Der 1. Weltkrieg: Hölle auf Erden statt Platz an der Sonne

Der 1. Weltkrieg bewies auf brutalste Weise die Unfähigkeit des Kapitalismus zu weiterem Fortschritt.
Franz Neuhold

Herrlich klangen im Sommer 1914 die Versprechungen von Kaiser, k.k. Ministerpräsident und Zeitungen. Der Krieg dauere kurz, sei praktisch schmerzlos und eröffne eine Zukunft in Wohlstand & Frieden für alle. Im Vorbeigehen tue man auch etwas Gutes und befreie die Völker des Ostens vom Joch des russischen Kaiserreichs. Da jubelte selbst die Sozialdemokratische Partei und versprach, garstige Dinge wie Demonstrationen und Streiks bleiben zu lassen. Der Kaiser, k.k. Ministerpräsident und die Fabriksherren wüssten schon, wo's lang geht. Die ArbeiterInnen würden brav folgen und kämpfen, so die Parteispitze.

Tatsächlich erschien der Weltkrieg anfangs vielen Menschen sogar als Ausweg aus sozialer Misere und politischem Stillstand. Auch hatten nationalistische Hetze und chauvinistischer Irrsinn Hochkonjunktur. Dass sich die Lage durch den Krieg dramatisch verschlimmern und Millionen 'einfacher' Menschen sich gegenseitig im Interesse der Reichen und Mächtigen abschlachten lassen würden, war leider nur Wenigen am linken Flügel der ArbeiterInnen-Bewegung klar. Doch allzu lange dauerte es nicht, bis ein gewaltiger Leidensdruck einsetzte. Der Tod im Schützengraben (ca. 10 Millionen) hatte im Hinterland seine Entsprechung: Ca. 7 Millionen Menschen in Europa starben an Hunger, Seuchen und mangelnder medizinischer Versorgung. Hinzu kamen mehrere Millionen Tote durch Grippewellen und andere Krankheiten in den Kolonien der imperialistischen Länder (v.a. Indien, Afrikanischer Kontinent).

Krieg ist die Folge zugespitzter wirtschaftlicher und sozialer Widersprüche. Die gesellschaftliche Basis im frühen 20. Jahrhundert bildete der Kapitalismus und der ihm innewohnende Konkurrenzkampf. Doch es ist ein besonderes Entwicklungsstadium, in das die Welt eingetreten war. Die Entwicklung im 19. Jahrhundert führte zur Konzentration der Produktion und der Herausbildung von Monopolen (Weltkonzerne, Multis). In diesem Zusammenhang engagierten sich Banken und Versicherungen immer stärker in der Industrie, was zur Entstehung eines neuen Kapital-Typs (Finanzkapital) führte. Der Aufbau moderner Industrien überwand in atemberaubenden Tempo regionale und nationale Grenzen. Der sogenannte Kapitalexport (im Gegensatz zum bloßen Warenexport früherer Phasen) erschloss neue Märkte und internationalisierte Arbeitsteilung und Rohstoffbereitstellung. Dies ging einher mit Kolonialkriegen inklusive brutalem Rassismus und der Aufteilung der Ressourcen und Regionen dieser Erde unter den führenden Mächten. Mit dem Abschluss dieser Entwicklung um die Jahrhundertwende war der Imperialismus am Ende seiner Expansionsmöglichkeit angelangt. Es gibt eben nur eine Erde.

Gleichzeitig spitzte der Imperialismus nicht nur die Widersprüche zwischen den sozialen Klassen zu. Er verschärfte ebenso die Konflikte der dominierenden wirtschaftlich-politischen Blöcke, Nationalstaaten und altersschwachen Monarchien untereinander. Gebietsmäßige Veränderungen wurden für manche Regimes zentral. Deutschland war zuvor im kolonialen Zeitalter ins Hintertreffen geraten. Österreich-Ungarn hielt außer einem kleinen Fleckchen in der chinesischen Stadt Tianjin überhaupt keine kolonialen Territorien. Das System Kapitalismus, das angeblich alles durch den „freien Markt“ regelt, war nicht einmal in der Lage, die friedliche parallele Existenz von Nationalstaaten zu gewährleisten. Produktion und Verteilung hatten diesen Rahmen im Zuge der imperialistischen Entwicklung der Globalisierung längst gesprengt, obwohl das Profitsystem gleichzeitig den Nationalstaat weiterhin als Basis und bewaffneten Schutzherren benötigt. Der Weltmarkt forderte nun Tribut. Ausnahmslos allen imperialistischen Mächten ging es im Krieg niemals um Demokratie, sondern die Neuaufteilung von Kolonien und Einflusssphären, Rohstoffen und Ausbeutung der Arbeitskraft. Den höchsten Preis dafür zahlten in allen Fällen die Massen der Arbeitenden. Es waren Opfer für die Profite der kapitalistischen Eliten und ihres Staatsapparats.

