Frauen und LGBT

Rassistisches Kopftuchverbot: Interview mit betroffener Schülerin

Im Anhang findest du den Flyer mit Argumenten gegen das Kopftuchverbot, den die Initiativen Schule Brennt und Teachers for Palestine Austria erstellt haben!

vorwärts interviewte H., Schülerin aus Wien, zu ihren Erfahrungen und ihrer Meinung zum geplanten rassistischen Kopftuchverbot der Regierung. Die Stellungnahme von vorwärts zu diesem Angriff findest du hier: Rassistisches Kopftuchverbot zurückschlagen!

Wie alt bist du und auf welche Schule gehst du?

Ich bin 13 Jahre alt und gehe in eine Mittelschule im 21. Bezirk in Wien.

Wie viele Schüler:innen sind in deiner Klasse? Wie viele davon tragen ein Kopftuch?

Wir sind 26 Schüler:innen, und ungefähr 5–6 Personen tragen ein Kopftuch, mich eingeschlossen.

Hast du das Gefühl, dass das Tragen eines Kopftuchs dich beim Lernen oder bei anderen Dingen in der Schule beeinträchtigt?

Nein, es stört mich überhaupt nicht. Es ist ein Kleidungsstück, das ich wegen meiner Religion trage und zu dem ich mich entschieden habe. Ich kann ganz normal lernen und mich konzentrieren. Die Leute übertreiben und tun so, als wäre es ein Problem – nur weil ich ein Kopftuch trage. Ich finde, das ist überhaupt keine große Sache.

Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass jemand in der Schule dich diskriminiert oder anders behandelt, weil du ein Kopftuch trägst?

Ja. Zum Beispiel Lehrer:innen. Meine Schwester ist auch betroffen, sie hat deswegen sogar die Schule gewechselt. Manche Leute in der Schule nennen mich „Bombenleger“ oder „Ninja“, weil ich ein Kopftuch trage. Sie denken, es ist ein Witz. Ein- oder zweimal ist es vielleicht ein Witz, das verstehe ich. Aber wenn man es ständig wiederholt, wird es nervig. Es ist respektlos.

Würdest du dich in der Schule wohler oder weniger wohl fühlen, wenn dieses Gesetz beschlossen wird?

Wahrscheinlich weniger wohl, weil meine Freundinnen unter 14 sind und daher vom Kopftuchverbot betroffen wären. Und wenn meine Freundinnen traurig sind, will ich für sie da sein, wir würden sicher darüber reden. Und obwohl es mich nicht betreffen wird, weil ich im Jänner 14 werde, finde ich das nicht fair. Die Leute sagen: „Ja, Mädchen werden gezwungen, das Kopftuch zu tragen.“ Aber ich finde, es ist nicht besser, wenn man sie zwingt, es nicht zu tragen. Für mich gibt es da keinen Unterschied. Es ist nicht gut, jemanden zu zwingen, etwas zu tragen – aber wie soll es besser sein, jemanden zu zwingen, etwas nicht zu tragen? Das ist kein Unterschied: Beides ist Zwang. Man zwingt Menschen, etwas zu tun, das sie nicht wollen, und das ist nicht fair.

Patriarchat und kapitalistische Klassengesellschaft: Zwei wie Pech und Schwefel

von Anja Riegler, zuerst veröffentlicht in der VORWÄRTS-Ausgabe vom Oktober 2024

Der 25. November, an dem der internationale Tag gegen geschlechterspezifische Gewalt begangen wird, wirft Licht auf die Frage, wie diese bekämpft werden kann. Eine sozialistisch-feministische Perspektive rückt die Notwendigkeit eines Bruchs mit der gesamten kapitalistischen Klassengesellschaft ins Zentrum. Um diese Schlussfolgerung zu verstehen, müssen wir zu den Wurzeln geschlechtsbasierter Unterdrückung gehen.

Sexismus und Männer-Gewalt werden allzu oft normalisiert: Während uns Geschlechterrollen weismachen wollen, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts sanftmütiger seien, würden Männer zu aggressiven Verhaltensweisen neigen. Hinzu kommt, dass männliche Gewalt, insbesondere von rechter Seite, zu einem Problem migrantisierter Männer umgedeutet wird. Bei Fällen von geschlechtsspezifischer Gewalt, verübt von weißen Männern, handele es sich nur um Einzelfälle. Dies ist ein Versuch, zu spalten und rassistische Forderungen voranzutreiben. Gleichzeitig gaukelt uns der bürgerliche Staat vor, durch eine rechtliche Gleichstellung der Geschlechter echte Gleichheit erreicht zu haben. Dabei sind die Familie und die Intimbeziehung die gefährlichsten Orte für Frauen und Mädchen.

Eine marxistische Analyse lehnt biologistische Deutungsmuster für männliche Gewalt ab. Stattdessen wird das Verhältnis zwischen patriarchaler Unterdrückung und Klassengesellschaft untersucht. Historisch gehen beide miteinander einher: Mit der Sesshaftwerdung des Menschen vor tausenden Jahren konnte ein Überschuss in der Produktion, das gesellschaftliche Mehrprodukt, gelagert werden. Erste Klassengesellschaften entstanden in Folge dieses AnhäufungsAkkumulationsprozesses. Die Ehe als Institution gewann an Bedeutung, um für klare Erbschaftsverhältnisse zu sorgen. Frauen und Mädchen wurden im Zuge dessen zum Eigentum des Mannes, dem Familienoberhaupt, degradiert. 

Die kapitalistische Produktionsweise, wie wir sie heute kennen, ist davon abhängig, dass Frauen ihre Arbeitskraft einerseits als Lohnarbeiterinnen zur Verfügung stellen und andererseits auch unbezahlte “reproduktive Arbeit” leisten. Hierzu zählen zum Beispiel Kochen, Haushalt, Kinderbetreuung, sowie Pflege von Angehörigen. Davon profitiert der kapitalistische Staat insofern, dass die Arbeitskraft der Frau nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch im häuslichen Kontext ausgebeutet werden kann. Hierdurch muss der Staat zum Beispiel weniger Geld in Kinderbetreuung investieren. 

Patriarchale Geschlechterrollen machen sich dabei zum Handlanger des Kapitals, indem sie vermitteln, dass Haus- und Familienarbeit einer vermeintlich weiblichen Natur innewohnt und damit nicht wie sonstige Lohnarbeit finanziell abgegolten werden müsse. Daneben wird ein starres Bild von Geschlechterbinarität, wonach es nur Frau und Mann gäbe, vermittelt. Wir sehen im Zuge dessen, wie die Unterdrückung von queeren Menschen und allen, die nicht in dieses binäre Schema von Geschlecht hineinpassen, eine weitere Konsequenz dieses engen Korsetts an Geschlechterrollen darstellt. 

Unterordnung einer Gruppe unter die andere und Gewalt zur Aufrechterhaltung der Hierarchien stellen den gemeinsamen Charakter der kapitalistischen Klassengesellschaft und dem Patriarchat dar. Im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt müssen wir erkennen, dass beide untrennbar miteinander verwoben sind und in unserem Kampf nur gemeinsam besiegt werden können. 

 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen im Sozialbereich und gegen geschlechtsspezifische Gewalt gehören zusammen!

Lies hier die Statements von Beschäftigten aus dem Sozialbereich:

Kindergartenstreik 2023

Katja

Michi

Julia

Anja

Jan

Katja Straka, Betreuerin in der offenen Jugendarbeit:

„Es braucht Druck auf die Politik für mehr Geld, nicht nur für mehr Gehalt und Reduktion der Arbeitszeit sowie auch für mehr Personal, sondern auch um Angebote ganzjährig anbieten zu können! Unter anderem weil Probleme nicht für ein halbes Jahr verschwinden. Außerdem sorgt das auch für stabilere Teams – die dann die Menschen, die sie betreuen auch schon kennen.Lernen wir deshalb von der “Initiative Sommer-packet“ im Wohnungslosenbereich und schließen uns zu einer ”Initiative Winterpaket” für die offene Jugendarbeit zusammen.”

 

Michael Gehmacher, Betriebsrat im Wiener Samariterbund - WSD und im großen Verhandlungsteam beim SWÖ-KV:

"Lieber Streik als schlechten Abschluss! Die Situation für viele Kolleg*innen ist sehr schwierig. Das Leben ist nach wie vor sehr teuer, das spüren vor allem die Kolleg*innen in den niedrigen Verwendungsgruppen. Eine aktuelle Studie beweist: auch die Überlastung ist enorm gestiegen. Eine deutliche Lohn-und Gehaltsverbesserung und eine Arbeitszeitverkürzung muss diesmal erreicht werden. Ohne deutliche Verbesserungen bei Arbeitszeit, Urlaub und Bezahlung darf es keinen Abschluss geben. Höchstwahrscheinlich wird es nicht ohne Streiks gehen. Viele Kolleg*innen sind streikbereit, dort wo es Schwierigkeiten gibt soll die Gewerkschaft mit niederschwelligen Streikschulungen unterstützen, streikerfahrene Kollg*innen könnten bei Betriebsratstreffen und ähnlichem mit Tipps helfen. Am Ende der KV-Verhandlungen muss es eine Urabstimmung geben"

 

Julia Hauzmayer, Verwaltungsangestellte in einer Gesundheits- und Sozialberatungsstelle:

„In den SWÖ Kollektivvertragsverhandlungen redet sich die Arbeitgeber*innenseite wieder mal darauf aus, dass Fördergeber*innen Erhöhungen ja vielleicht nicht abgelten würden und meint verhöhnend, eine reine Inflationsabgeltung sei ja bereits “attraktiv”. Währenddessen spüren die Kolleg*innen noch immer die Teuerung der letzten Jahre und die Auswirkungen der prekären Projektfinanzierungen. Befristete Verträge, Arbeitsüberlastung, Personalmangel, Unsicherheit der bezahlten Stunden. Deshalb wäre eine starke und kämpferische Gewerkschaft hinter den Betrieben und Einrichtungen umso wichtiger, um sich auch politisch für eine Ausfinanzierung des gesamten Care-Bereichs einsetzen zu können!

Zum Schutz der Gesundheit und Psyche der Kolleg*innen in unseren Beratungsstellen ist eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen, höhere Gehälter und eine Arbeitszeitreduktion unumgänglich. Denn diese Kolleg*innen setzen sich tagtäglich dafür ein, um Klient*innen durch Krisen zu helfen und Betroffene von geschlechtsspezifischer Gewalt zu unterstützen. Sie sind es, die mit ihrer Arbeit die Auswirkungen dieses kaputten Systems ausgleichen müssen. Deswegen braucht es einerseits einen organisierten Arbeitskampf im Betrieb und im gesamten Care-Bereich, in welchem überwiegend Frauen der Mehrfachbelastungen ausgesetzt sind. Und andererseits ist es logisch und wichtig, gegen die systemische geschlechtsspezifische Gewalt aufzutreten, die wir als Beschäftigte selbst erleben und in Solidarität mit allen Betroffenen - wir müssen auch gemeinsam am 25.11. auf die Straße gehen!“

 

Anja, Sozialarbeiterin in einem Frauenhaus:

“Arbeitskämpfe, so wie jetzt rund um die SWÖ-Kollektivvertragsverhandlungen, haben insbesondere im Care-Sektor immer auch eine politisch-feministische Dimension. Schon allein deshalb, weil Frauen einen Großteil der Beschäftigten im Sozial- und Pflegebereich darstellen. Unter ihnen sind auch viele migrantisierte Frauen und Alleinerziehende. Frauen, die also mehrfacher Marginalisierung ausgesetzt sind, und nicht selten ohnehin darum kämpfen, sich und ihre Familien finanziell über Wasser zu halten. Trotzdem halten sie dieses System, an dem es an allen Ecken und Enden mangelt, täglich am Laufen. Versuchen unter Einsatz ihrer körperlichen und emotionalen Kräfte, diese Mängel für alle Personen, die sie pflegen, beraten, betreuen, begleiten, auszugleichen. Dabei sollen sie sich dann auch noch bescheiden zeigen und zufrieden sein, mit dem was ihnen die Arbeitgeber*innen bieten. Ein warmes Dankeschön sollte doch eigentlich als Abgeltung dieser Anstrengungen reichen.

Insbesondere im Gewaltschutzbereich zeigt sich diese Doppelmoral doch darin, dass Beschäftigte unter dem Deckmantel des Feminismus über die eigenen Belastungsgrenzen hinausgehen sollen, um Überlebenden geschlechtsspezifischer Gewalt Unterstützung zu leisten. Wo es an der notwendigen Finanzierung mangelt, sollen wir als Individuen Defizite ausgleichen. Dabei ist die Vorstellung, Frauen müssten sich in ihrer Hingabe für andere Menschen selbst ausbeuten, ein patriarchales “tale als old as time“. 

Wirklich feministisch wären hingegen Forderungen nach einer Lohnerhöhung, einer Arbeitszeitverkürzung, sowie mehr personellen Ressourcen im gesamten Sozial- und Gesundheitssektor. Solche Verbesserungen wären auch wichtige Voraussetzung für alle weiblichen Beschäftigten, insbesondere für Mütter, frei von partnerschaftlichen und familiären Zwängen und Gewalt leben zu können.”

 

Jan Millonig, ehem. Pfleger und ISA-Aktivist:

“Im Kampf um Verbesserungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich muss uns bewusst sein, dass die Bedürfnisse der Menschen und unsere Daseinsvorsorge in diesem kapitalistischen System immer zu allerletzt stehen. Während der Corona-Pandemie haben die Krankenhäuser nicht mal genug zusätzliche Finanzmittel bekommen, um ihre Verluste auszugleichen, während Firmen und Großkonzerne einfach so fast 50 Milliarden an Steuergeld bekamen. Doch wenn es um unsere Löhne geht, müssen wir um jeden Cent streiten! Das wird in der aktuellen Rezession wieder so sein.

Letztlich werden wir gute Arbeitsbedingungen und eine Versorgung für alle, nur erreichen, wenn wir ein System, wo die Profite einiger weniger Reiche an erster Stelle stehen, überwinden.

Der Rechtsruck in Österreich und weltweit wirft uns hier sicher zurück. Der steigende Rassismus bedroht unsere Kolleg*innen mit Migrations-geschichte. Der aktuelle Genozid in Gaza und wie er in unseren Breiten diskutiert wird, ist da ein konkretes Beispiel... 

Stellen wir uns gegen die Entmenschlichung von muslimischen und arabischen  Menschen und üben Solidarität - nicht zuletzt auch mit den Gesundheitsbeschäftigten in Palästina, die gerade genauso bombardiert werden, wie die restliche Zivilbevölkerung dort!”

 

 

Der Horror von Kolkata: Sexualisierte Gewalt und Ausbeutung zurückschlagen!

... und die Heuchelei der Herrschenden!
von Akiba, Socialist Alternative India und ROSA India

im Original veröffentlicht am 19.8.2024 auf socialistindia.org

Inhaltswarnung: Dieser Artikel behandelt Fälle extremer sexueller Gewalt.

 

Der schreckliche Vergewaltigungs- und Mordfall an Dr. Moumita Debnath hat die Welt schockiert und erneut die brutale Vergewaltigungskultur Indiens in den globalen Fokus gerückt. Landesweit haben massive Proteste stattgefunden, die zwar zahlenmäßig noch nicht an die Nirbhaya-Bewegung (Massenproteste nach einer Gruppenvergewaltigung in Delhi 2012, Anm.) heranreichen, jedoch qualitativ einen Durchbruch im Kampf gegen sexuelle Gewalt darstellen. Millionen von Menschen sind in dieser Woche auf die Straßen Indiens gegangen: nicht nur in Westbengalen (dem Bundesstaat, wo das Verbrechen geschah, Anm.) oder den großen Metropolen, sondern auch in kleinen Dörfern bis nach Tamil Nadu. Die Indian Medical Association organisierte einen 24-stündigen Streik, alle ambulanten Dienste in öffentlichen und privaten Krankenhäusern vom 17. bis 18. August, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr morgens, wurden ausgesetzt. Ärzt*innen, Studierende und breite Schichten der Bevölkerung sind nicht nur über die grausame Natur des Falles empört, sondern auch über die heuchlerische und repressive Reaktion der herrschenden Klasse.

