Proteste im Sozialbereich: „Hier ist noch viel Luft nach oben!“

Interview mit Ulli Rathmanner, Ersatzbetriebsrätin bei Caritas Wien

In den Medien hört man viel über die aktuellen Verhandlungen und Proteste im Sozialbereich. Auch bei der Caritas gibt es ja aktuell KV-Verhandlungen. Was sind die Forderungen der Gewerkschaft?

Die Forderungsaufstellung für die diesjährigen Kollektivvertragsverhandlungen ist überschaubar, denn es gibt nur eine: Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Stunden pro Woche bei vollem Lohn-/Gehalts- und Personalausgleich. Gut daran ist, dass diese Forderung nicht nur für die Caritas-Beschäftigten, sondern auch die von Diakonie uns SWÖ erhoben wird.

Du bist auch aktiv bei der Basisinitiative “Sozial aber nicht blöd”. Was fordert ihr?

Schlecht daran ist unserer Meinung nach, dass auf weitere Forderungen verzichtet wurde, insbesondere eine kräftige Gehaltserhöhung um die Lücke von 18 bis 20% zum österreichischen Einkommensdurchschnitt zu schließen. Vollzeitbeschäftigte müssen so mit einem Reallohnverlust rechnen, was angesichts der niedrigen Löhne und Gehälter in unserer Branche nicht akzeptabel ist. Darüber hinaus fordern wir eine Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis, für das wir schließlich im Streikfall viel riskieren und mit dem wir mindestens ein Jahr leben müssen.

Am Dienstag den 11. Februar war bei der Caritas eine Betriebsversammlung. Wie ist die Stimmung?

Die Stimmung war sehr kämpferisch - nach den einleitenden Worten der Betriebsratsvorsitzenden Gabi Wurzer und Josef Wenda zur Forderung einer 35h-Woche gab es viel Applaus. Gabi Wurzer kündigte an, dass bei Stocken der Verhandlungen am 18. Februar für den 24. mit Warnstreiks zu rechnen sei. Wir sollten uns das schon mal dick im Kalender anstreichen. Auf die Nachfrage von einer Kollegin, ob eine Urabstimmung vorgesehen sei, wurde ihr entgegnet, dies sei momentan kein Thema. Ich habe nachgehakt und die Notwendigkeit konkreter Streikvorbereitung bereits jetzt betont. Weiters habe ich eine Urabstimmung über das Verhandlungsergebnis gefordert, weil es um unser Gehalt und unsere Arbeitsbedingungen geht und wir das volle Risiko tragen. Darauf sprang der anwesende GPA-Chefverhandler für Caritas und Diakonie, Andreas Laaber, geradezu an: Dies sei ein Ausdruck des Misstrauens in den schließlich von uns gewählten Betriebsrat. Dieser wisse schon, was er tue. Außerdem seien wir bei den KV-Verhandlungen ja nicht anwesend und würden deren Verlauf nicht mitbekommen, daher könnten wir uns auch kein Urteil zum Ergebnis erlauben. Und es sei ja auch auf Arbeitgeberseite ein gewisser, oft enger Rahmen zu berücksichtigen. Letztlich würde ich mit dieser Forderung die aktuelle nach einer 35h-Woche schwächen. Auf meine Nachfrage, ob er besser wisse als wir, von welchem Gehalt wir gut leben könnten, bestritt Laaber, etwas derartiges gesagt zu haben. Der Betriebsrats-Vorsitzende Josef Wenda meinte, eine Urabstimmung sei jetzt nicht machbar, es sei nicht die richtige Zeit dafür. Mein Zwischenruf, wir könnten das doch hier und jetzt unter uns Kolleg*innen abstimmen, wurde von ihm abgeschnitten mit der Wiederholung, diese Diskussion schwäche uns momentan nur. Es ist schon bemerkenswert, dass der Caritas-Betriebsrat und ein Gewerkschaftsfunktionär auf einer Betriebsversammlung die Beschäftigten kaum zu Wort kommen lassen und keine kontroversen Diskussionen zulassen. Wir standen dann übrigens 10 min. wartend vor der Tür, bis es mit der öffentlichen Kundgebung losging - Zeit, die wir drinnen zum demokratischen Austausch gut hätten nutzen können. Die anwesenden Vertreter der GPA-djp haben es auch unterlassen, zur Streikkundgebung der SWÖ-Kolleg*innen zu mobilisieren. Lediglich Gabi Wurzer berichtete, dass dort die Verhandlungen ins Stocken geraten und weitere Schritte beschlossen wurden. Man sei solidarisch. Mir scheint, dass die Gewerkschaftsbürokratie und leider auch Teile des Betriebsrats Angst vor einer selbsttätigen, schwer kontrollierbaren Basis haben. In klassischer sozialpartnerschaftlicher Stellvertreter*innenmanier will sie auch weiterhin nach Belieben mit den Arbeitgeber*innen packeln und uns Beschäftigte als bloße Verhandlungsmasse einsetzen.

