb der Linken muss diese Tatsache zur Kenntnis nehmen und einen entsprechend strukturierten Umgang entwickeln, der einerseits das Ziel hat, sexistisches Verhalten abzubauen und vorzubeugen und andererseits, einen angemessenen Umgang mit konkreten sexistischen Übergriffen zu entwickeln. 

Durch die Skandalisierung einzelner teilweise lang vergangener Übergriffe ohne sich auch nur darüber zu informieren, welche Maßnahmen gesetzt wurden bzw. welche Veränderungen im Bewusstsein stattgefunden haben, erreicht man das mit Sicherheit nicht. Das Coacc zielt darauf ab, Organisationen und Gruppen, die nicht den von ihnen definierten Regeln folgen, größtmöglichen Schaden zuzufügen. Dabei wird nicht davor zurück geschreckt, Genoss*innen in ihrem Wohnhaus zu outen und auch sonst Methoden anzuwenden, die die Linke eigentlich nur gegen rechtsextreme Kräfte anwendet - das Ziel im konkreten Fall ist offensichtlich, die SLP und ihre Aktivist*innen aus dem politischen Leben zu verdrängen. Die Erklärung, inwiefern das dem Kampf gegen Sexismus im Allgemeinen und im Speziellen dienlich sein soll, bleibt coacc schuldig. Die Nutznießer einer solchen Schwächung der radikalen Linken wären klar: rechte und reaktionäre Kräfte, die genau für diese sexistische Politik verantwortlich sind!

Wie kann Sexismus bekämpft werden, nicht nur Sexist*innen?

Für uns ist aber immer auch die Frage zentral: wie kann Sexismus und übergriffiges Verhalten konkret und grundsätzlich bekämpft werden? Das Coacc ignoriert in seiner Praxis den gesellschaftlichen Hintergrund der Problematik und beschränkt sich - in einer postmodern-individualisierenden Variante des Feminismus - auf individuelle Erklärungen und “Lösungen”. Wir möchten hier auf einen grundsätzlichen Artikel von uns zur Frage, wie Sexismus und Gewalt an Frauen bekämpft werden kann, hinweisen: https://www.slp.at/artikel/wie-sexismus-und-gewalt-an-frauen-bek%C3%A4mpfen-10100

Für uns ebenso wichtig wie der Kampf gegen Sexismus innerhalb der Organisation ist der Kampf gegen Sexismus innerhalb der gesamten Gesellschaft. Wir glauben nicht an eine linke Szene als “Insel” in einem sexistischen Ozean sondern kämpfen für eine Gesellschaft, die frei ist von Sexismus. In der SLP und der sozialistisch-feministischen Initiative “Nicht mit mir - Rosa International” und anderer Organisationen führen wir einen konkreten Kampf für Frauenrechte: die Streiks und Arbeitskämpfe im Sozial- und Gesundheitsbereich (mit einem Frauenanteil von rund 70%) für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen die die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben von Frauen sind. Die Mobilisierungen rund um Frauentag und Prides, gegen religiöse Fundamentalist*innen und für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch die die Grundlage für eine Selbstbestimmung von Frauen über ihre eigenen Körper sind. Die Kämpfe gegen die Kürzungspolitik der diversen Regierungen, für niedrigere Mieten, für mehr Frauenhäuser und viele andere Fragen, die zentral sind für Frauen, um aus gewalttätigen Beziehungen entkommen zu können. Und letztlich die Kämpfe und Bewegungen gegen das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das die unbezahlte Arbeit von Frauen und daher auch sexistische Rollenbilder braucht. Genau dieser kollektive Kampf gegen den Sexismus in der gesamten Gesellschaft ist letztlich entscheidend, um Sexismus zurückzudrängen. Dafür brauchen wir Organisationen in denen sich Frauen und LGTBQ-Personen frei von Diskriminierung entwickeln können. Die Aktivität von Coacc, die den gesellschaftlichen Kampf gegen Sexismus ignoriert und sich nur auf Angriffe auf linke Organisationen konzentriert, schadet dabei. 

 

 

Aktiv für mehr Geld!

Anlässlich des GEOG: Frauentagsbündnis und SLP sagen „Pflege und Gesundheit geht uns alle an!“
Sarah Lammer

Am 12. Juni protestierte das Frauentagsbündnis am Taubenmarkt in Linz gegen den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen – dabei auch Aktivist*innen der SLP. Der Tag steht für den geschlechtsspezifischen Gesamt-Einkommensunterschiedes (GEOG), der in Österreich 44,9% beträgt. Eine hohe Zahl, die neben der klassischen Lohnarbeit auch die unentlohnte Arbeit (Haus- und Versorgungsarbeit) einberechnet. Zur inhaltlichen Auseinandersetzung organisierte das Frauentagsbündnis zuvor eine Online-Diskussion zu „Hausarbeit und Kinderbetreuung“. Im Hauptreferat einer SLP-Aktivistin und Bündnisbeteiligten wurde eine klare sozialistische Ausrichtung deutlich: „Die Benutzung von Frauen als Gratisarbeitskräfte spart dem kapitalistischen Staat Milliarden. Verbesserung ist nur denkbar, wenn Care-Arbeit in den Status der Lohnarbeit gehoben und verstaatlicht wird“, so die Vortragende.

Bei der Aktion wurde neben der Ausfinanzierung des Sozial- und Pflegebereichs auch der Aufbau sozialer Einrichtungen (Kantinen, Wäschereien, Reinigungsunternehmen)gefordert. Mit Straßenkreide, Flyern und Reden wurde die Aufmerksamkeit von Passant*innen geweckt und so diverse Kontakte gesammelt. Neben den Flyern des Frauentagsbündnis verbreiteten SLP-Aktivist*innen auch eigenes Material, wie Zeitungen und Broschüren. Eine starke Aktion mit klarem politischem Profil.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

PRIDE in Linz: Gemeinsam gegen jede Diskriminierung!

Auch dieses Jahr gingen wir trotz Corona auf die Straße, um für die Rechte von Queers, aber auch gegen Rassismus und Sexismus zu demonstrieren. Knapp 100 Leute beteiligten sich an unserer Kundgebung. Auf der Kundgebung riefen wir in Erinnerung, dass unser Pride-Tag entstanden ist, weil zwei schwarze Transfrauen sich gegen Polizeirepressionen wehrten. Collin berichtete über seine Lebensrealität als Transperson in der Schule und am Arbeitsplatz. Ein weiterer Aktivist, der von Transphobie betroffen ist, ergänzte, wie wichtig es ist, den Kampf gegen das kapitalistische System zu führen und wie wichtig Solidarität ist. Es ist wichtig zu verstehen, dass wir gemeinsam gegen das unterdrückerische und ausbeuterische System des Kapitalismus ankämpfen müssen, indem wir uns mit unseren Mitmenschen solidarisieren.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Wie Sexismus und Gewalt an Frauen bekämpfen?

Sarah Moayeri

Sozialistische Antworten auf sexistische Spaltung, Identitätspolitik und Fragen nach dem Umgang mit Sexismus innerhalb der Linken und Arbeiter*innenbewegung

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung war schon immer und ist auch heute untrennbar mit dem Kampf um eine sozialistische Umwälzung der Gesellschaft verbunden. Sexismus und Frauenunterdrückung ziehen sich durch alle unsere Lebensbereiche und drücken sich sehr unterschiedlich aus: Ungleiche Bezahlung, prekäre Arbeitsbedingungen in sogenannten “frauendominierten” Berufen, massive Doppelbelastung durch unbezahlte Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege von Familienangehörigen, Sexismus am Arbeitsplatz, in der Familie und in Partnerschaften, sexistische Rollenbilder in Medien, Bildung und Erziehung, Diskriminierung, sexistische Übergriffe und Gewalt: Das alles gehört zum Alltag für Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft. Trotz einiger Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte zur (rechtlichen) Gleichstellung von Frauen ist Sexismus und Unterdrückung weiterhin allgegenwärtig. Die Corona-Krise hat aktuell weltweit zu einem, in einigen Ländern dramatischen Anstieg an Gewalt an Frauen und Femiziden (Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts) geführt. Wie in jeder ökonomischen Krise leiden Frauen mitunter am meisten unter Arbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit und Austeritätspolitik. Der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und anderer medizinischer Versorgung wird zunehmend eingeschränkt. Zusätzlich dazu hat die Corona-Krise durch ihre spezifischen Charakteristika zu einer Isolation und zu einer Situation geführt, in der viele Frauen noch stärker als bisher in traditionelle Familienstrukturen geraten sind und in den eigenen vier Wänden gefangen und damit auch der Gewalt durch den Partner oder durch andere Familienmitglieder schutzlos ausgeliefert waren. Auf besonders bedrückende Art hat die Corona-Krise gezeigt, wie abhängig der Kapitalismus vor allem in Krisenzeiten von der bürgerlichen Familie und konservativen Rollenbildern ist - mit allen negativen Auswirkungen.

