Informationsgesellschaft

Zwischen Traum und Wirklichkeit
Florian Seidl

Internet, Multimedia, Informationsgesellschaft – kaum noch ein/e JournalistIn, die/der was auf sich hält, kommt heutzutage ohne diese Vokabel aus. Wir leben eben in einer „Informationsgesellschaft“, sind alle „vernetzt“ oder werden es zumindest bald sein.
Selbst in etwas seriöseren Publikationen wird seitenweise über das Wesen der neuen Gesellschaft geschrieben, werden deren neue Qualitäten diskutiert, werden Zukunfsperspektiven konstruiert und kritisiert – ohne je das eigentlich neue an der Gesellschaft zu definieren. Vieles in dieser Hinsicht ist zur Glaubensfrage geworden – und dementsprechend nicht allzu ernstzunehmen. Aber es hat sich etwas verändert. Die Frage ist nur:

Was ist das Neue?

In der allgemeinen Debatte um die „Informationsgesellschaft“ wird schon die Nutzung und Verbreitung von Information oft genug als DAS eigentlich Neue der 90er gefeiert. Das ist naheliegenderweise völlig absurd. Information und deren Nutzung ist wohl unabdinglich für jede kulturelle Entwicklung – in der Steinzeit genauso wie heute.
Das ökonomische Argument schlechthin für das neue, das eben die Informationsgesellschaft ausmachen soll, ist die These von der Vermarktung von Information als Ware. In einer Schätzung wird der Wirtschaftszweig, der sich in den USA mit der Produktion und Verbreitung von Information beschäftigt, auf über 60% geschätzt – wir alle leben also eigentlich von Information. In diese Zahlen ist dann aber auch jede Verbreitung von Information eingerechnet – von der Buchdruckerei bis zum Lehrberuf, von der Softwareindustrie bis zur Telekommunikation, das wenigste davon ist mit technischer Innovation verbunden. Es gibt sicher neue Industrien in diesem Bereich, aber „die“ neue Qualität daran leuchtet nicht wirklich ein. Es wird mit der Informatisierung sicher immer mehr Geld für Information als Ware ausgegeben. Die Frage ist allerdings, wieso.
Die eigentliche Veränderung, die stattgefunden hat, ist die Automatisierung von Informationsverarbeitung. Die hat natürlich nicht erst heute begonnen – aber erst mit der automatischen Datenverarbeitung wird Informationsverarbeitung im industriellen Maßstab möglich. Dieser qualitative Sprung ist vielleicht am ehesten mit der Automatisierung in anderen Bereichen vergleichbar. Die Maschine, die Software übernimmt die Regie, der Mensch wird zum Bediener, zum Zuarbeiter. Was für IndustriearbeiterInnen schon lange gilt, gilt dann auch für den Buchhalter; mit allen Konsequenzen. Qualifizierte Arbeit wird zur Fließbandarbeit, entfremdet total. Vormals typische Angestelltenjobs werden mit Aushilfskräften bestückt.
Natürlich schafft Automatisierung nicht nur neue Möglichkeiten und mehr Effizienz – so wie Maschinen müssen auch Computer, muß auch Software, muß auch Netzwerkinfrastruktur gebaut werden. Im Zentrum der Computerindustrie, im Silicon Valley in Nordkalifornien, ähnlich wie einst in Sheffield, Pittsburgh oder Detroit, herrscht spätestens seit dem Siegeszug des Mikroprozessors Goldgräberstimmung. Das Wachstum scheint unbegrenzt, ebenso die Möglichkeiten. Um diese Perspektive aufrechtzuerhalten, müssen immer neue Ziele proklamiert werden. Daß man in  manchen Bereichen schon jetzt auf Grenzen stößt, ist naheliegend – Firmen investieren nur, wo sie Effizienzsteigerung durch Automatisierung erwarten, und auch Private haben keinen unendlichen Bedarf.
„Neue Werkzeuge zur Steigerung der Effizienz von Administration – und damit natürlich auch zur Vereinfachung von Überwachung. Neue Industrien, neue Jobs – auf Kosten von alten.“ -“ Eine Vertiefung des Gegensatzes zwischen den reichen, und somit technisierten Ländern und dem Großteil der Welt. Eine Spaltung der Gesellschaft – in die, die mit und von der Informatisierung leben, und die, die sie auf der Strecke läßt. Eine Festigung geschlechtspezifischer Rollen. Das Entstehen neuer Medien.“ – Und und und. Alles Veränderungen, die durch den Einsatz der neuen Technologie angestoßen und verstärkt werden.

Böse Technik?

Technik kann – wie oben argumentiert – die Gesellschaft verändern, wenn sie existiert und dementsprechend eingesetzt wird. Im Endeffekt bringt es aber nichts, nur die Technologie an sich zu hinterfragen. Entscheidend ist vor allem die Rolle, die Technolgie spielt, die Frage wozu sie eingesetzt wird. Natürlich führt auch diese Frage oft zur Kritik an der Technologie an sich zurück – schließlich ist diese ja auch zu einem bestimmten Zweck konstruiert worden (im Falle der Computertechnologie für den Krieg). Nur: Jammern über die „böse“ Technik, die uns alle versklavt und überwacht, bringt nichts, genauso wenig wie die Hoffnung auf eine „bessere“ Technologie. Was fehlt, ist der Kampf um unsere Rolle in dem Prozeß, um einen würdigen Platz – einen Platz jenseits von Automatisierung, Überwachung und Effizienz.

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