Internationales

Versuchter Putsch in der Türkei gescheitert

Nein zur möglichen Militärherrschaft. Nein zur Herrschaft von Erdoğan! Für eine Alternative der arbeitenden Menschen!
Erklärung von „Sosyalist Alternatif“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in der Türkei), veröffentlicht am Samstag, den 16. Juli 2016.

In der Nacht des 15. Juli haben ein Teil der Generäle der mittleren Ränge, ehemalige Generäle und Oberste der türkischen Armee versucht, die Macht mit militärischen Mitteln an sich zu reißen und die AKP-Regierung sowie Präsident Erdoğan zu stürzen. Zu diesem Zeitpunkt befand Erdoğan sich im Sommerurlaub an der Ägäis.

Nach heftigem Beschuss aus der Luft haben es die Aufrührer anfangs vermocht, die Zentrale des Inlandsgeheimdienstes mit Sitz in der Hauptstadt Ankara ebenso unter ihre Kontrolle zu bekommen wie die Polizeihochschule und Einrichtungen zur Polizeiausbildung. Auch die Flughäfen von Ankara und Istanbul wurden eingenommen. Trotz Zusammenstößen auch in anderen Städten des Landes beschränkte sich der Putschversuch in erster Linie auf diese beiden Städte. Dort wurden das Polizeipräsidium, Büros der Regierungspartei AKP, weitere wichtige Gebäude, der zentrale Internetserver und die beiden Brücken über den Bosporus in Beschlag genommen. Das Parlamentsgebäude, in dem alle politischen Parteien zu Sitzungen zusammengekommen waren, ist mehrere Male von Kampfflugzeugen beschossen worden. Der Präsidentenpalast wurde von Militäreinheiten angegriffen, die mit den Aufrührern in Verbindung stehen. Sie haben versucht, auch dort die Kontrolle zu übernehmen.

Den Ausgangspunkt für die Aktionen bildeten das zentrale Hauptquartier der Armee, der größte Luftwaffenstützpunkt des Landes und das Hauptquartier der Militärpolizei. Der verschwörerische Flügel der Armee hat die meisten der hochrangigen Armeekommandanten festgesetzt, darunter auch den Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Man hat die Kontrolle über das staatliche Radio, die größten Privatsender wie auch das staatliche Fernsehen übernommen. Auf diese Weise wurde eine Erklärung verbreitet, in der die Übernahme der politischen Macht sowie die Absetzung des unrechtmäßigen, korrupten und nicht-sekulären Regimes von Erdoğan und der AKP verkündet wurde. Des Weiteren wurden eine Ausgangssperre und das Kriegsrecht angekündigt. Begründet wurde dies mit der baldigen Einführung einer neuen Verfassung.

Erdoğans Flugzeug wurde über mehrere Stunden an der Landung gehindert. Der Präsident wie auch der Premierminister riefen die Bevölkerung auf, Widerstand gegen den Putschversuch zu leisten. Die ganze Nacht über waren miteinander konkurrierende Flügel innerhalb des Staatsapparats in gewaltsame Auseinandersetzungen verwickelt. Dabei verhielt sich der Polizeiapparat weitestgehend loyal gegenüber Erdoğan. Auch von den Minaretten wurden Aufrufe verbreitet, sich hinter die Regierung zu stellen. Einige tausend Menschen (vor allem rechtsgerichtete Islamisten und der harte Kern der AKP-Anhänger) zogen daraufhin auf die Straßen. In den beiden größten Städten nahmen Armeeflugzeuge und -helikopter Demonstrationen unter Beschuss. Am Morgen des nächsten Tages war der Tod von mehr als 150 Angehörigen der staatlichen Kräfte (beider Seiten) und von über 50 ZivilistInnen zu beklagen.

Die Mehrheit der Bevölkerung und sämtliche politische Parteien sind gegen eine Rückkehr der Militärherrschaft. Beim Großteil der unteren Ränge in der Armee handelt es sich um Wehrpflichtige, die nicht bereit waren, sich mit der Gewalt zu identifizieren, die von Verschwörern und Vollstreckern von Todesurteilen organisiert wurde. Es handelt sich hierbei um altgediente und etablierte Offiziere mit den entsprechenden Privilegien, die daran interessiert sind, die Macht aus Eigennutz an sich zu reißen. Aus diesem Grund hat der Putsch nicht die gesellschaftliche und politische Unterstützung bekommen, die es gebraucht hätte, um erfolgreich zu sein. Der größte türkische Unternehmerverband TUSIAD wie auch der US-Imperialismus, der als Sprachrohr auf Präsident Obama zurückgreifen kann, haben sehr schnell klargemacht, dass sie den Verschwörern keinerlei Unterstützung zuteil lassen werden.

Wie wir bereits in älteren Veröffentlichungen erklärt haben, ist es in der Türkei zu einer anwachsenden politischen Krise gekommen. Diese hat sich seit den Wahlen im letzten Jahr und im Zusammenhang mit einer zunehmenden Wirtschaftskrise sowie einer abnehmenden gesellschaftlichen Unterstützung für das Erdoğan-Regime weiter zugespitzt. Die AKP-Regierung hat den Justiz- und Militär-Apparat benutzt, um über die sich abzeichnende und zunehmend ausweglose politische Situation hinwegzukommen. Unter Zuhilfenahme der Justiz sind oppositionelle Stimmen innerhalb wie auch außerhalb des Parlaments unterdrückt worden. Die Armee wurde eingesetzt, um den Widerstand der KurdInnen zu zerschlagen. Der Versuch der regierenden Partei, eine Verfassungsänderung im Sinne eines Präsidialsystems durchzusetzen, ist Bestandteil derselben zunehmend bonapartistischen Tendenz, mit der die Herrschaft eben dieser Instanz des Präsidenten verstärkt werden soll. Dieses repressive Vorgehen, mit dem man aus der politischen Sackgasse herauszufinden meint, hat die Mittel bereitgestellt, mit denen die Verschwörer sich nun gegen die AKP gerichtet haben. Während beide Seiten ihre wirklichen Ziele hinter der Fassade der Demokratie zu verstecken suchen, hat sowohl die eine wie auch die andere Seite eine eigene Spielart der kapitalistisch-diktatorischen Herrschaft herausgebildet. Es geht um eine Herrschaft, die im Gewand einer Zivilregierung daherkommt bzw. – wie im anderen Fall – die Militäruniform trägt. Mit diesen Methoden ist die Krise, die das Land fest im Griff hat, allerdings nicht zu lösen. Auf diese Weise wird die Krise (im einen wie im anderen Fall) nur weiter verstärkt. Abgesehen davon wird so der Boden für noch stärkere Turbulenzen in der Zukunft bereitet. Der aktuelle Versuch eines Staatsstreichs hat aufgedeckt, dass die Versuche, mit denen eine monolithische Macht aufgebaut werden soll, nicht nur zwecklos waren, was das Übertünchen der wachsenden Risse und Fehden innerhalb der herrschenden Kaste bis in die höchsten Ränge des Staates angeht. Diese Versuche haben zudem dazu beigetragen, diese Gräben weiter aufzureißen.

Es ist zwar von äußerster Wichtigkeit, Widerstand gegen die Attacken von Erdoğan auf die sozialen und demokratischen Rechte zu leisten. Dennoch illustriert dieser Putschversuch, dass man einer diktatorischen Herrschaft nicht mit diktatorischen top-down-Methoden beikommen kann. Ob erfolgreich oder nicht: Ein solcher Putsch führt nur zu noch mehr Repression gegenüber den Massen. Der gescheiterte Putsch wird jetzt von Erdoğan dazu genutzt werden, um die Macht noch stärker in seinen Händen zu konzentrieren. Er wird seinen Zirkel an Vertrauten noch enger fassen und noch stärker gegen die demokratischen Rechte vorgehen. Dies zeigt sich bereits daran, dass viele Staatsanwälte willkürlich ihres Amtes enthoben worden sind, und an der Absicht der Regierung, die Todesstrafe wieder einzuführen. Diese Maßnahmen werden als Mittel gegen die militärischen Verschwörer präsentiert. Sie eignen sich allerdings auch hervorragend dazu, um gegen künftige soziale Kämpfe vorzugehen, die sich gegen das Regime richten.

Das „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI) und „Sosyalist Alternatif“, die CWI-Sektion in der Türkei, lehnen den Putschversuch ab, der jetzt nur Erdoğan dabei hilft, seine diktatorische Agenda zu verschärfen. Beide Lager stehen für verschiedene Flügel der unterdrückerischen herrschenden Klasse und müssen bekämpft werden. Der Widerstand der Bevölkerung gegen jeden Versuch einer militärischen Machtübernahme darf nicht unter der Kontrolle des verkommenen Regimes der AKP bleiben. Es muss zu vereinten Massenaktionen der Arbeiterbewegung und der jungen Leute, der politischen Linken und der HDP kommen, die unabhängig von den Mobilisierungen ablaufen müssen, wie sie von der Regierungspartei AKP durchgeführt werden. Letztere macht gelegentlich auch von Gewalt Gebrauch, um gegen politische WidersacherInnen vorzugehen und kann keine Alternative für uns sein. Die Arbeiterbewegung und die Linke müssen umgehend Selbstverteidigungskomitees gegen die Gewalt organisieren, von denen beide Seiten, das Militär wie auch die AKP-Regierung Gebrauch machen. Es muss sich ein dritter politischer Pol rund um die Arbeiterklasse, die verarmten Schichten und jungen Leute herum herausbilden, mit dem die Gewalt beendet werden kann. Auf diese Weise können die Angriffe auf die demokratischen und politischen Rechte genauso gestoppt werden wie die staatliche Offensive gegen die kurdische Bevölkerung und die neoliberale Politik, die von beiden Seiten der kapitalistischen Klasse ausgeübt wird.

Die Tage, in denen die Türkei als beispielhaftes Modell für Aufschwung und Stabilität galt, sind lange vorüber. Die zunehmenden und facettenreichen Krisen, von denen die Türkei betroffen ist, widerspiegeln die Krise des Kapitalismus im Weltmaßstab. Nur ein Kampf für sozialistischen Wandel, der einhergeht mit der Solidarität der ArbeiterInnen im Nahen Osten, in Europa und weltweit, kann das Chaos und die Gewalt, von der die Türkei derzeit bedroht ist, beenden.

 

Neoliberale Offensive in Brasilien

Nach dem Sturz Dilmas ist die neue Regierung mit starken Protesten konfrontiert.
Marcus Kollbrunner

http://www.lsr-cit.org

Die brasilianische Staatschefin Dilma Rousseff von der PT (“Arbeiterpartei”) wurde am 12. Mai vom Bundessenat aufgrund VON WAS? für 180 Tage abgesetzt. Es war unklar, was danach kommt. An ihrer Stelle hat der ehemalige Vizepräsident Michel Temer von der PMDB (WER IST DAS?) das Amt übernommen. Der unmittelbare Grund der Amtsenthebung waren undemokratische Manöver der traditionellen Rechten und des Großkapitals. Doch Dilmas Fall ist auch das Ergebnis der Politik der PT in den letzten 13 Jahren. Die PT, die Anfang der 80er als Partei der ArbeiterInnen entstanden war, wird ihrem Namen schon lange nicht mehr gerecht. Sie setzte auf weitgehende Zusammenarbeit mit KapitalistInnen und die Umsetzung ihrer Wünsche. Sie ist wie die europäische Sozialdemokratie verbürgerlicht.  Die PMDB ist von jeher eine bürgerliche Partei, die sich, scheinbar ideologiefrei, als Partei der politischen Mitte präsentiert, aber Politik für die herrschende Klasse umsetzt.

Bis Ende 2015 hatte die herrschende Klasse von Dilma Angriffe gegen die ArbeiterInnenklasse erwartet. Diese hatte sie zum Teil auch umgesetzt, obwohl sie bei den Wahlen 2014 das Gegenteil versprochen hatte. So machten die wirtschaftliche Krise und Dilmas neoliberale Politik sie zu einer der unpopulärsten PräsidentInnen der Geschichte. Die Wirtschaft war 2015 um 3,8% geschrumpft. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf 11 Millionen angewachsen. Die Inflation liegt im zweistelligen Bereich. Bereits im Vorfeld der WM 2014 hatte es Massenproteste und Streiks für Preissenkungen und Lohnerhöhungen im öffentlichen Verkehr gegeben. Das ist der Hintergrund, vor dem die „Operation Autowäsche“ die öffentliche Meinung explodieren lies. Bei „Operation Autowäsche“ ermittelte die Bundespolizei gegen führende PT-Regierungsmitglieder wegen Korruption rund um den staatlichen Ölgiganten Petrobras – und wurde fündig.

Die allgemeine Unzufriedenheit erlaubte der Rechten große Teile der Mittelklasse in riesigen Demonstrationen gegen die Regierung zu mobilisieren. Dilmas Regierung hatte aufgrund ihrer Unpopularität nicht mehr die Stärke um weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse umzusetzen. Daher setzte ein zentraler Teil des Großkapitals seit Beginn 2016 auf Amtsenthebung. Bis zum letzten Moment versuchte Dilma das Großkapital zu überzeugen, dass sie liefern könnte. Einige der letzten Maßnahmen der Regierung Dilma beinhalteten die Öffnung der Ölförderung für ausländische Unternehmen, brutale Kürzungen, Privatisierungen und ein neues “Anti-Terror”-Gesetz, das den Weg für die Kriminalisierung sozialer Bewegungen öffnet.

Trotz der Wut auf Dilmas neoliberale Politik fanden große Demonstrationen gegen die Amtsenthebung statt. Denn viele sehen die Amtsenthebung als Angriff auf die Demokratie und manche sogar als Staatsstreich. Tatsächlich kann die Amtsenthebung die Tür für noch härtere anti-demokratische Attacken auf die ArbeiterInnenklasse öffnen. 

Die ersten Tage der Temer-Regierung waren von einer Lawine an Ankündigungen begleitet. In kürzester Zeit sind massive Kürzungen geplant worden: die Abschaffung der verpflichtenden Finanzierung von Gesundheit und Bildung, die Erlaubnis massive Kürzungen umsetzen zu dürfen, sowie ein Deckel für Staatsausgaben, um den öffentlichen Sektor einzudämmen. Aber die Regierung war vom ersten Tag an mit Protesten konfrontiert. Das führte zu einem teilweisen Rückzug von Temer. Er versuchte, die Ankündigungen seiner MinisterInnen abzuschwächen. So führte die Entscheidung, das Kulturministerium abzuschaffen, zu Besetzungen von öffentlichen Gebäuden im ganzen Land und Temer musste diesen Plan zurückziehen. Die Regierung kündigte auch die Streichung des geplanten Baus von 10.000 Sozialbauten an, musste diese Entscheidung aber nach Protesten der Bewegung obdachloser ArbeiterInnen (MTST) zurücknehmen. Und zwei Minister mussten nach der Veröffentlichung von Aufnahmen, die belegen, dass es Pläne gab “Operation Autowäsche” zu streichen, gehen. “Operation Autowäsche” untersuchte nämlich auch führende Mitglieder der PMDB... 

