Viel Arbeit für kein Geld

Armut ist weder individuelles Versagen noch eine Fehlentwicklung der gegenwärtigen Gesellschaft.
Franz Neuhold

„Suchen Sie sich doch eine Arbeit!“ Dieser meist abschätzig gemeinte Pseudo-Ratschlag hat mittlerweile auch das letzte Quäntchen Sinn eingebüßt. Erstens heißt Suchen noch lange nicht Finden. Und selbst wenn man eine Arbeit gefunden hat, sollte sie zumindest menschenwürdig sein. Doch die Einkommenshöhe ist in vielen Branchen, nicht nur in „traditionellen“ Niedriglohnsektoren, für eine solide Existenzgründung unzulänglich. Seit vielen Jahren gibt es Lohn- und Gehaltsabschlüsse, die der Teuerung hinterherlaufen. Von echten Lohnzuwächsen ganz zu schweigen.

Jemand, der trotz regelmäßigem Erwerbsarbeits-Einkommen arm oder von Armut bedroht ist, wird als „working poor“ bezeichnet. Drei Viertel aller „working poor“ in Österreich leben mit PartnerIn bzw. in einem Familienverband. Sobald einE PartnerIn längere Zeit kein Einkommen beitragen kann, kann man schnell Richtung Armutsgefährdungsschwelle rutschen. Bei AlleinerzieherInnen ist der Zwang zur Teilzeit aufgrund fehlender Kinder-Betreuungsmöglichkeiten oft der ausschlaggebende Grund für den Verarmungsprozess, selbst in bessergestellten Berufen. Man könnte vermuten, dass der überwiegende Anteil der „working poor“ aus diesem Teilzeitbereich kommt. Tatsächlich spielen Vollzeitjobs die größere Rolle. Die Präkarisierungswelle der 1990er und 2000er Jahre macht(e) nicht bei den sogenannten „StudentInnen-Jobs“ halt.

Neben dem Erwerbseinkommen sind sog. Transferleistungen mitentscheidend. Der „harte Kern“ der „working poor“ bezieht neben der Erwerbstätigkeit Sozialleistungen. Und trotzdem bleibt am Ende des Monats bei vielen nur ein Loch in der Geldbörse. Jegliches Mindesteinkommen müsste deutlich über der EU-SILC-Schwelle liegen. Zigtausende müssen sich jedoch mit weniger als 600 € netto durchschlagen. Wir fordern daher 1.700 € brutto Mindesteinkommen.

Reden wir Klartext: Armut ist nicht Folge von persönlichen Unzulänglichkeiten oder „mangelndem Leistungswillen“, wie es Wohlstands-Liberale in ihrer Arroganz gerne formulieren. Armut ist ein systematisches Problem für Millionen Menschen. Wobei es noch schlimmer kommt: Armut ist kein Nebenprodukt oder eine Schieflage der kapitalistischen Entwicklung. Armut ist ein notwendiger Bestandteil ebendieser „freien Marktwirtschaft“. Ein ebenso notwendiger Bestandteil wie die Lohnarbeit selbst, die an sich Ausbeutung bedeutet.

Die Zunahme an „working poor“ hat dieselben Ursachen wie die kapitalistische Krise, die seit einigen Jahren mal stärker, mal schwächer um sich greift. Diese Krise ist nicht bloß durch Spekulation verursacht, auch wenn diese eine Rolle spielt. Es liegt eine strukturelle Überproduktion sowie ein Überangebot an Kapital vor, das nicht mehr mit den hohen Profitraten der Vergangenheit investiert werden kann.

Gerade die global wachsende „Armut trotz Lohnarbeit“ zeigt uns, dass der Kapitalismus nicht nachhaltig sein kann. Aus Sicht der Unternehmen muss ein immer größerer Anteil der erarbeiteten Werte den Beschäftigten entrissen werden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Gleichzeitig drohen bei Fortsetzung dieses Systems der Mehrzahl der Bevölkerung griechische Verhältnisse und in letzter Konsequenz der Zusammenbruch der Gesellschaften infolgedessen, was mit der Armut einhergeht (z.B. Gewalt und Rassismus). Sieht man von der vergleichsweise geringen Zahl an Superreichen ab, die in den letzten Jahren von den neoliberalen Offensiven profitiert haben, steht der Kapitalismus trotz Sozialraub und Verarmung breiter Schichten nicht besser da als in den 1960er- oder 1970er-Jahren. Die Krise ist ebenso wie die durch sie verstärkte Verarmung keine Fehlentwicklung im Kapitalismus, sondern eine eindeutige Konsequenz der Profitlogik.

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