Zum Wahnsinn des Krieges gehörten nicht nur die Gräuel der Schützengräben. Im Fall der US-Armee wird davon ausgegangen, dass ähnlich viele an der „Spanischen Grippe“ starben wie bei Kampfhandlungen der gesamten Infanterie. Genauso gefährlich war die Situation für Jung und Alt zuhause: Allein im deutschen Steckrübenwinter 1916/17 verhungerten mehr als 750.000 Menschen. Jegliche Verschlechterung der Versorgungslage traf ArbeiterInnen und städtische Bevölkerung besonders hart. Viele Landwirtschaften waren entweder infolge der Kriegsbedürfnisse handlungsunfähig oder es wurde spekuliert. Die Preise für Lebensmittel erfuhren absurde Preissprünge nach oben. HändlerInnen bedienten lieber den Schwarzmarkt und bereicherten sich an der Not Anderer. Auch führte ein solcher Krieg vor Augen, wie international vernetzt Produktion und Handel sind. Eine vollständig autarke nationale Versorgung für zig Millionen ist langfristig gar nicht mehr möglich. Der Mangel an Verpflegung ändert die Stimmung grundlegend. Abgründe trennen die sozialen Klassen: Während reiche BürgerInnen ab und zu auf den Nachtisch verzichten müssen, verhungern ArbeiterInnen-Kinder. Es wurde klar, dass es kein „gesamt-nationales Interesse“ gibt. Ab nun war es nur noch ein kleiner Schritt, um das zugrundeliegende Wirtschaftssystem abzulehnen.

Ausdruck imperialistischer Expansionsbestrebungen

Was waren eigentlich die Errungenschaften des Weltkrieges? Technischer Fortschritt? Nein, den gibt es in Friedenszeiten genauso (wir leben bereits im Industriezeitalter). Ebenso ist für den Ausbau von Verkehrsnetzen kein Krieg erforderlich. Und würde die Entwicklung von Giftgas tatsächlich den Tod Hunderttausender rechtfertigen? Im Wesentlichen konnten sich einige kapitalistische Mächte auf Kosten anderer stärken und in der imperialistischen Hierarchie aufsteigen. Die ArbeiterInnen dieser Länder erhielten das Privileg, sich ab nun für eine Weltmacht ausbeuten zu lassen.

Die bürgerlichen Eliten schlugen sich ab 1914 endgültig nicht mehr mit Humanismus und Aufklärung herum. Unauslöschlich war bewiesen, dass sie zur Verteidigung ihrer Privilegien zum massenhaften Abschlachten von Menschen bereit und fähig sind. Doch genau diese Herrschenden präsentierten den Weltkrieg doch als „letzten notwendigen Krieg“. Wir erinnern uns: angeblich dauerhafter Wohlstand und Frieden im Kapitalismus.

Die Prognose von MarxistInnen gründete hingegen auf handfesten Überlegungen: Wenn bei globaler Arbeitsteilung der bürgerliche Nationalstaat und das private Eigentum in Industrie und Finanz bestehen bleiben, dann werden alle Widersprüche, die VOR dem Ersten Weltkrieg existiert haben NACH diesem ebenso vorhanden sein und erneut einen Ausweg suchen. Die Optionen verdichteten sich zur Alternative Systemwechsel oder Weltkrieg. Den Niederlagen der sozialistischen Revolutionen ab 1918 folgten durchwegs Massenarmut, chronische Arbeitslosigkeit (v.a. der Millionen Kriegsheimkehrer), politische Instabilität sowie die erneute Zunahme diktatorischer Tendenzen. Nur 20 Jahre später begann ein noch größerer Weltkrieg mitsamt der industriellen Massenvernichtung durch den Faschismus.

 

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