Krypto: Symptom, nicht Lösung von Krisen

Severin Berger

In Zeiten enormer Inflation haben viele Menschen Angst um ihr Erspartes und sind auch wegen Erfahrungen mit der 2007er Krise misstrauisch gegenüber Banken und Staaten. Gleichzeitig bringt normale Arbeit immer weniger Reallohn. Als Lösung und Weg zum “schnellen Geld” wird in letzter Zeit häufig das Investment in Kryptowährungen genannt. Verfechter*innen beschreiben sie als “dezentrales” Tauschmittel, das ohne Zwischenschritt über Banken verwendet werden kann. Die Grundidee des Handels gibt allen uneingeschränkten Zugriff auf ihre “Wallet” (englisch für “Geldtasche”), welche zur Verwaltung besessener Kryptowährungen dient. Es können Transaktionen gestartet, angenommen oder abgelehnt werden - volle Kontrolle über alle Teile des Handels. Diese Kontrolle durch Nutzer*innen wird oft genannt, wenn es um die angebliche Demokratie der Technologie geht.

Haben wir die Kontrolle?

Vor nicht allzu langer Zeit gab es schon mal ein ähnliches Demokratieversprechen - damals im Kontext des sich etablierenden Internets. Denn auch im Internet können Nutzer*innen Kontrolle über alle Teilaspekte des Informationsaustauschs haben. Heute sehen wir, wie wenig dieser Kontrolle wirklich bei Endkonsument*innen liegt und wie viel Einfluss große Konzerne oder Staaten auf den Zugang zu Informationen haben.

Wer den Zugang bewacht, hat die volle Macht: Z.B. sind ~72% aller vorhandenen Bitcoins in 2% der “Wallets” konzentriert! Im Kryptomarkt bestimmt die Größe der “Wallet” wie viel Kontrolle über die jeweilige Währung und deren “Wert” vorhanden ist - diese Ungleichheit hat nichts mit Demokratie zu tun. Bei der notwendigen Infrastruktur sieht es nicht besser aus: Nur 10% der “Miner” (Personen/Unternehmen, die “Kryptocoins” “herstellen”) sind für etwa 90% aller Bitcoins verantwortlich!

Um es nicht unerwähnt zu lassen: Der Bitcoinmarkt, vor allem das “minen” hatte Anfang 2022 einen jährlichen Verbrauch, und damit verbundene Umweltbelastung, von ca. 200 TWh Strom - fast so viel wie ganz Australien!

Ein Blick auf die Geschichte des Kryptomarkts zeigt sofort, dass dieser alles andere als frei von Krisen ist. Bereits 2011 kam es bei z.B. Bitcoin zu Kursstürzen von mehr als 90%. Im Frühling 2022 wurden durch den Zusammenbruch der Kryptowährung Terra-Luna innerhalb weniger Tage 45 Milliarden Dollar an Marktkapitalisierung regelrecht ausgelöscht. Die extreme Instabilität von Kryptowährungen macht sie eher zu Glücksspiel als zu wirklichen Investments.

Denkt man über die Grundlagen des Marktes nach, wird klar, wieso sich so einfach Blasen bilden können: Ähnlich wie bei Aktien handelt es sich um “fiktives Kapital”, also Finanzanlagen, deren Wert durch spekulativen Handel von den realen, in der Produktion geschaffenen, Werten gelöst wurde. Gleichzeitig kann das Platzen der so entstehenden Blasen allein durch das Abziehen einer größeren Menge des “fiktiven Kapitals” ausgelöst werden - das bietet den “Reichsten” enorme Einflussmöglichkeit. Dieser Trend hin zu spekulativen Feldern zeichnet sich seit den 80ern ab. Durch sinkende Profitabilität in der Produktion begab sich das Kapital auf die Suche nach neuen Anlageformen: Eine der neuesten Investitionsfelder sind nun Kryptowährungen. Es ist kein Zufall, dass heute Großbanken zu den krypto-reichsten Institutionen gehören: Citibank z.B. hat bereits mehr als 250 Millionen in Investments ausgegeben und verwaltet über zwei Milliarden US-Dollar in Krypto-Anlagen.

Holen wir uns die Kontrolle!

Das allgegenwärtige Profitinteresse der kapitalistischen Klasse wird verdrängt und eine reine Umstellung des Rahmens rund um das System wird als Lösung verkauft. Ohne das Infragestellen der vorhandenen Produktionsverhältnisse kann kein neuer Markt geschaffen werden, der nicht automatisch von der herrschenden Klasse in ihrem Sinne geformt wird.

Die Reichen sind im Kapitalismus mächtig, egal ob ihr Vermögen in Immobilien, Gold oder “Wallets” liegt! Die Lösung ist nicht der Transfer von einem Markt zum anderen, sondern von oben nach unten: Um eine wahre Verbesserung zu schaffen, müssen wir mit dem kapitalistischen System brechen! Als ersten Schritt dafür braucht es eine Überführung des Finanzmarktes in die öffentliche Hand mit klarer demokratischen Kontrolle durch die Arbeiter*innenklasse - Für die Leben Vieler statt der Profite Weniger!