Kinderbuchlesung in der Türkis Rosa Lila Villa: Starke, bunte Mobilisierung – Polizei setzt rechten Aufmarsch durch

Flo Klabacher

Der vorne und hinten mit Tretgittern abgesperrte Bereich der Wienzeile vor der Türkis Rosa Lila Villa füllt sich schon ab 7:00 in der früh. Ab 9.00 Uhr wollen die faschistischen Identitären, Teile der FPÖ, führende Figuren der Corona-Leugner*innen-Szene und katholischen Fundamentalist*innen ihre Hetzaktion gegen eine Kinderbuchlesung der Drag Queen Candy Licious beginnen. Zu der Zeit ist es schon schwierig, von der Spörlingasse in den kleinen, vorne und hinten von der Polizei mit Tretgittern abgesperrten Bereich der Wienzeile zu kommen, weil so viele Leute zur antifaschistischen Gegenmobilisierung gekommen sind. „Die Hetze gegen queere Menschen wird in Österreich weiter zunehmen. Die Rechten schauen sich das aus den USA ab, und wir müssen dagegenhalten“, sagt eine Teilnehmerin. „Traurig, dass wir wegen sowas 2023 am Sonntag in der Früh aufstehen müssen“, sagt jemand anderer, „aber wenn wir uns auf die Polizei nicht verlassen können, müssen wir uns gegenseitig beschützen. Darum bin ich hier“. Mehr als 1.000 Menschen sind gekommen, um die Veranstaltung und die Villa zu verteidigen. Bunte Fahnen und selbstgebastelte Schilder schmücken die Kundgebung. Mit der ersten Rede vom Lautsprecherwagen der Rechtsextremen verwandelt sich die Gegenkundgebung zu einem lautstarken Protest. „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“ und andere Sprechchöre übertönen die rechten Reden und Parolen, in denen Verschwörungstheorien mit Transphobie, Homophobie und Rassismus verbunden werden. Spätestens ab dem Moment, wo auch aus den Fenstern der Türkis Rosa Lila Villa Musik und Parolen kommen, ist nur noch wenig von den Hetzreden zu hören. Die Mobilisierung ist ein voller Erfolg, die Rechten sind mit bestenfalls 300 Teilnehmenden klar in der Minderheit. Trotzdem sind sie brandgefährlich. Auch weil sie mächtige Freund*innen haben.

Polizei <3 Rechtsextreme

Zum einen ist das die Staatsgewalt. Der Staat ist nicht neutral, er ist Instrument der Herrschenden und hat die Aufgabe, ihre Herrschaft zu schützen. Wir leben in der anhaltenden Krise des Kapitalismus, mit Inflation, Verfall des Gesundheitssystems, Klimakrise etc. Es nützt der herrschenden Klasse, wenn sich die von all diesen Problemen betroffenen Menschen gegenseitig die Verantwortung für den gesellschaftlichen Verfall zuschieben, anstatt gemeinsam für Verbesserungen einzustehen – sie braucht Spaltung und Diskriminierung. Ihr Staat schützt die Gruppen, die diese vorantreiben und hat sich, hier in Form der Polizei, vor der Türkis Rosa Lila Villa einmal mehr augenfällig auf die Seite der Rechtsextremen gestellt. Wenn der parlamentarische Sicherheitssprecher der Grünen, Georg Bürstmayr, gegenüber dem Standard sagt, es sei „bedauerlich, dass eine Kulturveranstaltung so einen massiven Polizeischutz braucht“, verdreht er die Tatsachen. Die Polizei Wien weigerte sich, eine Sperrzone einzurichten, um die Kinderbuchlesung zu schützen (für den rechtsextreme Akademikerball macht sie sowas jedes Jahr). Sie genehmigte die faschistische Kundgebung direkt vor der Villa. Und sie setzte sie vor Ort auch physisch durch, indem sie direkt neben der Villa eine Fläche für die Aktion abgesperrt hat. Sonst hätten die LGBTQIA*+-Aktivist*innen, Feminist*innen und Antifaschist*in, die sich ab 7.00 Uhr morgens versammelten, gar keinen Platz gelassen für Identitäre & Co. Polizist*innen haben rund um die Villa niemanden geschützt außer den rechtsextremen Mob: Nicht die Kinder, die zur Vorlesung wollten und ihre Begleitpersonen, nicht die Menschen, die in der Villa leben, nicht die Journalist*innen, die über die Vorgänge berichten wollten. Und so ging es auch am Nachmittag weiter: Die Rechtsextremen zogen nach ihrer Hetzkundgebung mit Polizeischutz als (allem Anschein nach zumindestens teilweise unangemeldete) Demonstration über die Wienzeile und später über die Ringstraße. Die Proteste vom Straßenrand und Blockadeversuche, die den Aufmarsch begleiteten wurden von den Polizist*innen rabiat angegangen. In einem Fall rückten sie unter Einsatz von Pfefferspray gegen Menschen vor, die gerade versuchten, eine bewusstlose Person zu versorgen.

