Die Profitlogik macht krank

Der Umgang mit der Gesundheit offenbart die grundlegenden Unzulänglichkeiten des Kapitalismus.
Franz Neuhold

„Ware Gesundheit“ und „Mehrklassen-Medizin“ sind leider allzu bekannte Schlagworte. Selbst in den reichen Staaten ist die soziale Spaltung in diesem zentralen Lebensbereich deutlich spürbar. Gewaltige Fortschritte in Forschung und Medizin-Technik ermöglichen heutzutage die Überwindung vieler Krankheiten und hohe Lebenserwartungen. Allerdings untergräbt der krisenhafte Kapitalismus dieses Potential. Es wird berichtet, dass in Griechenland Verletzte von der Rettung liegengelassen werden, wenn sie nicht versichert sind. Und selbst in Österreich schockieren Fälle von PatientInnen, deren Aufnahme im Spital abgelehnt wurde; mit teils furchtbaren Folgen.

Das Wachstum des profitgesteuerten Versicherungssektors ist Bestandteil der Strategie der bürgerlichen Politik, verbunden mit den neoliberalen Vorgaben wie EU-Stabilitäts- und Fiskal-Pakt: die Abschaffung der gesetzlichen Kassen und die komplette Privatisierung der Medizin, was einem Rückfall ins 19. Jahrhundert gleichkommt. Damals und bis hinein ins 20. Jahrhundert wurde z.B. von der Unternehmensseite der Erholungsurlaub für ArbeiterInnen mit absurden „Argumenten“ abgelehnt. So schrieb die Handelskammer Chemnitz 1906: „Es geht viel zu weit, einen Erholungsurlaub für Leute einzuführen, die nur körperlich tätig sind ...“ Es war die organisierte ArbeiterInnen-Bewegung, die diese und andere lebensverlängernde Maßnahmen erkämpfen musste. Die für uns heute selbstverständlichen Kranken- und Sozialversicherungen wurden unter dem Druck von Massenbewegungen eingeführt. Einen großen Schub an gesundheitspolitischen Verbesserungen in ganz Europa brachte die Zeit nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland. Nach dem 2. Weltkrieg war in einigen Ländern für eine gewisse Zeit ein hohes Niveau der medizinischen Grundversorgung möglich. Doch das ist bereits wieder Geschichte: Seit den 1980er Jahren stehen gesundheitspolitisch Rückschritte auf der Tagesordnung. Die neoliberalen Attacken haben jedoch in den letzten Jahren Proteste provoziert. Vom „Kindergartenaufstand“ über Streikaktionen in OÖ und Salzburg sowie Proteste in der Steiermark oder in bis hin zu den Demos der Beschäftigten der Sozial- und Gesundheitswirtschaft (BAGS) während der Kollektivvertrags-Verhandlungen Jänner 2013. All das kann bei den bevorstehenden Verhandlungen 2014 ein Ausgangspunkt für koordinierte Kampagnen bis hin zum bundesweiten Streik sein. Allerdings treten bei Streiks im Gesundheitsbereich besonders heikle Fragen bezüglich der Betreuung von KlientInnen und PatientInnen auf. Hierzu gibt es mittlerweile international Erfahrungen: Streikmaßnahmen an der Berliner Großklinik Charité haben gezeigt, dass bei entsprechender Sensibilität Arbeitskämpfe sehr wohl möglich sind. Die betroffenen PatientInnen und Angehörigen können durch eine aktive Kampagne vorbereitet und für die Kämpfe gewonnen werden.

Überarbeitung und Unterbezahlung sind typische Merkmale bei Gesundheits-Berufen. Über die letzten Jahre gerechnet addieren sich die Reallohnverluste. Doch Geld ist nicht das einzige Thema. Der Personalmangel erzeugt Überstundenstress. Vor allem die psychische Belastung kann krank machen. Aufgrund der Burn-Out-Gefahr ist das Personal in Spitälern und Pflegeheimen massiv aufzustocken. Es muss ermöglicht werden, dass Urlaube und Kuren für die Beschäftigten regelmäßig in Anspruch genommen werden können. Die Planung von Dienst- und Arbeitseinteilungen ist nach den Bedürfnissen der Beschäftigten und PatientInnen durchzuführen. Zentral sind eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden bei vollem Lohn und ausreichend Neueinstellungen sowie bessere Bezahlung für alle. Eine generelle Anhebung der unteren Gehaltsstufen auf mindestens 1.700 brutto wäre angemessen. Die Einstiegslöhne und -gehälter im Zuständigen „BAGS“-Kollektivvertrag in den Verwendungsgruppen 1-4 liegen mit teilweise knapp über 1.400 € (brutto Vollzeit) deutlich darunter.

