In Griechenland bleibt nichts, wie es ist!

Die Krise der Bewegung ist v. a. eine Krise der Führung - das gilt aktuell für Griechenland.
Laura Rafetseder und Sonja Grusch

In Europa schien das Zeitalter der Revolutionen vorbei. Doch die Ereignisse in Griechenland zeigen, wie dramatisch sich Prozesse zuspitzen können. Seit Ende 2009 ist Griechenland der Fokus der europäischen Krise. Es ist eine wirtschaftliche, soziale und politische Krise. Bereits 2011 machten die Schulden über 160% des BIP aus. Die Wirtschaftsleistung ist um rund ein Fünftel geschrumpft. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen ist 2007-11 um 50% gefallen. In Griechenland zeigen sich die Folgen der internationalen Krise des Kapitalismus zurzeit am deutlichsten. Dort findet statt, was auch anderen Staaten droht.

In Folge steckt das politische System in der Krise. Unterschiedliche Teile der herrschenden Klasse haben unterschiedliche Interessen, und setzen daher auf unterschiedliche Strategien, erfolgreich ist keine. Die Sparpakete sind aus kapitalistischer Sicht wegen der Schulden nötig. Doch gleichzeitig bremsen sie die Wirtschaft. Die Ratlosigkeit drückt sich im Versuch aus, All-Parteien-Regierungen zu bilden. Das europäische Kapital ist stärker als das griechische und hat auch eigene Interessen. Das findet seinen Ausdruck in der zumindest teilweisen Entmachtung der griechischen Regierung. Auch hier gibt es unterschiedliche Trends um die Frage, ob Griechenland in der Eurozone bleiben soll oder nicht.

Doch angesichts des anhaltenden Widerstandes in Griechenland durch Streiks und Proteste gibt es auch Debatten unter den Herrschenden, wie mit einer Explosion der Lage umzugehen sei. Die Aufrüstung des griechischen Staates und die Spekulationen über eine mögliche Intervention des Militärs machen deutlich, dass die Herrschenden nicht davor zurückschrecken, mit Gewalt die wirtschaftlichen Interessen des Kapitals durchzusetzen.

Die herrschende Klasse in Griechenland herrscht nicht mehr wirklich.

Die soziale Krise erfasst alle Teile der Gesellschaft. Auch Menschen, die bisher meinten, sie wären aufgrund einer guten Ausbildung oder von Rücklagen sicher, stehen plötzlich vor dem Nichts. Unzählige kleine Betriebe müssen schließen. Die TaxifahrerInnen sind wichtiger Teil der Kämpfe. Bei den Platzbesetzungen 2011 fanden sich viele Jugendliche aus der Mittelschicht. Die für die Mittelschichten typische Skepsis gegenüber der ArbeiterInnenbewegung hat sich u. a. in der Ablehnung von Parteien bei vielen der AktivistInnen widergespiegelt. Doch es war ein Lernprozess und viele von ihnen haben den Schulterschluss zu den Protesten der ArbeiterInnenklasse hergestellt und erkannt, dass es gemeinsame Probleme und Interessen und einen gemeinsamen Gegner gibt.

Die ArbeiterInnenklasse ist mit 15 Generalstreiks und Betriebsbesetzungen der dominierendste Faktor. 2011 gab es u. a. eine Nichtbezahlungskampagne gegen eine Haushaltssteuer. Da sich die meisten Haushalte diese Steuer nicht leisten können, gab es eine massive Bewegung ganzer Nachbarschaften dagegen. Die Gewerkschaft der E-ArbeiterInnen weigerte sich, den Menschen, die nicht zahlten, den Strom abzudrehen, sondern drehte im Ministerium den Strom ab. Seit Monaten gibt es Streiks bei den StahlarbeiterInnen. Es gibt die Besetzung von Ministerien durch Angestellte des sozialen Wohnservices bzw. von Schulen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Ein Krankenhaus in Kilkis wird von der Belegschaft besetzt. Diese hat beschlossen, eine kostenlose Gesundheitsversicherung anzubieten, solange ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Die größte Zeitung des Landes, Eleftherotypia, ist von ihren Beschäftigten besetzt. Die Zeitung war pleite, Löhne waren monatelang nicht ausbezahlt worden. JournalistInnen und ArbeiterInnen führen die Zeitung nun unter dem Titel „Die ArbeiterInnen“ weiter. Die ersten beiden Ausgaben haben mehr Exemplare verkauft als irgendeine andere Zeitung im Land. Daneben gab es einen sechswöchigen Streik der MüllarbeiterInnen in Athen, unterstützt von der Bevölkerung, obwohl die Stadt im Müll versank. Als die Regierung Streikbrecher einsetzen wollte, wurden diese von der lokalen Bevölkerung vertrieben. Als die Regierung die Armee einsetzen wollte, hat sich die Armee aus Angst vor der Auseinandersetzung mit der lokalen Bevölkerung geweigert diesen Befehl auszuführen.