Die Sicherheit von Dr. Debnath wurde auf verschiedene Weisen durch die Krankenhausverwaltung und die Polizei untergraben. Zum Zeitpunkt des Übergriffs ruhte sie sich in einem leeren Besprechungszimmer nach einer anstrengenden 36-Stunden-Schicht aus – da es im Krankenhaus keine geeigneten, sicheren und gut ausgestatteten Räume für Ärzt*innen gibt, um sich zwischen ihren Schichten auszuruhen. Mindestens einer ihrer Angreifer konnte aufgrund laxer Sicherheitsvorschriften das Gebäude betreten, obwohl er nicht über die erforderlichen Berechtigungen verfügte. Zwar waren Überwachungskameras installiert worden, sie waren jedoch nicht funktionsfähig. Darüber hinaus legten medizinische Berichte nahe, dass sie nicht von einem, sondern von mehreren Männern angegriffen wurde. Die prompte Entscheidung des Krankenhauses, ihren Tod als Selbstmord zu deklarieren, war völlig absurd. Die Polizei versäumte den Tatort abzusichern, und das Krankenhaus selbst manipulierte offensichtlich Beweise vor und während der Untersuchung unter dem Vorwand von „Renovierungsarbeiten“.

Dies ist außerdem nicht der einzige Fall sexuellen Missbrauchs am RG Kar Medical College and Hospital. Ein Beispiel ist der Fall von Soumitra Biswas 2001: Der Student drohte, Pornoring an der Universität aufzudecken. Es war ein offenes Geheimnis, dass eine Gruppe männlicher Studenten sich dabei filmte, wie sie auf dem Campus mit Sexarbeiter*innen Sex hatten – und wenn sie keine bekamen, nutzten sie Leichen aus dem Krankenhaus. Laut Zeugenaussagen war Biswas der einzige Student, der diese kriminellen Umtriebe anprangerte, nachdem das Gesicht einer Kommilitonin auf ein Bild einer nackten Leiche gephotoshoppt wurde. Die Umstände seines Tod wiesen eindeutig auf einen Mord hin: Die Tür zu seinem Zimmer wurde aufgebrochen, ein Taschentuch wurde ihm in den Hals gestopft und das Kabel, mit dem er sich angeblich selbst erhängt hatte, war dafür zu kurz. Dennoch wurde der Fall von der Polizei als Selbstmord eingestuft, und obwohl im benachbarten Raum Filmequipment gefunden wurde, erfolgte keine Untersuchung der von ihm vorgebrachten Anschuldigungen, die auch entschieden von anderen Studierenden wiederholt wurden.

Dr. Sandip Ghosh, der Direktor des medizinischen Colleges, war im vergangenen Jahr zweimal versetzt worden und wurde aufgrund von Korruptionsvorwürfen vom Calcutta National Medical College entlassen. Nachbarn wussten, dass er regelmäßig seine Frau schlug. Seine Verbindungen zum TMC (Trinamool Congress, eine bürgerliche Partei in Westbengalen, Anm.) bewahrten ihn wiederholt davor, unehrenhaft entlassen zu werden. Nach seinem Rücktritt von RG Kar infolge der öffentlichen Empörung über seine Rolle (er war derjenige, der in Windeseile die “Selbstmord-These” verkündete und empörende Aussagen machte, die das Opfer verunglimpften), erhielt er innerhalb von Stunden einen neuen, komfortablen Job. Kritiker*innen bezeichnen Dr. Ghosh als korrupten Bürokraten, der mafiöse Taktiken einsetzte, um seine Macht in der Medizinbranche zu sichern.

Diese Situation ist vielen Frauen, die in der Wissenschaft arbeiten, nur allzu vertraut. Mächtige Männer missbrauchen systematisch Frauen und betrachten hochqualifizierte Fachkräfte als ihren persönlichen Harem. Frauen, die dagegen aufstehen wollen, haben oft keine Möglichkeit, sich zu wehren. Kaum Unterstützung erhalten sich auch von der Polizei und dem Justizsystem - einem System, dessen Organe oft offen und ungeniert ihre korrupten Machenschaften und Machtspielchen betreiben. Dieses „Babu-System“ schützt die Elite vor den Konsequenzen ihres Handelns, anstatt Frauen und andere vulnerable Gruppen vor Unterdrückung und Ausbeutung zu schützen.

Dr. Debnath war weder ein Einzelfall noch eine Ausnahme. Jeden Tag werden Frauen in Indien und weltweit mit der Realität einer patriarchalen Vergewaltigungskultur konfrontiert, alle Lebensbereiche heimtückisch durchdringt: Ständig müssen sie sich umsehen, ob ihnen ein Mann an einen abgelegenen Ort folgt. Sich fragen, ob ein Lächeln freundlich gemeint ist oder bösartige Absichten verbirgt. Sich bei Freund*innen „einchecken“ und Standortdaten teilen, um bei einer einfachen Fahrt mit einem Auto sicher zu sein. Sich sexistische und frauenfeindliche Kommentare von Vorgesetzten, Kollegen und Kommilitonen anhören müssen. Sich an Ausgangssperren halten und Frauenhäuser, -Waggons und -Schulen aufsuchen. Und trotz all dem bleibt die Gewissheit, dass unsere Körper angegriffen werden können. Und wenn das passiert: mit einer Flut von Vorwürfen, “Victim-Blaming” und frauenfeindlichen Rechtfertigungen konfrontiert werden, ebenso wie mit der verharmlosenden Propaganda der Mainstream-Medien. Einige davon bezeichnen das abscheuliche Verbrechen in Kolkata noch immer abscheulicherweise als „mutmaßliche Vergewaltigung“, obwohl die Autopsie keinen Zweifel daran ließ, dass es sich um eine Gruppenvergewaltigung handelte.

Ob in der Öffentlichkeit oder hinter verschlossenen Türen: gewalttätige und missbräuchliche Männer bewegen sich frei, während Frauen mit Kontrolle, Scham und Einsperrung für das Verbrechen bestraft werden, einfach nur zu existieren. Ein Beispiel dafür ist die Banaras Hindu University, wo nach einem öffentlichkeitswirksamen Fall sexuellen Missbrauchs die Universitätsleitung die weiblichen Studierenden in ihren winzigen Heimen einsperrte, anstatt die Sicherheit zu erhöhen und die Situation anzugehen – während die Männer, die den Übergriff begangen hatten, sich weiterhin frei bewegen konnten. Welche Botschaft sendet dies an missbräuchliche und gewalttätige Männer? Dass jede Frau da draußen „frei verfügbar“ ist? Dass die Körper von Frauen Trophäen sind, die wie exotische Beute gejagt werden können?

Wie wir alle wissen, sind Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe nicht nur die Taten einzelner bösartiger Individuen, sondern ein Symptom der patriarchalen Vergewaltigungskultur, die alle Teile der Gesellschaft durchdrungen hat. Westbengalen selbst galt lange als säkulare, sichere Zone für Frauen in Indien – ein Mythos, welcher der Realität bis heute widerspricht. Von Sandeshkhali und der Presidency University bis hinter die verschlossenen Türen der Privathaushalte sind Fälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch gegen Frauen allgegenwärtig. Noch schlimmer ist es, wenn diese Fälle Frauen betreffen, die “Scheduled Castes and Scheduled Tribes” (SC/ST, oft auch “Dalit” genannt - aufgrund des Kastensystems besonders stark unterdrückte Gruppen, Anm.) angehören. Diese Fälle werden oft nicht einmal in den Nachrichten erwähnt. Die katastrophale Geschichte von TMC und BJP (Modis hindu-nationalistische Regierungspartei, Anm.) bei der Vertuschung und dem Schutz von Sexualtätern zeigt, dass sie nur dann vorgeben, sich um Missbrauch zu kümmern, wenn er von der gegnerischen Partei begangen wurde.

Die „Babu-Kultur“ bietet gefährlichen Männern nicht nur einen Hintereingang zu Bereichen, in denen sie Frauen angreifen können. Sie ermöglicht es solchen Personen auch, einer Strafe zu entkommen – sei es dadurch, dass ihnen eine sichere Ausreise aus dem Land gewährt wird, dass sie aus dem Gefängnis freigelassen und mit Ehrungen überschüttet werden, oder durch die Vernichtung von Beweisen ihrer grausamen Taten durch den Einsatz tausender bewaffneter Schläger. Männer müssen sich mit der Vergewaltigungskultur auseinandersetzen. Nicht, indem sie Frauen in immer engere Gefängnisse aus Stoff und Beton sperren; sondern indem sie Verantwortung übernehmen, als Verbündete handeln, sich gegenseitig zur Rechenschaft ziehen und der nächsten Generation von Jungen beibringen, dass der Körper einer Frau niemandem außer ihr selbst gehört. Wir müssen auch die Tatsache konfrontieren, dass das Patriarchat und sexuelle Gewalt Werkzeuge sind, um die Gesellschaftsordnung des Kapitalismus aufrechtzuerhalten – und dass das Patriarchat nur im Kontext der Abschaffung der Klassengesellschaft überwunden werden kann; eine Aufgabe, welche nur die Arbeiter*innenklasse erfüllen kann.

ROSA India solidarisiert sich mit der Familie des Opfers in ihrem Kampf um Gerechtigkeit. Wir unterstützen die Forderungen von Frauen und Beschäftigten im Gesundheitswesen nach mehr Sicherheit in Krankenhäusern, sicheren Bereitschaftsräumen auf dem Krankenhausgelände in ausreichender Zahl, der Installation von Überwachungskameras und generell besseren Arbeitsbedingungen. Doch dies kann genug sein. Administratives und wissenschaftliches Personal, das in sexuellen Missbrauch oder Vertuschung verwickelt ist, sollte von künftigen Anstellungen an öffentlichen oder privaten Institutionen ausgeschlossen werden.

Die Bewegung muss die Spaltungen ablehnen, die bereits innerhalb ihrer Reihen entstanden sind - wie etwa bei einer Demonstration in Mumbai, die Dalit-Frauen ausschloss. Es ist allgemein bekannt, dass Bahujan-Frauen (Bahujan ist ein Sammelbegriff für breite Schichten der Bevölkerung, die keiner höheren hinduistischen Kaste angehören, z.B. SC/ST bzw. Dalits, Muslime und andere religiöse oder nationale Minderheiten, Anm.) viel häufiger Opfer sexueller Übergriffe werden und dass sexueller Missbrauch ein Kontrollinstrument gegenüber unterdrückten Kasten ist. Eine ernsthafte und politisch reife Bewegung muss das Schweigen über Vergewaltigungen in Slums brechen und sich mit Kastenideologie und Kommunalismus (auf religiöse oder ethnische Identität begründete reaktionäre politik, Anm.) innerhalb ihrer eigenen Reihen auseinandersetzen - gerade auch innerhalb der Arbeiter*innenklasse. Eine bessere Zukunft kann nur durch eine organisierte und nachhaltige Bewegung erkämpft werden, die sexuelle Gewalt und Femizide auf allen gesellschaftlichen Ebenen bekämpft, ebenso wie häusliche, kastenbedingte und kommunale Gewalt. Ärzt*innen, Patient*innen, Studierende und Lehrende sowie die gesamte Arbeiter*innenklasse müssen zusammenstehen. Wir fordern dringend andere Gewerkschaften dazu auf, öffentliche Solidaritätserklärungen zu formulieren und Solidaritätsstreiks zu organisieren, bis die Forderungen erfüllt sind. Studierende rufen wir dazu auf, sich zu organisieren, Walkouts durchzuführen und gegebenenfalls die Universitäten zu besetzen, bis die Sicherheit der Studentinnen gewährleistet ist.

Es ist Zeit, jetzt für Veränderungen zu kämpfen. Wir können keine langsame, schrittweise Lockerung des Würgegriffs um unseren Hals akzeptieren. Zu warten bedeutet, unseren eigenen Tod zu akzeptieren. Wir können, wir müssen und wir werden für unser Recht auf Sicherheit und Gleichberechtigung kämpfen.

Das kapitalistische System und seine inhärenten Ungleichheiten, die von allen etablierten Parteien in Indien aufrechterhalten werden, sind nicht nur unfähig, die Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt anzugehen. Sie verstärken sie aktiv. Es ist ein System, das die Körper von Frauen kommerzialisiert, ihre Arbeit rücksichtslos ausbeutet, Sicherheit nach den finanziellen Möglichkeiten bemisst und den Reichen, Mächtigen und „Gut-Vernetzten“ ermöglicht, sich jeglicher Verantwortung zu entziehen. Es ist ein System, das von Grund auf beseitigt werden muss, wenn wir eine Welt schaffen wollen, in der alle Frauen ohne Angst leben können.

Um die Vergewaltigungskultur wirklich zu beenden, müssen wir nicht nur gegen einzelne Täter kämpfen, sondern gegen die gesamte Gesellschaftsordnung, die ihre Taten ermöglicht und entschuldigt. Das bedeutet, eine Bewegung aufzubauen, die nicht nur gegen Vergewaltigung und sexuelle Gewalt gerichtet ist, sondern für eine vollständige Umgestaltung der Gesellschaft kämpft – eine Bewegung, die antikapitalistisch, antipatriarchal und antikastistisch ist. Der Kampf um Gerechtigkeit für Moumita und alle Opfer sexueller Gewalt ist untrennbar mit dem Kampf für eine sozialistische Zukunft verbunden – wofür ROSA in Indien und vielen anderen Teilen der Welt aktiv eintritt.

 

 

Nehmt ihr uns eine, antworten wir alle!

von Marlene Erkl, Sozialarbeiterin

Wer in Österreich lebt, weiß: über die sogenannte gemeinsame „Leitkultur“ wird besonders gerne gesprochen. Ebenso gerne wird über Männergewalt geschwiegen. 

Es waren fünf Morde an einem Tag

Fakt ist, beim Thema Frauenmorde gehört Österreich zu den traurigen Spitzenreitern in der EU, wie eine aktuelle Vergleichsstudie von Eurostat zeigt. Schaut man sich die Femi(ni)zid-Zahlen zwischen 2018 und 2023 an, stößt man auf erschreckend hohe Zahlen: pro Jahr wurden bis zu 41 Frauen ermordet. Wie aus der Liste der autonomen österreichischen Frauenhäuser hervorgeht, waren die Täter in nahezu allen Fällen (Ex-)Partner, Ehemänner oder männliche Verwandte. Gewaltschutzerxpert*innen betonen, dass sie oft schon bei der Polizei oder in psychiatrischen Einrichtungen bekannt sind. Verfrühte Entlassungen oder Falscheinschätzung im Gefährlichkeitsgrad der Personen hatten tödliche Folgen für Frauen. Dies zeigt nicht nur einen Mangel in der Versorgungslandschaft für psychisch Erkrankte, sondern auch das Desinteresse der Politik, Gewaltschutz- und Präventionsmaßnahmen mit ausreichend finanziellen Ressourcen auszustatten. 

Im Februar 2024 wurde ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte der Frauenmorde in Österreich erreicht: Vier Frauen und ein Mädchen wurden an nur einem Tag getötet. Die Pandemie der Gewalt ging 2024 jedoch noch auf schreckliche Weise weiter. Mit Stand Juni 2024 zählen wir bereits zwölf Femi(ni)zide. Gerade wenn es um diese extreme Form der Gewalt geht – um die Tötung von Frauen oder Personen, die als solche eingeordnet werden – bleibt die Berichterstattung oft unpräzise. Wir lesen beispielsweise von einem „Einzelfall“ oder einem „tragischen Beziehungsdrama“. Dies verharmlost die Gewalt nicht nur, sondern versucht sie oft sogar zu legitimieren. Zurückzuführen ist dies auf patriarchale Gesellschaftsstrukturen des Kapitalismus. Das bedeutet Strukturen, in denen die Macht zwischen Männern und anderen Geschlechtern ungleich verteilt ist, sie lassen zu, dass Männer sich in ihrer Wertigkeit über andere Geschlechter stellen können und dass dies nicht problematisiert, sondern oft sogar als „natürlich“ angesehen wird.  Wer in der Öffentlichkeit die hohe Zahl der Femi(ni)zide problematisiert, wird schnell mit der Frage konfrontiert, warum man sich nicht in gleichem Maße für die Morde an Männern interessiere. Ein Grund dafür ist, dass Männer in der Regel von Männern getötet werden. Es sollte also ein weiterer Hinweis darauf sein, dass wir dringend über Männergewalt sprechen sollten. Für Gewaltformen Begriffe zu finden halte ich für essenziell. Sprache ist ein Werkzeug, um unsere Wirklichkeit zu beschreiben und Missstände aufzuzeigen. 

Organisieren wir uns gegen Femi(ni)zide 

Den Grundstein für die folgenreichen internationalen Proteste gegen Femi(ni)zide legte die Bewegung „Ni una Menos“ (“Nicht eine weniger”), die ihren Ursprung in Lateinamerika hatte. Auf beeindruckende Weise verbinden sie feministische Forderungen miteinander. Auch in Österreich gehen Aktivist*innen gegen Femi(ni)zide und jede Form von Gewalt auf die Straße. ROSA z.B. organisierte die Protest- und Gedenkkundgebung nach den fünf  Femi(ni)ziden in Wien im Februar oder den Protest gegen den Freispruch nach dem Tod einer Minderjährigen im Juli. Denn auf die Entscheidungsträger*innen in der Regierung können wir uns schon lange nicht mehr verlassen. Darum organisiere dich! (Du findest uns auf Instagram unter @rosa_oesterreich.) Denn eine andere Welt ist möglich. 