Doch dieser Anstieg an Gewalt an Frauen passiert auch in einer Zeit, in der durch verschiedene Frauenbewegungen in diversen Ländern in den letzten Jahren eine Veränderung des Bewusstseins und einer Radikalisierung von insbesondere jungen Frauen anhand der Fragen von eigenen Diskriminierungserfahrungen, Sexismus und ganz besonders (sexualisierter) Gewalt stattgefunden hat. Sehr viele (junge) Frauen wollen traditionelle Rollenbilder, grenzüberschreitendes Verhalten, Sexismus und Gewalt nicht länger dulden. Das Stichwort heißt: Nulltoleranz gegenüber sexistischem Verhalten. Auch Sexismus innerhalb der eigenen Reihen - also der feministischen Bewegung und der breiten Linken, innerhalb von linken Organisationen und der Arbeiter*innenbewegung wird zunehmend nicht mehr akzeptiert und offensiver als in der Vergangenheit angeprangert. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung für eine erfolgreiche Emanzipation von Frauen und drückt eine wesentliche Politisierung gegen spezifische Unterdrückung aus. Gleichzeitig zeigen die jüngsten feministischen Kämpfe und Bewegungen - von #metoo bis hin zu den Kämpfen um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch - dass es das notwendige politische Programm, Klarheit, Führung und Strategie braucht, wie Sexismus nachhaltig und langfristig zurückgedrängt werden kann. Oft blieb und bleibt es bei individualisierten Antworten auf gesellschaftliche Probleme. 

Sozialistische Antworten auf Frauenunterdrückung, Programm und Kampfvorschläge müssen auf einer marxistischen Analyse von der Funktion und von Auswirkungen von Sexismus und Gewalt an Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft basieren. Der Kampf für ein Ende von Frauenunterdrückung kann nicht ohne eine Perspektive für eine grundlegende Überwindung des Kapitalismus zugunsten einer sozialistischen Demokratie gewonnen werden. Veränderung kann nur erreicht werden, wenn wir das Übel an der Wurzel packen. Gleichzeitig braucht es eine gezielte Anstrengung von Sozialist*innen, die doppelte Unterdrückung von Frauen (als Arbeiterinnen und Frauen) in ihrer Tiefe und Ausprägung zu begreifen, gegen sexistisches Verhalten in den eigenen Reihen und in der gesamten Arbeiter*innenbewegung vorzugehen und Forderungen für konkrete Verbesserungen aufzustellen und den Kampf um diese zu führen.

Ursachen von Frauenunterdrückung und Sexismus

Es gibt eine Reihe von marxistischer Literatur über die Ursachen der Entstehung von Frauenunterdrückung in der Gesellschaft - nicht alles kann in diesem Artikel ausgeführt werden. Die wegweisenden Analysen von Friedrich Engels, Clara Zetkin, Alexandra Kollontai und anderen zeichnen sich in erster Linie darin aus, dass sie die dialektische Verbindung von der Entwicklung der Klassengesellschaft und der Unterdrückung der Frau beschreiben und analysieren. Engels skizziert in seinem Werk “Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates”, wie die Entstehung von Privateigentum und damit der Klassengesellschaft die Funktion der “traditionellen” Familie in der Gesellschaft prägte: „Die Führung des Haushalts verlor ihren öffentlichen Charakter. Sie ging die Gesellschaft nichts mehr an. Sie wurde ein Privatdienst; die Frau wurde erste Dienstbotin, aus der Teilnahme an der gesellschaftlichen Produktion verdrängt.“ Engels ging auch davon aus, dass sich in dieser Zeit ein erster Produktionsüberschuss - durch die zum Teil bereits existierende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung - letztlich in erster Linie in den Händen der Männer ansammelte. Die Sicherstellung der Vererbung dieses Besitzes an die eigenen Kinder machte es nötig, sich die Treue der eigenen Frau zu sichern - so entstanden in einem langen und keineswegs gradlinigem Prozess erstmals Strukturen der monogamen Familie und damit die ersten Formen der Unterdrückung von Frauen.

Die sich später entwickelten Klassengesellschaften und letztlich die kapitalistische Gesellschaft profitierten von dieser vorkapitalistischen strukturellen Ungleichstellung von Frauen - und damit der Spaltung der Arbeiter*innenklasse in Männer und Frauen - und der Kapitalismus tut das heute noch. Obwohl der familiäre Haushalt als grundlegende Produktionseinheit durch das kapitalistische Produktionssystem weitestgehend zerstört worden war, blieb die Familie weiterhin bestehen, als Mittel, durch welches die neue Klasse des Proletariats sich selbst und ihre Arbeitskraft reproduzierte und disziplinierte. Clara Zetkin schrieb dazu außerdem: “Die Frau des Proletariats hat ihre wirtschaftliche Selbständigkeit erlangt, aber weder als Mensch noch als Frau, noch als Gattin hat sie die Möglichkeit, ihre Individualität voll ausleben zu können. Für ihre Aufgabe als Gattin, als Mutter bleiben ihr nur die Brosamen, die die kapitalistische Produktion ihr vom Tische fallen lässt.”

Auch wenn sich selbstverständlich im letzten Jahrhundert vieles an der “traditionellen” Familie und an der Rolle der Frau in der Gesellschaft geändert hat, sind die grundlegenden Strukturen und ist die ökonomische Basis für die Ungleichstellung von Frauen im Kapitalismus gleich geblieben. Auch wenn sich seit dem 19. und 20. Jahrhundert die bürgerliche Ideologie in Bezug auf die Stellung von Frauen in der Gesellschaft verändert und weiterentwickelt hat und die Frauen- und Arbeiter*innenbewegung Veränderungen erkämpfen konnte, basieren die Wert- und Rollenvorstellungen der Geschlechter im kapitalistischen System, das auf Macht, Ausbeutung und der ungleichen Verteilung von Reichtum basiert, immer noch auf Vorstellungen von männlicher Überlegenheit.

Die Ersparnis für die Herrschenden durch unbezahlte Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege sind heutzutage massiv. Oxfam hat Anfang 2020 eine Studie veröffentlicht, laut welcher Frauen und Mädchen weltweit jeden Tag zwölf Millionen Stunden der Pflege von Angehörigen, der Kindererziehung und dem Haushalt widmen. Wenn diese Arbeit mit dem Mindestlohn des jeweiligen Landes bezahlt würde, entspräche das einer Summe von 11 Billionen US-Dollar im Jahr. Das kapitalistische System wird offensichtlich durch diese zusätzliche Ausbeutung stabilisiert.

