Nach der Absetzung der rebellischen WASG-Landesvorstände

Sascha Stanicic, CWI-Berlin

Es ist eine alte Weisheit, dass politische Probleme nicht mit administrativen Mitteln gelöst werden können - es sei denn man will sie nicht lösen, sondern loswerden. Nach diesem Motto handelt der WASG-Bundesvorstand. Er hat die beiden rebellischen Landesvorstände in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern einfach abgesetzt. Die Amtsenthebung erfolgte, weil diese an ihrer Entscheidung festhalten, eigenständig bei den kommenden Landtagswahlen anzutreten. Sie lehnen eine Unterstützung der Linkspartei.PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ab, weil diese in den Regierungen unsoziale Politik mitverantworten.

Die Berliner WASG-Aktiven halten an ihrem grundsätzlichen Nein zu Sozialabbau, Privatisierungen, Lohnkürzungen und Arbeitsplatzvernichtung fest und sind nicht bereit, eine solche Politik weniger zu bekämpfen, nur weil sie von einer Landesregierung ausgeführt wird, an der die Linkspartei.PDS beteiligt ist. Die Ablehnung einer Politik des kleineren Übels durch Lucy Redler und die anderen Vorstandsmitglieder trotz des massiven Drucks durch die Bundestagsfraktion und den Bundesvorstand findet Unterstützung in der Stadt. Gerade in den letzten Wochen hatte die WASG eindrucksvoll gezeigt, auf welcher Seite sie steht: zum Beispiel durch eine spektakuläre Aktion gegen Abschiebungen, als sich Mitglieder und KandidatInnen an einen Abschiebeknast ketteten, oder durch die Unterstützung einer Aktion gegen die Privatisierung der Bahn. Die WASG Berlin ist auch in anderen wichtigen Auseinandersetzungen in der Stadt vertreten: beim Aktionskomitee „Gesunde Charité“ (gegen Lohnkürzungen, Stellenabbau und Privatisierungen bei dieser Klinik), beim Bürgerbündnis gegen Privatisierungen oder der Initiative zum Erhalt des Kulturzentrums Bethanien.

Innerhalb von knapp zwei Wochen wurden über 2.200 Unterstützungsunterschriften für die eigenständige WASG-Kandidatur gesammelt und die Umfragewerte sind immerhin von zwei auf drei Prozent gestiegen, während das Gesamtpotenzial in der Stadt nach einer Meinungsumfrage bei zwölf Prozent liegt.

Gerade weil die Berliner WASG die realistische Chance hat in das Abgeordnetenhaus einzuziehen und somit zu einem Nagel am Sarg des SPD/L.PDS-Senats zu werden, geht der WASG-Bundesvorstand mit aller Brutalität gegen den Landesverband vor. Offensichtlich will man die Regierungsfähigkeit der L.PDS und der zu bildenden neuen gemeinsamen Partei nicht beschädigt sehen. Wobei Regierungsfähigkeit hier die Fähigkeit zur Koalitionsbildung mit der neoliberalen und arbeitnehmerfeindlichen SPD bedeutet.

Demokratievorstellungen des Bundesvorstands

Der Beschluss des Bundesvorstands zur Absetzung der Landesvorstände in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern widerspricht nicht nur einem entscheidenden Grundsatz der WASG. Im Gründungsprogramm heißt es nämlich, dass sich nur an einer Regierung beteiligt wird, wenn dies zu einem Politikwechsel in Richtung der WASG-Forderungen führt. Er widerspricht auch der pluralistischen und demokratischen Kultur, die die WASG für sich in Anspruch nimmt. Nachdem Oskar Lafontaine in den letzten Wochen zum Einhalten der „Generallinie“ aufgerufen hat, wurden nun durch den Bundesvorstand zwei Beauftragte eingesetzt, die den Landesverband bis zur Neuwahl eines Vorstands leiten sollen und mit einer „Generalvollmacht zur Vertretung des Landesverbandes im Rechtsverkehr gegenüber Dritten und Mitgliedern der Partei“ ausgestattet wurden. Dies soll unter anderem das Recht beinhalten, „bereits einberufene Landesparteitage zu verlegen oder festzulegen, dass diese nicht stattfinden“. Auch dies widerspricht der Satzung, die eine Absage von einmal einberufenen Landesparteitagen nicht vorsieht. Warum diese weitgehenden Versuche in die Rechte der WASG-Basis einzugreifen? Weil am Dienstag, den 16.5. ein Berliner Landesparteitag einberufen ist, der deutlich machen wird, dass die Ordnungsmaßnahmen nicht nur gegen den Landesvorstand, sondern gegen den gesamten Landesverband gerichtet sind und deshalb von diesem abgelehnt werden.

