Antifaschismus und Antirassismus

Von Parias und Unterdrückung – Die Sinti und Roma

Teil 2: Geschichte der Roma – Geschichte des Antiziganismus
von Daniel Pannicke, Berlin

Die Geschichte der Roma – kein lustiges Zigeunerleben

Die Hypothesen und Theorien zu ihrer Herkunft, zu ihrer „Urheimat“ und ihrer Wanderung nach Europa sind zahlreich. Tatsächlich kann nur wenig als gesichert gelten. Sicher ist, dass ihre Vorfahren im Laufe von mehreren Jahrhunderten aus Indien über den Nahen Osten und Kleinasien in mehreren Schüben nach Griechenland und in die Balkanregion einwanderten (die spanischen Roma sind vermutlich über Nordafrika eingewandert). Als Beleg wird die Ähnlichkeit des Romanes mit dem Sanskrit und anderen Sprachen des indischen Subkontinents angeführt. Im Mittelalter führte man ihre Herkunft auf Ägypten zurück. Zunächst wurden sie zwar noch allgemein geduldet, aber meist blieb ihnen nur ein Platz am unteren Rande der Gesellschaft.

Im heiligen römischen Reich schütze sie anfangs noch ein Freibrief des Kaisers Sigismund (Kaiser von 1433-1437). Doch schon 1497 hob der Reichstag zu Lindau diesen wieder auf und die Roma wurden zu Vogelfreien erklärt. Die mittelalterliche Welt befand sich in einem zunehmenden Zustand des Wandels und Umbruches. Die Stadtbevölkerung wurde zunehmend selbstbewusster, der niedere Adel verlor immer mehr an Bedeutung, Konflikte zwischen Bauern und Grundherren, zunehmende Konflikte mit der Kirche, im Osten die Osmanen usw. usf. In dieser Zeit der Umwälzungen stellte die gefühlte Fremdheit der Roma einen wunderbaren Sündenbock dar, in den alles Negative hinein projiziert werden konnte. Ein häufiger Vorwurf war die angebliche Spionage für die Osmanen. Der Vorwurf der Spionage wurde selbst mehrere Jahrhunderte später gegen sie verwendet (auch im ersten Weltkrieg wurde behauptet sie hätten für den Feind spioniert). Auch wurden Arme und Bettler zunehmend als Schmarotzer empfunden, wo sie vorher zumindest als Stand anerkannt waren. Außerdem stellten die Roma allein durch ihre Existenz eine Bedrohung oder zumindest eine Provokation der herrschenden Klassen dar. Sie waren in der Regel nicht durch Lehnseid oder Grundherrschaft an diese gebunden. Dies stellte ihre Herrschaft in Frage und konnte schwerlich von diesen geduldet werden. In Deutschland wurden zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert weit über 100 Verordnungen erlassen, welche jegliche Art von Gewalt gegen Roma und Sinti erlaubte.

Die Politik gegen Roma war, sowohl was das Reich anbelangte, als auch den Rest Europas, nicht immer einheitlich; die Verfolgung nicht überall gleich intensiv. Roma konnten sich zum Beispiel im Dreißigjährige Krieg (1618-1648) durchaus auch als Söldner verdingen, war man doch in diesem Hauen und Stechen auf „Menschenmaterial“ angewiesen und in Südoststeueropa besetzten sie zum Teil sehr wichtige ökonomische Nischen (dazu gleich noch ausführlicher).

Später zeigte die Politik gegen die Roma immer mehr auch eine Tendenz zur Zwangsassimilierung. Unter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia wurden im 18. Jahrhundert Roma verpflichtet sich niederzulassen, ihre Dörfer durften sie nur mit Genehmigung der Behörden verlassen. Außerdem sie wurden der staatlichen Gerichtsbarkeit unterstellt und zum Militärdienst eingezogen. Es war ein Versuch sie zu sesshaften Bauern umzuerziehen. Bedeutete dies noch in einigen Punkten eine Gleichstellung, so bedeuteten die weiteren Maßnahmen der Kaiserin und ihrer Nachfolger eine scharfe Repression. Den Roma wurde ihre Sprache und Kleidung verboten. Schlimmer war jedoch, dass ihnen ihre Kinder ab dem fünften Lebensjahr entzogen wurden und in Obhut von Bauern anderer Ethnien gegeben wurden. Solche Maßnahmen repräsentierten Unterdrückung und wurden logischerweise auch als solche empfunden. Auch heute noch herrscht unter einigen Romafrauen die Angst, dass jemand ihnen die Kinder wegnehmen könnte. Es waren unter anderem Maßnahmen in dieser Art, die sie ins „Nomadentum“ drängten.

Vor allem in Südosteuropa war ihre Situation zwar oft genauso prekär, allerdings konnten sie hier (wie oben bereits erwähnt) wichtige ökonomische Nischen besetzen. Ursache für diese Entwicklung war, dass sich das Stadtwesen, im Gegensatz zu Westeuropa, nicht so blühend entwickelte. Dadurch blieben für sie wichtige Berufsgruppen frei, vor allem Schmiedeberufe. Viele von ihnen arbeiteten als Kesselflicker, als Werkzeug- , Huf- oder Waffenschmied, aber auch als Musiker, Korbflechter und Pferdehändler. Die Namen einiger Teilgruppen, vor allem der südosteuropäischen, gehen auf diese traditionellen Berufe zurück. So leitet sich zum Beispiel der Name der Kalderasch vom rumänischen Wort für Kessel (caldare) ab.

An diesem Punkt sollten zwei Sachverhalte klargestellt werden. Der erste: Die Roma und Sinti mögen schon jahrhundertelang verfolgt und gedemütigt worden sein. Völlig abgeschieden von der restlichen Bevölkerung, die nicht zu den Roma gehörte, waren sie nicht. Gewiss war es oft ein nebeneinander, aber gerade auf dem Balkan war die Durchmischung der Völker groß, auch was die Roma anbelangt. Heutzutage sprechen auch viele Roma zwei, manchmal gar drei Sprachen und „die Roma“ gibt es nicht. Sinti und Roma sind kulturell und religiös sehr heterogen. In Bulgarien und Mazedonien sind viele Roma Muslime, deutsche Sinti oft Katholiken und in Serbien sind viel von ihnen orthodox getauft. Manchmal vermischen sich jedoch auch muslimische und christliche Glaubensinhalte mit anderen Bräuchen.

Nicht einmal “ihre“ Sprache, das Romanes, sprechen alle und ist auch noch in sehr unterschiedliche Dialekte aufgeteilt. Der Anteil von „falschen Freunden“ zwischen den einzelnen Dialekten kann sehr hoch sein. „Falsche Freunde“ (oder auch „false friends“) sind Wörter zweier unterschiedlicher Sprachen oder Dialekte die ähnlich geschrieben oder gesprochen werden, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Ein köstliches Beispiel sind actual/actually im Englischen und aktuell im Deutschen. Ersteres bedeutet soviel wie tatsächlich, zweiteres soviel wie gegenwärtig, auf die Gegenwart bezogen. Die Sprache der spanischen Kalé, das Caló, hat sich sogar so weit von den restlichen Romanisprachen entfernt, dass es mittlerweile gar nicht mehr als eine solche gilt und eher als Variante des Spanischen eingeordnet wird. Darüber hinaus haben auch die Roma ihre Umgebung kulturell beeinflusst. Beispiel: Der Flamenco, das andalusische Kulturgut par excellence, wurde auch erheblich durch die Kalé mitgeprägt.

Der zweite Sachverhalt: Dass bestimmte Ethnien mehrheitlich bestimmte wirtschaftliche Positionen einnehmen ist kein „Romaphänomen“. Vielmehr war es eine in der Geschichte der Menschheit nicht selten zu beobachtende Tendenz, dass infolge konkreter politischer, ökonomischer oder anderer Entwicklungen, es zu einer „Arbeitsteilung“ zwischen den Ethnien kam. Ein schönes Beispiel hierfür ist das zaristische Russland. 1897 waren circa 35 % der Juden Russlands in Handwerk und Industrie beschäftigt, im Handel und Kreditwesen waren es ca. 30% (ihre Einnahmen waren jedoch oftmals sehr dürftig). Um die 90% der Ukrainer, der Rumänen Bessarabiens (heute Moldawien) oder auch der Weißrussen waren Bauern. Die Armenier außerhalb des armenischen Kernlandes spielten lange Zeit eine wichtige Rolle in Russlands Orienthandel. Für andere Länder und Regionen lassen sich ähnliche Beispiele finden. Einen weiteren Grund, warum Roma in bestimmten Berufen häufig anzutreffen waren, lässt sich außerdem noch für Rumänien finden.

Im heutigen Rumänien gerieten nämlich die Roma in die Sklaverei. Aufgrund dieses Status durften sie nur bestimmte Berufe und kein Land erwerben. Auch duften sie sich nur in bestimmten Gebieten niederlassen und auch hier durften ihnen infolge ihres Status die Kinder weggenommen werden. Sie waren faktisch rechtlos. Ein weiterer Grund in anderen Teilen Europas oder der Welt sein heil zu suchen. Erst um 1855/1856 wurde die Sklaverei dann endlich abgeschafft. An den Folgen eben jener leiden sie heute noch; ähnlich der schwarzen Bevölkerung in den USA oder Südafrikas.

Es lässt sich also nicht behaupten, dass die Roma und Sinti sich nicht in die Gesellschaft integrieren wollten, sondern ihnen wurde es durch Verfolgung und Vertreibung, durch „Integration“ mit repressivsten Mitteln, Verboten und Sklaverei schwer gemacht. Und selbst wenn einige sich nicht integrieren wollten, ist das nicht auch nachvollziehbar, nach allem was ihnen widerfahren ist und bei einer Gesellschaft, welche ihnen feindlich gesonnen ist?

Zur größten Tragödie sollte für die Sinti und Roma sollte allerdings erst das 20. Jahrhundert werden. Ihre Diskriminierung wurden zunehmend rassisch begründet. Arbeitsscheue, Nomadentum und Kriminalität lägen in ihrer „Rasse“ begründet. Im deutschen Kaiserreich ab Bismarck und auch in der Weimarer Republik wurden Anweisungen und Gesetze „zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ erlassen. „Zigeuner“, oder wer als solche/r galt, wurden zunehmend erfasst. 1899 wurde die sogenannte „Zigeunerzentrale“ als Spezialeinheit der Münchener Polizei eingerichtet. Sie befasste sich mit der systematischen Erfassung und Überwachung der Sinti und Roma. Der Leiter dieser Behörde, Alfred Dillmann, erstellte 1905 das sogenannte „Zigeunerbuch“, in welchem wie in einem Steckbrief unter anderem Name, Geburtsort, Heimat, Staatsangehörigkeit, Beruf, Vorstrafen, körperliche Merkmale usw. vermerkt worden waren. 1911 wurde angeordnet, dass von allen Sinti und Roma Fingerabdrücke zu nehmen und in der „Zigeunerzentrale“ zu archivieren seien, später wurden auch Standesämter angewiesen, Informationen an diese Zentrale weiter zu leiten. Auch diese Informationen fanden Eingang in dieses Buch, es wurde fortwährend ergänzt und wurde sogar im Buchhandel(!!) verkauft. Nach dem ersten Weltkrieg übernahm diese Behörde reichsweite Funktion. In der Weimarer Republik („Deutschlands erster Demokratie“) wurden sie weiterhin diskriminiert, beispielsweise wurden in Preußen 1927 eine spezielle Ausweispflicht eingeführt; Sinti und Roma mussten einen „Zigeunerpass“ mit Lichtbild und Fingerabdrücken ständig mit sich führen.