Das Abwälzen dieser Aufgaben auf Frauen und in private Sphären führt einerseits zu Mehrfachbelastungen und verfestigt andererseits Abhängigkeiten und das ideologische Bild der Frau, die dem Mann (als dem Herr im Haus) unterstellt ist und die als sanftere, fürsorgliche Person dargestellt wird, die aus biologischen Gründen für alle Bereiche der Care-Arbeit zuständig und “einfach besser geeignet” sei. Lohnunterschiede, prekäre Arbeitsbedingungen und die Tatsache, dass die Arbeitskraft von Frauen schlecht(er) bezahlt wird, vertieft die Spaltung zwischen Männern und Frauen aus der Arbeiter*innenklasse. Weltweit dienen Frauen immer noch als besonders billige Arbeitskräfte. Das ist die grundlegende gesellschaftliche Basis, auf der Sexismus und Gewalt an Frauen wächst. Wenn Frauen eine ungleiche Stellung in der Gesellschaft haben, werden sie auch ungleich und als minderwertig behandelt, diskriminiert, unterdrückt. Gleichzeitig haben sich frauenfeindliche und sexistische Ideologien über Jahrhunderte hinweg entwickelt und fortgeschrieben, wodurch sie tief verankert sind in der bürgerlichen Gesellschaft, in unseren Köpfen und daher auch innerhalb der Arbeiter*innenklasse. Die Veränderungen und Fortschritte im Bewusstsein, insbesondere von jungen Frauen, haben daran bisher nichts Grundlegendes verändert, da die Strukturen noch dieselben sind.

Sexismus (im Sinne von sexistischem Verhalten) ist also eine Form der Diskriminierung (aufgrund des Geschlechts), die auf dieser strukturellen Ungleichstellung von Frauen im Kapitalismus basiert. Formen von Sexismus wie abwertende Sprüche, Vorurteile, rückschrittliche Rollenbilder etc. entwickeln sich aufgrund von gesellschaftlichen Verhältnissen, die Männer und Frauen ungleich behandeln. Diese materielle Basis zu verstehen ist auch die Grundlage für ein wirksames Übergangsprogramm zur Bekämpfung von Sexismus.

Gewalt an Frauen in der kapitalistischen Gesellschaft

Die beschriebene systematische Unterdrückung von Frauen findet ihren dramatischsten Ausdruck in der Vermarktung, Objektifizierung, Kontrolle von Frauenkörpern und daraus folgend systematischer Gewalt bis hin zu Femiziden. Jede dritte Frau weltweit wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von physischer und/oder sexualisierter Gewalt. Allein in Österreich gab es im ersten Halbjahr 2020 16 Frauenmorde. Der systemimmanente Frauenhass basiert darauf, dass Männer immer noch als das "stärkere", "klügere" und "bessere" Geschlecht gelten, Frauen als minderwertig und unterwürfig. Gewalt an Frauen, Frauenmorde dienen auch dazu, Frauen passiv zu halten, einzuschüchtern und das daraus folgende Signal an alle Frauen lautet: Dein Körper gehört nicht dir - wir können mit dir tun, was wir wollen. Eingeschränkter und kriminalisierter Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen (bzw. in anderen Fällen erzwungene Geburtenkontrolle) ist auch ein Ausdruck dieser Kontrolle über weibliche Körper, weibliche Sexualität und Reproduktion.

Das kapitalistische System und der bürgerliche Staat reproduzieren diese Gewalt auf vielfache Art und Weise: Sei es durch sog. “rape culture”, also die kulturelle Akzeptanz von Gewalt an Frauen und Vergewaltigungen durch Medien, Musik, Filme etc. bis hin zum Justizsystem, das von patriarchalen Strukturen durchdrungen ist. 

Es ist kein Zufall, dass auch die neuen Frauenbewegungen Gewalt an Frauen offensiv thematisieren und meistens zum zentralen Thema haben. Die unmittelbare Gefahr, welcher Frauen Zuhause, in Partnerschaften, am Arbeitsplatz und auf offener Straße ausgesetzt sind, hat offensichtlich direkte Auswirkungen auf das Leben und den Alltag als Frau. Der gefährlichste Ort für Frauen ist weiterhin das eigene Zuhause.

Zusätzlich dazu hat Gewalt an Frauen noch weitergehende, subtilere Facetten, die persönliche Beziehungen und die Auswirkungen von Sexismus in diesen betreffen: Insbesondere in zwischenmenschlichen / partnerschaftlichen Beziehungen spielt psychische Gewalt eine große Rolle für die Einschüchterung und Abwertung von Frauen. Die daraus folgende Bedrohung, Angst und Abhängigkeit kann zu massiven psychischen Folgen führen. Männliche Dominanz geht oft einher mit psychischer Manipulation, systematischer Abwertung und emotionalem Druck. 

(Sexualisierte) Gewalt gegen Frauen ist ein Produkt der kapitalistischen Gesellschaft,

in der Menschen - insbesondere Männer - in allen Sphären ihrer Sozialisierung darauf konditioniert werden, Frauen als minderwertig oder als Objekte anzusehen. Im Kapitalismus wird mit der Marginalisierung und Objektifizierung von Frauen und ihren Körpern Profit gemacht, sei es durch sexistische Werbung, unterschiedlichste Produkte zur Optimierung von Frauenkörpern oder durch die milliardenschwere Sexindustrie. Diese Objektivierung des Menschen zur Ware betrifft letztlich alle aus der Arbeiter*innenklasse, aber Frauen in besonders extremer und dominanter Art und Weise. Die Degradierung von Frauenkörpern zur Ware rechtfertigt es in dieser Gesellschaft, Gewalt gegen sie auszuüben. Gleichzeitig dient diese systematische Gewalt dazu, Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren.

Bei sogenannter sexualisierter Gewalt geht es keineswegs um Sex - es geht darum, Macht zu demonstrieren und auszuüben. In jedem Krieg und jeder Konterrevolution werden Vergewaltigungen und Gewalt an Frauen genutzt, um die Bewegung zu zerschlagen und die Arbeiter*innenklasse - und Frauen als häufige Vorkämpferinnen revolutionärer Erhebungen - zu demoralisieren und zu bekämpfen. Im vergangenen Jahr haben sudanesische Milizen im Auftrag des Übergangsrates sexualisierte Gewalt als Strategie der Konterrevolution gegen die sudanesische Revolution, in der Frauen eine zentrale Rolle eingenommen haben, eingesetzt, in Ägypten und anderen Ländern war das ein wichtiges, brutales Mittel gegen den sog. Arabischen Frühling. 

Vergewaltigungen wurden und werden immer mit dem Argument verharmlost, sie seien eine Folge männlicher "Triebe" und damit “natürlicher” angeblich agressiverer männlicher Sexualität. Doch sie sind vielmehr die Folge vom gesellschaftlichen Frauenbild und der Ideologie von der Machtausübung auf Frauen, ihre Körper und ihr Leben. Das kapitalistische System entfremdet Menschen von ihrer Sexualität, von anderen Menschen und von sich selbst. Das Prinzip des Konsens - also der Einvernehmlichkeit - ist auf dieser Basis in seiner Absolutheit kaum in der Breite zu verwirklichen. Doch auch wenn durch und durch befreite und auf Augenhöhe basierende sexuelle und romantische Beziehungen erst in einer vollkommen befreiten, sozialistischen Gesellschaft erfüllt werden können, bleibt das Prinzip des Konsens auch heute schon die Grundlage, nach der Männer ihr Verhalten gegenüber Frauen ausrichten sollten. Dank feministischer Debatten um “Nein heißt Nein” und “Ja heißt ja” gibt es zum Teil heute ein höheres Bewusstsein dafür, was konsensualer Sex bedeuten muss. Diesen Debatten ist es auch zu verdanken, dass es erlernbare Strategien für Konsens gibt. Während die allermeisten sexualisierten Grenzüberschreitungen und Übergriffe sehr bewusst passieren, gibt es durchaus auch andere Situationen in unseren sexuellen Beziehungen, die es genauso in diesem Sinne zu hinterfragen gilt. Ein bewusster Umgang mit den Grenzen von Partner*innen und anderen, Sensibilität und Kommunikation - all das sind Dinge, die in der kapitalistischen Gesellschaft weitestgehend ignoriert werden, während häufig Grenzüberschreitungen sogar als etwas “Männliches” und damit Positives dargestellt werden. 

Den Kampf gegen Gewalt an Frauen bewusst aufnehmen!