Davon ist zumindest auszugehen, denn schon jetzt haben sich mehrere Bezirksvorstände gegen die Beschlussfassung des Bundesvorstands ausgesprochen und haben fast fünfzig Mitglieder und FunktionsträgerInnen der Berliner WASG eine Unterschriftenliste unterschrieben, die den Bundesvorstand auffordert, die Absetzung zurück zu nehmen. Darin heißt es unter anderem: „Die Beschlüsse des Bundesparteitags und des Bundesvorstands widersprechen den Grundsätzen unserer Partei. Wir haben die WASG gegründet, um gegen Sozialabbau, Privatisierungen, Arbeitsplatzvernichtung und Lohnkürzungen zu kämpfen. In unserem Programm steht, dass Regierungsbeteiligungen nur dann in Frage kommen, wenn diese zu einem Politikwechsel in Richtung unserer Forderungen führen. Weil wir diese Grundsätze nicht über Bord werfen wollen, kommt eine Unterstützung der Kandidatur der Berliner L.PDS nicht in Frage. Diese hat im Senat unsoziale und arbeitnehmerfeindliche Politik zu verantworten und ist fest entschlossen, die Koalition mit der neoliberalen SPD fortzusetzen. Deshalb sehen wir uns gezwungen, an der eigenständigen Kandidatur des WASG festzuhalten.Wir sind für eine neue Linke. Wir sind aber davon überzeugt, dass diese nur erfolgreich sein kann, wenn sie konsequent an der Seite der abhängig Beschäftigten und Benachteiligten steht. Sonst wird sie das Schicksal der Berliner L.PDS teilen, die massiv an Unterstützung in der Bevölkerung verloren hat.“

Wie weiter?

Thies Gleiss, Bundesvorstandsmitglied in Opposition zur Absetzung der Landesvorstände, schreibt in einer Stellungnahme:„Der Berliner Landesverband, fast 900 Mitglieder, wird bewusst zerschlagen.“ Offensichtlich spekuliert die Vorstandsmehrheit um Klaus Ernst und das Berliner Linksruck-Mitglied Christine Buchholz (Anm.: in Österreich ist "Linkswende" die Schwesterorganisation von Linksruck) darauf, dass nun viele der L.PDS-kritischen Aktiven der WASG den Rücken kehren werden und man auf diese Art die unbequemen Oppositionellen los wird. Viel spricht dafür, dass dieser Plan nicht aufgehen wird. Auf einer spontan einberufenen Versammlung von über 60 WASG-Mitgliedern gab es einhellig die Meinung, dass der Kampf um die WASG Berlin bis zum Ende geführt werden muss. Nicht nur, damit es am 17. September eine wählbare soziale Alternative bei den Wahlen gibt, sondern auch um die Neue Linke bundesweit nicht denen zu überlassen, die schon die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene für 2009 planen. Rund 40 Berliner WASG-Mitglieder haben sich deshalb auch schon für das bundesweite Treffen der linken Opposition in der WASG angemeldet, das am 20. Mai in Kassel stattfinden wird.

Einigkeit herrschte auch darin, die Aktivitäten der WASG Berlin zu verstärken. Am Dienstag, den 16. Mai wird eine Protestaktion für Mindestlohn und gegen die Niedrigstlöhne zahlende PIN AG stattfinden. Ort des Geschehens: das Rote Rathaus - denn der SPD/L.PDS-Senat versendet seine Amtspost über die Lohndrücker-Firma PIN AG. Die konsequente Forderung der WASG Berlin: öffentliche Aufträge sollen nur an Firmen gehen, die tarifliche Standards einhalten und Betriebsräte nicht behindern. Die Politik der derzeitigen Bundesvorstands-Mehrheit zeigt sich auch an dieser Frage. Auf eine solche Aktion angesprochen, erklärte Christine Buchholz, sie sei natürlich dafür, das Thema PIN AG in der Mindestlohnkampagne zu behandeln - aber eine solche Aktion sei doch „bündnispolitisch falsch". Doch wenn man den Glaubwürdigkeitsverlust der L.PDS Berlin (Mindestlohn in Worten fordern und in Taten unterlaufen) nicht anprangert, wird man in den Augen der Betroffenen selber Opfer dieses Glaubwürdigkeitsverlustes.

Mit der Absetzung des Landesvorstandes und der zu erwartenden Rücknahme der Wahlbeteiligungsanzeige durch den „Generalbevollmächtigten“ Hüseyin Aydin werden sich nun auch die Gerichte befassen müssen. Die Berliner WASG-AktivistInnen sind optimistisch, dass sie nicht nur „Recht haben“, sondern auch Recht bekommen werden. Denn offensichtlich greift der Bundesvorstand satzungs- und rechtswidrig in die Autonomie eines Landesverbandes ein, der nicht gegen die Grundsätze und die Satzung der Partei verstoßen hat.

Bundesweite Solidarität nötig

Die Landesverbände Berlin und Mecklenburg-Vorpommern brauchen jetzt die bundesweite Solidarität von WASG-Mitgliedern, -Kreisverbänden, -Gremien und allen Linken! Es gibt schon eine Muster-Resolution, die genutzt werden kann und an den Bundesvorstand geschickt werden soll. Solidaritäts-Veranstaltungen, Spenden-Sammlungen und Teilnahme am Oppositionstreffen in Kassel sind geboten!