Generell leidet die Qualität der Dienste. Irgendwann führen Kürzungen zu Nachlässigkeiten, die vielleicht nicht sofort sichtbar sind - etwa bei Reinigung und Desinfektion. Wie man es dreht und wendet: Medizinische Notwendigkeiten darf man nicht einsparen! Je mehr Spitalsbetten gestrichen werden, desto stärker wird sodann die Belastung für Ambulanzen sowie die notwendige private Pflege. Alle Verschlechterungen der aktuellen und vergangenen „Gesundheitsreformen“ sind daher rückgängig zu machen. Die Frage der Finanzierung muss offensiv angegangen werden. Unter anderem mit Einnahmen aus einer echten Vermögenssteuer sowie einer Besteuerung von nicht investiertem Kapital. Die großen Unternehmen lassen gegenwärtig aufgrund schlechter Profitabilitäts-Aussichten über acht Milliarden auf der hohen Kante liegen. Das reichste Prozent besitzt unvorstellbare 469 Milliarden Euro. Der öffentliche Anteil an der Finanzierung des Gesundheitsbereichs ist über das letzte Jahrzehnt im Wesentlichen gleich geblieben (1999 waren es 76,7 %; 2009 77,7 %). Doch der „öffentlichen Hand“ fehlt es an Geld, das zu den Unternehmen und Superreichen umverteilt wurde und wird. Der Mangel an Vermögensbesteuerung, die Schlupflöcher des Stiftungsrechts, in Summe eine Mrd. zurückgehaltene Kassenbeiträge der Unternehmen und über zehn Mrd. für die sog. Bankenrettung sind die Gründe. Deswegen ist das Gerede vom „Sparzwang aufgrund leerer Kassen“ ein Betrug.

Das Leistungsangebot der Versicherungen schrumpft. Viele Untersuchungen sowie Therapien sind mitunter nur mehr jenen zugänglich, die es sich privat leisten können. Und das in einer Zeit, wo zunehmender Stress immer mehr Menschen körperlich und psychisch krank macht. Die Öffentliche Hand setzt gerade im Sozial- und Gesundheitsbereich auch auf vermehrten Druck bei den Beschäftigten, lagert an private Firmen aus, die Hungerlöhne zahlen und Jobs nur mehr prekär besetzen wie beim Wiener AKH. Eine weitere Baustelle ist die Pflege: Gerade bei der Langzeitpflege wirken sich Änderungen in der Einstufung (bei gleichgebliebenem Bedarf) infolge des Pflegegeldreformgesetzes 2012 dramatisch aus. Wer einen Teil selbst finanzieren muss, kann schnell in Bedrängnis geraten. Das trifft auch jene, die in der Vergangenheit zur „stabilen Mittelschicht“ gezählt wurden. Die Unterfinanzierung drängt viele Betroffene in die „Schwarzarbeit“, wo es v.a. für die Beschäftigten besonders unsichere und ausbeuterische Verhältnisse gibt.

Die Situation wird durch die Krise verschärft; doch zunehmende Proteste im Sozialbereich machen Mut.

Alle etablierten Parteien haben ihre Finger im Spiel. Auf Bundesebene liegen bzw. lagen FPÖVP mit SPÖVP auf Linie. Und in den Ländern ist es letztlich egal, ob ÖVP oder SPÖ mit den Grünen, Stronach oder sonstwem koalieren oder nicht. Kürzungen der Bundesregierung führen zu entsprechenden Maßnahmen der Länder und letztlich Gemeinden. Alle Parlamentsparteien sind Teil dieser Politik und setzen in ihrem Verantwortungsbereich Kürzungen bei Sozialem und Gesundheit um. Mit den wachsenden Problemen in der medizinischen Versorgung wird es für viele Menschen leicht(er) nachvollziehbar, warum eine gesamtgesellschaftliche Organisation und Kontrolle nötig ist. Logisch folgen Forderungen nach Vergesellschaftung und demokratischer Kontrolle durch die Betroffenen! Hier steckt für die kommenden Jahre enorme soziale und politische Sprengkraft.

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