Mo 29.09.2025
Die ÖVP-SPÖ-NEOS-Regierung hat ein Kopftuch für unter 14-Jährige an Schulen beschlossen. Der Rechtsruck der gesamten etablierten österreichischen Politik könnte nicht deutlicher zutage treten: Das letzte Kopftuch-Verbot wurde 2019 von Schwarz-Blau unter Sebastian Kurz ohne die Stimmen der Opposition eingeführt – heute sind alle Parlamentsparteien für diese rassistische Maßnahme. Das ist auch das Ergebnis der nun beinahe zwei Jahre andauernden antimuslimischen Hetzkampagne im Zuge des Genozids in Gaza, die ebenfalls von der gesamten etablierten Politik vorangetrieben wird.
Es ist völlig klar, dass es bei dem Kopftuch-Verbot nicht um „Kindeswohl“ oder Schutz von Frauen geht. Es wurde komplett über die angeblich so schützenswerten Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen. Es ist nur der Gipfel des Zynismus, dass die ÖVP nun vorgaukelt, sie wolle „unmündige minderjährige Mädchen vor Segregation und Unterdrückung schützen“ – eine Partei, die historisch in jeder einzelnen Frage zu Kinder- und Frauenrechten auf der falschen Seite der Geschichte war! Es spricht jedoch ebenso Bände, dass die SPÖ inklusive der „feministischen“ Frauenministerin Holzleithner sich wie NEOS und Grüne in die rassistische Logik und Rhetorik einreiht, die die FPÖ schon seit Jahren so erfolgreich propagiert, dass sie nicht einmal in der Regierung sein muss, um ihre Forderungen umzusetzen.
Es geht ihnen nicht um Freiheit, sondern um Unterwerfung
Das Kopftuch-Verbot soll mit pseudo-fortschrittlicher Rhetorik legitimiert werden. Es ist dieselbe Rhetorik, die Rassismus, Kolonialismus und Imperialismus seit Jahrhunderten verwenden, um den von ihnen Unterdrückten jegliche Selbstbestimmung zu nehmen. Seien es Sprache, Akzent, Kleidungs- oder Essensgewohnheiten – nichts entgeht den selbsternannten „Zivilisatoren“. Dabei gehen sie nicht weniger patriarchal und unterdrückerisch vor als andere Spielarten des Patriarchats. Schon die Wortwahl von ÖVP-Integrationsministerin Plakolm ist verräterisch. Sie beschwert sich, dass das Kopftuch die „Sichtbarkeit“ von Mädchen einschränke. Sie spricht damit direkt einen Machtmechanismus des Rassismus an: Die Rassifizierten müssen „sichtbar“ sein – für den Staat und für die ihnen feindlich gesinnte Umgebung. Denn „sichtbar“ sein heißt: kontrollierbar sein, greifbar sein. Von Rassismus Betroffene wissen sehr genau, dass im Angesicht von staatlichem und alltäglichen Rassismus Sichtbarkeit eine Falle ist. Deswegen entsteht eine ähnliche Dynamik, wie sie die der antikoloniale Revolutionär und Psychoanalytiker Frantz Fanon am Beispiel des französischen Kolonialismus in Algerien analysiert: „Angesichts der Gewalttätigkeiten des Okkupanten wird der Kolonisierte dazu veranlasst, gegenüber einem bislang schlummernden Element des einheimischen kulturellen Zusammenhangs grundsätzlich Stellung zu beziehen. Der Wille des Kolonialisten, die Algerierin zu entschleiern, seine Herausforderung, um jeden Preis den Sieg über den Schleier zu erringen, verschaffen dem Gegenstand der Aggressivität eine neue Stütze."[1] Also: Die Politik will das Kopftuch nicht verbieten, weil es Mädchen und Frauen die Selbstbestimmung nehme – sondern im Gegenteil: weil es als Reaktion auf den strukturellen und alltäglichen Rassismus gerade auch als Akt der Selbstbestimmung gesehen wird. Eine Selbstbestimmung, die nicht geduldet werden darf.
Für die Aufrechterhaltung des bestehenden kapitalistischen Systems ist notwendig, Frauen auf die eine oder die andere Art patriarchal zu kontrollieren. Es ist also auch überhaupt kein Widerspruch, dass die ÖVP sich nun seelenruhig mit Taliban-Vertretern zusammensetzt, um diplomatische Beziehungen zu ihrem Regime aufzubauen: Die Patriarchen aller Länder vertragen sich prächtig, wenn es um die Aufrechterhaltung ihrer Macht geht. Als sozialistische Feminist:innen müssen wir daher jeden patriarchale Uterdrückung bekämpfen: Wir unterstützen die „Frau-Leben-Freiheit“-Bewegung der Frauen im Iran, die sich am Kopftuchzwang entzündete, und stellen uns hierzulande gegen jegliches Kopftuchverbot, das nur der rassistischen Unterdrückung dient.
Rassismus als Ablenkung
Das Kopftuch-Verbot ist also ein direkter rassistischer Angriff – nicht nur auf muslimische Mädchen, sondern auf alle Migrantisierten, die dem herrschenden Rassismus irgendeine Form von Selbstbestimmung entgegensetzen wollen. Das Gesetz funktioniert jedoch auch als Ablenkung. Einerseits ist es die klassische Sündenbock-Logik: Schuld an unterfinanzierten Schulen und überfüllten Klassenzimmern soll nicht die herrschende Politik sein, die währenddessen mit unserem Steuergeld die Profite der Reichen sichert – sondern migrantische Schüler:innen, also jene, die von den Zuständen an den Schulen am schlimmsten betroffen sind. Andererseits wurde das Kopftuch-Verbot gerade rechtzeitig zum Auftakt der Herbstlohnrunden veröffentlicht, während der Sozialkahlschlag aufgrund des budgetären Kürzungsdiktats im Gesundheits- und Sozialbereich anrollt. So wird die gesellschaftliche Debatte von Teuerung, Lohn- und Arbeitsdruck und Sozialabbau weggesteuert.