 

Info:

Ein Femi(ni)zid ist die vorsätzliche Tötung einer Frau durch einen Mann aufgrund ihres Geschlechts bzw. aufgrund von ‚Verstößen‘ gegen die Rollenvorstellungen, die Frauen zugeschrieben werden.

 

Hilfsangebote:

rund um die Uhr, kostenlos, anonym:
Frauen-Helpline gegen Gewalt 0800 222 555
Die Männerinfo 0800 400 777 

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

PRIDE: "No one is free until everyone is free!"

Flugblatt von ROSA für Pride und Bildungsaktionstag 2024
ROSA - Internationale Sozialistische Feminist*innen

Für eine gemeinsame Pride-Bewegung gegen:

-> Queer- und transfeindliche Angriffe

-> Rechtsruck und Rassismus

-> Imperialismus, Krieg und Besatzung

->Ressourcenmangel, Belastung und Diskriminierung im Bildungssystem​

in der Schule, an der Universität & am Arbeitsplatz!

 

GET ACTIVE WITH ROSA!

11.6. | Gemeinsam “Pride” schauen | 18:30 | Amerlinghaus

19.6. | Treffen zu Widerstand im Bildungsbereich | 18:00 Amerlinghaus

22.6. | Black Lives Matter Demo | Ort folgt

Melde dich bei uns wenn du aktiv werden willst!

 

Niemand ist frei solange nicht alle frei sind - dieses System lebt von Diskriminierung, Konkurrenz und Spaltung. Queerfeindlichkeit, Armut, Rassismus und die Unterfinanzierung des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereichs haben ihre Wurzeln in diesem System. Unsere Kämpfe gehören zusammen.

Unser Bildungssystem brennt: von Lehrer*innen- und Personalmangel bis hin zu rassistischen Strukturen wie Deutschförderklassen. Fehlende Ressourcen, Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit sind eine katastrophale Mischung. Wachsende Klassen und massiver Personalmangel, Queerfeindlichkeit, Kleidervorschriften, Repressionen gegen Palästina-Solidarität und Angriffe auf die Freizeitpädagogik - die Situation verschlechtert sich und wird sich im Falle einer neuen FPÖVP-Regierung noch verschärfen. Kinder, die unter Armut, Rassismus, psychischen Problemen leiden sowie queere Jugendliche, sind von der katastrophalen Situation im Bildungssystem noch stärker betroffen. Es ist dringend nötig, den Kampf dagegen aufzubauen!

Die Regierung lässt traumatisierte und gefährdete Kinder, die vor Krieg und Krise fliehen, in Containern lernen! Anstatt Ressourcen zu investieren, verbringt sie ihre Zeit damit, rassistische und queerfeindliche Hetze und Gesetze voranzutreiben - vom aktuellen “Vorarlberger Kodex” über die Ausweitung von DNA-Tests zur Familienzusammenführung - eine entmenschlichende Praxis, die insbesondere queere Familien diskriminiert - bis hin zum Plan der ÖVP, Hormontherapie für trans Jugendliche einzuschränken. Es ist klar, wo ihre Prioritäten liegen! Der Lehrer*innenmangel bedeutet auch, dass oft nichts gegen missbräuchliche Lehrer*innen unternommen wird, während es keine unabhängigen Stellen gibt, die Diskriminierung oder Belästigung melden und bekämpfen. Echte queerinklusive Bildung gibt es de facto nicht, religiöse / christliche Organisation werden in Schulen eingeladen. trans Jugendliche werden unsichtbar gemacht und sind tagtäglich Gewalt und Schikanen ausgesetzt.

Aber wir sind nicht machtlos! Schüler*innen und Lehrer*nnen können Massenbewegungen anführen - von der Klimabewegung, BlackLivesMatter zu den Streiks der Freizeitpädagog*innen! International führten Schüler*nnen und Lehrer*Innen den Kampf gegen Anti-Trans-Gesetze in den USA, Campus- und Schulproteste, die einen Waffenstillstand in Gaza forderten, und den Kampf gegen die Diktatur im Iran an. Dieses Jahr liegen die Vienna Pride und der Bildungsaktionstag nur wenige Tage auseinander - diese Kämpfe gehören zusammen! Wenn Schüler*innen und Lehrer*nnen gemeinsam kämpfen, können wir die brennenden Probleme im Bildungswesen ebenso angehen wie Queerfeindlichkeit und jede Diskriminierung.

Wir kämpfen für ein antirassistisches, queerinklusives, antisexistisches, kostenloses und sicheres Bildungssystem. Nein zu einem Zwei-Klassen-Bildungssystem! Organisieren wir uns jetzt, folgen wir dem Beispiel der Freizeitpädagog*innen und bereiten wir uns auf Schüler*innen und Lehrer*innenstreiks vor! Der gemeinsame Kampf ist notwendig, um für das Bildungssystem, das wir brauchen, und gegen die Angriffe zu kämpfen. Es ist ein erster Schritt, wenn wir uns rund um den Bildungsaktionstag und die Pride-Proteste in unseren Schulen und Stadtteilen vernetzen und diskutieren, welche Forderungen wir stellen müssen. Unsere Klassenzimmer sind nicht unpolitisch, egal wie sehr sie uns das einreden wollen! Sie sind wichtige Orte für uns, um zu diskutieren, zu organisieren und zu kämpfen!

Wir fordern:

-> Gegen jegliche Kürzungen und Angriffe im Bildungsbereich! Für massive Investitionen, höhere Löhne, kleinere Klassen, mehr Lehrer*innen, Personal, Ressourcen - finanziert nach Bedarf! Keine Containerklassen mehr!

->Nein zu Rassismus, nein zu Deutschförderklassen! Für das Recht, andere Sprachen als Deutsch zu sprechen, für echte Inklusion und eine gemeinsame Pflichtschule für alle - für die notwendigen Ressourcen und eine massive Aufstockung des Personals für echte (Deutsch-) Förderung!

-> Ein sofortiges Ende aller sexistischen, queerfeindlichen und rassistischen Kleiderordnungen!

-> Gründen wir Schulkomitees, um den Kampf für die massiv benötigten Mittel zu organisieren, gegen Rechts und gegen jeden queerfeindlichen, sexistischen und rassistischen Angriff auf unsere Rechte zu kämpfen!

-> Bauen wir auf der Basis dieser Komitees demokratisch gewählte Anlaufstellen an jeder Schule auf, um Diskriminierung und Belästigung zu bekämpfen und eine queerinklusive und altersgerechte Sexualbildung sowie eine antirassistische, feministische Bildung zu entwickeln, die sich an unseren Bedürfnissen orientiert!

-> Dem Burnout ein Ende setzen: Massive Investitionen in eine gute (psychische) Gesundheitsversorgung für Schüler*innen und Lehrer*nnen, insbesondere für trans Jugendliche und Geflüchtete! Milliarden für psychische Gesundheit für alle - keine Wartelisten mehr!

-> All das finanziert durch die Gewinne der Reichen und die Enteignung von Großunternehmen, die auf unserem Rücken Gewinne machen!

-> Wer kontrolliert das Bildungssystem? Bildung für alle bedeutet Kontrolle durch die wirklichen Expert*innen: Lehrer*innen, Pädagog*innen, Eltern, Schüler*innen, Studierende - Für ein Bildungssystem, das wir selbst organisieren und verwalten!

-> Es gibt keine gute Bildung oder queere Befreiung in einem kaputten System - Gemeinsam gegen das kapitalistische Ausbeutungssystem und für eine sozialistische Gesellschaft frei von Krieg, Zerstörung, Armut und Diskriminierung!

Feministische und antirassistische Solidarität gegen Femizide und rechte Hetze!

Dieser Artikel wurde Mitte März 2024 verfasst und nun hier veröffentlicht.
von Celina Brandstötter

In Österreich wurden innerhalb der letzten Wochen zahlreiche schockierende Fälle von häuslicher bzw. sexualisierter Gewalt an Frauen bekannt. Insbesondere die fünf Femzidfälle vom 24.02 (an einem Tag!) in Wien sind ein drastischer Weckruf für das große Ausmaß der geschlechterspezifischer Gewalt in Österreich. Ebenso das kürzliche Bekanntwerden von schweren Missbrauchsfälle an Jugendlichen in Wien und Salzburg zeigt die Dimension der etablierten Gewalt an Frauen bzw. queeren Menschen in Österreich auf.

Die FPÖ nutzte diese Morde und Missbrauchsfälle für ihre rassistische Hetze vor "unkontrollierter" und vermeintlich importierter Gewalt. Am 14.02.2024  veranstaltete die FPÖ in Wien die Kundgebung “Favoriten hat genug”. Diese Veranstaltung war ein aktiver Angriff gegen Menschen, die tagtäglich von Rassismus betroffen sind und in Favoriten leben. Die FPÖ missbrauchte hier klar den Kampf gegen geschlechtsspezifischen Gewalt für ihre rechte Propaganda. Eine solche Instrumentalisierung von Frauenrechten für rechte Propaganda und Hetze gegen Migrant(*innen) schützt weder Frauen noch queere Menschen. Sie trägt allerdings dazu bei, dass gerade junge Migrant*innen noch stärker zur Zielscheibe von rassistischen Polizeikontrollen und rechtsextremen Angriffen werden.

FPÖ und ÖVP sind Frauen und Favoriten egal!

Die FPÖ ist mehr als unglaubwürdig, wenn sie nur dann vorgibt, sich für Frauenrechte einsetzen zu wollen, wenn sie es rassistisch instrumentalisieren kann! Die FPÖ, aber auch ÖVP, verfügen über ein zutiefst sexistisches Parteiprogramm, das Frauen und queere Personen in schädliche, konservative Geschlechterrollen zwängen will und sie dabei systematisch entrechtet. Daher ist diese selektive Angst um “unsere Frauen” der FPÖ/ÖVP scheinheilig und voller Doppelmoral. 

Statt Schutzräume für Frauen und queere Menschen aufzubauen und sich für eine dringend notwendige Aufstockung sozialpolitischer Mittel im 10. Wiener Gemeinde Bezirk einzusetzen, nutzte die FPÖ ihre Kundgebung allein dafür, gegen Migrant*innen zu hetzen. Gerade für migrantische Frauen ist diese rassistische Aufladungen der Debatte um häusliche Gewalt besonders gefährlich. Ein solches Klima führt dazu, dass sich migrantische Frauen potentiell aus Angst vor Abschiebung oder polizeilicher Verfolgung keine polizeiliche Hilfe holen. Das Hetzbild der FPÖ ignoriert zudem den Fakt, dass Gewalt an Frauen in allen Schichten der österreichischen Gesellschaft verbreitet ist und keineswegs “Importgut”. 

Das Ausmaß der männlichen Gewalt in der österreichischen Gesellschaft ist auch nicht erst seit der besagten Femizide bekannt. Eindeutig ist, dass wir in Österreich mit einer Pandemie männlicher Gewalt konfrontiert sind. Diese kennt viele Facetten: Sexualisierte, physische und/oder psychische Gewalt finden in den eigenen vier Wänden, unter Jugendlichen, an Schulen, Unis oder auch am Arbeitsplatz statt. Sowohl sexistische Rollenbilder, wie auch die Normalisierung von Gewalt an Frauen nehmen derzeit in westlichen Ländern wieder zu. Wie verwurzelt patriarchale Strukturen in der heimischen “deutschen” bzw. “österreichischen” Leitkultur nach wie vor sind bzw. re-etabliert werden, zeigt beispielsweise die Studie von “Plan International” aus dem Jahr 2023. Ein Drittel der dort befragten 16-30 jährigen Männer in Deutschland Gewalt an Partner*innen für grundsätzlich “akzeptabel”. Von einem Importgut patriarchaler Einstellungen in den Westen kann angesichts dieser und ähnlicher Studien kaum die Rede sein. Derzeit findet ein rechter & konservativer Backlash bei insbesondere jungen Männern statt. Dieser geht mit einer Radikalisierung des konservativen Geschlechter- und Männlichkeitsbildes einher. Formen der Gewalt an Frauen und queeren Menschen werden unter diesem Backlash zunehmend normalisiert. Die Politik der FPÖ und ÖVP, ihre Hetze gegen Feminismus und queere Rechte sind an diesem Prozess maßgeblich beteiligt. 

Die Missbrauchsfälle in Wien und Salzburg zeigen auch auf, dass es ein gezieltes antisexistisches Gewaltschutzprogramm und feministische Mobilisierung gegen Gewalt an Minderjährige braucht. Nehammers Ruf nach der Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre sind rassistisch beeinflusst und haben nichts mit dem Schutz von Mädchen oder Frauen zu tun. Dieselbe ÖVP, die sich jetzt groß aufspielt, weigert sich seit Jahren, die notwendigen finanziellen Mittel für Gewaltschutz zur Verfügung zu stellen. Auch nach 5 Femiziden in nur 24 Stunden sah die derzeitige ÖVP-“Frauenministerin” immer noch keinen zusätzlichen Handlungsbedarf in Sachen Frauenschutz! Diese Politik der Konservativen spielt sexualisierter Gewalt in die Hände. Sowohl die rassistische Asylpolitik wie auch die rassistische Ausgrenzung im Bildungssystem und am Arbeits- und Wohnungsmarkt drängen Geflüchtete und Migrant*innen systematisch aus der Gesellschaft. Der Ruf nach der Abschiebung von straffällig gewordenen Asylbewerbern ignoriert zudem die prekären gesellschaftlichen Umstände, aus denen diese geflüchtet sind und in Österreich leben müssen. Diese Debatte schürt hier bewusst auch das Bild des “frauenfeindlichen Asylbewerbers”. Jene Asylwerber, die sexualisierte Gewalt begehen, einfach abschieben zu wollen, ist überdies ein sehr ignorantes, westliches Verständnis einer vermeintlichen Lösung für patriarchaler Gewalt. Diese soll dann ungehindert in den Herkunftsländern an migrantischen Frauen stattfinden, solang es eben nicht um „ihre österreichischen Frauen” geht, ist das scheinbar für etablierte Konservativen in Österreich vertretbar!

Feministische und antirassistische Solidarität gegen Femizide und rechte Hetze!

Wir stellen uns als antirassistische, sozialistische Feminist*innen gegen diese Hetze. Wir sind aktiv, um die notwendigen finanziellen Mittel für Gewaltpräventionen und Schutz vor Gewalt zu erkämpfen, Femizide als systematisches Problem anzukreiden und gegen jede Form von Rassismus, Diskriminierung und Unterdrückung zu kämpfen. Wir brauchen einen gemeinsamen Kampf GEGEN Ausbeutung und FÜR ein ausfinanziertes Sozialsystem, leistbaren Wohnraum sowie für gute Arbeit für ALLE! - Eine Gesellschaft, in dem Menschen und nicht Profite zählen. Gesicherte Lebensverhältnisse und finanzielle Unabhängigkeit sind eine wesentliche Voraussetzung für Frauen und queere Menschen häuslichen Gewaltsituationen entkommen zu können. Sie sind auch wichtiger Bestandteil dafür, Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte vor Ausgrenzung, Armut, Gewalt und Kriminalität zu schützen und eine wesentliche Grundlage dafür, ein gutes Leben für alle Menschen in Österreich zu schaffen.

Wir fordern daher unter anderem folgende Punkte:

→ Einen massiven Ausbau der Buben- und Männerarbeit an Schulen, Nachmittagsbetreuungsstätten, Jugendzentren und anderen Betreuungsstätten

→ Eine umfassend feministisch orientierte und altersgerechte Sexualerziehung an Kindergärten und Schulen, die insbesondere einen Fokus auf eigene persönliche Grenzen/Konsens setzt und sich kritisch mit konservativen Geschlechterrollen befasst

→ Den Ausbau von niederschwelligen Beratungszentren für Opfer sexualisierter Gewalt und Frauenhäusern. 

→ Den massiven Ausbau der Betreuung sowie psychosozialen Unterstützung von Asylwerber*innen

→ Gezielte Schulungen für Lehr- und Betreuungspersonal an Kindergärten, Schulen und anderen Betreuungseinrichtungen von Jugendlichen im Umgang mit sexualisierter Übergriffen und der kritischen Arbeit mit gesellschaftlichen Geschlechterrollen

→ Gezielte Schutzmaßnahmen für gesellschaftlich besonders gefährdete Frauen und queere Menschen: insbesondere migrantische Frauen, Frauen mit Asylstatus, Frauen ohne offiziellen Aufenthaltsstatus in Österreich, aber auch queere Personen oder Frauen mit Beeinträchtigung - gerade sie sind häufig von jeglicher Form genderbasierter Gewalt betroffen. 