Diese gesellschaftliche Kontrolle über Frauen und ihre Körper drückt sich also in der "privaten" Sphäre, aber genauso öffentlich und strukturell aus. Das Private ist gerade deshalb politisch, weil geschlechtsspezifische Gewalt und Sexismus besonders innerhalb von Partnerschaften, Ehen und Familien stattfindet. Öffentlich über Gewalt an Frauen und Vergewaltigungen zu sprechen kann unfassbar viel Kraft kosten, weil es in der bürgerlichen Gesellschaft immer noch einen Tabubruch darstellt. Immer noch werden in erster Linie betroffene Frauen und nicht die Täter stigmatisiert. Deswegen ist die öffentliche Thematisierung von Gewalt an Frauen - durch Demonstrationen, Kampagnen, Proteste etc. - ein wichtiges politisches Mittel, um dieser Stigmatisierung entgegenzuwirken. Während einzelne Frauen nicht gegen die sexistische Maschinerie ankommen, können kollektive Kämpfe dazu beitragen (und haben es schon in der Vergangenheit getan), Tabus zu brechen und das Anprangern von Vergewaltigungen und Gewalt - ein zunehmendes Klima der “Nulltoleranz” zu normalisieren. Im spanischen Staat haben Massenbewegungen in den letzten Jahren im skandalösen “Wolfpack”-Fall nicht nur den Staat und die Justiz derart unter Druck gesetzt, dass das Urteil gegen die fünf Vergewaltiger im letzten Jahr verschärft und von “sexuellem Missbrauch” zur Verurteilung wegen Vergewaltigung verändert wurde, sondern auch eine weitgehende Veränderung im Bewusstsein herbeigeführt: 65% der Frauen unter 30 Jahren im spanischen Staat bezeichnen sich selbst als Feministinnen, doppelt so viele wie noch vor 5 Jahren. Dieses kollektive, massenhafte Element, der gemeinsame Kampf unabhängig vom Geschlecht, ist von zentraler Bedeutung, wenn es um die Frage geht, wie Sexismus erfolgreich bekämpft werden kann.

Ein effektiver Kampf gegen Gewalt an Frauen darf beispielsweise nicht dabei stehen bleiben, härtere Sanktionen oder Strafen gegen Täter*innen zu fordern oder dazu aufzurufen, individuell das eigene Verhalten zu reflektieren, sondern muss viel weiter gehen. Bewegungen wie #IBelieveHer, begonnen mit dem Protest 2018 gegen den Freispruch von Rugbyspielern in Nordirland in einem Vergewaltigungsfall, haben Wichtiges angestoßen und sexistische Strukturen des Justizsystems hinterfragt und angeprangert. Es muss aber darum gehen, die Empörung über einzelne Fälle zu einem allgemeinen Kampf für grundlegende Veränderungen zu machen. Die beschriebenen frauenfeindlichen Strukturen sprechen für sich und zeigen, dass ohne grundlegende Umwälzungen auch individuelles Verhalten nicht nachhaltig verändert werden kann. Das bedeutet: Politische Kämpfe gegen rape culture, sexistische Werbung, für Aufklärungs- und Sexualkundeunterricht an Schulen, für eine Ächtung von Sexisten und Vergewaltigern etc. müssen damit einhergehen, den bürgerlichen Staat und damit das herrschende Justizsystem an sich abzulehnen. Soziale Verbesserungen wie der Ausbau von Frauenhäusern und anderer Schutzeinrichtungen, bezahlbarer Wohnraum für alle, kostenlose und flächendeckende Kinderbetreuung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, höhere Löhne, eine Ausfinanzierung des Gesundheits- und Sozialbereichs usw. sind zentral im Kampf gegen Gewalt an Frauen, einerseits, um Möglichkeiten zu schaffen, auszubrechen, andererseits um ökonomische Not als verstärkenden Faktor für Gewalt an Frauen in einer sexistischen Gesellschaft zu beenden und auch, weil der gemeinsame Kampf für diese und andere Ziele hilft, Vorurteile abzubauen und sich der eigenen bzw. auch kollektiven Stärke bewusst zu werden. Gewalt an Frauen ist also auch eine Klassenfrage: Während alle Frauen in der Gesellschaft unabhängig vom Einkommen und der sozialen Stellung von (mehr oder weniger) Gewalt betroffen sind, haben Frauen aus ärmeren Schichten und der Arbeiter*innenklasse weniger Ausweichmöglichkeiten.

Falsche, verkürzte und fehlende Antworten identitätspolitischer Ansätze

Viele “neueren” Ansätze unterschiedlicher feministischer Strömungen weisen trotz ihrer Unterschiede einige ähnliche Schwächen und Unzulänglichkeiten auf. Viele dieser Ideen können unter dem Begriff der Identitätspolitik zusammengefasst werden (andere sind schlicht klassische bürgerlich-feministische Ideen) - denn auch wenn es durchaus unterschiedliche identitätspolitische Ausrichtungen und Theorien gibt und es falsch wäre, alles in einen Topf zu werfen, lassen sich doch bestimmte Konzepte, Analysen und Methoden immer wieder erkennen, wenn es um neuere Formen der feministischen Praxis in frauenpolitischen Bewegungen geht.

Die gewisse Attraktivität, die von identitätspolitischen Ideen - also beispielsweise dem Ansatz, in erster Linie anhand der eigenen Diskriminierungserfahrung/Identität eine politische Praxis zu entwickeln - ausgeht, ist naheliegend: Das Bewusstsein über die eigene Unterdrückung ist oft der erste Schritt, politisch aktiv zu werden und Veränderung erkämpfen zu wollen. Natürlich ist es wichtig, unterschiedliche Diskrimminierungserfahrungen, z.B. aufgrund des Geschlechts sichtbar, zu machen, aber die entscheidende Frage ist: Welcher Weg, welche Kampfstrategie ist tatsächlich effektiv, um spezifische Unterdrückung, wie die von Frauen, zu bekämpfen?

Viele identitätspolitische Konzepte unterscheiden sich in ihren konkreten Schlussfolgerungen nicht groß von “klassisch” (klein)bürgerlich feministischen Ideen. Die angepasstesten Formen bleiben dabei stehen, stärkere Repräsentation von Frauen in Politik und Wirtschaft zu fordern, andere nehmen eine diffus antikapitalistische Haltung ohne ausgereifte Theorie und Praxis ein. Weit verbreitet ist in jedem Fall die Vorstellung davon, dass unterschiedliche Unterdrückungsformen sich zwar gegenseitig beeinflussen und bestärken, aber mehr oder weniger “nebeneinander” existieren würden: Rassismus, Sexismus, Kapitalismus etc. Wenn man kapitalistische Ausbeutung nur als eine von vielen Unterdrückungsformen statt als grundlegende ökonomische gesellschaftliche Basis analysiert, liegt es nahe, feministische Kämpfe nicht zwangsläufig als antikapitalistische zu begreifen und Frauen aus der herrschenden Klasse eher als Bündnispartnerinnen zu sehen als Männer der eigenen Klasse.

