Frauen und LGBT

Polen: Aufstand der Frauen

Massenbewegung stoppt Verschärfung des Abtreibungsrechts
Pawel Nowak

Wir veröffentlichen hier zwei Artikel von Mitgliedern der polnischen Schwesterorganisation der SAV, Alternatywa Socjalistyczna über die Massenproteste gegen den Versuch der polnischen Regierung, das ohnehin schon sehr restriktive Abtreibungsrecht weiter zu verschärfen. Der erste Artikel von Pavel Nowak stammt vom 13. Oktober und gibt den aktuellen Stand nach den Massendemonstrationen und Frauenstreiks vom 3. Oktober wieder. Der zweite Artikel von Paul Newberry stammt vom 5. Oktober und stellt die Bewegung für das Recht auf Abtreibung ausführlich dar.

Massendemonstrationen und Frauenstreiks zwingen polnische Regierung zum Rückzug

von Pawel Nowak

Nach einer atemberaubenden Machtdemonstration am „Schwarzen Montag“, an dem Frauen in den Streik getreten sind und es auf den Straßen zu Massenprotesten gekommen ist, hat die regierende Partei in Polen, die den Namen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) trägt, eine 180-Grad-Wende hingelegt und den Gesetzentwurf, der ursprünglich ein absolutes Verbot von Abtreibungen vorsah, zurückgezogen.

Ganz entgegen den sonst üblichen parlamentarischen Gepflogenheiten ist eine Sondersitzung des „Ausschusses zur Bearbeitung von Gesetzesentwürfen“ einberufen worden, um eben diese Gesetzesvorlage quasi im Handumdrehen zurückzuweisen. Am Folgetag wurden die Empfehlungen dieses Ausschusses dann dem Parlament vorgelegt, das den Entwurf ebenfalls umgehend verworfen hat.

Einige AktivistInnen spielen die Bedeutung der Ereignisse der vergangenen Woche zwar herunter, weil sie die entstandene Bewegung aufrechterhalten wollen. Dennoch müssen wir festhalten, dass die panikartige Kehrtwende der Regierungspartei zweifelsohne einen umfassenden Erfolg darstellt – auch, wenn der Kampf noch lange nicht beendet ist, da neue Versuche unternommen werden, das Anti-Abtreibungsgesetz zu verschärfen. Ohne die massenhafte Mobilisierung hunderttausender von Frauen wäre dies nicht möglich gewesen.

Wenn man sich den Verlauf dieses „Schwarzen Montags“ ansieht, so besteht der wesentliche Aspekt darin, dass sich eine so enorme Zahl an jungen Frauen an den Protesten beteiligt hat, die an diesem Tag stattgefunden haben. So haben sich Schülerinnen in Streiks organisiert und sich auf diese Weise zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben an einem politischen Kampf beteiligt. Häufig geschah dies trotz körperlicher Drohungen und Einschüchterungsversuchen im Vorfeld. Überall in Polen haben sich Frauen auch aus kleineren Ortschaften des Landes an den Protesten beteiligt. Viele Institutionen sprechen von einer Beteiligung von sechzig Prozent an den Streikaktionen.

Dieser Kampf und der Erfolg, den er am „Schwarzen Montag“ erzielt hat, hat darüber hinaus auch die Frauen in anderen Ländern dieser Welt begeistert. Sie haben dadurch an Selbstvertrauen gewonnen und konnten erleben, dass sich die Dinge anders entwickeln können, wenn man/frau „nur“ dazu übergeht, aktiven Widerstand zu leisten.

Der Kampf muss weitergehen!

Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Schon jetzt ist von neuen Gesetzesentwürfen die Rede, die eine weitere Verschärfung des Abtreibungsrechts zum Ziel haben. Ein eben solcher, dem Parlament bereits vorgelegter Gesetzesentwurf sieht zudem ein absolutes Verbot von Abtreibungen vor. Darüber hinaus soll auch die „Pille danach“ verboten werden. Vorgesehen ist darin eine zweijährige Gefängnisstrafe für alle, die dieses hormonelle Verhütungspräparat verkaufen, verschreiben oder es irgendwie zugänglich machen. Unterdessen steht die PiS unter Druck von Seiten ihrer rechten Anhängerschaft. Gerüchten zufolge soll es zu einem sogenannten „Kompromiss“ kommen, das in Form einer Gesetzesvorlage daherkommt, nach der Abtreibungen in Fällen verboten sind, in denen der Fötus Missbildungen aufweist. Demgegenüber sind Abtreibungen weiterhin erlaubt, wenn Vergewaltigungen der Grund für die Schwangerschaft sind oder wenn das Leben der Schwangeren bedroht ist.

Deshalb muss der Druck nun erhöht werden. Die Aufgabe besteht jetzt darin, die Frauen dabei zu unterstützen sich zu organisieren und für die nächste große Protestwelle zu mobilisieren: den „Frauen-Streik Nummer 2“ am 24. Oktober 2016.

Auf lokaler Ebene sollte es zur Einrichtung demokratischer Ausschüsse in den Schulen, Universitäten und Betrieben kommen, die in der Lage wären, die größtmögliche Anzahl an Frauen und Männern zu mobilisieren. Diese Ausschüsse sollten auf kommunaler Ebene miteinander verwoben sein und demokratisch legitimierte VertreterInnen auf die landesweite Ebene entsenden, um die Aktivitäten und Aktionen zu koordinieren. Auf allen Ebenen sollten die jeweiligen RepräsentantInnen der demokratischen Rechenschaftspflicht unterliegen.

Die Bewegung muss auch unmissverständlich und klar die Liberalisierung der Gesetze einfordern. Wir haben gesehen, dass wir die Menschen auf unsere Seite bringen können, wenn wir energisch das volle Recht auf Abtreibung einfordern und den Argumenten der politischen Rechten entgegentreten. Dank der unermüdlichen Kampagnenarbeit , die von tausenden Frauen geleistet worden ist, hat sich die öffentliche Meinung gedreht. Die Unterstützung für eine Liberalisierung des Gesetzes nimmt zu. Dies wird aber nicht möglich sein, wenn die Bewegung es diskreditierten PolitikerInnen wie Stefan Niesiołowski erlaubt, bei den Protestkundgebungen zu sprechen. Er und andere PolitikerInnen der neoliberalen Parteien „Nowoczesna“ und der „Bürger-Plattform“ setzen sich lediglich dafür ein, dass das Abtreibungsgesetz nicht weiter verschärft wird.

Der „no logo“-Ansatz, den sich die Bewegung selbst auferlegt hat, hat nicht verhindert, dass sich solche Leute Gehör verschaffen konnten. Dieser Ansatz hat es ihnen ermöglicht, durch die Hintertür Teil dieser Bewegung zu werden. Unterdessen wird kleineren und radikaleren Organisationen, die für die Liberalisierung des Abtreibungsrechts kämpfen, verwehrt, ihre Ideen und Vorschläge in die Bewegung mit einzubringen.

Gerade jetzt, da eine Reihe neuer Angriffe auf das Abtreibungsrecht auf dem Tisch liegen, müssen wir in die Offensive gehen und die Kampagne für das volle Recht auf Abtreibung voranbringen.

Wir fordern:

  • Aufbau einer demokratischen Bewegung! Für die Bildung demokratischer Ausschüsse auf lokaler, stadt- und landesweiter Ebene.
  • Keine Kompromisse! Für die Liberalisierung des Gesetzes – für rechtlich abgesicherte, sichere und freie Abtreibungen, wenn die Frau dies wünscht.
  • Kostenlose und qualitativ hochwertige Gesundheitsvorsorge – ÄrztInnen, die sich hinter dem Deckmantel ihrer „Ethik“ verstecken, müssen zurückgewiesen werden!
  • Freier Zugang für alle zu kostenlosen Verhütungsmethoden.
  • Anstatt Religion muss in den Schulen der Sexualkundeunterricht verpflichtend sein!
  • Kostenlose Behandlungen zur künstlichen Befruchtung für alle, die dies wünschen.
  • Eine garantierter Platz für jedes Kind in einer kostenlosen und staatlich geführten Kita bzw. Vorschule!

 

Über 140.000 Frauen demonstrieren gegen ein totales Verbot von Abtreibungen.

Von Paul Newberry

Pläne, ein totales Abtreibungsverbot einzuführen haben eine massive, unkontrollierte Explosion von Wut in Polen ausgelöst. Am Montag, 3. Oktober, wurde ein Streik polnischer Frauen ausgerufen, inspiriert vom Beispiel isländischer Frauen, die 1975 einen landesweiten Streik abhielten. In Warschau demonstrierten über 50.000 im strömenden Regen, in Wroclow 30.000 und in Krakau 25.000. Zehntausende mehr demonstrierten über das ganze Land verteilt. In Poznan gab es Zusammenstöße mit der Polizei, während in Kielce DemonstrantInnen eine kontroverse, homophobe Ausstellung zerstörten. Sogar die konservativen Schätzungen der Polizei sprechen von 98.000 Menschen, die bei 143 einzelnen Protesten im ganzen Land teilnahmen. Die linke Partei Razem schätzt, dass über 140.000 Menschen auf den Straßen überall im Land protestierten. Das sind locker die größten polnischen Proteste zur Verteidigung des Abtreibungsrechtes aller Zeiten, bei weitem größer als die Proteste 1993, als das aktuell Abtreibungsverbot eingeführt wurde.

Die erste Welle der Bewegung begann im Frühjahr mit der Ankündigung, dass eine rechte Initiative über 100.000 Unterschriften (am Ende waren es 400.000) gesammelt hatte, die notwendig waren, um einen Gesetzesentwurf im polnische Parlament einzubringen, der ein völliges Abtreibungsverbot einführen und Frauen mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestrafen würde. Die Barbarei der Vorhaben wird veranschaulicht durch die Tatsache, dass alle Fehlgeburten als mögliche Abtreibungen behandelt und Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung sein sollten.

Polen hat bereits jetzt eines der restriktivsten Anti-Abtreibungsgesetze in Europa. Abtreibungen sind nur im Falle von Vergewaltigungen, der Bedrohung der Gesundheit oder des Lebens der Frau oder bei Missbildungen des Fötus erlaubt. In der Praxis werden selbst Abtreibungen, die diese Voraussetzungen erfüllen, von Ärzten verhindert, die die sogenannte „Gewissens-Klausel“ ausnutzen und Patientinnen ihre eigenen religiösen Ansichten aufzwingen, indem sie lebenswichtige Behandlungen verweigern.

Dieses Gesetz wurde Anfang der 1990er durchgepeitscht, als in Polen die kapitalistische Restauration durchgeführt wurde: Eine ökonomische und soziale Konterrevolution, gemischt mit ein paar demokratischen Reformen. Aber die Heuchelei der demokratischen Reformen zeigt sich an der Tatsache, dass das Anti-Abtreibungsgesetz trotz der Opposition einer überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft (über 70% der Bevölkerung waren gegen das Abtreibungsverbot und unterstützten das Recht auf Abtreibung aus „sozialen Gründen“, also im Prinzip „ bei Bedarf“) durchgepeitscht wurde. Gleichzeitig wurde Religion in den Schulen eingeführt und das Konkordat wurde unterzeichnet. Dieser Vertrag zwischen Staat und Kirche gab der Kirche enorme materielle und politische Privilegien. PolitikerInnen aller Parteien nannten das einen Kompromiss. Es ist aber kein Kompromiss, sondern eine Schande und es schuf eine Hölle für Frauen.

Große spontane Bewegung im Frühjahr

Als Reaktion auf das geplante Verbot wurde im Frühjahr eine massive, spontane soziale Bewegung über soziale Netzwerke geschaffen. Eine Facebook-Gruppe, Dziewuchy Dziewuchom, sammelte über 100.000 Mitglieder in weniger als einer Woche. Informelle Gruppen und Initiativen entstanden landesweit. Das führte zu einer Serie von Demonstrationen im ganzen Land, jede davon involvierte mehrere Tausend TeilnehmerInnen.

Eine der Initiativen konzentrierte sich darauf, über 100.000 Unterschriften zu sammeln, um als „BürgerInneninitiative“ einen Gesetzesvorschlag einzubringen, der das Abtreibungsrecht liberalisieren würde und Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche – aus welchem Grund auch immer – zu erlauben. Trotz vieler Stimmen in der Bewegung, die zur Verteidigung des aktuellen, extrem restriktiven Gesetzes aufriefen, wurde die Idee der BürgerInneninitiative letztlich von der breiteren Bewegung aufgenommen. Es gelang, über 250.000 Unterschriften zu sammeln und den Gesetzesentwurf dem Parlament zu präsentieren.