Du hast es schon angesprochen, auch bei den Kolleg*innen im SWÖ finden gerade Verhandlungen statt. Gibt es hier Verbindung bzw. Koordinierung?

In unserer Basisinitiative "Wir sind sozial, aber nicht blöd" sind Kolleg*innen aus unterschiedlichen Berufsgruppen und Trägern tätig, die unter verschiedenen Kollektivverträgen arbeiten. Dadurch können wir uns gut absprechen und gemeinsam Aktionen, nächste Schritte planen und solidarisch unterstützen. So hat z.B. ein Mitglied von uns, das für die Caritas arbeitet, auf der öffentlichen Streikkundgebung der SWÖ-Kolleg*innen gesprochen. Das macht auch Sinn, weil wir uns für einen gemeinsamen Kollektivvertrag für unsere Branche einsetzen. Die derzeitige Trennung verschärft das Lohndumping der Arbeitgeber*innen und schwächt uns bei den KV-Verhandlungen. Auf der Betriebsrats- und Gewerkschaftsebene ist jedoch aus meiner Sicht in den vergangenen Jahren viel zu wenig von wirklich solidarischer Zusammenarbeit zu bemerken. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der vorzeitige Kollektivvertrags-Abschluss bei der Caritas mitten während der Warnstreiks bei der SWÖ hat letztes Jahr eine Streikausweitung und das Erkämpfen eines dringend notwendigen hohen Abschlusses verhindert. Und der damals schon geforderten Arbeitszeitverkürzung war man keinen Schritt näher gekommen. Auch gibt es trotz der gemeinsamen Forderung keine gemeinsamen Verhandlungen. Hier ist noch viel Luft nach oben!

Was sind aus deiner Sicht die nächsten nötigen Schritte?

Wenn es um die Caritas geht, ist das ganz klar die aktive Vorbereitung von Streiks unter Einbeziehung der Beschäftigten. Der Betriebsrat hat auf unsere Nachfrage auf der Betriebsversammlung, wie denn am 24. gestreikt werden soll, wenn es gar keine Planung und Vorbereitung gibt, die Anwesenden dazu aufgerufen, sich diesbezüglich gern an ihn zu wenden. Mir scheint das zwar ein Fortschritt, doch noch immer viel zu wenig. Es bedarf einer Informationskampagne über die rechtlichen Grundlagen für Streiks, denn viele Kolleg*innen haben berechtigter Weise Angst um ihre Jobs und ihr ohnehin oft mickriges Gehalt. Wir sollten uns der Frage widmen, wie ein Streik in unserer Behinderten-WG/unserem Notquartier/Pflegewohnhaus/Beratungseinrichtung ganz konkret aussehen könnte. Im Gegensatz zu Produktionsbetrieben hält sich der wirtschaftliche Schaden im Streikfall in unserer Branche in Grenzen. Um so mehr sind wir angewiesen auf die Solidarität unserer Klient*innen und von deren Angehörigen. Diese sollten möglichst umfassend aufgeklärt und mit einbezogen werden. Unser Arbeitskampf muss nach außen getragen und gemeinsam mit SWÖ und Diakonie im ganzen Bundesgebiet geführt werden! Die 35-Stunden-Woche ist eine sehr weitreichende Forderung mit zu erwartenden Auswirkungen auf andere Branchen. Zusammen können wir es schaffen, diese zu erstreiten!

Danke für das Gespräch und wir sehen uns bald bei den nächsten Aktionen.