Über Österreichs Politik an den EU-Außengrenzen: Lipa im Gespräch

Die imperialistische und rassistische Politik Österreichs zeigt sich erneut an den EU-Außengrenzen. Wir sprechen mit Petar Rosandić (SOS-Balkanroute) über das Gefängnis in Lipa, Österreichs Außenpolitik und Rassismus.
Artikel von Bianca Szabó

Das Flüchtlingslager in Lipa (Bosnien-Herzegowina), knapp an der kroatischen Grenze, ist seit 2020 ein Ort, an dem tausende Geflüchtete auf der Balkanroute verharren. Die SOS-Balkanroute ist eine humanitäre Initiative, die sich für ein menschenwürdiges Leben von Geflüchteten einsetzt. Im Zuge ihrer Recherchen stellte sie fest, dass in Lipa ein Gefängnis gebaut wurde, welches mitunter von Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) als Leiter des ICMPD (International Centre for Migration Policy Development) mit 500.000 € mitfinanziert wurde.

Damit sind österreichische Politiker*innen klare Mittäter*innen an der menschenfeindlichen Politik, an den EU-Außengrenzen. Petar Rosandić stellt klar, dass das, was sich an den EU-Außengrenzen abspielt, einen systematischen Rechtsbruch darstelle. Das isolierte Lager in Lipa sei ohnehin schon abgelegen und befinde sich neben einem Minenfeld. Er verglich die Situation mit Guantanamo und wurde deshalb vom ICMPD geklagt. Die mediale Berichterstattung über die Migrationspolitik in Bosnien-Herzegowina bleibt beabsichtigt irreführend. Die bosnischen Behörden teilten am 8. Juni mit, dass die Inbetriebnahme des Gefängnisses abgesagt wurde. Zur selben Zeit aber verkündeten die EU und das ICMPD die Fortführung des Projekts. Das Leben der schutzsuchenden Menschen ist in Lipa verheerend – Petar fragt daher mit Nachdruck: „Was hat ein Gefängnis überhaupt in einem Camp für schutzsuchende Menschen zu suchen?“

Dass Österreich die Politik in BiH beeinflussen will, ist kein Geheimnis und auch kein Zufall. Österreichische Unternehmen wie der Baukonzern Strabag oder die Raiffeisenbank bauen ihren wirtschaftlichen Einfluss in der Region seit Jahrzehnten aus. Der österreichische Staat nimmt damit die Rolle des Täters und des Profiteurs ein. Das ist imperialistische Politik, die auf dem Rücken der Arbeiter*innen ausgetragen wird. Dass durch ein EU-finanziertes Projekt auf mitunter österreichischer Initiative ein Gefängnis an der Grenze zu Kroatien gebaut wurde, ist der Gipfel der fremdenfeindlichen und kapitalistischen Politik. imperialistische Geschäfte am Balkan sind also von konkretem Interesse für österreichische Politiker*innen. Petar beschreibt die österreichische Asylpolitik im Zusammenhang mit staatlichen Rassismus wie folgt: „Der bürgerliche Rassismus manifestiert sich überall“. Das bedeutet, dass wir uns umso mehr der „dominanten politischen Rolle Österreichs am Balkan“ bewusst sein müssen und eine „moral-politische Verantwortung haben“.

Für Petar ist die abgewiesene Klage gegen die SOS Balkanroute ein erster wichtiger Erfolg gegen das System Rassismus und für die Pressefreiheit. Es bleibt einer von vielen Kämpfen, den wir gegen illegale Gefängnisse, gegen systematischen Rassismus und Sexismus weiterführen müssen. Geflüchtete Menschen verdienen ein menschenwürdiges Leben, so auch in Österreich. Es braucht eine Politik, die den Fokus auf Integration und Inklusion legt, nicht auf systematische Ausgrenzung.

Wir müssen gemeinsam anfangen, die Verantwortung für diese Missstände ganz oben zu suchen. Migrant*innen sind keine Bedrohung. Die tatsächliche Bedrohung geht von jenen aus, die sich durch Ausbeutung bereichern. Das sind im Fall Bosnien-Herzegowinas sowohl der österreichische Staat als auch Konzerne und Banken. Um diese Ausbeutung und den systematischen Rassismus bekämpfen zu können, müssen wir uns gegen Imperialismus und Kapitalismus organisieren: “Am Ende bleibt stets unser Ziel, dieses System zu sprengen und es nicht zu erhalten”, so Petar.

 

Das ganze Interview mit Petar Rosandić (SOS-Balkanroute):

Wie ist der aktuelle Stand um Lipa? Bleibt die Einrichtung geschlossen?