PSOL, die linke Organisation „Partei des Sozialismus und der Freiheit“, konnte seine Autorität während des Amtsenthebungsprozesses stark ausbauen. Sie hat ihre linke Opposition gegen die Dilma-Regierung bekräftigt, aber im Senat und der Abgeordnetenkammer gegen Dilmas Amtsenthebung gestimmt. PSOL wird wahrscheinlich in den Lokalwahlen im Oktober stark dazu gewinnen. Allerdings gibt es die Gefahr, dass Teile der PSOL dann Bündnisse mit der PT eingehen könnten – was die Fehler der PT-Politik fortsetzen würde. Unsere Schwesterorganisation in Brasilien – LSR („Freiheit, Sozialismus, Revolution“)– ist Teil von PSOL und betont die Notwendigkeit eines Generalstreiks, um die Angriffe der Temer-Regierung zu stoppen. Gefordert werden ebenso Neuwahlen für das Präsidentenamt und um den gesamten korrupten Kongress zu ersetzen. LSR steht für den Aufbau einer linken sozialistischen Alternative zur PT. Wenn das nicht passiert, kann es sein, dass das politische Vakuum von anderen politischen Kräften gefüllt wird, die Temer nichts entgegenzusetzen haben.

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Nizza: Wir werden uns nicht vom Terror einschüchtern lassen!

Nein zu Hass, Generalverdacht und Rassismus: Lasst uns verhindern, dass sie uns spalten!
Erklärung von Gauche Revolutionnaire, der französischen Schwesterorganisation von SAV und SLP.

In Nizza ist an diesem 14. Juli Schreckliches passiert. Der Fahrer des LKWs wollte so viele Menschen wie möglich wahllos töten und überfuhr nach dem großen Feuerwerk, auf der „Promenade des Anglais“, ein Maximum an Unschuldigen. Wir verurteilen diese feigen und blindwütigen Attentate. Gestorben sind unsere Schwestern und Brüder, ArbeiterInnen im Kurzurlaub, in- und ausländische TouristInnen, junge Leute, Arbeitslose, Eltern, RentnerInnen... eben Menschen aus allen Kultur- und Lebenskreisen.

Auftragsmord oder nicht? Welches psychologische Profil hatte der LKW-Fahrer? Wir wissen noch nichts darüber, aber die Gefühle, die seine Tat auslöst, sind klar: Trauer und Wut. Ob es ein Einzeltäter, der IS oder irgendeine andere Gruppe war – es gilt aufzuzeigen, dass die verwendeten Methoden jener von faschistischen Gruppen, aber auch diktatorischer Regimes oder Besatzungsarmeen gleicht. Kaltblütig das Leben wehrloser Menschen auszulöschen ist Teil der Ideologie der extremen Rechten – ob diese sich dabei auf sogenannte „religiöse“ Motive berufen oder nicht.

Nichts kann die blindwütigen und barbarischen Attentate von Nizza rechtfertigen, genausowenig wie jene von Bagdad in der vorherigen Woche, die 292 Menschen das Leben kosteten, oder jene in Istanbul am 29. Juni… Gruppen wie der IS oder andere, die sich zu den Attentaten bekannt haben, sind unfähig, auch nur in irgendeiner Schicht der Bevölkerung Unterstützung zu gewinnen. Weder hier, schon gar nicht unter Muslima und Muslime, noch sonst irgendwo. Und wehren wir uns auch gegen die Behauptung dieser Barbaren, dass sie die von Frankreich oder den USA geführten Kriege bekämpfen würden. In Wirklichkeit sind es überall auf der Welt Söldnertruppen, in mafiaartigen Strukturen organisiert, die die Zivilbevölkerung in Frankreich, Belgien, dem Irak, Libyen oder Nigeria angreifen. Ihre Methoden zielen darauf ab, um jeden Preis die Organisation von Widerstand gegen die brutalen mittelalterlichen Regimes, die sie aufbauen wollen, zu verhindern. Und wenn die Verzweiflung angesichts der durch Attentate getöteten ZivilistInnen wächst, wächst sie ebenso, wenn ZivilistInnen durch Bomben imperialistischer Mächte getötet werden. Terror und staatlicher Terror stärken beide immer die herrschenden Klassen, indem sie ein Klima der Angst, des Hasses und des gegenseitigen Misstrauens schüren.

Nach wie vor: Nein zum Ausnahmezustand!

Wieder einmal werden Trauer und Wut, die auf solche Gräueltaten folgen, von der Regierung und verschiedenen Parteien der KapitalistInnen benützt um zu versuchen uns zu spalten. Weder die Verlängerung des Ausnahmezustandes, noch die Mobilisierung von 50.000 ReservistInnen können unsere Sicherheit gewährleisten. Der Ausnahmezustand hat nie dazu gedient Terroranschläge zu verhindern. Er wurde im November 2015 ausgerufen und seitdem drei mal verlängert. Und dennoch konnte er den gestrigen Tod von weiteren 84 Menschen nicht verhindern. Der Ausnahmezustand ist keine Lösung um wirklich in Sicherheit zu sein.

Im Gegenteil, er ist eine Waffe… die es Valls und Hollande ermöglichte seit vergangenem Dezember Mobilisierungen einzubremsen - als erstes rund um den Klimagipfel COP21, dann die massive soziale Bewegung gegen das Arbeitsgesetz: es wurde versucht die Demonstrationen jener zu verbieten, die gegen ihre Politik kämpfen.

Wir verweigern es, zu akzeptieren, was jene, die diese Attentate begehen uns aufzwingen und verbreiten wollen: das Gefühl von Angst. Der Terror ist eine politische Waffe, die darauf abzielt, ArbeiterInnen davon abzuhalten sich zusammen zu tun, auf Grund der Angst etwas zu tun und den Rassismus zu stärken. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern, wir lassen uns nicht spalten!

Einheit von ArbeiterInnen und Jugendlichen gegen die Barbarei und den Rassismus!

Wir verweigern auch, unsere Sicherheit der Valls-Hollande-Regierung, PolitikerInnen der Rechten oder des Front National zu überlassen. Ihre Politik heißt soziale Konterrevolution und permanente soziale Unsicherheit, wie es das Arbeitsgesetz zeigt. Sie verschlechtern unser Leben mit erbärmlichen Löhnen, Prekariat und Arbeitslosigkeit. Das ist der Nährboden für all jene reaktionären und gewalttätigen Ideen, die aus der Armut und dem Fehlen von Perspektiven, einer Zukunft, im kapitalistischen System heraus entstehen.

Übrigens sei jenen, die es gewagt haben, DemonstrantInnen gegen das Arbeitsgesetz und GewerkschafterInnen mit Terroristen zu vergleichen geraten, noch heute ihre Entschuldigungen auszusprechen. Keine Regierung und keine Terrorgruppe ist stärker als die Einheit von ArbeiterInnen und Jugendlichen in Massenbewegungen. Als wir am 31. März und am 14 Juni eine Million Menschen auf der Straße waren, vereint im Kampf gegen eine Regierung die es mit den Rechten aller ArbeiterInnen in Frankreich aufnimmt, da waren wir stark. Sich gemeinsam zu wehren ist das einzige Mittel um die Menschen nicht in der Hoffnungslosigkeit untergehen zu lassen. So können wir die Wurzeln des Terrorismus, der Spaltung und des Rassismus bekämpfen.

Um den Terror und den Hass wirklich zu besiegen, müssen wir uns alle zusammen gegen die dafür verantwortliche Politik vereinigen. Es ist der Kapitalismus, das System, in dem sich alles um die Profite einer kleinen Minderheit auf dem Rücken der Mehrheit dreht, den wir bekämpfen müssen, um die Quelle der Barberei trocken zu legen und um somit eine selbstbestimmte und menschenwürdige Zukunft für alle zu ermöglichen. Eine andere Gesellschaft ist möglich und notwendig, eine sozialistische.

 

Putschversuch in der Türkei: Für Demokratie, ArbeitnehmerInnrechte und die Freiheit aller unterdückten Minderheiten!

Keinen Funken Vertrauen in Militärs mit angeblich "demokratischen Zielen"! Keine Unterstützung für die AKP-Regierung!
SLP Bundesleitung

Nur eine echte Massenbewegung von ArbeitnehmerInnen, Gewerkschaften und allen unterdrückten Bevölkerungsteilen in der Türkei kann demokratische Rechte erkämpfen!

In der Nacht von 15. auf 16. Juli haben Teile des türkischen Militärs versucht, die AKP-Regierung durch einen Putsch zu entmachten. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wahrscheinlich mehr als 90 Menschen, bei Gefechten zwischen den Putschisten und der Polizei, Spezialeinheiten sowie DemonstrantInnen, ihr Leben verloren. Über Tausend Menschen wurden verletzt. Es gibt unzählige Verhaftungen. Nun gewinnt die AKP-Regierung Oberhand.

Das Militär steht für eine lange Tradition von Unterdrückung auch in der Türkei. Die Hoffnung, dass das Militär ein Bollwerk oder gar indirekter Bündnispartner für ein säkulares Regime in der Türkei wäre ist gefährlich. In Ägypten wurde die Muslimbruderschaft durch das Militär von der Regierungsmacht vertrieben. Das hat den islamischen Fundamentalismus aber nicht geschwächt. In Algerien hat ein ähnliches Vorgehen zu einem langen und blutigen Bürgerkrieg geführt. Der Kampf gegen den religiösen Fundamentalismus wird nicht mit den blutigen Bajonetten eines säkularen Militärs gewonnen werden – dafür braucht es die organisierte Kraft der ArbeiterInnenbewegung.
Egal ob AKP-Regierung oder Teile des türkischen Militärs: Beide stehen für die Einschränkung demokratischer Grundrechte, massive Unterdrückung der ArbeiterInnenbewegung und das militärische Vorgehen gegen die kurdische Bevölkerung. 
Jede Aktion der Linken und der ArbeiterInnebewegung in Europa, die sich auf die Situation in der Türkei bezieht, muss daher eine Mobilisierung für demokratische Rechte, Gewerkschafts- und Versammlungsrechte und die Rechte aller unterdrückten Bevölkerungsgruppen in der Türkei haben.

Erdogan kündigt ein hartes Vorgehen gegen die Putschisten an. Diese Ankündigung ist eine gefährliche Drohung für die ArbeiterInnenbewegung und die kurdische Freiheitsbewegung in der Türkei. 
Die AKP-Elite hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bereit ist, zum eigenen Machterhalt mit diktatorischen Mitteln gegen KritikerInnen vorzugehen, Gewerkschaften und soziale Proteste zu unterdrücken und einen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung zu führen. Die AKP verfügt immer noch über eine große soziale und politische Basis im Land. Es scheint als würde der Widerstand gegen den Putschversuch vor allem von AnhängerInnen der AKP getragen. Erdogan ist es gelungen seine Macht und seinen Rückhalt in Teilen der Gesellschaft zu zeigen. Er konnte seine soziale Basis mobilisieren große Demonstrationen waren die Folge. Die Bilder von tausenden Menschen, die Panzer umstellen, dürfen nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass viele Menschen zu Hause geblieben sind. Nicht nur wegen der vollkommen berechtigten Angst vor Repression. Sondern auch weil sie weder eine AKP noch eine Militärregierung wollen. Hier gäbe es ein großes Potential für die Linke und die ArbeiterInnenbewegung. 
Ein endgültiger Sieg der AKP-Regierung könnte von AKP-Kadern und Teilen der Polizei und des Geheimdienstes auch als Freibrief gesehen werden, auf alles los zu gehen was in Opposition zur AKP steht. Linke, GewerkschafterInnen und die kurdische Bewegung werden daher künftig einer besonderen Bedrohung ausgesetzt sein. Wer sich kritiklos auf die Seite des Erdogan-Regimes stellt ist dafür mitverantwortlich! Erdogan und Co. werden einen Sieg bis zum Letzten ausnutzen, um ihre diktatorische Macht zu festigen. Ein weiterer Abbau demokratischer Rechte in Richtung Polizeistaat ist zu befürchten. Aber egal ob die AKP-Regierung schnell komplett gewinnt oder es noch Gefechte mit Widerstandsnestern des Militärs gibt: Eine Mobilisierung für Demokratie, Frieden und ArbeitnehmerInnenrechte ist nötig!

Die linke, pro-kurdische Partei HDP, kämpferische Gewerkschaften ( DISK, KESK u.a.) und linke Organisationen müssen gemeinsam eine politische Verteidigung und wenn es sein muss auch eine reale Verteidigung organisieren. Diese Organisierung muss von demokratisch organisierten Komitees, in Regionen, Stadtteilen, Betrieben usw. ausgehen. Vor allem für Büros und Einrichtungen der linken, prokurdischen HDP, von linken Gruppen, von Gewerkschaften, kritischen und linken Zeitungen könnte es gefährlich werden. Besonders in Gebieten, wo viele KurdInnen und unterdrückte Minderheiten leben, kann es unter dem Deckmantel der "Putschistenjagt" zu Übergriffen durch erdogantreue Kräfte gegen Linke, KurdInnen und andere kommen. 
Internationale Solidarität mit der Linken und der kurdischen Bewegung in der Türkei ist jetzt besonders wichtig.
 
Wir fordern den ÖGB auf, sich nicht den an den allgemeinen Solidaritätserklärungen der EU-Eliten mit der AKP Regierung zu beteiligen. Die AKP-Regierung ist eine gewerkschafts- und arbeiterInnenfeindliche Regierung! Viel richtiger wäre es, praktische Solidarität zu organisieren. Ein erster Schritt könnte eine Demonstration in Solidarität mit der Linken, der ArbeiterInnenbewegung und der kurdischen Bewegung sein. Wenn nötig muss der ÖGB und die Fachgewerkschaften bereit sein, schnell eine Solidaritätsdelegation in die Türkei zu schicken und den Kräften der ArbeiterInnenbewegung vor Ort bei zu stehen. Schon in den letzten Monaten ist es vermehrt zu Übergriffen von türkischen Rechten auf linke türkische und kurdische AktivistInnen in Österreich gekommen. Auch hier gilt es klar Seite zu beziehen.

Wichtig ist aber auch, einen Zugang zu den vielen TürkInnen zu finden, die Erdogan verteidigen, weil für sie die AKP Regierung für Fortschritt und sozialen Aufstieg steht. Es ist verständlich und richtig, sich gegen den Putsch zu stellen. Doch Erdogan ist ein Vertreter der türkischen Eliten und des türkischen Kapitals. Der Wirtschaftsaufschwung der Türkei nähert sich einem Ende und damit wachsen auch die sozialen Probleme. Erdogan wird den Putschversuch auch nutzen, um Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung anzugreifen und den neoliberalen Umbau mit z.B. Privatisierungen weiter voran zu treiben. Um den Kampf von ArbeiterInnen in der Türkei gegen diese Maßnahmen glaubwürdig unterstützen zu können muss der ÖGB auch ähnliche Maßnahmen hierzulande aktiv bekämpfen und sich auch für die vollen Rechte aller Beschäftigten – also auch der türkischen – einsetzen. Im gemeinsamen Kampf für soziale Rechte können türkische KollegInnen für den Kampf für eine demokratische, säkulare und auch sozialistische Türkei gewonnen werden.

In Österreich halten wir es für besonders wichtig den Aufbau einer neuen linken Partei anzugehen. Viele Menschen haben die Ereignisse gestern zutiefst verunsichert. Ohne linkes Angebot werden FPÖ und andere Rechtsextreme von dieser Unsicherheit profitieren. Daher sollten wir in den nächsten Tagen konkrete Fortschritte in der Aufbruchkampagne machen. ArbentnehmerInnen mit türkischen Background für eine kämpferische Kampagne anzusprechen muss dafür ein wichtiges Ziel sein.

