Die Geburt der Bürokratie

Jan Millonig und Sebastian Kugler

Wenn GewerkschaftsfunktionärInnen im fetten BMW zur Protestaktion von Beschäftigten des Sozialbereichs kommen, ist das mehr als nur „schiefe Optik“. Wenn eine Fachsozialbetreuerin mit 1.538,85 Gehalt von einer GPA-Vorsitzenden Teiber mit 4.876,40 € netto vertreten wird, ist das mehr als fraglich. Wenn ÖGB-Chef Katzian 7.668,68 € netto verdient, erklärt dass zumindest zum Teil warum er eine andere Realität sieht als die Mitgliedschaft.

Die Bildung von Gewerkschaften ermöglichte es den ArbeiterInnen, die Konkurrenz untereinander um Jobs und Löhne zu minimieren und den KapitalistInnen gegenüber geeint aufzutreten. Um die systembedingte Benachteiligung der ArbeiterInnen gegenüber den KapitalistInnen abzuschwächen, mussten die Gewerkschaften eigene Apparate aufbauen – mit eigenem Personal. Die ArbeiterInnen, die fortan nicht nur Gewerkschaftsmitglied waren, sondern für sie arbeiteten, mussten die Interessen der Beschäftigten vertreten. Gleichzeitig konnten sie aber nicht über das kapitalistische System, das sie zu Ausgebeuteten macht, hinausgehen. Für sie wurde die Gewerkschaft von einem Mittel zur Durchsetzung der Interessen von ArbeiterInnen auch zum Zweck ihrer eigenen Lebensgrundlage. Und diese besserte sich erheblich, je stärker die Gewerkschaften und ihre Apparate wurden. In Gewerkschaften, die nur die Humanisierung, nicht den Sturz des Kapitalismus zum Ziel haben, verselbständigen sich diese Apparate (unter kräftiger Mithilfe von Staat und Kapital) immer mehr und entwickeln eigene Interessen. Sie identifizieren diese Interessen als die der gesamten Bewegung, obwohl sie diesen manchmal direkt entgegenstehen. Sie zentralisieren die Entscheidungsgewalt und ersetzen Gewerkschaftsdemokratie durch bürokratische Strukturen. Schließlich sollten die Gewerkschaften zwar stark sein, um genug Macht und Geld für die Bürokratie zu bringen – sie sollten aber auch die Stabilität des Systems nicht zu sehr gefährden, mit dem die BürokratInnen immer mehr verwachsen. Denn diese Leute verbringen nun mehr Zeit in staatlichen Sitzungssälen und Konferenzräumen von Unternehmen als unter ArbeiterInnen – und übernehmen dementsprechend die Logik von Staat und Kapital.

Leo Trotzki schrieb in seinen Notizen über Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs 1940: „Sie haben einem zentralisierten, eng mit der Staatsgewalt verbundenen kapitalistischen Widersacher zu begegnen. Für die Gewerkschaften - soweit sie auf reformistischem Boden bleiben, das heißt soweit sie sich dem Privateigentum anpassen - entspringt hieraus die Notwendigkeit, sich auch dem kapitalistischen Staate anzupassen und die Zusammenarbeit mit ihm zu erstreben.“

Das ist die Basis einer Ideologie, die auf den „Ausgleich der Interessen“ zwischen ArbeiterInnen und Wirtschaft abzielt, institutionalisiert in der Sozialpartnerschaft. Weil ihre eigenen, speziellen Interessen widersprüchlich sind (Stärke der ArbeiterInnenklasse bei gleichzeitiger Freundschaft mit dem Kapital), halluziniert die Bürokratie „gemeinsame Interessen“ von ArbeiterInnen und KapitalistInnen als StaatsbürgerInnen. Diese gibt es nicht und wird es nie geben.

Erscheint in Zeitungsausgabe: