Hongkong: 15 Jahre danach

Chinas Herrschaft in Hongkong hat die Stadt undemokratisch und ungleicher als je zuvor gemacht.
Vincent Kolo

Am 1.Juli wird in Hongkong der 15.Jahrestag der Rückkehr chinesischer Herrschaft begangen. Seit 2003 gibt es jedes Jahr Protestdemonstrationen dagegen, letztes Jahr mit über 200 000 TeilnehmerInnen.

Die diesjährige Demonstration wird eine Feuertaufe für den neuen Regierungschef Leung Chun-ying. Er ist ein autoritärer, kapitalistischer Politiker, von dem man annimmt, dass er Mitglied der chinesischen kommunistischen Partei (KPC) ist. Er bestreitet dies, wie viele andere führende PolitikerInnen in Hongkong. Offiziell existiert die KPC in Hongkong nicht. Insbesondere unter der Jugend ist sie unpopulär. Würde sie in Hongkong zu Wahlen antreten, müsste sie mit Niederlagen rechnen. Doch das Wahlsystem in Hongkong ist extrem undemokratisch. Zwar gibt es eine gewisse Autonomie – doch die Regierung wird von der KPC in Zusammenarbeit mit Hongkongs MilliardärInnen eingesetzt.

Massenproteste, die ein demokratisches Wahlrecht fordern, werden von der chinesischen Zentralregierung und ihren Hongkonger Vertretungen mit Pseudoreformen abgespeist. Die Hongkonger KapitalistInnen sind gegen Demokratisierung: Sie befürchten die Errichtung eines „Wohlfahrtstaates“ und negative Auswirkungen auf ihre Profite. Hongkong wird von rechten Thinktanks, unter anderem dem Wall Street Journal, als die „freieste Wirtschaft der Welt gepriesen. Österreich liegt hier auf Platz 28! Dabei ist laut UN die Kluft zwischen Arm und Reich in Hongkong die größte der Welt. Wohnungspreise sind unbezahlbar und seit 2008 um 82 % gestiegen. Das liegt so wohl am billigen US-Dollar als auch am einfließenden chinesischen spekulativen Kapital. 1/3 aller Wohnungskäufe seit 2008 wurden aus China heraus getätigt.

Hongkong hat mehr MillionärInnen als jede andere Stadt vergleichbarer Größe auf der Welt. Nur ein sehr geringer Teil dieses Wohlstandes wird für den Sozialbereich ausgegeben. Die soziale Lage hat sich seit der Machtübernahme Chinas verschlimmert. Die Armutsrate hat sich von 14,8 % auf 18 % erhöht. Das BIP ist in 10 Jahren um 30 % gestiegen, doch die Löhne stagnieren.

HongkongsWirtschaftwirdvoneinigenwenigenGroßgrundbesitzerfamiliendominiert.IhreImperienumfassenGrundbesitz,Bauwirtschaft,Hotels,Transport,TelekommunikationunddieBanken.Vier FamilienbeherrschendieHälftederWirtschaft.Dazu gehört auch Li Ka-shing, der reichste Mann Asiens. Er besitzt Firmen in 50 Ländern. 5 % jedes ausgegebenen Dollars in Hongkong fließen in seine Taschen. Hongkongs Auslandsvermögen sind die größten der Welt, noch vor der Schweiz. Verbindungen zwischen Hongkongs MilliardärInnen und der KPC bestehen seit den 1980er Jahren. Damals entstand die Doktrin, „die Wirtschaft für das Steuern der Politik zu nutzen“. Hongkongs MilliardärInnen drängen auf den chinesischen Markt. Sie sind dort große SpielerInnen. Die Kreditvergaben der Bank of Hongkong an China betragen 200 % des 280 Milliarden USD schweren BIP. Seit 1997 basiert Hongkongs Wirtschaft vor allem auf Geldwäsche. Geld wird aus China über Hongkong geschleust, um dann wieder in China als angebliche Auslandsinvestition aufzutauchen.

1985 wurde ein Komitee geschaffen, welches ein Grundgesetz für Chinas Machtübernahme in Hongkong schreiben sollte. 23 von 59 Mitgliedern waren aus Hongkong, 12 von diesen MilliardärInnen. Sie sorgten dafür, dass der Kapitalismus bis 2047 „das einzige System“ ist. Haushaltsdefizite sind verboten –  um einem möglichen Wohlfahrtstaat vorzubeugen.

Heute sind die MilliardärInnen auf vielschichtige Weise mit Regierungsstrukturen verwoben. Dieser Prozess ist mittlerweile auch in China selbst sichtbar. Diese Allianz wird von der KPC auch benutzt, um Einfluss auf Hongkongs „freie Presse“ zu nehmen. Die meisten Hongkonger MedienbesitzerInnen haben Wirtschaftsinteressen in China. Einige von ihnen sind gleichzeitig KPC Mitglieder. 2003, als eine halbe Millionen Menschen gegen die drohende Einschränkung der Versammlungsfreiheit und anderer demokratischer Rechte demonstrierte, rechtfertigten die Medien die repressiven Gesetzesvorschläge.

Seitdem gibt es jedes Jahr am 7.1. eine Massendemonstration. Auch dieses Jahr droht wieder eine Einführung neuer undemokratischer Gesetze. Die Opposition dagegen ist massiv, die Frustration über das nicht gehaltene Versprechen, das Wahlrecht einzuführen, auch. In Hongkong bahnt sich eine soziale Explosion an, die große Auswirkungen auf China selbst haben wird. Der Kampf für echte Demokratie wird dabei nicht von einem Kampf für Sozialismus zu trennen sein.

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