 

 

Trotz Repression: Lehrerstreik in Mexiko fortgesetzt

Kämpferische Gewerkschaften und unabhängige linke Partei notwendig
von Adam Ziemkowski, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SLP in den USA)

In Mexiko befinden sich seit dem 16. Mai zehntausende LehrerInnen im Streik. Geführt wird der Arbeitskampf vom „National Education Workers Coordinating Committee“ (CNTE), das sich gegen eine Bildungsreform wehrt, die massenhafte Entlassungen ermöglichen, die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes schwächen und den Weg für Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Bildung ebnen würde.

Unterdessen hat die neoliberale Regierung unter Enrique Peña Nieto gegenüber dem Streik der LehrerInnen von Anbeginn eine kompromisslose Haltung eingenommen. Verhandlungen mit dem CNTE werden abgelehnt, und weil sie der Arbeit ferngeblieben sind, um sich am Streik beteiligen zu können, sind über 4.000 LehrerInnen gefeuert worden. Führende VertreterInnen des CNTE sind unter fadenscheinigen Anschuldigungen verhaftet worden. Wie der Sender „Telesur“ berichtet, nahm die Repression am 19. Juni eine Wende in Richtung Gewalt, als „die Behörden zehntausende Bereitschaftspolizisten auffahren ließen“. In den darauffolgenden Stunden sind mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. Die meisten von ihnen stammten aus Nochixtlan im Bundesstaat Oaxacan.

Nach dieser Tragödie gab sich das CNTE entschlossen, den Widerstand gegen das Bildungsreformgesetz aufrechtzuerhalten und erhielt dafür beachtliche Unterstützung aus der Gemeinde. In Mexico City haben der frühere Bürgermeister Andres Manuel Lopez Obrador und die Partei der national-revolutionären Bewegung („Morena“) eine riesige Kundgebung abgehalten, an der nach einigen Schätzungen nicht weniger als 250.000 Menschen teilgenommen haben, um die LehrerInnen zu unterstützen. Auch von internationaler Seite bekommen die Streikenden ein großes Maß an Unterstützung. Kshama Sawant, die sozialistische Stadträtin von Seattle, hat im Namen von „Socialist Alternative“ und dem „Committee for a Workers’ International“ (CWI) ihre Solidarität mit den streikenden LehrerInnen vom CNTE in einem entsprechenden Schreiben und per Video übermittelt.

Die Regierung Peña Nieto lehnt es ihrerseits ab, ihre bisherige Position aufzugeben. Bildungsminister Aurelio Nuño wiederholt ständig seine Pläne, die neoliberalen Bildungsreformen durchsetzen zu wollen.

LehrerInnen als Speerspitze des Kampfes

Das CNTE wehrt sich aus einer ganzen Reihe von Gründen gegen das Bildungsreformgesetz. An erster Stelle steht, dass es der neoliberalen Regierung ermöglichen würde, standardisierte Testverfahren anzuordnen und diese zu nutzen, um LehrerInnen zu beurteilen. Das würde willkürliche Angriffe auf die KollegInnen bedeuten. Außerdem würde das Mitspracherecht der Gewerkschaften bei der Lehrer-Einstellung beschnitten, und die Zahl an gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten im öffentlichen dienst würde verringert. Insgesamt würde dieses Gesetz einen Schritt in Richtung Privatisierung der öffentlichen Bildung in Mexiko bedeuten.

Bei diesem Kampf geht es jedoch um mehr als „nur“ um die Reform der Bildungssektors. Da die Lehrergewerkschaften und die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes im Widerstand gegen die neoliberale Agenda der mexikanischen herrschenden Klasse an vorderster Front stehen, hofft die Regierung unter Präsident Peña Nieto, diese Opposition nun brechen zu können. René González Pizarro, Lehrer aus dem Bundesstaat Oaxacan und Mitglied der Untergliederung 22 des CNTE, fasste es in einem kürzlich gegebenen Interview wie folgt zusammen: „Es geht um die erneute Attacke einer neoliberalen Regierung auf die Gewerkschaften, die irgendwie Widerstand leisten“. (https://www.jacobinmag.com)

Dass die Regierung bisher nicht in der Lage ist, dieses Ziel zu erreichen, obwohl sie derart massiv gegen das CNTE und die LehrerInnen vorgeht, deutet auf die fundamentale schwäche der mexikanischen herreschenden Klasse hin. Für die „einfachen Menschen“ in Mexiko ist der Kapitalismus voll und ganz gescheitert. Dieses System ist nicht nur außer Stande, für sichere Arbeitsplätze bei angemessener Bezahlung und für vernünftige Lebensstandards für die Mehrheit der Bevölkerung zu sorgen – sie kann noch nicht einmal ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten.

Fast 50 Prozent der Bevölkerung Mexikos lebt in Armut. Darunter befinden sich 40 Millionen Kinder. Gleichzeitig gibt es super-reiche Einzelpersonen wie Carlos Slim, dessen Privatvermögen sich auf mehr als 75 Milliarden US-Dollar beläuft. Letztere häufen unvorstellbare Reichtümer an. Von 2007 bis 2014 sind mehr als 164.000 Menschen umgebracht worden. In den vergangenen zehn Jahren sind 100 BürgermeisterInnen und 1.000 gewählte GemeindevertreterInnen ermordet worden. Der Grund dafür war in den meisten Fällen der Drogen-Krieg, die Korruption und die instabile Lage, die damit einhergeht.

Der Kapitalismus in Mexiko wird allerdings nicht von alleine in sich zusammenbrechen. Es müssen sich noch viel mehr arbeitende Menschen dem Kampf der LehrerInnen vom CNTE anschließen und sich sowohl gegen die Bildungsreform wie auch gegen andere Versuche der Regierung, ihre neoliberale Agenda Realität werden zu lassen, aktiv zur Wehr setzen. Die abhängig Beschäftigten brauchen darüber hinaus dringend eine politische Kraft, die in der Lage ist, eine alternative Vorstellung zum bankrotten System des Kapitalismus anzubieten. Die Entwicklung einer unabhängigen linken Kraft wie „Morena“ ist vielversprechend. Diese Formation kann den „einfachen Menschen“ den Raum bieten, von dem aus sie den Kampf der Arbeiterklasse organisieren können. Im Rahmen dieser Partei können sie sich um die besten Ansätze streiten, mit denen der Kapitalismus bekämpft und eine sozialistische Welt aufgebaut werden kann, in der die Menschen mehr zählen als der Profit.

 

Brexit revisited

Die linke Debatte um den Brexit und die Ereignisse seit dem Referendum
Von Sascha Stanicic, verantwortlicher Redakteur von sozialismus.info und Bundessprecher der SAV.(Schwesterorganisation der SLP in Deutschland)

Es ist lange her, dass ein Ereignis unter Linken eine solch kontroverse und teils emotional geführte Debatte ausgelöst hat, wie das mehrheitliche Votum der Bevölkerung Großbritanniens für den Austritt aus der EU.

mittelseite 3Linken BefürworterInnen wurde von linken GegnerInnen des Brexit vorgeworfen, gemeinsame Sache mit Rechtspopulisten zu machen, dem Rassismus Vorschub zu leisten oder auch einfach einem „Wahn“ (Angela Klein in der SoZ) verfallen zu sein.

Von Sascha Stanicic

Keine Frage: Eine Volksabstimmung mit einer einfachen Fragestellung nach der Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union war für die Linke kein günstiges Schlachtfeld. Denn beide zur Wahl stehenden Optionen beinhalteten keine Lösung der sozialen Probleme der Arbeiterklasse, beantworten nicht, in welcher Verfasstheit und in welchem Interesse das Land funktionieren soll. Ein Votum für den Brexit war sicher keine Lösung für irgendetwas. Aber: Das hat die sozialistische Kampagne für den Brexit, die von der Trade Unionist and Socialist Coalition (TUSC) und der Socialist Party (SP – Schwesterorganisation der SAV) geführt wurde, auch nicht behauptet. Ihre Argumentation war eine andere.

Erstens haben sie darauf hingewiesen, dass die Haltung zur Europäische Union zur Abstimmung stand. Der politische Inhalt des Votums ließ sich also auf die Frage Unterstützung oder Ablehnung der EU reduzieren. Hier scheiden sich auch unter Linken die Geister. Teile der Linkspartei argumentieren zum Beispiel, die EU sei als Friedensprojekt gegründet worden, sie repräsentiere im Grundsatz eine fortschrittliche und internationalistische Zielsetzung und sei nur von den falschen, weil neoliberalen, Kräften gekapert worden. Diese Kräfte sehen in einem Auseinanderbrechen der EU folgerichtig etwas Bedrohliches und machen Vorschläge, die – so ihre Hoffnung – ein solches Auseinanderbrechen verhindern können. Es ist logisch, dass man auf Basis einer solchen Einschätzung der EU gegen einen Brexit ist.

Diese Haltung wurde dadurch gestärkt, dass die offiziellen Remain- und Brexit-Kampagnen von unterschiedlichen Teilen der britischen Konservativen (bzw. UKIP) geführt wurden. Das war beim letzten Referendum zur Frage der EU-Mitgliedschaft im Jahr 1975 anders. Damals hatten die Gewerkschaften und die Labour-Linke (einschließlich Jeremy Corbyn) die Anti-EU-Kampagne angeführt.

Auch heute teilen große Teile der sozialistischen Linken diese Haltung nicht. Wie zum Beispiel der Lexit-Aufruf zurecht sagt, ist die EU „kein neutrales Spielfeld“. Sie ist kein Gefäß, das mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden kann. Sie ist ein Vertragswerk kapitalistischer Staaten und bringt die Interessen der herrschenden Klassen dieser Staaten zum Ausdruck. Sie ist ein Club der Bosse und Bänker (und ihrer politischen VertreterInnen) – und das war sie schon immer. Die EU ist militaristisch, undemokratisch und neoliberal. Die entscheidenden Institutionen, wie EU-Kommission und Ministerrat, sind nicht gewählt und das Europäische Parlament ist ein zahnloser Tiger. Sie wurde nicht zur Friedenssicherung, sondern zur Durchsetzung kapitalistischer Interessen gegründet (siehe hier). Sie repräsentiert auch nicht Europa, sondern nur einen Teil der europäischen Staaten. Sie ist ein Gangsterbündnis, vergleichbar einem Mafia-Kartell. Seit wann dient der Verbrechensbekämpfung die Reform der Verbrecher-Banden?

Aus dieser Einschätzung ergibt sich, dass man bei der Fragestellung „für oder gegen die EU“ deutlich sagen sollte: dagegen! Die Antwort die sozialistische Brexit-BefürworterInnen angesichts der eingeschränkten Fragestellung gegeben haben, war also wesentlich eine negative: gegen die EU! Nicht: für ein kapitalistisches Großbritannien außerhalb der EU.

Brexit = Schwächung von Tories und EU

Zweitens haben linke Brexit-BefürworterInnen argumentiert, dass eine Mehrheit für den Austritt aus der EU eine Schwächung der britischen Austeritätsregierung unter David Cameron und der auf Austeritätspolitik festgelegten EU bedeuten würde. Eine solche Schwächung sei zu begrüßen, auch wenn sie nicht automatisch zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Arbeiterklasse und der sozial Benachteiligten führe. Sie verbessere aber die Voraussetzungen durch Kämpfe von unten Verbesserungen durchzusetzen – wenn diese Kämpfe denn auf den Weg gebracht werden.

Dem halten linke Brexit-GegnerInnen entgegen, durch den Sieg des Brexits seien die nationalistische Rechte und der Rassismus gestärkt worden. Angela Klein schreibt in der SoZ, die „extreme Rechte schlägt Kapital aus einer tiefen Gesellschaftskrise, nicht die Linke“ und behauptet: „Der Erfolg des Brexit ist nicht nur ein Hinweis auf eine politisch fehlgeleitete Reaktion auf den globalisierten Kapitalismus, er ist auch eine massive Bedrohung für die demokratischen und Menschenrechte, für die Gewerkschaftsrechte und für alle linken Ansätze, die auf eine Entmachtung der großen Kapitalbesitzer hinauslaufen. Er verschiebt das gesellschaftliche und politische Kräfteverhältnisse in Großbritannien – und wer weiß, auch in anderen EU-Länder? – massiv nach rechts.“

Oberflächlich betrachtet scheint diese Einschätzung schlüssig, schließlich wurde die Brexit-Kampagne von bürgerlichen, rechten Nationalisten – dem rechtspopulistischen Tory-Abgeordneten Boris Johnson und dem UKIP-Vorsitzenden Nigel Farage – dominiert. Und seit dem Referendum nehmen die Berichte über rassistische Übergriffe gegen MigrantInnen auf der Insel zu.

Der taz-Journalist Pascal Beucker hat den ersten Artikel von Lucy Redler und mir zum Brexit auf facebook so kommentiert: „De facto macht Ihr Euch damit zu Blödmannsgehilfen von Le Pen, Wilders, Strache, Gauland, Farage, Trump, Putin & Co.“ Auf meine Frage, ob er denn für TTIP sei, nur weil Donald Trump und die AfD gegen TTIP seien, erhielt ich keine Antwort. Und in dieser Logik hätte man ja auch nicht für einen Verbleib in der EU sein dürfen, weil man sich dann zum Erfüllungsgehilfen von Cameron, der EU und dem Finanzkapital gemacht hätte. Aber sind Cameron und die EU nicht das kleiner Übel im Vergleich zu Johnson und Farage? Mussteman nicht gegen den Brexit sein, um die nationalistische Rechte zu stoppen?

Wenn man Charakter und Wirkung der EU betrachtet sollte man als Sozialist oder Sozialistin zu einem entgegengesetzten Schluss kommen. Man musste als Linke für den Brexit sein, um den Nationalisten und Rassisten nicht das Feld zu überlassen. Die Stimmung für den Brexit bzw. gegen die EU hat tiefe Ursachen im kapitalistischen Charakter der EU und in der sozialen Lage der britischen Arbeiterklasseder jahrelangen Austeritätspolitik, des Sozialabbaus, der Lohnkürzungen.

Auch wenn manche Linke den Klassencharakter des Brexit-Votums in Frage stellen, so müssen selbst bürgerliche KommentatorInnen auf diesen hinweisen. So schrieb der Guardian: Der Brexit geht um die Frage des Klassenzugehörigkeit, der Unabhängigkeit und das Gefühl des Ausgegrenztseins bei den Wählerinnen und Wählern.“ Und die Financial Times nannte die Abstimmung die „am meisten klassenbasierte Abstimmung der letzten Jahrzehnte“.

Es stimmt, dass auch Teile der Arbeiterklasse gegen den Brexit gestimmt haben, vor allem unter Jugendlichen und MigrantInnen (wobei gerade unter Jugendlichen vor allem die Wahlbeteiligung mit 36 Prozent extrem niedrig war). Das ist ein Hinweis darauf, dass der völlig kapitalistische Charakter der EU hinter der Fassade der „europäischen Werte“ und des „Internationalismus“ versteckt wurde. Viele haben aus Sorge vor dem Erstarken der Rechtspopulisten und des Rassismus für einen Verbleib in der EU gestimmt. All das zeigt, dass bei der Abstimmung keine explizit soziale, den Interessen der Arbeiterklasse entsprechende Option zur Wahl stand. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Brexit von vielen als Chance betrachtet wurde, der Tory-Regierung eine Niederlage beizufügen. Diese Stimmung ergab sich aus der klassenpolitischen Realität, aus den Erfahrungen der unteren Schichten der Arbeiterklasse. Sie konnten nicht durch Argumente über die Fortschrittlichkeit der EU und gegen den Rassismus von UKIP gedreht werden. Das zeigt sich auch daran, dass selbst ein Drittel traditioneller Labour-WählerInnen für den Brexit gestimmt haben, obwohl der neue linke Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn seine jahrzehntelang vertretene Anti-EU-Position abgelegt und sich für einen Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen hatte. Hätte er sich stattdessen an die Spitze der Brexit-Bewegung gestellt, dann wäre diese nicht von Johnson und Farage dominiert worden und hätte in der Öffentlichkeit einen, zumindest deutlicheren, sozialen (und linken!) Charakter erhalten, hätte der Klasseninstinkt, der sich in dem Votum ausdrückte, einen bewussten politischen Ausdruck gefunden, wäre die politische Lage heute eine grundlegend andere.

