Weder Bellen noch Beißen

Sonja Grusch

Rituale machen Sinn. Sie geben ein Gefühl der Sicherheit. In Sicherheit können sich die Unternehmen hierzulande auch fühlen angesichts der zahmen Gewerkschaftsspitze. Nicht nur, dass sie den Kampf gegen 12/60 nach der Großdemonstration mit über 100.000 gestoppt hat. Auch der angekündigte „heiße Herbst“ war trotz einiger Warnstreiks eher eine lauwarme Sache. Wer den ÖGB kennt, hat nichts anderes erwartet.

Das Problem bei der ganzen Sache: so führt die Gewerkschaftsspitze die eigene Organisation in die Bedeutungslosigkeit. Die Stärke und der Einfluss einer Gewerkschaft ergibt sich aus ihrer Möglichkeit, den Unternehmen das zu entziehen, was sie brauchen, um Profite zu machen: Die Arbeitskraft. Daraus, wie groß aus Sicht der Unternehmen die Gefahr ist, dass der Gegner, also die Gewerkschaft, ernst macht, ergibt sich die „Kompromiss“-Bereitschaft. Letztlich bedeutet das: Nur wenn die Unternehmen sich fürchten, ist eine Verbesserung für die Beschäftigten möglich. Alle Hoffnungen auf die Wirkkraft „guter Argumente“, alles Gerede vom Boot, in dem man gemeinsam sitzen würde, wird angesichts der Notwendigkeit des Kapitals, Profite zu machen, um im Wettbewerb zu überleben, bedeutungslos. Wissen die Kapitalist*innen, dass die Gewerkschaft ohnehin nur ein bisschen ritualisiertes Säbelrasseln betreibt, dann gibt es keinen Grund für Zugeständnisse.

Die Gewerkschaftsspitze hofft, dass das Kapital sich für ihr „verantwortungsvolles“ Handeln revanchiert. Dafür bremsen Katzian & Co. eine kampfbereitere Basis aus. Das Zurückweichen der Gewerkschaftsspitzen rettet aber nichts, sondern ist die Basis, auf der die Gewerkschaften entmachtet werden können. Die Angriffe auf die Rechte von Beschäftigten werden intensiver. Wenn wir für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik eintreten, dann um kurzfristig Angriffe abzuwehren und langfristig die Gewerkschaften als Kampforganisationen zu erhalten.

Erscheint in Zeitungsausgabe: