Kämpfen in Zeiten von Corona?

Wie weiter mit der Streikbewegung im Sozialbereich?

Der Corona bedingte Abbruch der Verhandlungen im privaten Gesundheits- und Sozialbereich (SWÖ sowie Caritas, Diakonie und Rotes Kreuz) war wohl unumgänglich. Es wäre falsch gewesen weiter zu verhandeln, während durch Ausgangssperre, Versammlungsverbot und das Arbeiten im Notstandsmodus das Streiken & Demonstrieren praktisch unmöglich gemacht wird. Verhandeln (im Online-Format) ohne die Möglichkeit zu kämpfen ist nur mehr betteln. Die Unterbrechung der Verhandlungen ist aber erstmal ein Entgegenkommen der Beschäftigten an den Virus. Das Mindeste ist der sofortige Ausgleich der Teuerungsrate rückwirkend auf den 1.1.20.. Das ist sicher keine Rücknahme der Forderung nach der 35h Woche und auch kein Verzicht auf echte Lohnerhöhungen, aber unmittelbar ist das nötig, um den Beschäftigten etwas an finanzieller Sicherheit zurück zu geben. Die Miete wartet nicht. Verhandlungen und auch die Kampfmaßnahmen müssen dann nach dem Ende der Corona-Maßnahmen wieder aufgenommen werden.

Vorbereiten so gut es geht

Leider haben sich die Verhandler*innen im BABE-KV dazu entschlossen, mit Verweis auf Corona “noch schnell” einen absurd schlechten Abschluss zu erzielen (https://www.slp.at/artikel/babe-kv-unternehmen-nutzen-corona-krise-f%C3%BCr-deal-gegen-besch%C3%A4ftigte-9962). Dass das im SWÖ nicht passiert ist, liegt an der Dynamik an der Basis, die die Streikbewegung längst entwickelt hat. Noch ist ein Abwürgen der Bewegung von oben so nicht möglich. Es ist eine entscheidende aber schwierige Aufgabe, diese Dynamik so gut es eben geht am Laufen zu halten. Wer kann, sollte die Zeit nutzen mit Kolleg*innen zu telefonieren und sie für kommende Aktionen vor zu mobilisieren. Die Zwangspause bei den Verhandlungen ist auch ein Chance für die, die die Zeit dazu finden, sich mit dem Verlauf “verwandter Streikbewegungen” vertraut zu machen, z.B. mit dem Streik bei der Charitè in Berlin oder dem KiTa Streik in NRW, wo spannende Lektionen für uns zu lernen sind.
In der Streikbewegung sind bisher viele Fragen aufgetaucht, die unmittelbar mit der Frage von Gewerkschaftsdemokratie zusammenhängen. Wir haben immer die Notwendigkeit tatsächlicher Streikversammlungen mit Diskussionen und Beschlüssen, gewählten Streikkomittees und beschlussfähigen Konferenzen von Betriebsrät*innen und Streikkomittees betont, um den Kampf intensiver und effektiver zu führen. Jetzt solche Strukturen aufzubauen ist natürlich schwieriger, aber nicht unmöglich. Warum gibt es keine Onlinekonferenzen, organisiert von der Gewerkschaft? Es muss möglich sein in den nächsten zwei Wochen eine Onlinekonferenz abzuhalten, auf der Betriebsrät*innen gemeinsam diskutieren wie es nach Ende der Corona-Maßnahmen weiter gehen kann und welches Programm wir unmittelbar im Zusammenhang mit Corona und unserer Arbeit brauchen.
Betriebsrät*innen sind mit den vielen arbeitsrechtlichen Herausforderungen und auch privaten Sorgen gerade extrem belastet. In dieser Situation Zeit für so eine Konferenz oder auch sonst zur Fortführung der Streikbewegung zu finden, verlangt viel Eine sehr gute Vorbereitung ist also notwendig. Aber kollektives Handeln ist hier auf mittlere Sicht eher eine Zeitersparnis als parallel nebeneinander zu arbeiten. Unterstützung für die Betriebsrät*innen muss es auch in organisierter und massenhafter Form von der Gewerkschaft geben. Gewerkschaftliches Material zum Umgang mit Corona im Betrieb und im Arbeitsleben sollte per Post in jedem Briefkasten der Mitglieder zu finden sein!

Nach Ende der unmittelbaren Corona-Pandemie wird es nötig sein, die Streiks wieder aufzunehmen - und zwar entschlossener und heftiger als zuvor. Die Weltwirtschaft kollabiert gerade und die Kosten für kommende Konjunkturpakete etc. werden die Regierungen weltweit wieder auf die Arbeiter*innenklasse abwälzen wollen. Eine Branche wie der Sozial-, Pflege- und Gesundheitsbereich, die sich praktisch über Steuergelder finanziert, wird besonders stark betroffen sein. Dazu kommt der Druck aus der Öffentlichkeit, der derzeit stark über Regierung und Medien gepusht wird, dass “jetzt eben alle ihren Teil beitragen müssen”. Einfach da wieder anknüpfen wo wir vor Corona aufgehört haben wird es nicht geben. Auf einer online Betriebsrä*innenkonferenz müssen wir auch darüber sprechen, welche Forderungen wir über die 35h Woche hinaus aufstellen müssen um mit der neuen Lage umzugehen.

Besondere Situation verlangt nach besonderer Bezahlung

Gleichzeitig kommen zu den dringend notwendigen und lange überfälligen Forderungen jetzt neue Fragen rund um die Krise dazu, die keinen Aufschub dulden. Die ganze Arbeitswelt ist von den Maßnahmen betroffen, der Gesundheits- und Sozialbereich in vielen Fragen aber besonders stark. Über die extreme Situation in der Pflege und das enorme Risiko, das die Kolleg*innen tragen, wird zum Teil auch in den bürgerlichen Medien berichtet. Die Situation in den Behinderten-Einrichtungen, im betreuten Wohnen oder in der Flüchtlingsarbeit kommt allerdings nicht vor. Wenn Menschen z.B. in den oft schwierigen Verhältnissen in Wohngemeinschaften für Jugendliche mit psychischen Problemen oder Substanzabhängigkeit jetzt quasi 24h in den eigenen 4 Wänden verbringen müssen, ist das eine starke Belastung für die Beschäftigten. Wenn Menschen mit Beeinträchtigungen nicht mehr ihrer gewohnten Routine nachgehen dürfen, MItarbeiter*innen der Kinder- und Jugendwohlfahrt Meldungen der Kindeswohlgefährdung nur noch eingeschränkt und unter erschwerten Bedingungen nachgehen können oder Behörden- bzw. diverse Kooperationseinrichtungen ihre Pforten geschlossen haben: All das bedeutet eine enorme emotionale und physische Zusatzbelastung - neben den bereits existierenden schwierigen Rahmenbedingungen.

Die Gewaltprävention und Frauenhäuser sowie Hotlines sind dieser Tage auch ganz besonders gefragt. Die Isolierungsmaßnahmen sperren viele Frauen in Wohnungen mit gewalttätigen Partnern ein. Hier braucht es sofort mehr Personal und Mittel, um weitere Einrichtungen zu schaffen! Lassen wir Frauen in gewalttätigen Haushalten nicht allein, aber auch nicht die Kolleg*innen, die hier arbeiten!
Andere müssen gerade da einspringen, wo Lücken reißen, auch wenn sie eigentlich nicht dafür ausgebildet oder angestellt wurden. So helfen zur Zeit die Beschäftigten der Jugendzentren bei der Hausaufgabenbetreuung, weil die Schulen alleine das nicht schaffen können.

Das Sozial- und besonders das Gesundheitssystem sind der Schlüssel, um durch diese Krise zu kommen. Alles sollte danach ausgerichtet sein, es zu stützen. Milliarden werden in die Hand genommen um den Notstand zu finanzieren. Aber davon kommt bei den Beschäftigten nichts an. Als Anfang des Jahres die Waldbrände in Australien außer Kontrolle gerieten, überschlugen sich die Medien mit dem Loblied für die Feuerwehrleute. Wenn jetzt italienische Krankenpfleger*innen bis zur Erschöpfung und weit darüber hinaus arbeiten werden sie (zu Recht) als Held*innen gefeiert. Aber die Dankesreden von Politiker*innen, die selbst für den Personalmangel und die schlechte Bezahlung Verantwortung tragen, sind nichts als Heuchelei. Was immer fehlt ist ein angemessener finanzieller Ausgleich und dauerhafte Verbesserungen. Als direkte Maßnahmen schlagen wir vor: 