Durch diese umfassende Überwachung, Erfassung und Archivierung war es denn Faschisten nach ihrer Machtübernahme 1933 ein leichtes die Roma noch viel umfassender auszusondern und letztlich in die Gaskammern zu schicken. Wie die jüdische Bevölkerung waren sie auch von den Nürnberger Gesetzen betroffen. Ehen zwischen „Zigeunern“ und „Ariern“ wurden verboten. 1936 wurde die „Rassenhygienische Forschungsstelle“ eingerichtet. Geleitet wurde sie von Dr. Robert Ritter, zwar kein NSDAP-Mitglied, aber überzeugter Anhänger des Rassenwahns und der Illusion vom „geborenen Verbrecher“. Ritter war an tausenden Gutachten beteiligt, in denen Menschen bescheinigt wurde ob sie „Voll-Zigeuner“, „Zigeuner-Mischling“ oder „Nicht-Zigeuner“ waren. Er und seine Mitarbeiter entschieden damit über Leben, Sterilisation oder Gaskammer. So gut wie alle dieser „Zigeunerforscher“ blieben nach dem zweiten Weltkrieg straffrei und wurden nie zur Rechenschaft gezogen, nicht wenige konnten sogar jahrelang und ungestört weiter „Forschen“ und „Begutachten“. Die „Zigeunerzentrale“ ging in die „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ in Berlin auf, von wo aus die Vernichtung der europäischen Roma und Sinti zentral geplant und organisiert wurde. 1938 wurden im Zuge der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ hunderte in Konzentrationslager deportiert, am 7. Oktober 1939 wurde es ihnen durch den Festsetzungserlass Himmlers verboten, ihren Aufenthaltsort zu verlassen und ihre Deportation in die Konzentrations- und Vernichtungslager begann im großen Stil.

Durch die Eroberung großer Teile Europas durch Nazideutschland und der mit ihm verbündeten Staaten wurden auch die Roma außerhalb Deutschlands Ziel des Vernichtungsapparates. Auf dem Gebiet des zerschlagenen Jugoslawiens wurden sie von der faschistischen Ustascha-Regierung in Konzentrationslager eingepfercht und ermordet. Andere fielen der „Partisanenbekämpfung“ der Wehrmacht zum Opfer. Um den Widerstand der jugoslawischen Partisanen zu brechen nahm die Wehrmacht Geiseln, die nach Angriffen von Partisanen, bei denen deutsche Soldaten verletzt oder getötet wurden, hingerichtet wurden. Die meisten Opfer die Jugoslawien nach den Krieg zu beklagen hatte waren keine Partisanen, sondern Zivilisten. Aus Frankreich und den Benelux-Staaten wurden sie nach Osten in die Todeslager deportiert. Das Vichy-Regime erwies sich als besonders hilfsbereit bei der Auslieferung von Roma an Nazideutschland, fast 30.000 lieferte man aus. Auch in Italien wurden die Roma verfolgt, doch erst mit dem Zusammenbruch des italienische Faschismus und der darauf folgenden Besetzung durch Hitlers Armee wurden sie auch von hier in die Vernichtungslager verschleppt. Gleiches ereignete sich ab Oktober 1944 in Ungarn, nachdem die faschistische Pfeilkreuzlerpartei die Macht übernommen hatte.

Nur in wenigen besetzten Ländern konnten Roma der Vernichtung in größerer Anzahl entgehen, unter anderem in Dänemark, Griechenland und Bulgarien (durch ihren muslimischen Glauben genossen sie einen gewissen Schutz durch ihre Religionsführer). Insgesamt überlebten den Porajmos (zu deutsch: das Verschlingen) zwischen 94.000 – 500.000 Roma nicht. Nur wenige Familie hatten keine Angehörigen verloren. Nach diesem Trauma sollte jedoch die nächste Demütigung auf sie warten.

Kaum ein Sinti oder Roma konnte nach dem 2. Weltkrieg darauf hoffen eine Entschädigung für das erlittene Unrecht zu erhalten und sei sie auch noch so klein. Die Opfergruppen der Roma, „Asozialen“ und Zwangssterilisierten hatte die höchste Ablehnungsquote bei Entschädigungsanträgen (sowohl in der BRD als auch in der DDR). Nahezu jeder Antrag wurde abgelehnt. Die Verfolgung der Roma wäre eben nicht rassistisch motiviert gewesen, sondern wäre in ihrer „Asozialität“ begründet gewesen. Der Bundesgerichtshof bestätigte dies Praxis 1956 und begründete dies (wortwörtlich) wie folgt: „Die Zigeuner neigen zur Kriminalität, besonders zu Diebstählen und zu Betrügereien. Es fehlen ihnen vielfach die sittlichen Antriebe zur Achtung vor fremden Eigentum, weil ihnen wie primitiven Urmenschen ein ungehemmter Okkupationstrieb eigen ist“. Das erlittene Unrecht wurde in der Regel ignoriert. Bis in die 60er Jahre traten sogar Personen, die direkt an der Verfolgung beteiligt waren, als Gutachter in Entschädigungsverfahren auf(!). Es ist einzig und allein einer (heute in der Bevölkerung leider recht unbekannten) Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma zu verdanken, dass dieses Thema wieder in die Öffentlichkeit gelangte. Nicht nur in diesem Bereich wurden sie weiterhin diskriminiert. Polizeibeamte, welche schon im dritten Reich an ihrer Verfolgung beteiligt waren, wurden weiterhin in Sonderabteilungen zur Bekämpfung und Überwachung der Roma eingesetzt. Es wurde nach wie vor versucht sie zu ghettoisieren und leider gelang dies oft. Sinti und Roma wurden abgelegene Wohnwagenplätze, ohne Strom und Wasser oder Anbindung an das städtische Leben zugewiesen. Damit versuchten Kommunen ihnen die Ansiedlung in der eigenen Kommune so schwierig wie möglich zu machen. Praktischerweise konnte man ihnen dann auch weiterhin vorwerfen nicht sesshaft werden zu wollen. Diese Politik hielt bis in 70er Jahre (in einigen Teilen BRD sogar bis in die 80er) an.

Roma im Stalinismus

In den stalinistischen Staaten Osteuropas machten Roma eine besondere Entwicklung durch. In den stalinistischen Staaten bedurfte es vieler Arbeitskräfte zur Industrialisierung, auch die Roma sollten und mussten einbezogen werden. Sie wurden massenhaft in die Fabriken geholt und hatten dadurch in mancher Hinsicht erstmals Zugang zum industriellen Produktionsprozess und zu Bildung. 1960 betrug die Arbeitslosigkeit unter Roma in Ungarn 35% und 32% waren Gelegenheitsarbeiter. Schon 1980 betrug die Anzahl von Gelegenheitsarbeitern 15% und 85% hatten einen permanenten Job. Dadurch glichen sie die Lebensverhältnisse, wenn auch sehr langsam, an. Denn auch weiterhin wurden ihnen Aufstiegsmöglichkeiten verwehrt und damit blieben viele eher in den unteren Schichten konzentriert. Allerdings ging man auch sehr rabiat vor, um sie in den Produktionsprozess einzuspannen. Darüber hinaus wurden sie auch als ethnische Minderheit unterdrückt und hatten unter nationalen Borniertheit der bürokratischen Diktatur zu leiden. Sie wurden vor allem als rückständig in Lebenseinstellung und Kultur angesehen. Die Vorurteile im Staat und der Bevölkerung waren tief verankert, was natürlich dem Zentralkomitees zur Machterhaltung (divide et impera!) gelegen kam. So wurden Roma außerordentlich häufig auf Sonderschulen verwiesen, obwohl sich selbst in diesen Ländern in Untersuchungen zeigte, dass sie eine normale Schullaufbahn hätten absolvieren können, wären sie nur frühzeitig gefördert worden. Im besonders autoritär regierten Rumänien unter Ceausescu wurde der kleine Teil der noch nicht sesshaften Roma zur Sesshaftigkeit gezwungen und über sie konnte Zwangsarbeit verhängt werden. In einigen Ländern (z.B. im eben erwähnten Rumänien) wurde ihre Existenz schlicht geleugnet und sie wurden als „rückständiger Teil“ der Titularnation umetikettiert. Oft hieß das Ziel einfach nur völlige Assimilation statt Gleichberechtigung, weshalb in einigen Ländern des Ostblocks auch ihre Sprache und Kultur verboten wurde. Daher lässt sich schon erahnen was nach dem Zusammenbruch des Stalinismus geschah.

Roma waren meist die ersten die entlassen wurden, da sie meist schlechter ausgebildet waren und hatten die niedrigeren Bildungsabschlüsse. Von den Segnungen des Kapitalismus bekamen die meisten Roma nichts ab und wurden damit zu den ersten und größten Verlierern der Wende. Daher wandten sich viele wieder notgedrungen und verstärkt ihren Familienstrukturen zu. Das es Roma gibt, die sich mit Müll sammeln oder Kriminalität über Wasser halten müssen, ist nicht ihre Schuld. Nein, es ist die Schuld des kapitalistischen Wirtschaftssystems, welches sich unfähig zeigt ihnen einen angemessenen Lebensstandard zu sichern.

Wozu der Antiziganismus?

Simone de Beauvior, eine der wichtigsten Vertreterinnen des bürgerlichen Feminismus, schrieb einmal: „Ein Vorteil, den die Unterdrückung den Unterdrückern verschafft, besteht darin, dass noch der Geringste von ihnen sich überlegen fühlt: ein „armer Weißer“ im Süden der USA kann sich damit trösten, dass er kein „dreckiger Neger“ ist, und die wohlhabenderen Weißen beuten diesen Dünkel geschickt aus“. Man tausche „ armer Weißer“ und „dreckiger Neger“ gegen „armer Ungar“ oder „armer Deutscher“ und „dreckiger Zigeuner“. Der Effekt bleibt der Gleiche. Diejenigen, die nichts oder wenig haben, erhalten die Möglichkeit ihre Situation als erträglicher wahrzunehmen. Man ist ja wenigstens kein „Zigeuner“. Wenn die Bild wieder mal gegen „Bettel- Roma“ schreibt oder jemand gegen die „asozialen“ Roma wettert, wird genau dieses Gefühl bedient. Der eigene Status kann noch so gering sein, eine noch so niedere Existenz, man ist wenigstens kein „Zigeuner“. Die Illusion der Ungleichwertigkeit der Menschen aufgrund von Religion, Geschlecht oder Ethnie kann ein enorm tröstendes Moment sein, auch wenn es die bestehenden Probleme nicht im Mindesten löst. Außerdem wird eine Einheit zwischen einem Teil der Unterdrücker und einem Teil der Unterdrückten hergestellt. Das Gefühl mit diesem in einem Boot zu sitzen kann von Aufbegehren gegen diese abhalten. Aus Konflikten zwischen Klassen oder Schichten werden Konflikte zwischen Ethnien.

Die Sinti und Roma erscheinen auch als Stellvertreter eines regelrechter Hasses gegen die Armen bzw. jene, die man mit Armut assoziiert. Soziales Elend mag existieren, soll aber bitte nicht sichtbar sein. Durch den Antiziganismus wird eben nicht Mitgefühl, oder im besseren Falle Solidarität, für die von Armut oder Diskriminierung betroffenen geschaffen, sondern Verachtung und Hass erzeugt, auch bzw. besonders wenn sich die Betroffenen wehren. Tatsächlich haben wohl auch anderweitig Unterdrückte ein zumindest subjektives „Interesse“ daran. Manchmal erscheint es zumindest einfacher, den eigenen bedrückenden Zustand durch Unterdrückungsmechanismen wie Antiziganismus (oder auch anderen wie Sexismus, Antisemitismus etc.) aufrecht zu erhalten, als sich gegen die belastenden Zustände zu wenden. Wie gesagt: Wenigstens kein „Zigeuner“ sein.

Aber der Antiziganismus hat auch eine disziplinierende Funktion. Den Roma werden bestimmte (nicht erwünschte) Eigenschaften zugeschrieben und diese verdammt. Damit soll letztlich auch die restliche Bevölkerung von bestimmten Verhaltensweisen abgeschreckt werden. Ob es nun im Mittelalter die Wahrsagerei war oder heutzutage das Betteln. Andere Eigenschaften oder Verhaltensweisen sollen wiederum gefördert werden. Die Menschen sollen unabhängig von ihrer derzeitigen Lage angepasst sein. Diejenigen die von der Diskriminierung betroffen sind, werden genauso diszipliniert. Ein Großteil der Sinti fällt aus eben jenem Grunde nicht auf.

Mit Schlagworten wie „Zigeunerkriminalität“ wird zudem von den sozialen und politischen Missständen abgelenkt. Es ist dann eben nicht mehr Thema, dass es immer noch Millionen Menschen gibt die arm sind oder der Kapitalismus sich in einer seiner größten Krisen seit langem befindet. Es wird auch nicht mehr diskutiert wem die herrschende Politik dient oder wie sich ein angemessenes Leben für jeden Menschen erreichen lässt, geschweige denn, dass gefragt würde warum einige „Zigeuner“ kriminell werden müssen und wie sich dieser Zustand aufheben ließe. Nicht die Zustände, sondern Menschen, welche Ausdruck der gesellschaftlichen Zustände sind, werden bekämpft.