Nach einer zweimonatigen Unterbrechung über den Sommer, flammten die Proteste Ende September wieder auf, als beide Gesetzesentwürfe am selben Tag im Parlament präsentiert wurden. Diese zweite Welle begann mit sogenannten „schwarzen Protesten“ (Czarny Protest), die landesweit organisiert wurden. Frauen und Männer kleideten sich dabei schwarz, um den Tod der Frauenrechte zu betrauern. Demonstrationen wurden in vielen Städten abgehalten und Menschen posteten Fotos, auf denen sie schwarz trugen, auf sozialen Netzwerken mit dem Hashtags #CzarnyProtest und #BlackProtests

Wie vorherzusehen war, lehnte das Parlament den Gesetzesentwurf zur Liberalisierung der Abtreibungsrechte ab, während das Gesetz, dass ein Totalverbot von Abtreibungen einführen würde, auf der Ausschusse-Ebene angenommen wurde. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass künstliche Befruchtung sowie der Zugang zu Notfallverhütung verboten werden könnten. Das entfesselte weitverbreitete Wut auf die Arroganz und Verachtung, mit der PolitikerInnen und Kirche Frauen begegnen und aktivierte weitere Schichten, die sich nun an den Protesten beteiligten.

Polnische Frauen im Streik

Etwa zu dieser Zeit und inspiriert vom Streik der isländischen Frauen 1976, kam die Idee der Organisierung eines Frauenstreiks auf. Er wurde nicht von einer der Gewerkschaften ausgerufen, sondern die Idee kam aus der Bewegung, von Frauen, die zuvor keine Gewerkschafts- oder Streikerfahrung hatten. Wegen der Anti-Gewerkschafts-Gesetze und der Schwierigkeit, einen legalen Streik zu organisieren (selbst als Gewerkschaft), wurden Frauen nicht ermutigt, wirklich zu streiken, sondern sich lieber einen Tag frei zu nehmen für den so betitelten Czarny poniedzialek (schwarzer Montag). Leider konnten viele Frauen bei diesem Streik nicht teilnehmen, weil sie miese Verträge haben und deshalb kein Recht auf einen freien Tag auf Wunsch. Zum Beispiel drohte die Lidl-Supermarktkette, ihre ArbeiterInnen, die sich am Montag freinehmen, rauszuwerfen.

Am Streiktag erklärte OPPZ, einer der drei großen Gewerkschaftsverbände, endlich seine Unterstützung für den Streik und verprach, Mitglieder, die sich dazu entschließen, an den Protesten teilzunehmen, gegen Schikanen zu verteidigen. Dank dieser Erklärung konnten viele Arbeiterinnen aus der öffentlichen Verwaltung, vor allem der lokalen Regierungen, streiken. Einige Theater und kleine Firmen kündigten an, an diesem Tag zu schließen, um den ArbeiterInnen die Teilnahme zu ermöglichen. Viele weitere Frauen, die keine andere Wahl hatten, als zu arbeiten, kleideten sich schwarz, um ihre Solidarität mit dem Streik auszudrücken.

Die Unterstützung des OPPZ ermutigte vielleicht auch viele Lehrerinnen, die Gruppenfotos gemeinsam mit Schülerinnen machten – alle schwarz gekleidet. In vielen Gymnasien organisierten Schülerinnen ihre eigenen Streiks und verließen die Schule während der ersten Unterrichtseinheit, oft mit der Unterstützung ihrer LehrerInnen. Es gab Berichte über junge Frauen, die von Gruppen von Männern bedroht und angespuckt wurden, weil sie sich am Streik beteiligten.

In Warschau sammelten sich tausende am frühen Morgen vor den Büros der herrschenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“. Später, am Nachmittag, marschierten sie im Regen durch das Stadtzentrum zum Schlossplatz, wo sich grob 50.000 Menschen versammelten. Es waren vorwiegend junge Frauen, Studentinnen und Schülerinnen. Vor den Protesten gab es eine Initiative, schwarze Tränen ins Gesicht der Protestierenden zu malen, das setzte sich aber nicht durch. Stattdessen malten sich tausende dieser jungen Frauen zwei schwarze Streifen auf jede Wange, wie Kriegsbemalung. Die Stimmung war wütend und sehr lebendig.

Demonstrantinnen malten selbst Plakate, auf denen stand: „Die Regierung ist keine Schwangerschaft – sie kann beseitigt werden“, „Die Revolution ist eine Frau“, „Lasst uns Polen den Fanatikern wegnehmen!“, „Abtreibung verteidigt Leben“, „Mein Körper, meine Festung“, „Mein Bauch ist meine Angelegenheit“, „Ich bin keine Brutkasten“, „Ich bin nicht euer Eigentum“, „Wir werden nicht gebären, wenn wir sterben“, „Frauenhölle“, „Es ist nichts falsches an Selbstbestimmung“.

Leider wurden die Reden von Promis und politische Parteien wie der liberalen, Nowoczesna, und der pro-liberalen Demokratiebewegung KOD, dominiert. Beide sind politische Organisationen, die auf den fahrenden Wagen aufgesprungen sind und versuchen, die Bewegung für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Sie sind gegen die Forderung nach dem recht auf „Abtreibung bei Bedarf“ und argumentieren, dass sich die Bewegung auf die Verteidigung des aktuellen Anti-Abtreibungsgesetzes beschränken soll. Skandalös ist, dass feministische Organisationen und Pro-Abtreibungs-Gruppen keine Plattform bekamen, trotz der wichtigen Rolle, die sie seit vielen Jahren im Kampf für das Abtreibungsrecht gespielt haben.

Glücklicherweise hatten die OrganisatorInnen nur mit 5.000 DemonstratnInnen gerechnet, die meisten Leute hörten die Reden also sowieso nicht. Nach einiger Zeit begannen Protestierende zu skandieren, dass man zum Parlament marschieren sollte, bald darauf bewegte sich das Meer von Regenschirmen weiter und ließ die VeranstalterInnen zurück. Der Marsch war jetzt illegal, aber die Polizei entschied sich schlauerweise dafür, die Fortsetzung zu erlauben und beschränkte sich darauf, Kreuzungen zu regeln, während die DemonstrantInnen durch das Stadtzentrum marschierten, sich ihre eigene Route aussuchten und den gesamten Verkehr zur Stoßzeit stoppten.

Etwa Zehntausend versammelten sich im Regen vor dem Parlament. Es gab keine RednerInnen, aber die Stimmung war laut und wütend. Es gab Gerüchte, dass mehrere Tausend Protestierende zum Teatr Polski marschieren würden, dem Theater, in dem Jaroslaw Kaczynski, Führer der herrschenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“, an einer Besprechung teilnahm.

Die Kirche reagierte auf den Streik der polnischen Frauen und den schwarzen Protest, indem sie ihn als einen „Karneval des Teufels“ bezeichnete und zeigte so, dass sie völlig abseits der Realität steht. Bischöfe waren am nächsten Tag groß in den Medien und teilten ihre „Expertenmeinung“ zu Vergewaltugungen und Unfruchtbarkeit mit. Ein Bischof behauptete, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Frau durch Vergewaltigung schwanger wird, wegen der Belastung, die sie dabei durchlebt

Wie auch immer, „Recht und Gerechtigkeit“ wurde von der Bewegung völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Sie hatte nicht vor, eine Änderung beim Abtreibungsgesetz vorzunehmen, zumindest nicht dieses Jahr, wurde aber von noch rechteren Elementen und der Kirche, die ihre eigene „BürgerInneninitiative“ organisierten, gezwungen, eine Position zu beziehen.

Was ist jetzt notwendig für die Bewegung?

Wegen des Ausmaßes der Bewegung hat „Recht und Gerechtigkeit“ mit der Ankündigung, einen eigenen Gesetzesentwurf als Kompromiss vorzubereiten, reagiert. Dieser wird wahrscheinlich das Recht auf Abtreibung im Falle einer Vergewaltigung oder einer Bedrohung des Lebens der Frau erlauben, aber nicht im Falle einer Missbildung beim Fötus. Das ist natürlich überhaupt kein Kompromiss, sondern bedeutet eine Ausweitung des Verbots und ist völlig inakzeptabel. Es zeigt aber, dass die Regierung unter Druck kommt.

Das ist ein klares Zeichen dafür, dass der Druck aufrechterhalten werden und der Kampf für Abtreibungsrechte fortgesetzt werden muss. Aber Nowoczesna und die Civic Plattform, unterstützt durch KOD, versuchen, die politische Kontrolle über die spontan ausgebrochene Bewegung zu übernehmen und diese umzulenken. Das Resultat der Parlamentsabstimmung und die Deklarationen der RepräsentantInnen von Nowoczesna und der neoliberalen Civic Plattform, der früheren herrschenden Parteim, zeigen, dass sie in der Bewegung keinen Platz haben und gestoppt werden müssen. Die Strategie, nur das jetzige Anti-Abtreibungsgesetz zu verteidigen muss energisch bekämpft werden.

Auf der anderen Seite ist es ein Fehler, eine „keine Logos“-Politik einzuführen, die allen politischen Organisationen verbietet, mit Transparenten und gedruckten Materialien an den Protesten teilzunehmen, wie das in viele Städten der Fall war. Das wird den kompromittierten PolitikerInnen Eintritt durch die Hintertür verschaffen, während es kleineren, radikaleren Organisationen verunmöglicht, ihre Ideen und Vorschläge für die Bewegung einzubringen.

Der Streik polnischer Frauen am schwarzen Montag war bisher der Höhepunkt, er hat aber neue Kräfte entfesselt, die bisher noch nicht an der Bewegung teilgenommen haben: Tausende junge, wütende Frauen, die erst in den Kampf eintreten, jetzt ihre Stimme finden und Selbstvertrauen gewinnen. Eine sofortige Aufgabe der Bewegung ist es, ihnen zu helfen, sich zu organisieren.

Im Moment haben wir viele gute aber oft konkurrierende Initiativen und Gruppen in sozialen Netzwerken. Jedoch sind die Leute, die die Gruppe ursprünglich gegründet haben, die „Besitzer“ der Gruppe, kontrollieren das Facebook-Event und entscheiden, ob es eine „Keine Logos“-Politik gibt oder nicht. Oft zensieren sie auch die Diskussionen in den Facebook-Gruppen.

Was fehlt sind grundlegende demokratische Strukturen auf lokaler Ebene, die AktivistInnen von allen verschiedenen Initiativen, die entstanden sind, involvieren. Solche lokalen, demokratischen Komitees sollten sich landesweit vernetzen, um die Aktivitäten zu koordinieren und die nächste größere Aktion zu planen. Es sollte volle demokratische Rechenschaftspflicht für alle RepräsentantInnen solcher Komitees geben.

Ein Kampfprogramm ist notwendig

Vor allem kann ein Sieg nur mit einem klaren Programm erreicht werden. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir die öffentliche Meinung überzeugen können, aber nicht, wenn wir wie Nowoczesna auftreten, indem wir sagen, dass wir Abtreibungen ablehnen. Das ist gleichbedeutend damit, zuzugeben, dass die Unterstützer eines totalen Abtreibungsverbots gute Argumente haben und bedeutet, die Bewegung kampflos aufzugeben.

Wenn wir klar die Forderung nach Zugang zu Abtreibung bei Bedarf fordern und die Argumente der Rechten kontern, sind wir sicher, dass wir Menschen auf unsere Seite ziehen können. Wir müssen die Notwendigkeit von kostenlosen, sicheren Abtreibungen bei Bedarf erklären, die die Leben einer Vielzahl von Frauen retten würden. Das sollte verbunden werden mit der Notwendigkeit des Kampfes für eine ordentliche, qualitativ hochwertige, kostenlose Gesundheitsversorgung, sichergestellt durch gut bezahlte ExpertInnen und nicht durch religiöse FanatikerInnen, die Behandlungen verhindern.

Viele ungewollte Schwangerschaften können vermieden werden, wenn Verhütungsmittel besser zugänglich sind. Momentan ist Verhütung zu teuer für viele junge Frauen. Inzwischen können Unter-18-jährige nur mit der Zustimmung ihrer Eltern eineN GynäkologIn aufsuchen, was bei vielen die Möglichkeit der Verschreibung für Verhütungsmittel verhindert. Deshalb fordert Alternatywa Socjalistyczna universellen Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln. Wir fordern auch sexuellen Aufklärungsunterricht in Schulen statt Religionsunterricht, der von Priestern und Nonnen abgehalten wird.

