Sozialmilliarde: Schluss mit „Bitte, Bitte”

Florian Klabacher

Am 29. Juni versammelten sich mehrere hundert BetriebsrätInnen am Wiener Ballhausplatz und forderten erneut eine “Sozialmilliarde”. Seit Februar wurden 22.000 Unterschriften für  Beschäftigungsausbau sozialer Dienste, verbesserte Arbeitsbedingungen und höhere Löhne in sozialen Berufen gesammelt.
Immer wieder gibt es solche Aktionen, die von GPA-djp, Vida, den Grünen und vielen anderen Organisationen unterstützt werden. Bei der “Krötenwanderung” am 1. Oktober in Wien demonstrierten 900 Menschen, darunter Beschäftigte aus Kindergärten, Schulen,  Frauenberatungsstellen, dem Gesundheitsbereich, der Behindertenbetreuung. Eine Kindergärtnerin erklärte, dass sie Gruppen von bis zu 25 Kindern alleine betreuen muss. In Altenheimen werden aus Geldmangel zum Teil nasse Windeln weiterverwendet. Frauenhäuser sind überfüllt. Durch Konfrontation mit Leid und Tod in Pflegeberufen und fehlenden Therapiemöglichkeiten wie Supervision sind Pflegende eine Risikogruppe für Burnout oder Depressionen.
Die Regierung will trotzdem alleine 2011 gut 930 Mio. EUR im Bereich Arbeit/Soziales/Familie kürzen. Überlegt werden Maßnahmen wie die de facto Streichung der Pflegegeldstufen 1 & 2. Für Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen bedeutet das Sparpaket weniger Personal und Geld, schlechtere Betreuung und (Teil-) Privatisierungen. Um die kommenden Angriffe abzuwehren und die Sozialmilliarde zu erkämpfen reichen Demonstrationen offensichtlich nicht aus.

Kämpfen im Sozialbereich: Schwer aber möglich

Trotz der oft unzumutbaren Zustände haben Beschäftigte im Sozialbereich oft Hemmungen, zu Kampfmaßnahmen zu greifen. Die Forderung nach mehr Mitteln für Personal muss an Bund, Länder oder Gemeinden gestellt werden, die sich die Verantwortung gegenseitig zuschieben. Kampfmaßnahmen wie Streik wird von vielen Beschäftigten als unzumutbar gegenüber z.B. PatientInnen in Krankenhäusern oder Eltern von Kindergartenkindern gesehen. Viele befürchten, keine Unterstützung in der Bevölkerung zu finden. Tatsächlich zeigen Beispiele aus verschiedenen Ländern, dass die Forderungen von vielen Betroffenen unterstützt werden, weil sich dadurch auch die Leistungen verbessern würden.
So organisierten Elternvereine in Stuttgart Eltern-Kind-Demonstrationen zur Unterstützung streikender KindergärtnerInnen. Im Gesundheitswesen kann bei Streiks eine Notversorgung aufrechterhalten werden. Durch ausfallende (nicht dringende) Operationen (40.000 bei einem Streik in Dänemark) wird Druck auf die Regierungen gemacht.
Allein eine Angleichung der Vermögensabgaben auf EU-Durchschnitt würde Mehreinnahmen von mehr als vier Milliarden EUR bedeuten. So könnte die Sozialmilliarde auch problemlos finanziert werden.

Erfolgreiche Kampfmaßnahmen im Sozialbereich in anderen Ländern:

  • 13.000 finnische KrankenpflegerInnen drohten 2007 mit Massenkündigung und setzten so eine 22-28%ige Lohnerhöhung sowie eine Einmalzahlung von 263 EUR durch.
  • In Dänemark streikten 2008 94.000 KrankenpflegerInnen, KindergärtnerInnen und AltenbetreuerInnen. Sie erreichten Lohnerhöhungen von 12,8-13,3%.
  • Im Mai/Juni 2010 streiken 1.500 KrankenpflegerInnen sowie das Hilfspersonal im Temple University Hospital in Philadelphia 28 Tage lang erfolgreich gegen eine neue Krankenhausregelung, die unter anderem beinhaltet, dass das Personal in der Öffentlichkeit nichts negatives über die medizinische & pflegerische Versorgung im Krankenhaus sagen darf. Außerdem wurde eine Schulungsbeihilfe, die 2009 abgeschafft wurde, wiedereingeführt.
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