Die Schwäche vieler identitätspolitischer Ansätze liegt, gerade weil sie auf einer individuellen Ebene bei Analyse und Lösungen stehen bleiben, in allererster Linie darin, keine wirksamen Lösungen für das Ende von Frauenunterdrückung und Sexismus anbieten zu können. In einem Artikel der taz vom 31.07.2020 “Identitätspolitik versus Klassenkampf” wird beispielsweise zwar richtigerweise indirekt dafür plädiert, den Kampf gegen Sexismus und Rassismus mit sozialen Kämpfen zu verbinden, doch das folgende Zitat zeigt, wie in einer solchen Debatte um Identitätspolitik, die schon seit einigen Jahren geführt wird, Kritik von links, von Marxist*innen, an identitätspolitischen Konzepten verzerrt dargestellt wird:

“Hier „echte linke Politik“ mit Drecksarbeit und Besitzverhältnissen und da Identitätspolitik mit ihren Quoten und Schreibweisen sowie ihrer Repräsentation in den Medien – auch in Deutschland, wo besonders in den letzten Jahren wiederholt Verteilungspolitik und Anerkennungspolitik als gegensätzlich behauptet worden sind oder die Belange von Frauen, queeren Menschen oder nichtweißen Gruppen als Widerspruch zu den Bedürfnissen des „kleinen Mannes“, also ungefähr des weißen Nichtakademikers auf dem Land”

“Quoten, Schreibweisen und Repräsentation in den Medien” sind aber nun einmal nicht die grundsätzlichen “Belange von Frauen oder Migrant*innen”. Darin besteht das grundsätzliche Problem: Dem Kampf gegen spezifische Unterdrückung und Diskriminierung wird seine materielle Basis entzogen, sie wird ignoriert. Es wird suggeriert, Sexismus könne durch “Anerkennungspolitik” in irgendeiner Form verdrängt werden. “Anerkennungspolitik” beendet keine Frauenunterdrückung: Im besten Fall schafft sie die Illusion einer Gleichstellung, von der wiederum das bürgerliche System profitieren kann, indem es diese Form von “Feminismus” vermarktet. Sie bleibt auf der idealistischen Ebene stecken und ignoriert die materialistische Basis, aber auch die dialektische Veränderung und Widersprüchlichkeit von Prozessen.

Solche unzureichenden Antworten auf sexistische Unterdrückung sind symptomatisch für feministische Ansätze, die individuelle Lösungen für große gesellschaftliche Probleme - wie Frauenunterdrückung - suchen. Das eigene Verhalten soll reflektiert, hinterfragt und verändert, "Safe spaces" geschaffen und symbolisch Diskriminierungen "sichtbar" gemacht werden. Ähnlich individualistische Argumente finden sich beispielsweise auch in der “alten” Debatte um unbezahlte Hausarbeit und in dem Ruf danach, dass Haushalt, Kindererziehung etc. “gerecht” zwischen den Geschlechtern aufgeteilt werden sollte - anstatt für eine völlige Vergesellschaftung von Hausarbeit, Kindererziehung und Pflege zu kämpfen. Vielfach in der feministischen Bewegung diskutierte Konzepte wie die des “Hausfrauenstreiks” drücken genau das aus.

Die Vorstellung, dass individuelle - und sich zum Teil massiv unterscheidende - Diskriminierungserfahrungen die einzige Basis sind, auf der politisch gehandelt werden soll, birgt zusätzlich zu den unzureichenden Lösungsvorschlägen die Gefahr, Gemeinsamkeiten herunterzuspielen und in erster Linie Unterschiede zu betonen. Marxist*innen haben das Gegenteil zum Ziel: Ja, eine migrantische Frau aus der Arbeiter*innenklasse hat selbstverständlich andere Lebensrealitäten und mit Diskriminierungsformen zu kämpfen, die ein österreichischer Arbeiter nicht kennt. Aber entscheidend ist: Was ist nun die Schlussfolgerung daraus? Wie können wir Verbesserungen für alle erkämpfen?  Spaltungen, die der Kapitalismus produziert, sei es entlang der Hautfarbe, Religion oder des Geschlechts, können nur in kollektiven Kämpfen der Arbeiter*innenklasse (politische wie ökonomische) überwunden werden. Das bedeutet nicht, Sexismus als “Nebenwiderspruch” zu betrachten oder “klassisch” ökonomische Kämpfe als einziges Allheilmittel gegen Sexismus und Rassismus zu sehen, ganz im Gegenteil: Denn auch frauenspezifische Kämpfe können nur im Schulterschluss mit Männern gewonnen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist der Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch durch das Referendum zur Abschaffung des Abtreibungsverbotes 2018 in Irland: Die fortgeschrittenen Teile der Bewegung wussten genau, dass das Referendum nur durch kollektive Anstrengung gewonnen werden konnte und nur dadurch, dass auch Männer für diese Abschaffung stimmten. Die Versuche feministischer Bewegungen, Kampfmethoden der Arbeiter*innenklasse - wie die des Streiks - zur Durchsetzung feministischer Forderungen, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz etc. anzuwenden, sind ein wichtiges Beispiel dafür, welche Schlagkraft solche kollektiven Kämpfe haben.

Jede politische Analyse und Methode, die keinen Klassenstandpunkt einnimmt - also nicht zu dem Ergebnis kommt, dass Gemeinsamkeiten zwischen Arbeiter*innen größer sind als Unterschiede und die Arbeiter*innenklasse die Kraft ist, die grundlegende gesellschaftliche Veränderungen durch massenhafte Bewegungen erkämpfen kann - landet auf die eine oder andere Weise dabei, individuelle Verhaltensänderungen zu ihrem wesentlichen Kampffeld zu machen. Es ist gut, wenn Männer ihr eigenes, sexistisches Verhalten hinterfragen und verändern - an den grundlegenden gesellschaftlichen Strukturen ändert das aber nichts. Letztlich geht es auch um die Frage: Wer ist der Feind? Während einige Teile der sogenannten zweiten Welle der Frauenbewegung sich darauf beschränkten, Männer grundsätzlich als den Hauptfeind zu betrachten, haben wiederum neuere, identitätspolitische Ansätze zwar häufig nicht eine derart falsche, jedoch meistens eine überhaupt fehlende Analyse davon, wer der politische Feind ist und wen oder was es zu bekämpfen gilt. Aufgrund der starken Individualisierung von Theorie und Praxis geraten “große” gesellschaftliche Dimensionen aus dem Blick - wir sehen hier die Anwendung der Postmoderne auf die Frauenbewegung. Die herrschende Klasse und ihre Politiker*innen, die verantwortlich sind für gesellschaftliche, ökonomische, politische Missstände und damit auch für sexistische Unterdrückungsstrukturen, für frauenfeindliche und sexistische Politik, brauchen sich nicht mehr bedroht zu fühlen, wenn feministische Kämpfe sich darauf beschränken, Diskriminierung ausschließlich “sichtbar” zu machen, zur Reflexion der “eigenen Privilegien” aufzurufen oder unendliche Debatten über die richtigen, diskriminierungsfreien Begriffe zu führen. 

Sexismus in der Gesellschaft und innerhalb der eigenen Reihen bekämpfen

Sexistische Unterdrückung umfasst viel, viel mehr als das Verhalten von Individuen - sie ist systematisch. Der Kampf gegen Sexismus und Frauenunterdrückung ist deshalb in erster Linie ein politischer Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse. Wenn wir davon ausgehen, dass Frauenunterdrückung und damit auch Sexismus untrennbar mit dem kapitalistischen System und der Klassengesellschaft verbunden sind, muss die Abschaffung von beidem gemeinsam das Ziel sein. Eine Abschaffung von Sexismus und Frauenunterdrückung im Rahmen des Kapitalismus, der von dieser Unterdrückung profitiert, ist eine Illusion. 

Das bedeutet nicht, dass Individuen aus der Verantwortung gezogen werden sollen. Sexistisches Verhalten zu erkennen, zu konfrontieren und nicht zu akzeptieren ist notwendig, um eine geeinte Arbeiter*innenbewegung und Organisationen der Arbeiter*innenklasse aufzubauen. Männer, die Frauen bewusst nicht als gleichwertige Kolleginnen, Genossinnen und Mitstreiterinnen betrachten, sie abwerten und in ihrer politischen Entfaltung und Emanzipation damit behindern, stellen eine Gefahr, auch für die Bewegung / die Organisation dar. Spaltung schwächt und zersplittert uns. Gerade deshalb ist es notwendig, dass die Gewerkschaften als größte Organisationen der Arbeiter*innenklasse (in vielen Ländern sehen wir eine Tendenz von zunehmend weiblicher Mitgliedschaft in den Gewerkschaften) bewusste politische Kampagnen gegen Gewalt an Frauen und Sexismus organisieren und entschlossen gegen sexistisches Verhalten in den eigenen Reihen vorgehen.