Vor allem wollen Frauen wirkliche Selbstbestimmung – nicht nur in der Frage, ob sie ein Kind haben wollen oder nicht, sondern auch, dass sie ein Kind haben können, wann sie eines wollen. Deswegen unterstützen wir kostenlose IVF-Fruchtbarkeitsbehandlung und auch einen garantierten Platz in kostenlosen öffentlichen Krabbelstuben und Kindergärten für jedes Kind. Aber auch breitere soziale und wirtschaftliche Themen betreffen die Selbstbestimmung von Frauen. Es ist notwendig, für billige, qualitativ hochwertige, staatliche Sozialwohnungen, einen ordentlichen Mindestlohn und sichere Arbeitsplätze zu kämpfen. Alle schlechten Arbeitsverträge sollten beseitigt und mit unbefristeten Arbeitsverträgen ersetzt werden, damit schwanger werden nicht heißt, den Job zu verlieren.

Um solche Veränderungen zu erkämpfen, wird es nötig sein, sich mit der organisierten ArbeiterInnenbewegung in den Gewerkschaften zu vernetzen. Ein guter Start wäre, engere Verbindungen zwischen Basismitgliedern der Gewerkschaften, vor allem der LehrerInnengewerkschaft ZNP und dem Gewerkschaftsdachverband OPZZ, zu knüpfen. Die Bewegung sollte auch auf die ArbeiterInnen im öffentlichen Dienst und im Gesundheitsbereich, die den Streik am schwarzen Montag unterstützten, zugehen. Aber ein solcher Kampf wird auch eine Konfrontation mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem bedeuten, das unfähig ist, ordentliche Wohnungen und Jobs für ArbeiterInnen zur Verfügung zu stellen.

 

MetallerInnen: Das „Unvorstellbare“ erkämpfen!

Christian Bunke

Die Gewerkschaften GPA-djp und Pro-Ge sind mit der Forderung von +3% in die Herbstlohnrunde für 180.000 MetallerInnen gestartet. Eine mehr als gerechtfertigte Forderung. Die Erhöhungen der letzten Jahre waren viel zu niedrig, während die Unternehmen gleichzeitig Profite machen. Das gilt auch für die Forderung nach Übernahme der Fahrt- und Internatskosten für Lehrlinge. Dass Unternehmen zwar für Lehrlinge Geld vom Staat kassieren, Ausbildungskosten aber auf die KollegInnen abgewälzt werden, ist ein Skandal!

Die Unternehmerseite hat diese Forderungen bereits als „unvorstellbar“ zurückgewiesen. Sie setzen darauf, dass die Gewerkschaften sich am Ende mit weit weniger zufrieden geben und wollen außerdem weitere Arbeitszeitverlängerung bzw. Flexibilisierungen durchdrücken. Das Aufstellen einer Forderung ist ein erster Schritt. Zur Durchsetzung ist ein aktiver Kampf nötig. Dafür braucht es Betriebsrätekonferenzen auf bundesweiter, regionaler und lokaler Ebene. Die Belegschaften müssen durch Betriebsversammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen rasch und umfassend miteinbezogen werden. So kann Druck und Streikbereitschaft ausgebaut werden. Ein solcher kann durchaus nötig sein – und braucht zum Erfolg eine aktive Basis!

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Puls4 Video: Nicht mit Mir und SLP gegen radikale Abtreibungsgegner

Am Montag den 10.10. fand auf Puls 4 eine Debatte zum Thema Schwangerschaftsabbruch statt. Der Titel an sich war bereits ein Kniefall vor den radikalen Abtreibungsgegnern. Die Gäste - darunter die ultrarechte FPÖlerin Rosenkranz sowie Pro-Life-AktivistInnen - ein Schlag gegen Frauenrechte. Erst auf Druck von Nicht mit mir und Sozialistische LinksPartei (SLP) wurden auch der Gynäkologe Christian Fiala sowie Sonja Grusch von Nicht mit mir/SLP eingeladen. Endlich ist das Video online - Nicht mit mir ab Minute 32 bzw 19 Minuten vor Schluss.

http://www.puls4.com/pro-und-contra/videos/ganze-folgen/Ganze-Folgen/Pro-und-Contra-der-PULS-4-News-Talk-vom-10.10.2016

24.10. Rise up for women rights - Aufstand für Frauenrechte in Irland, Polen und Österreich!

Es geht den „Lebensschützern“ NICHT um das Leben!
Sonja Grusch

Internationale Situation bezüglich Schwangerschaftsabbruch ist alles andere als gut: Nur in 57 Ländern, also der Minderheit, ist Abtreibung legal bzw. durch eine Fristenlösung möglich. Das bedeutet, dass 25% aller Frauen weltweit in Staaten mit strengen Abbruchgesetzen leben. Ihnen droht Gefängnis oder Schlimmeres. 40% aller Frauen leben in Ländern wo Abtreibung verboten, beschränkt oder nicht zugänglich ist. Das hindert Frauen aber nicht daran, Abbrüche durchzuführen. Es bedeutet aber, dass mehr als 50% aller Abbrüche unter unsicheren Bedingungen durchgeführt werden. Das bedeutet, dass jährlich bis zu 80.000 Frauen daran sterben, dass ihnen der Zugang zu einer legalen und sicheren Abtreibung verwehrt wird. Das bedeutet, dass die Politik der radikalen AbtreibungsgegnerInnen alle sieben Minuten eine Frau tötet!

Betroffen davon sind aber nicht nur in religiösen Staaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder der Vatikan sondern auch Staaten hier in Europa wie Malta, Andorra, San Marino, Lichtenstein, Irland und Polen. Dass es dabei nicht um „Leben schützen“ geht zeigt z.B. auch die rechtliche Lage in Malta, wo selbst wenn Lebensgefahr für die Frau besteht ein Abbruch nicht erlaubt ist.

Radikale AbtreibungsgegnerInnen sind auch gegen Aufklärung und Verhütung – sie wollen also ungewollte Schwangerschaften!

Wie Menschen- bzw. Frauenverachtend die radikalen AbtreibungsgegnerInnen tatsächlich sind zeigt sich auch daran, dass sie oft auch gegen Aufklärung und gegen Verhütung sind! Die FPÖ, die immer wieder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Frage stellt ist z.B. gegen die kostenlose Abgabe von Verhütungsmittel. Dabei wäre das eine Maßnahme, die erwiesener Maßen die Anzahl ungewollter Schwangerschaften reduzieren würde. Auch die Anti-Abtreibungsorganisationen „Österreichische Lebensbewegung“, „Human Life International“ bzw. „Jugend für das Leben“ stehen in ihrer Praxis gegen Verhütung und gegen Aufklärung. „Jugend für das Leben“ verteilt zwar Plastikföten an Schulen und zeigt Abtreibungs-Horror-Videos – über Aufklärung reden sie aber nicht! Die „Lebensbewegung“ präsentiert Verhütungsmittel in einer Form, dass sie als gefährlich und „frühabtreibend“ erscheinen – sie verhindern also, dass Menschen sich vor ungewollten Schwangerschaften schützen. HLI sprechen bezüglich Verhütungsmittel überhaupt von einem „negativen Sinn“.

Dass es den radikalen AbtreibungsgegnerInnen auch nicht um „die Kinder“ geht zeigt sich darin, dass sie entweder selbst verantwortlich sind für eine Politik die Kinder besonders hart trifft, oder Parteien unterstützen, die das tun: Durch die Kürzung der Mindestsicherung in Oberösterreich (ÖVP, FPÖ) steigt die Kinderarmut weiter an. In Wels setzt die FPÖ Verschlechterungen bei den Kindergärten um, dafür müssen jetzt aber deutsche Lieder gesungen werden. Besonders die FPÖ steht auch für Abschiebungen, von denen Kindern besonders hart getroffen sind. Brigitte Kashofer von der FPÖ-Amstetten, Teil des Teams Rosenkranz, ist gegen Frauenhäuser – diese sind oft der einzige Ort wohin Frauen mit ihren Kindern vor Gewalt flüchten können. HLI & Co. Ihrerseits rufen bei Wahlen immer wieder zum Wählen für FPÖ&Co. Auf. Ein rechtes, frauenfeindliches Sammelsurium!

Massenbewegung in Polen erreicht ersten Erfolg

In den letzten Monaten gab es Massenproteste in Polen. Die Katholische Kirche betreibt in Polen schon länger eine Kampagne für ein totales Verbot. Dabei ist der Zugang zu Abtreibung in Polen schon bisher sehr beschränkt. Theoretisch ist eine Abtreibung bei Vergewaltigung, Gefährdung von Leben und Gesundheit der Frau gefährdet sowie schwerer Behinderung bzw. nicht Lebensfähigkeit des Kindes erlaubt. Aber praktisch ist es trotzdem schwer, von diesem Recht auch Gebrauch zu machen. 2014 gab es einen Fall, wo trotz einer schweren Missbildung (das Kind hatte kaum ein Hirn, keine Schädeldecke und keine Überlebenschance) der Arzt den Abbruch verweigerte - und sogar die Überweisung in ein anderes Spital verweigerte. Das ist Folter gegen die betroffene Frau!

Auch Verhütungsmittel sind in Polen nur schwer und teuer zu bekommen. Unter 18jährige können ohne Wissen der Eltern nicht zum Gynäkologen, brauchen aber alle drei Monate ein neues Rezept für die Pille. Außerdem sind Verhütungsmittel sehr teuer. Beides übrigens Probleme, die so auch in Österreich existieren!

Seit einem Jahr gibt es in Polen die neue Regierung der rechts-konservativen PiS. Sie war im Wahlkampf von der Kirche unterstützt worden und unterstützte danach ein „Bürgerbegehren“ für ein de facto totales Abtreibungsverbot. Das geplante Gesetz sah vor, dass selbst wenn das Leben der Frau in Gefahr ist bei einem Abbruch bis zu fünf Jahre Haft (bisher zwei) für ÄrztIn und Frau drohen. Legal wäre eine Abtreibung nur mehr bei unmittelbarer Todesgefahr für die Frau – die Auslegung darüber liegt aber beim Arzt. Geplant war auch, dass künftig alle Fehlgeburten untersucht werden sollen, um zu schauen, ob diese „herbeigeführt“ wurden. Fehlgeburten hängen von einer Reihe von Faktoren ab, und sind in den ersten Wochen sehr häufig. Statistisch liegt die Wahrscheinlichkeit für eine Fehl- oder Totgeburt bei einer42jährigen Frau bei 54% und bei einer 48jährige oder älteren Frau bei 84%! Hier permanent mit Gefängnis bedroht zu sein ist eine extrem Gefahr und gibt „Partnern“ oder auch ÄrztInnen eine extreme Macht. Ein weiterer Gesetzesentwurf sieht ein Verbot der Pille danach vor. Und manche wünschen sich sogar ein Verbot von Pille und Spirale. In erster Lesung passierte das Parlament das Gesetz, 267 Abgeordnete stimmten dafür, 154 dagegen, elf enthielten sich.

Doch dann explodierten die seit Monaten andauernden Proteste. Es gab Massendemonstrationen und am 3. Oktober den „Frauenstreik“ unter dem Motto "schwarzer Protest" ("Czarny protest"). Bei Demonstration gingen 50.000 in Warschau, 25.000 in Krakau und viele mehr in anderen Städte und auch international auf die Straße. Es war kein offizieller Streik und viele Frauen nahmen extra Urlaub, um sich an den Protesten beteiligen zu können. Manche Gemeinden aber unterstützten die Frauen und verhängten extra einen speziellen „Gemeindeurlaub“ um ihnen die Teilnahme zu ermöglichen. Der Standard schreibt „zahlreiche Restaurants, Regierungsbüros und Universitätsabteilungen standen still, die Zufahrt zur Zentrale der regierenden nationalkonservativen PiS-Partei wurde gesperrt.“

Spät aber doch hat sich auch der sozialdemokratische Gewerkschaftsverband OPZZ entschlossen, die Proteste zu unterstützen und machten klar, dass sie ihre Mitglieder unterstützen wird, wenn sie wegen des „Streiks“ Probleme bekommen.