ÖVP vs FPÖ: Rechtes Match um die reaktionärsten Wähler*innenstimmen

Zum anderen ist das die etablierte Politik. Nicht alle großen Parteien stellen sich auf die Seite der Rechten, und einzelne SPÖ- und Grünen-Politiker*innen besuchten die Türkis Rosa Lila Villa. Doch keine große Partei beteiligte sich an der Mobilisierung zum Schutz der Lesung. Sie waren bestenfalls enttäuscht, weil die Polizei keine Schutzzone eingerichtet hat. Und sie arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen eng zusammen mit ÖVP und FPÖ, die inhaltlich die Positionen der Rechtsextremen wiedergeben. Neben der rechtsextremen FPÖ, von der nichts anderes zu erwarten ist als starke inhaltliche und personelle Überschneidungen mit faschistischen Mobilisierungen, setzt auch die ÖVP immer stärker auf erzreaktionäre Positionen und Kampfbegriffe. Es ist kein Zufall, dass sie am Tag vor der Kinderbuchlesung in einer Aussendung von „frühkindlicher Sexualisierung“ und „LGBT-Agenden“ schreibt, sich um Kinder „sorgt“, die in ihrer „Geschlechtsidentität verunsichert“ würden, und im Wesentlichen das Ende von Aufklärungsunterricht an Schulen fordert. Und es ist auch kein Ausrutscher. ÖVP-Wien-Chef Mahrer steht im Zentrum einer rassistischen Hetzkampagne um den Brunnenmarkt, die Richtung Verschwörungstheorie kippt: „Syrer, Afgahnen und Araber“ hätten „den Markt übernommen“, er sei eine „abgeschottete Community“ und sei für den Anstieg an Sexualstraftaten in Ottakring verantwortlich. Nach der Wahlniederlage in Niederösterreich und angesichts der nahenden Nationalratswahlen scheint es, als wolle die ÖVP mit der FPÖ um die Stimmen der reaktionärsten Teile der Wahlberechtigten kämpfen. Das bedeutet in erster Linie Rückenwind für rechtsextreme Mobilisierungen: So nehmen die Identitären Mahrers Brunnenmarkt-Kampagne auch als Anlass, um in Ottakring einen Aufmarsch zu versuchen. Der Rechtsruck der ÖVP und die rechte Koalition in Niederösterreich zeigen auch die Gefahr einer neuen FPÖVP-Regierung auf Bundesebene nach den nächsten Wahlen. So eine Regierung wäre eine riesige direkte Gefahr für Frauen, Queere Personen, Migrant*innen und Beschäftigte und würde gleichzeitig Faschist*innen wie die Identitären noch weiter ermutigen. 

Große, bunte Mobilisierung ist ein Erfolg – wie geht’s weiter?

Kurzfristige und trotzdem sehr starke Mobilisierungen wie die zur Türkis Rosa Lila Villa zeigen das Potential, dass es für Widerstand gegen rechte Hetze gibt. Das Beispiel zeigt, dass die Rechtsextremen eine solche Aktion aktuell nur mit der Unterstützung durch die Polizei durchziehen können – aber auch, dass sie diese Unterstützung haben. Um sie trotzdem vollständig zu verhindern, wäre eine breitere Mobilisierung notwendig, zum Beispiel über gewerkschaftliche und betriebliche Basisstrukturen, die es großteils erst aufzubauen gilt. Von der trägen, großteils an die SPÖ gebundenen Führung der Gewerkschaften können wir uns hier wenig erwarten. Der Wiederaufstieg der FPÖ in die Regierungskoalition in Niederösterreich und bei den Umfragen auf Bundesebene,  der fortgesetzte Rechtsruck der ÖVP und eine drohende FPÖVP-Bundesregierung bedeuten außerdem eine sehr reale Gefahr für die Rechte von LGBTQIA*+-Personen, Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund. Und auch für Menschen aus der Arbeiter*innenklasse allgemein: Immer mehr Menschen sind von der Krise des Kapitalismus betroffen, unter anderem durch steigende Kosten für Mieten, Lebensmittel und Mobilität, steigenden Arbeitsdruck oder Klimawandel. Die Aufgabe, vor der wir stehen, ist, den Kampf gegen rechte Hetze mit einem politischen Programm zu verbinden, dass bei diesen Problemen ansetzt, echte, nämlich antikapitalistische Antworten darauf gibt – und so den gefährlichen pseudo-Lösungen von ÖVP, FPÖ, Identitären & Co das Wasser abgräbt.

ROSA- und ISA-Aktivist*innen waren bei der Aktion vor der Türkis Rosa Lila Villa dabei und haben dort Diskussionen darüber geführt, wie ein solches Programm ausschauen kann. Wir haben unsere Zeitungen unter die Leute gebracht – und das Angebot gemacht, mit uns gemeinsam weiter aktiv zu bleiben. Konkret haben wir Flugblätter verteilt für eine Gegenkampagne zur Aktion der Identitären Yppmplatz am 29. April. Mehr Infos zu der Kampagne gibt’s in Kürze auf unseren Social Media Kanälen.