Schwacher KV-Abschluss in der Elektronik- und Elektroindustrie

Trotz voller Auftragsbücher und Kampfbereitschaft macht die Gewerkschaft wieder einen faulen Deal.
Thomas Hauer, Betriebsrat in Elektroindustrie

Seit knapp zehn Jahren bin ich Arbeiter in der Elektroindustrie. Die jährliche Lohnrunde im April bedeutet normalerweise, dass der Sturm vorbei ist, bevor überhaupt Wind aufkommt. Mit der Herbstlohnrunde der Metaller*innen, die öfters zumindest ein bisschen konfrontativer abläuft, ist der generelle Kurs für die restlichen Branchen meistens vorgegeben und die Verhandlungsteams kommen relativ schnell zu einer Einigung. Heuer gab es Anzeichen, dass es diesmal etwas es anders laufen könnte.

Volle Auftragsbücher

Letztes Jahr wurde mit 1,6% Lohnerhöhung, in der ersten Verhandlungsrunde ein, wie es die Gewerkschaft nennt, „vernünftiger Krisenabschluss“ unterzeichnet. Dieser lag knapp über der Inflation. Im weiteren Verlauf des Jahres gab es aber bald wieder Entspannung in der Branche. Die Krise hat sie weniger hart als erwartet, weit weniger als andere Branchen und vergleichbare Firmen in anderen Ländern, getroffen. Die Auftragsbücher sind voll und manche Firmen waren nicht einmal in Kurzarbeit. Noch dazu gilt die Branche durch die weitere Digitalisierung und die angestrebte Energiewende als durchaus zukunftssicher. Regierung und Gewerkschaft haben ja auch - weitgehend ohne Gesundheits-Auflagen an die Firmen - sichergestellt, dass die Produktion unter Corona weiterläuft.

Trotz dieser sehr guten Ausgangslage ging das Verhandlungsteam der Gewerkschaft mit ein paar eher mauen Forderungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen und einer Lohnerhöhung um 2,5% mit sehr schwachen Ansprüchen in die Verhandlung. Vor allem weil normalerweise an den Forderungen nicht festgehalten wird, sondern diese im weiteren Verlauf runter gehandelt werden und 2020 gerade mal die Inflation ausgeglichen wurde. Trotz diesem niedrigen Verhandlungs-Einstieg war das Verhalten der Unternehmensseite eigentlich eine Provokation. Anstatt die Leistung und das Risiko, dem die Beschäftigten in der Pandemie ausgesetzt sind, zumindest anzuerkennen, gab es kein Gegenangebot zu den 2,5%, aber die  Forderung nach einigen Verschlechterungen, wie Kürzung der Ruhezeiten.

Zeit für Betriebsversammlungen

Daraufhin unterbrach die Gewerkschaftsseite die Verhandlungen. An die Betriebsräte der Branche ging der Aufruf, Sitzungen abzuhalten und Betriebsversammlungen (BV) für 4.-6. Mai zu planen, falls bei der nächsten Runde, am 28. April, wieder kein Ergebnis zustande kommt.

Das wurde in unserem Betrieb auch umgesetzt und die BV von Angestellten- und Arbeiter*innenbetriebsrat einstimmig beschlossen. Meine Forderung, die BV auch bei einem Abschluss durchzuziehen, um das Ergebnis zu diskutieren sowie über die Lage im Betrieb allgemein, wurde vorerst mit der Begründung abgelehnt, dass bei einem Ergebnis mit keiner regen Teilnahme der Beschäftigten zu rechnen wäre.

Zumindest bei uns im Betrieb stimmt es, dass die Lohnverhandlungen generell kein großes Thema sind. Allerdings gibt es meistens nur zum Ergebnis einen Aushang und sonst keine Informationen. Weder zum Zustandekommen der Forderungen, noch zum Verhandlungsverlauf wird die Belegschaft informiert, geschweige denn eingebunden. Die Erwartungshaltung ist generell so niedrig, sodass sich die spätere Enttäuschung über ein schlechtes Ergebnis in Grenzen hält. Jedoch wird diese Stimmungslage, sollte sie mal an die Gewerkschaftsfunktionär*innen vermittelt werden, als niedrige Kampfbereitschaft uminterpretiert. Um hier eine Veränderung einzuleiten habe ich eine Unterschriftenliste gestartet, die in einer kritischen Unterstützung für die Gewerkschaftslinie fordert, dass die Lohnerhöhung um 2,5% in der aktuellen Situation nur das absolute Minimum sein kann. Da dieses Vorhaben vom restlichen Betriebsrat nicht mitgetragen wird, ein Text mit gemeinsamen Konsens wahrscheinlich zu zahnlos geworden und im Endeffekt wegen dem knappen Zeitfenster nicht Zustande gekommen wäre, habe ich alleine in vier Tagen gesammelt. Dabei sind 369 Unterschriften zusammengekommen, was etwas über einem Drittel der kompletten Belegschaft liegt und mehr als die Hälfe aller Arbeiter*innen. Mehr war wegen der knappen Zeit nicht möglich, aber nicht einmal 5% der Angesprochenen haben nicht unterschrieben. Dabei wurde nicht aus Ablehnung nicht unterschrieben, sondern vor allem aus Angst vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. 

