Streik der Wiener SpitalsärztInnen

Schluss mit dem Kranksparen durch die Wiener Stadtregierung – gemeinsamer Widerstand von Beschäftigten und PatientInnen nötig.

Am Montag den 12. September kam es zum Streik der Wiener SpitalsärztInnen, konkret jener, die im KAV (Krankenanstaltenverbund der Gemeinde Wien) angestellt sind. Rund 2.000 TeilnehmerInnen waren zur Demonstration vom Stubentor zum Stephansplatz gekommen. Die Teilnahme war beachtlich, der Gegenwind ebenso. Und die Gewerkschaft kann noch einiges lernen.

Hintergrund des Konfliktes

Einer EU-Verordnung folgend wurde schon vor längerem die Arbeitszeit der ÄrztInnen reduziert. In vielen Bundesländern wurde die Mehrarbeit zumindest teilweise dem Pflegepersonal umgehängt, weswegen es zu Protesten in Salzburg (CaRevolution) und Wien (Care Revolution) kam. Den ÄrztInnen wurden zumindestens teilweise durch Gehaltserhöhungen der Einkommensentfall abgeglichen, die KollegInnen in der Pflege bekamen v.a. mehr Arbeit und nur geringe Verbesserungen beim Gehalt. Doch auch bei den ÄrztInnen ist nicht alles paletti – nun scheint sich die Gemeinde Wien nicht an die Abmachungen zu halten. Obwohl das Ganze recht komplex ist, lässt es sich doch folgendermaßen zusammen fassen: Arbeitszeiten werden flexibilisiert, Dienste verkürzt, verschoben bzw. abgeschafft ohne entsprechend Ausgleich zu schaffen. Der unmittelbare Grund ist die Streichung von 40 von 350 Nachtdiensträdern durch die Stadt Wien. Der KAV nützt eine an sich sinnvolle Arbeitszeitverkürzung für Spar- und Kürzungsmaßnahmen. Unterm Strich werden nachher weniger ÄrztInnen kürzer für die PatientInnen da sein.

Da es aber nicht weniger PatientInnen zu betreuen gibt und Wien im Gegenteil um rund 40.000 Menschen pro Jahr wächst bedeutet das eine schlechtere Versorgung und noch mehr Stress für ÄrztInnen und Pflegepersonal. Schon in den letzten Jahren wurden in Österreich und vor allem auch in Wien im Gesundheitssystem eine Einsparung nach der anderen beschlossen. Das Resultat sind Gangbetten, absurd lange Wartezeiten und Beschäftigte mit Burn-out.

Der Streik

Am 12. September waren rund 2.000 Personen auf der Demonstration. Laut KAV waren von 1.513 zu diesem Zeitpunkt zum Dienst eingeteilten ÄrztInnen 446 nicht im Dienst. 30% waren also im Streik während in den Spitälern, wie angekündigt, ein Notbetrieb aufrecht gehalten wurde. Es demonstrierten auch KollegInnen die gerade nicht im Dienst waren, solidarische niedergelassene ÄrztInnen, PatientInnen sowie einige KollegInnen der Pflege. Als Grund für den Streik erklärt der Vorsitzender der Ärztekammer Thomas Szekeres, der erst vor kurzem seine Mitgliedschaft in der SPÖ ruhend gestellt hatte: „Diese Maßnahmen sind vom KAV ohne vorherige Evaluation oder Diskussion mit den betroffenen Abteilungen beschlossen worden. Damit wird das System kaputtgespart. Denn dadurch ist eine durchgehende effiziente ärztliche Betreuung während der Nacht nicht mehr gewährleistet.“