→ Jobs, Wohnen, Sozialleistungen für alle Menschen, die hier leben, um die Grundlage für ein Leben frei von Gewalt und Ausgrenzung zu schaffen.

→ Schluss mit kapitalistischen Sachzwängen, wenn es um das Leben von Menschen geht - für eine Gesellschaft, wo alle Ressourcen zum Wohle der Menschen eingesetzt werden und nicht alles den Profitinteressen einer kleinen Elite untergeordnet wird!

→ Bauen wir dafür gemeinsam eine antirassistische, feministische, sozialistische Bewegung, in Schulen, Unis, Nachbarschaften, Betrieben und auf der Straße auf!

 

 

VORWÄRTS-Schwerpunkt: Für eine kämpferische LGBTQI+-Bewegung!

Juni 2024

Warum brauchen wir gerade jetzt eine kämpferische, politische Pride?

von Leah S.

Der Juni ist Pride-Month, in dem es darum geht, für die Sichtbarkeit von queeren Menschen zu kämpfen. Doch wir haben heute mehr Rechte denn je, warum braucht es eine kämpferische LGBTQIA+-Bewegung?

Queere Menschen sind weiterhin in fast allen Lebensbereichen Diskriminierung ausgesetzt. Eine aktuelle Befragung der Stadt Linz spricht von körperlichen Übergriffen und alltäglicher Diskriminierung gegen queere Menschen und behauptet gleichzeitig, dass Linz eine LGBTQI+-freundliche Stadt sei. Bedeutet LGBTQIA+-freundlich also, dass Gewalt und Diskriminierung toleriert werden?

Auch die anstehenden Wahlen im Herbst sind besorgniserregend. Eine türkis-blaue Koalition wird zu einer Gefährdung aller marginalisierten Gruppen, wie Migrant:innen, Frauen und eben auch queeren Menschen führen. Kanzler Nehammers "Österreichplan" skizziert bereits die Einschränkungen für trans-Personen, indem er Hormonbehandlungen für Jugendliche verbieten will. Er bezeichnet diese als „fragwürdig“ mit „nicht abschätzbaren Folgen“. Das Verbot der Hormonbehandlung hat hingegen sehr abschätzbare und dramatische Folgen für das Leben von jungen trans-Personen.

Diese Einschränkungen sind erst der Anfang und werden noch weitergehen. Denn rechtsgerichtete Parteien in Europa nutzen diese Strategie, um unsere schleichende Unterdrückung voranzutreiben. Nicht nur in Ländern wie Nigeria oder Iran, wo Homosexualität unter Todesstrafe steht - die Rechte und Sicherheit von queeren Menschen sind nirgendwo gesichert. In einigen Bundesstaaten der USA bspw. wurden in den letzten zwei Jahren Gesetze verabschiedet, die Hormontherapien für Jugendliche oder den Unterricht über sexuelle Orientierung verbieten.

In Europa gibt es ebenfalls bedenkliche Entwicklungen: LGBTQIA+-freie Zonen in Polen, das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen und zunehmende Fälle von Hassreden und Gewalt gegen queere Personen. Die fehlende Akzeptanz und der daraus resultierende LGBTQIA+-Hass sind gefährlich und tödlich. Sie schaffen eine Atmosphäre der ständigen Angst und Unsicherheit für queere Menschen.

Das muss aufhören. Wir müssen eine kämpferische LGBTQI+-Bewegung aufbauen, um für die Sicherheit und Sichtbarkeit queerer Menschen zu kämpfen. Geben wir uns im Pride Month nicht mit Regenbogenfahnen zufrieden, sondern erinnern wir uns: Pride is a protest!

 

“Regenbogenkapitalismus” am Ende? Kämpferische LGBTQIA+ Bewegung im Vormarsch!

von Jan Millonig

War der spontane Aufstand rund um das “Stonewall Inn” 1969 in New York noch eine mehrtägige Straßenschlacht mit der Polizei - im Widerstand gegen die alltägliche und brutale Repression - so ist der “Christopher Street Day” (CSD) heute vielerorts ein extrem kommerzialisiertes und entpolitisiertes Festival. Gerade in den 2000er- und Anfang der 2010er-Jahre schien LGBTQIA+ in der Mitte der Gesellschaft angekommen und somit der politische Kampf vermeintlich hinfällig. Diese Situation änderte sich in den letzten Jahren entscheidend. Nicht zum ersten Mal führten gesellschaftliche Krisen, die Inspiration durch andere Kämpfe sowie Angriffe auf die Community zu einer Repolitisierung der Bewegung. 

Spätestens mit Trump und seiner queerfeindlichen, rassistischen und sexistischen Politik erlebten wir eine massive Radikalisierung des Kampfes für Frauen- und LGBTQIA+-Rechte sowie große Bewegungen gegen Rassismus. Noch im Jahr seiner Angelobung 2017 wandelten sich viele queere Events und Paraden entweder spontan oder sogar offiziell in Protestmärsche. Das entwickelte sich auch im Zuge einer Reihe von anderen Mobilisierungen in dieser Zeit, wie dem großen “Women’s March” mit weltweit zwei Millionen Teilnehmer*innen.

In Sao Paulo, das für seine großen Regenbogenparaden bekannt ist, brach die Pride 2019 nach dem Amtsantritt Bolsonaros mit 3 Millionen Menschen alle Rekorde. Generell ist der Zuwachs, den Regenbogenparaden in den letzten Jahren vielerorts erleben - trotz rechten Backlashs und Polarisierung - für sich schon ein Zeichen einer zunehmenden Politisierung rund um dieses Thema, selbst wenn die Prides dann trotzdem sehr “party-lastig” sind.

Darüber hinaus gibt es in vielen Städten mittlerweile alternative CSD-Märsche, die einen politischen und linken Protest-Charakter haben. Seit 2021 bringt die “Internationalistische Queer Pride” in Berlin 10.000 Leute auf die Straße. Auch in New York gibt es seit 2019 den “Queer Liberation March”. Aufgrund der Absage der “offiziellen” Pride inmitten der COVID-19-Krise 2020 ersetzte er diese sogar. So kam es nach genau 50 Jahren nach dem ersten “Christopher Street Liberation Day March” 1970 zum ersten Mal wieder zu einer Pride ganz ohne Konzerne und Rainbow Washing, aber mit 50.000 Menschen! Mehr als das: inspiriert von der #BlackLivesMatter-Bewegung im Jahr davor wurde die Pride als Protest gegen Anti-Schwarzen-Rassismus und Polizeigewalt abgehalten. Darüber hinaus waren viele aktuelle Arbeitskämpfe und gewerkschaftliche Bewegungen repräsentiert.

Hier sahen wir, wie die Belastungen durch die Corona-Krise - die gerade queere und andere marginalisierte Gruppen besonders hart traf - und die Inspiration durch andere radikale Bewegungen gegen Unterdrückung auf ein organisatorisches und politisches Vakuum trafen, das begeistert gefüllt wurde. So eine Verbindung und gegenseitige Verstärkung von Bewegungen ist eine Dynamik, die sich als dominantes Charakteristikum durch die aktuelle Periode zieht. So hat die feministische Bewegung massiv zur Politisierung der LGBTQIA+-Bewegung beigetragen und feministische und queere Forderungen greifen immer mehr ineinander.

Eine spezifische Krise heute ist die Gewalt an trans-Personen. Angefangen in den USA, wo Hunderte Gesetze auf bundesstaatlicher Ebene das Leben von trans-Menschen und vor allem Jugendlichen massiv bedrohen, schwappte diese Offensive auch nach Europa. So hat die konservative Regierung in Großbritannien oder Macron in Frankreich bereits solche Gesetze erlassen und (nicht nur!) Rechte in vielen Ländern Europas kopieren diese Art der Hetze - wie jetzt auch Nehammer in Österreich.

Das provozierte vielerorts kämpferische Proteste, getragen vor allem von Jugendlichen. Generell ist seit ein paar Jahren auffällig, wie präsent Trans-Liberation auf vielen Prides ist. Denn hier zeigt sich besonders drastisch, dass den Herrschenden ihr Leben egal ist und jeder Ausbruch aus den traditionellen Geschlechterrollen offenbar unvereinbar mit diesem System ist. Diesen Kampf gilt es jetzt weiter aufzubauen - um weitere Tote durch Hassverbrechen zu verhindern, Zugang zu qualitätsvollen Behandlungen zu garantieren und somit physische und psychische Gesundheit zu erkämpfen! Deshalb haben Aktivist*innen der “Socialist Party” (ISA in Irland) in Dublin bzw. zwei weiteren Städten die “Trans & Inter Pride” ins Leben gerufen. Diese bringt seit 2018 Tausende auf die Straßen. 

Abseits der Prides können wir beobachten, wie (früher nicht so zentrale) Aktionstage, wie der “Trans Remembrance Day” oder der “IDAHOBIT”, immer stärker als Gelegenheit für Proteste und Demonstrationen genutzt werden. Diese Tage sollten noch weitgehender mit konkreten Forderungen und einer dynamischen Kampagne, die Menschen involviert, gestaltet werden. Deshalb hat ROSA vor ein paar Jahren die Demonstrationen am - bis damals kaum beachteten - Internationalen Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Wien und Linz initiiert. 

Für eine unabhängige, antikapitalistische Bewegung

Die etablierten Kräfte in der LGBTQIA+-Bewegung sind oft selbst mit dem Establishment verbandelt. Oft laden sie kapitalistische Sponsor*innen für die Pride ein, die z.B. aktiv an transfeindliche Organisatioen spenden (wie Magenta in den USA). Oder sie arbeiten mit etablierten Parteien wie den Grünen zusammen, die der homo- und transfeindlichen ÖVP in der Regierung die Stange halten. Diese Kräfte sind nicht willens und fähig, echten Widerstand aufzubauen. In Florida wurden letztes Jahr die offiziellen Pride-Veranstaltungen sogar aus Angst vor dem “Don’t say gay”-Gesetz abgesagt. Stattdessen fanden an vielen Schulen Walk-Outs und Proteste statt. Auch in Österreich werden viele Proteste gegen Angriffe auf queeres Leben von eher linken Strukturen organisiert. So ist die Abwesenheit etablierter/bürgerlicher Kräfte oft auch eine Gelegenheit, Traditionen “neu zu erfinden” bzw. zurückzuerobern. In Belgien gelang es ROSA unter dem Motto “Pride is a protest" in vielen Städten, wo es noch nichts gab, politische Pride-Demonstrationen zu organisieren. Auch die Regenbogenparade in Linz wurde von ISA-Aktivist*innen gemeinsam mit der HOSI überhaupt erst ins Leben gerufen. Auch wenn es 2019 aufgrund unserer Ablehnung, Firmen als Sponsoren auf der Parade zuzulassen, zum Bruch kam, hat sich der “Demonstrationscharakter” gehalten, weil sie von Anfang an politisch und in diesem Sinne gestaltet war.

Wir sehen aber auch, dass die gesellschaftliche Entwicklung an den etablierten Strukturen nicht vorbei geht. Selbst die Wiener Regenbogenparade thematisierte letztes Jahr rechte Hetze in ihrem Aufruf und hat heuer sogar "Pride is a Demonstration” als Motto. Das ändert wenig an ihrem Charakter - aber es zeigt, dass sie offensichtlich auf eine Stimmung von unten reagieren müssen bzw. die Angriffe durch die herrschende Politik ihnen eine gewisse Politisierung aufzwingen. Das spiegelt sich vor allem unter den Teilnehmer*innen wider, die unserer Erfahrung nach immer offener für politische Inhalte sind. So sind die Flugblätter, lautstarken Demo-Blöcke und kämpferischen Sprechchöre von ROSA seit Jahren ein Anziehungspunkt vor allem für junge Menschen auf den Prides.

Als sozialistische, queere, feministische Kraft müssen wir jede Chance ergreifen, die Bewegung weiter zu politisieren, Verbindungen zu anderen Kämpfen - z.B. gegen Rassismus oder schlechte Arbeitsbedingungen im Sozialbereich - herzustellen und eine alternative Kampfstrategie zu präsentieren. Dafür müssen wir uns organisieren und Strukturen und Organisationen aufbauen, die queere Rechte nicht nur verteidigen, sondern den Kampf gegen das ganze kapitalistische System, das uns immer wieder jede Würde nahm, aufnehmen kann. 

 

Marx aktuell: Permanente Revolution und queer liberation 

von Christoph Glanninger

In den letzten Jahrzehnten konnte man den Eindruck gewinnen, dass es einen langsamen Fortschritt Richtung Gleichberechtigung der LGTBQIA+ Community gibt - kombiniert mit dem Versprechen des Kapitalismus als Ende der Geschichte mit Gleichberechtigung, Demokratie und Freiheit. Aber die letzten Jahre und zunehmende Angriffe auf die queere Community von allen Seiten - von Trump bis Macron - haben diese Illusion zerstört. Der sogenannte “Rainbow Capitalism” neigt sich dem Ende zu. Aber warum?

Marxist*innen wie Trotzki, Lenin oder Zetkin haben schon vor 100 Jahren herausgearbeitet, dass das kapitalistische System in der Krise unfähig ist, langfristig bürgerlich-demokratische Rechte sicherzustellen. Deshalb braucht es den Kampf um eine grundlegende Systemveränderung, um diese Rechte zu sichern. Das ist ein zentraler Aspekt von Trotzkis Theorie der “permanenten Revolution”. Schon Marx schrieb: "Nicht die radikale Revolution ist utopischer Traum [...], nicht die allgemein menschliche Emanzipation, sondern vielmehr die teilweise, die nur politische Revolution, die Revolution, welche die Pfeiler des Hauses stehenläßt." Das gilt heute besonders für queere Befreiung. Ein Kapitalismus in der Krise ist stärker auf Konkurrenz, Spaltung, aber auch rechte Kräfte angewiesen. Die Krise im Care-Bereich macht es notwendig, dass mehr solche Arbeit zuhause geschieht - was traditionelle und damit queerfeindliche Geschlechterrollen stärkt. Die militaristische Zuspitzung stärkt Geschlechterrollen von Männern, die das Land verteidigen und Frauen, die künftige Soldat*innen und Arbeitskräfte gebären sollen. Der Kapitalismus in der Krise schafft überall die Grundlage für die Fortsetzung traditioneller Geschlechterrollen und damit der Diskriminierung. Eine echte queere Befreiung kann es nur durch eine Überwindung des Kapitalismus geben. Aber das bedeutet nicht, dass die Kämpfe gegen die Unterdrückung warten können - im Gegenteil: der Kampf um queere Befreiung ist ein essentieller Teil des Kampfes der gesamten Arbeiter*innenklasse um eine sozialistische Alternative. 

 

Pride is a protest!

von Christina Schilcher

Zu feiern haben wir noch nichts - denn wie bereits Marsha P. Johnson (wichtige LGBTQIA+-Aktivistin rund um den Stonewall-Aufstand 1969) sagte: "Keinen Stolz (“Pride”) für einige von uns ohne Befreiung für uns alle.”

Aufgrund all der jüngsten Entwicklungen sehen wir aktuell wieder eine stärkere Politisierung vor allem unter jungen Pride-Teilnehmer*innen. In Zeiten, in denen die herrschende Klasse auf Spaltung setzt, um die Arbeiter*innenklasse zu schwächen, muss es unsere Aufgabe sein, uns solidarisch zu zeigen und gemeinsam gegen jede Form von Unterdrückung zu kämpfen. 

Wir müssen Kämpfe verbinden - z. B. den Kampf um queere Rechte mit dem Kampf um die Ausfinanzierung des Gesundheitssystems, um u. a. den Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen, aber auch zu kostenloser psychologischer Betreuung sicherzustellen. Denn vor allem queere Personen brauchen aufgrund der spezifischen Unterdrückung, die sie erfahren, oft psychologische Hilfestellungen, und Kürzungen in diesem Bereich treffen sie oft besonders hart. LGBTQIA+-Personen müssen außerdem höhere Hürden überwinden, um Zugang zu angemessener Gesundheitsversorgung zu erhalten - denn auch in diesem Bereich werden sie häufig diskriminiert. Es braucht mehr Budget und mehr Personal, aber auch Schulungsmaßnahmen für den Gesundheitsbereich, um für alle eine gute, hochqualitative Gesundheitsversorgung gewährleisten zu können.