Das hat unter anderem auch der anglikanische Priester der St.Mary’s Gemeinde in London-Newington auf den Punkt gebracht: Hätte es eine stärkere Brexit-Stimme von Labour gegeben, hätte die Wut der Unzufriedenen aus der Arbeiterklasse gegen das eigentliche Ziel gerichtet werden können: den entwickelten Kapitalismus.“

Aber es ist auch nicht wahr, dass sich durch das Brexit-Votum das Kräfteverhältnis zuungunsten der Arbeiterklasse und der Linken verschoben hat oder die extreme Rechte gestärkt ist. Im Gegenteil. Der sozialistische Publizist Tariq Ali schrieb am 4. Juli auf facebook: „Das Ergebnis des Brexit bisher an der politischen Heimatfront: 1. Cameron ist weg, 2. Boris [Johnson] ist am Boden und Gove wird [das Rennen um den Tory-Vorsitz] wahrscheinlich nicht gewinnen, 3. Farage ist zurückgetreten, 4. Corbyn ist immer noch Vorsitzender der Labour Party und es baut sich massenhafte Unterstützung für ihn auf, während er selbst sich für die schottische Frage [der Unabhängigkeit] öffnet und in der Frage der Geflüchteten und Migration standhaft bleibt.(…) Kein schlechter Anfang …“
Wenn die Führer der nationalistischen Rechten aus dem Weg geräumt werden, kann man das tatsächlich kaum als Stärkung bezeichnen. Interessant sind auch Meinungsumfragen, die zum Ausdruck bringen, dass selbst die große Mehrheit der Brexit-BefürworterInnen für ein Aufenthaltsrecht für EU-BürgerInnen sind. Das zeigt, dass die Zunahme rassistischer Übergriffe nach dem Referendum zwar als Warnung verstanden – und bekämpft – werden müssen, aber nicht unbedingt eine qualitative Stärkung rechtsextremer Kräfte im Sinne einer zahlenmäßigen Zunahme ausdrücken müssen, sondern eher, dass diese mehr Selbstbewusstsein bekommen haben.

Die Verantwortung dafür, dass die Rechten sich durch den Ausgang des Referendums gestärkt und bestätigt fühlen, tragen die führenden Kräfte auf beiden Seiten der Referendums-Kampagne. Denn auch Cameron und das Remain-Lager haben sich mit rassistischen Äußerungen hervor getan und erwecken den Eindruck, polnische ArbeitsmigrantInnen seien für soziale Probleme verantwortlich und nicht die Politik der Regierung und die Macht des Kapitals.

Hierzu hat der Parteivorstand der LINKEN in seiner Resolution zum Brexit richtig formuliert:Rassistische Übergriffe nach dem Referendum müssen entschlossen bekämpft werden. Doch Rassismus ist nicht ursächlich durch den Brexit entstanden, sondern wurde jahrelang von der Regierung Cameron betrieben, der zum Beispiel die Sozialleistungen für Migrantinnen und Migranten abgesenkt hat. Rechte Teile beider Seiten haben in der Referendumskampagne zu einem weiteren Anstieg von Rassismus beigetragen und der Ausgang wird von Rechten nun genutzt, um gegen polnische Mitbürgerinnen und Mitbürger rassistische Hetze zu betreiben. Wir stehen in internationaler Solidarität gegen jede Form von Rassismus. Die rechten Parteien in Europa, wie UKIP, sind auch deshalb entstanden, weil die EU statt die nationale Beschränktheit tatsächlich zugunsten einer grenzüberschreitenden, solidarischen Gesellschaft aufzuheben, nur einen bürokratischen, undemokratischen Überbau zur Regelung der Binnenmarktinteressen der Banken und Konzerne geschaffen und stetig aufgebläht hat.“

Auf die Gefahr einer Stärkung der Nationalisten und Rassisten hatten linke Brexit-BefürworterInnen immer hingewiesen. So zum Beispiel Dave Nellist, der TUSC-Vorsitzende und ehemalige marxistische Labour-Parlamentsabgeordnete, einen Tag vor dem Referendum im Neuen Deutschland: Es besteht die Gefahr, dass es – egal welche Seite gewinnt – zu einem Anwachsen von Rassismus und rassistischen Übergriffen kommen wird. Es sieht stark danach aus, dass der Mörder der Labour-Abgeordneten Jo Cox Verbindungen zu extrem rechten Organisationen unterhielt. Im Nachgang des Referendums ist es darum notwendig, dass die ArbeiterInnenbewegung eine starke Kampagne gegen die Tory-Partei, Kürzungspolitik und Rassismus führt. Die Stimme der ‘kleinen Leute’ wurde im Wahlkampf für das Referendum am Donnerstag kaum gehört. Gleichzeitig gab es wachsende Unterstützung für die Exit-Seite. Viele WählerInnen aus der Arbeiterklasse sehen das Referendum als Chance, gegen Cameron, das kapitalistische Establishment und alles zu protestieren, unter dem sie in den letzten Jahren gelitten haben: niedrige Löhne, Prekarisierung, das Fehlen bezahlbaren Wohnraums sowie die Aushöhlung der Daseinsfürsorge.“

Nichts ist automatisch

Aber nichts vollzieht sich automatisch. Die Folgen des Brexit-Votums hängen entscheidend vom Agieren der verschiedenen politischen Akteure ab. Angela Kleins Einschätzung, die antikapitalistische Linke Großbritanniens sei „darauf zurückgeworfen, zur Bekämpfung des grassierenden Rassismus im Land aufzurufen“ und „den schleichenden Putsch der Parteirechten gegen den Parteivorsitzenden Corbyn abzuwehren“, ist jedoch falsch. Tatsächlich drängt sich die soziale Frage auch durch das Brexit-Votum wieder mehr in den Vordergrund. Warum sonst spricht Theresa May in ihrer Antrittsrede für die Kandidatur zum Vorsitz der britischen Konservativen vom Schicksal der Arbeiterklasse und der schwarzen Bevölkerung? Warum sonst ist Sigmar Gabriels Reaktion auf den Brexit die Forderung nach Sozialprogrammen? Weil sie den klassenmäßigen Kern des Referendums, anders als manche Linke, verstanden haben. Das bedeutet aber eine Chance für die Gewerkschaften und für die Labour-Linke. Es geht der britischen herrschenden Klasse darum, mit allen Mitteln eine Neuwahl zu verhindern, bei der Jeremy Corbyn Vorsitzender, und damit Spitzenkandidat, der Labour Party wäre – deshalb die Verzögerung des Cameron-Rücktritts und deshalb der Putschversuch gegen Corbyn durch die Labour-Rechte Doch letzterer ist zumindest bisher gescheitert. Zehntausende sind in Labour eingetreten, um Corbyn zu unterstützen, Tausende sind in vielen Großstädten auf die Straße gegangen. Neben den Versuch, Corbyn zu stürzen, gibt es Diskussionen um eine Parteineugründung von Pro-EU Tories und rechten Labour-Abgeordneten. Die Entwicklungen vollziehen sich in einem rasanten Tempo und der Ausgang ist ungewiss.

Meine These ist: Das Zusammenbringen aller linken Kräfte (innerhalb und außerhalb von Labour) durch Corbyn und eine offensive Kampagne für Neuwahlen und für eine Labour Party mit klarem Anti-Austeritäts-Programm, könnte Corbyn zum Sieger des Machtkampfes innerhalb von Labour und zu Großbritanniens nächstem Premierminister machen. Das wäre ein Horrorszenario für den britischen und EU-Kapitalismus – und eine potenzielle Wirkung des Brexit. Auch die Gewerkschaftsführungen könnten dafür sorgen, dass sich der Wind dreht. Es gibt wichtige Streiks von Assistenzärzten (Junior Doctors) und LehrerInnen, die Reste der britischen Stahlindustrie sind gefährdet. Die Wut über die Austeritätspolitik der Tory-Regierung, aber auch vieler Labour Stadträte ist enorm. Der Aufruf zu koordinierten Streikaktion, einem eintägigen Generalstreik und für Neuwahlen, wie es linke GewerkschafterInnen diskutieren (siehe Bericht von der National Shop Stewards Konferenz), könnte eine enorme Wirkung haben – auch das gestärkt durch das Brexit-Votum, weil der Gegner – die Tory-Regierung – angeschlagen ist. All das wird sich nicht automatisch vollziehen. Auch die britische Arbeiterbewegung wurde in den letzten Jahrzehnten geschwächt. Umso hängt davon ab, wie die Führung der Gewerkschaften und Jeremy Corbyn agieren.

Neugründung der EU?

Der LINKE-Parteivorstand hat eine Resolution zum Brexit verabschiedet, die in Teilen eine realistische Analyse des Brexit-Votums als im Kern sozialen Protest aus der Arbeiterklasse und verarmten Schichten enthält (die von den AKL-BundessprecherInnen Thies Gleiss und Lucy Redler im Parteivorstand vorgelegte Resolution findet sich hier). Gleichzeitig spricht er sich für eine Neugründung der EU aus. Dieser Gedanke der „Neugründung“ wird gerne propagiert, kann man ihn doch so vielfältig interpretieren. „Neu“ klingt immer gut. Gut an dem Gedanken ist, dass damit die bestehenden EU-Verträge in ihrer Gesamtheit abgelehnt und zur Disposition gestellt werden. Schlecht ist aber, dass er einen Rahmen vorgibt, der aus der heutigen real existierenden Europäischen Union besteht. Diese wird aber nicht durch die Arbeiterklassen der Mitgliedsländer definiert, sondern durch die herrschenden Klassen.

Wieso im Rahmen der EU bleiben? Wieso propagiert DIE LINKE nicht die Notwendigkeit diese real existierende EU komplett durch eine neue Kooperation der Völker Europas auf gleichberechtigter, demokratischer und sozialistischer Grundlage zu ersetzen? Und zu betonen, dass dies nicht nur die 28 (bzw. 27) EU-Mitgliedsstaaten umfassen soll, sondern auch die Schweiz, Norwegen, Serbien und, ja, Russland! Bleiben wir bei dem Vergleich des millionenschweren Mafia-Kartells. Würde man eine Neugründung des Kartells im Zeichen von Recht und Gesetz fordern, würde man sich lächerlich machen. Ein Mafia-Kartell und Recht und Gesetz sind ein Widerspruch. Jeder und jede würden sofort zustimmen, dass ein solches Kartell zerschlagen gehört, enteignet und dass das Geld in anderen Händen sinnvoll eingesetzt werden sollte. Die EU und soziale Demokratie und Frieden sind ein ebensolcher Widerspruch. Sie gehört abgeschafft und durch eine gänzlich neue Form der Kooperation ersetzt.

Angela Klein schreibt zurecht, dass der Weg, das Zusammenleben der Völker in Europa auf eine neue Grundlage zu stellen über die Durchsetzung linker, antikapitalistischer Regierungen im Nationalstaat führe. Dem ist insofern zuzustimmen, als erstens die EU den Nationalstaat nicht überwunden hat und dieser weiterhin das entscheidende Terrain des Klassenkampfes darstellt.

EU-Gesetze und -Richtlinien verkomplizieren den Klassenkampf, weil sie eine zusätzliche Hürde darstellen, die von den zumeist im Rahmen des Nationalstaats stattfindenden Kämpfen überwunden werden müssen. Beispiel Irland: Hier hat ein Massenboykott der Wassergebühren die neue Regierung zum Einlenken bewegt und diese hat die gebühren ausgesetzt. Daraufhin sagt die EU-Kommission, dass das Gesetz zur Einführung der gebühren nach EU-Recht nicht mehr zurück genommen werden könne. EU-Recht sieht auch keine Verstaatlichungsmöglichkeiten für die britische Stahlindustrie und Eisenbahn vor – Forderungen, die von Linken in Großbritannien aufgestellt werden. Die Organisierung synchroner EU-weiter Kämpfe ist weitaus schwieriger, als auf nationaler Ebene. Natürlich muss dies geschehen und ist auch möglich, wie man bei den Kämpfen gegen die Bolkestein-Richtlinie und Port Package gesehen hat. Aber gleichzeitige grundlegende Gesellschaftsveränderungen in der gesamten EU sind vielleicht theoretisch denkbar, aber praktisch sehr unwahrscheinlich.

Sie liegt aber falsch, wenn sie schreibt: „Vielmehr ist die Überwindung des kapitalistischen Nationalstaats eine Voraussetzung für die Überwindung des kapitalistischen EU-Projekts.“ Der Brexit beweist das Gegenteil. Die EU ist nicht allmächtig. So, wie im Rahmen des Kapitalismus soziale Zugeständnisse erkämpft werden können, so können auch Institutionen des Kapitals erschüttert und zerschlagen werden – zumindest aber können einzelne Länder solche Institutionen verlassen. Wodurch diese dann ersetzt werden, ist eine andere Frage und hängt vom Verlauf des Klassenkampfs ab. Aber es ist offensichtlich, dass die zentrifugalen Kräfte in der EU zunehmen und dies durch Klassenkämpfe verstärkt werden kann. Das ist gut so, auch wenn ein Austritt einzelner Staaten aus der EU oder die Auflösung der EU in ihrer heutigen Form (und dann wahrscheinlich die Bildung einer kerneuropäischen Union um Deutschland herum) noch keinen Sozialismus bedeutet. Und wenn es keine starken Kräfte gibt, die bei solchen Auflösungserscheinungen der EU eine sozialistische Anti-EU-Position vortragen, besteht die Gefahr, dass diese Entwicklung nationalistische Färbung annimmt und rechte Kräfte stärkt.

Enthaltung?

Nun könnte man sich fragen, ob angesichts dieser Komplexität des Brexit-Votums und der Tatsache, dass nun einmal auch rechte und rassistische Kräfte für einen Austritt aus der EU Kampagne machten, die „bessere“ Position eine Enthaltung gewesen wäre. Einige sich revolutionär und marxistisch verstehende Gruppen am Rande der Arbeiterbewegung haben eine solche Position eingenommen – und sind damit am Rande der Arbeiterbewegung geblieben. Das ist die Folge, wenn man aus Sorge davor nass zu werden, bei einem Schwimmwettbewerb am Beckenrand stehen bleibt.

Natürlich gibt es Situationen, in denen sich SozialistInnen enthalten oder zu einer ungültigen Stimmabgabe aufrufen müssen. Das ist oft der Fall, wenn bei einer Parlaments- oder Präsidentenwahl nur zwei bürgerliche, pro-kapitalistische Kandidaten zur Wahl stehen, Aber selbst hier kann es Ausnahmen geben, wie bei der letzten Präsidentenwahl in Österreich. Hier haben die Sozialistische LinksPartei (SLP – Schwesterorganisation der SAV) und andere Linke zurecht dazu aufgerufen, einen Sieg des FPÖ-Manns Hofer zu verhindern und die Stimme an den grünen (und damit bürgerlich-prokapitalistischen) Kandidaten Van der Bellen zu geben. Warum? Weil die gesellschaftliche Wirkung eines FPÖ-Siegs qualitativ negativer für die Arbeiterbewegung, die Linke und sozial Benachteiligte gewesen wäre. Man kann also eine Entscheidung zur Stimmabgabe nicht nur von den Protagonisten abhängig machen, sondern muss die Wirkung der jeweiligen Ergebnisse auf die Gesellschaft, auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und die Folgen für den Wiederaufbau der Arbeiterbewegung berücksichtigen. An diesem Punkt besteht aus meiner Sicht kein Zweifel: Eine Mehrheit für den Verbleib in der EU hätte die Tory-Regierung gefestigt, die EU gestärkt, TTIP beschleunigt usw. Eine Enthaltung wäre in der Realität nur dem Remain-Lager zugute gekommen. Deshalb konnten Linke zum Ausgang des Referendums aus den oben ausgeführten Gründen keine gleichgültige Haltung einnehmen.