Die Stadtregierung und der KAV hetzen gegen den Streik und behaupten der Streik würde nur aus wahltaktischen Gründen für die Ärztekammerwahl im März 2017 stattfinden. Mag sein, dass die Ärztekammer auch Wahlkampf betreibt. Tatsächlich zeigt aber die Zustimmung von 93% der 3.500 KAV-ÄrztInnen, dass die Kammer im Interesse der Beschäftigten handelt. Dass die Ärztekammer eine oft arrogante Standesvertretung ist steht außer Frage. Das die Wiener Stadtregierung hier aber nicht nur gegen die ÄrztInnen, sondern auch gegen die KollegInnen in der Pflege und gegen die PatientInnen ihr Kürzungsprogramm durchdrücken will ist auch klar. Die Gemeinde Wien ist massiv verschuldet, Gerüchte sprechen von einem Sparprogramm im Außmaß von 10% des Budgets. Vor diesem Hintergrund ist die Diffamierung der Streikenden durch Stadträtin Wehsely und KAV-Chef Janßen zu interpretieren.

Die Reaktion der „rot“-grünen Stadtregierung auf die Proteste zeigt einmal mehr, wie weit die Sozialdemokratie schon von ihren Wurzeln entfernt ist. Michael Häupl bezeichnet den Streik als „abartig“, Wehsely behauptet "Es gibt keinen Grund für einen Streik." und der KAV Generaldirektor nett den Arbeitkampf "unmoralisch" während der KAV in einer Aussendung Beschäftigten generell das Recht auf Streik abspricht: „Eine Reduktion der Leistungen bzw. Ärztinnen-und Ärztepräsenz analog zu einem Feiertags- bzw. Wochenendbetrieb ist nicht zulässig“. Er wartn davor, dass eine Beteiligung am Streik eine Dienstpflichtverletzung sei. Wie ganz normale kapitalistische UnternehmerInnen wird hier Beschäftigten das Streikrecht abgesprochen. Der Wiener Ärztekammerchef Szekeres, selbst ein „Roter“ meint dazu: "Die Gründerväter der Sozialdemokratie würden im Grab rotieren, wenn sie erfahren würden, dass die rot regierte Stadt Wien einen Streik untersagen will."

Diese Argumente kommen nur allzu bekannt vor. Diejenigen, die seit Jahren mit ihrer Kaputtsparpolitik die Bedingungen für Beschäftigte und PatientInnen dramatisch verschlechtern, jammern darüber, dass diejenigen die für bessere Gesundheitsversorgung kämpfen Menschen gefährden. Tatsächlich schaden aber nicht Streikmaßnahmen den PatientInnen, sondern der Normalzustand.

Die Antwort auf die Privilegien einiger Primar-ÄrztInnen, die neben ihrer Anstellung noch teure Privatpraxen führen (und an denen es auch von den demonstrierenden ÄrtzInnen selbst Kritik gab) und dafür das öffentliche Gesundheitssystem schröpfen ist nicht die Verschlechterung der Gesundheitsversorgung für alle. Die steigende Anzahl von privaten Krankenversicherungen zeigt, dass die Angst vor einer ungenügenden medizinischen Versorgung weit verbreitet ist. Wer es sich leisten kann, versichert sich privat. PolitikerInnen wie Häupl und Wehsely leben in jener Welt der privilegierten Behandlung und kennen es nicht, stundenlang in einer Ambulanz zu warten oder monatelang auf einen Reha- oder Operationstermin. Für sie gelten nur die Zahlen und die müssen „verbessert“ werden.

Wo war Younion?

Die zuständige Gewerkschaft der Gemeindebediensteten Younion glänzte durch Abwesenheit. In einer Stellungnahme auf ihrer Homepage stellt sie sich auf Seite der Stadtregierung und gegen den Streik. Das zeigt die enge Verbundenheit der Spitzen dieser Gewerkschaft mit der Wiener SPÖ bzw. der Landesregierung. Anstatt den Protest auf andere Teile des Gesundheitsbereiches, die ebenfalls überlastet sind wie die Pflege auszuweiten, macht sich die Gewerkschaft zum verlängerten Arm der SPÖ. Sie treibt damit ÄrztInnen aus der Gewerkschaft hinaus und direkt in die Arme der konservativen und in vielen Fragen sogar reaktionären Ärztekammer. Die Gewerkschaft schwächt damit ihre eigene Basis – in Bezug auf Mitglieder und auch auf Kampfkraft, da sie die Spaltungsversuche der Landesregierung voll mitträgt anstatt Proteste des ganzen Gesundheitsbereiches zu organisieren.