Gleichzeitig sind linke Organisationen und ist die Arbeiter*innenbewegung nicht isoliert von der Gesamtgesellschaft. Die Idee, dass es möglich sei, innerhalb eines sexistischen, rassistischen Systems wie dem Kapitalismus vollumfängliche “safe spaces” zu schaffen ist illusorisch. Es ist eine Realität, dass die Linke und linke Organisationen nicht frei von reaktionären Ideen und Einflüssen sind. Solange es Sexismus in der Gesellschaft gibt, solange wird es auch Seximus in linken Organisationen und in der Arbeiter*innenbewegung geben. Es ist daher auch eine falsche Herangehensweise, sexistisches Verhalten oder Übergriffe in den eigenen Reihen vertuschen oder verheimlichen zu wollen. Vielmehr muss es darum gehen, einen bewussten und selbstsicheren Umgang mit solchem Verhalten zu etablieren, der einerseits auf der Basis der Nulltoleranz steht und andererseits zum Ziel hat, durch Bewusstseinsarbeit (insbesondere männliche) Mitglieder zu sensibilisieren, zu schulen und Fehlverhalten zu reflektieren. 

Die SLP agiert bei sexistischen Vorfällen durch Mitglieder auf der Überzeugung, dass jeder Vorwurf ernst genommen und durch die demokratisch gewählten Gremien der Organisation behandelt werden muss. Konsequentes, ernsthaftes und entschlossenes Agieren ist notwendig, um Mitglieder und damit die Organisation zu schützen. Je nach Vorfall in diesem breiten Spektrum von sexistischen Verhaltensweisen (bis hin zu Gewalt und Übergriffen) muss die Partei einerseits den notwendigen Opferschutz sicherstellen und andererseits abwägen, welche Form von Maßnahmen/Sanktionen sinnvoll und angemessen sind, um eine Verhaltensänderung zu erreichen und Wiederholungen zu verhindern. Das kann von Formen der intensiven Diskussion bis hin zu Suspendierungen oder Ausschlüsse reichen. Dieser bewusste Umgang ist auch ein Mittel der Schulung für alle Mitglieder, um eigenes, möglicherweise unbewusstes sexistisches Verhalten zu erkennen und zu verändern.

Kämpfe gegen Diskriminierung, Sexismus und Kapitalismus können nicht erfolgreich geführt und schon gar nicht gewonnen werden, wenn die Arbeiter*innenklasse entlang unterschiedlicher Unterdrückungslinien (Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Herkunft, Religion etc) gespalten ist. Diese Spaltung zu überwinden ist daher eine zentrale Aufgabe. „Bewusstseinsarbeit“ ist dafür notwendig, aber unzureichend. Die Erfahrung zeigt, dass insbesondere im gemeinsamen Kampf, in Streiks, Protesten und Kampagnen, nicht nur aber auch in jenen gegen Sexismus, Vorurteile abgebaut werden. 

Der gemeinsame Kampf von Männern und Frauen als wirksamstes Mittel gegen sexistische Spaltung gilt - neben der Frage des Umgangs mit konkreten Übergriffen - genauso für die "eigenen Reihen". Eine marxistische Organisation kann dann effektiv präventiv gegen sexistisches Verhalten gegenüber Genossinnen vorgehen, wenn sie Mitglieder politisch generell aber auch in diesen Fragen schult, welche Auswirkungen Sexismus und Frauenunterdrückung haben, indem sie sexistisches Verhalten nicht toleriert, männliche Genossen zu einer Reflexion des eigenen Verhaltens bewegt, insbesondere aber indem sie eine Kultur schafft, in der Männer und Frauen gleichermaßen Schulter und Schulter sich am Aufbau der Organisation beteiligen, zentrale Rollen einnehmen und Führung übernehmen.

In einem Interview aus dem Jahr 1969 beschrieben Frauen der Black Panther Party den bewussten Umgang mit männlichem Chauvinismus innerhalb der Partei so: “Wir sind uns bewusst, dass wir eine Rolle zu spielen haben, und wir sind es leid, zu Hause zu sitzen und missbraucht zu werden, und wenn wir nicht aufstehen, wird sich der männliche Chauvinismus immer noch zeigen und etwas sein, das einfach übergangen wird. Wenn wir uns nicht dagegen aussprechen und unseren Brüdern beibringen, was richtig ist, und aufzeigen, was falsch ist, dann wird er immer noch da sein.”

Definitionsmacht vs. kollektives Handeln

Es ist eine Tatsache, dass Frauen in der sexistischen, kapitalistischen Gesellschaft selbst dafür stigmatisiert werden, dass sie die ihnen angetane Gewalt anprangern und anzeigen. Immer wieder wird Frauen abgesprochen, sexistische Erfahrungen gemacht zu haben, Übergriffe werden verharmlost, im schlimmsten Fall verteidigt. Rechte Antifeminist*innen empören sich darüber, dass nach #metoo Frauen systematisch Männer falsch beschuldigen und sich Übergriffe mutwillig ausdenken würden. Vergewaltiger werden vor Gerichten geschützt, beziehungsweise viel zu selten zur Rechenschaft gezogen, Frauen als hysterische Männerhasserinnen diffamiert. Das ist ein großes Problem, gegen welches sich antisexistische Praxis richten muss, denn so bleiben die meisten Übergriffe unerkannt, Frauen trauen sich nicht, über ihre Erfahrungen zu sprechen, weil sie nicht ernst genommen werden. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit in der bürgerlichen Gesellschaft dient auch dazu, Frauen klein zu halten. Wenn es nun darum geht, in den eigenen Reihen gegen Sexismus vorzugehen, vertreten viele Feminist*innen und Linke als Gegenkonzept zu diesen herrschenden Strukturen verschiedene Ausformungen des Konzepts der sog. “Definitionsmacht”. 

Definitionsmacht als grundsätzliches Recht von Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt bzw. Grenzüberschreitungen zu definieren, was geschlechtsspezifische Gewalt ist, aber auch (in weitergehenden Konzepten der Definitionsmacht) welche Konsequenzen gezogen werden müssen, drückt eine zutiefst individualistische Herangehensweise an sexistische Vorfälle aus. Selbstverständlich obliegt es Betroffenen von sexistischen Handlungen und Übergriffen zu definieren, ab wann eine Grenzüberschreitung aus ihrer Sicht stattgefunden hat. Wahrnehmungen müssen gerade in der Frage von Sexismus sehr ernst genommen werden. Für den Umgang der Organisation, in welcher derartige Vorwürfe erhoben werden, stellt sich jedoch in erster Linie die Frage, was zu tun ist. Ebenso wenig wie es in einer sexistischen Gesellschaft in linken Organisationen, die sich als feministische verstehen, darum gehen darf platt “im Zweifel für den Angeklagten zu agieren” (denn viele sexistische Übergriffe und Grenzüberschreitungen können nicht objektiv "bewiesen" werden), darf es darum gehen, die Definitionsmacht darüber, was passiert und zu tun ist, allein Betroffenen zu überlassen.

Sexistische Vorfälle und notwendige Sanktionen/Maßnahmen können nicht rein individualisiert betrachtet werden. Der Grund, warum Marxist*innen sich organisieren ist die Überzeugung, dass kollektives Wissen, kollektive Entscheidungen und kollektive Kämpfe wirksamer sind, als individualisierte. In der Frage von Sexismus bedeutet das, dass sowohl bei der Bewertung dessen, was vorgefallen ist, als auch bei der Entscheidung über Sanktionen und Maßnahmen, kollektive Diskussionen geführt werden müssen. Der Grund, warum verschiedene Konzepte der Definitionsmacht abzulehnen sind ist nicht, weil in erster Linie davon ausgegangen werden muss, dass möglicherweise falsche Anschuldigungen gegen Männer erhoben werden könnten - auch wenn derartige, falsche Vorwürfe als potentielles Mittel auch gegen Marxist*innen natürlich trotz allem nicht ausgeschlossen werden können. Es geht dennoch vielmehr darum, dass individuelle Lösungen unzureichend sind für den Kampf gegen Sexismus. 

