Klassenkampf und/oder Sozialpartnerschaft

Wer an der Sozialpartnerschaft klebt, steht den Angriffen der Regierung ratlos gegenüber.
Georg Kumer

Einführung des 12-Stundentags, Kürzung und Deckelung der Mindestsicherung, Kürzungen bei der AUVA, Zusammenlegung der Krankenkassen, Ausgabenstopp bei den Sozialversicherungen, de facto Straffreiheit für Unternehmen bei Sozialbetrug usw.: Die Pläne und Maßnahmen der schwarz-blauen Regierung folgen einer klaren Logik: Geschenke für die Reichen, Kürzungen für uns. Jede Stunde, die gearbeitet wird, macht ein Unternehmen einen gewissen Profit, je mehr also gearbeitet wird, desto mehr Profit für das Unternehmen. Je mehr ein Beschäftigter arbeiten muss, desto weniger Beschäftigte werden benötigt, die Arbeitslosigkeit wird also steigen. Außerdem werden Überlastung, Burnout und Unfälle zunehmen. Weil aber der Unternehmensbeitrag zur AUVA um 500 Millionen Euro gekürzt werden soll, zwingt die Regierung die AUVA, diesen Betrag einzusparen, was zur Zusammenlegung und Schließung von Krankenhäusern sowie zur Leistungskürzung führen wird und eine Verschlechterung der Gesundheitsversorgung bedeutet. Die Deckelung der Mindestsicherung wird zu mehr Armut führen, z.B. bekommt eine Familie mit drei Kindern bis zu 4.080 Euro weniger pro Jahr. Es gibt also genug Gründe für Wut und Widerstand: Doch wo ist die Gewerkschaft?

In Österreich sind bereits jetzt 1,2 Millionen Menschen arm oder von Armut gefährdet. 200.000 PensionistInnen sind arm, knapp 300.000 Menschen sind armutsgefährdet trotz Job. Diese Zahlen sind das Ergebnis von 30 Jahren Neoliberalismus - vor allem durch die Sparpakete von SPÖ und ÖVP in den 1990er Jahren, um Österreich „wettbewerbsfähig“ für den EU-Beitritt zu machen, und durch die Sparpakete der ersten ÖVP-FPÖ Regierungen (z.B. Pensionsreform 2003). Bei all diesen verheerenden Kürzungen hat der ÖGB mit den Händen gerungen, demonstriert und 2003 sogar gestreikt. Schlussendlich hat er sich aber dem Argument der „Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts“ gebeugt. Die Verschlechterungen wurden im Rahmen der Sozialpartnerschaft mitverhandelt. Die Mitglieder wurden mit der Erklärung „Ohne ÖGB wäre die Lage noch schlechter“ abgespeist – Alternativen gab und gibt es scheinbar keine in der Logik der ÖGB-Führung.

Doch Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit Streiks gegen den 12-Stundentag unterstützt. Bei allen Angeboten zum Protest, die es von den Gewerkschaften gab (Betriebsversammlungen, Demonstrationen) war die Beteiligung enorm und wurden weitergehende Maßnahmen gefordert.

Bis jetzt hat der ÖGB eine Demonstration mit 100.000 Leuten gegen den 12-Stundentag organisiert und ÖGB-Präsident Katzian hat angekündigt, im Herbst bei den KV-Verhandlungen Ausgleichsmaßnahmen gegen die Verschlechterungen auszuhandeln. Mit so einer „Strategie“ werden die Verschlechterungen zuverlässig kommen. Denn abgesehen davon, ob die Sozialpartnerschaft überhaupt jemals „funktioniert“ hat – sie ist seit vielen Jahren tot. Die Gewerkschaftsführung hinkt mit ihrem Appell an diese vermeintliche „Partnerschaft“ der Realität um viele Jahre hinterher. Weil sie die Sozialpartnerschaft zur Ideologie des ÖGB gemacht hat, ist sie jetzt rat- und letztlich planlos. Ihre Appelle, Petitionen und auch Demonstrationen sind keine ausreichenden Mittel, angesichts der aggressiven Angriffe von Regierung und Unternehmen. Demonstrationen und auch Streiks in einzelnen Betrieben werden sie aussitzen. Auch Gerichte werden keine Lösung im Sinne der Beschäftigten bringen.

Regierung und Unternehmen fahren einen generellen Angriff auf unsere Zukunft, unsere Gesundheit, unseren „Lebensstandard“. Bitten und Betteln wird sie nicht stoppen. Postgewerkschafter Helmut Köstinger hatte absolut recht, als er bei der Demonstration gegen den 12-Stunden Tag zum Sturz der Regierung aufrief. Nur wenn sie gestürzt wird, wird sie aufhören, für den Profit der Unternehmen den Lebensstandard der ArbeiterInnenklasse zu senken. Doch die ÖGB-Führung hat Angst, das bekannte Fahrwasser der Sozialpartnerschaft zu verlassen. Lieber macht sie weiter wie bisher, selbst wenn die Strategie offensichtlich nicht funktioniert. Auf den Klassenkampf von oben müssen wir mit Klassenkampf von unten antworten. Auf den Generalangriff mit generalisiertem Widerstand. Mit der jetzigen Gewerkschaftsführung werden die Angriffe nicht abgewehrt werden können. Darum müssen wir, die Beschäftigen, die Gewerkschaften als Kampforganisationen zurückgewinnen, brauchen wir eine ganz andere, eine kämpferische Führung und demokratische Strukturen.

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