Von Vorbereitung und Inszenierung des Streiks der KAV-ÄrztInnen kann die Gewerkschaft noch was lernen. Durch Infoflyer und Kinospots wurden WienerInnen darüber informiert, wie die Stadt Wien mit unserer Gesundheit spielt. Außerdem startet die Ärztekammer eine Online Petition an Sonja Wehsely, amtsführende Wiener Stadträtin für Gesundheit, in der es heißt "Als Wienerinnen und Wiener fordern wir Sie als politisch verantwortliche Stadträtin auf, patientenfeindliche Maßnahmen wie die Reduktion von Nachtdiensten, die Schließung von Ambulanzen und die Kürzungen von Leistungen zurückzunehmen und mit der Ärzteschaft in einen Dialog zu treten, um so die Zerstörung des Wiener Gesundheitssystems zu verhindern“. Es wurde als im Vorhinein auf die Anliegen aufmerksam gemacht, man versuchte PatientInnen zumindest zu informieren. Das fehlt bei gewerkschaftlichen Mobilisierungen oft, die sich auf das Zusammenkommen von Gewerkschafts-Hauptamtlichen und FunktionärInnen beschränken. Der Demonstrationszug selbst war eher lahm, aber die Abschlusskundgebung war wieder gut organisiert. Es gab zahlreiche SprecherInnen und sogar eine Videobotschaft aus Deutschland. Zum Abschluss wurden gemeinsame Forderungen de facto gemeinsam beschlossen. Die ÄrztInnen gingen also mit einem klaren Programm nach Hause. Was allerdings fehlte – wie auch bei gewerkschaftlichen Mobilisierungen – war die Präsentation ein gemeinsamer Plan für die nächsten Kampfschritte. Hier bräuchte es eine demokratisch gewählte Streikleitung, die diese vorbereitet und dann auf Dienststellenversammlungen diskutieren und abstimmen/abändern lässt.

Wie weiter?

Der Warnstreik am 12. September war ein starkes Zeichen. Er kann ein wichtiger Input für alle Beschäftigten im Sozial- und Gesundheitsbereich sein. Er hat gezeigt, das ein Streik in diesem Bereich absolut möglich ist. Wenn der Kampf gewonnen wird – und das ist mit einer entschlossenen kämpferischen Strategie möglich – dann wird er eine starke Signalwirkung haben. Die wirkliche Schwäche der bisherigen Proteste ist, dass sie auf die ÄrztInnen beschränkt bleibt. Als letztes Jahr die KollegInnen in der Pflege protestierten versuchte die Basisinitiative Care Revolution Wien sowohl mit der Gewerkschaft als auch mit der neu gegründeten Ärztegewerkschaft Asklepius zusammen zu arbeiten. Erste benützte das nur zum Dampfablassen, zweitere mehr für ihre eigenen Interessen. Wollen die ÄrztInnen wirklich die Situation im Gesundheitswesen verbessern, dann geht das nur, wenn auch die Situation von Pflege, Reinigungskräften, medizinisch-technischem Personal und anderen Gesundheitsbeschäftigten verbessert wird. Doch auch schon in der Mobilisierung wurde völlig darauf verzichtet auch Forderungen aufzustellen, die andere Berufsgruppen miteinbeziehen. Es braucht aber einen gemeinsamen Kampf auf Augenhöhe sowie eine kämpferische Gesundheitsgewerkschaft. Die verschiedenen Initiativen die es in diese Richtung gibt müssen nicht nur in den Protesten aktiv sein sondern auch offensiv daran arbeiten, die Proteste auszuweiten. Das könnte z.B. ein gut mobilisierter Pflege-Block auf der nächsten Demonstration sein der eigene, offensive Forderungen aufstellt. Das können aber auch Aktionen rund um die neue politische Initiative Aufbruch sein, in der viele Menschen aus dem Sozial- und Pflegebereich aktiv sind. Aufbruch plant Ende Oktober österreichweite Aktionstage die das Thema Gesundheit sehr konkret aufgreifen könnten und auch die Frage der Finanzierung unter dem Motto „Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten“ aufgreifen könnten.

