Was ist Peronismus?

Der Populist Juan Perón
John Evers

Die Geschichte Argentiniens kannte bis jetzt drei unterschiedliche Phasen peronistischer Herrschaft: 1946-55, 1973-1976 und 1989-1999. Mit Eduardo Duhalde wurde jetzt wieder ein Peronist Präsident. Was bedeutet(e) „Peronismus“ einst und jetzt?

Knapp zusammengefasst bezeichnet man als Peronismus jene bürgerliche, nationalistische Bewegung, die unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, auch in der ArbeiterInnenklasse Argentiniens, Wurzeln schlagen konnte. Der Peronismus präsentierte sich selbst als unabhängige Kraft des politischen und sozialen Ausgleichs. Historisch gab es immer wieder das Phänomen mehr oder weniger populistisch auftretender „Retter der Gesellschaft“, meist „zu einer Zeit, wo die Bourgeoisie die Fähigkeit, die Nation zu beherrschen, schon verloren und wo die Arbeiterklasse diese Fähigkeit noch nicht erworben hatte“; So definierte zumindest Karl Marx die Regentschaft von Napoleon III Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. MarxistInnen sprechen seitdem vom „Bonapartismus“. Gemeint ist damit ein letztlich instabiles Regime, daß - nur scheinbar - über den Klassen steht, Schläge in verschiedene Richtungen verteilt, aber letztlich einzig dem Zweck der Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung dient.

Die historische Kurve des Peronismus

Der wirtschaftliche Aufschwung Argentiniens in der Zwischenkriegszeit wurde von einem Aufschwung der ArbeiterInnenbewegung begleitet. Repression allei- ne erwies sich letztlich als nicht ausreichend um dieser Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen. 1943 führte die Kommunistische Partei einen Generalstreik gegen einen drohenden Staatsstreich durch. Hier beginnt Juan Perons politische Laufbahn. Er ist Mitglied des argentinischen Generalstabs und eben zurückgekehrt von einem Studienaufenthalt im faschistischen Italien. Peron setzt nicht auf die „üblichen“ Mitteln der Herrschenden. Er unterbreitet rechten Gewerkschaftsführern Angebote, wenn sie gegen „Radikale“ in den eigenen Reihen vorgehen. Gleichzeitig verbindet er diese freundliche Offerte mit der Unter- drückung linker GewerkschafterInnen und Organisationen. Die Kämpfe hören daraufhin auf. Peron hat erstmals die Rolle als Retter der Nation gespielt und verfeinert die Mischung aus Re- pression und Reform zum politischen Prinzip. Als Arbeitsminister und Vizepräsident wird er zum starken Mann in der Regierung und verkündet den „sozialen Frieden“. Damit beginnt auch die Umsetzung von einigen - für damalige Maßstäbe unglaublichen - Reformen: Pensionen, Arbeitsgericht, Unfallversicherung, Ausbau der sozialen Leistungen unter Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie, die ihn dafür unterstützt. Während für die mächtige Kommunistische Partei Peron - auf Weisung Moskaus - einfach nur ein Faschist ist, setzt dieser mehr um, als die KP in ihrem damaligen Programm fordert. Gleichzeitig organisiert seine Frau Evita populäre Wohlfahrtsprogramme durch - nicht immer ganz freiwillige - Spenden der Reichen für die Ä€rmsten der Armen, die sogenannten „Hemdlosen“. Unmut in Teilen der Bourgeoisie über zu weitreichende Zugeständnisse führen 1945 zu einem Putschversuch gegen Peron. Ein Generalstreik beantwortet diesen Versuch, seitdem orientieren sich die wichtigsten Teile der ArbeiterInnenklasse endgültig am „Peronismus“. Peron wird auf dieser Grundlage Präsident und ist am Höhepunkt seiner Macht, die er bis zu seinem Sturz 1955 behält. Entscheidend für diese Phase seiner Herrschaft war die weltwirtschaftliche Situation, die dem argentinischen Kapitalismus eine Art Sonderkonjunktur und gewisse Zugeständ- nisse ermöglichte. Mitte der 50er war es damit vorbei,  die instabile „Koalition“ aus Gewerkschaften, Hemdlosen, Militärs und argentinischer Bourgeoisie zerbrach: Von Peron blieb nur noch der Mythos. Als der greise General Mitte der 70er aus dem Exil zurückgeholt wurde, konnte er nur mehr eine Karikatur seines ehemaligen Regimes errichten. Argentinien befand sich damals in einer tiefen ökonomischen, sozialen und politischen Krise. Die gesellschaftliche Polarisierung drückte sich letztlich am schärfsten in der peronistischen Bewegung selbst aus: Ein offen faschistischer Flügel terrorisierte militante GewerkschafterInnen und linke JungperonistInnen. Vor allem Perons Nachfolgerin - seine zweite Frau - war die Verbindungsstelle zu rechtsextremen Kräften. Sie bereitete damit im Grunde ihren eigenen Sturz durch die Militärdiktatur die ab 1976 folgte, selbst vor. Eine einzige Zahl verdeutlicht, daß die schließlich bisher letzte Phase des „Peronismus“ unter Menem (1989-1999) mit dem klassischen Peronismus nichts mehr zu tun hatte: Während unter Peron die Lohnquote in den 40er und 50er Jahren auf 60 % kletterte, sank sie in den 90er Jahren auf 18 %.

Peronismus heute

Nach wie vor spielt der „Peronismus“ eine Rolle im politischen Leben Argentiniens, vor allem auch in den Gewerkschaften. Gleichzeitig richtet sich die Stimmung der Bewegung gegen alle etablierten politischen Strömungen. Die Erfahrungen der letzten Jahre und Jahrzehnte haben auch zur Diskreditierung des Peronismus beigetragen. Das gibt die Chance dieses Relikt endgültig zu Gunsten einer sozialistischen Perspektive zu überwinden.

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