Aufgrund der weltweiten Angriffe auf körperliche Selbstbestimmung ist es wichtig, global für die körperliche Selbstbestimmung aller Menschen zu kämpfen - für den flächendeckenden und kostenlosen Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen, hürdenlosen Zugang zu Hormonersatztherapie und Pubertätsblockern für trans-Personen und Jugendliche usw. Genderqueeren Personen werden in vielen Ländern Hürden in den Weg gelegt, um z. B. ihr legales Geschlecht oder ihren Vornamen ändern zu lassen. In Österreich braucht man hierfür eine medizinische Diagnose, die drei Gutachten erfordert - dieser Prozess nimmt oft Jahre in Anspruch und erfordert, dass man von den involvierten Ärzt*innen als “trans genug” angesehen wird. Ist dies nicht der Fall, kann der Zugang zu geschlechtsangleichenden Maßnahmen verwehrt werden. Nicht-binäre Personen in Österreich müssen aktuell die Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität einklagen. Die Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes nach Vorbild von Deutschland würde den Prozess der Änderung des legalen Geschlechts erheblich erleichtern und Hürden verringern - ein wichtiger erster Schritt. Bauen wir für diese Forderungen gezielte Mobilisierungen - auch abseits des Pride-Monats - auf!

Queere und migrantische Personen sind aufgrund ihrer Umstände häufig von Armut und unsicheren Wohnverhältnissen betroffen - wir müssen daher auch die Forderung nach leistbarem sozialem Wohnraum und einem Einkommen, von dem man leben kann, in den Kampf tragen. Personen, die von mehrfacher spezifischer Unterdrückung betroffen sind, leiden oft noch mehr unter den ausbeuterischen und diskriminierenden Mechanismen des Kapitalismus. Anti-Rassismus muss daher ein wichtiger Faktor bei den kommenden Prides sein.

Wie kämpfen?

Ein Beispiel, wie es aussehen kann, verschiedene Kämpfe zu verbinden, sehen wir am Queer Liberation March, der 2020 in New York stattfand. Unsere US-Schwesterorganisation “Socialist Alternative” war Teil dieser Allianz und nahm mit einer Delegation gewerkschaftlicher Aktivist*innen aus dem Bereich Pflege, Automobilindustrie, Handel, Transport und Lehrer*innen teil. Es waren auch Beschäftigte - darunter auch “Socialist Alternative”-Aktivist*innen - der AIDS-Hilfe-Einrichtung “Housing Works” zentral an der Organisation dieser Pride beteiligt. Diese hatten sich zuvor erfolgreich für die gewerkschaftliche Organisierung ihres Arbeitsplatzes eingesetzt.

Nur wenn wir es schaffen, Kämpfe zu verbinden, und gemeinsam für eine echte Veränderung im Sinne einer sozialistischen Systemalternative kämpfen, können wir gleiche Rechte und echte Befreiung für alle Menschen erreichen. Nutzen wir die Pride (und andere Aktionstage), um unsere Forderungen auf die Straße zu tragen, und machen wir klar, dass wir bereit sind zu kämpfen und keine Ruhe geben werden, bis wir ein gutes und sicheres Leben für alle erreicht haben!

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Drag Queen Lesung in Linz gegen MFG verteidigen - Gemeinsam gegen jeden Angriff auf uns!

Wir dokumentieren hier den ROSA-Aufruf für die Protestaktion zur Verteidigung der Drag Queen Lesung gegen die Mobilisierung der MFG am 11.11.2023 in Linz

Bild von der Aktion am 11.11.2023 in Linz

Die MFG ruft heute zu einer Kundgebung gegen eine Drag Queen Lesung im OK auf. Sie sehen “Kindeswohl gefährdet”, aber meinen damit, dass das Leben und die Kultur von LGBTQI+ keinen Platz in unserer Gesellschaft haben darf. Gleichzeitig haben sie Abgleitflächen zu Rechtsextremen und kein Problem gemeinsam mit den neofaschistischen „Identitären“ zu marschieren, die eine Bedrohung für alle nicht-weißen und queeren Menschen sind. So ist es eine Frechheit, dass die Polizei zulässt, dass hier heute Besucher*innen und queere Menschen direkt vor dem Veranstaltungsort von Rechten angefeindet und beschimpft werden.

Schon in Wien haben Corona-Leugner*innen, die FPÖ, die „Identitären“ und andere Rechtsextreme gegen Drag Queen Lesung mobil gemacht. Wohin diese Hetze gegen LGBTQI+ führt sehen wir in den USA: in unzähligen Bundesstaaten wurden bereits transfeindliche Gesetze eingeführt und alleine letztes Jahr mind. 32 trans-Personen ermordet.

Jetzt Bewegung gegen Homo- und Transphobie aufbauen!

Dieser weltweiten rechten Offensive, die genauso Migrant*innen und Frauen angreift, müssen wir von Anfang an Widerstand entgegensetzen. Denn ein Angriff auf eine (Gruppe), ist ein Angriff auf uns alle! Die Rechten - ob Nazis auf der Straße oder bürgerliche Parteien in den Regierungen - versuchen insgesamt Repression und Unterdrückung zu erhöhen, demokratische und soziale Rechte abzubauen und von den zahlreichen Krisen dieses Systems abzulenken. Wenn es enger wird, hat der Kapitalismus wieder mehr Interesse daran, dass “alle so funktionieren wie sie sollen” – z.B. soll Frauen die Care-Arbeit machen, Kinder kriegen usw. Alles, was mit dieser Rollenzuteilung bricht, muss bekämpft werden.

Darüber hinaus fürchten sich die Herrschenden vor einer immer stärker wachsenden und radikaleren LGBTQI+- und Frauenbewegung, deren Systemkritik und Widerstand gegen Ungleichbehandlung und Gewalt eine Gefahr für sie darstellt. Denn der Kapitalismus - wo Macht-erhalt und Profite immer wichtiger sein werden als Menschenleben - kann uns keine sichere Zukunft bieten, deshalb müssen wir mit diesem System brechen.

Wir fordern:

- Volle Rechte für LGBTQI+, Frauen, People of Colour und Migrant*innen!

- Ausbau und Finanzierung von Gewaltschutz, Bildung Gesundheitsversorgung und sozialen Diensten!

- Queerinklusive Sexualaufklärung ab dem Kindergarten!

- Leistbaren Sozialen Wohnbau, gute Arbeitsplätze und ein Einkommen, von dem man leben kann!

Dafür müssen wir uns organisieren - lokal und international!

-> Gründen wir Aktionsgruppen, um Proteste zu organisieren, Forderungen zu diskutieren und Mobilisierungen zu starten!

-> Bauen wir eine Bewegung auf, die jeden Angriff auf uns, unsere Rechte und den Abbau von sozialen Leistungen zurückschlägt!

-> Nutzen wir Aktionstage, wie den intern. Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt (25.11.), den intern. Frauentag (8. März) und die Prides im Juni, um unsere Forderungen auf die Straße zu tragen und klar zu machen, dass wir bereit sind dafür zu kämpfen!

-> Bringen wir die Gewerkschaften dazu, diese Themen in den Betrieben zu diskutieren und sich an den Kämpfen für die Rechte von LGBTQI+ und Frauen zu beteiligen!

-> Lassen wir uns nicht mit Lippenbekenntnissen oder Kompromissen abspeißen! Wir werden erst Ruhe geben, wenn wir ein gutes und sicheres Leben für alle erreicht haben!

-> Kämpfen wir auf jeder Ebene gegen ein System, das uns ausbeutet, spaltet und unterdrückt! Für eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen Chaos!

Schließ dich dafür der internationalen sozialistisch-feministischen Initiative ROSA an! Komm zu unseren Treffen und mobilisiere mit uns für den 25.11. Jeder Beitrag ist wichtig!

"Eine Säule der Stärke" - Kämpfe gegen Unterdrückung und der revolutionäre Prozess

Dem Marxismus wird oft fälschlicherweise nachgesagt, dass er sich nicht mit verschiedenen Formen der Unterdrückung auseinandersetzen würde. Das ist ein Missverständnis.
von Laura Fitzgerald (ISA in Irland)

übersetzt aus dem Englischen, zuerst veröffentlicht auf socialistparty.ie am 22. Juni 2023

 

Reflexionen: Marxismus und Unterdrückung

"Wir müssen den Kampf des politisch unterdrückten und unfreien weiblichen Geschlechts in den breiten Kurs der proletarischen Befreiung einbinden, genauso wie den der unterdrückten Völker und Nationalitäten. Die Forderung nach völliger politischer Gleichberechtigung der Frauen vor dem Gesetz und im täglichen Leben wird zum Ausgangspunkt und zur tragenden Säule des proletarischen Kampfes um die politische Macht... Diese Forderung [nach Gleichberechtigung der Frauen] bedeutet viel mehr als die Beseitigung überkommener Vorurteile, Sitten und Traditionen; viel mehr als die Beseitigung männlicher Privilegien. Sie wird zu einem Kampf gegen die bürgerliche Klassenherrschaft und den bürgerlichen Klassenstaat und verschmilzt mit dem Vorwärtsdrang des Proletariats zur Erringung der Staatsmacht." (1)

Dies ist ein Zitat der sozialistischen Feministin Clara Zetkin, einer Gigantin der marxistischen Bewegung, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert in Deutschland und international eine entscheidende Rolle spielte. Die Formulierung aus dem Jahr 1921 mag veraltet sein, aber der darin enthaltene vorausschauende Kern ist so aktuell und dringend wie nur möglich. Analysieren wir ihn in zeitgenössischen Begriffen.

Zetkin plädiert dafür, dass Sozialist*innen sich bemühen sollten, den feministischen Kampf anzuführen, dem sie strategische Bedeutung beimisst. Indem sie feministische Forderungen nahtlos in die Arbeiter*innenbewegung einordnet, sieht Zetkin sie in einen "Kampf gegen die bürgerliche Klassenherrschaft" münden - einen sozialistischen Kampf gegen die Klassengesellschaft, den Kapitalismus und die kapitalistische herrschende Klasse. Darüber hinaus verleiht dieser Prozess dem revolutionären Prozess der Arbeiter*innenklasse selbst neuen Wert und Auftrieb. Die Verfolgung dieses Ansatzes wird sich als eine "Säule der Stärke" für die Arbeiter*innenbewegung erweisen. Zetkin nahm kein Blatt vor den Mund.

Dem Marxismus wird oft fälschlicherweise vorgeworfen, er rechne nicht mit verschiedenen Formen der Unterdrückung; er sei von Natur aus "klassenreduktionistisch" - er würde die Klassenausbeutung über andere Formen der Unterdrückung wie Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit stellen und damit die Bedeutung dieser abschwächen, wenn nicht gar ignorieren. Dies ist ein Irrtum, wie wir im Folgenden zeigen werden, ungeachtet der Fehler vieler linker Traditionen in dieser Frage. Tatsächlich haben wir als ISA eine Analyse über die Mängel in unserer eigenen Tradition in Bezug auf den Kampf gegen die Unterdrückung verfasst, mit dem Ziel, diese zu korrigieren. Während die ungeheuerlichsten Ansätze zu Fragen von Unterdrückung im linken Reformismus, in den konservativen Gewerkschaftsbürokratien und in der stalinistischen Tradition zu finden sind, ist es nicht so, dass es nicht immer noch selbsternannte trotzkistische Gruppen gibt, die in einer Art und Weise über "Identitätspolitik" schimpfen und toben, die wie ein rechtes Argument klingt und dem Marxismus weiterhin einen schlechten Ruf einbringt. In dieser falschen Version des Marxismus wird behauptet, die "Identitätspolitik" sei das wichtigste Spaltungsinstrument der herrschenden Klasse, und nicht etwa Sexismus, Rassismus, Transphobie usw.

Der Marxismus ist eine Philosophie, die optimistisch und humanistisch für einen vereinten, globalen Kampf der Arbeiter*innenklasse gegen den Kapitalismus eintritt - eine selbstbefreiende Vision und Perspektive für die Ausgebeuteten und Unterdrückten selbst, um sich gegen die kapitalistische Klassenherrschaft zu erheben. Sie plädiert für die Dringlichkeit und Notwendigkeit, einen entschlossenen Kampf aufzubauen, der nicht nur den Reichtum, die Ressourcen und die Industrie der Gesellschaft aus den privaten Händen nehmen kann, sondern sich auch gegen den kapitalistischen Staat wendet, der den Status quo schützt. Durch diese demokratische Bewegung der Massen von unten muss eine Alternative zum Staat aktiv aufgebaut werden. Eine solche revolutionäre Perspektive für einen Bruch mit dem Kapitalismus - in deren Mittelpunkt die einzigartige Kraft einer vereinten, von sozialistischer Politik durchdrungenen Arbeiter*innenbewegung steht - ist der Kern des Marxismus.

Dieser revolutionäre Prozess und diese vereinte sozialistische Arbeiter*innenbewegung ist eng und untrennbar mit dem Kampf gegen Unterdrückung verbunden. Ein revolutionärer Prozess, der sich ohne den Kampf gegen jede Form der Unterdrückung entfaltet, ist undenkbar - ein Ding der Unmöglichkeit. Die Radikalisierung, das soziale Ferment und der Impuls für die Arbeiter*innenbewegung - im Sinne Zetkins -, die sich aus den Kämpfen gegen Unterdrückung ergeben, sind ein wesentlicher Bestandteil des revolutionären Prozesses. Unterdrückung ist ein Werkzeug der kapitalistischen Herrschaft. Daher muss sie als Teil jeder Bewegung, die den Kapitalismus wirklich bekämpft, in Frage gestellt werden. Darüber hinaus kann die Arbeiter*innenbewegung nicht nur am Arbeitsplatz kämpfen, wenn sie die kapitalistische Klasse und das kapitalistische System erfolgreich herausfordern und besiegen will - um die Macht als Ganzes herausfordern zu können, muss sie in der Lage sein, alle Facetten des gesellschaftlichen Lebens einzubeziehen.

Bei einem marxistischen Ansatz zur Bekämpfung von Unterdrückung geht es niemals darum, weniger feministisch oder weniger antirassistisch zu sein, wenn es darum geht, Klassenunterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen. Es geht darum, die Kämpfe gegen Unterdrückung in jeder Hinsicht zu stärken und sie gleichzeitig in einer Perspektive zu verwurzeln, die wahre, vollständige und dauerhafte Freiheit gewinnen kann. In diesem Beitrag soll versucht werden, 1. einige Merkmale eines marxistischen Ansatzes zur Bekämpfung von Unterdrückung zusammenzufassen, 2. die Probleme einer liberalen Strategie zur Bekämpfung von Unterdrückung zu beleuchten und 3. die Vorstellung zu widerlegen, dass der Marxismus “klassenreduktionistisch” sei, also Forderungen und Kämpfe gegen Unterdrückung zurückweisen, “hinten anstellen”, würde.

Merkmale eines marxistischen Ansatzes zur Bekämpfung von Unterdrückung

Wir werden versuchen, einen marxistischen Ansatz zur Bekämpfung von Unterdrückung mit folgenden Punkten zusammenzufassen: a) eine Analyse der Wurzeln der Unterdrückung b) die Anerkennung der Verflechtung von Unterdrückung und Ausbeutung c) Selbstermächtigung und d) “immer bewusst, immer kämpferisch”.

a. Analyse der Wurzeln der Unterdrückung und Konzentration auf die Förderung des Kampfes gegen diese Unterdrückung

Kurz gesagt, Unterdrückung in all ihren Formen ist im Kapitalismus verwurzelt und wird von ihm reproduziert: ein von Natur aus patriarchales, rassistisches, ökologisch zerstörerisches und unterdrückerisches System. Die geschlechtsspezifische Unterdrückung hat ihre Wurzeln in den Anfängen der ersten Klassengesellschaften. Der Rassismus hat eine viel kürzere Lebensspanne in der Geschichte, da er untrennbar mit der Entwicklung des Kapitalismus und des Imperialismus verbunden ist. Während sich der Kapitalismus zunächst in Europa entwickelte, lag die endlose Expansion auf der Suche nach neuen Märkten, Ressourcen und Arbeitskräften in der Natur des Systems. Dies bedeutete die Kolonisierung Afrikas und Asiens, die ethnische Säuberung der indigenen Völker Amerikas und die Schrecken des atlantischen Sklav*innenhandels. Diese Grausamkeiten wurden im Interesse des Profits begangen, machten aber auch eine Kategorisierung der Menschen nach dem neuen Kriterium der nach der Rassentheorie erfundenen “Rassen” erforderlich.

Rassismus ist auch heute noch ein mächtiges ideologisches Instrument zur Spaltung und Beherrschung der Arbeiter*innenklasse und zur Rechtfertigung der anhaltenden Ausbeutung des globalen Südens. Migrantisierte Menschen in Europa und Nordamerika sind systematischer staatlicher Unterdrückung ausgesetzt und konzentrieren sich in den ausbeuterischsten Sektoren der Wirtschaft, was alles dem System zugute kommt. Diese und andere Formen der Unterdrückung wurden durch den Kapitalismus vertieft und reproduziert.