  • Sofortige Verdoppelung des Lohns für Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialbereich und zwar unbefristet, mindestens so lange wie die Pandemie dauert. Das mag nach viel klingen, aber die Belastungen sind unverhältnismäßig noch einmal gestiegen. Diese Branche ist der Schlüssel im Kampf gegen Corona!
  • Verdoppelung     von Erschwernis- und Gefahrenzulage vor dem Hintergrund von     COVID19 und Einführung davon in Einrichtungen in denen es bisher keine derartigen Zulagen gab
  • Versorgung von Sozial- und Gesundheitseinrichtungen mit  adäquater Schutzausrüstung, z.B. Masken, Schutzkleidung, Handschuhe
  • Das Recht zu Hause zu bleiben, wenn Betreuungspflichten das verlangen, ohne den Job zu riskieren!
  • Erhalt aller Jobs in allen Bereichen des Sozial- und Gesundheitssystems und Lohnfortzahlung auch da, wo gerade nicht gearbeitet wird
  • Mindestens 10% mehr Personal sofort und weitere 10% nach Ende der Corona Maßnahmen
  • Nach dem Ende der Corona-Maßnahmen muss es zum Ausgleich für die extra-Belastung extra-Urlaub geben. Wer jetzt besonders hart arbeiten muss, muss später mindestens eine Woche extra-Urlaub pro Corona-Monat bekommen.

Aktuell werden Zivildiener, deren Dienstzeit innerhalb der letzten 5 Jahre liegt, mobilisiert um den durch Kürzungen herbeigeführten Mangel an Personal abzufedern.. Viele sind bereits freiwillig an ihre alte Dienststelle zurückgekehrt oder haben ihren Dienst verlängert, was ein weiteres, inspirierendes Beispiel für die unzähligen Formen praktischer Solidarität in diesen Tagen ist. Für sie, wie auch für alle z.B. Pflegeschüler*innen etc. muss aber weiter gelten: Keine Zwangsarbeit! Wir verteidigen ausdrücklich das Recht auf Arbeitsverweigerung. Wo Leute sich melden um zu arbeiten müssen sie auch vollen Lohn erhalten. Niemand kann derzeit sagen wie die Krise weiter verläuft und wie lange dieser Zustand andauert. Also müssen sie ordentlich angestellt und bezahlt werden.

In der Branche gibt es viele, die nach einigen Jahren den Beruf wechseln, weil Arbeitszeiten, Belastung und Bezahlung schon in normalen Zeiten absurd schlecht sind. Es gibt viele ausgebildete Krankenpfleger*innen und Menschen aus anderen Gesundheitsberufen, die es jetzt für den Kampf gegen Corona zu mobilisieren gilt. Auch dafür braucht es finanzielle Mittel. Jede ausgebildete Kraft in dieser Krise ist von unschätzbarem Wert. Die Kolleg*innen, die sich vorübergehend wieder in den alten Beruf holen lassen brauchen eine Garantie, anschliessend wieder in ihrem neuen Beruf weiter arbeiten zu können. Jetzt ist noch offensichtlicher was immer schon wahr war: Die Kolleg*innen brauchen dauerhaft eine echte Entlastung bei der Arbeitszeit. Die geforderten 35 Stunden sind nur der Anfang!

JEDE Forderung nach mehr Geld oder anderen Verbesserungen für die Beschäftigten wird in diesen Tagen nur zu gern mit Verweis auf die Ausnahmesituation und den wirtschaftlichen Zusammenbruch abgeblockt. Im “nationalen Schulterschluss” sollen “wir alle” uns zurück nehmen. Aber wo sind die Notstandsmaßnahmen wenn es um die Vermögen der Reichen geht? Hier liegen gigantische Ressourcen, Geld, Immobilien… die laut der Regierung unangetastet bleiben sollen, während wir “den Gürtel enger schnallen”. Sicher nicht!
Die hier geforderten Maßnahmen und alles Weitere, was im Zusammenhang mit Corona und der Wirtschaftskrise zu tun ist, ist finanzierbar! Reichensteuern, Kampf gegen Steuerhinterziehung, Stiftungswesen und Kirchenprivilegien gehören zu einem sinnvollen Maßnahmenpaket dazu. Wir werden gerade massenhaft enteignet wenn es um unsere Arbeitsschutzgesetze und demokratischen Freiheiten geht. Enteignung von notwendigen Ressourcen der Reichen ist jetzt das Mindeste!
Wir dürfen nicht hinnehmen, dass wir diesen Notstand alleine ausbaden müssen und die Regierung die Reichen schont. Kämpfen während Corona ist sehr wohl möglich, es hat bereits Streiks in Italien, Spanien und sogar in Oberösterreich gegeben. Es gibt sichere Möglichkeiten zu kämpfen. Streiken geht auch von Zuhause aus.