Es ist wie alles was offiziell verkündet wird über die sogenannte Migrationspolitik in Bosnien-Herzegowina: Widersprüchlich, oft auch irreführend, um Chaos zu erzeugen. Der kantonale Premierminister und der dortige Menschenrechtsminister gaben am 8. Juni das Aus bekannt. Bosnien erteilte also seinerseits eine klare Absage. Gleichzeitig verkündeten, im neokolonialen Stil, das Wiener ICMPD und die EU die Fortsetzung des skandalösen und bis heute illegalen Projekts. Sie wollen mit imperialer Macht und Gewalt ein illegales Gefängnis legalisieren, welches der Ziehvater von Sebastian Kurz gebaut hat. Dabei ist Lipa selbst ein Skandal auch ohne Gefängnis, isoliert im Dschungel, nicht auf der Route, neben einem Minenfeld gelegen. Nicht einmal die Schottertstrasse wurde asphaltiert, obwohl die EU seit 2018 120 Millionen Euro Hilfe für Geflüchtete dorthin schickte. Abgesehen davon: Was hat ein Gefängnis überhaupt in einem Camp für schutzsuchende Menschen zu suchen?

Wie erklärst du dir die verfehlte/fehlende Berichterstattung über die entmenschlichte Situation vieler Geflüchtete an den EU-Außengrenzen in bürgerlichen Medien?

Der bürgerliche Rassismus manifestiert sich überall, gepaart mit manipulierend gedeuteten Zahlen und dem Streuen von Bedrohungsszenarien und billig gezüchteter, aber gesellschaftlich äußerst gefährlicher Angst. Es ist völlig irre an sich, was da passiert, weil auch alle Fakten gegen diese irrsinnig brutale und menschenverachtende Asylpolitik sprechen. Was sich an den EU-Außengrenzen abspielt, ist systematischer Rechtsbruch in rechtsfrei gehaltenen Räumen, die man dazu nutzt, um mit menschlichen Schicksalen Ping-Pong am Balkan zu spielen. Spielen ist untertrieben. Sie zu foltern und, ja, sie auch sterben zu lassen.

Und, nein, es kann uns nicht egal sein, wir haben als Land und Gesellschaft aufgrund dieser dominanten politischen Rolle Österreichs am Balkan eine enorme moral-politische Verantwortung, vor allem gegenüber den Bosnier:innen, deren Vertreter:innen klar gesagt haben, dass sie kein Gefängnis dort wollen. Letztendlich denke ich weiß jeder trotz mancher bürgerlicher Medien-Enten hierzulande, was es mit Lipa auf sich hat. Es wurde wirklich viel Seriöses dazu veröffentlicht – auch vom ORF. Und letztendlich gibt es auch ein klares Gerichtsurteil.

Inwiefern siehst du die imperialistische Rolle Österreichs in Bezug auf Jugoslawien mit der heutigen Flüchtlingsthematik verbunden?

Österreich hat mit dem direkten Einsatz an der ungarisch-serbischen Grenze sowie an der serbisch-mazedonischen Grenze, aber auch mit solchen illegalen Projekten wie dem Lipa-Camp eine direkte Täterrolle. Da gibt es für mich keine Diskussion. Zu schlimm ist es, was den Menschen dort in diesen rechtsfreien Räumen passiert, um irgendetwas weich zu spülen.

Wie können wir gegen den institutionellen Rassismus vorgehen? Was schließt du aus der Klage gegen dich und wie geht es nun für die SOSBalkanroute weiter?

Wir müssen diesem mit Fakten immer wieder stark entgegentreten und überall bewusst machen, entpuppen, immer wieder aufzeigen, was da für ein menschenverachtender Unsinn propagiert und praktiziert wird. Wir müssen trotzdem mit möglichst allen reden, mit allen im Dialog sein und gemeinsam tun, wo gemeinsam tun möglich ist. Aber am Ende bleibt stets unser Ziel, dieses System zu sprengen und es nicht zu erhalten. Menschen müssen Menschen wieder als Menschen wahrnehmen. Diese massive Dehumanisierung muss gestoppt werden.

Was schließt du aus der Klage gegen dich und wie geht es nun für die SOSBalkanroute weiter?

Der Sieg vor dem Wiener Handelsgericht war wichtig, die klaren Worte des Richters Balsam für viele, die seit Jahren diese unmenschlichen Zustände kompromisslos benennen und gegen sie ankämpfen. Zugleich war es ein wichtiger Befreiungsschlag für die freie Meinungsäußerung und auch die Pressefreiheit, wenn man bedenkt, dass ein KURIER-Journalist vom BMI und vom ICMPD persönlich unter Druck gesetzt wurde mit Mails und sogar Drohungen. Es war eine Watsche für all jene, die glaubten, die ungarischen und russischen Zustände seien in Österreich zur Gänze angekommen.

Natürlich, es ist noch nicht vorbei. Die Kläger, zugleich Errichter des illegalen Gefängnisses, kündigten Berufung an. Ob bei tagtäglichen humanitären Aktionen oder bei Kriminalisierungsversuchen im Gerichtssaal, ob Klimakleber:innen oder Menschenrechtsverteidiger:innen: Wir werden in Zukunft öfter geschlossen fundamentale Menschenrechte verteidigen müssen. 

 

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