Ein marxistischer Ansatz zur Bekämpfung von Unterdrückung muss stets die Wurzeln der Unterdrückung im Kapitalismus im Auge behalten, einem System, das auf der strukturellen Ausbeutung der Arbeiter*innen und der Armen - der großen Mehrheit der Gesellschaft - und der Natur beruht, um einer winzigen Elite Profite zu verschaffen. Es bedeutet, eine klare Vorstellung von der Art des sozialistischen Kampfes und Wandels zu haben, die notwendig sind, um die Unterdrückung zu beenden; es bedeutet, dieses Verständnis bewusst in jede Handlung einfließen zu lassen; es bedeutet, zu verstehen, wer unsere Feinde sind - die Kapitalist*innenklasse und ihr System, einschließlich der Staaten, die ihre Herrschaft aufrechterhalten, und wer unsere potenziellen Verbündeten sind - die Ausgebeuteten und Unterdrückten der Welt, die ein gemeinsames Interesse daran haben, das System, das Unterdrückung hervorbringt, zu beenden. Beim Aufbau unserer Kämpfe gegen Unterdrückung müssen wir versuchen, eine möglichst breite Bewegung gegen alle Formen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung aufzubauen, aber mit dem klaren Auftrag, zusammenzuhalten und die Führung für einen Ansatz und ein Programm zu gewinnen, das im Antikapitalismus, im Sozialismus und in der Einheit der Arbeiter*innenklasse im Kampf für diese Ziele wurzelt.

b. Erkennen der Verflechtung von Unterdrückung und Ausbeutung

Wie Marx' tiefgreifende Analyse des Kapitalismus gezeigt hat, ist die Ausbeutung der Arbeiter*innen der zentrale Baustein des Kapitalismus. Die Profite sind die unbezahlte Arbeit der Arbeiter*innenklasse. Kapitalist*innen entlohnt Arbeiter*innen gerade so viel für ihre Arbeitskraft, dass sie ihre Arbeitskraft reproduzieren können. Die Arbeitskraft der Arbeiter*innen produziert jedoch mehr Wert als sie kostet - einen Mehrwert, den Kapitalist*innen an sich reißen. Die Quelle des kapitalistischen Profits ist somit die Fähigkeit, den Arbeiter*innen weniger als den vollen Wert ihrer Arbeitskraft zu zahlen, d. h. sie auszubeuten. Diese Ausbeutung ist ein inhärenter Widerspruch des Kapitalismus, der die Ungerechtigkeit und Ungleichheit im Kern des Systems untermauert. Das bedeutet aber auch, dass die Arbeiter*innen von Natur aus mit einem Machtpotential ausgestattet sind. Eine organisierte Arbeiter*innenbewegung hat die besondere Macht, das System, das die Klassenherrschaft aufrechterhält, im Kern zu treffen.

Hinter diesem zentralen Widerspruch des Kapitalismus verbirgt sich die geschlechtsspezifische und patriarchale Ungleichheit des Kapitalismus und ist in diesen integriert. Das System setzt die Geschlechtertrennung und rückständige Geschlechterrollen voraus, auch wegen der unbezahlten und unterbezahlten Reproduktionsarbeit, die die Arbeitskräfte für den Kapitalismus reproduziert und hauptsächlich von Frauen aus der Arbeiter*innenklasse verrichtet wird. Diese Arbeit findet oft innerhalb der Grenzen der patriarchalen Familienstruktur des Kapitalismus statt, aber auch innerhalb der bezahlten Arbeitskräfte - vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen, also in Bereichen, die von Frauen dominiert werden. Oxfam hat den Wert der unbezahlten Arbeit von Frauen und Mädchen weltweit auf 10,8 Billionen Dollar pro Jahr geschätzt, was mehr als doppelt so schwer ist wie die globale Tech-Industrie.

Ohne die Reproduktion der Arbeitskräfte kann kein Gewinn erzielt werden. Auf diese Weise treiben die Unterdrückung der Geschlechter und die Auferlegung eines rückständigen Geschlechterbinarität nicht nur ungebunden im und um das System herum, sondern sind untrennbar mit ihm verbunden - in diesem Fall aufgrund der Funktionsweise der miteinander verbundenen Produktions- und Reproduktionssphären.

In ähnlicher Weise ist die Ausbeutung der Natur, die im Kapitalismus verwurzelt ist - mit seinem räuberischen Bedürfnis nach Profitsteigerung um jeden Preis - ein aktueller und aktiver Reproduzent von Neokolonialismus auf globaler Ebene. Bei den derzeitigen Trends könnte die Zahl der Geflüchteten aufgrund des Klimawandels bis 2050 auf 1,2 Milliarden ansteigen - ein weiteres Zeugnis des rassistischen Kapitalismus. 

Unterdrückung - eine systemische Unterwerfung - überschneidet sich natürlich mit Ausbeutung und ist mit ihr verflochten. Pflegekräfte sind in geschlechtsspezifischer Weise unterbezahlt und unterbewertet - in diesem Fall aufgrund der allgemein geringen Wertschätzung dessen, was im Kapitalismus als "weibliche" Pflegearbeit angesehen wird. Außerdem werden sie als Arbeitskräfte ausgebeutet, COVID hat das besonders zum Vorschein gebracht. 

Diese Beispiele sind nur ein kleiner Einblick in die unzähligen Verflechtungen von Unterdrückung und Ausbeutung. Darüber hinaus führt die Wirkung der Unterdrückung auf die Betroffenen, zusammen mit der Klassenspaltung, zu einer verstärkten Radikalisierung und Politisierung, die diese Teile der Arbeiter*innenklasse und der Armen in die vorderste Reihe des Kampfes bringen kann. Sie gehören daher meistens zu den Ersten, die weitreichende, radikale und revolutionäre Schlussfolgerungen ziehen.

c. Selbstermächtigung

"Die Wahrheit, die selbst von denjenigen, die der Frau Gutes tun wollen, nicht vollständig anerkannt wird, ist, dass sie sich wie die Arbeiter*innenklasse in einem unterdrückten Zustand befindet; dass ihre Position, wie die der Arbeiter*innenklasse, eine gnadenlose Erniedrigung ist. Die Frauen sind die Geschöpfe einer organisierten Tyrannei der Männer, wie die Arbeiter*innen die Geschöpfe einer organisierten Tyrannei der Kapitalist*innen sind. Selbst wenn man dies begriffen hat, darf man nicht müde werden, auf dem Nichtverstehen zu beharren, dass für die Frauen wie für die werktätigen Klassen im gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft keine Lösung der sich stellenden Schwierigkeiten und Probleme wirklich möglich ist. Alles, was getan wird, und sei es mit noch so viel Trompetengeklimper, ist eine Linderung, keine Abhilfe. Beide unterdrückten Klassen, die Frauen und die unmittelbaren Produzent*innen, müssen begreifen, dass ihre Emanzipation aus ihnen selbst kommen wird."

Eleanor Marx, Tochter von Karl Marx und bahnbrechende revolutionäre Sozialistin, die mit jeder Faser ihres Wesens für die Politik ihres Vaters kämpfte und versuchte, feministische Forderungen und Kämpfe in die frühe Arbeiter*innen- und sozialistische Bewegung zu integrieren. Als geliebte und legendäre Anführerin der Arbeiter*innenklasse - eine Organisatorin von Hafenarbeiter*innen, Industriearbeiter*innen und Bergleuten -, die 1890 auf der allerersten Maidemonstration in London eine Rede hielt, wurden Eleanor Marx' Radikalisierung und ihr politisches Denken in ihrer Kindheit und Jugend geprägt, als sie die koloniale Unterdrückung des irischen Volkes durch die britische herrschende Klasse verfolgte, darüber schrieb und sich dagegen einsetzte. In ihren Schriften, die sie bereits 1886 für ihren Lebensgefährten Edward Aveling (mehr über ihn später) verfasste, erkennt sie nicht nur den patriarchalen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise, sondern setzt sich auch ausdrücklich für die Selbstbefreiung der Frauen ein - und dasselbe gilt für alle Völker, die einer bestimmten Form der systemischen Unterdrückung ausgesetzt sind.

Diejenigen, die selbst unter einer bestimmten Form der Unterdrückung leiden, spielen eine zentrale Rolle im Kampf gegen diese Unterdrückung. Sie wissen besser als alle anderen, was es bedeutet, unterdrückt zu werden. Darüber hinaus ist die aktive Teilnahme an einem kollektiven Kampf eine radikalisierende und politisierende Erfahrung: Sie verändert oft das Bewusstsein für den systematischen Charakter der Unterdrückung, zerstört Illusionen in das System und veranschaulicht auf lebendige Weise die Notwendigkeit eines entschlossenen Kampfes und der Solidarität, um eine Veränderung zu erreichen. Dies kann diese Menschen in eine führende Rolle in der Arbeiter*innenbewegung insgesamt katapultieren - so wie die Frauen und queeren Menschen, die im September 2022 mit der sozialen Revolte "Frau, Leben, Freiheit" an vorderster Front gegen die iranische Diktatur kämpften.

Wenn Menschen, die von Unterdrückung betroffen sind, aktiv werden, um ihre eigene Unterdrückung zu bekämpfen, ist das positiv für die gesamte Arbeiter*innenklasse, auch für diejenigen, die diese Form der Unterdrückung nicht direkt erleben. Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Queerfeindlichkeit usw. sind an sich schon abscheulich und haben schädliche, manchmal tödliche Folgen für die Betroffenen. Sie sind nicht nur in das kapitalistische System selbst eingebunden und werden von diesem auf vielfältige Weise reproduziert, sondern sind auch wesentliche Instrumente der herrschenden Klasse, die eine Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten benötigt, um ihre Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Kollektive Bewegungen gegen Unterdrückung erkämpfen nicht nur mehr Rechte, sondern bekämpfen auch Spaltungen, Vorurteile und rückständige Ideen innerhalb der Arbeiter*innenklasse, die der Solidarität schaden. Die Explosion der Black-Lives-Matter-Bewegung, die nach der Ermordung von George Floyd in den USA am 25. Mai 2020 weltweit in Form von Massenprotesten auf die Straße ging, ist ein Beispiel dafür. Es war das erste Mal, dass breit angelegte antirassistische Proteste hier [in Irland] von PoC (People of Color), insbesondere von Jugendlichen, angeführt wurden. Diejenigen, die ihre Stimme erhoben, machten auf das Ausmaß des Rassismus aufmerksam. Die Realität, "schwarz und irisch" zu sein, und die Veranschaulichung des tiefen Schmerzes und der Entfremdung, die diejenigen empfinden, die jeden Tag gefragt werden: "Woher kommst du? Nein, woher kommst du wirklich?", wurde aufgrund der weit verbreiteten rassistischen Vorurteile in einer Weise in die öffentliche Diskussion eingebracht, wie es niemals möglich gewesen wäre, wenn sie nicht in erster Linie von denjenigen geführt worden wäre, die die Unterdrückung selbst erleben. Sie hatte eine tiefgreifende Wirkung und hat das Bewusstsein vieler Arbeiter*innen und junger Menschen dafür geschärft, sich stärker gegen Rassismus zu engagieren. In den USA brachte die BLM-Revolte im Juni 2020 nachweislich einen Sprung nach vorn in der öffentlichen Meinung - in den zwei Wochen der Proteste nach der Ermordung von George Floyd stieg die Unterstützung für die Bewegung landesweit um 17%.

In Polen zeigten Umfragen während der “Schwarzen Proteste” für Abtreibungsrechte im Jahr 2016, dass die Unterstützung für die Abtreibung im Kontext dieses Kampfes zugenommen hatte und in den folgenden Jahren trotz neuer verheerender Angriffe von rechts weiter zunahm. Eine unterdrückte Gruppe, die sich als Akteurin im Kampf erhebt, ihre Rechte einfordert und oft mit Zähnen und Klauen gegen dieselben kapitalistischen Regierungen kämpft, die den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiter*innenklasse im Allgemeinen angreifen, hat natürlich tiefgreifende Auswirkungen auf alle Ausgebeuteten und Unterdrückten, auch auf diejenigen, die diese Unterdrückung nicht direkt erleben.

Eine unterdrückte Gruppe, die im Kampf aktiv wird, kann manchmal mehr Rechte erringen, auch wenn dies keine größere Solidarität auslöst. Wenn eine unterdrückte Gruppe aktiv ihren Kampf vorantreibt, ruft dies in der Regel die Solidarität anderer Schichten auf den Plan - das haben die Wellen der Feminismus- und LGBTQIA+ - Rechte in den 2010er Jahren auf vielfältige Weise bewiesen; von den Bewegungen in Irland, die in Volksabstimmungen die Ehe für alle und Abtreibungsrechte durchsetzten, über die “Grüne Welle” für Abtreibungsrechte in Argentinien, die die aktive Unterstützung der Arbeiter*innenklasse aller Geschlechter hervorrief, bis hin zur Bewegung gegen Femizide, bei der 2021 die Arbeiter*innen in einer überwiegend männlich dominierten Autofabrik gegen Femizide im spanischen Staat auf die Straße gingen. Eine solche Solidarität vertieft und stärkt den Kampf.

Und um die Unterdrückung an der Wurzel zu packen, ist diese Solidarität nicht nur nützlich, sondern unerlässlich. "Sowohl die Frauen als auch die unmittelbaren Produzent*innen müssen verstehen, dass ihre Emanzipation aus ihnen selbst kommen wird", sagt Eleanor Marx. Die Arbeiter*innenklasse, vereint, politisch bewusst und sozialistisch organisiert, hat die besondere Macht, das Privateigentum am Reichtum im Herzen des Kapitalismus zu entwurzeln - diese Macht zu kanalisieren und sie mit jeder einzelnen Revolte an den vielfältigen Bruchlinien des Systems zu verflechten. Das ist die einzige Möglichkeit, das System, das die Unterdrückung aufrechterhält, ernsthaft und erfolgreich herauszufordern.

d. “Immer bewusst, immer kämpferisch”

In einem ernsthaften kämpferischen marxistischen Ansatz gibt es keinen Platz für Determinismus oder Fatalismus. Sein ganzes Wesen hängt davon ab, dass die Ausgebeuteten und Unterdrückten ihr Schicksal in einem bewussten Kampf selbst in die Hand nehmen. Dieser bewusste Kampf beinhaltet, dass diejenigen, die als Marxist*innen organisiert sind, immer nach Wegen suchen, wie jede unterdrückte oder ausgebeutete Gruppe im Kampf vorwärts kommen kann; dass sie diesen Kampf unterstützen, wo immer es möglich ist, um Siege zu erringen; dass sie die aktive Solidarität anderer ausgebeuteter und unterdrückter Gruppen mit diesem Kampf vertiefen, um seine Reichweite zu vergrößern und gleichzeitig das Klassenbewusstsein zu erhöhen; und dass sie immer versuchen, den Luftzug, den jeder kollektive Kampf für die in ihm Aktiven erzeugt, mit einer Zunahme derer zu füllen, die bewusst und als Teil der revolutionären sozialistischen Bewegung organisiert sind.

Der Ansatz "immer bewusst, immer kämpferisch" bezieht sich nicht nur auf die Frage, im Kampf voranzuschreiten, wo immer es möglich ist; er bezieht sich auch auf einen bewussten Kampf innerhalb der breiten Arbeiter*innenbewegung und innerhalb unserer eigenen politischen Organisationen der sozialistischen Linken, um das Bewusstsein zu schärfen und jede Spur von Vorurteilen zu bekämpfen, die Gift für die Solidarität sind. In der Tat ist dies etwas, dem wir zu diesem historischen Zeitpunkt besondere Aufmerksamkeit schenken müssen - wenn die feministische und queere Welle, die von den 2010er Jahren bis in die 2020er Jahre hinein wuchs, mit einem solchen rechten Gegenschlag konfrontiert wird. Die Angriffe auf die Errungenschaften von #metoo, Angriffe auf Transpersonen - sie alle müssen mit einer robusten Gegenreaktion beantwortet werden, auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung und aller linken Bewegungen.

Dieser Kampf innerhalb der Arbeiter*innenbewegung war etwas, worüber Lenin 1920 in einem Gespräch mit Clara Zetkin sprach:

“Leider heißt es noch bei vielen unserer Genossen: „Kratzt den Kommunisten, und der Philister erscheint.“ Natürlich muss man an der empfindlichen Stelle kratzen, an seiner Mentalität in puncto Frau. [..] Unsere kommunistische Arbeit unter den Frauenmassen, unsere politische Arbeit schließt ein großes Stück Erziehungsarbeit unter den Männern in sich ein. Wir müssen den alten Herrenstandpunkt bis zur letzten, feinsten Wurzel ausrotten. In der Partei und bei den Massen. Es gehört das zu unserer politischen Aufgabe, ebenso wie die dringend nötige Herausbildung eines Stabes von Genossinnen und Genossen, die, in Theorie und Praxis gründlich geschult, die Parteitätigkeit unter den werktätigen Frauen durchführen und leisten.”