Fazit

Das EU-Referendum in Großbritannien war ein einschneidendes Ereignis und wie alle solche Ereignisse auch ein Test für die Linke. Das Votum für den Brexit hat eine Krise im Vereinigten Königreich und in der EU ausgelöst, die uns noch lange beschäftigen wird. Wie darauf reagiert werden muss, darf im Falle der innenpolitischen Fragen, die sich in Großbritannien stellen, nicht davon abhängig gemacht werden, wie man zum Brexit steht. In der Frage der Unterstützung Corbyns gegen die Labour-Rechte ist dies glücklicherweise auch nicht der Fall und viele derjenigen, die Corbyn verteidigen, waren BefürworterInnen des Brexit.

Aber die Frage, wie die Linke es mit der EU hält, ist von größter Bedeutung. Um zu verhindern, dass die berechtigte Anti-EU-Stimmung auch in anderen Ländern von rechtspopulistischen und rassistischen Kräften ausgenutzt werden kann, muss die Linke eine klare und unzweideutige Haltung gegen die EU der Banken und Konzerne einnehmen. In einigen Linksparteien hat ein solcher Diskussionsprozess begonnen. So hat zum Beispiel der portugiesische Linksblock, der in der Vergangenheit eine eher unkritische Haltung zur EU Einnahme, sich nun deutlich gegen die EU ausgesprochen. Eine Ablehnung der EU muss aber einher gehen mit dem Aufzeigen einer positiven Alternative jenseits von kapitalistischer EU und kapitalistischem Nationalstaat – einem Europa der Arbeiterinnen und Arbeiter , einer freiwilligen sozialistischen Föderation der europäischen Staaten.

 

Internationale Solidarität gegen EU&Regierung!

Bei der EU geht es nicht um Frieden und Soziales, sondern um die Interessen von Wirtschaft und Banken!
Christoph Glanninger

In ganz Europa brodelt es. Die britische Bevölkerung sendet mit dem Brexit einen Denkzettel an die eigenen und die europäischen Eliten. Sie erteilen der EU mit ihren Sparprogrammen und undemokratischen Entscheidungen eine Abfuhr.
Die EU ist ein Projekt der Bosse und Konzerne und schon immer ein Rammbock gegen die Rechte von ArbeiterInnen. Sie bedeutet ermordete Flüchtlinge und vor Hunger zusammenbrechende Kinder in griechischen Schulen. EU-Kommissionspräsident Juncker meint, die brutale neoliberale Reform des Arbeitsrechts in Frankreich sei „das Minimum von dem, was es zu tun gilt“.
Eine „Rückkehr zum Nationalstaat“ wie FPÖ&Co. Fordern, löst auch nichts, da die nationalen Regierungen genauso die Interessen der Konzerne vertreten und auch ohne EU die Mindestsicherung kürzen oder Spitäler schließen.
Was wir brauchen ist internationale Solidarität für ein Europa der ArbeiterInnen und Ausgebeuteten. Das geht nicht mit der EU, sondern nur durch gemeinsamen Widerstand von unten.
Das Vertrauen in die etablierte Politik ist zu Recht angeschlagen. Schon länger wankt die EU wirtschaftlich, nun könnte sie auch politisch zerbrechen. Widerstand gegen „die da oben“ gibt es in vielen Ländern. In Frankreich wehren sich Millionen durch Massendemonstration und Streiks gegen den Angriff auf grundlegende Rechte von Beschäftigten. In Belgien ist im Herbst ein Generalstreik angekündigt.
In Deutschland gab es 2015 die meisten Streiktage seit 1993. Ausgehend von der Berliner Charité (größtes Krankenhaus Europas) gibt es eine Streikbewegung für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitssystem und im Oktober demonstrierten 250.000 gegen TTIP.
Immer mehr Menschen sind wütend über die unsoziale Kürzungspolitik von EU und nationalen Regierungen. Überlassen wir diese Wut nicht den rechten Hetzern. Wo es Kämpfe für soziale Verbesserungen bzw. wirklich linke Parteien gibt, haben die Rechten nichts zu melden. Kämpfen wir in Österreich und europaweit gemeinsam für höhere Löhne, mehr Geld für Soziales und Bildung und gegen die Politik für Banken und Konzerne.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Sind die US-“Demokraten” reformierbar?

Bernie Sanders setzt auf einen Wandel der Partei
Tony Wilsdon and Tom Crean, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SLP und Sektion des CWI in den USA)

In den letzten Wochen geht Bernie Sanders immer kritischer auf den Zustand der „Democratic Party“ ein. In einer Reaktion auf Vorwürfe, AnhängerInnen von ihm seien beim Parteikongress im Bundesstaat Nevada gewalttätig geworden, sagte Sanders: „Die >Democratic Party< hat die Wahl: Sie kann die Tür aufstoßen und Menschen in der Partei begrüßen, die bereit sind, für wirklichen ökonomischen und gesellschaftlichen Wandel zu kämpfen. Es geht um Menschen, die es mit der Wall Street aufnehmen wollen, die gegen die Gier der Konzerne vorgehen und sich mit den herkömmlichen Energieunternehmen anlegen wollen, die unseren Planeten zerstören. Oder die Partei entscheidet sich dafür, ihre bisherigen Strukturen aufrecht zu erhalten, sich weiterhin abhängig zu machen vom großen Geld der Wahlkampfspenden von Konzernen und eine Partei zu bleiben, die sich durch begrenzte Partizipation und begrenzte Energie auszeichnet.“

Wir stimmen zwar darin überein, wie Sanders das Partei-Establishment der „Demokraten“ beschreibt. Er scheint aber zu glauben, dass es möglich ist, die Partei zu reformieren und sie an den Interessen der viel zitierten „99 Prozent der Bevölkerung“ auszurichten. Ist das aber einer tragfähige Strategie? Kann die „Democratic Party“ wirklich zu einem Werkzeug für die „politische Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardäre“ (O-Ton Sanders) gemacht werden?

Bevor Sanders sich entschieden hat, zu kandidieren, haben wir von „Socialist Alternative“ ihn dazu aufgefordert, als unabhängiger Kandidat ins Rennen zu gehen. Wir haben davor gewarnt, dass die Partei eine Partei der Konzerninteressen bleibt – auch wenn eine Kandidatur im Rahmen der Vorwahlen bei den „Demokraten“ scheinbar als der einfachere Weg wirken mochte. Trotz ihres progressiven Auftretens, hat sie jede stärkere soziale Bewegung immer wieder verraten. Zuerst wurden solche Bewegungen begrüßt, um sie dann keimfrei zu machen und den Bedürfnissen der parteiinternen Agenda unterzuordnen, die ganz im Sinne der Konzerninteressen ausgerichtet ist. Deshalb wird die „Democratic Party“ auch als „Friedhof der sozialen Bewegungen“ bezeichnet.

Historisch war die Partei eine Formation der gesellschaftlichen Klasse, die als Unterdrückerin aufgetreten ist. Zuerst war sie die Partei der Klasse der SklavenhalterInnen, dann – nach der Abschaffung der Sklaverei – wurde sie zu der politischen Partei, die von den Großkonzernen finanziert und dominiert worden ist. Erst in den 1930er Jahren wurde sie als Partei betrachtet, die sich am ehesten den Interessen der organisierten Arbeiterschaft, der Dunkelhäutigen und Frauen verschrieben hat. Bis in die 1960er Jahre hinein existierte aber weiterhin ein Flügel aus „Dixiekraten“ (Bezeichnung für bestimmte Mitglieder der „Demokratischen Partei“, die aus den Südstaaten stammten; Anm. d. Übers.), der die „Rassentrennung“ im Süden der USA auf´s Heftigste verteidigte. In der gesamten Geschichte ihres Bestehens hat sich diese Partei immer dann, wenn die ureigensten Klassen-Interessen der Konzern-Eliten zur Disposition standen, auf die Seite der gesellschaftlichen Klasse geschlagen, die gegen die Interessen der „99 Prozent der Bevölkerung“ kämpft.

In entscheidenden Phasen US-amerikanischer Außenpolitik, sind die „Demokraten“ immer loyale FürsprecherInnen der Konzerninteressen in Übersee gewesen. Es waren die „Demokraten“, die die imperialistischen Kriege der USA in Vietnam und Korea begonnen haben. Sie haben Bushs Invasionen in Afghanistan und dem Irak unterstützt. Obama hat die Beteiligung der USA an diesen Kriegen fortgesetzt. Am 15. Mai 2016 schrieb die „New York Times“: „Präsident Obama, der als Antikriegs-Kandidat angetreten war, befindet sich nun länger im Krieg als irgendein amerikanischer Präsident vor ihm“.

Aktuell setzt Hillary Clinton auf die Angst, die viele vor einer Nominierung von Donald Trump haben. Sanders und die meisten Liberalen werden einwenden, dass die „Republikaner“ die größte Hürde auf dem Weg zum Fortschritt darstellen. Es ist völlig richtig, dass die „Republican Party“ seit den 1970er Jahren kontinuierlich eine Politik vorangetrieben hat, die dem öffentlichen Dienst schadet, die Reichen noch reicher macht und die Errungenschaften der ArbeitnehmerInnen, Dunkelhäutigen, Frauen und der LGBTQ-Community ins Visier nimmt. Was dabei allerdings außer Acht gelassen wird, ist, dass in den letzten 40 Jahren in Washington D.C. größtenteils der Zustand der Machtteilung zwischen „Demokraten“ und „Republikanern“ vorgeherrscht hat. Zur Umsetzung der meisten Gesetzesvorhaben brauchte es die Unterstützung von Teilen beider Parteien. Mit anderen Worten: In den letzten vier Jahrzehnten waren die Stimmen der „Demokraten“ nötig, um eine sogenannte „republikanische Politik“ durchzusetzen.

Wie progressiv war Roosevelt?

Bei liberalen Linken herrscht die verbreitete Ansicht, dass die „Democratic Party“ wieder „zu ihren Wurzeln“ als angeblich progressive Partei zurückfinden muss. Verwiesen wird dabei im Allgemeinen auf die Roosevelt-Administrationen der 1930er und -40er Jahre sowie die Regierungen unter Kennedy bzw. Johnson in den 1960ern.

Die Meinung der Liberalen zu Roosevelt basiert in erster Linie auf einer ganzen Reihe von Reformen, die zusammenfassend als „New Deal“ bezeichnet werden und in seine erste Amtszeit fallen. Dazu zählten die Erwerbslosenunterstützung, ein recht umfangreiches Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen, Sozialversicherungen, die gesetzlich festgelegte 40-Stundenwoche und ein gewisses Maß an Kontrolle über das Finanzkapital z.B. durch das Gesetz namens „Glass Steagall Act“. Letzteres ist übrigens von einem anderen Präsidenten der „Demokraten“, von Bill Clinton nämlich, wieder aufgehoben worden. Was jedoch immer ausgelassen wird, wenn vom „New Deal“ die Rede ist, ist die Frage, aus welchem Grund diese Politik umgesetzt worden ist.

Roosevelt ist im November 1932 ins Amt gewählt worden. Das war vier Jahre nach Einsetzen der „Großen Depression“, die auf den Kollaps an den Finanzmärkten der 1920er Jahre zurückzuführen ist. Er galt damals als finanzpolitischer Konservativer. Überall im Land brodelte es immer mehr, da rund zehn Millionen erwerbsloser Menschen und ArbeiterInnen dem Hungertod nahe waren. Es kam zu immer mehr entschlossenen Demonstrationen und Streiks – darunter auch örtliche Generalstreiks –, und eine zunehmende Zahl an ArbeiterInnen begann damit, das kapitalistische System zu kritisieren, dass sie auf so grobe Weise und bewusst ausgesondert hatte.

Roosevelt betrachtete die Radikalisierung der ArbeiterInnenbewegung und den wachsenden Einfluss von SozialistInnen als potentielle Gefahr für das kapitalistische System. Er gab seine Position des fiskalpolitischen Konservatismus auf, die die Lebensbedingungen für die „einfachen“ Leute nur noch schlimmer gemacht und eine Erholung der Wirtschaftslage verhindert hätte. Stattdessen verfolgte er nun eine Politik, die darauf gründete, Geld in die Wirtschaft zu pumpen, um die Nachfrage zu stärken. Für diesen Ansatz hatte der britische Ökonom John Meynard Keynes sehr prominent geworben, weshalb eine solche Politik häufig auch als „Keynesianismus“ bezeichnet wird. Teile der herrschenden Klasse widersetzten sich der Politik von Roosevelt und bezeichneten sie als „Sozialismus“. Seine Intention, so meinte er, bestand hingegen darin, das System zu retten und eben nicht zu unterminieren.

Während die Politik des „New Deal“ dazu führte, dass die US-amerikanische Wirtschaft vorübergehend einen Aufschwung erlebte – wodurch rund zehn Millionen ArbeiterInnen neue Hoffnung schöpften – war Roosevelt alles andere als ein Freund der ArbeiterInnenklasse. Sobald die Wirtschaft erste Anzeichen einer begrenzt bleibenden Erholung aufwies, begann Roosevelt mit der Demontage der Arbeitsplatz-Programme und löste somit einen neuen ökonomischen Abschwung aus. Unter Roosevelt ist die Nationalgarde öfter gegen die ArbeiterInnenbewegung eingesetzt worden als unter irgendeinem anderen Präsidenten. In den 1940er Jahren kam es zum ersten Einsatz von US-amerikanischen Soldaten – nicht gegen japanische oder deutsche Truppen sondern – gegen Gewerkschaftsmitglieder in Kalifornien. Unterdessen sind japanischstämmige AmerikanerInnen verhaftet und in Lagern interniert worden.

In der gesamten Zeitspanne des Zweiten Weltkriegs ist Roosevelt hart gegen Streikaktionen von ArbeiterInnen vorgegangen und kurz vor seinem Tod, in den Jahren 1945 und -46, versuchte er noch, eine Welle von erfolgreichen Streiks niederzuhalten. Als einmal klar war, dass die neuen Industriegewerkschaften nicht allein mit Gewalt in Zaum zu halten waren, unterzeichnete Harry Truman, der Roosevelt als Präsident folgte und ebenfalls den „Demokraten“ angehörte, das arbeitnehmerInnenfeindliche Gesetz mit dem Namen „Taft-Hartley Act“. Dieses Gesetz ist mit der Mehrheit der „demokratischen“ SenatorInnen und VertreterInnen im Kongress angenommen worden. Der berüchtigte „Taft-Hartley Act“ sorgte dafür, dass die meisten erfolgreichen Streiktaktiken der ArbeiterInnenschaft für illegal erklärt wurden. Darüber hinaus wurde das Vorgehen der ArbeiterInnenschaft an strenge rechtliche Vorgaben geknüpft. Die Führung der Gewerkschaften akzeptierte die neue Situation auf Grundlage anderer Zugeständnisse, die in der Nachkriegsperiode gemacht worden sind. Dazu zählte u.a. das „GI Bill“ (zur Wiedereingliederung von SoldatInnen ins Berufsleben; Erg. d. Übers.). Sie nahmen es aber auch deshalb hin, weil man ihnen „einen Platz am Verhandlungstisch“ mit den Konzernen in Aussicht gestellt hatte. Letzteres wurde jedoch davon abhängig gemacht, dass die ArbeiterInnenbewegung davon absehen würde, ihre eigene politische Partei zu gründen und stattdessen im Dunstkreis der „Democratic Party“ verbleiben würde. Das war ein schwerer Fehler.