Denn die Frage, wo das Geld für ein verbessertes Gesundheitswesen herkommen soll muss und kann beantwortet werden. Die Wiener Stadtregierung argumentiert ja in schlechter neoliberaler Art mit der Notwendigkeit zu Sparen (bzw. behauptet sie dass eh nicht gekürzt würde). Tatsächlich braucht es viele Milliarden zusätzlich für den Ausbau des Gesundheitswesen, damit jede und jeder eine optimale, menschenwürdige Versorgung bekommt. Und das Geld dafür ist da! Allein die Stadt Wien verschwendet ca. 87 Millionen jährlich für Eigenwerbung, nicht amtsführende Stadträte (u.a. von der FPÖ) verdienen 9.440 € und der KAV-Generaldirektor sogar 24.000 € im Monat. Allein der Vermögenszuwachs in 33 Tagen des reichsten 1 Prozent in Österreich würde ausreichen um sämtliche Schulden der Stadt Wien zu begleichen. Die Beispiele liesen sich fortführen, klar ist, dass bei den Superreichen weit mehr Geld gebunkert liegt, als es überhaupt braucht, um mehr Personal und zu ordentlichen Einkommen einzstellen. Dort muss das Geld geholt werden, anstatt das Gesundheitswesen kaputt zu sparen. Was ist das für ein krankes Systems, wo Profite von Firmen bzw. der Reichtum einiger Weniger schützenswerter ist als eine umfassende Gesundheitsversorgung für alle? Im Kapitalismus ist alles Ware: wir und unsere Gesundheit inbegriffen. Private Unternehmen führen Spitäler, stellen Leiharbeitskräfte ein, die Pharmaindustrie verdient an Patenten und die Versicherungen an der Angst aufgrund der staatlichen Kürzungspolitik im Gesundheitswesen. Wir brauchen eine umfassende, flächendeckende, staatliche Gesundheitsvorsorge, mit genug Personal, einem dichten Netz von lokalen Ambulanzen, mit echter Vorsorgemedizin und raschen Terminen bei Operationen und Rehabilitationsmaßnahmen. Um eine breite Bewegung für ein besseres und ausfinanziertes Gesundheitssystem aufzubauen und Solidarität von PatientInnen zu organisieren müssen die Forderungen nach Finanzierung und die Quellen dafür (nämlich bei den Superreichen) auch während Kampagne und Streik offensiv aufgestellt werden.

  • Mehr Personal und mehr Geld für die Beschäftigten im Gesundheitsbereich

  • Verbesserungen im Gesundheitsbereich sollen von den Betroffenen selbst – Beschäftigten und PatientInnen – erarbeitet werden und nicht von "ExpertInnen" deren zentrale Aufgabe das Sparen ist

  • Ausweitung der Proteste auf Pflege und andere Beschäftigte des Gesundheitsbereiches

  • für eine kämpferische Gesundheitsgewerkschaft

  • Milliarden für Gesundheit und Soziales statt für Banken und Konzerne

  • für die Übernahme des Gesundheitsbereiches und der Pharmaindustrie durch die Öffentliche Hand, verwaltet durch demokratische Strukturen durch Gesellschaft, Beschäftigte, PatientInnen und den Organsiationen der ArbeiterInnenbewegung