Der Verfassungsgerichtshof wird es nicht richten
Der letzte Versuch, ein solches Kopftuch-Verbot einzuführen, wurde vom Verfassungsgerichtshof gekippt – zu offensichtlich war die rechtliche Ungleichbehandlung. Es ist auch gut möglich, dass der neue Vorstoß auf eine ähnliche Weise gebremst wird. Das macht aber zum einen den bereits entstandenen Schaden nicht wett: vom Klassenzimmer bis zum Parlament hat der Vorstoß Rassist:innen ermutigt, während er von Rassismus Betroffene weiter einschüchtert. Zum anderen macht es den Verfassungsgerichtshof keineswegs zu einer antirassistischen Bastion – es zeigt nur, dass unterschiedliche Apparate des bürgerlichen Staats unterschiedliche Aufgaben haben, um die kapitalistische Herrschaft auszuüben und aufrechtzuerhalten. Der Verfassungsgerichtshof muss sozusagen auf die grundlegenden Parameter achten, die eine möglichst reibungsfreie kapitalistischen Normalzustand garantieren. Eine zu offensichtliche Benachteiligung einzelner Gruppen mag zwar kurzfristig für manche Fraktionen der Herrschenden profitabel sein, führt aber längerfristig zu Unruhe und Instabilität. Das alles hindert den Verfassungsgerichtshof selbstverständlich nicht, den rassistischen Normalzustand (Stichwort Staatsbürgerschaft) auf anderen Ebenen abzusegnen. Entwicklungen wie in den USA, Brasilien, Israel, Polen und Ungarn zeigen aber auch, wie der allgemeine Rechtsruck der bürgerlichen Politik vor dem Hintergrund der kapitalistischen Vielfachkrise ihre „vernünftigeren“ Institutionen untergräbt bzw. offen bekämpft: In der Epoche der autoritären Wende gerät auch die bürgerliche Gewaltenteilung ins Wanken, wenn Legislative und Exekutive die Judikative unter ihre Kontrolle bringen wollen.
Wir können uns also in keiner Weise auf Verfassungsgerichtshof & Co. verlassen. Um Angriffe wie das Kopftuch-Verbot wirksam zurückzuschlagen, müssen wir uns selbst organisieren – als unmmittelbar Betroffene, als Kolleg:innen, als Schüler:innen, als Lehrer:innen und als solidarische Nachbarn und Mitmenschen.
Solidarität, Boykott, Streik: Widerstand selbst organisieren!
Einige mutige Lehrer:innen haben bereits angekündigt, die ihnen aufgebürdete Exekution dieses Verbots zu boykottieren. Als vorwärts applaudieren wir diesen Kolleg:innen und schlagen vor, diesen Boykott auf eine breite und organisierte Ebene zu heben: Basisinitiativen wie „Schule Brennt“ und „Bessere Schule Jetzt“ können Kolleg:innen und solidarische Eltern vernetzen. In einzelnen Schulen können wir Dienststellenversammlungen einberufen und entsprechende Beschlüsse fassen. Wo es kämpferische Kolleg:innen in Dienststellenausschüssen gibt, können diese solche Beschlüsse nutzen, um in den entsprechenden Gewerkschaften Younion und GÖD Druck aufzubauen. Es ist eine Schande, dass diese sich bis dato nicht gegen diesen Angriff positioniert haben, ja dass die FCG (und damit ÖVP)-dominierte GÖD-Führung die rassistische Politik aktiv befördert. So wichtig also der Druckaufbau innerhalb der Gewerkschaften ist, um mehr Kolleg:innen zu erreichen und zu vernetzen, so wenig dürfen wir uns von Bremser:innen oder gar Propagandist:innen dieser Politik in ihren Reihen zurückhalten lassen.
Auch als Schüler:innen sind wir nicht machtlos: Schulklassen können beschließen, sich im Falle von Repression gegen Mitschüler:innen kollektiv zu wehren – etwa durch gemeinsames Verlassen und Boykottieren des Unterrichts. Wir können antirassistische Aktionsgruppen aufbauen, die größer angelegte antirassistische Schulstreiks vorbereiten und organisieren.
Für all diese Aktionsformen gibt es erfolgreiche Beispiele aus den letzten Jahren. Aktivist:innen von vorwärts haben dabei teilweise wichtige Rollen gespielt. Diese Erfahrungen können wir teilen, um heute Widerstand aufzubauen und in die Offensive zu kommen. Denn wenn es wirklich darum gehen soll, migrantisierte Schüler:innen zu unterstützen, dann brauchen wir ein völlig anderes Schulsystem: Milliarden für Bildung statt für Aufrüstung, eine gemeinsame Rahmenschulform von 10 bis 18 statt soziale Selektion in NMS und AHS, echte Schuldemokratie für Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern, wirkliche Inklusion, multiprofessionelle Teams und mehr pädagogisches, administratives, sozialarbeiterisches und schulpsychologisches Personal an allen Standorten, antirassistische, antisexistische und queerinklusive Bildung in allen Schulstufen und noch so vieles mehr. Was wir alle so dringend brauchen, wird uns diese Politik nicht geben – wir müssen uns organisieren und es uns holen. Kontaktier uns und werde mit vorwärts aktiv!
[1] Frantz Fanon: Algerien legt den Schleier ab. In: Ders.: Aspekte der algerischen Revolution, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1969, S.30-31.