Die Ära Kennedy/Johnson

Der „Democratic Party“ wird auch zugute gehalten, dass sie in den 1960er Jahren unter den Präsidenten Kennedy und Johnson liberale Gesetze durchgebracht hätte. Dabei handelte es sich auch bei John Kennedy und Lyndon Johnson nicht gerade um Freunde der ArbeiterInnenschaft, der Bürgerrechtsbewegung oder der „einfachen“ Leute dieser Welt. Kennedy begann die US-amerikanische Militärintervention, die im Vietnam-Krieg mündete, und er organisierte die Invasion in der Schweinebucht auf Kuba. Johnson ließ den Vietnam-Krieg zu einem voll ausgewachsenen Konflikt eskalieren.

Es waren auch nicht die „Demokraten“ sondern die heldenhafte Bürgerrechtsbewegung und schließlich die Antikriegsbewegung, die in den 1960er und -70er Jahren, als eine radikale Protestwelle nach der anderen über das Land schwappte, die Politik veränderte. Dies veränderte das politische Klima und zwang die PolitikerInnen beider Parteien, bedeutende Reformen umzusetzen. In diesem Zusammenhang steht z.B. der „Civil Rights Act“ von 1964 (u.a. Aufhebung der „Rassentrennung“ in öffentlichen Einrichtungen ; Erg. d. Übers.). Wie im Falle des „New Deal“ wurden diese und weitere Reformen in den 1960er und -70er Jahren allerdings nur deshalb umgesetzt, weil man zumindest teilweise dachte, damit eine weitere Radikalisierung und Forderungen nach grundlegendem Wandel zu verhindern.

Wenn es jemals eine Zeit gab, in der die „Demokraten“ eine progressive Agenda wie die von Sanders hätten durchbringen können, dann wären es die 1960er Jahre gewesen. Die US-amerikanische Wirtschaft boomte. Doch der sogenannte „Krieg gegen die Armut“ und die Bürgerrechtsagenda blieben beschränkt. Anstatt umfassende Arbeitsplatz-Programme auf den Weg zu bringen und den strukturellen Rassismus zu bekämpfen, handelte es sich um zeitlich befristetes politisches Flickwerk, das dazu diente, die wachsenden sozialen Bewegungen zu besänftigen. In den Folgejahrzehnten sind diese Maßnahmen dann auch Schritt für Schritt wieder zurückgenommen worden.

Stattdessen legte der mit Recht verhasste Johnson seine Priorität auf eine weitere Eskalation des Vietnam-Kriegs und wurde durch eine massenhafte Antikriegsbewegung aus dem Amt gedrängt. Ironischer Weise führte der Druck von unten ausgerechnet unter einem Präsidenten der „Republikaner“ (Nixon) zu den größten rechtlichen Errungenschaften. So wurden Maßnahmen gegen Diskriminierung, zur Erhöhung der Sicherheit am Arbeitsplatz und grundlegende Umweltschutzprojekte umgesetzt.

Der Weg in den Neoliberalismus

Die enorme ökonomische Expansion des US-amerikanischen Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg endete mit der schweren Rezession der Jahre 1974 und -75. Dies leitete den Beginn einer neuen Krise des Kapitalismus ein. Die Wirtschaftspolitik von 1940 bis 1974 hatte – mit einer bedeutenden Rolle, die die Regierung mit ihren Infrastrukturprogrammen und Programmen für grundlegende Sozialleistungen spielte, – noch auf dem keynesianistischen Ansatz basiert. Die Übernahme der keynesianistischen Ausgabenpolitik hing direkt mit dem Wunsch der kapitalistischen Elite zusammen, die Wirtschaft vor einem Abfall in die Rezession zu bewahren und zu erreichen, dass die Fabriken in einer Phase US-amerikanischer Dominanz weiterhin für den Weltmarkt produzieren konnten.

Das Ende des kräftigen Wirtschaftsaufschwungs, der von 1950 bis 1974 angedauert hatte, war gleichzeitig der Beginn einer neuen Krise des Kapitalismus. Gesteigerte Ausgaben à la Keynes führten zu diesem Zeitpunkt, der durch eine verlangsamte Wirtschaftsleistung gekennzeichnet war, zu einem massiven Ansteigen der Inflation. Dies zwang die herrschende Elite, die im Interesse der Konzernspitzen agierte, dazu, das Ruder herumzureißen und sich in Richtung des Neoliberalismus zu begeben.

Neoliberale Politik zielt darauf ab, den Anteil des Vermögens, der an die ArbeitnehmerInnen geht, zurückzufahren, um die Profitrate der Konzerne zu steigern und den US-amerikanischen Unternehmen zu mehr Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ihrer internationalen Konkurrenz zu verhelfen. Da auch die anderen Länder den Weg des Neoliberalismus einschlugen, wurde daraus jedoch ein Wettlauf, um herauszubekommen, wer die Lebensstandards der eigenen ArbeiterInnen am schnellsten abzusenken im Stande ist.

Die neoliberale Politik führte in den USA zu einem umfassenden Anschlag auf die Löhne, die Gesundheitsleistungen, Arbeitsrichtlinien, Sicherheitsstandards, Renten und die bis dato geltende Unverletzlichkeit des Acht-Stunden-Tages. Um diese Politik zu bekräftigen, wurden Sozialprogramme gekürzt, und die Ausgaben für den öffentlichen Wohnungsbau wurden zurückgefahren. Die Zunahme der Erwerbslosenzahlen und der Anzahl an Obdachlosen wurde dann als Warnung an diejenigen ArbeiterInnen benutzt, die mit dem Gedanken spielten, Streikmaßnahmen zu ergreifen oder sonstwie gegen die Offensive der Konzerne vorzugehen. Letztere gingen wieder dazu über, unverzüglich StreikbrecherInnen anzuheuern, und ArbeitgeberInnen, die auf die entsprechende Gesetzgebung schon zurückgreifen konnten, begannen damit, Beschäftigte, die sich an Streiks beteiligten, auszutauschen. Dies ging mit einem systematischen Angriff auf die Errungenschaften einher, die von den Afro-AmerikanerInnen und anderen unterdrückten Minderheiten gewonnen worden waren. Die Medien, die sich im Besitz der Konzerne befinden, heizten die rassistische Propaganda an, um in der ArbeitnehmerInnenschaft für Spaltungen zu sorgen.

„Demokraten“ oder „Republikaner“? – Beide sind schuld an der Krise!

Liberale versuchen diese neoliberale Wirtschaftspolitik den „Republikanern“ und vor allem Ronald Reagan anzulasten, der 1980 zum Präsidenten gewählt worden war. Dabei handelte es sich beim Neoliberalismus von Anfang an um ein Projekt beider Parteien. Zuerst sind neoliberale Maßnahmen vom Präsidenten Carter, einem „Demokraten“, angewendet worden, die dann von Reagan institutionalisiert und von allen folgenden Präsidenten – unabhängig ihrer Parteizugehörigkeit – fortgeführt worden sind.

Die Konsequenzen dieser Politik bekamen die Menschen dann im Zuge der großen Rezession von 2008 mit voller Wucht zu spüren. Die enorme Einkommensungleichheit, die Aufhebung der sozialpolitischen Programme, die Schwächung der Gewerkschaften, Freihandelsabkommen, die zu Arbeitsplatzabbau führten, und eine zunehmend repressive Politik – all das zählte zum Erbe des Neoliberalismus und verschärft bis heute die Krise des Kapitalismus.

Während beide Parteien diese Politik weiter eskalierend angewendet haben, besteht der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Parteien darin, dass die „Republikaner“ diese Agenda ganz offen begrüßt haben, während die „Demokraten“ mit ihrer Unterstützung dafür eher hinterm Berg halten. Mehrere aufeinander folgende Präsidentschaftskandidaten der „Democratic Party“ haben öffentlich versichert, diese Politik ändern zu wollen. Trotz der Versprechungen, die Wirtschaftspolitik, die unter dem Begriff „Reaganomics“ bekannt geworden ist, zu beenden, sorgte Bill Clinton für Freihandelsabkommen wie NAFTA, setzte Sozialprogramme außer Kraft, eskalierte die Politik der Massenverhaftungen und richtete seine Wirtschaftspolitik darauf aus, der Wall Street und dem Finanzsektor zu größeren Gewinnen zu verhelfen.

Das soll nicht heißen, dass beide Parteien gleich wären. Jede Partei baut auf die Unterstützung unterschiedlicher WählerInnengruppen und gibt somit Erklärungen ab, die darauf abzielen, die jeweilige Wählerbasis bei der Stange zu halten. So ist der Flügel der o.g. „Dixiekraten“ in den 1970er bzw. -80er Jahren fast geschlossen von den „Demokraten“ zu den „Republikanern“ übergetreten. Das heißt, dass die „Demokraten“ nun noch stärker von den WählerInnen abhängig sind, die eher dem progressiven Lager zuzurechnen sind: ArbeiterInnen und junge Leute. Obwohl sie in keinster Weise als wirkliche Verteidigerin der Rechte von Frauen, dunkelhäutigen Menschen, EinwanderInnen oder Leuten aus der LGBTQ-Community bezeichnet werden kann, schafft es die „Democratic Party“, zu einer Reihe von Themen weiterhin als progressive Kraft rüberzukommen. Das liegt an der durch und durch reaktionären Politik, für die sich die „Republikaner“ stark machen.

„Demokraten“ – eine Partei für das viel zitierte „eine Prozent der Bevölkerung“

Der bei sozialen Fragen manchmal starke Unterschied zu den „Republikanern“ ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es sich bei der „Democratic Party“ um eine politische Partei des viel zitierten „einen Prozent der Bevölkerung“ handelt. Präsident Obama ist dafür nur das jüngste Beispiel. Trotz der Begeisterung, für die er sorgen konnte, als er den Bruch mit der Politik von Bush versprach, bestand seine erste Aktion darin, den Banken der Wall Street zu einem Rettungspaket im Wert von mehreren Milliarden Dollar zu verhelfen. Seine Politik ist im Wesentlichen darauf ausgerichtet, den US-amerikanischen Kapitalismus wiederzubeleben – und nicht, sich an den Bedürfnissen der „99 Prozent“ zu orientieren, die weiterhin unter den Folgen der neoliberalen Politik der letzten 30 Jahre zu leiden haben. Vielsagend ist die Tatsache, dass Obama darin versagt hat, für ein ernstzunehmendes Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen, eine echte Entlastung für von der Wohnungskrise schwer getroffene private HausbesitzerInnen und MieterInnen, ein Ende der Massenverhaftungen oder vernünftige Drogengesetze zu sorgen. Ebenso auf sein Konto gehen eine rekordverdächtige Anzahl an Abschiebungen und Drohnenangriffen im Ausland.

In der momentanen Phase der kapitalistischen Krise sind die herrschende Elite und das Parteiestablishment der „Democratic Party“ entschlossen, die progressive Agenda von Sanders zurückzuweisen. Die Art keynesianistischer Strukturreformen, wie sie während des massiven Nachkriegsaufschwungs vom Kapitalismus gewährt worden sind, sind nicht mehr möglich. Aus diesem Grund stehen die Eliten entschlossen hinter Hillary Clinton, die auf eine lange Bilanz der Unterstützung für sie verweisen kann. Die Politik der „Democratic Party“ geht mit den Konzernen Amerikas Hand in Hand, nicht mit den „99 Prozent der Bevölkerung“. Sanders selbst weist darauf hin, dass echter Wandel nur von unten kommen kann. Es braucht aber massive Bewegungen, die sich auf die gesellschaftliche Macht der ArbeiterInnenklasse gründen, die Gründung einer Partei der „99 Prozent der Bevölkerung“ anstreben und definitiv bereit sind, die Grenzen des Kapitalismus zu überschreiten, um zu einer sozialistischen Transformation der Gesellschaft zu kommen, damit die politische Revolution wahr werden kann.

Wie die Konzerne mit ihren Interessen die Kontrolle beibehalten

Die Konzerne mit ihren besonderen Interessen haben eine ganze Reihe von Möglichkeiten, um ihre Kontrolle über die „Democratic Party“ aufrechtzuerhalten:

Zuallererst sind da die Milliardenbeträge zu nennen, die sie in die Wahlkämpfe stecken, um sicherzustellen, dass gewählte VertreterInnen ihren Forderungen nachkommen. Keine Partei, die den Großteil ihrer Einnahmen aus den Konzernspenden bestreitet, kann jemals im Interesse der „99 Prozent der Bevölkerung“ handeln. Der Wahlkampf von Bernie Sanders steht kurz davor, 250 Millionen Dollar allein aus Spenden von „einfachen Leuten“ zu bekommen und hat ein für allemal gezeigt, dass tragfähige und bundesweit geführte Kampagnen unabhängig vom Geld der Konzerne geführt werden können. Wo aber ist der Mechanismus zu finden, mit dem die Konzerngelder aus der „Democratic Party“ wieder herausgeholt werden können? Eine solche „Reform“ würde von der Masse der gewählten ParteivertreterInnen niemals akzeptiert werden.

An zweiter Stelle ist das undemokratische Prozedere der Vorwahlen zu nennen. Millionen von Menschen haben in den letzten Monaten eine schnelle Einführung darüber bekommen, wie das Parteiestablishment in sich geschlossene Vorwahlen, nicht gewählte „Super-Delegierte“, einen besonderen Zeitplan und die konzernfreundlichen Medien nutzt, um widerspenstige Kandidaten wie Sanders niederzuhalten.

Sanders will nun beim Partei-Konvent (in dessen Rahmen die/der SpitzenkandidatIn gekürt wird; Erg. d. Übers.) für einen Wandel der Partei kämpfen. Ja, möglicherweise kann er einige Veränderungen beim Parteiaufbau erreichen. Das Problem ist nur, dass der Aufbau der Partei noch nie eine Rolle gespielt hat. Dieser dient nur zur Dekoration und um die UnterstützerInnen zufriedenzustellen. Es gibt keinen Mechanismus innerhalb der „Democratic Party“, mit dem KandidatInnen dazu gezwungen werden könnten, sich nach dem Willen ihrer Mitglied- oder gar WählerInnenschaft zu richten. Es handelt sich stattdessen nur um eine Wunschliste, die gleich nach dem Konvent wieder in irgendwelchen Schubladen verschwindet.

Was ist von Sanders´ Aufruf zu halten, die Statuten der „Democratic Party“ zu ändern? Wie sich an den wiederholten Manövern der Parteiführung (DNC) gegen Sanders und auch daran gezeigt hat, dass beim Parteikonvent der „Demokraten“ in Nevada Regeln missachtet worden sind, um Delegierte von Sanders einfach auszuschließen, handelt es sich bei dem Begriff Demokratie innerhalb der „Demokraten“ um nichts als Augenauswischerei. Statuten werden ignoriert und nach Gutdünken neu formuliert oder umgeschrieben.

