Engels und die Welt der Amazonen

Albert Kropf

1884 veröffentlichte Friedrich Engels „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“. Auch wenn manche Fakten im Buch überholt sind, besticht die Aktualität des Textes.

“Moderne” Wissenschaft mit alten Rollenbildern

Bis heute werden trotz aller Fortschritte auch mit Hilfe von Wissenschaft traditionelle Rollenbilder als naturgegeben präsentiert. Sei es in Kleidung, Verhalten, Berufswahl oder Lebensentwürfen. Auch der heutige Mann ist angeblich “Jäger” mit anderer Muskelstruktur, die Frau “Sammlerin”, die sich besser um Kinder kümmern könne. Wie falsch das ist, hat Engels schon 1884 gezeigt. Heute liefert die Wissenschaft Beweise für die Richtigkeit seiner Analysen. Bei der Untersuchung eines schon länger entdeckten Grabes eines Wikinger-Kämpfers mit neuen Methoden wurde deutlich, dass es sich um eine Frau handelte - und sie war nicht die einzige Kämpferin.

Ähnlich bei „National Geographic“: Ein 9.000 Jahre altes Grab eines Großwildjägers wurde aufgrund der auch von Wissenschafter*innen zugedachten Rollenverteilung für ein männliches gehalten. Neue Untersuchungen zeigen: Es war eine Frau - wie 30-50 % der amerikanischen, urzeitlichen Großwildjäger-Funde Jägerinnen waren.

Forschung passend machen

Hatte die Forschung früher direkt das herrschende Rollenbild transportiert, in dem Jägerinnen einfach nicht vorkamen, werden nun Ergebnisse passend gemacht. Es wird nicht anerkannt, dass “damals” die Geschlechterrollen anders als heute, weniger starr waren. Diese Rollen waren nicht notwendig, da diese Gesellschaften (noch) keine Frauenunterdrückung brauchten. Stattdessen wird heute argumentiert, es handele sich um biologische Geschlechter, die nichts über die Geschlechtsidentitäten aussagen. Also Kriegerinnen, die gesellschaftlich als Krieger aufgetreten seien. Klingt fortschrittlich, ist es aber nicht. So kann mit einer für heute geschlechtstypischen Interpretation weitergemacht werden: Krieger/Jäger sind männlich und weisen Funde auf weibliche Genetik hin, waren es eben biologische Frauen mit männlichen Geschlechtsidentitäten. 

Das Übertragen eigener kultureller Prägungen wird als „Selbstbespiegelung“ bezeichnet und gibt es seit der antiken Geschichtsschreibung von Homer bis Tacitus. Die Reitervölker der Skythen zogen vom Schwarzen Meer bis zum heutigen China. Im Gegensatz zu den starren Rollenbildern der griechischen Klassengesellschaft wurden Jungen und Mädchen gemeinsam erzogen, lernten reiten und jagen. Sowohl Kleidung als auch Rüstungen waren “unisex” und auch hier mindestens 25% Kriegerinnen. So entwickelten die griechischen Autoren aus der Abgrenzung die Amazonen-Legende. Die Darstellung einer Männer ablehnenden rein weiblichen Amazonen-Gesellschaft finden sich in antiken Quellen nicht. Sie sind neuer und sagen viel über unsere heutige Gesellschaft, die Ängste und Wünsche von Freiheit und Gleichheit, aus.

Friedrich Engels hat vor über 100 Jahren die theoretische Grundlage für diese neuen Erkenntnisse vorweggenommen: Erst die Entwicklung der Klassengesellschaften hat die Grundlage für umfassende Geschlechterunterdrückung geschaffen, wie wir sie heute noch kennen. Engels und Marx haben zur Analyse auch den Schlüssel zur Lösung geliefert: Ist Geschlechterunterdrückung ein Produkt der Klassengesellschaft, muss die Klassengesellschaft und somit heute der Kapitalismus überwunden werden, um die Überwindung von Geschlechterrollen auf allen Ebenen zu erreichen!

 

Info:

„Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ ist die Anwendung der materialistisch-dialektischen Methode auf die Gesellschaft, deren Entwicklung und den Staat als Unterdrückungsform. Mit einem “gesellschaftlichen Mehrprodukt” entstanden Klassengesellschaften und Eliten. Für deren Privilegien sind Vererbung und (unbezahlte) Hausarbeit - und damit Frauenunterdrückung - von zentraler Bedeutung. 

 

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