Die Ereignisse von Gyöngyöspata ereigneten sich bezeichnenderweise, als sich die Krise auch in Ungarn Bahn brach. Empörung, Wut, Frustration wendeten sich nicht gegen die Zustände, sondern lenkten sich gegen einen Teil der Bevölkerung, der das Pech hatte zur „falschen“ Ethnie zu gehören. Ein quasi inoffiziell offiziell erlaubter Aufstand zum „Dampf ablassen“. Auch wird die Illusion geschürt, dass mit dem Verschwinden der verachteten Menschengruppe (in diesem Falle die Roma, aber letztlich trifft dies auf jede diskriminierte Gruppe zu) auch die Probleme verschwänden, für die sie schuldig gemacht werden. Doch es wäre naiv das zu glauben. Gesellschaftliche Probleme entstehen aufgrund von gesellschaftlichen Ursachen. Kriminalität, ethnische und religiöse Konflikte, Armut usw. haben im Großen und Ganzen im gesellschaftlichen System ihren Ursprung, nicht in herbei phantasierten Eigenschaften bestimmter Menschengruppen.

Doch der Kapitalismus wird diese Probleme nicht lösen können, ist er doch die Ursache dieser Zustände. Durch den Antiziganismus wird seine Herrschaft stabilisiert. Der Antiziganismus ist ein Machtmittel. Ob er nun bewusst oder unbewusst geschürt und genutzt wird spielt dabei keine Rolle. Auch nicht ob er vom Kapital, dem Staat, Medien oder auch von Teilen der arbeitenden Klasse geschürt wird. Das Ergebnis ist immer dasselbe. Diejenigen, die zumindest ein objektives Interesse an einem Wandel der Zustände haben müssten, werden gespalten, diszipliniert oder abgelenkt. Mit jedem antiziganistischen Vorurteil wird die Herrschaft des Kapitalismus gefestigt.

 

Von Parias und Unterdrückung – Die Sinti und Roma

Teil 1: Aktuelle Lage
von Daniel Pannicke, Berlin

Die Roma und Sinti sind eine der größten Minderheiten Europas. Dennoch ist das Wissen über sie gering und von Vorurteilen oder im besten Falle von Idealisierung geprägt. Kaum eine Gruppe von Menschen wird so verfemt und verachtet wie sie. Das Wissen über sie ist gering und die Kenntnisse über ihre Lage und deren Ursprung erschreckend oberflächlich.

Vorurteil, Stigma, Idealisierung

Wenn in den Medien über Roma berichtet wird, dann oft in einem negativen Kontext. Häufig scheinen die Medienmacher ihren eigenen Vorurteilen zu erliegen. Das scheinbar ewig währende Klischee des kriminellen, nicht integrationsfähigen (bzw. des nicht integrationswilligen) Roma wird wieder und wieder reproduziert. Auch scheinen alle Roma ein Nomadenleben zu führen. Tatsächlich migrieren aber nur 5% dauerhaft oder saisonal, die meisten sind sesshaft. Auch das Thema Kriminalität ist bei weitem nicht so einfach, wie es manchmal scheint. Roma die kriminell auffallen, begehen in der Regel Armutsdelikte wie zum Beispiel Taschen- oder Metalldiebstahl. An Korruptionsdelikten; welche z.B. in Rumänien, das Land mit der größten Romabevölkerung weltweit, ein enormes Problem darstellen; sind sie schon aufgrund ihrer Armut meistens nicht beteiligt. Auch werden Verbrechen wie Mord oder Körperverletzung nicht häufiger beobachtet als in der Nicht-Romabevölkerung. Es mag Roma geben, welche wie in Slums der dritten Welt leben, die Gewaltproblematik dieser teilen sie jedoch nicht.

Ein weiteres häufiges Klischee, welches besonders gerne von Boulevardmedien oder Lokalpolitikern bemüht wird, ist die sogenannte „Bettelmafia“. Es besagt, dass die betreffenden Personen nicht für sich oder ihre Familie betteln, sondern in Wirklichkeit ihr erbetteltes Geld an Hintermänner abgegeben müssen und diese sich damit ein Luxusleben finanzieren. Auch die Polizei stellt manchmal mal mehr mal weniger konkrete Vermutungen auf. Doch wurde bis heute kein Beweis erbracht, dass so etwas wie eine Bettelmafia wirklich existiert. Überhaupt ist es sehr auffällig, dass meist mit der Bettelmafia argumentiert wird, wenn mal wieder ein Bettelverbot in Innenstädten durchgesetzt werden soll oder wenn sich Politiker auf Stimmenfang befinden. Es ist auch leicht gegen eine Gruppe zu hetzen, die sich nicht so gut wehren kann, um für sich zu werben, anstatt die tatsächlichen Probleme anzugehen und wenn schon die Armut (welche der Kapitalismus tagtäglich erzeugt) nicht bekämpft werden kann, dann müssen eben die Armen bekämpft werden. Auch sollte die entlastende Funktion solcher Gerüchte nicht außer acht gelassen werden. Es ist deutlich weniger unangenehm, einen bettelnden Menschen eine Spende zu verweigern, wenn man sich der Illusion hingeben kann, damit keine kriminellen Strukturen zu unterstützen. Faktisch sind es jedoch meist einfach „nur“ völlig verarmte Romafamilien, die zusammen betteln. Das Gerede, dass sie von Bettelmafiosi ausgebeutet würden, entbehrt jeglicher Grundlage.

Es gibt jedoch noch eine andere Seite des Klischees. Hier ist der „Zigeuner“ freiheitsliebend, nicht an ökonomische und gesellschaftliche Zwänge gebunden und gibt sich sorglos dem Müßiggang hin. Es ist das Stereotyp des edlen Wilden und einer romantischen, leidenschaftlichen und freien Lebenswelt. Exotik welche praktischerweise direkt vor der Haustür in Europa liegt. Opern wie z.B. „Carmen“ oder die Operette „Der Zigeunerbaron“ sind Ausdruck davon. Diese Idealisierung der Roma entsprach und entspricht nicht der Realität und ist gelinde gesagt sogar zynisch. Sie lässt außer acht, dass die Roma oft nicht freiwillig umhergezogen sind, sie vergisst auch das ihr Leben nicht weniger sorglos gewesen ist und ihre Geschichte (die später noch Gegenstand genauerer Betrachtungen sein wird) viele Tragödien aufweist.

Auch die scheinbar wichtige Rolle der Familie für Sinti und Roma wird positiv wie negativ hervorgehoben. Diejenigen die es gut mit ihnen meinen, sehen hier das Idealbild des familiären Zusammenhalts und der Solidarität; diejenigen die es weniger gut mit ihnen meinen, werfen ihnen vor das ihre Familienstrukturen undurchsichtig und abgeschottet wären und daher kein Interesse am Kontakt mit der restlichen Bevölkerung hätten. Unbestreitbar ist, dass viele Sinti und Roma die Familie als außerordentlich wichtig erachtet, einige ihrer Vertreter sogar sagen, man könne Sinti oder Roma nur im Familienzusammenhang sein. Warum die Familie eine so wichtige Bedeutung erlangt hat, lässt sich jedoch aus den historischen, sozialen und ökonomischen Kontext erklären. Letztlich bot und bietet heute noch die Familie Sicherheit und Rückhalt. Aber ist dies nun „typisch Roma“? Mitnichten. In vielen Teilen der Erde stellt die Familie eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste und einzige,Sicherungs- und Versorgungsinstanz dar. Die bürgerliche Politik fördert ein bestimmtes Familienbild. Die Familie wird als DAS Sinnbild der Fürsorge und Sicherheit dargestellt. Die Familie soll möglichst viele soziale Aufgaben wie zum Beispiel Erziehung und Pflege übernehmen (und wird zu oft damit allein gelassen). Der erste Satz, der sich auf der Webseite der CDU (der vielleicht bürgerlichsten Partei in Deutschland überhaupt) zum Thema Familienpolitik lesen lässt, lautet wie folgt:„Ehe und Familie sind zentrale Fundamente unserer Gesellschaft. Familien mit Kindern bilden die Grundlage für eine langfristige stabile wirtschaftliche und soziale Entwicklung unserer Gesellschaft„. Weiter heißt es: „Die Familie ist eine der tragenden Säulen unserer Gesellschaft. In der Familie wachsen Kinder auf, in ihr werden Alte behütet. Familie bietet heute mehr Rückhalt als früher. Familien spiegeln den Wandel und den Lauf menschlichen Lebens wider. Familie ist kein Auslaufmodell, im Gegenteil: im Zeitalter der Globalisierung ist sie heute wichtiger denn je“.

Auch wenn es hier nicht offen gesagt wird, in der bürgerlichen Gesellschaft sind Familien unterschiedlich wertvoll. Die Familie ist eben nicht nur ein Zusammenschluss von Menschen, die ihr Leben zusammen leben wollen. Im Gegenteil: die Familie soll auch wirtschaftlich sein, soll eine Wirtschaftseinheit sein. Den Roma wird ihr familiärer Zusammenhalt vorgeworfen, ungeachtet der Tatsache, dass sie dem bürgerlichem Familienideal (familiäre Solidarität etc.) wahrscheinlich mehr entsprechen als viele deutsche Familien. Aber viele von ihnen sind arm und gelten als (vermeintlich) wirtschaftlich nicht verwertbar. Daher sind sie unerwünscht.

Außerdem eignen sie sich als idealer Sündenbock, wie sich Ende Oktober des Jahres 2012 wieder zeigte. Diesmal rückten sie in den Mittelpunkt des Interesses der Medien, weil der Bundesinnenminister Friedrich sich über zunehmende Asylanträge aus Serbien und Mazedonien empörte. Da er beide Länder als „sichere Herkunftsländer“ ansieht, sollen Barleistungen für Asylsuchende aus solchen Ländern gekürzt werden, um angeblichen „Asylmissbrauch“ zu verhindern. Diese Aussagen richten sich vor allem gegen die Roma aus diesen Ländern und schüren weitere antiziganistische Vorurteile von Roma als Betrüger und falsche Asylsuchende, die dem Ansehen Mazedoniens und Serbiens im Ausland schaden.

Kurz darauf berichtete die Tageszeitung „junge Welt“, dass sich besonders Mazedonien bei der Behinderung zur Ausreise hervortue. Pässe von Personen, die im Verdacht stehen in der EU Asyl zu beantragen, würden markiert und es gäbe Stempel mit denen man nicht mehr ausreisen kann. Auch würden Menschen an der Ausreise gehindert, indem ihnen die Reisepässe abgenommen werden. Damit wird ihnen faktisch die Reisefreiheit genommen. Hier zeigt sich besonders markant die Heuchelei der bürgerlichen Politiker. Wurde die DDR noch dafür verurteilt, dass sie ihre Bürger nicht frei reisen lässt, so scheinen solche Maßnahmen heute nicht mehr problematisch zu sein, um unliebsame Menschen fernzuhalten.

Dass es aber durchaus sehr triftige Gründe zur Flucht von Roma aus ihrer Heimat gibt, zeigt eine Untersuchung des Flüchtlingsrates Niedersachsen aus dem Jahre 2011. Der Flüchtlingsrat stellte fest, dass Asylanträge aus Serbien mit erschreckender Regelmäßigkeit abgelehnt werden. Weder werden Diskriminierung, das Leben in Slums ohne Strom und Wasser oder sanitäre Anlagen, noch Zwangsräumungen illegaler Siedlungen (nach denen kein neuer Wohnraum zur Verfügung gestellt wird und daher in die Obdachlosigkeit zwingt), noch die lang andauernde Bedrohung durch serbische Nationalisten als Fluchtgründe anerkannt, ebenso wenig sexuelle Übergriffe. Allerdings werden solche Fälle tatsächlich berichtet und sind keine Hirngespinste der Romaflüchtlinge. Was man über die Aussage von „sicheren Herkunftsländern“ nicht behaupten kann. Die Situation von Roma in Serbien ist offensichtlich prekär. Ihre sozioökonomische und politische Lage soll deshalb genauer beleuchtet werden.

