Die Grenzen der Sozialen Arbeit im Kapitalismus

„Soziale Arbeit: Hilfe zur Selbsthilfe oder Bildung von Klassenbewusstsein?
Moritz Erkl

Das System ist brutal! In Österreich sind 12% (rund 1 Million) arm, 37 000 sind obdachlos, psychische Krankheiten nehmen dramatisch zu. Lösen sollen diese Probleme SozialarbeiterInnen, das Berufsfeld wächst und wächst. Gleichzeitig wird ständig im Sozialbereich gekürzt (25% Kürzungen in der Steiermark), Subventionen gestohlen und Betreuungsschlüssel hinaufgesetzt.

Soziale Arbeit entstand, weil die horrenden gesellschaftlichen Probleme in der modernen kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr versteckt und/oder „übersehen“ werden konnten. Das führte zu zwei Strängen: den Drang zu helfen und den Wunsch, die Probleme aus dem Blickfeld zu vertreiben.

Der Wunsch zu helfen ist menschlich und zeigt, dass das Gerede von der „Entsolidarisierung“ falsch ist. Betrachtet man die verschiedenen Notlagen, Armut, Wohnungslosigkeit, 90% der psychischen Erkrankungen (z.B. in Folge von Stress/Mobbing am Arbeitsplatz oder Verlust desselben) und/oder Gewalt, bricht der Strom an Möglichkeiten und Notwendigkeiten zu Helfen gar nicht mehr ab. Doch all diese Lebensbedingungen haben Eines gemeinsam: Sie sind systembedingt. Anders als von HetzerInnen (Sarrazin, Strache,…) behauptet, liegen sie jedoch nicht daran, das Menschen faul oder genetisch bedingt dumm wären. Sie liegen nicht an einem „Integrationsunwillen“ von AusländerInnen oder am falschen Geschlecht. Schuld daran ist in letzter Konsequenz die Bereicherung einiger weniger auf Kosten der Allgemeinheit, der 99%.

Bei Armut als Folge von niedrigen Löhnen oder fehlenden Sozialleistungen ist das offensichtlich. Verwahrlosung, (Selbst-)Zerstörung und Gewalt sind oft eine Reaktion darauf, dass Menschen mit dem Druck und der Perspektivlosigkeit nicht fertig werden. Und auch Klein-Kriminalität ist letztlich eine soziale Frage, man muss nach den Ursachen fragen.

SozialarbeiterInnen sind in einem ständigen Spannungsfeld: Defizite, welche sich systembedingt entwickelt haben, lassen sich nicht einfach kompensieren. Die von SozialarbeiterInnen verrichtete Arbeit kann nicht die Ursachen, die zu den Notlagen führen, in welchen ihr Klientel steckt, verändern. Es kommt zu einer Symptombekämpfung, leider nicht zu einer bleibenden, die Lebenswelten der Mehrheit beeinflussenden, Veränderung.

Wie alles, so unterliegt auch Sozialarbeit im Kapitalismus einer Kosten-Nutzen-Rechnung.  Am billigsten wäre, Problemfälle wegzusperren. Ein gewisses Ausmaß an Sozialarbeit ist aber aus Profitsicht nötig, um die Arbeitsfähigkeit anderer zu sichern. Je höher die Arbeitslosigkeit, umso geringer die Ausgaben für Sozialarbeit, dann können Familie oder unbezahlte „Ehrenamtliche“ übernehmen. Die Arbeit von SozialarbeiterInnen wird zwar gelobt, aber wert ist sie dem Kapital nicht viel. Die Bezahlung ist schlecht, Überstunden und Burnout stehen am Programm, die Belastungsschwelle wird kontinuierlich angehoben, ohne auf die Bedürfnisse von SozialarbeiterInnen und KlientInnen einzugehen. Beschlossen werden die Kürzungen von Menschen, die selbst noch nie im Sozialbereich tätig waren, und deren klare Profitorientierung wirkt sich stets zum Nachteil der Sozialeinrichtungen aus.

Die Bezahlung bzw. „Unter“zahlung von SozialarbeiterInnen ist immer eine politische Frage! Verbesserungen, welche die Betreuungsmöglichkeiten qualitativ verändern können, müssen erkämpft werden! Und der Wille zu Widerstand ist da, das haben zahlreiche Proteste aus diesem Bereich in den letzten Monaten gezeigt. Argumente gegen das effektivste Mittel des Widerstands, Streik, sind vielfältig. Die Angst, im Falle eines Streiks keine adäquate Betreuung gewährleisten zu können, ist verständlich aber falsch. KlientInnen und PatientInnen sind Menschen mit teilweise anderen Bedürfnissen, aber auch mit vielen gleichen. Wenn KlientInnen nur über ihre Arbeitsfähigkeit definiert werden, erscheinen sie als weniger wert – und damit auch nicht als BündnispartnerInnen. Die Verantwortung für den Widerstand liegt bei jenen, die die Kürzungen durchführen. Der Widerstand – u. a. Streiks – ist am erfolgreichsten durch die gleichberechtigte Zusammenarbeit von SozialarbeiterInnen und KlientInnen.

SozialarbeiterInnen sind nicht neutral, ihre Arbeit ist hochpolitisch. Sie müssen sich entscheiden, wo sie die Ursachen von Problemen sehen und, daraus ableitend, wo die Lösungen. Eine Gefahr besteht darin, die Gründe für die systemischen Probleme in anderen „Ursachen“ zu suchen (Kultur, Geschlecht…). Wenn die Ursachen der Probleme von KlientInnen aber auch der Kürzungen als nicht systemisch betrachtet werden, dann bietet sich als „Lösung“ an, bei Kürzungen zu kompensieren. Damit sind SozialarbeiterInnen im Hamsterrad der Selbstausbeutung – und darauf setzt die Politik.

Während der Kapitalismus verrottet, nehmen die sozialen Probleme und die Zerfallserscheinungen der Gesellschaft zu. Soziale Arbeit ist Politik, soziale Arbeit ist immer mit Widerstand verknüpft. SozialarbeiterInnen können Klassenbewusstsein stärken und fördern, sie können Teil im Kampf gegen das System einnehmen. Tag für Tag müssen sie mit ansehen welche barbarischen Ausmaße der Kapitalismus annimmt. Kitten lassen sich diese im Rahmen des Systems nicht. Bekämpfen schon!

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