Neoliberale Offensive in Brasilien

Nach dem Sturz Dilmas ist die neue Regierung mit starken Protesten konfrontiert.
Marcus Kollbrunner, Liberdade Socialismo e Revolução, www.lsr-cit.org

Die brasilianische Staatschefin Dilma Rousseff von der PT (“Arbeiterpartei”) wurde am 12. Mai vom Bundessenat aufgrund für 180 Tage abgesetzt. Es war unklar, was danach kommt. An ihrer Stelle hat der ehemalige Vizepräsident Michel Temer von der PMDB das Amt übernommen. Der unmittelbare Grund der Amtsenthebung waren undemokratische Manöver der traditionellen Rechten und des Großkapitals. Doch Dilmas Fall ist auch das Ergebnis der Politik der PT in den letzten 13 Jahren. Die PT, die Anfang der 80er als Partei der ArbeiterInnen entstanden war, wird ihrem Namen schon lange nicht mehr gerecht. Sie setzte auf weitgehende Zusammenarbeit mit KapitalistInnen und die Umsetzung ihrer Wünsche. Sie ist wie die europäische Sozialdemokratie verbürgerlicht. Die PMDB ist von jeher eine bürgerliche Partei, die sich, scheinbar ideologiefrei, als Partei der politischen Mitte präsentiert, aber Politik für die herrschende Klasse umsetzt.

Bis Ende 2015 hatte die herrschende Klasse von Dilma Angriffe gegen die ArbeiterInnenklasse erwartet. Diese hatte sie zum Teil auch umgesetzt, obwohl sie bei den Wahlen 2014 das Gegenteil versprochen hatte. So machten die wirtschaftliche Krise und Dilmas neoliberale Politik sie zu einer der unpopulärsten PräsidentInnen der Geschichte. Die Wirtschaft war 2015 um 3,8% geschrumpft. Die Zahl der Arbeitslosen ist auf 11 Millionen angewachsen. Die Inflation liegt im zweistelligen Bereich. Bereits im Vorfeld der WM 2014 hatte es Massenproteste und Streiks für Preissenkungen und Lohnerhöhungen im öffentlichen Verkehr gegeben. Das ist der Hintergrund, vor dem die „Operation Autowäsche“ die öffentliche Meinung explodieren lies. Bei „Operation Autowäsche“ ermittelte die Bundespolizei gegen führende PT-Regierungsmitglieder wegen Korruption rund um den staatlichen Ölgiganten Petrobras – und wurde fündig.

Die allgemeine Unzufriedenheit erlaubte der Rechten große Teile der Mittelklasse in riesigen Demonstrationen gegen die Regierung zu mobilisieren. Dilmas Regierung hatte aufgrund ihrer Unpopularität nicht mehr die Stärke um weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse umzusetzen. Daher setzte ein zentraler Teil des Großkapitals seit Beginn 2016 auf Amtsenthebung. Bis zum letzten Moment versuchte Dilma das Großkapital zu überzeugen, dass sie liefern könnte. Einige der letzten Maßnahmen der Regierung Dilma beinhalteten die Öffnung der Ölförderung für ausländische Unternehmen, brutale Kürzungen, Privatisierungen und ein neues “Anti-Terror”-Gesetz, das den Weg für die Kriminalisierung sozialer Bewegungen öffnet.

Trotz der Wut auf Dilmas neoliberale Politik fanden große Demonstrationen gegen die Amtsenthebung statt. Denn viele sehen die Amtsenthebung als Angriff auf die Demokratie und manche sogar als Staatsstreich. Tatsächlich kann die Amtsenthebung die Tür für noch härtere anti-demokratische Attacken auf die ArbeiterInnenklasse öffnen.

Die ersten Tage der Temer-Regierung waren von einer Lawine an Ankündigungen begleitet. In kürzester Zeit sind massive Kürzungen geplant worden: die Abschaffung der verpflichtenden Finanzierung von Gesundheit und Bildung, die Erlaubnis massive Kürzungen umsetzen zu dürfen, sowie ein Deckel für Staatsausgaben, um den öffentlichen Sektor einzudämmen. Aber die Regierung war vom ersten Tag an mit Protesten konfrontiert. Das führte zu einem teilweisen Rückzug von Temer. Er versuchte, die Ankündigungen seiner MinisterInnen abzuschwächen. So führte die Entscheidung, das Kulturministerium abzuschaffen, zu Besetzungen von öffentlichen Gebäuden im ganzen Land und Temer musste diesen Plan zurückziehen. Die Regierung kündigte auch die Streichung des geplanten Baus von 10.000 Sozialbauten an, musste diese Entscheidung aber nach Protesten der Bewegung obdachloser ArbeiterInnen (MTST) zurücknehmen. Und zwei Minister mussten nach der Veröffentlichung von Aufnahmen, die belegen, dass es Pläne gab “Operation Autowäsche” zu streichen, gehen. “Operation Autowäsche” untersuchte nämlich auch führende Mitglieder der PMDB...

PSOL, die linke Organisation „Partei des Sozialismus und der Freiheit“, konnte seine Autorität während des Amtsenthebungsprozesses stark ausbauen. Sie hat ihre linke Opposition gegen die Dilma-Regierung bekräftigt, aber im Senat und der Abgeordnetenkammer gegen Dilmas Amtsenthebung gestimmt. PSOL wird wahrscheinlich in den Lokalwahlen im Oktober stark dazu gewinnen. Allerdings gibt es die Gefahr, dass Teile der PSOL dann Bündnisse mit der PT eingehen könnten – was die Fehler der PT-Politik fortsetzen würde. Unsere Schwesterorganisation in Brasilien – LSR („Freiheit, Sozialismus, Revolution“)– ist Teil von PSOL und betont die Notwendigkeit eines Generalstreiks, um die Angriffe der Temer-Regierung zu stoppen. Gefordert werden ebenso Neuwahlen für das Präsidentenamt und um den gesamten korrupten Kongress zu ersetzen. LSR steht für den Aufbau einer linken sozialistischen Alternative zur PT. Wenn das nicht passiert, kann es sein, dass das politische Vakuum von anderen politischen Kräften gefüllt wird, die Temer nichts entgegenzusetzen haben.

 

 

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