Aktuelle Lage

Wie viele Roma de facto in Europa leben, lässt sich schwer messen und ihre Größe schwer beziffern. Es gibt mehrere Gründe hierfür. Zum einen gibt es Länder, in denen Fragen zur Ethnie bei Volkszählungen nicht erlaubt sind. Zum anderen wird aber auch, sofern solche Fragen erlaubt sind, von nicht wenigen Roma bei Volkszählungen nicht „Roma“ sondern eine andere Nationalität angegeben, teils aus Angst oder Misstrauen, teils aus Scham oder auch einfach weil sie sich gar nicht mehr als Roma fühlen. Auch sind gerade in den ärmsten Gebieten nicht alle Personen (ob Roma oder nicht) amtlich registriert und einige Regierungen setzen Schätzungen bewusst niedrig an. Letztendlich wird geschätzt, dass weltweit ca. 7 – 10 Roma Millionen leben, davon 1,45 – 4,3 Millionen in Europa. Doch wirklich genau und seriös beziffern lässt sich ihre Größe nicht.

Vor allem in Ost- und Südosteuropa leben viele von ihnen unter prekären Bedingungen. Eine Studie von UNICEF zur Situation von Kindern aus Romahaushalten in Südosteuropa kam zu erschütternden Ergebnissen. 85% der Romahaushalte in der Region können eine ausreichende Ernährung nicht sicherstellen, Kinder aus solchen Haushalten sind viermal häufiger von ernährungsbedingten Kleinwuchs betroffen als Kinder der übrigen Bevölkerung und in Serbien sterben Kinder von Roma im Durchschnitt dreimal häufiger im ersten Lebensjahr. In Rumänien leben zwei Drittel, in Albanien sogar 78% der Roma unter dem Existenzminimum von ca. 100€ pro Monat, im Gegensatz zu „nur“ 25% unter den Nicht-Roma in Rumänien und 22% in Albanien. In Serbien sind es immerhin noch 57%, in Mazedonien 34%. Nicht alle Armen in Südosteuropa sind Roma, aber ein erheblicher Teil der Roma ist arm. Wer kaum etwas hat, wird auch nichts sparen können. Nur wenige haben es seit dem Zusammenbruch des Ostblocks zu Wohlstand bringen können.

Auch der Zugang zu Bildung ist schwierig. Laut der Studie gehen bis zu 80% der Kinder aus Romafamilien nicht zur Schule, was unter anderem den Anteil von Analphabeten unter Roma z.B. in Albanien, Serbien und Bulgarien hat ansteigen lassen. Die Gründe sind vielfältig. Die bildungsferne des Elternhauses spielt eine Rolle, ebenso der Mangel an Geld für Schulmaterial oder den Bus zur Schule. Häufig werden Romakinder wegen Kleidung, Dialekt oder Hautfarbe gemobbt und wollen deshalb nicht mehr zur Schule. Andere müssen frühzeitig bei der Betreuung kleinerer Geschwister helfen oder arbeiten gehen um Geld zu verdienen. Zum Teil spielen aber auch überkommene Rollenmuster ein Rolle, einer Umfrage in Serbien zufolge mussten 57% der Roma-Mädchen die Schule aufgrund von Heirat abbrechen. Aber auch Überweisungen auf Sonderschulen erschweren den Zugang zu angemessener Bildung. Dies trifft z.B. auf Tschechien zu, hier werden Romakinder immer noch pauschal auf Sonderschulen abgeschoben.

In Bezug auf ihre Wohnsituation kommt diese Studie auf nicht weniger miserable Zustände. 25% der Roma der Region lebt in baufälligen Gebäuden oder Baracken, 50% lebt in Häusern ohne Anschluss an die Kanalisation und ein Drittel verfügt weder über Badezimmer noch Toilette. In Rumänien leben ein Drittel der Roma in regelrechten Ghettos. Auch die ärmere Bevölkerung unter den Nicht-Roma kennt solche Probleme. In Rumänien hat weniger als die Hälfte der ärmeren Bevölkerung Zugang zu fließend Wasser. In Serbien und Montenegro leben 10-15% der Gesamtbevölkerung ohne Anschluss an die Kanalisation, in Mazedonien sind es 7%.

Infolge der jüngste Krise des Kapitalismus, welche 2007/08 begann und die wohl größte Krise seit knapp 80 Jahren ist, hat sich der antiziganistische Ton gegen die unliebsame Minderheit wieder einmal verschärft. Zweifelsohne haben unter der Krise Roma als auch Nicht-Roma zu leiden. Doch um von den wirtschaftlichen Problemen abzulenken, wird gegen sie gehetzt. In Ungarn, das von der Krise heftig getroffen wurde, hat der Hass auf Roma enorme Ausmaße angenommen. Es gab mehrere Anschläge gegen Roma mit Todesopfern.

Einer davon ereignete sich am 23.02.2009 in Tatarszentgyörgy südlich von Budapest. Die Täter zündeten das Haus einer Romafamilie an und als diese aus dem brennenden Haus flüchtete, wurde auf sie geschossen. Ein fünfjähriges Kind und sein Vater starben. Die Polizei wollte nicht von Mord sprechen, die Versicherung weigerte sich den kompletten Schaden zu bezahlen(Berliner Zeitung). Sollten jedoch Roma Verbrechen bezichtigt werden, schlägt dies riesige Wellen.

2011 erlangte das kleine ungarische Dorf Gyöngyöspata traurige, internationale Berühmtheit. Was war geschehen? Als „Reaktion“ auf „ausufernde Zigeunerkriminalität“ marschierten wochenlang faschistische Milizen durch Gyöngyöspata und terrorisierten die örtliche Romabevölkerung. Erst als 300 Roma (unter ihnen vorrangig Frauen und Kinder) mit Unterstützung des Roten Kreuzes evakuiert worden, sah sich die Regierung genötigt einzuschreiten und die Milizen zu verbieten. Die angebliche „Zigeunerkriminalität“ erwies sich als dreiste Lüge. Tatsächlich wurden laut Pester Lloyd vor den Ereignissen nicht mehr Delikte registriert als sonst auch. Auch danach gingen die Schikanen weiter. Die Wochenzeitung „der Freitag“ berichtete im Dezember 2011, dass nach der Wahl eines Mitgliedes der Jobbik-Partei (einer offen faschistischen Partei) zum Bürgermeister Ordnungsstrafen eingeführt wurden, welche vorrangig bei Roma geahndet werden. Beispielsweise wurde das Laufen auf der Straße mit einen Strafgeld belegt. Die Gehwege in ländlichen Regionen sind indessen sehr schmal und in einem schlechten Zustand, des weiteren ist der Straßenverkehr mehr als nur überschaubar. Um Roma weiterhin zu schikanieren, ist dies offenkundig kein Hindernis. Außerdem gründeten die Rechten einfach neue Organisationen, wie „der Freitag“ weiterführend berichtet.

In anderen Ländern müssen Roma ebenso mit Gewalt durch Nationalisten und Faschisten rechnen. Es kann wirklich nicht verwundern, wenn sie vor solchen Zuständen in andere Staaten Europas flüchten und auch in Deutschland ihr Glück suchen.

Sinti und Roma in Deutschland

Laut dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma leben in Deutschland ca. 70.000 Roma und Sinti mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Sinti leben seit 600 Jahren in Deutschland, die deutschen Roma wanderten im 19. Jahrhundert ein. Außerdem gibt es noch ca. 40.000 – 70.000 Roma, die als Flüchtlinge oder Arbeitsmigranten nach Deutschland gekommen sind. Einige WissenschaftlerInnen setzen die Zahlen höher oder niedriger an. Diese Zahlen sind letztlich jedoch nur zweitrangig. Für diesen Artikel ist ihre soziale Lage in Deutschland von größerem Interesse. Wie sieht sie aus?

Es gibt eine Vielzahl von Studien, leider sind es oft aber nur lokale Erhebungen oder mit einer relativ kleinen Gruppe von Befragten, andererseits kommen viele zu ähnlichen Ergebnissen Demnach sind auch in Deutschland Vorurteile weit verbreitet . Leider ist das keine Überraschung und war zu erwarten. Das viele Roma und Sinti gar nicht als solche sichtbar sind, tut dem anscheinend keinen Abbruch. Beispielsweise kamen viele Roma Ende der 60er Jahre aus Jugoslawien als Arbeitsmigranten nach Deutschland. Wahrgenommen wurden sie nicht als Roma sondern als Jugoslawen und nach dem Auseinanderbrechen Jugoslawiens waren sie eben Serben, Kroaten oder Bosnier. Auffälliger waren sie nicht. Auch Sinti, welche schon seit Generationen in Deutschland leben, versuchen so unauffällig wie möglich zu bleiben. Unter Sinti und Roma sitzt das Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen und die Angst vor Diskriminierung tief. Auch wird berichtet, dass Kinder aus Romafamilien häufiger auf Sonderschulen und Hauptschulen gehen. Auch sind sie häufiger arbeitslos und beziehen Transferleistungen. Allerdings zeigen sich auch dahingehende Tendenzen, dass sich Aufsteiger herausbilden. Für jene die sich ein gewissen Wohlstand erarbeiten können eine erfreuliche Entwicklung. Allerdings zeigt sich auch bei Sinti und Roma eine Tendenz zur Aufspaltung in gute und schlechte Wohngebiete, vor allem bei Alteingesessenen. Die Wohlhabenderen ziehen fort und die Ärmeren bleiben zurück, oder werden infolge der Gentrifizierung verdrängt. Mit all den Konsequenzen, die solch eine Entwicklung hat. Für Romaflüchtlinge ist die Situation wesentlich prekärer. Für Flüchtlinge besteht in der Bundesrepublik Ausbildungs- und Arbeitsverbot, sie haben keinen Anspruch auf Sprachkurse und zu allem Überfluss besteht in einigen Bundesländern (namentlich: Hessen, Baden-Württemberg und Saarland) nicht einmal eine Schulpflicht für Asylsuchende. Mit dem Scheinargument, Flüchtlinge blieben doch nur für eine begrenzten und kurzen Zeitraum, wird ihnen massiv der Zugang zu Bildung und Arbeit verwehrt; dadurch werden sie in illegale Beschäftigungsverhältnisse gedrängt, in denen sie ideal ausgebeutet werden können. Tatsächlich jedoch dauert dieser „kurze“ Aufenthalt oft 10 Jahre oder länger und gerade Roma, als eine besonders stigmatisierte Gruppe, trifft dies hart. Im Bildungsbereich zeigen sich vielfach Probleme, die sich auf die Unterbringung und den Aufenthaltstitel zurückführen lassen. Kinder von Flüchtlingen sind unruhig und unkonzentriert aufgrund der ständigen Angst vor der Abschiebung (welche bevorzugt mitten in der Nacht durchgeführt werden), häufige Umzüge und beengter Wohnräume. Schlechte Anbindung an das öffentliche Verkehrsnetz und abgeschiedene Lage von Flüchtlingsheimen verschärfen viele Probleme noch. Allerdings kann von Desinteresse keine Rede sein. Es mag einzelne Roma geben die an Bildung nicht interessiert sind, oft werden Bildungsangebote jedoch bei entsprechender Aufklärung und Betreuung gut angenommen. Eine Sozialarbeiterin aus Köln, befragt im Rahmen einer von der TU-Berlin durchgeführten und von UNICEF in Auftrag gegebenen Studie, äußerte sich folgendermaßen:“Der mangelnde Schulbesuch, den wir lange gehabt haben, lag nicht an der fehlenden Bereitschaft der Roma, ihre Kinder zur Schule zu schicken. […] Und es gibt keine Roma-Community, die sagt, wir interessieren uns nicht für die Schule. Es gibt Familien, die damit kokettieren. Und es gibt auch welche, die kein Interesse haben, aber das ist eben nicht durchgängig so“. Flüchtlinge und speziell Romaflüchtlinge leben deswegen am Rande der Gesellschaft, weil es politisch gewollt ist.

Eine weitere Verschlechterung bedeutete das Rückführungsabkommen mit dem Kosovo im Jahre 2010. Viele Flüchtlinge, die infolge des Kosovokrieges geflohen sind, waren Roma. Nach der Unabhängigkeitserklärung Kosovos, wesentlich unterstützt von Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich, konnte endlich solch ein Abkommen unterschrieben werden um die missliebigen Flüchtlinge loszuwerden. Durch dieses Abkommen konnten Flüchtlinge wieder nach Kosovo abgeschoben werden.

