Der Westbalkan als Spielball des Imperialismus

EU, IWF, Weltbank, OECD & Co: Am Balkan werden die Interessen des Kapitals beinhart durchgedrückt.
Christoph Glanninger

Serbien müsse „seine Hausaufgaben machen, um in die EU aufgenommen zu werden“ erklärte die ehemalige österreichische Außenministerin Plassnik 2008. Solche „Hausaufgaben“ bedeuten in Serbien, dass allein 2016 im Öffentlichen Dienst 20.000 Jobs abgebaut werden sollen. EU, IWF & Co. meinen damit harte, von oben verordnete „Reformen“ (Privatisierungen und Sozialabbau) als einzigen Ausweg für die scheinbar aussichtslose soziale, politische und wirtschaftliche Situation am Westbalkan. Noch immer ist das BIP der Region auf einem niedrigeren Level als 1989. Die Arbeitslosigkeit liegt in den meisten Ländern bei ca. 20%. Und Bosnien gilt als der korrupteste Staat Europas.

Schon seit Jahrhunderten ist die Region Spielball verschiedener Großmächte. Die Balkankriege 1912-13 waren Vorboten des 1. Weltkriegs, der am Balkan besonders schlimm wütete. Österreich, Russland, das Osmanische Reich und Italien kämpften um die Vorherrschaft in der Region. Im 2. Weltkrieg errichtete Nazi-Deutschland in Zusammenarbeit mit lokalen FaschistInnen (Ustascha & Co.) in Jugoslawien ein brutales Besatzungsregime.

Der Partisanenbewegung unter Tito gelang es, die Nazis aus dem Land zu jagen. Durch die Abschaffung des Kapitalismus wurden wichtige Verbesserungen für die Bevölkerung erreicht. Doch die Erfolge blieben beschränkt. Tito setzte, ganz in stalinistischer Tradition, nicht darauf, revolutionäre Bewegungen regional und international zu unterstützen. Er setzte auf „Sozialismus in einem Land“, was im Endeffekt zu einer Abhängigkeit von westlichen Krediten führte. Die Auslandsschulden Jugoslawiens verdreifachten sich so in den 1970ern. Das ermöglichte es Institutionen wie dem IWF (Internationaler Währungsfonds), Druck auf Jugoslawien auszuüben, um die Profitinteressen westlicher Banken und Konzerne durchzusetzen. Nationalismus war eines der Instrumente dafür. Der IWF selbst gab 2009 zu: „Die Austeritätsmaßnahmen, die der IWF Jugoslawien aufgezwungen hat, sind teilweise schuld am Beginn des Krieges.“

Doch statt die ArbeiterInnen gegen das IWF-Diktat zu mobilisieren, lies die jugoslawische Staats- und Parteiführung sie zahlen. 1980-85 sank das Realeinkommen um die Hälfte und die Arbeitslosigkeit  erreichte die Millionenmarke. Aber gleichzeitig erreichten auch die Streiks gegen Ende der 1980er Jahre ein Allzeithoch. Es gab erfolgreiche Lohnkämpfe, Solidaritätsstreiks über (Bundes)Landgrenzen hinweg und 1986 gelang es einer landesweiten Streikbewegung, die jugoslawische Bundesregierung zu Fall zu bringen. Die Mehrheit der jugoslawischen ArbeiterInnen und Jugendlichen antworteten auf die Krise Jugoslawiens mit gemeinsamem Widerstand und nicht mit Nationalismus.

Vielmehr waren es die verschiedenen nationalen Bürokratien in den Teilrepubliken, die verstärkt auf die nationalistische Karte setzten, um sich den Zugriff auf Betriebe und das Vermögen der jeweiligen Republiken zu sichern. Teile der alten Bürokratie wurden zu den neuen KapitalistInnen, schwach, oft vom Ausland abhängig und deshalb besonders korrupt und auch mit mafiösen Mitteln. Zusätzlich heizten westliche Akteure die Situation weiter an. Die Regierungen von Österreich und Deutschland gehörten zu den stärksten Unterstützern einer Unabhängigkeit von Slowenien, Kroatien und Bosnien, da sie sich aus einem Zusammenbruch Jugoslawiens neue Profitmöglichkeiten erhofften. Der erste Auslandsbesuch des kroatischen Premiers Tudjman war auf Einladung der Industriellenvereinigung Österreich.