Die Regierung musste in Folge der Proteste zurück rudern und hat erklärt, dass Gesetz sei vom Tisch. Das ist ein großer Erfolg und zeigt, dass es sich lohnt, sich zu wehren. Aber der Kampf ist nicht vorbei – und braucht unsere weitere Unterstützung. Die Regierung arbeitet an einer neuen Gesetzesvorlage – Verbesserungen für die Frauen in Polen sind davon nicht zu erwarten. Jetzt ist die Chance, die Bewegung weiter auszubauen um echte Verbesserungen zu erreichen. Alternatywa Socjalistyczna, die Schwesterorganisation der SLP in Polen und Teil der Reclaim Choice Alliance, fordert daher auch leicht zugängliche und kostenlose Verhütung und Aufklärungsunterricht statt Religionsunterricht in den Schulen. Zur Zeit ist die Bewegung ein loses Netzwerk verschiedener spontaner Gruppen, eine der größten ist Dziewuchy Dziewuchom (Mädchen für Mädchen) von denen aber viele v.a. Facebook-Gruppen sind wo auch oft nicht klar ist, wer eigentlich entscheidet, was auf den Seiten veröffentlicht werden (darf). Es wird ein längere Kampf werden für die Frauen in Polen, sie brauchen daher in so einer Kampagne demokratische Strukturen und aktive regionale Gruppen.

Offensiver Kampf in Irland

Wie so eine Kampagne aussehen kann, zeigt Rosa, in Irland. Dort gibt es seit Jahren immer wieder Proteste und Demonstrationen für Frauenrechte. Die Fälle von Savita Halappanavar 2012 (die starb weil ihr trotz Tod des Fötus ein Abbruch verweigert wurde) oder einer jungen Frau die 2014 zwangsernährt und zwangsentbunden wurde führen immer wieder zu großen Protesten. In den letzten Jahren hat sich daher eine starke Pro-Choice Bewegung aufgebaut. Irland hat eines der repressivsten Abtreibungsgesetze in Europa. Es ist eines von Ländern (u.a. neben Chile, wo das der Diktator Pinochet durchgesetzt hat) wo das Verbot sogar Verfassungsrang hat! In Irland ist ein Abbruch nur erlaubt, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. Doch das ist offen für Auslegung wie der Fall von Savita zeigt. Bei Verstoß gegen das Gesetz drohen bis zu 14 Jahre Strafe. Auch in Irland geht es nicht um „Leben“. Das zeigen u.a. die grausamer Babyleichenfund in einem der katholischen Heime wo ledige Schwanger untergebracht wurden.

Die dynamischste und kämpferischste Kraft in der irischen Kampagne für Frauenrechte ist „Rosa - Für reproduktive Rechte, gegen Unterdrückung, Sexismus und Kürzungspolitik““ die Kampagne der Socialist Party (Schwesterorganisation der SLP). Weil täglich zwölf Frauen nach Britannien reisen müssen für einen Abbruch hat Rosa in den letzten Jahren auch die Verbreitung der Abtreibungspille per Zug, Bus und sogar Drohne organisiert. Rosa ist auch Teil der „Coalition to Repeal the Eighth Amendment“ (Koalition für die Abschaffung des 8.Verfassungszusatzes), einem Bündnis von Frauenrechts- und Pro-Choice-Gruppen, die zusammen daran arbeiten, eine entsprechende Volksabstimmung zu gewinnen. Die Abgeordnete der Socialist Party/Anti Austerity Alliance Ruth Coppinger hat einen entsprechenden Antrag im irischen Parlament (Dail) eingebracht. Sie stellt auch klar, dass alle Verzögerungsversuche der Regierung nicht akzeptiert werden und dass sie weiter daran arbeiten wird „eine Basisbewegung aufzubauen, die die PolitikerInnen zwingt, sich endlich ins 21. Jahrhundert zu bewegen“. Auch in Irland sind am 24. September zehntausende für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch auf die Straße gegangen. Ihre Gegner sind dabei die Kirche und die bürgerlichen Parteien. Die Regierungspartei Fine Gael, unterstützt von Fianna Fáil, bleiben dabei, das Thema unter den Teppich zu kehren, indem sie versuchen, durch eine „BürgerInnenversammlung“ das Thema zu verzögern. Die populistische Sinn Fein unterstützt zwar die Streichung des 8. Verfassungszusatzes mittlerweile, weil sie den Druck der Bewegung spürt. Sie sind aber dennoch für ein sehr eingeschränktes Recht auf Abbrüche das ihrer Vorstellung nach im wesentlich wie das polnische Aussehen soll. Im Norden Irlands, wo sie mit in der Regierung sind sind sie dagegen, dass das britische Gesetz von 1967, das Frauen den Abbruch ermöglicht, auf Nord-Irland ausgeweitet wird. Die Labour Party, die bis vor Kurzem in der Regierung war, hat nicht getan, um die Situation für Frauen zu verbessern. Immer noch in ein großer Teil des irischen Gesundheits- und Bildungssystems in den Händen der katholischen Kirche. Der Aufklärungsunterricht ist entsprechend, dafür wird dann schon mal über die Schullautsprecher „für ungeborene Kinder“ gebetet. Das es auch in Irland jenen Parteien, die sich als „Lebensschützer“ aufspielen nicht um die Kinder geht, zeigen ein paar Zahlen: Der Anteil der Kinder unter 18 Jahren, die in Irland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht liegt bei 30,3 % - Tendenz steigend (Die Kinderarmut lag in Irland 2008 noch bei 18 %). Gleichzeitig zahlen Multis wie Google dank irischem Steuerrecht kaum Steuern. Kindergartenplätze aber kosten viele hundert Euro pro Monat. Es wird also von genau jenen, die Frauen den Zugang zu Abtreibung schwer machen auch jenen Frauen, die Kinder haben wollen, schwer gemacht, welche zu haben.

24. Oktober – nächster Aktionstag

Am 24. Oktober gibt es den nächsten Protest in Wien in Solidarität mit den Frauen in Irland und Polen. Doch es geht auch um unsere Rechte hier in Österreich. Denn auch im rosa-grünen Wien sind Frauen für Schwangerschaftsabbrüche in der Realität auf private Ambulatorien angewiesen, weil in öffentlichen Spitälern kaum Abbrüche möglich sind. In Österreich ist der Anteil von ungewollten Schwangerschaften gerade wegen der hohen Preise für Verhütungsmitteln hoch – in den meisten anderen Ländern in Europa ist Verhütung zumindest für Jugendliche oder Frauen mit niedrigem Einkommen kostenlos. Und: die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament gehört zu Parteien, die Frauenrechte einschränken wollen. Hofer & Co. stellen hier also eine echte Bedrohung dar. Es ist also auch ein Kampf um unsere Rechte!

 

In neoliberalen Gewässern: Die „3. Welle der Frauenbewegung“ und der Kampf gegen Frauenunterdrückung heute

Sonja Grusch

Frauenunterdrückung gibt es auch im 21. Jahrhundert noch – und immer schon gab es Widerstand dagegen. V.a. von Frauen, aber auch von Männern. Die Analysen und Forderungen dieser Widerständischen aber sind nicht abgehoben von Zeit und Raum, sondern stehen in Wechselbeziehung mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen.

Die 1. Welle der Frauenbewegung  fand in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts statt. Obwohl das Frauenwahlrecht für viele im Zentrum stand, war sie alles andere als homogen und es kam bald zu einer Differenzierung in bürgerliche und proletarische Frauenbewegung. Diese 1. Welle fand vor dem Hintergrund verschiedener bürgerlicher Revolutionen sowie der erstarkenden ArbeiterInnenbewegung statt.

Die 2. Welle der Frauenbewegung ist in den 1960er Jahren angesiedelt. Die als „autonome“ Frauenbewegung (nicht im Sinne von anarchistisch-autonom sondern unabhängig von den verschiedenen Parteien) bezeichnete Bewegung setzte Themen wie die sexuelle Befreiung von Frauen, Verhütung, Abtreibung, Sexismus und Gewalt gegen Frauen sowie die Rolle von Frauen in der Familie ins Zentrum. Diese 2. Welle fand vor dem Hintergrund der Bürgerrechtsbewegung sowie der `68er-Bewegung statt. Auch gab es koloniale Befreiungsbewegungen sowie die revolutionären Erhebungen in z.B. Portugal.

Ab den 1990er Jahren spricht man von der 3. Welle der Frauenbewegung. Hierzu gehören Debatten bzw. Themen wie Gender, Intersektionalität, Identity Politics oder Definitionsmacht.

Die dominierenden Trends spiegeln jeweils das Bewusstsein und v.a. den Stand von Klassenkämpfen wieder.

Ab den 1980er Jahren gab es eine Reihe von Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken. Das hat auch zu einem insgesamt zurückgeworfenen Bewusstsein geführt. Auf der wirtschaftlichen Ebene hat sich das in der Offensive des Neoliberalismus ausgedrückt. Auf der ideologischen Ebene war der entsprechende Ausdruck u.a. der „Post-Modernismus“. Der Begriff dient als Sammelbegriff für verschiedene Ansätze, denen u.a. eine Ablehnung von Wahrheitsansprüchen verschiedener philosophischer oder politischer Richtungen gemeinsam ist. Diese, scheinbar kritische, Herangehensweise stieß aufgrund der negativen Erfahrungen mit der dogmatischen Darstellung des (eigentlich sehr flexiblen und undogmatischen) Marxismus durch diverse stalinistische bzw. maoistische Gruppen auf Unterstützung auch unter linken AktivistInnen. Reale gesellschaftliche Kämpfe und Widersprüche traten in der Analyse immer mehr in den Hintergrund. Mehr und mehr ging es um deren Erscheinung in gesellschaftlichen Diskursen. Gesellschaftliche Klassen, Klassenherrschaft und Frauenunterdrückung wurden zu Produkten von Diskursen. Die ArbeiterInnenklasse wurde als revolutionäres Subjekt abgeschrieben – Überhaupt wurde die Idee eines revolutionären Subjekts und die Möglichkeit revolutionärer gesellschaftlicher Veränderung angezweifelt. Aus der Skepsis gegenüber jede Form von Gruppenbildung wuchs die Verlagerung gesellschaftlicher Probleme und Debatten auf die individuelle Ebene. Ohne es zu wollen gelangten viele solcher Ansätze schließlich in ideologische Gewässer, in denen der Neoliberalismus herrscht, der ebenfalls die Klassengesellschaft leugnet und das Individuum isoliert. Die Postmoderne führte zur Individualisierung und Beliebigkeit  und lehnte "große Erzählungen" ab – folgerichtig formulierte 1989 der neoliberale Francis Fukuyama seine Theorie vom „Ende der Geschichte“.

Das Scheitern der revolutionären Bewegungen in den 1960er und 1970er Jahren, die Verbürgerlichung der Sozialdemokratie und schließlich der Kollaps des Stalinismus bedeuteten eine neoliberale Offensive auf allen Ebenen: in der Wirtschaft wurde dereguliert und privatisiert, was das Zeug hielt – und ideologisch wurde verkündet, dass jede/r für sich selbst verantwortlich ist. „So etwas wie eine ‚Gesellschaft‘ gibt es nicht“, brachte Margaret Thatcher es auf den Punkt.

„Feminismus“ oder „Feministinnen“ oder „Gender Mainstreaming“ wurden in Folge der starken vergangenen Bewegungen zwar in Regierungsprogramme/Regierungen integriert – doch diese Maßnahmen blieben meist auf der formalen Ebene, während gleichzeitig auf der sozialen Ebene brutaler Neoliberalismus durchgedrückt wurde. Die Zahl der Parteivorsitzenden oder auch Regierungschefinnen stieg, während gleichzeitig (auch durch diese) Kürzungen umgesetzt wurden, die v.a. Frauen trafen.

Doch dieser gesellschaftliche Backlash konnte in Bezug auf Frauen nicht einfach alle Errungenschaften der Vergangenheit zunichte machen. Die Gesellschaft und insbesondere die Frauen selbst hatten sich verändert. Die reaktionäre Propaganda musste unterschwelliger werden. In den 1980er Jahren sahen sich Frauen daher mit der Behauptung konfrontiert, es wäre für Frauen über 40 quasi unmöglich noch einen Mann „abzukriegen“ und man müsse sich daher sputen. Beliebt war es auch, Feministinnen mit dem Vorwurf der „Political Correctness“ Prüderie und Lustfeindlichkeit vorzuwerfen. Und Karrierefrauen wurden zwar nicht offen abgelehnt, doch wurde ein Bild gezeichnet, dass Mutterschaft doch letztlich weit erfüllender wäre. Der Film „Baby Boom“ mit Diane Keaton ist ein Beispiel für diese unterschwellige Propaganda.