Bei der „Democratic Party“ handelt es sich nicht um eine Kanne Tee, die man so einfach mit frischem, progressiven Inhalt füllen könnte. Sie ist ein brutales Instrument der Konzerneliten zur Durchsetzung ihrer Interessen und einer Politik, die diesen entspricht. Die Konzerneliten wie auch die fest verwurzelte Parteiführung der „Democratic Party“denken gar nicht daran, ihre Kontrolle über eine Partei, die sich den Konzerninteressen verschrieben hat, aufzugeben. Und wenn sie dabei ein paar Statuten brechen müssen, dann stört sie das wenig. Die Macht, die den nicht gewählten „Super-Delegierten“ zugestanden wird, ist ein deutliches Beispiel dafür, wie weit die Führung zu gehen im Stande ist, wenn es darum geht, die Interessen der spendenden Konzerne zu verteidigen.

Auch wenn es bereits unmöglich erscheint: Sollte Sanders die Nominierung trotz all der undemokratischen Hürden, die ihm in den Weg gestellt worden sind, für sich entscheiden, dann bliebe ein schwerwiegendes Problem ungelöst. Die „politische Revolution“ bis in den Präsidentschaftswahlkampf und darüber hinaus auf Grundlage seines Programms und ohne Konzerngelder weiterzuführen, würde eine offene Kriegserklärung gegen das Parteiestablishment der „Democratic Party“ bedeuten. Obwohl er der Kandidat der „Demokraten“ wäre, müssten er und seine AnhängerInnen in der Praxis erst einmal dazu übergehen, im Endeffekt die Infrastruktur einer ganz neuen Partei zu schaffen. Seit Sanders in den Vorwahlen der „Democratic Party“ blockiert worden ist, ist der Aufbau einer neuen Partei der „99 Prozent der Bevölkerung“ die Kern-Aufgabe für all jene, die für eine politische Revolution kämpfen wollen. Sie sollten sich die Tortur sparen, innerhalb der „Democratic Party“ einen Reformversuch zu unternehmen.

Was haben ArbeiterInnen-Parteien erreichen können?

Wieso hat jedes entwickelte kapitalistische Land außer den USA irgendeine Art von allgemeiner Krankenversicherung? In den Debatten mit Hillary Clinton hat Bernie Sanders diese Frage wiederholt gestellt. Ein Teil der Antwort darauf besteht darin, dass es in fast allen dieser anderen Länder irgendeine Art von unabhängiger Partei der ArbeiterInnenklasse gegeben hat. Am bekanntesten dürfte das Beispiel Großbritanniens sein, wo eine „Labour“-Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg den „National Health Service“ durchgesetzt hat. Und es war die „Cooperative Commonwealth Party“, eine sozialdemokratische Partei, die das erste allgemein zugängliche Gesundheitssystem in Nordamerika (nämlich in der kanadischen Provinz Saskatchewan) eingeführt hat. Darüber hinaus sind in Folge der Stärke der dortigen ArbeiterInnenbewegungen und aufgrund der Tatsache, dass es Parteien gab, die deren Interessen zumindest teilweise vertreten haben, in vielen dieser Länder ein angemessenes Rentensystem, kostenlose Hochschulbildung und andere Reformen realisiert worden. Die ArbeiterInnen und jungen Leute in Frankreich kämpfen momentan dafür, dass die Errungenschaften, die im Laufe des letzten Jahrhunderts erstritten worden sind und die die Belegschaften vor willkürlichen Entlassungen bewahrt haben, jetzt nicht abgeschafft werden.

In den 1930er und -40er Jahren hat die mächtige ArbeiterInnenbewegung in diesem Land eine ganze Reihe von wichtigen Reformen durchsetzen können. In den 1950er und -60er Jahren errang man in vielen Industriebranchen beeindruckende Lohnerhöhungen und Sozialleistungen. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass noch viel mehr drin gewesen wäre, wenn wir auf Bundesebene unsere eigene Partei gehabt hätten. Während Bernie Sanders sein Augenmerk darauf lenkt, die „Demokraten“ reformieren zu wollen, besteht die Ironie der Fragen, die er aufwirft, darin, dass sie exakt in die eine Richtung weisen: Wir brauchen eine unabhängige Politik von und für die ArbeiterInnenklasse.

In der vergangenen Zeit hat sich überall auf der Welt die neoliberale Politik durchgesetzt. Fast alle ArbeiterInnenparteien – vor allem die sozialdemokratischen Parteien, die über eine lange Zeitspanne hinweg schon eine pro-kapitalistische Führung hatten – sind zu durch und durch pro-kapitalistischen Parteien geworden.

Unter den heutigen Bedingungen des kapitalistischen Niedergangs ist es wesentlich schwieriger, die Errungenschaften zu gewinnen, die in der Phase des Nachkriegsaufschwungs erreicht werden konnten. Doch die politische Unabhängigkeit der ArbeiterInnenklasse ist heute von größerer Bedeutung als jemals zuvor.

Schottland nach dem Brexit: zweites Unabhängigkeitsreferendum?

In vielen ArbeiterInnenbezirken war das „Nein” gegen die EU stärker als das Endergebnis vermuten lässt
Philip Stott, „Socialist Party Scotland“ (Schwesterorganisation der SLP in Schottland)

Das britische Referendum zur EU-Mitgliedschaft hat ein politisches Erdbeben ausgelöst, das die kapitalistische Elite bis ins Mark getroffen hat. Der konservative britische Premierminister David Cameron hat bereits seinen Rücktritt angekündigt und seine Partei, die „Tories “, sind tief gespalten. Die Anhänger des alten Premiers Tony Blair in der sozialdemokratischen „Labour Party“ haben eine Kampagne gegen ihren Vorsitzenden Jeremy Corbyn, der ein Vertreter der Linken ist, begonnen. Bei den EU-Institutionen und unter den Regierungen in Europa macht sich Angst breit.

In seinem Artikel in der „Financial Times” (FT), dem Sprachrohr des britischen Kapitalismus, schrieb Philip Stephens kurz nach dem Referendum: „Das verändert alles. Eine Wirtschafts- und Außenpolitik, die fast ein halbes Jahrhundert über aufgebaut wurde, wird nach einer einzigen Nacht aus den Angeln gehoben. Das politische Establishment ist durch einen Aufstand gegen die Eliten aufgerieben worden. Das war eine Stimme gegen die Globalisierung. Eine Entscheidung, die Europa und den Westen schwächt. Der Begriff ‘politisches Erdbeben’ ist noch untertrieben“.

Die FT hat die Faktoren aufgelistet, die auf die Zugehörigkeit der jeweiligen WählerInnen zu bestimmten gesellschaftlichen Klassen zurückzuführen und die für das Ergebnis verantwortlich sind: „Die Hoffnungen von Herrn Cameron, er würde bei diesem Referendum schon für ein ‘Ja’ sorgen können, hat sich in Luft aufgelöst, weil die WählerInnen aus der ArbeiterInnenklasse in großer Zahl hingegangen sind und dem Establishment sowie dem status quo einen herben Schlag versetzt haben”.

Die Tageszeitung „The Guardian” meint: „Für einige ging es bei ihrer Entscheidung für ein ‘Leave’ nicht nur um Europa sondern auch darum, ein Zeichen gegen die gesamte politische Klasse und das Wirtschaftssystem zu setzen, für das sie steht”.

An dieser Stelle ist es wichtig, auf die Realität hinzuweisen: Millionen von Menschen aus der ArbeiterInnenklasse – auch in Schottland – haben das Referendum genutzt, um gegen die politische Elite zurückzuschlagen, die für die Austerität verantwortlich ist, für niedrige Löhne und Armut. Was das angeht, erinnerte diese Abstimmung stark an das Unabhängigkeitsreferendum in Schottland, das dort 2014 durchgeführt worden war.

Der Versuch, der bedauerlicher Weise auch von einigen Teilen der Linken unternommen wird, diesem Abstimmungsergebnis nun einen vollkommen oder teilweise rassistischen und reaktionären Charakter beizumessen, ist frevelhaft. Ja, Rassismus und ausländerfeindliche Meinungen waren ein Faktor; und das nicht zuletzt deshalb, weil beide Seiten (das „Leave”- wie auch das „Remain”-Lager) in ihren Kampagnen eine ganz bestimmte Rolle eingenommen haben. Man ist durch und durch spalterisch vorgegangen, weil man eine ausländerfeindliche Stimmung erzeugen wollte.

Wir können voll und ganz nachvollziehen, warum viele Menschen mit einer linken, gegen die Austerität gerichteten und antirassistischen Einstellung (also auch viele junge Leute) für den Verbleib in der EU gestimmt haben. Sie waren angewidert von den reaktionären RädelsführerInnen des Pro-„Brexit“-Lagers. Dabei hätte die rassistische und/oder konzernfreundliche Propaganda sowohl des „Remain“- wie auch des „Leave“-Lagers in weiten Teilen im Sande verlaufen können, wenn die Gewerkschaftsvorstände und die führenden Köpfe der Arbeiterbewegung eine kämpferische Opposition von links gegen die EU angeboten hätten. Genau diesen Ansatz haben die „Trade Unionist and Socialist Coalition“ und die „Socialist Party Scotland“ verfolgt.

So bestand der wesentliche Faktor, der zum 52-zu-48-Ergebnis und somit zum EU-Austritt geführt hat darin, dass die ArbeiterInnenklasse – wie von den StrategInnen des Kapitalismus bestätigt wird – eine Revolte gegen die Austerität und die politischen Eliten gewagt hat.

Schottland

Nur in Schottland, London und Nordirland war eine Mehrheit für einen Verbleib in der EU. In Schottland wollten 1,66 Millionen WählerInnen (62 Prozent) die EU-Mitgliedschaft beibehalten, eine Million (38 Prozent) waren dagegen. Im Gegensatz zu den Umfragen vor der Abstimmung fiel der Anteil der AustrittsbefürworterInnen höher aus. Die Wahlbeteiligung lag hingegen rund sechs Prozent unter der in England und Wales. In Glasgow beteiligten sich lediglich 56 Prozent der Wahlberechtigten an der Abstimmung.

Ein wesentlicher Faktor, auf den die geringe Wahlbeteiligung zurückzuführen ist, besteht in der allgemeinen Empörung eines Teils der ArbeiterInnenklasse gegenüber den beiden „offiziellen“ Kampagnen pro und contra EU-Mitgliedschaft, die als zwei Flügel ein und desselben Establishments betrachtet wurden. In vielen Bezirken mit hohem Anteil an ArbeitnehmerInnenhaushalten stimmten mehr als 38 Prozent für einen EU-Austritt.

In Dundee, wo sich vierzig Prozent für einen Austritt aussprachen, kommentierte ein Labour-Stadtrat, der dem linken Flügel der Sozialdemokraten zugerechnet wird und für den Verbleib in der EU eintrat: „Es gibt eindeutige Parallelen zwischen entrechteten Schotten aus der ArbeiterInnenklasse, die 2014 mit ‘Ja’ gestimmt haben, und den Menschen aus der ArbeiterInnenklasse im Vereinigten Königreich insgesamt, die sich nun für den Austritt ausgesprochen haben (das gilt nicht nur für England). Gestern war ich in Kirkton [einem ArbeiterInnenviertel von Dundee] und danach bei der Auszählung. Ich habe gesehen, wie die Wahlurnen geöffnet und die Stimmzettel sortiert wurden. Deshalb weiß ich, dass die Mehrheit dort für einen Austritt gestimmt hat.”

In wohlhabenderen Bezirken wurde viel stärker für den Verbleib in der EU gestimmt. Studierende und junge Leute haben aus antirassistischen und internationalistischen Motiven heraus mit großer Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt.

Der andere wesentliche Grund dafür, dass in Schottland weniger Menschen für den „Brexit“ gestimmt haben, ist in den Personen Farage, Johnson und Gove, den wichtigsten Fürsprechern der Kampagne für den EU-Austritt, zu suchen. Vor allem im Falle des UKIP-Vorsitzenden Farage bestand deren Kampagne zu einem Großteil aus englischem Nationalismus.

Hinzu kommt, dass die Scottish National Party (SNP), die größte Partei in Schottland, die aufgrund des Unabhängigkeitsreferendums immer noch einiges an Autorität hat, eine breit angelegte Kampagne im Sinne der EU geführt und diese als „progressive, für Arbeitsplätze sorgende“ Institution dargestellt hat. Die SNP argumentierte im Sinne eines „offenen, toleranten Schottlands“. Das stand im Gegensatz zu den fremdenfeindlichen Kampagnen, die größtenteils auf Seiten der EU-Befürworter anzutreffen waren.

Die „Scottish Greens“, „Labour“, die „Tories“ und die „Liberaldemokraten“ haben zusammen mit der SNP am Tag vor der Abstimmung noch eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der die EU als „lebenswichtig für Arbeitsplätze, Investitionen und Chancen für die Menschen in Schottland“ bezeichnet wird. Die SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon stand darüber hinaus auf derselben Fernseh-Bühne, von der aus die  „Tories“ die Interessen schottischer und britischer Banken verteidigt haben. Vielen Menschen aus der ArbeiterInnenklasse wird in Erinnerung bleiben, welche Rolle die SNP bei diesem „Project Fear“ gespielt hat.

Trotz der unaufhörlichen Propaganda, die für die EU gemacht wurde, haben mehr als eine Million Menschen – darunter auch gut ein Drittel der SNP-StammwählerInnen – für einen Austritt aus der EU gestimmt.

Zweites Referendum über die Unabhängigkeit?

Nicola Sturgeon warf ein, dass ein Austritt Britanniens aus der EU bei gleichzeitiger schottischer Mehrheit für einen Verbleib in der EU „die Umstände wesentlich verändern“ würde. Ein solches Ergebnis würde ein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland auf die Tagesordnung setzen.

Dennoch geht die SNP-Führung mit Vorsicht vor. Die Rede von Sturgeon nach Bekanntwerden des Ergebnisses war Ausdruck dieses Zögerns: „Ich habe vor, alle möglichen Schritte zu unternehmen und alle möglichen Optionen zu überprüfen, um dem schottisches Abstimmungsergebnis gerecht werden zu können. Mit anderen Worden: um unseren Platz in der EU – und vor allem im EU-Binnenmarkt – weiterhin abzusichern. Die Option eines zweiten Referendums muss auf den Tisch und ist auf dem Tisch“.

Auf die Frage, ob es für die schottische Regionalregierung noch andere Optionen gäbe, antwortete sie: „Ich denke, ein Unabhängigkeitsreferendum ist in dieser Situation am wahrscheinlichsten. Aber ich glaube auch, dass es wichtig ist, dass wir uns Zeit nehmen, um alle Schritte abzuwägen und zu diskutieren. Nicht zuletzt geht es auch darum, die Reaktion der Europäischen Union auf das Wahlergebnis in Schottland zu beurteilen“.

Die SNP will zwar nicht umgehend ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einleiten oder überhaupt definitiv durchsetzen, dass es zu einer zweiten Abstimmung über die Loslösung von Großbritannien kommt. Dennoch nutzt die Partei diese Möglichkeit als Drohkulisse, um sich von der britischen Regierung in London zu lösen und zu einer Vereinbarung mit der EU über einen etwaigen Verbleib Schottlands im europäischen Binnenmarkt zu kommen. Man will die Verbindungen zwischen Schottland und der EU aufrechterhalten.

Diese abwartende Haltung kann sich schnell wieder verändern. Momentan will die SNP kein unmittelbares neues Referendum. Mit beinahe vierzig Prozent der Stimmen, die auch in Schottland für einen Austritt aus der EU abgegeben worden sind, und wenn die Umfrageergebnisse sich nicht merklich zugunsten einer schottischen Unabhängigkeit verändern sollten, ist ein neues Referendum nicht sehr wahrscheinlich.