Viele der Abgeschobenen waren gut integriert, haben schon seit Jahren in Deutschland gelebt und gearbeitet, sprachen und sprechen auch jetzt noch gut Deutsch, gerade deren Kinder sprechen ausschließlich Deutsch und kennen die Sprache ihrer „Heimat“ nicht. Auch wurden Alte, Kranke und Kinder angeschoben. Faktisch wurden all diese Menschen ins Elend abgeschoben. Die Arbeitslosigkeit in Kosovo liegt bei 45%, unter Roma sind es sogar annähernd 100%(!). Das Bildungs- und Gesundheitssystem ist marode. Aus Deutschland abgeschobene Kinder können kein Wort Albanisch und ihre Schulzeugnisse werden teilweise gar nicht anerkannt, was ihre Bildungschancen minimiert. Um Sozialhilfe beantragen zu können, muss man vor der Flucht in der jeweiligen Gemeinde gelebt haben und auch jetzt dort wieder Wohnraum besitzen. Was schwer ist, viele Wohnungen und Häuser wurden im Zuge des Jugoslawienkrieges bzw. Kosovokrieges zerstört oder wurden vor der Flucht zu Schleuderpreisen verkauft.

Als Feigenblatt legte die Bundesregierung das Programm „Ura“ (albanisch für „die Brücke“) auf. Wer freiwillig nach Kosovo zurückkehrt erhält 6 Monate lang (Verlängerung um weitere 6 Monate möglich) einen Essens-, Miet- und Lohnkostenzuschuss und andere kleinere Leistungen wie zum Beispiel Geld für Medikamente. Allerdings nutzen es Arbeitgeber vorrangig um kostenlose Arbeitskräfte zu finden und nach Auslauf der „Förderung“ werden die betroffenen entlassen. Bei einer so hohen Arbeitslosigkeit macht eine solche „Förderung“ auch kaum Sinn; davon abgesehen, dass sie nur max. 12 Monate beträgt. Der Absturz ins Elend wird in den allermeisten Fällen nur aufgeschoben.

 

Flüchtlingsprotest in Traiskirchen – Gemeinsam mit TraiskirchnerInnen gegen die unmenschliche Politik der Regierung!

Michael Gehmacher

Viel wird über Flüchtlinge in den Medien geschrieben. Am Sonntag den 26.7. kamen sie endlich selbst zu Wort: Bei einer lautstarken Demonstration in Traiskirchen. Viele Flüchtlinge aus unterschiedlichen Ländern nahmen teil. Durch die Ansprachen und Parolen in den verschiedensten Sprachen wurde unterstrichen, wie wichtig der gemeinsame Kampf gegen das von der herrschenden Politik offensichtlich gewollte Flüchtlingselend ist.

Waren es am Anfang ca. 500 Leute, schwoll die Demo nach der Kundgebung vor dem Lager auf ca. 1.000 Leute an. Neben Flüchtlingen demonstrierten auch solidarische UnterstützerInnen aus Wien, von verschiedenen linken Gruppen und einige engagierte TraiskirchnerInnen. Die Teilnahme von TraiskirchnerInnen war angesichts der medialen Polarisierung im Vorfeld und der rechtsextremen Gegendemo besonders wichtig. Es war ein starkes Zeichen der Solidarität, dass es sich einige TraiskirchnerInnen nicht nehmen ließen auf der Demo mit zu gehen. Umso wichtiger ist es, dass in den nächsten Wochen gemeinsame Aktionen folgen.

Die Demo richtete sich unter anderem gegen die menschenunwürdigen Bedingungen im Lager Traiskirchen sowie gegen mögliche Abschiebungen nach Ungarn oder andere sogenannte „sichere Drittländer“.

Gefordert wurden außerdem: Bildungsmöglichkeiten für die Kinder der Flüchtlinge, eine Arbeitserlaubnis für Flüchtlinge, Deutschkurse und menschenwürdige Unterkünfte in anderen Teilen Österreichs. Vor allem auch ein baldiges Asyl in Österreich. Viele geflüchtete Frauen gingen bei der Demo mit und brachten sich mit kämpferischen Redebeiträgen ein. Ein wichtiges Zeichen, angesichts des Bildes in den bürgerlichen Medien, dass die wenigen geflüchteten Frauen nur als stille Leidende des Flüchtlingselends zeigt. Insgesamt machte die Demo deutlich, dass eine starke neue Flüchtlingsbewegung, getragen von vielen Flüchtlingen selbst, möglich wäre.

Die SLP beteiligte sich an der Demonstration. Wichtig war uns mit möglichst vielen Flüchtlingen über weitere Schritte der Selbstorganisation zu sprechen. Außerdem wollten wir mit Flüchtlingen und TraiskirchnerInnen die Möglichkeit gemeinsamer Proteste anzusprechen. Die Gespräche dafür waren nicht immer leicht, was aber nicht an den TraiskirchnerInnen lag. Denn die Diskussionen waren zum überwiegenden Teil positiv. Viele unterstützten die Anliegen der Flüchtlinge. Auch die TraiskirchnerInnen die der Demonstration skeptisch gegenüberstanden, diskutierten freundlich. Ordentlich erschwert wurden die Gespräche von der Polizei, die immer wieder versuchte, das Flugblätterverteilen und die Gespräche zu unterbinden. Immer wieder stellten sich PolizistInnen zwischen DemonstrantInnen und AnrainerInnen. Wenn SLP-AktivistInnen ein, zwei Schritte auf Menschen am Straßenrand zu machten, wurden sie oft von PolizistInnen abgedrängt oder „ermahnt“ in die Demo zurück zugehen. Einmal wurde ein SLP-Aktivist sogar mit einer Verhaftung bedroht - angesichts eines normalen Gespräches mit PassantInnen völlig absurd. Offensichtlich gab es eine Order „von oben“ den Kontakt zwischen DemonstrantInnen und TraiskirchnerInnen möglichst zu unterbinden. Die Demo sollte wohl möglichst isoliert bleiben und jede Chance der Solidarisierung unterbunden werden.

Rechtsextreme nutzten die Demo für eigenen Aufmarsch

Verfolgt wurde die Demonstration von einer rechtsextremen Gegendemo. An dieser nahmen einige Mitglieder der faschistischen Gruppe „Identitäre“, eine Gruppe Wiener Nazischläger, niederösterreichische FPÖler und einige aufgehetzte rassistische TraiskirchnerInnen teil. Vor allem zum Auftakt der Demo trennte die Polizei die zwei Blöcke immer nur sehr lückenhaft was die Rechtsextremen immer wieder zu Provokationen und Rempeleien nutzten. Ob die Gegendemo angemeldet war, oder die Polizei sie einfach so demonstrieren ließ, war uns zum Zeitpunkt der Demo unklar. Unsere Demonstration wurde von vielen Polizeieinheiten aus ganz Niederösterreich begleitet. Bezeichnend war, dass trotz der starken Polizeipräsenz, massive rassistische Beleidigungen, lautstarke gefährliche Drohungen ( „I hoack di um“ „I bring di glei um“) gegen DemoteilnehmerInnen und mehrere Hitlergrüße nicht geahndet wurden. Viele Flüchtlinge fragten uns was es mit dem massiven Polizeiaufgebot auf sich hätte, offensichtlich ging es mehr um die Einschüchterung der Flüchtlinge als um einen Schutz vor rechtsextremen Übergriffen.

Debatte um Demoverbot

Die Demonstration war nicht zuletzt notwendig geworden, nach dem die zuständige Bezirkshauptmannschaft eine Demonstration untersagte. Bürgermeister Babler (SPÖ) hatte zuvor aufgerufen jede Demonstration oder Kundgebung zum Thema Flüchtlinge zu untersagen.

Andreas Babler hat als Bürgermeister von Traiskirchen viel getan damit der Protest gegen die Zustände in Traiskirchen nicht von rechts besetzt werden konnte. Besonders die von ihm initiierte Demo vor dem Innenministerium war ein wichtiger Schritt. Die SLP beteiligte sich daran. Insofern ist sein „Argument“, er wollte eine weitere Eskalationen vermeiden auch glaubwürdig. „Gut gemeint“ heißt aber leider nicht immer „gut gemacht“.

Denn die Forderung nach einem Demoverbot war aus mehreren Gründen ein politischer Fehler.

  • Es ist das Recht der Flüchtlinge auch ihn jenen Orten wo „ihr“ Lager steht gegen die herrschende Zustände zu demonstrieren. Flüchtlingen werden viele soziale und politische Rechte – wie etwa das Recht auf Arbeit - vorenthalten. Umso entschlossener ist es notwendig gegen eine Einschränkung des Demonstrationsrechts aufzutreten.
  • Viele TraiskirchnerInnen sind besorgt und wütend. Zu Recht. Die Sorgen sind verständlich und die Wut muss aufgegriffen werden. Sie muss sich aber gegen die VerursacherInnen im BMI richten. Bei der Demo gab es frustrierte Aussagen und Beschimpfungen. Die meisten Wutausbrüche waren aber gegen die herrschende Politik allgemein - die Demo war nur ein willkommener Anlass. Ernsthafte Bedrohungen etwa körperliche Attacken, Beschädigungen oder ähnliches hat es aber nur von rechtsextremer Seite gegeben. Die Angst vor möglichen „Eskalationen“ wurden im Vorfeld der Demo vor allem von den bürgerlichen Medien und den Rechtsextremen geschürt. Aus Angst vor solchen „Eskalation“ eine Demonstration zu untersagen, ist aber Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Das zeichnet ein vollkommen falsches Bild der TraiskirchnerInnen und der Flüchtlinge. Den Flüchtlingen wird damit indirekt unterstellt, gefährlich zu sein, (etwa TraiskirchnerInnen zu beschimpfen, zu attackieren, oder Eigentum zu beschädigen), den TraiskirchnerInnen wird vorgeworfen übertrieben aggressiv zu sein. Beides ist sind medial hochgeschaukelte Bilder die mit der Realität nichts zu tun haben.

Die Flüchtlinge demonstrierten laut, bunt und kämpferisch aber vollkommen friedlich. Eine kleine Gruppe von TraiskirchnerInnen nahm an der Demo teil. Von jenen, die die Demo beobachteten, gab es zum Teil Zuspruch und Verständnis für unsere Argumente. Auch mit den meisten DemogegnerInnen (ausgenommen der rechtsextremen Gegendemo) konnte ganz normal geredet werden. Die Beschimpfungen, wie es sie auf den meisten Demos gibt, gab es auch am Sonntag. Vielleicht ein paar mehr als sonst. Sie waren aber weit von jeder ernsthaften „Eskalation“ entfernt. Die Forderung nach einem Demoverbot hat die Gräben nur vertieft (weil die jeweilige „Gegenseite“ als potentiell gefährlich dargestellt wurde) und die Solidarität zwischen Traiskirchner Bevölkerung und Flüchtlingen erschwert.

Manche haben die Hoffnung, durch ein Demoverbot eine Eskalation zu verhindern. Doch das Gegenteil ist der Fall, da ein solches Demoverbot de facto bedeutet, dass Rechte legal, Flüchtlinge aber nur illegal demonstrieren können. Im Fall einer Eskalation auf den bürgerlichen Staat zu vertrauen (also die Polizei) hat noch nie wirklich funktioniert. „Der Staat“ schützt sich vor protestierenden ArbeiterInnen, vor Flüchtlingen und kritischen GewerkschafterInnen – und der Staat öffnet die Türen weit für Diktatoren und ihre Helfer, für jene die das große Geld haben. Die Flüchtlinge sind selbst Teil der Unterdrückten „99%“, viele kommen aus der ArbeiterInnenklasse, manche aktiv in Gewerkschaften und Protesten gegen Diktaturen in ihren Herkunftsländern. Viele TraiskirchnerInnen ihrerseits haben eine kämpferische Tradition in den Protesten gegen die Schließungen von Semperit z.B. An solche gemeinsamen Traditionen kann man ansetzen, um gemeinsame Interessen – ein menschenwürdiger Umgang mit Flüchtlingen der nicht zu Lasten der lokalen Bevölkerung geht – umzusetzen.

Die Forderung nach einem Demoverbot war auch grundsätzlich politisch gefährlich. Wenn Demos in Traiskirchen verboten werden. Warum dann nicht auch in anderen Orten mit „aufgeheizter Stimmung“? In vielen Orten mit Flüchtlingsunterkünften werden Teile der Bevölkerung von den Rechtsextremen aufgehetzt. In Linz gab es eine rassistische Internetkampagne, unter Beteiligung der FPÖ-OÖ, gegen die erste Linzer Flüchtlingsdemo. Es besteht die Gefahr, dass solche Hetzkampagnen als Vorwand genommen werden weitere Demos zu verbieten.