Diese Propaganda passt zur Notwendigkeit des Kapitals, Frauen wieder verstärkt für Reproduktionsarbeit einzusetzen - also im Gesundheits- und Bildungswesen zu kürzen und diese Arbeit wieder unbezahlt in die Familie, also zu Frauen, zu verlagern. Neoliberale Offensive und konservativer Backlash gingen also miteinander Hand in Hand. Doch es wäre zu simpel, zu glauben, dass „das Kapital“, als einheitlicher Block, ausschließlich ein Interesse an einem reaktionären Frauenbild hat. Tatsächlich nützt Diskriminierung dem Kapital nicht nur – sie kann sich auch als unwirtschaftlich bzw. nicht profitabel herausstellen, wenn sie z.B. Menschen davon abhält, als Arbeitskräfte zur Verfügung zu stehen. Es ist also kein Zufall, wenn in Österreich die Industrieellenvereinigung ausreichend Kinderbetreuungseinrichtungen fordert. Hier geht es natürlich nicht um Frauenrechte sondern darum, dass alle potentiellen Arbeitskräfte gleichermaßen zur Ausbeutung zur Verfügung stehen müssen. Unterschiedliche Fraktionen des Kapitals haben hier also unterschiedliche Interessen und Wertvorstellungen, die sie propagieren.

Alles und alle sind wir Ware

Im Kapitalismus wird alles zur Ware, und zwar nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch unsere Körper – und Frauenkörper ganz besonders. Bei Liberalen finden wir oft vermeintlich fortschrittliche Forderungen zu Frauen oder auch LGBTQ-Fragen, während es zu sozialen Fragen eine klare Positionierung auf Seiten der Kapitalinteressen gibt. Wenn hier von Gerechtigkeit gesprochen wird dann geht es nicht darum, die Ausbeutung abzuschaffen, sondern nur sicher zu stellen, dass sich unter den AusbeuterInnen Frauen, Schwarze, LGBTQ-Personen etc. befinden.

Das zeigt sich z.B. auch im Umgang mit der Frage der Prostitution: Die Prostituierte wird nicht als besonders ausgebeutete Frau gesehen, die in Folge massiver Ausbeutung oft keine Wahl hat, sondern als freie Unternehmerin die ihre Tätigkeit selbstbestimmt ausführen soll. Widerstand gibt es daher von liberaler Seite auch nicht gegen Prostitution als solche, sondern bestenfalls gegen Zuhälterei die ja letztlich das freie UnternehmerInnentum einschränkt.

Die diversen NGOs die es in diesem Bereich gibt haben oft nicht primär die Aufgabe, Frauen beim Ausstieg zu helfen, sondern hauptsächlich, die Folgen dieses brutalen Geschäfts im Zaum zu halten. Die Tatsache, dass wohl die meisten der Beschäftigten und AktivistInnen in diesen NGOs bemüht, solidarisch und engagiert sind und gegen die Diskriminierung ihrer KlientInnen aufstehen ändert nichts daran, dass die Zuteilung staatlicher Gelder auch der jeweiligen Interessenslage des Kapitals entspricht. Dem Kapital geht es vor allem darum, die ArbeiterInnenklasse in Summe gesund genug zu halten, um genügend Arbeitskräfte zur Verfügung zu halten. Darum wurden z.B. von staatlicher Stelle in den 1980er Jahren große Mittel in die Aidshilfe gesteckt, als Aids als stark ansteckende und sich rasch verbreitende Krankheit gesehen wurde, die eingedämmt werden musste.

In seiner extremsten Form zeigt sich die Warenlogik im großen Markt der Leihmutterschaft. Natürlich ist es wichtig, das Recht von Frauen darauf, Kinder zu bekommen, zu verteidigen. Doch unter Bedingungen des Marktes werden die Körper armer (oft „farbiger“) Frauen benutzt, um reichen (oft „weißen“) Frauen den Zugang zu einem biologisch „eigenen“ Kind zu ermöglichen. Die ganze Frage ist mit einem biologistischen und damit letztlich auch rassistischen Zugang verbunden.

Niedergang der Frauenbewegung folgt den Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung

Die Frauenbewegung ist in den 1980er Jahren zurück gegangen. Grund waren der konservative Backlash in Folge der Niederlagen der ArbeiterInnenbewegung und des Zusammenbruchs des Stalinismus. Erschwerend kamen dabei die oft negativen Erfahrungen von Frauen mit linken Organisationen in den 60er und 70er Jahren hinzu. Hier gab es massiven Sexismus – Männer diskutierten darüber, wie sie die Revolution machen wollen und behandelten gleichzeitig „ihre“ Frauen oder auch die Frauen in ihren Organisationen von oben herab.

Ideologisch kreierten die diversen stalinistischen und insbesondere maoistischen Gruppen das – nicht bei Marx zu findende - Konzept eines Haupt- und Nebenwiderpruches. Die Frauenfrage wurde zu einer Nebenfrage abgewertet, die sich dann später, im Sozialismus, lösen würde. Diese Erfahrungen stießen viele Frauen zu Recht ab. Der Postmodernismus schien auch hier eine Alternative zu sein. Es herrschte eine scheinbar größere Offenheit für Frauenthemen, die persönliche Betroffenheit wurde ernst genommen. Im Gegensatz zur „Verallgemeinerung“ des „Marxismus“ setzte der Postmodernismus subjektive, individuelle Beziehungen ins Zentrum. Die unmittelbare Betroffenheit wurde zum Thema und schien – endlich – ernstgenommen zu werden. Doch wenn die Wahrnehmung von Unterdrückung eine individuelle ist, dann wird in Folge auch der Widerstand ein individueller. Solche Konzepte, die sich in den verschiedenen Trends im Feminismus der letzten Jahrzehnte widerspiegeln, sind für das Kapital jedoch weitgehend ungefährlich.

Aufdröseln bis zum letzten: Identity Politics

Eines dieser Konzepte ist Identity Politics. Der Begriff der Identität stammt aus dem Black Feminism der 1970er Jahre. Doch damals ging es um die soziale Identität armer schwarzer Frauen im Gegensatz zu jener der bürgerlichen, meist weißen Frauen. Bei der heutigen Identity Politics geht es um eine gänzlich individuelle Identität. Menschen werden anhand ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Alters, ihrer Vorlieben und Fähigkeiten  sowie ihrer Herkunft in unterschiedliche Identitäten aufgesplittert. Die Unterschiede von Unterdrückten werden betont anstatt die Gemeinsamkeit, nämlich die Klassenzugehörigkeit - also die Möglichkeit weniger, vom eigenen Reichtum (bzw. dem der Familie) gut leben zu können, im Unterschied zur einzigen Möglichkeit der meisten, die eigene Arbeitskraft zu verkaufen, um überleben zu können.

Identity Politics bewertet Menschen entlang dessen was sie „sind“, und nicht danach, was sie tun. So wird der Fokus verlagert. Nicht die Ursache von Unterdrückung ist hier Gegenstand der Analyse, sondern das Individuum wird isoliert von seiner Umgebung, seiner materiellen Grundlagen betrachtet.

Die Ursache von Unterdrückung wird im Individuum selbst (und zwar sowohl bei Opfer als auch bei TäterIn), in seiner/ihrer „Intoleranz“ oder seinen/ihren „Privilegien“ gesehen. Während es bei der 2. Welle der Frauenbewegung  um den kollektiven Kampf ging, verlagert die 3. Welle Kämpfe immer mehr auf die individuelle Ebene: Die Ursachen sind individuell (wegen eines „privilegierten“ Verhaltens von Individuen) – in Folgen sind auch die Empfindungen der unterdrückten Personen individuelle und als logische Konsequenz dieser Analyse müssen dann auch die Lösungen individuelle sein.

Der Ansatz half sicher, Frauen aus der auch als demütigend empfundenen Opferrolle heraus zu helfen („Ich bin nicht unterdrückt – du bist privilegiert“). Aber wenn das Individuum v.a. die eigenen „Privilegien“ checken soll dann kann die Konsequenz nur sein, dass sich Menschen z.B. in den entwickelten kapitalistischen Staat oder eben auch Männer als „privilegiert“ schuldig fühlen sollen. Und wenn dann diesen „privilegierten“ das Recht und die Fähigkeit abgesprochen wird, Forderungen oder gar Strategien mit  nicht-privilegierten mitentwickeln zu können, dann wird der Widerstand erschwert, weil die Unterschiede betont, die Gemeinsamkeiten ignoriert werden. Wenn nur über die "Privilegien" der Männer diskutiert wird, wird ignoriert, dass die wirklichen und großen Privilegien jene der herrschenden Klasse sind.

Identity Politics haben einen Klassenstandpunkt – und zwar jenen des „linken“ bzw. gesellschaftspolitisch liberalen Neoliberalismus. Die negativen Folgen dieses in die herrschende Klasse integrierten „Feminismus“ zeigt sich gut in der Person von Alice Schwarzer – einst Vorkämpferin für Frauenrechte, heute auf der Seite der herrschenden Klasse, sogar des brutalen Imperialismus, unter dem Vorwand der Verteidigung von Frauenrechten gegen „den Islam“.

Rasch wurde allerdings klar, dass es nicht nur die eine, sondern in diesem Konzept viele Identitäten bei einer Person gibt, wenn das Sein im Zentrum steht – das Geschlecht, Gender, die Herkunft, die Fähigkeiten und Beeinträchtigungen, all das schafft in einer Person viele verschiedene Identitäten.

Das Konzept der Intersektionalität wurde entwickelt, um die verschiedenen Identitäten und die Überlagerung ihrer jeweiligen Unterdrückung zu analysieren. Das bedeutet jedoch, davon auszugehen, dass jede Form von Unterdrückung ihren eigenen, isolierten Ursprung hat. Homophobie, Antisemitismus, Sexismus usw. werden so als völlig voneinander getrennte Phänomene dargestellt, die erst zusammenkommen, wenn ihre „Achsen“ sich in einem Individuum, das von ihnen betroffen ist, kreuzen. Im Gegensatz dazu stellt die marxistische Analyse eine gemeinsame Substanz dieser Formen der Unterdrückung, nämlich die Klassengesellschaft als Gesamtes, voran. Intersektionale Analysen können also nur die Konsequenzen von Unterdrückung beschreiben, nicht jedoch ihren Ursprung.

All das hat Auswirkungen auf die Fähigkeit zum Widerstand gehabt. Doch der postmoderne Neoliberalismus konnte Widerstand nur verwirren, nicht verhindern. Seit dem Backlash der 1980er Jahre gibt es nicht nur die Anti-Globalisierungs- und Anti-Kriegsbewegung, sondern eben auch die 3. Welle der Frauenbewegung. Dazu können die Slut Walks und der Girlie-Kult, in dem Vorurteile bzw. Stereotype aufgegriffen und als (verbale) Waffe übernommen werden, gezählt werden.

Ein Element aktueller Auseinandersetzungen sind auch Kämpfe für sichere Räume. Die 2. Welle der Frauenbewegung hat z.B. Frauenhäuser erkämpft und damit wichtige Schutzorte vor Gewalt geschaffen. Selbstverständlich braucht es Orte, Einrichtungen usw., wo Menschen, die ähnliche Unterdrückungserfahrungen gemacht haben, sich untereinander austauschen und bestärken können. In einer Klassengesellschaft wie dem Kapitalismus sind solche sicheren Räume jedoch äußerst begrenzt und kurzlebig.  Kämpfe müssen deswegen auch in die ungeschützte und brutale Welt, wo wir mit Rassismus, Sexismus und anderen Formen der Unterdrückung konfrontiert sind, getragen werden.

Das individualistische Konzept der Definitionsmacht („Defma“)

Einen Zugang, der gesellschaftliche Zusammenhänge individualisiert, finden wir auch beim Konzept der Definitionsmacht. Aus dem berechtigten Wunsch heraus, den oft verharmlosenden oder relativierenden Umgang mit sexualisierter Gewalt gegen Frauen zu beenden, ist ein Konzept geschaffen worden, dass die Verantwortung in letzter Konsequenz an das Opfer überträgt.