Aus der rein individuellen Diskriminierungserfahrung heraus Taten zu definieren und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen, kann zu Willkür führen. Aus dem verständlichen Wunsch nach Vergeltung, danach, Machtlosigkeit überwinden zu wollen und dem Verlangen heraus, darüber entscheiden zu wollen, “was mit dem Täter passiert”, können auch willkürliche und nicht zielführende Entscheidungen resultieren. Das Wissen darüber, dass Menschen in den meisten Fällen lern- und reflexionsfähig, Verhaltensweisen veränderbar sind, legt dagegen nahe, dass Rache, Strafe o.Ä. keine geeigneten Mittel sind, um solches Verhalten zurückzudrängen. Vielmehr muss es darum gehen, Antisexismus zur Praxis zu machen, also kollektiv auf Fehlverhalten zu reagieren und in demokratischen Entscheidungen, auf der Basis eines marxistischen Feminismus, angemessene Schlüsse zu ziehen.

Die Grundlage unseres Umgangs mit Sexismus innerhalb der Organisation als SLP ist das Bewusstsein darüber, wie Frauenunterdrückung/Sexismus auf Individuen wirkt, welche unterschiedlichen Facetten das annehmen kann und dass die Stigmatisierung von betroffenen Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft grundsätzlich eher dazu führt, dass viele Fälle unerkannt bleiben. Zu den Aufgaben der Partei gehört es aber auch, die Rechte der einzelnen Mitglieder auf eine Untersuchung, die alle Seiten hört und versucht alle Aspekte zu berücksichtigen, zu schützen. Um die Breite der Facetten deutlich zu machen: Wir müssen unterscheiden zwischen notorischen Sexisten und Frauenhassern und Mitgliedern einer Organisation, die allgemein auf dem Boden der Prinzipien und des Programms stehen, sich aber dennoch aus unterschiedlichen Gründen falsch verhalten. Wir versuchen uns unvoreingenommen ein eigenes Bild zu machen, was vorgefallen ist, welchen Umfang das Vorgefallene hat und in welchem Kontext das steht. Es kann aber auch geschehen, dass wir Vorfälle anders einschätzen als die betroffenen Personen oder auch, dass wir andere Maßnahmen vorschlagen. Das widerspricht Konzepten der "Definitionsmacht", ist aber notwendig, um nicht in Willkür zu verfallen.

Kein Sozialismus ohne Befreiung der Frau, keine Befreiung der Frau ohne Sozialismus

Die Marxistin Alexandra Kollontai schrieb 1920, nach der Oktoberrevolution in Russland über die Veränderungen in der Familie und zwischen den Geschlechtern durch die Umwälzungen der gesellschaftlichen Verhältnisse: “Es gibt keinen Grund, die Wahrheit vor uns selbst zu verbergen: die normale Familie früherer Tage, in der der Mann alles und die Frau nichts war - da sie keinen eigenen Willen, kein eigenes Geld und keine eigene Zeit hatte - diese Familie wird von Tag zu Tag verändert; sie gehört fast der Vergangenheit an. Aber wir sollten uns vor diesem Zustand nicht fürchten. Entweder aus Irrtum oder aus Unwissenheit sind wir durchaus bereit zu glauben, dass alles an uns unveränderlich bleiben kann, während sich alles verändert. ‘Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.’ - Es gibt nichts Irrtümlicheres als dieses Sprichwort! Wir brauchen nur zu lesen, wie die Menschen in der Vergangenheit gelebt haben, und wir werden sofort erfahren, dass alles einem Wandel unterworfen ist und dass es keine Sitten, keine politischen Organisationen und keine Moral gibt, die unveränderlich und unantastbar bleiben.”

Es gibt keine unüberwindbaren Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Die Arbeiter*innenklasse ist in der Lage, Spaltungen entlang des Geschlechts, der Hautfarbe, der Religion etc. zu überwinden und eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen, in der nicht der Profit der herrschenden Klasse Dreh- und Angelpunkt der menschlichen Verhältnisse und der gesellschaftlichen Strukturen ist, sondern die Bedürfnisse und Fähigkeiten aller. 

Die Massenbewegungen 2019 in nahezu allen Teilen der Welt, die sich heute zum Teil fortsetzen, waren zu einem großen Teil geprägt von einem weiblichen, jugendlichen und proletarischen Charakter. Frauen sind - aufgrund ihrer spezifischen Unterdrückung - oft die entschlossensten Kämpferinnen revolutionärer Bewegungen. Der Kampf gegen Sexismus und Frauenunterdrückung ist daher so eng wie noch nie damit verbunden, eine schlagkräftige Arbeiter*innenbewegung aufzubauen, die in der Lage ist, das verrottete kapitalistische System mit all seinen verkrusteten Strukturen und Ideologien abzuschaffen und damit auf die Basis für die Unterdrückung der Frau endlich zu überwinden. 

 

 

 

14.8.: Solidarität mit Frauenprotesten in Russland

Sotsialisticheskaya Feministskaya Alternativa (SFA) aus Russland ruft gemeinsam mit International Socialist Alternative (ISA) und ROSA - International Socialist Feminists zu Protesten und Solidaritätsaktionen am 14. August auf.

Der Aufruf folgt den Ereignissen am 27. Juni, wo in Moskau 40 Aktivist*innen von SFA und weitere drei in St. Petersburg von der Polizei verhaften wurden, weil sei gegen die anhaltenden Angriffe auf Yulia Tsvetkova protestierten. Obwohl die meisten von ihnen später freigelassen wurden, wurde Anastasia Rezyuk für 15 Tage in Polizeigewahrsam festgehalten.

Der Fall von Yulia Tsvetkova

Am 24. Oktober 2019 wurde in Komsomolsk-Na-Amur, einer Stadt im fernen Osten Russlands, einer der absurdesten Untersuchungen des 21. Jahrhunderts begonnen. Der Kriminalfall konzentriert sich auf eine Zeichnung von weiblichen Sexualorganen. Yulia Tsvetkova, Künstlerin und aktive Feministin, wurde verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Grund dafür war die Anklage der “illegalen Vorbereitung und Verbreitung von pornographischem Material über das Internet” wegen ihrer Rolle in der Verwaltung der feministischen Seite „Vagina Monologues“. Yulia sieht sich nun mit sechs Jahren Gefängnisstrafe konfrontiert weil sie ein positives Bild und Verständnis von weiblichen Körpern (auf)gezeichnet hat.

Yulia steht nun seit ungefähr einem Jahr unter Hausarrest und während dieser Zeit wurden weitere zwei Anklagen vorgelegt, die den verfassungswidrigen und verpönten Akt der „Propaganda von nicht traditionellen sexuellen Beziehungen an Minderjährigen mittels des Internets“ inkludieren. Sie wurde dafür bereits für schuldig gesprochen und mit einer Strafe von 1.630 US-Dollar belastet. Das wird auch bei Gericht vorgebracht werden, wenn die anderen Anklagepunkte behandelt werden, um Yulia als Wiederholungsstraftäterin darzustellen und ihre Chancen auf eine mildere Strafe zu reduzieren.

Yulia wurde wiederholt sowohl von Vertreter*innen von homophoben Gruppen wie auch des russischen Staates schikaniert. Beispielsweise war es ihr solange nicht gestattet, eine*n Ärzt*in zu besuchen, bis ihre Mutter sich einem Verhör stellte. Yulia hat mindestens einmal von der homophoben Gruppe Pila Morddrohungen erhalten. Die dafür Verantwortlichen wurden nicht angeklagt.

Am 9. Juni fand die offizielle Anklageverlesung gegen Yulia statt. An diesem Tag wurden sowohl in Moskau wie in St. Petersburg eine Reihe von Demonstrationen von Einzelpersonen von SotsFemAlternativa und anderen feministischen Aktivist*innen organisiert (Anmerkung: Demonstrationen wie wir sie kennen werden in Russland kaum legal genehmigt, die Aktivist*innen müssen daher auf auf das Mittel von Einzalprotesten zurückgreifen). Trotz der Proteste blieben die offiziellen Anklagepunkte unverändert – die Verbreitung von Pornographie.