Arbeitslosigkeit und Mieten sind hoch und die kapitalistische Krise nicht vorbei, in solchen Zeiten einer stark unterdrückten Gruppe wie den Flüchtlingen, das Demonstrationsrecht nehmen zu wollen, ist eine Gefährdung für alle zukünftige, soziale Proteste. Denn eine „aufgeheizte Stimmung“ kann es auch gegen einen Wohnungsspekulanten, einen Unternehmer, der Leute entlässt oder auch die Regierung, die beim Gesundheitswesen herrschen...

Gemeinsame Aktionen sind dringend nötig und absolut möglich

Die Demonstration am Sonntag ist trotz rechtsextremer Provokationen friedlich verlaufen. Sie war ein wichtiger Schritt im Kampf für Flüchtlingsrechte. Nun braucht es gemeinsame Aktionen von Flüchtlingen und TraiskirchnerInnen als nächster Schritt. Sowohl die Demonstration, die Andreas Babler und vieler TraiskirchnerInnen in Wien organisiert hatten, als auch die ersten Schritte eines selbstständigen Flüchtlingsprotest können dafür eine wichtige Grundlage sein. Der beste Weg um zu verhindern, dass es Rechtsextremen gelingt, die Stimmung zu vereinnahmen und um die Proteste auszubauen und Erfolgreich sein zu können, sind gemeinsame Aktionen, bei denen man möglichst viele Strukturen aus der ArbeiterInnenbewegung wie Gewerkschaften, Betriebsräte etc und fortschrittliche Organisationen von MigrantInnen einbindet.

So kann nicht nur Spaltung verhindert werden sondern können durch größere Ressourcen und mehr Kapazitäten in der Organisierung künftig Demonstrationen dort organisiert werden wo die Verantwortlichen für die Misere sitzen, nämlich im Innenministerium und in der Bundesregierung in Wien. Die SLP wird gemeinsam mit vielen anderen in den nächsten Wochen Vorschläge in diese Richtung machen.

Bericht von der Flüchtlingsdemo in Traiskirchen

Flüchtlinge im Lager Traiskirchen und TraiskircherInnen haben ein gemeinsames Interesse: Gemeinsame Proteste statt Demoverbot sind notwendig!

Nächste Flüchtlingsdemo in Traiskirchen am Sonntag 26.07. um 13h, direkt vor dem Lagereingang

Die Demonstration der Flüchtlinge aus dem Lager in Traiskirchen vom Montag hat schon große Schlagzeilen gemacht. Von Ausschreitungen und Tumult war die Rede.

Deutlich merkbar war die allgemeine Wut-sowohl die Wut der Flüchtlinge als auch die der TraiskirchnerInnen.

Mit dem Sloagan „No Dublin!“ protestierten die Flüchtlinge gegen ihre ständige Weiterverschickung innerhalb Europas, die in dem „Dublin III“ Abkommen geregelt ist. Mit diesem Abkommen entsteht für Flüchtlinge nach den langen und beschwerlichen Fluchtwegen, die sie bereits hinter sich haben, weitere Unsicherheit und weitere Wege. Oft wird ihr Asylantrag überhaupt erst richtig geprüft nachdem sie bereits ein- zweimal innerhalb Europas abgeschoben wurden.

„Warum hält uns Österreich hier auf, wenn sie uns nicht wollen?“ war eine oft gehörte Frage unter den ca. 500 DemoteilnehmerInnen. Das Essen im Lager Traiskirchen ist unzumutbar, auf 4000 Flüchtlinge kommen gerade mal zwei ÄrztInnen, über 1700 schlafen ohne Dach oder Zelt über dem Kopf bei jedem Wetter draußen, weil das Lager inzwischen 10fach (!!) überbelegt ist. Berichten zu Folge mussten Frauen Kinder ohne medizinische Unterstützung zur Welt bringen und Polizei und privater Sicherheitsdienst behandeln die oft Traumatisierten wie Gegenstände. Die Lage ist völlig unhaltbar, allein in den guten 2 Stunden Kundgebung vor dem Lager-Eingang mussten 3 Flüchtlinge mit der Rettung abgeholt werden. Vor allem leiden die Flüchtlinge unter der Situation und haben jetzt begonnen sich mit Demonstrationen Gehör zu verschaffen.

Laut und schnell zog die Demo durch Traiskirchen. Die Polizei provozierte früh durch nicht nachvollziehbare Sperrungen und Behinderungen der Demo. Als die BeamtInnen uns den Weg in die Innenstadt verwehrten setzten sich einige der Flüchtlinge aus Verzweiflung kurz auf die Gleise, in den Medien wurde das als „Blockade“ dramatisiert . In dieser Situation wurde ein Flüchtling verhaftet, wohl um die anderen abzuschrecken. Natürlich wirkte das aber weiter aufpeitschend. Die Polizei beschimpfte die Flüchtlinge zuvor als „geistig zurückgeblieben“.

Die Demo endete in einer Kundgebung in einem Polizeikessel vor dem Eingang des Lagers, bei der die Flüchtlinge über ihre Situation, ihre Ängste und Forderungen sprachen.

 

Auch die TraiskirchnerInnen leiden unter der Situation. So wie das Innenministerium 4000 Menschen ohne Angebote zur Tagesbeschäftigung oder dem nötigen Taschengeld, um sich die Freizeit selber zu gestalten, in einem so kleinen Ort zusammenpfercht ist ein Konflikt nur natürlich. Es scheint sogar so, als wolle das Innenministerium genau diesen Konflikt. Anders ist die Untätigkeit und damit ständige Verschlimmerung der Lage nicht zu verstehen. Und so haben auch die TraiskirchnerInnen bereits demonstriert und auch ihre Wut ist gut verständlich und berchtigt. Nach einem Aufruf des SPÖ-Bürgermeisters Babler protestierten 600 TraiskirchnerInnen zunächst in Traiskirchen selbst und später auch direkt vor dem Innenministerium in Wien. Sehr erfreulich war dabei der bewusst antirassistische Charakter der Demos: Es ging nicht gegen die Flüchtlinge, es ging gegen die Regierung, die Traiskirchen im Stich lässt. Zumindest in Wien, wo auch die SLP dabei war, wurden FPÖler und Neonazis von der Kundgebung vertrieben. Die Forderung der TraiskirchnerInnen war zum großen Teil auch die der Flüchtlingsdemos: „Transfer“, also die Aufteilung der Flüchtinge in kleinere Lager in ganz Österreich mit einer besseren Versorgung.

Mit der kämpferischen Demo am Montag ist es uns leider nicht gelungen auch TraiskirchnerInnen zum Mitgehen zu gewinnen. Zu tief sind die Gräben, die von Politik und Medien ausgehoben wurden. So gab gab viele rassistische Sprüche und wütende Blicke gegen die Flüchtlingsdemo. Dabei wäre ein gemeinsamer Kampf aller, die derzeit in Traiskirchen leben ein starkes Druckmittel gegen die Regierung.

Andreas Babler, der engagierte Bürgermeister Traiskirchens, hat bisher eine gute Rolle in dem Konflikt gespielt. Seiner Initiative ist es wohl zu verdanken, dass die Proteste der TraiskirchnerInnen nicht, wie in anderen Orten in ganz Europa, einen ausländerfeindlichen Charakter annahmen. Nach der Demo am Montag und der heftig übertrieben dargestellten Eskalation an den Bahngleisen (die auf die Strategie der Polizei zurück ging) forderte Babler aber in einem veröffentlichten Brief an den Bezirkshauptmann ein Demoverbot für ganz Traiskirchen. Er befürchtet Proteste würden zu „Tumulten“ führen. Babler kennt die Situation unter den TraiskirchnerInnen sicher sehr gut und er weiß, dass die Lage auch zum offenen Rassismus hin kippen kann. Ein Demoverbot ist aber der falsche Schritt um das zu verhindern.

Unabhängig von Demonstrationen ist die Wut da. Das Demonstrationsrecht ist eines der wenigen Rechte, die Flüchtlinge überhaupt noch haben. Und letztlich spricht alles dafür aus den Demos der Flüchtlinge und den Demos der TraiskirchnerInnen gemeinsame Demos zu machen, denn es geht zu einem großen Teil um gemeinsames Interesse. Babler argumentiert, dass Proteste nach Wien gehören, wo der Hauptteil der Verantwortlichen sitzt. Damit hat er zwar auch recht, für die Flüchtlinge ist das aber völlig abstrakt: Für eine Busreise nach Wien, wie sie für den Protest der TraiskirchnerInnen vor dem Innenministerium organisiert wurde, ist für die Flüchtlinge aus eigener Kraft derzeit unmöglich. Mit Sicherheit wären die Flüchtlinge aber froh gemeinsam mit TraiskirchnerInnen in Wien zu demonstrieren. So eine Demo in Wien würde es auch leichter machen andere Gruppen in die Proteste einzubinden. Es wäre eine gute Gelegenheit z.B. migrantische, linke Gruppen und Asylorganisationen zu gewinnen.

Das Demonstrationsrecht für Flüchtlinge muss, unabhängig von einer gemeinsamen Demo in Wien, aber erhalten bleiben! Ein Verbot ist letztlich der Versuch das Problem mit der Polizei zu lösen, was das Problem schnell vervielfachen würde. Andreas Babler, der auch öffentlich für eine Besinnung auf Traditionen der ArbeiterInnenbewegung in der SPÖ eintritt, stellt mit der Forderung nach einem Demoverbot eben eines der hart erkämpften Rechte der ArbeiterInnenbewegung in Frage. Denn die Proteste sind da, ob Demoverbot oder nicht, und das ist auch sehr gut so!

 

Siehe auch die SLP Stellungnahme zur aktuelle Asyl-Debatte: http://www.slp.at/artikel/gemeinsam-f%C3%BCr-fl%C3%BCchtlingsrechte-united-for-refugee-rights-6751

Zahlen und Fakten zur FPÖ

Teil des Vorwärts Schwerpunkt zur FPÖ.

1949: Gründung des VdU (Verband der Unabhängigen) als Sammelbecken ehemaliger Nazis, Großdeutscher und des Landbunds. Kandidatur bei den Nationalratswahlen als WdU (Wahlpartei d.U.): 11,7 % Stimmenanteil. Nach folgenden Wahlverlusten interne Richtungsstreitigkeiten und Spaltung.

 

1955: Gründung der FPÖ, in der der VdU aufgeht. Erster Obmann wird der ehemalige SS-Brigadeführer Anton Reinthaller (von 1950-1953 wegen Wiederbetätigung inhaftiert). Bei Wahlen erhält die FPÖ im Schnitt um 6 %.

 

1958: Friedrich Peter, ehemaliger SS-Obersturmführer, wird Obmann (bis 1978): erste Versuche, der FPÖ einen liberalen Anstrich zu geben und koalitionsfähig zu werden.

 

1970: Tolerierung der SPÖ-Minderheitsregierung von Bruno Kreisky. Dieser revanchiert sich mit einer Wahlrechtsreform, die der FPÖ den Verbleib im Parlament sicherte.

 

1980: In einer Kampfabstimmung setzt sich der liberale Flügel gegen den Peter-Nachfolger Alexander Götz durch. Neuer Obmann wird Norbert Steger.

 

1983: Die FPÖ fährt bei den Nationalratswahlen mit 5 % das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Um dennoch eine Regierungsmehrheit zu erreichen, holt sie Fred Sinowatz (SPÖ) in eine Koalition.

 

1986: Auf dem Innsbrucker Parteitag wird Jörg Haider in einer Kampfabstimmung neuer Obmann. Steger spricht von einem „Putsch der nationalen Burschenschaften“; Kanzler Franz Vranitzky löst die Koalition auf.

 

1986 – 1999: Haider betreibt aus der Opposition heraus offen rassistische Hetze, treibt die „Systemparteien“ SPÖ und ÖVP vor sich her. Vor allem ÖGB und Arbeiterkammer prangert er nach einer Korruptionsaffäre um die Funktionäre Rechberger/Zacharias als Prvilegien- und Pfründestadl an: „Sozialismus = Funktionärsbereicherung minus schlechtes Gewissen“.

 

1999: Mit 26,9 % wird die FPÖ zweitstärkste Partei bei den Nationalratswahlen und bildet mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel eine schwarz-blaue Koalition. Bei vorgezogenen Nationalratswahlen 2002 sackt sie auf 10 % ab, bleibt aber in der Regierung.

 

2005: Die Parteispitze um Jörg Haider spaltet sich nach internen Streitigkeiten ab und gründet das BZÖ. HC Strache wird Obmann und die FPÖ erstarkt wieder: 17,54 % (2008); 20,51 % (2013).