Dass das Opfer bestimmt, wo seine Grenzen überschritten wurden und somit ein Übergriff stattgefunden hat, ist einleuchtend. Doch oft reicht diese Feststellung alleine nicht. Denn sie wirft beispielsweise die Frage auf, ob ein Übergriff, der vom Opfer nicht als solcher wahrgenommen wird, auch keiner ist. Ist eine Frau, für die es „normal“ ist, wenn sie vom Ehemann geschlagen oder zum Sex gezwungen wird, nicht das Opfer von sexualisierter Gewalt? Wenn die Definitionsmacht ausschließlich beim Opfer liegt dann droht auch eine Verharmlosung von Gewalt. Unterschiedliche Formen von Übergriffen haben auf unterschiedliche Frauen unterschiedlich schwere Auswirkungen. Wenn nun im Konzept des „eye-rape“ sexistisches Gaffen mit Vergewaltigung auf eine Stufe gestellt wird, werden so die Erfahrungen von Frauen, die vergewaltigt wurden, ohne deren Zustimmung mit der Erfahrung, angegafft zu werden verglichen.

Auch bezüglich des Umgangs mit dem Täter wird die Verantwortung ans Opfer delegiert – für einen weiblichen Lehrling wird das in der Praxis schwer sein, sich gegen Übergriffe des Chefs zu wehren. Der Druck, den Übergriff nicht als solchen „zu empfinden“ und keine entsprechenden Konsequenzen zu fordern, steigt, wenn die Verantwortung auf das Opfer abgeschoben wird und solche Übergriffe z.B. nicht von der Gewerkschaftsbewegung aufgegriffen werden.

Aus dem berechtigten Wunsch, die individuelle Betroffenheit ernst zu nehmen, kommt es zu einem Umgang, der letztendlich ineffektiv ist - weil weder die Ursachen, noch die Lösungen individuelle sind. Die Schwäche des Defma-Konzeptes ist die Isolierung der Fälle vom gesellschaftlichen Rahmen. Und das ist das Problem mit all diesen Zugängen, die sich – dem zurückgeworfenen Bewusstsein entsprechend – in der letzten Periode entwickelt haben. Sie haben keinen „Klassenstandpunkt“ - und damit haben letztlich doch einen. Sie bleiben im Rahmen der existierenden Ideologie verhaftet, die die Ursache für Frauenunterdrückung und Sexismus in den Individuen und nicht in der Existenz der Klassengesellschaft sucht.

Die vielen Widerstände zusammen bringen!

Dennoch sind all diese Ansätze ein realer Startpunkt für die Politisierung von v.a. jungen Frauen. Hunderttausende, die an Slutwalks und anderen Mobilisierungen teilgenommen haben, zeigen eine neue Generation von jungen Frauen, die auf die Barrikaden geht. Viele der Konzepte der letzten Jahre wurden ausgetestet - und es hat sich gezeigt, dass mehr Managerinnen oder Ministerinnen die Probleme von Frauen aus der ArbeiterInnenklasse nicht lösen. Viele der aktuellen Klassenkämpfe finden in Bereichen mit einem hohen weiblichen Beschäftigtenanteil statt wie z.B. im Gesundheitswesen. Frauen sind hier oft in der Spitze der AktivistInnen und es findet eine massive Politisierung statt, die weit über die oft akademisch bleibenden Konzepte der 3. Welle der Frauenbewegung hinausgeht. Die Tatsache, dass viele der Frauen, die jetzt aktiv werden „alte, weiße Männer“ wie Sanders oder Corbyn unterstützen zeigt auch, dass sie verstanden haben, dass es nicht nur um persönliches Verhalten oder Identitäten, sondern um gesellschaftliche Zusammenhänge und soziale Fragen geht. Als SozialistInnen setzen wir bei der Wut über Sexismus an und ergänzen diese um eine Analyse der Ursachen von Frauenunterdrückung. Das gesellschaftliche Bewusstsein ist zurückgeworfen, aber es gibt Organisationen, die die Debatten, Lehren und Erfahrungen zusammengefasst und „gerettet“ haben. Wir müssen daher nicht wieder bei Null anfangen, sondern können die besten Traditionen der bisherigen Frauenbewegungen mit dem Elan und der Wut der jetzigen Frauen verbinden.

Die Ausbeutung von Frauen, der ArbeiterInnenklasse und der Menschen insgesamt kann beendet werden. Das werden wir erreichen, wenn wir das, was uns alle verbindet, nämlich dass wir Teil der ArbeiterInnenklasse sind als zentralen Punkt des Kampfes nehmen. Das bedeutet jedoch nicht, weitere Formen der Unterdrückung auszublenden. Die aus der Klassengesellschaft resultierenden Unterdrückungen entlang von Geschlecht, Ethnie etc. dürfen nicht als „Nebenwidersprüche“ abgetan sondern müssen als zentrale Unterdrückungsformen des Kapitalismus ernst genommen werden. Gemeinsamer Klassenkampf wird nicht durch das Hintanstellen der Kämpfe von Frauen, Nicht-Heterosexuellen oder ethnischer Minderheiten erreicht. Diese Kämpfe dagegen müssen ebenfalls im hier und jetzt geführt werden und dürfen nicht auf eine sozialistische Zukunft verschoben werden. Nur so ist ein gemeinsamer, langfristig erfolgreicher Kampf der ArbeiterInnenklasse überhaupt möglich.

Die Unterstützung für die Homo-Ehe war in Irland gerade in den ArbeiterInnenvierteln besonders stark. Dort sind auch die Kampagne für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und die Kampagne gegen die unsozialen Wassergebühren am stärksten. Die Frauenbewegung war auch historisch dort am erfolgreichsten, wo sie gemeinsam oder auch als Teil der ArbeiterInnenbewegung aufgestanden ist. Wir sollten keinen Kampf darum führen, wer am meisten unterdrückt ist, sondern darüber, wie wir diese Unterdrückung überwinden können. Wir müssen die wütenden jungen Frauen dort abholen, wo sie stehen, wo ihre Politisierung beginnt, und sie von der  Ursache der Unterdrückung überzeugen und sie für den gemeinsamen Kampf für eine sozialistische Zukunft gewinnen. Die Stärke der verschiedenen Konzepte der 3. Welle der Frauenbewegung liegt darin, dass sie die jeweilige Betroffenheit ernst nimmt und gelten lässt. Das ist ein guter Startpunkt, bei dem man aber nicht stehen bleiben kann, wenn man Antworten und Lösungen anbieten will, damit Frauenunterdrückung bekämpft und abgeschafft wird. Dazu braucht es ein Verständnis der Ursachen, die in der Klassengesellschaft zu suchen sind - und ein Konzept zum Widerstand, das alle Opfer dieser Klassengesellschaft in ihrer Vielschichtigkeit und ihren Gemeinsamkeiten zusammenführt.

Der Zoff um den Stoff

Hitzige Debatten über die Menge an Stoff auf Frauenkörpern wird geführt – v.a. von Männern
Lucia und Sonja Grusch

Beginnend mit den Olympischen Spielen wird in Frankreich und auch hierzulande eine Debatte über den „Burkini“ geführt. Dabei spielen sich scheinheiligerweise vor allem wieder einmal Rechte und Reaktionäre als bevormundende "Frauenbefreier" auf. Es ist dieselbe Ecke, aus der wir sonst zu hören kriegen, wir seien selbst schuld an einer Vergewaltigung, weil der Rock zu kurz war. Die Kontrolle über Frauen auch bei und durch Bekleidung ist nichts Neues und gibt es bis heute. Alle entsprechenden Vorschriften – von Schuluniformen und „sexy“ Berufskleidung, über den Druck zur Köperhaarrasur bis zur Ganzkörperverschleierung – sind eine Bevormundung. Was die betroffenen Frauen dazu sagen, interessiert jene, die uns bestimmte Bekleidungsvorschriften machen wollen, in der Regel ohnehin nicht.

Bei der aktuellen Burkini-Debatte geht es um Rassismus und nicht um Frauenrechte. Wird eine Frau freier, weil ihr nun wer anderer vorschreibt, was sie zu tragen hat? Oder durch die Verbannung aus dem öffentlichen Leben, weil sie nicht ins Bad oder in die Schule darf? Weil sie mit Kopftuch keinen Job bekommt? Echte Frauenbefreiung geht Hand in Hand mit sozialen Rechten. Damit Frauen sich emanzipieren können, braucht es das Recht auf kostenlose Ausbildung, leistbare Wohnung, legalen Aufenthalt und einen gesicherten Lebensstandard. Damit Frauen, egal welcher Herkunft, finanziell unabhängig von Männern werden, braucht es gut bezahlte Jobs für alle. Wer Kürzungspolitik betreibt, die v.a. Frauen trifft, der sollte von Frauenrechten schweigen.

Ein Kopftuchverbot ist nicht fortschrittlich

Das Tragen eines Kopftuches auf den Islam zu beschränken, ignoriert regionale Traditionen, praktischen Nutzen (Sand&Sonne) und dass auch bei uns bis vor Kurzem „anständige“ Frauen nicht ohne Kopfbedeckung außer Haus gingen (Queen!). Konfrontiert mit Rassismus greifen Frauen mit Migrationshintergrund verstärkt zum Kopftuch, um gegen aggressiv verlangte Anpassung aufzutreten. Von BefürworterInnen des Kopftuchverbotes wird oft behauptet, alle Kopftuchträgerinnen seien gezwungen, eines zu tragen. Als SozialistIn sind wir gegen ein Kopftuch- und Burkiniverbot, egal wo. Und für das Recht jedes Menschen, selber zu bestimmen, was er oder sie trägt. Das bedeutet auch, dass SozialistInnen aktiv gegen den Zwang, das Kopftuch zu tragen, eintreten und Frauen dabei helfen, sich gegen entsprechende Zwänge zu organisieren und zu wehren.

Der Pseudofeminismus der FPÖ

Abseits der Rhetorik ist die FPÖ jene Partei, die frauenfeindliche Politik noch aggressiver als SPÖ und ÖVP umsetzt. Das zeigt zum Beispiel die geplante Kürzung der FPÖ Wels für die Wohnbeihilfe für Familien, Jugendliche und Alleinerziehende. So wie die unsoziale Pensionsreform durch schwarz-blau 2000, die Frauen klar benachteiligt. FPÖlerInnen fordern schon mal die Abschaffung von Frauenhäusern und sind gegen das Recht auf Abtreibung. Der FPÖ ist die Lebensrealität von Frauen egal und ihre Politik trifft sozial schwächere, wie Frauen am härtesten. Und ihre rassistische Politik macht es Frauen schwerer, sich aus unterdrückenden Strukturen zu befreien. Tatsächlich tut sie also alles, um die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen zu erhalten.

 

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

28. September: Abtreibung ist Frauenrecht – in Österreich, Polen, Irland und überall! (Video und Bericht)

Video und Bilder: Nicht mit Mir, die SLP und viele andere gingen lautstark in auf die Straße.

Am 28. September ist der internationale Tag für sichere und legale Abtreibungen. Das war der Anlass zur Unterstützung der aktuellen Kampagne in Irland sowie in Polen. Die Kampagne Nicht mit Mir hatte zur Kundgebung gerufen – über 200 sind gekommen.

Hier gehs zum Heute-Video: http://www.heute.at/news/oesterreich/wien/sts23561,31566,C

Irland: Folter und Mord an Frauen

Der irische Staat hat ein fast vollständiges Abtreibungsverbot. Jeden Tag reisen durchschnittlich 12 Frauen nach Britannien, um dort einen Abbruch vornehmen zu lassen. Irland ist, neben Chile wo dafür der Diktator Pinochet verantwortlich ist, das einzige Land, wo das Verbot der Abtreibung im Verfassungsrang ist. Schon vor längerem hatte daher die sozialistische Abgeordnete Ruth Coppinger (von der irischen Schwesterpartei der SLP, der Socialist Party sowie der Anti-Austerity-Alliance/PBP) einen Antrag im Parlament eingebracht, diesen 8. Verfassungszusatz zu streichen. Es ist dies ein Teil einer weit größeren Kampagne, bei der tausende Frauen in Irland seit Jahren protestieren. Es werden Abtreibungspillen ins Land geschmuggelt, per Zug, Bus und sogar Drohne verteilt. Es wird klar gemacht: Schluss mit der Ermordung von Frauen, wie Savita Halappanavas, die wegen einer verweigerten Abtreibung an inneren Vergiftungen starb. Schluss mit der Folter von Frauen, wie einer Frau, die in Folge einer Vergewaltigung schwanger war, der die Ausreise verweigert wurde, deren Hungerstreik mittels Zwangsernährung gebrochen wurde um sie gegen ihren Willen per Kaiserschnitt zu entbinden.