Sozialistische Alternative aufbauen

Das Ergebnis des Referendums über die EU-Mitgliedschaft ist für die herrschende Klasse in Großbritannien eine Katastrophe. Wie die „Socialist Party“ in England und Wales in ihrer Erklärung feststellt: „Die kapitalistische Klasse befindet sich im Zustand des Chaos. Es ist dringend nötig, dass die ArbeiterInnenklasse zu ihrer eigenen politischen Stimme findet. Das Referendum zeigt das enorme Potential für einen Kampf der Massen gegen die Austerität“.

Dies ist genau die Aufgabe, die der ArbeiterInnenklasse und den Gewerkschaften zukommt. Genau wie die sozialistische Linke müssen sie sich dringend dieser Aufgabe widmen.

Schon sehr bald sind vorgezogene Neuwahlen möglich, die auch eingefordert werden müssen. Die „Tories“ und die ArbeitgeberInnen befindet sich in heller Aufregung, und es ist sehr bedeutsam, dass die ArbeiterInnenbewegung in die Offensive geht, um gegen sämtliche Kürzungen, die das Ergebnis der Austerität sind, vorzugehen. Wenn sie auf ihr vorhandenes Potential zurückgreift, kann die Masse der abhängig Beschäftigten die „Tories“ aus dem Amt jagen und damit beginnen, das Kräfteverhältnis in Schottland und ganz Britannien zu verändern.

Wahlen im spanischen Staat: Enttäuschung für die Linke

Konservative Volkspartei mit deutlichen Zugewinnen bei Parlamentsneuwahl, linkes Wahlbündnis bleibt hinter Erwartungen zurück
René Kiesel, Berlin

In den lang ersehnten gemeinsamen Wahlantritt von Izquierda Unida (Vereinte Linke) und Podemos (Wir können) mit anderen Kräften wurden vor allem die Hoffnungen der Jugend auf Veränderung geweckt. Doch nach der Auszählung der Stimmen ist die allgemeine Ernüchterung groß, denn das Ziel, vor der sozialistischen Partei zweitstärkste Kraft im Land zu werden, wurde verfehlt. Nach gescheiterten Koalitionsgesprächen in den letzten Monaten und einer Neuwahl des Parlaments scheint der Status Quo im Staat fortzubestehen.

Die erste Mitteilung von der linken Wahlplattform Unidos Podemos (Gemeinsam können wir) auf Facebook war, dass die ersten Verlierer des Abends die Umfragen sind. Diese hatten das Wahlbündnis zuletzt mit nur drei Punkten Abstand auf Platz zwei gesehen. Nach dem steilen Aufstieg vor allem von Podemos war dies der erste größere Verlust auf der Wahlebene. Selbst deren Vorsitzender Pablo Iglesias qualifizierte das Ergebnis mit “nicht zufriedenstellend”. Vorher wurde der Eindruck erweckt, als ob es linear nur besser werden könnte und Iglesias wollte eigentlich schon nach den Wahlen am 20. Dezember 2015 im Präsidentenpalast sitzen.

Gemeinsam können wir! Aber was?

Vor allem angesichts der regionalen und inhaltlichen Zersplitterung der Linken war das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Wahlantritt bei vielen AktivistInnen groß. Die Regionalwahlen im letzten Jahr und die Ergebnisse vom Dezember haben auch den Parteiführungen gezeigt, dass sie gemeinsam nicht nur erfolgreicher sein können, sondern auch Gefahr laufen, ihren Einfluss zu verlieren, wie es bei Izquierda Unida der Fall war, die von elf auf zwei Parlamentsabgeordnete zurück gefallen war.

Eine gemeinsame Kandidatur wirft unmittelbar die Frage auf, welches Programm deren Grundlage ist. Formell wurde gesagt, dass alle Parteien ihr Wahlprogramm vom letzten Dezember beibehalten. Zur Abstimmung in den Organisationen wurden jedoch “50 Schritte, um Spanien zu verändern” vorgelegt. Dies war ein Forderungskatalog, der sich aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Parteien, einschließlich der grünen Equo-Partei, zusammensetzt und nicht über das bestehende bürgerliche System und die kapitalistische Wirtschaft hinaus geht. Lediglich einige Budgetänderungen und Reformen in der Gesetzgebung wurden vorgeschlagen, die zusammen genommen sicher eine Verbesserung, vor allem beim Mindestlohn, darstellen, aber dennoch nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Dieses Programm bietet den armen Massen im Land nicht den geringsten Ausweg. Vor allem für Izquierda Unida bedeutete es einen großen Schritt zurück, nachdem sich mit dem neuen Vorsitzenden Garzón linkere Positionen und kritischere Haltungen beispielsweise zur EU durchgesetzt hatten. Im Wahlprogramm vom letzten Dezember wird sie als Hindernis zur Durchsetzung sozialer Gleichheit und Entmilitarisierung gesehen. Die EU wird dort als Institution beschrieben, die Aufrüstung, Krieg und Ungleichheit festschreibt und im Interesse der Märkte voran treibt.

Das steht nur scheinbar im Widerspruch zu den Massenmobilisierungen während des Wahlkampfes, wo tausende und zehntausende Menschen an Kundgebungen von Unidos Podemos teilnahmen. Viele verbanden mit der Kandidatur eine große Hoffnung auf einen Wandel und ein Ende des korrupten und undemokratischen Systems, das nach dem Ende des Franco-Faschismus 1978 installiert wurde.

Dennoch drückte vor allem die Führung von Podemos der Plattform einen oberflächlichen und populistischen Stempel auf. Es wurde sehr emotional von “Sonnenaufgang eines Landes”, Liebe und Veränderung gesprochen, ohne deutlich zu machen, was auf welchem Wege erreicht werden soll. In Zeiten großer sozialer Unsicherheit und gesellschaftlicher Polarisierung ist das Potential für einen solchen Populismus und Reformismus schnell ausgeschöpft, da der Raum für Zugeständnisse seitens der Kapitalistenklasse gering ist und sie soziale Errungenschaft mit aller Macht zurück drängen, um ihre Profite zu retten Bei dieser Wahl gab es fast 10,5 Millionen NichtwählerInnen – eine Millionen mehr als noch im Dezember. Angesichts eines Stimmverlustes von nahezu 1,2 Millionen für Unidos Podemos, wird klar, dass vor viele linke WählerInnen zu Hause blieben. Doch es gab wahrscheinlich ebenso einen Stimmverlust auf der anderen Seite, denn eine Schicht von Podemos-WählerInnen setzten große Hoffnungen in das Potential einer in ihren Augen linken Koalition aus PSOE und Podemos/Izquierda Unida. Von diesem Standpunkt aus liegt das Lavieren der Führung der Parteien und das Scheitern der Gespräche vor allem bei den Pablo Iglesias, was zu Enttäuschung bei diesen Menschen geführt hat.

Eine Wahl ohne klare Alternative

Das Stimmergebnis für die linke Liste bleibt mit über fünf Millionen dennoch beachtlich und zeigt, welche Hoffnung Teile der Jugend und ArbeiterInnenklasse in einen Bruch mit dem bisherigen Zweiparteienregime und einem Ende der Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit setzen. Anderthalb Jahre fast ununterbrochener Wahlkampf haben die Kräfte erschöpft und den Protest von der Straße in die Hinterzimmer getrieben. Wahltaktische Überlegungen diktierten die Diskussionen und nicht der reale Kampf. Trotz eines enormen Kraftaktes der BasisaktivistInnen, schien die Mühe umsonst zu sein, denn nichts hat sich geändert. Und umso größer ist die Enttäuschung nun und viele Aktive ziehen sich zurück.

Zu lange hat Pablo Iglesias das Spiel der etablierten Politik mitgemacht, als er im letzten Jahr dem König seine Aufwartung machte und mit der Führung der Sozialistischen Partei für eine Regierungskoalition kokettierte. In Bezug auf die Europäische Union ist nicht garantiert, dass eine korrekte ablehnende Haltung der EU als Instrument vor allem der deutschen und französischen Bourgeoisie automatisch zu einem höheren Wahlergebnis geführt hätte. Dennoch machte Iglesias mit Blick auf Griechenland klar, dass er genauso wie Tsipras handeln würde und an dem kapitalistischen Konstrukt der EU festhält. Den Ausgang des Referendums in Großbritannien betitelte Unidos Podemos als “Niederlage für alle.” Dem wurde ein solidarisches Europa entgegen gesetzt, das vor allem auf Reform der EU-Organe abzielt. In der Haltung der Podemos-Führung wird deutlich, dass die EU als neutrales Gefäß angesehen wird, das sie mit einem fortschrittlichen Inhalt füllen wollen, statt eine radikale Alternative aufzuzeigen.

Dies hatte vor allem zur Folge, dass jene, für die die EU-Austeritätspolitik nichts anderes als zunehmendes Elend bedeutet, sich von Unidos Podemos abwendeten. Andere, die befürchten, dass ein Zerfall der EU noch schlechtere Lebensbedingungen bedeuten könnte, fanden sich jedoch in den unklaren Aussagen auch nicht wieder. Drei Tage nach dem Brexit, der die wirtschaftliche und politische Landschaft Europas erschütterte und der darauf folgenden Schmutz- und Angstkampagne in der offiziellen Presse, wäre es nötig gewesen, eine absolut eindeutige Haltung zu beziehen und den Menschen eine sozialistische Alternative zur jetzigen EU aufzuzeigen.

Von den bürgerlichen Medien hofiert, konnten sich jedoch PSOE und PP als stabilisierende und pro-europäische Kräfte darstellen. Diese Form der Angstkampagne schlägt schnell bei Vielen an, denn seit dem Ende des Faschismus werden sie von den Herrschenden damit bedroht, dass erneut Zustände wie in den 1930ern herrschen werden, wenn das jetzige System zerbricht. Selbst achtzig Jahre nach Beginn des Bürgerkrieges ist das ein nicht unbedeutender Faktor.

Die Ergebnisse der Wahl

Unidos Podemos war in der Gesamtauswertung der Wahlverlierer mit den meisten eingebüßten Stimmen. Dennoch haben auch die liberalkonservativen Ciudadanos (BürgerInnen) knapp 430.000 und PSOE 175.000 Stimmen verloren. Mit einem Plus von 573.000 Wählerstimmen (auf 7,9 Millionen) steht die regierende Volkspartei klar als Gewinnerin dar. Sie dürfte vor allem davon profitiert haben, dass die Ciudadanos sich nach der letzten Wahl als reines Anhängsel der Partido Popular (PP) präsentiert hat und WählerInnen dann wieder zurück zum Original wechselten. Die PP wurde vor allem in den Regionen gestärkt, wo sie seit jeher die Mehrheit oder zumindest ein sehr hohes Ergebnis erzielte. Ein Novum ist, dass sie selbst in Andalusien die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinte, während die Region seit den 1970ern fast durchgängig von der Sozialistischen Partei beherrscht wurde.

Trotz des absoluten Stimmverlustes bleiben die Kräfte von Unidos Podemos in gleicher Stärke mit 71 Abgeordneten im Parlament vertreten, was auf die insgesamt gesunkene Wahlbeteiligung zurückzuführen ist. Vor allem dort, wo sie im Dezember erfolgreich waren, konnten sie die relative Mehrheit (Katalonien) halten oder sogar erringen, wie erstmalig im Baskenland. Auch in Galicien erhielten sie Stimmzuwachs. Insgesamt führten die Ergebnisse in den genannten Regionen der nationalen Minderheiten dazu, das schwächere Abschneiden in anderen Landesteilen bezüglich der Anzahl der MandatsträgerInnen auszugleichen. Die hohe Zustimmungsrate in den Gebieten rührt vor allem daher, dass ein bedeutender Teil der Bevölkerung PSOE und PP als Trägerinnen der korrupten kastilischen Zentralregierung sehen und daher ihre Stimmen linken oder regionalistischen Listen geben.

Insgesamt scheint die einzige Möglichkeit ein Zusammengehen zwischen PSOE und PP zu sein. Durch den Abgeordnetenzuwachs haben die Konservativen zwar noch keine absolute Mehrheit, doch gemeinsam mit der PSOE im Gegensatz zu den Wahlen im Dezember eine sichere parlamentarische Grundlage. Zwar könnten die SozialistInnen versuchen, ihre Gesicht zu wahren, indem sie keiner PP-geführten Regierung beitreten. Sie könnten jedoch gemeinsam mit den Stimmen der Ciudadanos die Wahl eines konservativen Präsidenten und eine konservative Regierung im Parlament unterstützen. Neuwahlen scheinen zum jetzigen Zeitpunkt auf Grund der unsicheren politischen und wirtschaftlichen Lage im Land und international unwahrscheinlich.

Undemokratisches Wahlsystem

Im spanischen Wahlsystem, werden Parteien mit hohen oder mehrheitlichen Ergebnissen bevorzugt. Das Stimmverhältnis entspricht daher nicht der Repräsentation und erklärt auch den überdurchschnittlichen Zuwachs an Abgeordneten für die PP. Für einen Sitz im Parlament musste sie durchschnittlich nur 58.000 Stimmen erlangen, PSOE schon 64.000 und Unidos Podemos 71.000. Das bedeutet, dass die Sitzverteilung in keiner Weise das relative Stimmergebnis wiedergibt. PSOE erhielt zwar nur 400.000 Stimmen mehr als Unidos Podemos, aber bekam 14 Sitze mehr. Im Stimmverhältnis stünden der PP beispielweise lediglich 114 statt 137 Sitze zu.

So kann schon ein geringer Stimmunterschied in den jeweiligen Wahlkreisen entscheidend für die Sitzverteilung sein. Die Regierung hat es bereits vor den letzten Wahlen so gut wie unmöglich gemacht, per Briefwahl die Stimme abzugeben, wenn sich die Person im Ausland befindet. Die zu erbringenden Nachweise und Zeiträume für die Zusendung des Wahlscheines sind so organisiert, dass Viele die Wahlunterlagen nicht rechtzeitig bekommen. Viele verzichten auch auf ihre Stimme, da sie sich als im Ausland lebend registrieren müssten, was zum Verlust ihrer spanischen Krankenversicherung führen würde. So gibt es nur etwa zwei Millionen registrierte WählerInnen im Ausland, während insgesamt viel mehr SpanierInnen im Exil leben.

Da vor allem junge Leute in den letzten Jahren das Land verließen, die in der Tendenz eher links wählen, ist das ein ganz legaler Weg, um das Ergebnis zu beeinflussen. Innherhalb der Kreise von Unidos Podemos werden Zweifel an der Stimmauszählung laut, es wird von Wahlbetrug gesprochen. Der “Pucherazo”, also das Mehrfachzählen oder Kaufen von Stimmen hat bei den spanischen Herrschenden wie in anderen Ländern eine lange Tradition und ist daher niemals auszuschließen. Dennoch ist eine Beschränkung darauf als Erklärungsansatz für das schlechte Wahlergebnis eine Ablenkung von der eigenen politischen Verantwortung. Wie die Schwesterorganisation der SAV im spanischen Staat, Socialismo Revolucionario (Revolutionärer Sozialismus), schrieb, wäre eine wirkliche Einheitsfront der Linken mit einem sozialistischen Programm nötig, um den Kapitalismus abzuschaffen, um einen “spanischen Tsipras” (Pablo Iglesias) zu verhindern und eine ArbeiterInnenregierung ins Amt zu bringen.

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