Bereits 1902 machte Lenin in der bahnbrechenden Schrift "Was tun?" deutlich, was Klassenbewusstsein im Unterschied zu “trade-unionistischem Bewusstsein" wirklich bedeutet. Bei der Stärkung des Klassenbewusstseins plädiert Lenin dafür, dass sozialistische Arbeiter*innen "Volkstribunen" sein sollten, die sich gegen alle vom System verübten Ungerechtigkeiten aussprechen - unabhängig davon, welche Klasse davon betroffen ist -, um wirklich gegen das System zu agitieren und die Handlungsfähigkeit, das Bewusstsein und die Macht der Arbeiter*innenklasse aufzubauen.

Das sozialistische Projekt ist kein enges Projekt. Daraus folgt, dass jede verengte Sichtweise dessen, was das Bewusstsein und den Kampf der Arbeiter*innenklasse ausmacht - zum Beispiel eine Sichtweise, die diese entweder ausschließlich oder hauptsächlich auf Fragen der Löhne und Bedingungen auf betrieblicher Ebene beschränkt, oder irgendeine andere Version eines ökonomistischen Ansatzes - niemals ausreichen kann. Eine soziale Revolution ist der ultimative Akt menschlicher Kreativität, voller Versprechen, Potenzial und Hoffnung. Wie könnte eine marxistische Organisation, die etwas auf sich hält, vor diesem Hintergrund Fragen der Unterdrückung ausklammern? Wie könnte sie nicht versuchen, Teile der Arbeiter*innenklasse von den Vorurteilen und unterdrückerischen Praktiken zu befreien, die sie durch die vorherrschende kapitalistische Kultur, durch die sie konditioniert wurden, übernommen haben, wenn diese Organisation auf einen Bruch mit dem gesamten System hinarbeitet, der objektiv notwendig ist?

Jede zögerliche Herangehensweise an Fragen von Unterdrückung würde in eklatantem Widerspruch zu der Art von Veränderung stehen, die notwendig ist und würde in der Tat einen Mangel an Perspektive verraten. Ebenso wenig reicht ein Zick-Zack-Kurs im Engagement für den Kampf gegen Unterdrückung aus. Das ist keine abstrakte Frage. Noch ein Blick auf "Frau, Leben, Freiheit" im Iran an: eine revolutionäre Bewegung, die durch einen Akt patriarchaler Staatsgewalt im September 2022 ausgelöst wurde, die in jeder Hinsicht von der Forderung nach der Freiheit von Frauen und queeren Menschen durchdrungen ist und die gesamte Arbeiter*innenklasse sowie das politische und soziale Leben erfasst. Sie ist ein lebendiges, atmendes, aktuelles Beispiel für die Bedeutung von Fragen der Unterdrückung bei der Gewinnung von Kämpfer*innen für ein Programm für sozialistische Veränderungen.

Der Ansatz "immer bewusst, immer kämpferisch" zeigte sich in der Praxis der Marxistinnen in der historischen Bewegung, die diesen Kampf in jeder Hinsicht verkörperten, einschließlich der Schaffung internationaler Strukturen und Konferenzen, um einen proletarischen Feminismus als wesentlichen Bestandteil der breiteren Arbeiter*innenbewegung zu organisieren und zu fördern. Die Erste Internationale Konferenz sozialistischer Frauen fand bereits 1907 statt, gemeinsam mit einer Konferenz der Sozialistischen Internationale, und begründete eine internationale Bewegung sozialistischer Frauen. Aus der Konferenz von 1910 ging der Vorschlag hervor, den Internationalen Frauentag (heute 8.März) einzuführen. Diese Aktivitäten für marxistische Frauen wurden von vielen ihrer konservativen männlichen Genossen oft mit Passivität, Gleichgültigkeit und manchmal mit Feindseligkeit beantwortet. Eine auf der Frauenkonferenz von 1907 verabschiedete Resolution griff dies ausdrücklich auf und stellte fest, dass

"Im Großen und Ganzen wurden die Beschlüsse der [Zweiten] Internationale in Bezug auf die Interessen und Rechte der Frauen nur in dem Maße umgesetzt, wie die organisierten sozialistischen Frauen die proletarischen Organisationen in jedem Land dazu zwingen konnten." (2)

Hier sehen wir, wie das selbstbefreiende Element eines marxistischen Ansatzes zur Bekämpfung von Unterdrückung mit dem Aspekt "immer bewusst, immer kämpferisch" verwoben ist. Es ist erwähnenswert, dass viele der marxistischen Frauen, die diesen Kampf aufnahmen, auch wichtige Fürsprecherinnen für die Beibehaltung einer revolutionären, antiimperialistischen Haltung waren, da der zunehmend reformistische Kurs so vieler führender Köpfe der Zweiten Internationale sie in brutalen Verrat abgleiten ließ, einschließlich des Versagens, sich dem Imperialismus des Ersten Weltkriegs entgegenzustellen.

Probleme mit einem liberalen Ansatz im Kampf gegen Unterdrückung

Ein liberaler Feminismus oder Antirassismus ist durch einen Ansatz definiert, der innerhalb der Parameter des kapitalistischen Systems funktioniert. Jeder liberale Ansatz zur Bekämpfung von Unterdrückung ist nicht in der Lage, diese Unterdrückung zu beenden, und neigt dabei oft dazu, sich mit dem unterdrückerischen Status quo in einer Weise zu arrangieren und Kompromisse zu schließen, die die Forderungen und Bedürfnisse der unterdrückten Gruppen im Kampf untergraben können. Sie verkennt die Bedeutung der kapitalistischen Klassenspaltung - entweder unter dem Gesichtspunkt der vielfältigen Hindernisse, mit denen sich Angehörige unterdrückter Identitäten, die der Arbeiter*innenklasse angehören, konfrontiert sehen, oder unter dem Gesichtspunkt der Anerkennung der Macht des vereinten Kampfes der Arbeiter*innenklasse, um gegen die kapitalistische Klasse und das kapitalistische System zurückzuschlagen. Ein liberales Bekenntnis zur persönlichen Freiheit ist oft durch eine individualistische Sichtweise definiert, die die Wurzeln der Unterdrückung im Kapitalismus und in der Klassengesellschaft nicht kennt oder bekämpft. Ein liberaler Ansatz neigt auch dazu, den kollektiven Kampf von unten zu vernachlässigen, mit dem Unterdrückung am wirksamsten bekämpft werden kann.

Clara Zetkin prangerte die "bürgerlichen Frauenrechtlerinnen" an - die Frauen der Elite, die in keiner Weise mit den Männern ihrer Klasse und dem System der Klassenherrschaft brachen. Sie war besonders scharf in ihren Argumenten, wenn die Agenda dieser Frauen mit den Interessen der Frauen aus der Arbeiter*innenklasse und armen Frauen kollidierten. Ein Beispiel dafür, wie sie mit den bürgerlichen Feministinnen und übrigens auch mit der zunehmend konservativen und reformistischen SPD-Führung aneinander geriet, war, als Zetkin sich weigerte, eine Petition mitzuzeichnen, die kleinlaut eine Ausweitung der demokratischen Versammlungsrechte für Frauen forderte, und zwar in einer Weise, die die Forderungen der gesamten Arbeiter*innen- und sozialistischen Bewegung nach umfassenderen Veränderungen in dieser Hinsicht ignorierte. Sie verglich deren zahmen, vor Kleinmütigkeit triefenden Appell mit der Denkweise bürgerlicher Feministinnen, die in ähnlicher Weise von ihrer elitären Blase konditioniert sind und ein Jahr zuvor eine abscheuliche Petition veröffentlicht hatten, in der sie für die Kriminalisierung von Sexarbeiterinnen eintraten.

Es ist offensichtlich, dass es innerhalb der feministischen und antirassistischen Bewegung Klassenunterschiede gibt. Zu den offenkundig klassenfeindlichsten Ansätzen gehören ein offen pro-kapitalistischer Feminismus oder pro-kapitalistischer Antirassismus, die eine (meist begrenzte) größere Vielfalt in den Chef*innenetagen riesiger Unternehmen begrüßen, die in ihren Betrieben Unterdrückung, Ausbeutung und Umweltkatastrophen aufrechterhalten; oder die diversere Vertretung in kapitalistischen Regierungen, die die Lebensgrundlagen der Arbeiter*innenklasse angreifen oder "feministische" Argumente zur Rechtfertigung des Imperialismus verwenden.

Zu dieser Liste können wir einen bürgerlichen, transfeindlichen "Feminismus" hinzufügen. Der "TERF-ismus" von J.K. Rowling und anderen - selbst eine superreiche Milliardärin - zielt zunehmend auf die Stärkung rückschrittlicher Geschlechterbinarität ab, was für das kapitalistische System sehr wichtig ist, da es sich immer mehr mit rechtsextremen Kräften verbündet, die die feministische und LGBTQIA+-Welle niederschlagen wollen und rassistische Hetze verbreiten. All diese Ansätze ähneln Versuchen von Vertreter*innen des Status Que, die Sprache oder Aspekte, die von Bewegungen gegen Unterdrückung aufgeworfen werden, zu übernehmen. Auf diese Weise sind sie ein klassenbewusster Versuch der herrschenden Klasseninteressen, Bewegungen zu lähmen oder zu unterdrücken.

In den aktiven Bewegungen gegen Unterdrückung gibt es jedoch auch, wenn auch mit vielen Widersprüchen, zwangsläufig liberale Ansätze zur Bekämpfung von Unterdrückung, auch unter vielen Aktivist*innen und Organisationen, die auch positive Eigenschaften haben können, die sogar von Zeit zu Zeit antikapitalistische Äußerungen machen können. Hier sind einige dieser Ansätze in Kurzform:

-> Die Ansicht, dass diejenigen, die die Unterdrückung nicht selbst erleben, nicht nur von der Unterdrückung profitieren, sondern auch ein Interesse daran haben, sie aufrechtzuerhalten. Es ist zwar offensichtlich wahr, dass nur diejenigen, die eine bestimmte Form der Unterdrückung erleben, verstehen können, wie sie sich anfühlt, aber jede implizite oder explizite Vorstellung, die von den relativen Vorteilen ausgeht, die ein Teil der Arbeiter*innenklasse gegenüber einem anderen Teil haben könnte, und die davon ausgeht, dass diese ein ureigenes Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Unterdrückung hätten, ist heimtückisch. Natürlich gibt es Vorteile, einige materieller Art, andere in Bezug auf den sozialen Status und die Selbstwahrnehmung, die Männern, Weißen und Cis-Personen aus der Unterdrückung erwachsen. Sie ändern jedoch nichts an dem übergeordneten Interesse von Menschen aus der Arbeiter*innenklasse, die diesen Gruppen angehören, sich gegen die Unterdrückung zu wehren, weil diese sie in ein System einbindet, das sie ebenfalls ausbeutet. Darüber hinaus ist jede Vorstellung, dass es in Teilen der Arbeiter*innenklasse ein Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung des Status Quo gibt, mit Illusionen in den Kapitalismus behaftet - ein System, das sich im Zerfall befindet und immer weiter in die ökologische Katastrophe stürzt, unfähig, die Bedürfnisse der großen Mehrheit der Menschheit zu befriedigen. Die Wahrheit ist, dass es im dringenden Interesse der Arbeiter*innenklasse im weitesten Sinne liegt, sich zusammenzuschließen, um dieses System zu zerschlagen.

-> Darüber hinaus ist jeder Rest dieses liberalen identitätspolitischen Ansatzes schädlich für die objektiven Bedürfnisse von Bewegungen gegen Unterdrückung, die den Aufbau einer möglichst breiten Solidarität benötigen. Manchmal spiegelt sich dieser Ansatz in der Vorstellung wider, dass nur diejenigen, die direkt von einer bestimmten Unterdrückung betroffen sind, darüber sprechen sollten. Natürlich sollten diejenigen, die die Verwüstungen derselben erfahren, die zentralen Stimmen in jeder Bewegung sein, wenn es um ihre Themen geht, aber tatsächlich müssen wir dringend die Solidarität vertiefen, den Kampf ausweiten - und diejenigen in der Arbeiter*innenbewegung, die beispielsweise homosexuell sind sind, auffordern, sich lautstark zur Unterstützung ihrer Trans-Geschwister zu äußern, oder dass homosexuelle Männer sich gegen toxische Männlichkeit aussprechen. Ja, das ist absolut notwendig, und es sollte in unseren Kämpfen gefördert werden. Eine Auswirkung dieses liberalen identitätspolitischen Ansatzes in der Praxis kann sein, dass Männer der Arbeiter*innenklasse sich nicht wirklich mit der Unterdrückung von Frauen usw. befassen müssen - sie gliedern Kämpfe gegen Unterdrückung aus, anstatt sie zu zentralen Anliegen der gesamten Arbeiter*innenbewegung zu machen.

-> Damit verbunden ist ein Pessimismus in Bezug auf das Potenzial der Klassensolidarität. Manchmal konzentriert sich diese begrenzte Veränderung auf das lobenswerte Bestreben, rückständige und unterdrückerische Haltungen zu ändern, aber dieses Bestreben ist zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht mit einem dynamischen Versuch verbunden ist, aktive Kämpfe und Bewegungen aufzubauen, die bewusst auf das System ausgerichtet sind. Und wenn es nicht mit einem umfassenden Programm und einer Perspektive zum Angriff auf das Privateigentum an Reichtum - die strukturellen Wurzeln von Unterdrückung und Ausbeutung - verzahnt ist. In anderen Fällen kann dieser Ansatz dazu führen, dass verschiedene Kämpfe voneinander abgeschottet werden, was dann oft in eine sehr liberale und auf Repräsentation basierende Politik zurückfällt.

-> Eine identitätsbasierte statt einer marxistischen Sicht auf die Frage von “Klasse”: Manche betrachten die Zugehörigkeit zur Arbeiter*innenklasse als eine Identität, eine unter vielen anderen im Kapitalismus. Selbst diejenigen, die sich als Arbeiter*innenklasse identifizieren, können dies mit Stolz tun und eine bestimmte Kultur und Tradition annehmen, aber sie sehen die Arbeiter*innenklasse vielleicht nicht so, wie Marxist*innen es tun - als die Schöpfer*innen des Reichtums, der sich im Besitz der Kapitalist*innenklasse befindet. Infolgedessen wird die potenzielle befreiende Kraft einer geeinten, kämpfenden Arbeiter*innenklasse in ihrer ganzen Vielfalt, die mit allen Armen und Unterdrückten der Welt verbündet ist, untergraben.

-> Manchmal bewegen sich Gruppen und Aktivist*innen innerhalb der Bewegungen auf einer ultralinken/liberalen Achse, wobei sie Elemente eines liberalen identitätspolitischen Ansatzes beibehalten, aber auf widersprüchliche Weise neben radikaleren Ideen koexistieren. Damit meinen wir Positionen wie z.B., dass der Kapitalismus und unterdrückerische staatliche Institutionen wie Gefängnisse abgeschafft werden sollten - wichtige Ideen! - aber ohne eine klare Strategie, ein Programm und eine Perspektive, die in der Klassenpolitik verwurzelt sind, verfallen sie oft wieder in einen liberalen Ansatz. Viele derjenigen, die sich als “Abolitionist*innen” bezeichnen, sind ein typisches Beispiel für diesen Ansatz: Einerseits wird die Forderung nach Abschaffung der Gefängnisse in einer unverblümten Art und Weise vorgetragen, die den Anschein erweckt, als würde man diese Einrichtungen einfach über Nacht abschaffen können. Damit verschrecken wir unnötigerweise viele Menschen, die sich vielleicht Sorgen darüber machen, was das bedeuten würde. Doch immer wenn es um die Details geht, ist das, was tatsächlich vorgeschlagen wird, reformistisch und liberal - nämlich beispielsweise die schrittweise Übergabe einiger Polizeifunktionen an Sozialarbeiter*innen, ein Ansatz, der von der Illusion durchdrungen ist, dass das kapitalistische System und sein Staat freiwillig auf seine eigenen Repressionsapparate verzichten könnten.

Eines der Merkmale der anhaltenden feministischen Welle, die in den 2010er Jahren begann, ist, dass von den kämpferischsten, jugendlichen und aus der Arbeiter*innenklasse stammenden Elementen der Bewegung Impulse zur Überwindung liberaler identitätspolitischer Ansätze ausgingen. Dazu gehört die Erkenntnis, dass das gesamte System die geschlechtsspezifische Gewalt aufrechterhält, z. B. die Hymne "Der Vergewaltiger bist du", die in Chile entstand und sich direkt gegen die staatlichen Institutionen richtete - und der Versuch, einschränkende, kontraproduktive Ansätze wie "reine Frauenstreiks" oder Demonstrationen anzugreifen.