Ruth Coppinger, die Kampagne Rosa (http://rosa.ie/) und viele andere sind seit Jahren aktiv und stellen sich auch gegen die Versuche der Regierung, durch eine Verzögerungstaktik die Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes zu verhindern. „Jede Verzögerung ist inakzeptabel“ machte Ruth in ihrer Botschaft an den Protest in Wien klar.

Polen: Reaktionäre Regierung tritt Frauenrechte mit Füßen

In Polen, das schon bisher ein extrem scharfes Abtreibungsrecht hatte, wurde dieses von der rechts-konservativen Regierung noch weiter verschärft. Seit Monaten gehen Frauen (und auch Männer) in Polen mit dem Symbol des Kleiderhakens (mit dem ganz real illegale Abtreibungen durchgeführt werden, die oft tödlich enden) auf die Straße. Schon früher in diesem Jahr hatte „Nicht mit mir“ eine Protestaktion vor der polnischen Botschaft organisiert an der sich auch der Kongress polnischer Frauen in Österreich beteiligt hatte. Auch diesmal waren viele polnische Frauen mit Plakaten und Tafeln gekommen. Sie sind zornig über die Situation in Polen und freuen sich über die Unterstützung in Österreich. Fast zeitgleich fand auch in Polen eine Protestaktion statt, zu der u.a. Alternatywa Socjalistyczną, die polnische Schwesterorganisation der SLP, aufgerufen hatte. Zu ihren zentralen Forderungen gehören u.a. auch Aufklärungsunterricht in den Schulen, kostenlose Verhütungsmittel sowie das religiös-fundamentalistische (in diesem Fall katholische) ÄrztInnen über das Leben von Frauen entscheiden.

Internationaler Aktionstag

Auch in Israel/Palästina, in Schweden, in Britannien, in Deutschland, in Belgien und anderen Ländern sowie in Linz gab es Aktionen in Solidarität mit den Frauen die für ihre Rechte kämpfen müssen. Zum Protest in Wien waren junge und alte Frauen, Vertreterinnen verschiedener Organisationen sowie solidarische Männer gekommen. Sonja Grusch von der SLP und Brigitte Hornyik, Juristin und langjährige Kämpferin für Frauenrechte, moderierten die Veranstaltung, bei der Grußbotschaften aus Irland und Polen verlesen wurden sowie RednerInnen aus Wien, Innsbruck und Deutschland, von Nicht mit Mir, der SLP, dem Kongress der polnischen Frauen in Wien, von Aufbruch sowie den Grünen zu Wort kamen.

Theresa Reimer von „Nicht mit Mir“ (https://www.facebook.com/nichtmitmir2014/?fref=ts) betonte die Notwendigkeit, sich nicht nur zu ärgern, sondern selbst aktiv zu werden. Sonja Grusch von der SLP wies darauf hin, dass die Mehrheit der Abgeordneten im Nationalrat zu einer Partei gehören, die den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen auch in Österreich einschränken möchte. Und dass eben dieser Zugang ohnehin sehr beschränkt ist. In ganz Österreich gibt es nur 17 Einrichtungen, die Abtreibungen durchführen, in manchen Bundesländern gibt es gar keine und die Kosten liegen bei mehreren hundert bis über tausend Euro. Auch in Wien müssen Frauen auf private Einrichtungen zurück greifen weil die KAV-Spitäler des Landes Einbrüche nur theoretisch durchführen.

„Wir kommen wieder“

Nach der Kundgebung vor der irischen Botschaft in der Wiener Innenstadt marschierte ein Demonstrationszug mit über 200 TeilnehmerInnen über den Fleischmarkt zur Postgasse. Zwischenstopp und Abschluss gab es vor den sogenannten „Lebenszentren“. Das sind die Einrichtungen der radikalen AbtreibungsgegnerInnen, von denen aus Frauen bedroht, belästigt und eingeschüchtert werden. Obwohl seit langem bekannt ist, dass die Organisation die dahinter steckt (HL) auch vor Terror und Psychoterror gegen Frauen nicht zurückschreckt, geht die Stadtregierung nicht gegen diese vor. Die angeblichen Lebensschützer sind verantwortlich dafür, dass weltweit alle sieben Minuten eine Frau an den Folgen eines illegal und daher medizinisch schlecht durchgeführten Abbruches stirbt. Wer den Zugang zu Abtreibung erschwert oder verbietet rettet keine Leben sondern zerstört sie. Das ist die bittere Realität. Das es den AbtreibungsgegnerInnen auch nicht um die Kinder geht zeigt sich daran, dass genau aus diesem Lager auch Kürzungen bei Kinderbetreuung, im Gesundheitswesen und bei Frauenlöhnen gibt. Alles Maßnahmen, die Kinder in die Armut treiben.

Kundgebung und Demonstration waren laut, wütend und entschlossen. Eine Tanzeinlage zum Schluss machte klar „wir sind stark und selbstbewusst, wir lassen uns die Lust am Lieben und Leben von religiösen Fanatikern nicht nehmen“. Klar war auch: wir kommen wieder, um das Recht von Frauen, über den eigenen Körper zu entscheiden in Österreich und international zu verteidigen. Our Body – Our Choice (Unsere Körper – Unsere Entscheidung)!

Veranstaltung zum Thema: https://www.facebook.com/events/196014547486545/

Borschüre zum Thema: https://www.slp.at/broschueren/volle-selbstbestimmung-f%C3%BCr-frauen-gegen-den-terror-der-abtreibungsgegner-4849

28.9. Rise up for women rights - Aufstand für Frauenrechte in Irland, Polen und Österreich!

Komm zur Aktion am 28.9. in Wien 1

Am 28. September findet der weltweite Aktionstag für einen sicheren und legalen Zugang zu Abtreibungen in Irland statt. 
Im Oktober wird das irische Parlament über eine Aufhebung des 8. Verfassungszusatzes diskutieren und abstimmen. Ruth Copppinger, Parlamentarierin der Socialist Party, wird den Antrag zur Streichung einbringen. Der 8. Verfassungszusastz besagt, dass das Leben der schwangeren Frau gleich viel wert ist wie das Leben des ungeborenen Kindes. Aufgrund der starken Verwobenheit der katholischen Kirche und des irischen Staates, bedeutet dies de facto ein völliges Abtreibungsverbot für Frauen in Irland, es sei denn das Leben der Schwangeren ist in Gefahr. Dies ist eine Ausnahmeregelung, die erst anfang 2014 in Kraft getreten ist. Im Jahr 2012 verstarb die 31-jährige Savita Halappanavar aufgrund einer verwehrten Abtreibung an einer Blutvergiftung. Dies löste massive Proteste aus, weshalb die Regierung zumindest teilweise dem Druck der Bevölkerung nachgeben musste und im Jahr 2013 den „Protection of Life during Pregnancy Act“ beschloss. Dennoch haben Ärztinnen und Ärzte immer noch die Möglichkeit auch Frauen in Lebensgefahr Abbrüche zu verwehren, wenn sie den Eingriff mit ihrem Gewissen nicht vereinbahren können.

Daher sind laut Schätzungen in den letzten 30 Jahren 150 000 Frauen nach England & Wales gereist, um dort abtreiben zu können. Klarerweise ist diese Reise für Frauen aus der Ober- und Mittelschicht leicht erschwinglich, stellt aber für StudentInnen, ArbeiterInnen, MigrantInnen und arbeitslose Frauen ein gewaltiges Problem dar. 
Schon seit längerer Zeit ist in Irland unsere Schwesterorganisation, die Socialist Party, mit ihrer Vorfeldorganisation ROSA (campaign for ’Reproductive rights, against Opppression, Sexism & Austerity) im Kampf für Selbstbestimmungsrechte aktiv. 
ROSA organisierte unter anderem den Abortion Pill Train & Bus organisiert. ROSA und Pro-Choice Aktivistinnen sind dazu nach Nordirland gereist, um Abtreibungspillen zu kaufen, über die Grenze zurück nach Irland zu schaffen und diese dort öffentlich, aber illegal in Dublin einzunehmen, um auf die Problematik der restriktiven Anti-Abtreibungsgesetze in Irland hinzuweisen.
Auch andere Organisationen wie WomenOnWaves und WomenOnWeb sind im Kampf für Abtreibungsrechte ein essentieller Bestandteil. Diese Organisationen bestehen unter anderem aus ÄrztInnen, die die sichere und in den meisten Ländern Europas legale Abtreibungspille Mifegyne, an Frauen verschicken, die in Ländern wohnhaft sind, in denen Schwangerschaftsabbrüche nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zur Verfügung stehen. 

Auch in Österreich ist der Zugang zu Abtreibung eingeschränkt. Im Jahr 1975 trat die Fristenlösung in Kraft. Diese besteht im westentlichen aus einem Zusatz, der dem Verfassungsparagraphen, der besagt, das Abtreibung illlegal sei, beigestellt wurde. Nach diesem Zusatz sei eine Abtreibung straffrei, wenn sie innerhalb der ersten drei Schawangerschaftsmonate unter medizinischer Beratung durchgeführt werde oder wenn das Leben der Schwangeren oder des Kindes auf dem Spiel steht bzw. dieses mit psychischischen oder körperlichen Beinträchtigungen geboren werden würde. 
Real ist es trotzdem so, dass Schwangerschaftsabbrüche auch in Österreich sehr schwer zugänglich sind, die „Gewissensklausel“ ermöglicht es ÄrtzInnen Abbrüche abzulehen. Obwohl es theoretisch auch Zugang in staatlichen Krankenhäusern geben sollte ist dies oft nicht der Fall, woraufhin Frauen in Privatkliniken ausweichen müssen und Kosten bis zu 1000 Euro anfallen können.

Egal ob in Irland, Österreich oder Polen: Abbtreibung ist Frauenrecht! Jeder Frau sollte der Zugang zu einer legalen, sicheren und kostenlosen Abtreibung ermöglicht werden. Schon viel zu viele Frauen haben aufgrund verwehrter Abtreibung ihr Leben aufs Spiel gesetzt! 
Deshalb ruft Nicht Mit Mir am globalen Aktionstag für Abtreibungsrechte zu einer Kundgebung vor der irischen Botschaft in Wien auf, um Solidarität mit den Frauen in Irland zu zeigen und Druck auf die Regierung auszuüben.

SLP-Salzburg gegen militante AbtreibungsgegnerInnen

Stefan R.

Christliche FundamentalistInnen sind am 24. Juli im Rahmen ihres „1000-Kreuze-Marsches“ durch Salzburg marschiert. Dahinter steht die Organisation „Jugend für das Leben“ und ihre Forderung nach dem kompletten Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen. Die SLP ist seit Jahren für Frauenrechte aktiv und war auch Teil der Gegendemo. Sarah Krenn (SLP) hat in ihrer Rede die Möglichkeit für kostenlosen Schwangerschaftsabbruch in allen Salzburger Krankenhäusern gefordert. Statt der Hetze der FundamentalistInnen braucht es mehr Geld für Kinderbetreuungseinrichtungen und Soziales. Vor dem Landeskrankenhaus hat die SLP bei einer Kundgebung die FundamentalistInnen mit Unterstützung von AktivistInnen aus Linz und Gmunden konfrontiert. Die Reaktionen von PassantInnen waren überwiegend positiv.

Erscheint in Zeitungsausgabe: 

Politische Frauen im Rap

„With the knowledge from the hood that will blow your mind“ (Lah Tere)
Linda Fischer, Mitglied der SAV, deutsche Schwesterorganisation der SLP

Rapmusik gilt als männerdominiert, geprägt von Sexismus und Macho-Gelaber. Und tatsächlich ist Rap mitunter geprägt durch frauenfeindliche Lines, homophobe Sprüche und Ähnliches. Grund genug sich damit zu beschäftigen, was Hip Hop, und im speziellen Rap, ebenfalls ausmacht.

Musik als Kunstform und die Entwicklung neuer Subkulturen, die Schaffung neuer Musikstile drückt die Unzufriedenheit mit dem Status Quo aus. Musik kann dazu dienen die Kreativität und Experimentierfreudigkeit zu entfalten – den Horizont zu erweitern.