Unzufriedenheit mit der Gewerkschaft!

In Gesprächen hörte ich viel Wut und Verärgerung über den Verhandlungsverlauf, der den meisten noch gar nicht bewusst war. Auch wurde von vielen das generell lasche Handeln der Gewerkschaft kritisiert. Für Gesprächsstoff beim Sammeln sorgten auch interne Themen. Angefangen mit einer Kündigungswelle, die noch kurz vor Anmeldung der Kurzarbeit durchgedrückt wurde, über die Probleme die jetzt durch diese Kündigungswelle mit der hohen Auftragslage einhergehen, einem dadurch entstandenen, vollkontinuierlichen Schichtmodell (also dank Sonderregelung wirklich rund um die Uhr), das zwar finanziell nicht unattraktiv ist, aber zu Lasten des Privatlebens geht und die Ausnutzung der Krise, um den Arbeitsdruck zu erhöhen. Wut und Druck sind in der Belegschaft genügend vorhanden. Die Arbeitsweise von Gewerkschaft, Betriebsrat und der praktizierter Sozial”partnerschaft” ist es aber, hier den Deckel drauf zu halten und bei kontrollierten Ventilen etwas Druck abzulassen, anstatt den vorhandenen Druck in eine Bewegung umzuwandeln.

Mieser Abschluss

Am 28.4. wurden die Verhandlungen abgeschlossen, bevor es überhaupt zu Betriebversammlungen gekommen ist. Für die rund 50.000 Kolleg*innen in der Branch wurde ein Plus von 2% unterschrieben - während die Teuerung bei Wohnen, Wasser und Energie uns mit einem Plus von 2,6% belastet und viele von uns Partner*innen haben, die den Job verloren haben. Besonders zahnlos ist die “Gemeinsame Sozialpartnererklärung: Bekenntnis zum fairen Umgang mit ZeitarbeiterInnen in der Elektro- und Elektronikindustrie” - es ist davon auszugehen, dass hier ausser schöner Worte nicht viel folgen wird!

Österreichweit sollte der Abschluss in Betriebsversammlungen besprochen und abgestimmt werden. Es geht um unseren Lohn, also sollten auch wir entscheiden, ob wir dem Deal zustimmen, oder bereit sind für mehr zu kämpfen. Eine Betriebsversammlung könnte aber auch für Verbesserungen auf betrieblicher Ebene eine Ausgangslage schaffen. Eigentlich sollter der Betriebsrat ein Gremium sein,  das sich in die Verhandlungen einmischt, die herrschende Stimmung vermittelt, Mitbestimmung einfordert und gegebenenfalls den Protest organisiert und öffentlich sichtbar macht. Wo das nicht der Fall ist, kann eine Betriebsgruppen diese kantige, klassenkämpferische Oppositionspolitik übernehmen. 

Ich mache mir keine Illusionen darüber, dass so etwas zum jetzigen Zeitpunkt mit dem über Jahrzehnte antrainierten Bewusstseinsstand der meisten Beschäftigten, die großteils noch eine bessere Stellvertreterpolitik einfordern, leicht zu bewerkstelligen ist. Eine Betriebsversammlung, bietet eine Möglichkeit, dass die Kolleg*innen selbst zu Wort kommen, wo wir über kämpferische Gewerkschaftspolitik diskutieren können und wo wir das Bewusstsein, dass wir auf unsere Stärke setzen müssen als uns auf andere zu verlassen, heben können. Das kann ein Kristallisationspunkt für echte Basisstrukturen in Betrieben sein, die wir dringend brauchen, um weitere schlechte Abschlüsse, wie den Aktuellen, und faule Kompromisse auf unserem Rücken zu verhindern.