Aber sogar noch vor Beginn des Bosnienkrieges 1992 nahmen in Sarajevo 1991 bis zu 100.000 an Friedensprotesten teil. Die Menschen desertierten massenweise aus der Volksarmee, und nicht nur in den Kriegsgebieten. In Serbiens Hauptstadt Belgrad war der Anteil von Wehrdienstverweigerern mit 85% besonders hoch. Und auch während die ganze Region in Nationalismus und Krieg versank, gab es bedeutende ArbeiterInnenproteste. Über den Sturz des nationalistischen Milosevic Regimes 1998 muss sogar die Financial Times berichten: „Streikkomitees, ArbeiterInnenkomitees, Besetzungen, Aussperrungen. Jugoslawien wurde überschwemmt mit Berichten von ArbeiterInnen, die gegen ihre Manager aus der Milosevic Ära revoltieren … ArbeiterInnen haben die kommunistische Rhetorik wörtlich genommen und die Kontrolle über ihre Betriebe übernommen“. Auch in Kroatien waren es 1998 große Gewerkschaftsproteste, die eine nationalistische Regierung zu Fall brachten.

Das zeigt, dass der Krieg mitsamt Nationalismus und ethnischen Säuberungen nicht von unten kam, sondern ein Resultat der machtpolitischen Spiele der lokalen und internationalen Eliten war.

Der Balkan diente dem internationalen Kapitalismus genauso wie Osteuropa als Lösung, um die angestauten Kapitalberge zu investieren. Unsummen wurden in den Bankensektor gesteckt, Land und Immobilien aufgekauft und lokale Firmen ausgeweidet. Z.B. werden heute ca. 74% des serbischen bzw. 97% des bosnischen Bankensektors durch ausländische Banken kontrolliert. Der Balkan ist militärisch das wichtigste Gebiet für das österreichische Bundesheer – um die Investitionen zu schützen.

Obwohl internationale Institutionen immer behaupten, dass die Bekämpfung der grassierenden Korruption Vorrang hat, sind es ihre Maßnahmen, die den Boden dafür bereiten. Wenn die öffentliche Gesundheitsversorgung zerschlagen wird, dann ist es klar, dass Leute beim Arzt Bestechungsgelder zahlen müssen. Wenn es keine Jobs gibt, zahlt man, um einen zu bekommen. Von den Millionenbeträgen, die im Unternehmensbereich illegal die Besitzer wechseln, ganz zu schweigen. Europäische Firmen sind nicht Opfer, sondern Täter - sie verhalten sich alles andere als „sauber“.

Die Geschichte des Balkan zeigt, dass es schon immer die Zusammenarbeit von Imperialismus mit lokalen Eliten war, die die Region in Armut und Abhängigkeit gehalten haben.

Ein Ausweg für die Region kann nur gelingen, wenn ArbeiterInnen und Jugendliche Wirtschaft und Politik aus den Händen von Kapitalismus und Imperialismus reissen und von unten ein demokratisches sozialistisches System aufbauen, in dem die Interessen der Menschen zählen und nicht die von Hypo, IWF, EU & Co.. Die Keimzellen für so ein System kann man in den unzähligen sozialen Bewegungen und Klassenkämpfen sehen, die es am Westbalkan in den letzten Jahren gegeben hat - bei denen StudentInnen, ArbeiterInnen und Arme immer wieder die Initiative übernommen, scheinbar aussichtslose Kämpfe gewonnen und kurzzeitig neue Formen von Demokratie und ArbeiterInnenkontrolle von unten etabliert haben. Statt einen utopischen „besseren“ Kapitalismus zu erhoffen, braucht es eine demokratische gesamtwirtschaftliche Planung der Wirtschaft. Die Schlüsselbetriebe können unter Kontrolle und Leitung der ArbeiterInnen geführt, geschlossene Betriebe wieder eröffnet werden und zum Wohle der Allgemeinheit arbeiten. Und durch die Enteignung der korrupten Elite und die Übernahme der internationalen Unternehmen sowie den Stopp der Schuldenrückzahlung an die Verantwortlichen für Krieg und wirtschaftlichen Verfall (IWF, EU und Co.) könnten endlich genug finanzielle Mittel für eine Ausfinanzierung öffentlicher Dienste zur Verfügung stehen. Für so eine (sozialistische) Alternative braucht es den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen und Jugendlichen in der gesamten Region. Dieser hat in der Vergangenheit immer wieder nationale Spannungen zu überwunden. Nur so kann es gelingen, Jahrhunderte der imperialistischen Unterdrückung ein für alle mal zu beenden.

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