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Die FPÖ ist nicht faschistisch. Aber brandgefährlich!

Sebastian Kugler

Teil des Vorwärts Schwerpunkt zur FPÖ.

Wenn FPÖ-GegnerInnen die FPÖ als „faschistisch“ bezeichnen, steckt meist ehrliche Wut über ihre widerliche Politik dahinter. Wir teilen den Hass auf die FPÖ. Doch ist es notwendig, aufzuzeigen, dass eine solche moralisierende Faschismusdefinition uns im Kampf gegen die FPÖ nicht hilft.

„Faschismus“ ist keine zeitlose Kategorie, und auch nicht schlicht die Summe von Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Antikommunismus und Führerkult. All das finden wir in unterschiedlicher Ausprägung auch in der FPÖ. Die FPÖ schickt jedoch, im Gegensatz zu historischen faschistischen Parteien, keine Prügeltrupps auf Straßen und Betriebe, um mit kämpferischen GewerkschafterInnen und anderem „Abschaum“ Schluss zu machen. Sie verwirft auch nicht den Parlamentarismus, wie es im faschistischen Korneuburger Eid der Heimwehren heißt. Sie hat kaum eine AktivistInnenbasis, die bereit ist, für sie auf die Straße zu gehen. Doch es gibt Kontakte zu kleineren faschistischen Gruppen bzw. FaschistInnen in ihren eigenen Reihen. Die FPÖ ist widersprüchlich: Sie muss zurzeit die Ultrarechten zufrieden stellen, aber auch den Wunsch der Herrschenden nach einer vertrauenswürdigen Vertretung.

Damit der Faschismus jedoch zu einer gesellschaftlichen Macht wird, müssen bestimmte konkrete gesellschaftliche Umstände eintreten. Seine gesellschaftliche Basis hat der Faschismus im Kleinbürgertum – traditionell die Klasse der kleinen UnternehmerInnen bzw. der „Mittelschichten“. Das Kleinbürgertum „will antikapitalistisch sein, ohne aufzuhören, kapitalistisch zu sein. Es will den schlechten Charakter des Kapitalismus zerstören, d. h. die Tendenzen, die es selbst ruinieren, und zugleich den »guten Charakter« des Kapitalismus erhalten, der es ihm erlaubt, zu leben und sich zu bereichern“ (Abraham Leon, Die jüdische Frage, 1940). Besonders in schweren wirtschaftlichen Krisensituationen fühlt sich das Kleinbürgertum zwischen den zwei großen Klassen Proletariat und Kapital zerrieben. Das große Kapital bindet sie dann in seinem Kampf ums Überleben an sich, um sie mit aller Kraft gegen die ArbeiterInnenklasse zu richten. „Was wäre zu tun, damit alles besser werde? Vor allem die niederdrücken, die unten sind. Kraftlos vor den großen Wirtschaftsmächten hofft das Kleinbürgertum, durch die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen seine gesellschaftliche Würde wiederherzustellen.“ (Leo Trotzki, Portrait des Nationalsozialismus 1933)

„Hinter jedem Faschismus steht eine gescheiterte Revolution“ lautet die Quintessenz der Faschismusanalyse des deutschen jüdischen marxistischen Theoretikers Walter Benjamin. Der Faschismus richtet sich auf, wenn die ArbeiterInnenbewegung und ihre Führung der großen Masse keinen Ausweg aus der Krise, also den Sturz des Kapitalismus, weisen kann. So nähren sich Griechenlands „Goldene Morgenröte“ an der Enttäuschung über Syriza. Sobald sich die Krise in Österreich verschärft, wird das Kapital immer brutalere Maßnahmen zur Sicherung seiner Macht benötigen. In so einer Situation kann der ideologisch gefestigte Teil der FPÖ Träger einer faschistischen Bewegung werden. Deswegen ist es notwendig, heute mit voller Kraft gegen die FPÖ zu kämpfen und eine starke antikapitalistische Alternative aufzubauen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Wie der FPÖ Einhalt gebieten?

Vor der Wienwahl wächst die Sorge vor einem neuen blauen Triumph - was kann man dagegen tun?
Fabian Lehr

Teil des Vorwärts Schwerpunkt zur FPÖ.

Kurz vor den Wienwahlen werfen viele Linke einen ängstlichen Blick auf die aktuellen Prognosen, nach denen die FPÖ diesmal noch stärker abschneiden könnte. Auch im "roten Wien" gewinnen die Blauen eine stabile und wachsende Basis: Auch in proletarisch geprägten Bezirken, die jahrzehntelang sichere Hochburgen der SPÖ waren. Der wohl wichtigste Grund für diese Entwicklung ist in der SPÖ selbst zu suchen. Während sie in der nachträglich glorifizierten Ära Kreisky wenigstens noch versuchte, sich als spezifische Interessenvertretung der ArbeiterInnen zu präsentieren, ist sie in den darauffolgenden Jahrzehnten immer weiter verbürgerlicht. Heute setzt die SPÖ ein hartes neoliberales Programm um, das sich oft nur noch in Details von der ÖVP unterscheidet. Je mehr die SPÖ in ihrer praktischen Politik neue Kürzungen durchsetzt und die realen Interessen von ArbeiterInnen ignoriert, desto gleichgültiger oder verärgerter stehen diese den leeren Festtagsparolen der SP-BürokratInnen am 1. Mai gegenüber.
Diese immer zahlreicheren ArbeiterInnen, die sich von der permanent schrumpfenden SPÖ enttäuscht abwenden, finden aber in der etablierten Parteienlandschaft keine linke Alternative - eine österreichische Linkspartei gibt es noch nicht und die Grünen positionieren sich endgültig als Partei gutsituierter BildungsbürgerInnen. In dieser Situation ist die FPÖ die einzige medial dauerpräsente Kraft, die wenigstens so tut, als würde sie die Probleme der ArbeiterInnen und Arbeitslosen ernstnehmen. Strache & Co möchten sich gerne als Vertreter des "kleinen Mannes" präsentieren, als FürsprecherInnen derer, die von SPÖ und ÖVP im Stich gelassen werden, als Anti-Establishment-Partei. Der größte Teil der ArbeiterInnen hat in dieser Situation bereits allen etablierten Parteien den Rücken zugewendet und wählt gar nicht - doch solange die FPÖ als einzige große Partei die soziale Frage aufs Tapet bringt, wird es auch hoffnungslose ArbeiterInnen und Arme geben, die bereit sind, über die ganzen Widerwärtigkeiten dieser Partei hinwegzusehen, ja, sich langsam an sie zu gewöhnen und sie zu akzeptieren: Ihren Rassismus, ihren Sexismus, ihre Homophobie usw.

Es wird diese Entwicklung nicht aufhalten, wenn alarmierte akademische Linke darüber moralisierend die Nase rümpfen oder sich gar in elitärem Dünkel über den "dumpfen FPÖ-Mob" lustig machen. Auf Facebook gibt es mittlerweile tausende Mitglieder zählende Gruppen, die Rechtschreibfehler von FP-SympathisantInnen sammeln, um sie auszulachen. Diese elitäre Abgrenzung verstärkt die Behauptung der FPÖ, die Vertretung der einfachen Leute gegen eine abgehobene, arrogante Elite zu sein.
Wenn man die aus Perspektivlosigkeit zu den Blauen übergegangenen ArbeiterInnen nicht beleidigen und endgültig in Straches Arme treiben, sondern zurückgewinnen will, braucht es eine ganz andere Strategie: Wir müssen aufzeigen, dass die FPÖ nur eine Scheinalternative ist und alles andere als eine Anti-Establishment-Partei. Dass die FPÖ dominiert wird von reichen, elitären Bürgerlichen, die, wo sie es können, eine noch viel unsozialere, arbeiterInnenfeindlichere Politik durchsetzen als SPÖ und ÖVP. Und genauso korrupt wie die anderen wollen sie die öffentlichen Kassen als Selbstbedienungsladen für sich und ihre FreundInnen nutzen. Dass der Versuch der FPÖ, die ArbeiterInnen und Armen in "ÖsterreicherInnen" und "AusländerInnen" zu spalten, nichts ist als ein Manöver zur Schwächung der ArbeiterInnenklasse und damit zur Stabilisierung der Herrschaft der Reichen.

Ganz praktisch müssen soziale Kämpfe vorangetrieben werden, in denen ArbeiterInnen sich gegen die Auswirkungen der Krise und die Kürzungspolitik wehren. In solchen Kämpfen wird nicht nur klar, wo die FPÖ tatsächlich steht (wie beim Metallerstreik 2011), sondern es werden auch bestehende Vorurteile anderen ArbeiterInnen gegenüber im gemeinsamen Kampf abgebaut.

Wir brauchen wieder echte, kämpferische Gewerkschaften wie die GdL in Deutschland, die den dem Kapital gegenüber versöhnlerischen GewerkschaftsbürokratInnen Dampf machen. Und es braucht, eine österreichische Linkspartei, die endlich laut hörbar Alternativen zum neoliberalen Konsens von SPÖ und ÖVP über die Grünen bis zur FPÖ formuliert. Solche kämpferischen Gewerkschaften und eine neue, echte ArbeiterInnenpartei sind die notwendige Basis, um der FPÖ das Wasser abzugraben, um wirkliche Verbesserungen für ArbeiterInnen zu erreichen und auch um den Kampf gegen das kapitalistische System selbst in Angriff zu nehmen, ein System, das notwendig immer wieder neue Krisen und unsoziale, arbeiterInnenfeindliche Lösungsvorschläge für diese Krisen schaffen wird.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

FPÖ ist weder sozial noch eine ArbeiterInnen-Partei!

Wann immer die FPÖ etwas zu entscheiden hat, gibt es Kürzungen für sozial Schwache und Angriffe auf ArbeiterInnenrechte.
Franz Neuhold

Teil des Vorwärts Schwerpunkt zur FPÖ.

Man hört oft in Diskussionen: „Aber in der FPÖ sind doch nicht nur Nazis!“ Das ist wohl richtig; traditionell sammelten sich in der FPÖ neben ehemaligen NSDAP-Mitgliedern immer schon Wirtschaftsliberale und diverse Querköpfe. Manche mehr, manche weniger rechtsextrem. Viele deutschnational, andere österreich-patriotisch. Die einen streng gläubig, die anderen gar nicht. Doch wodurch sich all die Teile der FPÖ auch unterscheiden mögen, einen Ansatz für eine ArbeiterInnen-Partei bietet keine einzige Fraktion dieses sogenannten „dritten Lagers“.

Mangels einer echten politischen Alternative in unserer Gesellschaft kann die FPÖ einen bedeutenden Anteil an ProtestwählerInnen halten und angesichts der Wut über die herrschende Politik zur stimmenstärksten Partei aufsteigen.

Doch so „anders“ ist die FPÖ nicht. Beginnen wir bei einem wesentlichen Merkmal, dem aggressiven Rassismus. Wir meinen: Jede ernsthafte Politik für ArbeiterInnen muss anti-rassistisch sein, da die ArbeiterInnen-Klasse vielfältig zusammengesetzt ist. Will man Verbesserungen erreichen, braucht man die volle Schlagkraft der Klasse. Jede Spaltung entlang von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung etc. schwächt.

Schlimm genug, wenn auch die Gewerkschaftsführung auf einen wichtigen Teil von ArbeiterInnen aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe verzichtet bzw. diesen nicht einbezieht. Im Fall der FPÖ wird jedoch aktiv ein Teil der ArbeiterInnen gegen einen anderen aufgewiegelt. Den Nutzen aus dieser Spaltung zieht letztlich das herrschende System kapitalistischer Ausbeutung. Ähnlich verhält es sich in der Frage der Frauenbefreiung. Die FPÖ vertritt ein rückschrittliches Frauenbild und damit die weiterhin bestehende Frauenunterdrückung in unserer ach so „freien“ Gesellschaft. So stehen maßgebliche Teile der FPÖ auf der Seite der fundamentalistischen AbtreibungsgegnerInnen, die Frauen das Entscheidungsrecht über ihren eigenen Körper absprechen. Selbst Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen wird bekämpft: In ekelhafter Täter-Opfer-Umkehr agitierte die Amstettener FPÖ 2012 mit der Ansage, dass „Frauenhäuser Ehen und Partnerschaften … zerstören“.