Sie ist einerseits Spiegel der gesellschaftlichen Entwicklungen und kann andererseits gesellschaftliche Veränderungen, antikapitalistisches und sozialistisches Bewusstsein vorantreiben.

In Zeiten gesellschaftlicher Ruhe und Abwesenheit von Bewegungen, ist auch nicht damit zu rechnen, dass sich unabhängig von industrieller Musik viel Neues entwickelt. Mainstream-Musik war und ist wichtig um die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu festigen und zu versuchen Musik, die aufbegehrt, zu ersticken.

Auch im Rap sehen wir durch Kommerzialisierung in den USA oder Europa die Dominanz von Mainstream-Rap, der nicht mehr vordergründig Spiegel der Gesellschaft, sondern im Interesse der Herrschenden ist. Sexismus, Homophobie im Rap gab und gibt es, wie in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch ohne die Kommerzialisierung. Die Musikindustrie hat damit kein Problem: sexistische Stereotypen und Gangsterpathos zu fördern ist ok, solange die Rapper den wirklichen Gangstern an der Regierung und in den Chefetagen nicht (mehr) an den Kragen wollen.

Hip Hop wird vom Establishment bekämpft und gleichzeitig kommerziell vereinnahmt um den kämpferischen Charakter zu unterdrücken und ins Gegenteil umzukehren. Statt gegen Polizeibrutalität und Repression, handeln die Texte vermehrt von individuellen Reichtum. Statt „each one must teach one“ und „do it yourself“, gibt’s poppige Hooks (Refrains) und gekaufte Feature (bekannte Rapper die gegen Geld eine Strophe in einem Track eines unbekannten Rappers rappen). In der Tendenz wird die Hip Hop Kultur – Graffiti, Breakdance, Djing und Rap – auf Rap beschränkt und der „coole Rapper mit diesen verrückten Klamotten“ vermarktet.

Dennoch: Hip Hop ist eine Kultur die in den letzten Jahrzehnten immer wieder in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten zum Sprachrohr und vorantreibender Kraft von Unterdrückten und Jugendlichen geworden ist und Rap eine Musik die die herrschenden Verhältnisse anprangert und das nicht nur durch männliche MC‘s (Abk. für Master of Ceremonies).

Rolle von Frauen im Rap – die Anfänge

Frauen sind Teil der Hip Hop-Geschichte. Ihre Texte handelten von Polizeibrutalität, Rassismus und Armut, es gibt auch eine Vielzahl feministischer Texte. Roxanne Shané beispielsweise, die 1984 einen Disstrack gegen den sexistischen Text des Hits Roxanne Roxanne der Rapcrew UTFO geschrieben hat. Im UTFO‘s Text ging es um ein „hochnäsiges“ Mädchen, welches die sexuellen Annäherungsversuche der Rapper ausschlägt. Roxanne Shanté´s überlegene Antwort: „(…) Wenn er für mich gearbeitet hätte, wäre er gefeuert worden. Und immer wenn ich ihn sehe, bettelt er mich an und die ganzen anderen Mädchen, die er immer versucht klarzumachen. Und immer wenn er mich sieht, reimt er. Aber versteht, im Vergleich zu mir ist er schwach.”

Queen Latifah, Moonie Love, Yo Yo, MC Lyte,Salt‘n‘pepa, Lin Que sind nur ein paar weitere Namen bekannterer Rapperinnen mit (teil-)politischer Message.

Und auch wenn aktuell weibliche (und männliche) MC‘s in der Regel den gängigen Geschlechterklichées entsprechen müssen, gepaart mit inhalts- und einfallslosen Rap, um erfolgreich zu sein (zum Beispiel Nicki Minaj Anaconda), gibt es auch in den USA eine Vielzahl von Gegenbeispielen. Ein interessantes Projekt ist „Momma‘s Hip Hop Kitchen“. Eine Veranstaltung in der Bronx, die seit neun Jahren stattfindet und eine Plattform und Raum bietet für Frauen im Hip Hop, mit feministischen Anspruch und Mobilisierung der Community. Lah Tere, selber Rapperin und Aktivistin, hat diese Veranstaltung initiiert. Sie meint, dass Hip Hop als Werkzeug für Widerstand genutzt wird, bei dem über Themen wie Ungerechtigkeit und Bildungsungleichheiten gesprochen wird, und darüber, wie das schwarze Frauen gerade in Gegenden wie der Bronx betrifft.

Interessant sind auch die Entwicklungen von Hip Hop, und im speziellen politischen Rap von Frauen, in Ländern die in den letzten Jahren im Vergleich zu Deutschland massive Bewegungen erlebt haben. Exemplarisch (und natürlich unvollständig) möchte ich auf Entwicklungen in der Arabischen Welt und Südamerika eingehen.

Rap und der Arabische Frühling

Die Entstehung der Hip Hop-Kultur im Nahen und Mittleren Osten ist je nach Land unterschiedlich. Im Iran gibt es beispielsweise eine lange Tradition von Poesie. In einem Interview betont der teheranische Rapper Yas: „Hip-hop begann in den USA, aber der Iran hat eine der längsten Traditionen von Poesie in der Welt“. Der im Libanon lebende Musikjournalist Jackson Allers betont, dass Hip Hop in der arabischen Welt wegen des kolonialen Einflusses von Frankreich (zweitgrößte Hip Hop-Markt in der Welt) in Algerien, Tunesien und Marokko begann.

Die Bedeutung von Rap, insbesondere die politische, nahm mit dem Aufflammen des arabischen Frühlings jedoch enorm zu. Rap spielte eine zentrale Rolle als Sprachrohr der Jugendlichen und Entrechteten, politisierte und inspirierte die Massen. Der tunesische Rapper El Général wurde verhaftet nachdem er seinen Track „Rayes lebled“ (Textzeile: „Wir leben im Leid, wie Hunde, die Hälfte der Bevölkerung erniedrigt“) veröffentlichte. Das Regime Ben Alis hatte scheinbar zu viel Angst vor der Wirkung solcher RapperInnen.

Eine ganze Reihe weiblicher MC‘s sind eng verbunden mit dem arabischen Frühling (eine interessante Zusammenstellung findet sich auf der Blogspot-Seite revolutionaryarabrap.blogspot.de). Die libanesische MC Malika betont in einem Interview, dass es beim arabischen Hip Hop nicht ums Entertainment geht, sondern um die Möglichkeit eine Stimme zu erhalten.

In der arabischen Welt sind AktivistInnen im Hip Hop von staatlicher und religiöser Repression betroffen. Die tunesische Rapperin Medusa berichtet davon, dass SalafistInnen sie physisch bei einer Kundgebung für das Recht auf Abtreibung angreifen wolllten. Andere wurden direkt von der Bühne weg verhaftet.

Die andere Seite der „Nicht-Vermarktung“ ist, dass die KünstlerInnen selbst die Kontrolle über die Produktion, die Message und Verbreitung (in der Regel über das Internet) haben. Das führt zwar dazu, dass Rap im Untergrund bleibt, birgt jedoch großes Potenzial für die Kreativität und Schlagkraft. Die marokkanische Rapperin Soultana meint, dass Rap eine Kunst ist, mit der über Dinge wie Armut, Gewalt, Missbrauch und gesellschaftliche Widersprüche berichtet werden kann. „Die Leute die unter diesen Dingen leiden, sind die Leute die diese Musik hören.“

Und gerade Frauen im Rap können anderen Frauen in der arabischen Welt Mut machen sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung zur Wehr zu setzen. In dem Song „Sawt Nssa“ (die Stimme der Frauen) rapt Soultana: „Es ist die Stimme der Frau die ich rufe, es ist die Stimme der Mädchen die ich rufe, die in meinem Land verloren gehen. Die Stimme derjenigen, die sprechen wollen. Eine Stimme für all die Frauen, die ein Zeichen wollen.“

In Ägypten hat eine 18-jährige Rapperin bei der „Arabs got talent“ TV-Show mitgemacht um über sexuelle Belästigung, die Behandlung von Frauen als Menschen zweiter Klasse und die sozialen Erwartungen an der Verhaltensweise junger religiöse Frauen. Sie ist bis zum Halbfinale gekommen, mit der Message, dass sie den Mädchen in Ägypten und anderswo sagen will, dass sie nicht alleine sind und sie alle die gleichen Probleme haben und nicht still bleiben dürfen, sondern ihre Stimme erheben müssen.

Die in London lebende Shadia Mansour ist sicherlich eine der bekanntesten Rapperinnen mit palästinensischen Wurzeln. In vielen ihrer Texte geht es um die Besetzung Palästinas und das Leid der Bevölkerung. Unsere heutige Existenz ist Widerstand, so Mansour. „Was palästinensischen Rap von westlichem Rap unterscheidet ist die Sprache – nichts Anderes. Am Anfang war die Rolle des Hip Hop sich auszudrücken. Rap – rhythm and poetry. Rap war fähig die Erfahrungen aus der Bronx auszudrücken. Die ersten Rapper rappten über Polizeibrutalität und ihren Kummer. Im palästinensischen Rap ist es dasselbe.“

Südamerika – Rappen kann jede(r)

Ähnlich wie in vielen arabischen Ländern, gibt es auch in südamerikanischen Staaten Verbindungen zwischen sozialen Bewegungen und HipHop. Sara Hebe (Rapperin aus Buenes Aires, Argentinien) meint, dass in ihrem Land die Vergangenheit der Diktaturen und die politischen Kämpfe die Inhalte des Rap prägen und weibliche MC‘s eine wichtige Rolle spielen: „Ja, es gibt viele Rapperinnen, die aktiv und sehr erfolgreich sind. Wir haben aber auch ein wichtiges Vorbild in der Frauen-Band Acitud Maria Marta – das haben wir als Frauen aus Argentinien deutlich vor Augen. Die hat uns ermutigt zu rappen, wir hatten einen Orientierungspunkt. (…) Wir sind weit von einem Matriachat entfernt, aber es gibt einen starken feministischen Kampf in Argentinien. Das Gleiche gilt für Chile.“ Der lebendige, politische Alltag hat Einfluss auf die Entwicklung des Hip Hop und umgekehrt. Sara Hebe beschreibt ihren Stil: „Mein politischer Ausdruck ist poetisch, ich schreibe schließlich Poesie. Aber natürlich wird das beeinflusst von allem, was ich fühle, und von dem, was passiert. Es gibt andere Songs von mir, die von Liebe handeln, vom Feiern und Spaß haben, vom Reisen und so weiter – ich schreibe über alles. Aber in allem findet man die politische Situation der Ungerechtigkeit im Recht und in der Gesellschaft.“

Die in vielen Texten sehr politische mexikanische Rapperin Mare Advertencia Lirika (aus Oaxaca) hat am meisten am Rap fasziniert, dass er Nichts erwartet, jeder kann es machen (es benötigt weder teure Instrumente noch „humanistische“ Kunstbildung o.Ä.), egal welchen Hintergrund man hat und worüber man sprechen möchte. Sie ist über die wachsende Graffitiszene in Mexiko zum Hip Hop gekommen und berichtet, dass die Politik bereits früh versucht hat Hip Hop Veranstaltungen zu kontrollieren. Staatlich organisierte und kontrollierte Veranstaltungen fanden statt – nach dem Motto: Hip Hop könnt ihr nur mit uns machen, weil wir das Geld haben und die Räume. Diese Veranstaltungen wurden mit politischen und Wahlkampagnen verbunden. Mare Advertencia Lirika meint: „Das ist deren Job uns zu kontrollieren, in einem Käfig zu halten, damit du dir nicht über den Rest der Gesellschaft sorgen machst.“ Sie hat mit anderen eine unabhängige Szene aufgebaut. Bei den sozialen Aufständen 2006 in Oaxaca waren die ganzen jungen Leute der wachsenden Hip Hop-Szene dabei. Sie waren nicht mehr die Exoten, sondern wurden zum wichtigen Teil der Bewegung, standen ganz vorne und entwickelten Forderungen.

Neben arabischen und lateinamerikanischen Ländern gibt es in weiten Teilen der Welt Rapperinnen die sich gegen die herrschenden Verhältnisse auflehnen. Und wie in allen gesellschaftlichen Bereichen ist auch die (Underground) Hip Hop Szene nicht frei von Sexismus, Frauen eine Minderheit und weibliche MC´s nicht automatisch fortschrittlich. Was kann helfen? Selbst aktiv werden, sich organisieren und Musik machen die den Herrschenden ein Dorn im Auge ist.

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