What the *?

Warum wir nun mit Sternchen schreiben – und warum das kein Ersatz für politische Aktivität ist.
Sebastian Kugler

Wer das „Vorwärts“ aufmerksam liest, bemerkt: Wir benützen nun den „Gender Star“ (*) bei Begriffen wie „Arbeiter*innen“. Dieses Sternchen ist so etwas wie die Weiterentwicklung des Binnen-I: Er soll zeigen, dass es nicht nur Manderln und Weiberln gibt, sondern eine Vielzahl geschlechtlicher Identitäten. Das ist keine neue Erkenntnis. Zahlreiche Gesellschaften vor uns kannten mehr als nur zwei geschlechtliche Identitäten. Im Zuge der Russischen Revolution setzte sich in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, geschlechtliche Identität als durchgängiges, fließendes Spektrum zu betrachten – und nicht als starre Schubladen. Auch in Zukunft wird diese Tatsache bestehen, selbst gegen den Widerstand konservativer Ideolog*innen und „Sprachschützer*innen“.

Halten wir die Sache damit für erledigt? Keineswegs. Entgegen akademisch weit verbreiteter Vorurteile „schafft“ Sprache keine Realität. Wir werden Ausbeutung und Unterdrückung nicht durch möglichst korrektes Sprechen und Schreiben abschaffen können. Eine absolut „richtige“ Sprache, die den Kern der Dinge exakt trifft und beschreibt, wird es nie geben. Das „Gendern“ zeigt: Es kann keine sprachliche Form geben, die die komplexe Realität von Geschlecht und Identifizierung korrekt abbilden kann – weil sich diese ständig verändert.

Die russischen Revolutionär*innen der Bolschewiki verwendeten Begriffe, bei denen es uns heute die Haare aufstellen würde – und trotzdem sind sie verantwortlich für die fortschrittlichste Geschlechterpolitik, die die Welt je gesehen hat: Von der Abschaffung des ehelichen Privilegs über die komplette Legalisierung von Abtreibung bis zur Ermöglichung von Geschlechtsumwandlungen ohne Stigmatisierung. Genauso waren sie die konsequentesten Kämpfer*innen gegen Rassismus, auch wenn sie in diesem Kampf Begriffe benutzten, die wir heute rassistisch nennen würden – und das zurecht. Denn seither gab es verschiedene Bewegungen gegen Unterdrückung, die sich auch in unserer Sprache ausdrücken: Die Bürger*innenrechtsbewegung in den USA, antikoloniale Revolutionen, Wellen von Frauenbewegungen und nicht zuletzt die LGBTQI-Bewegung. Für Sozialist*innen sind diese Kämpfe, in denen sich immer auch Klassenkämpfe ausdrücken, zentral. Wir haben keinen Grund, die vom Duden abgesegnete Sprache gegen ihre Einflüsse zu verteidigen.

Gleichzeitig wissen wir, dass es zu „Ungleichzeitigkeiten“ kommt: Bei Menschen, die in diese Kämpfe nicht oder nur am Rande eingebunden sind, können solche Veränderungen zunächst auf Unverständnis stoßen. Wir wollen jedoch auch sie erreichen. Als Sozialist*innen wollen wir, dass unsere Inhalte im Vordergrund stehen. Wir pflegen bewusst keinen hochgestochenen, akademischen Stil, der nur Hürden aufbaut. „Vorwärts“-Artikel werden auch weiterhin verständlich für alle sein, die sie lesen und sich für unsere Inhalte interessieren. Zentral ist nämlich für uns, nicht nur über das Reden zu reden, sondern gemeinsam aktiv zu werden!

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