Die türkische Linke in Zeiten des Bürgerkriegs

Es brodelt in der Türkei - Zeit, Charakter und Aufgaben der türkischen Linken zu betrachten
Fabian Lehr

Die innenpolitische Lage der Türkei ist zum Zerreißen gespannt wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Im kurdischen Südosten des Landes bricht der Guerillakrieg zwischen PKK und Armee wieder in voller Intensität aus. Gleichzeitig schreitet der autoritäre Staatsumbau und gesellschaftliche rollback der AKP ständig voran. Entsprechend schwer sind die Herausforderungen an die türkische Linke. Nicht, als ob diese untätig wäre. Die Gezi Park-Proteste bewiesen das Mobilisierungspotential und die Kampfbereitschaft der türkischen Linken. Immer wieder erschüttern schwere Arbeitskämpfe Erdogans Regime. Dazu nur ein paar Beispiele der letzten Jahre: Die massiven, von der Regierung unterdrückten Metallarbeiterstreiks Anfang des Jahres. Die großen Arbeitskämpfe bei Tekel ab 2010. Die Streiks der öffentlich Bediensteten gegen Polizeigewalt 2013. In all diesen Arbeitskämpfen standen – was Erdogan besonders beunruhigt haben dürfte – türkische und kurdische ArbeiterInnen Seite an Seite. Nicht zu vergessen: Die heftige Demonstrations- und Streikwelle nach dem tödlichen Grubenunglück von Soma 2014.

Auch die politische Landschaft bewegt sich: Mit der HDP ("Partei der Völker") wurde 2012 eine neue, breite Linkspartei gegründet, die bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 aus dem Stand auf 13,1% der Stimmen kam. Angesichts der bisherigen Zersplitterung des linken Milieus der Türkei war das ein bedeutender Schritt aus der politischen Isolation. Ebenso aus dem ethnischen Sektierertum, denn die HDP versuchte von Anfang an, sich als Vertretung sowohl der kurdischen als auch der türkischen ArbeiterInnen und Armen zu präsentieren. Nicht ohne Erfolg: Obwohl die HDP ihre stärkste Basis klar in den kurdischen Gebieten des Südostens hat, konnte sie auch in Wahlkreisen der westlichen Türkei Achtungserfolge erzielen. Dennoch wird die HDP in erster Linie als "KurdInnenpartei", ja als politischer Arm der PKK wahrgenommen, von deren Kadern die Gründung maßgeblich ausging. Die HDP sieht sich dabei einem Dilemma gegenüber. Einerseits muss sie die Erwartungen ihrer kurdischen WählerInnen erfüllen, als Vertretung eines - wenn auch links gedeuteten - kurdischen Nationalismus zu agieren. Andererseits als in der gesamten Türkei wählbare linke Kraft auftreten, die sich auch für die Interessen türkischer ArbeiterInnen und Armer einsetzt. Wenn die Gründung der HDP auch Ausdruck der Einsicht der PKK-Führung ist, dass der Kampf gegen Erdogans Regime nur von den kurdischen und türkischen ArbeiterInnen gemeinsam gewonnen werden kann, wirken hier und da immer noch Traditionen des ethnischen Sektierertums nach. Erschwert wird die Aufstellung als in der ganzen Türkei wählbare ArbeiterInnenpartei auch durch das Fehlen eines marxistischen, klassenkämpferischen Programms. Die Breite und Offenheit der HDP stellt einen Fortschritt gegenüber der bisherigen Isolation und Zersplitterung der türkischen Linken dar. Sie bedeutet aber gleichzeitig oft eine Verwässerung des Programms, um niemanden unter all den äußerst verschiedenen Strömungen zu provozieren, die die HDP bilden, von Grünen über kurdisch-nationalistische Kräfte bis hin zu MarxistInnen.

Auf türkische ArbeiterInnen wird die HDP solange nur eine begrenzte Attraktivität ausüben, wie sie die nationale Frage in Kurdistan und die soziale Frage in der ganzen Türkei im Grunde wie zwei voneinander getrennte Probleme behandelt. Um kurdische und türkische ArbeiterInnenbewegung dauerhaft miteinander zu verbinden, müsste aber gerade gezeigt werden, dass diese Themenfelder für beide untrennbar verbunden sind. Einerseits wird die kurdische Befreiungsbewegung niemals zum Ziel eines kurdischen Staates oder auch nur eines autonomen Kurdistans innerhalb der Türkei gelangen können, solange das autoritäre Regime in Ankara im nichtkurdischen Großteil der Türkei sozial stabil bleibt. Der Guerillakampf der PKK kann immer nur einen mäßig erfolgreichen Defensivcharakter tragen, aber niemals zu einem entscheidenden Sieg über die technisch und personell unendlich überlegene türkische Armee führen. Ein freies Kurdistan kann nicht auf dem Schlachtfeld erkämpft werden, sondern nur durch die politischen Sympathien der ArbeiterInnen und Armen in Istanbul, Ankara und Izmir, durch ihre Weigerung, das Besatzungsregime in Kurdistan zu tragen. Andererseits muss den türkischen ArbeiterInnen und Armen die Wahrheit des Satzes von Karl Marx vermittelt werden, dass ein Land, das andere Völker unterdrückt, niemals frei sein kann und das Ende der Unterdrückung der KurdInnen in ihrem eigenen Interesse liegt. Es wäre zu zeigen, dass der auf der Unterdrückung Kurdistans ruhende türkische Chauvinismus den Kitt darstellt, durch den Erdogan islamisch-konservative, faschistische und breite kleinbürgerliche Schichten vereinen und sein Regime notdürftig stabilisieren kann. Kampf gegen Ankaras Unterdrückung Kurdistans ist gleichzeitig Kampf gegen die politische Niederhaltung und ökonomische Ausbeutung der türkischen Massen durch das türkische Kapital und seinen Mann fürs Grobe - Erdogan. Nur durch den Grundsatz, dass die soziale Revolution in der Türkei und die nationale Befreiung Kurdistans zwei Seiten derselben Medaille sind, werden sich kurdische und türkische Linke vereinen und über die AKP triumphieren können.

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