Manchmal wurde dies als die Forderung nach einer "intersektionalen" Bewegung formuliert. In Mexiko tun die jungen Menschen in der Ni Una Menos-Bewegung, die ihre Intersektionalität betonen, dies, um den Anti-Trans-”Feministinnen”, die in der Bewegung immer noch stark vertreten sind, einen trotzigen und wichtigen Gegenschlag zu geben. Die Forderung nach Intersektionalität, die von der Basis der Bewegungen kommt, ist oft auch ein Zeichen für die Ablehnung einer liberalen Identitätspolitik, die grob gesagt verschiedene unterdrückte und ausgebeutete Völker voneinander trennt und bestenfalls die Klassenspaltung außer Acht lässt.

Von Sojourner Truth, die 1851 ausrief "Ain't I A Woman?", über Claudia Jones, die 1949 über die "Superausbeutung" schwarzer, armer Frauen aus der Arbeiter*innenklasse schrieb, bis hin zum Combahee River Collective, das 1977 über die Notwendigkeit eines Ansatzes schrieb, der Klasse, Geschlecht, Sexualität und “Race” berücksichtigt: Schwarze Radikale und Feministinnen haben schon vor der Prägung des Begriffs "Intersektionalität" einen wichtigen Beitrag geleistet, um sicherzustellen, dass die Überschneidung von Rassismus und Geschlecht in der feministischen, antirassistischen und Arbeiter*innenbewegung berücksichtigt wird.

Das Konzept der Intersektionalität, nämlich dass sich verschiedene Unterdrückungen überschneiden und die Art und Weise, wie Unterdrückung erlebt wird, verändern, ist unbestreitbar. Die verstärkte und vielschichtige Unterdrückung, der Frauen of Color, vor allem aus der Arbeiter*innenklasse und aus armen Verhältnissen, ausgesetzt sind, ist ein deutliches Beispiel dafür. Es gibt unzählige herzzerreißende Beispiele dafür, aber wir können eines als Anhaltspunkt nehmen: die ungleichen Müttersterblichkeitsraten, denen Frauen of Color und ihre Babys ausgesetzt sind. In den USA, wo diese Zahlen seit Jahren gut dokumentiert sind, hat eine neue Studie die Kluft noch deutlicher gemacht. In einer groß angelegten Studie über Geburten in Kalifornien wurden massive Unterschiede in den Ergebnissen zwischen reichen und armen Patient*innen festgestellt. Allerdings war die Mütter- und Säuglingssterblichkeitsrate bei den einkommensstärksten schwarzen Frauen genauso hoch wie bei den einkommensschwachen weißen Frauen - was einen Einblick in die Tiefe des anti-schwarzen Rassismus gibt.

Mehr noch als die doppelte oder dreifache Unterdrückung findet das Konzept, dass verschiedene Unterdrückungen aufeinanderprallen und dabei etwas qualitativ anderes schaffen, bei denjenigen, die diese harte Realität erleben, großen Anklang, denn es klingt absolut wahr. Abgesehen davon ist Intersektionalität selbst jedoch begrenzt. Das Konzept an sich, das nicht notwendigerweise in einem bestimmten umfassenderen analytischen Rahmen oder einer Philosophie verwurzelt ist, ist äußerst formbar - und das ist problematisch. In der Realität kann es mit allen möglichen liberalen identitätspolitischen Ansätzen verbunden werden. Sie kann in einen postmodernen philosophischen Rahmen und in akademische Theorien eingebettet werden, die grundsätzlich mit einem Klassenstandpunkt kollidieren. Die Tatsache, dass sie so anpassungsfähig ist, macht sie offen für die Vereinnahmung durch die bürgerlichsten aller Kräfte. Kamala Harris, die als Staatsanwältin in San Francisco für ihre "Law-and-Order"-Politik berühmt wurde und für die Unterdrückung Arbeiter*innen of Color verantwortlich war, wurde von der New York Times allein aufgrund ihrer Identität als von Natur aus intersektional gefeiert, was einen Einblick in die heimtückischen Abgründe gibt, zu denen dies führen kann.

Marta E. Gimènez hat geschrieben, dass "Intersektionalität, die nicht an eine bestimmte theoretische Grundlage gebunden ist, offen für Kooptation, Transformation und vielfältige Interpretationen ist und so zu einer 'gemeinsamen Grundlage für alle Feminismen' wird, trotz großer Unterschiede zwischen Feministinnen". Indem sie eine marxistische feministische Kritik der Intersektionalität vorbringt, stellt sie scharfsinnig fest, dass:

"Obwohl die Intersektionalität die grundlegende Bedeutung der Klasse leugnen mag, haben die Phänomene, die sie betreffen, Geschlecht, “Race”, ethnische und andere Formen der Unterdrückung und Ungleichheit, kapitalistische Ursachen und erfordern eine marxistische theoretische Analyse; die Ausklammerung der Beziehung zwischen Klasse, sozioökonomischer Ungleichheit und Geschlecht, “Race” und anderen Quellen der Diskriminierung und Unterdrückung enthebt den Kapitalismus von der Verantwortung..." (Gimenez, Martha E., Marx, Frauen und kapitalistische soziale Reproduktion)

Kurz gesagt, Intersektionalität sagt nichts über die Wurzeln der Unterdrückung selbst aus, noch darüber, wie man sie beenden kann. Das singuläre Konzept der sich überschneidenden Unterdrückungen muss in einer breiteren marxistischen Analyse, Perspektive und Programmatik verwurzelt sein, um die radikalen, solidarischen und befreienden Impulse jener Arbeiter*innen- und Jugendbewegungen zu verwirklichen, die ihre Intersektionalität als Mittel zum Ausdruck bringen, um wirklich alle Formen der Unterdrückung zu beenden.

Von Marx und Engels bis heute - Marxismus und Unterdrückung

"Die Arbeiter*innen des Nordens haben endlich sehr gut verstanden, dass die Arbeit in der “weißen Haut” sich nicht emanzipieren kann, wo sie in der “schwarzen Haut” gebrandmarkt ist." (Marx, über den amerikanischen Bürgerkrieg 3)

Marx' Beschreibung einer Sexarbeiterin in einem populären zeitgenössischen Roman, Les Mystères de Paris, ist aufschlussreich:

"[Fleur de Marie hat] Vitalität, Energie, Fröhlichkeit, Elastizität des Charakters - Qualitäten, die allein ihre menschliche Entwicklung in ihrer unmenschlichen Situation erklären... Sie erscheint nicht als wehrloses Lamm, das sich der überwältigenden Brutalität widerstandslos ergibt; sie ist ein Mädchen, das seine Rechte verteidigen und sich wehren kann." (Marx über Geschlecht und Familie 4)

Seine Bewunderung für Fleur de Marie - ihre Moral und ihr Kampfgeist - geht einher mit seiner Verurteilung der Armut, des Sexismus und des frauenfeindlichen religiösen Moralismus, von denen sie unterdrückt wird. Engels hat, wie wir wissen, einen bahnbrechenden Text über die Ursprünge der Geschlechterunterdrückung geschrieben. Sein Vermächtnis ist so groß, dass selbst neue Bücher, die im Jahr 2023 (4) zum Thema der Wurzeln des Patriarchats verfasst werden, immer noch sein Werk als wichtigen Bezugspunkt haben. Engels verortete die Ursprünge der Frauenunterdrückung parallel zu den Anfängen der Klassengesellschaften mit der Entwicklung der Landwirtschaft um 10.000 v. Chr. Engels behauptete, dass der "primitive Kommunismus" der frühen Jäger- und Sammlergesellschaften zeige, dass das Modell der patriarchalen Familie, einschließlich der monogamen Ehe (wobei die Betonung auf der Monogamie der Frau und der Kontrolle ihres Körpers und ihrer Sexualität lag), nicht der natürliche Weg der Dinge war, sondern ein gesellschaftlich auferlegtes Mittel zur Weitergabe von Privateigentum durch eine männliche Linie.

Während 99% der Geschichte lebte die Menschheit in einer Vielzahl von Verwandtschaftsbeziehungen, in Gesellschaften, die kaum oder gar nicht zwischen privaten und öffentlichen Bereichen unterschieden. Diese früheren Gesellschaftsformen waren keine Utopie, und oft mussten die Menschen täglich ums Überleben kämpfen. Den meisten von ihnen war jedoch gemeinsam, dass sie egalitär waren und auf der Umverteilung von Gütern basierten - nach individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen. Eine systematische Ausbeutung von Mitmenschen oder der Umwelt war unbekannt.

Archäologische, historische und anthropologische Forschungen seit Engels belegen, dass erst mit der Entwicklung von Siedlungen, insbesondere mit den frühen Agrargesellschaften, Institutionen wie der Staat und die heterosexuelle Kleinfamilie entstanden sind. Dies bestätigt die revolutionäre These von Engels, dass es die Unterdrückung der Frau nicht immer gegeben hat - 99 % der Menschheitsgeschichte waren nicht patriarchalisch. Daher ist die geschlechtsspezifische Unterdrückung nicht unabänderlich und kann durchaus beendet werden. Die "historische Niederlage des weiblichen Geschlechts", von der Engels schrieb, mag insofern umstritten sein, als es sich um einen komplexeren und langwierigeren Prozess handelte, als diese Formulierung und einige von Engels' Argumenten vermuten lassen, aber die zentrale These ist nach wie vor solide und wichtig.

Natürlich gibt es Lücken und Probleme, aber jede Behauptung, dass Marx und Engels selbst die Unterdrückung nicht ernst genommen haben, kann durch ihre eigenen Schriften eindeutig widerlegt werden. Entscheidend ist außerdem, dass eine historisch-materialistische Analyse und Herangehensweise natürlich eine Analyse beinhalten muss, die die Unterdrückung in jeder Hinsicht vollständig und dynamisch einbezieht. In der Tat ist dies eine gewisse Prüfung für Revolutionär*innen. Die Wahrheit ist, dass die reformistische Linke und diejenigen, die aus einer stalinistischen linken Tradition kommen, diesen Test am ehesten nicht bestehen. Ein plumper Ökonomismus ist oft ein Kennzeichen dieser Strömungen.

Die russische Oktoberrevolution von 1917, die von den Bolschewiki angeführt wurde - ein revolutionärer Prozess, der von Frauen aus der Arbeiter*innenklasse und der armen Bevölkerung in Gang gesetzt wurde, die im Februar desselben Jahres auf die Straße gingen - hatte die Befreiung von Frauen und queeren Menschen als aktiven Bestandteil: Entkriminalisierung von Homosexualität, Abtreibung und Sexarbeiter*innen; allgemeines Wahlrecht; Scheidungsrechte; ein Projekt zur Einführung einer allgemeinen öffentlichen Kinderbetreuung, kollektiver Wäschereien und Küchen; feministische Arbeitsgesetze; und die bahnbrechende Arbeit der Zhenotdel - der von bolschewistischen Revolutionärinnen geleiteten Initiative, um die Bedingungen und den Aktivismus der Arbeiterinnen und armen Frauen innerhalb der Revolution weiter zu politisieren, zu stärken und zu fördern.

Es ist kein Zufall, dass Stalin Homosexualität und Abtreibung wieder unter Strafe stellte und diese Initiative abschaffte. So wie die Befreiung von Unterdrückung ein wesentlicher Bestandteil der Revolution der Arbeiter*innenklasse war, so war die Zerschlagung derselben für die stalinistische Konterrevolution von entscheidender Bedeutung.

Schlussfolgerung: Nichts Menschliches ist der Sache der Arbeiter*innenklasse fremd

In den 2010er Jahren entstand weltweit eine neue feministische und queere Bewegung, die Millionen von Menschen zum Kampf mobilisierte und wichtige Siege errang, darunter den Zugang zur Abtreibung in Irland, Argentinien, Südkorea und anderen Ländern, und die Forderungen nach Transrechten, einem Ende der geschlechtsspezifischen Gewalt und Femiziden erhob. Diese Entwicklung ging einher mit anderen wichtigen Kämpfen gegen Unterdrückung und Umweltzerstörung - der #BlackLivesMatter-Bewegung, die zu einigen der größten Mobilisierungen in der Geschichte der USA führte, und der internationalen Bewegung "Fridays for Future", bei der Millionen von Schüler*innen im September 2019 für Klimaschutzmaßnahmen streikten.

Von den politischen Entwicklungen in Südkorea, wo junge Männer gegen die "umgekehrte Diskriminierung" protestierten, als ein neuer Staatschef auf einem antifeministischen Wahlzettel sein Amt antrat, über die virale Frauenfeindlichkeit von Andrew Tate, bis hin zum backlash gegen #MeToo wie dem Johnny-Depp-Urteil und dem Tiefpunkt, dem Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA zur Aufhebung von Roe V. Wade waren die frühen 2020er Jahre von einer bösartigen antifeministischen und transfeindlichen Gegenreaktion geprägt, die darauf abzielte, Kämpfe gegen Unterdrückung und die Hoffnung, die sie mit sich brachten, zu zerschlagen. All dies ist mit einer wahnwitzigen Verschärfung von Transphobie und Rassismus verbunden, wobei die Politiker*innen des Establishments in ihrem lächerlichen, reaktionären und zunehmend repressiven "Krieg gegen den Wahnsinn" zunehmend die Argumente der extremen Rechten klauen. 

Das kapitalistische System befindet sich inmitten einer vielschichtigen Krise, wie sie in dieser Tiefe und Komplexität noch nie dagewesen ist. Und die antifeministische und transfeindliche Gegenreaktion kommt direkt aus diesem System, das sich im Verfall befindet, mit einer herrschenden Klasse, die mehr denn je die Spaltung der Ausgebeuteten und Unterdrückten braucht.

Karl Marx' Lieblingsspruch war "Nihil humani a me alienum puto" - "Nichts Menschliches ist mir fremd". Jede einzelne Ungerechtigkeit und Grausamkeit des kapitalistischen Systems ist ein Anliegen der Arbeiter*innenbewegung, die mit der objektiven potenziellen Macht ausgestattet ist, die Wurzeln dieser Ungerechtigkeit zu beseitigen. Der Kapitalismus als System enthält eine Vielzahl von Widersprüchen, einschließlich einer Vielzahl von Wiederholungen von Unterdrückung und Umweltzerstörung, die in und durch die Klassenbasis des Systems verwoben sind. Wir haben bereits die große Eleanor Marx und ihren Beitrag zum Marxismus und zum sozialistischen Feminismus erwähnt. Ihr Lebensgefährte Edward Aveling, mit dem sie den zitierten Text gemeinsam verfasste, behandelte sie mit einer patriarchalen Verachtung, der Missbrauch führte zu ihrem frühen Tod im Alter von nur 42 Jahren. Ein tragisches Beispiel dafür, warum der Kampf der Arbeiter*innenklasse es sich nicht leisten kann, die Verheerungen der Unterdrückung zu ignorieren.

Gerade als die antifeministische Gegenreaktion so düster ausfiel, kam es im Iran zu Ereignissen, die symbolisch dafür standen, dass die feministische Welle seit den 2010er Jahren eine neue und höhere Ebene erreicht hatte. Die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit!" hat im Iran einen revolutionären Feminismus hervorgebracht. Um diesen revolutionären Feminismus mit einem antikapitalistischen und sozialistischen Programm der Arbeiter*innenklasse zu verbinden, muss diese Gegenreaktion bekämpft werden. Die jugendlichen, hoffnungsvollen, lebensbejahenden, kreativen Massenbewegungen und Explosionen des Kampfes gegen die Verheerungen der Unterdrückung, die in den 2010er und 2020er Jahren Millionen von Ausgebeuteten und Unterdrückten auf allen Kontinenten auf die Straße brachten, waren inspirierend.

Die besten Traditionen des Marxismus weisen darauf hin, dass eine revolutionäre Bekämpfung des Systems nur durch eine revolutionäre Bewegung der Arbeiter*innenklasse möglich ist und Erfolg haben kann, und dass letztere ohne die Forderungen und Kämpfe der Unterdrückten, die untrennbar mit dieser Bewegung verbunden sind, unmöglich ist. Sie verleihen ihr besonderen Schwung, Dringlichkeit und Kraft.

 

Anmerkungen:

1. Zitiert in The Communist Women's Movement, 1920-1922, Proceedings, Resolutions and Reports (Ed. Taber, Mike, Dyakonova, Daria), 2023

2. Marx zitiert in Marx at the Margins, Anderson, Kevin B. (2016) S.114

3. Marx zitiert in Marx on Gender and the Family, Brown, Heather A. (2012), S.36

4. Siehe The Patriarchs: How Men Came to Rule, Saini, Angela (2023)

 

 

 

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