Die FPÖ hat sich seit jeher kapitalistischen Grundsätzen verschrieben. ArbeitnehmerInnen sind aus Sicht der FPÖ bestenfalls Verhandlungsmasse und Stimmvieh. Im aktuell gültigen „Handbuch freiheitlicher Politik“ steht schon in der Einleitung ein Bekenntnis zu den „Prinzipien der Marktwirtschaft“. Von ArbeitnehmerInnen ist dort zu lesen, wo sie laut FPÖ ihren Platz zu haben haben: Im Kapitel „Unternehmer und Mitarbeiter als Partner für Österreichs Wirtschaft“. „Partner“ heißt hier, dass die Beschäftigten sich den Interessen des Unternehmens unterordnen sollen. In der Propaganda achtet die FPÖ natürlich auf die inzwischen weit verbreitete „Kapitalismus-Skepsis“. Daher spricht sie dann gerne vom „ausschließlich am Profit orientierten globalen Kapitalismus“, wenn es nicht direkt um den eigenen nationalstaatlichen Kapitalismus geht. Da belässt man es lieber beim Wort „Marktwirtschaft“: „Wir fördern Leistung in einer Marktwirtschaft mit sozialer Verantwortung, schützen das Privateigentum und stehen für eine gerechte Aufteilung von Beiträgen und Leistungen für die Allgemeinheit.“ Dieses Zitat könnte auch von SPÖ, ÖVP oder Grünen stammen.

Hinter sozialen Phrasen liegen die konkreten FPÖ-Forderungen voll im Trend des Sozialkahlschlags. So empörte sich der ÖGB-Tirol kürzlich zu Recht über die aktuelle FPÖ-Kampagne: „Die Forderung nach Senkung der Lohnnebenkosten bedeutet nichts anderes, als massivste Verschlechterungen für Tiroler ArbeitnehmerInnen.“ Populistische Sprüche zu „Verwaltungsreform“ oder „Bürokratie-Abbau“ laufen am Ende des Tages auf Arbeitsplatzabbau in den „unteren Etagen“ hinaus. Die Zeche zahlen normale Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes – PflegerInnen, Feuerwehrleute, SekretärInnen, LehrerInnen etc. Auch Lehrlinge und Arbeitslose sollen um ihre Rechte gebracht werden.

Gewerkschaften und Arbeiterkammer sind der FPÖ ein Dorn im Auge, da wird gegen „Zwangsmitgliedschaft“ gewettert und insgesamt soll der Gewerkschaftseinfluss zurückgedrängt werden. Streiks sind wichtige Werkzeuge zur Durchsetzung der sozialen und politischen Interessen von ArbeiterInnen. Wenn Beschäftigte mittels Streik ihre Interessen in die eigene Hand nehmen, dann hat die FPÖ kaum etwas zu melden: als im November 2003 die EisenbahnerInnen streikten, wurde in Villach der damalige Landeshauptmann (!) und FPÖ-Gottvater Jörg Haider bei seinem Erscheinen umgehend hinausgeschmissen. Man befand sich übrigens in einem Arbeitskampf gegen den FPÖ-Verkehrsminister Gorbach. Die von ihm umgesetzten Kapitalinteressen sind in der FPÖ Parteilinie: Auch der Chef der „Freiheitlichen Arbeitnehmer“ OÖ, Max Walch, geiferte gegen den Streik mit Formulierungen wie „ungerechtfertigte Privilegien“ und „schändlicher Mißbrauch“. Der damalige FPÖ-Klubobmann Scheibner beklagte gar die Auswirkungen des Streiks auf das „Image Österreichs“ als „stabiles Land“.

Ein aktuelleres Beispiel aus Linz: Als kürzlich im Öffentlichen Dienst ein Streik-Aufruf kursiert, erklärt FPÖ-Stadtrat Wimmer, der „Ruf des öffentlichen Dienstes“ sei gefährdet. Ein Streik dürfe keine Auswirkungen auf die kommunalen Dienstleistungen haben. (Ähm, das wäre dann ja gerade kein Streik.) Wimmer, sonst einer der schlimmsten Scharfmacher, schwafelt sogar vom „sozialen Frieden“. Das ist eine bekannte Phrase, die eigentlich Aufrechterhaltung der gegenwärtigen (Un)Ordnung meint. So redet nur ein Knecht des Besitzbürgertums.

Auch bei der Steuerpolitik ist von der FPÖ nichts wirklich Neues zu hören: Das Glaubensbekenntnis lautet ähnlich wie bei der SPÖ „Mehr Netto vom Brutto bedeutet mehr Geld für den privaten Konsum.“ So wird in der Broschüre „Das freiheitliche Steuer- und Entlastungsmodell“ Kapitalismus-kompatibel geschlussfolgert: „Weniger Geld im Börsel bedeutet weniger Konsum, weniger Investitionen. Weniger Geld im Börsel heißt, dass notwendige Anschaffungen warten müssen; und das bremst die Wirtschaft.“ Das sollte all jenen zu Denken geben, die in Gewerkschaft oder SPÖ mit gleichlautenden Stehsätzen eine fortschrittliche oder gar sozialistische Politik zu betreiben glauben: Auch die FPÖ hat sie drauf. Mit richtiger ArbeiterInnen-Politik hat das jedoch nichts zu tun! Hier muss vielmehr betont werden, dass jede spürbare steuerliche Umverteilung von oben nach unten selbstverständlich den Spielraum der Unternehmen einschränkt und dies somit nur durch Konfrontation zwischen den sozialen Schichten und Klassen zu erreichen ist.

Wer tatsächlich die sozialen Interessen von ArbeiterInnen vertreten will und dies unter dem wachsenden Druck der kapitalistischen Krise, der braucht einen ernstgemeinten anti-kapitalistischen Ansatz. Den sucht man bei der FPÖ, und zwar in all ihren Fraktionen, vergebens. Die FPÖ kämpft nicht im Geringsten gegen die kapitalistische Ausbeutung; sie ordnet sie lediglich den Interessen des nationalen Kapitalismus unter. Wenn von der „Gier der Manager“ gesprochen wird, meint man wohl nicht jene Manager, die FPÖ wählen oder in ihr mitwirken. Dem Schein-Antikapitalismus der FPÖ darf man nicht auf den Leim gehen.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Die „Normalisierung“ der Rechtsextremen

Die Freiheitlichen sind nicht „in der Mitte“ angekommen. Dafür sind SPÖVP nach rechts gewandert.
Alexander Svojtko

Teil des Vorwärts Schwerpunkt zur FPÖ.

Seit Monaten bringt die sogenannte Sonntagsfrage („Welche Partei würden Sie wählen, wenn nächsten Sonntag Nationalratswahl wäre?“) dasselbe Ergebnis: die FPÖ ist in etwa gleich auf mit SPÖ und ÖVP. Auch auf Länderebene können die Blauen zulegen. Die Resultate der Landtagswahlen in der Steiermark und im Burgenland lagen bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht vor – werden an dieser Stelle aber in den Text eingebaut. Bei Landtagswahlen in Oberösterreich und Wien wird ebenso mit Zugewinnen für die Blauen gerechnet. Die (in Wahrheit nie existente) Front gegen die FPÖ bei den ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP bröckelt: man will sich schließlich Koalitionsoptionen offen halten. Ist die Strache-Truppe mithin „in der Mitte“ angekommen? Ist die FPÖ eine ganz „normale demokratisch legitimierte“ Partei geworden?

Mitnichten. Wahr ist vielmehr, dass sich die Sozialdemokratie wie auch die Schwarzen spätestens seit Jörg Haiders Wahlerfolgen ab den späten 1980er Jahren gegen die Herausforderung von rechts nicht anders zu helfen wussten, als selbst nach rechts zu gehen. Besonders zeigte und zeigt sich das in der Migrationspolitik. Das von der FPÖ 1992 initiierte Anti-Ausländer-Volksbegehren „Österreich zuerst“ war mit nur 7,35 % Unterstützung zwar auf den ersten Blick ein Flop, aber nur auf den ersten. Denn obwohl an die 300 000 Menschen beim „Lichtermeer“ 1993 dagegen auf die Straße gingen, setzten die rot-schwarzen Regierungen der Folgejahre die Stoßrichtung von Haiders Volksbegehren um. Aber auch auf anderen Gebieten wie etwa der Sicherheits- und Arbeitsmarktpolitik finden sich Rot-Schwarz-Blau immer öfter im Gleichschritt wieder.

Mit der schwarz-blauen Koalition 2000-2007 konnte sich die blaue Elite – und damit in erster Linie deutsch-nationale Burschenschafter - fest und dauerhaft an verschiedensten Schaltstellen der Republik etablieren. Die prominentesten nach wie vor aktiven Beispiele: Norbert Hofer (Marko-Germania) fungiert seit 2013 als Nachfolger Martin Grafs (Olympia) als Dritter Nationalratspräsident. Und Andreas Reichhardt (Cimbria), der damalige Wehrsportkamerad HC Straches (Vandalia), werkt seit 2005 im Verkehrsministerium als Sektionschef. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Darüber hinaus ist die FPÖ besonders im Justiz-, Polizei- und Heeresapparat auch auf mittlerer und unterer Ebene verankert. Das zeigte sich deutlich bei den Personalvertretungswahlen vom November 2014 – bei der Polizei erreichte die blaue Gewerkschaftsfraktion AUF 25,25 %, bei der Justizwache 23,76 % und beim Heer gar 31,46 %.

Dazu hat die FPÖ auch in der Wirtschaft ihre „Freunde“. So wurde etwa die Homepage des „super-sauberen“ Finanzministers Karl-Heinz Grasser mit 220 000 € von der Industriellenvereinigung gesponsert. Was auch kein Wunder ist – da die Freiheitlichen laut Programm faktisch neoliberale Positionen vertreten.

Wen kümmern da noch die braunen Rülpser, die ständig aus dem blauen Sumpf aufsteigen? In einer Partei, deren Chef in der Neonazi-Szene der 1980er Jahre verkehrte, kann man so auch ungestraft von AsylantInnen als „Erd- und Höhlenmenschen“ sprechen.

Dennoch hängt sich die FPÖ seit geraumer Zeit das Mäntelchen der „sozialen Heimatpartei“ um, will sich nach außen im Ton gemäßigter geben und greift dabei auch und gerade in sozialen Fragen zuweilen die richtigen Themen auf. Etwa bei den Pensionen, bei der Schulmisere oder Arbeitslosigkeit. Wenn die Blauen dann allerdings ihre immer gleichen „Lösungen“ präsentieren (Zuwanderungsstopp, eigenes Versicherungssystem für MigrantInnen, Rückführungen etc.), zeigen sie auch ihr immer gleiches Gesicht: das einer rassistischen, sexistischen, homophoben – sprich ultrarechten – (Klein-)Bürgerpartei.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Israel: Rebellion gegen Rassismus

Protestwelle äthiopischer JüdInnen nach Polizeiangriff – Wurzeln der Wut sind Diskriminierung und Armut
Georg Maier

Die etwa 125.000 aus Äthiopien stammenden JüdInnen in Israel sind seit langem Opfer von Rassismus, Diskriminierung und Armut durch die v.a. europäisch-stämmige Elite: 41% leben unter der Armutsgrenze (gesamt 15%), nur 5% haben akademische Abschlüsse (gesamt 28%). Das Durchschnittseinkommen liegt 30-40% unter der national und sozial unterdrückten arabischen Minderheit. Dazu kommt täglicher Rassismus und Polizeigewalt.

Ende April führte ein gewalttätiger Polizeiübergriff auf einen schwarzen Soldaten zu Massenprotesten äthiopischer JüdInnen im ganzen Land. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern. „Sozialistischer Kampf“, die Schwesterorganisation der SLP in Israel/Palästina beteiligte sich von Beginn an den Protesten und organisierte Solidarität, u.a. von Gewerkschaften. Die AktivistInnen fordern eine öffentliche Untersuchung der Polizeibrutalität durch gewählte VertreterInnen der Community, öffentliche Investitionen, die es äthiopischen JüdInnen ermöglichen, aus der Armutsfalle herauszukommen und ein Ende der rassistischen Diskriminierung durch Staat und Gesellschaft. Suheir Daksa, palästinensische Aktivistin von „Sozialistischer Kampf“ und Führungsmitglied der SozialarbeiterInnengewerkschaft sagt: „Es ist notwendig, die Kämpfe der äthiopischen JüdInnen mit jenen der PalästinenserInnen und Gewerkschaften zu verbinden, um gegen das aktuelle Regime von Armut und Unterdrückung vorgehen zu können.“

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

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