Am 27. Juni schlossen sich mehr als 50 kulturelle, journalistische und bildungspolitische Projekte in einem gemeinsam organisierten und durchgeführten medialen Solidaritätsstreik „#ЗаЮлю“ (Für Yulia) zusammen. Am selben Tag wurden weltweit Protestaktionen organisiert – in Zusammenarbeit mit SFA und anderen feministischen Aktivist*innen. Abgesehen von Protesten in 19 russischen Städten gab es auch Aktionen in Ottawa, Berlin, London, Madrid, Köln, Tel Aviv und einer Reihe von Städten in den Niederlanden. Hunderte haben auch in Russland ihre Solidarität mit Yulia ausgesprochen, obwohl der Fall gänzlich von den staatlichen Medien ignoriert wurde.

Aktuell gibt es leider keine positiven Entwicklungen in Yulias Fall und jetzt sieht sich auch noch ihre Mutter Anna Khodyreva mit polizeilichen Ermittlungen konfrontiert.

Trotzdem werden feministische und sozialistische Aktivist*innen nicht nachgeben und trotz des Drucks der Behörden und der trotz der Verhaftungen mit der Kampagne zur Verteidigung von Yulia Tsvetkova und den Khachaturyan Schwestern fortfahren.

Der Fall der Khachaturyan Schwestern

Die Situation rund um Yulia Tsvetkova ist kein Einzelfall. SFA führt auch die Kampagne zur Unterstützung der Khachaturyan Schwestern fort.

Im Juli 2018 wurde der 57 Jahre alte Mikhail Khachaturyan tot in seiner Wohnung aufgefunden - mit über 30 Messerstichwunden. Er ist von seinen drei Töchtern – die damals 17, 18 und 19 Jahre alt waren – ermordet worden. Während der Ermittlungen kam heraus, dass sie viele Jahre sexuellen, physischen und emotionaen Drucks hinter sich hatten und wie Sklavinnen gelebt hatten wo von ihnen erwartet worden war, dass sie die sexuellen Bedürfnisse ihres Vaters befriedigen. Trotz all dem wurden die Schwestern der vorsätzlichen Tötung angeklagt und sie sahen sich mit 8-20 Jahren Haft bedroht.

Die löste eine Welle von Protesten aus – Aktivist*innen haben oft versucht die Erlaubnis für diese Proteste zu bekommen, aber ohne Erfolg. Zur selben Zeit wurden sie häufig von Khachaturyans männlichen Verwandten und von Organisationen wie der „männliche Staat”, der den „islamischen Staat“ imitiert und angeblich die Rechte der Männer verteidigt, angegriffen.

Die Informationsblockade wurde gebrochen, als am 31. August SFA Aktivist*innen in eine unerlaubten Protestdemonstration ein Transparent in Solidarität mit den Schwestern ausbreiteten und die Demonstration anführten. Dem folgte ein – diesmal legaler - massiver Protest gegen häusliche Gewalt, wo Opfer über ihre Erfahrungen berichteten und deren Worte von Teilnehmer*in zu Teilnehmer*in weitergegeben wurden.

Am 13. Mai 2020 wurde deutlich, dass das Untersuchungsgericht seine Arbeit abgeschlossen hatte: doch sie weigerten sich, die Anklage von vorsätzlichen Mord auf Selbstverteidigung herab zu stufen.

Die Spitze des Eisberges

Diese zwei sind nur die bekanntesten von vielen tausend Fällen an häuslicher Gewalt und Übergriffen gegen feministische und LGBT Aktivist*innen in Russland. SFA steht in der vordersten Linie dabei, all das öffentlich zu Thematisieren und rufen auch zu internationalen Protesten am 14. August (bzw. rund um diesen Tag) auf.

https://www.rosainternational.org/

 

Kommt zum Protest am 14.8.: https://www.slp.at/termine/solidarit%C3%A4t-mit-frauenprotesten-in-russland

Stellungnahme nach Aktionen vor privaten Wohnadressen von SLP - Mitgliedern

In der Nacht von Montag auf Dienstag hat COACC Zettel mit Botschaften, Vorwürfen und Forderungen nicht nur vor der Parteizentrale, sowie dem Wohnhaus des Beschuldigten, sondern auch dem Wohnhaus von Einzelmitgliedern der SLP angebracht. Hintergrund sind vorangegangene Vorwürfe von Sexismus gegen ein mittlerweile ehemaliges Mitglied. Wir haben in unseren Stellungnahmen unser Vorgehen in der Untersuchung des Falles skizziert, die getroffenen Sanktionen und Maßnahmen erklärt und mehrmals betont, dass wir die Wut des Opfers verstehen und auch den Wunsch, sich öffentlich zu äußern. Wir haben auch mehrmals betont, dass wir offen dafür sind, uns mit der betroffenen Person und COACC zu treffen und über einzelne Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu diskutieren. Diese Angebote wurden alle nicht wahrgenommen.

Sexismus innerhalb von linken Organisationen ist ein Problem dessen wir uns bewusst sind, und wir befinden uns aktuell auch in einer Diskussion innerhalb unserer Organisation bezüglich des Umgangs mit solchen Vorfällen. Uns ist bewusst, dass es eine gezielte Anstrengung braucht, um Sexismus innerhalb der eigenen Reihen effektiv zu bekämpfen. Gerade weil die bürgerliche Gesellschaft Frauen, die Sexismus und Übergriffe offen ansprechen stigmatisiert, braucht es innerhalb der Linken einen bewussten Umgang damit. Wir maßen uns nicht an, unseren Umgang als perfekt zu bezeichnen und haben uns immer offen für Diskussionen und Kritik gezeigt.

Aber trotzdem finden wir, dass eine Grenze überschritten wird, wenn Aktivist*innen, die selbst Opfer von rassistischer und sexistischer Diskriminierung werden bzw. als offene Sozialist*innen und Antifaschist*innen potentiell in einer gewissen öffentlichen Gefahr stehen, durch Aktionen an ihren Wohnadressen gegenüber der Öffentlichkeit und damit potenziell auch gegenüber Nazis, dem bürgerlichen Staat, aber auch feindseligen Nachbar*innen oder Vermieter*innen geoutet werden. In einer Gegend, in der immer wieder Nazipickerl aufgetaucht sind, ist ein solches Outing fahrlässig. So eine potentielle Gefährdung, aber auch damit einhergehende psychische Belastungen für die geouteten Aktivist*innen haben für uns keinen Platz in einer feministischen Linken und stehen in keinem Verhältnis dazu, wie wir als Organisation mit dem Fall umgegangen sind. Wenn mit Linken mit denselben Methoden umgegangen wird wie mit Rechtsextremen, ist das für uns mindestens kontraproduktiv. Wir wollen alle Beteiligten fragen: Wie kommen wir über solche Aktionen einer Lösung näher? Potentiell gefährdende und einschüchternde Aktionen gegen Linke und Femist*innen sind keine Methoden, die dem Kampf gegen Frauenunterdrückung helfen. Solche Methoden können unnötigen Stress und Angst auslösen, gerade auch bei weiblichen und migrantischen Mitgliedern.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass COACC offenbar kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit uns zu den involvierten Themen hat. Für uns ist hier auch der Punkt erreicht an dem wir keine weitere Online-Kommunikation mit COACC mehr aufnehmen werden. Wir wollen aber auf diesem Wege trotzdem unser Angebot für Gespräche mit der Betroffenen, von ihr gewählten Vertrauenspersonen und einer unabhängigen Moderation nochmal erneuern.

Für weitere Informationen verweisen wir auf unsere bisherigen Stellungnahmen:
https://www.slp.at/…/stellungnahme-zu-den-vorw%C3%BCrfen-im…

https://www.slp.at/…/stellungnahme-zum-umgang-mit-sexismus-…

 

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