Die herrschende Klasse in Griechenland hat die Macht zum Teil an das europäische Kapital abgegeben. Die restliche Macht bleibt ihr, weil sie sonst niemand ergreift. Während des Generalstreiks im Oktober lag die Macht förmlich auf der Straße. Doch niemand hat sie ergriffen. Zurzeit hat sich der Fokus der Bewegung weg von den Generalstreiks, hin zu den Wahlen im Frühjahr verschoben. Auch die wichtigsten Parteien der Linken setzen auf Wahlen.

Die linken Parteien (KKE, Syriza und Dimar) kommen gemeinsam auf mehr als 30% in Umfragen, 60% wollen sie in der Regierung. Die Parteien des Establishments sind völlig diskreditiert. Das trifft auf PASOK (in Umfragen 10%) ebenso zu wie auf ND (28%) und Laos, die zwar bald aus der Regierung wieder ausgetreten sind, aber in Umfragen ebenfalls stagnieren. Die Unterstützung für linke Ideen ist groß, doch es besteht die Gefahr, dass KKE, Syriza und Dimar weitermachen wie bisher und die neue Qualität in der Situation nicht sehen (wollen). Im Oktober haben sie darauf verzichtet, den Generalstreik auszuweiten, die Regierung zu stürzen und eine echte ArbeiterInnenregierung zu errichten. So aber blieb bei den Menschen der Eindruck, dass die PASOK-Regierung von der EU abgesetzt worden war. Die ArbeiterInnen sind sich nicht bewusst, dass sie es waren, dass es ihr Generalstreik war, der die Regierung gestürzt hat. Die linken Parteien haben lediglich Neuwahlen gefordert.

KKE und Syriza hätten eigentlich die Verantwortung, den Kämpfen Programm und Perspektive zu geben. Diese Aufgabe erfüllen sie nicht. Die KKE hat aufgrund des Drucks der Bewegung in Worten weitgehende Forderungen wie die Nichtbezahlung der Schulden und Verstaatlichung übernommen und sie spricht von „Volksmacht“. Allerdings ist ihr Wortradikalismus abstrakt – das hat sich im Zuge des Generalstreiks am 9. Oktober gezeigt. Syriza ist paradoxerweise in ihren Forderungen nach rechts gegangen, sie fordern nur ein Einfrieren/Neuverhandlung der Schulden und schüren Illusionen in eine andere, bessere EU. Dimar geht noch weiter und würde an einer Koalition mit PASOK teilnehmen.

Im Oktober wurde eine Chance vertan - doch nicht die letzte. Wenn es zu diesem Zeitpunkt eine revolutionäre Massenpartei mit einem sozialistischen Programm und einer Forderung nach einer Regierung der ArbeiterInnen gegeben hätte, hätte dieser Generalstreik die Machtfrage stellen können. Es hätten sich, ähnlich wie z.B. beim Generalstreik im Mai 68 in Frankreich (und in Anknüpfung an die Bewegung am Syntagmaplatz), Komitees in den Betrieben bilden können. Die Frage der Fortführung der Produktion unter Kontrolle der ArbeiterInnen, wie im Beispiel der Zeitung Eleftherotypia angeklungen, hätte sich sehr konkret für weite Teile der Wirtschaft stellen können. Ohne eine solche Bewegung, ohne die Machtübernahme durch die ArbeiterInnenbewegung, ist die Zukunft für Griechenland eine sehr sehr düstere. Die aktuellen Kürzungen stellen erst den Anfang dar!

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