Weltwirtschaft: Auf holprigem Weg Richtung Krise

Diese erweiterte Analyse basiert auf einem Beitrag, der jüngst auf dem Weltkongress der ISA gehalten wurde.
Eric Byl, Mitglied der Internationalen Leitung

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hat Gita Gopinath vom IWF überraschend angekündigt, dass der Fonds seine Wirtschaftsprognose anheben wird. Dies geschah nachdem monatelang die verschiedenen internationalen Institutionen die Erwartungen bezüglich des Wachstums nach unten korrigiert hatten. Und zwar so sehr, dass es wahrscheinlich noch nie eine Rezession gab, die dermaßen erwartet worden war. Weniger als drei Wochen zuvor hatte Gita Gopinath selbst wiederholt, dass für ein Drittel der Welt eine Rezession erwartet wird und dass sich selbst in jenen Ländern, die sich technisch gesehen nicht in einer Rezession befinden, hunderte Millionen Menschen fühlen werden, als ob sie in einer solchen wären. Entsprechend haben die Kommentator*innen erwartet, dass der IWF bei seiner für Davos typischen Aktualisierung der Weltwirtschaftsprognose eine weitere Herabstufung und keine Aufwertung vornehmen würde. Was ist geschehen?

Zwei Drittel der vom Weltwirtschaftsforum befragten Chefökonom*innen hielten eine weltweite Rezession im Jahr 2023 für wahrscheinlich, 18 % sogar für sehr wahrscheinlich. 73 % der Geschäftsführer*innen gingen davon aus, dass das Wachstum der Weltwachstum in den nächsten 12 Monaten zurückgehen wird. Die Aufgabe von Gopinath bestand darin, in dieser hochkonzentrierten Masse potenzieller Investor*innen und politischer Entscheidungsträger*innen die ohnehin schon gedrückten Aussichten der Anwesenden nicht noch weiter zu dämpfen was zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung hätte führen können. Sie musste die Stimmung heben und tatsächlich nannte sie eine Reihe von Entwicklungen, die vorübergehend in eine weniger katastrophale Richtung weisen könnten. Dazu gehört das Ende der chinesischen Nullzinspolitik, der Beginn eines "grünen" Investitionsbooms in den USA und eine weniger schmerzhafte Anpassung Westeuropas an Russlands Krieg in der Ukraine.

Man hofft, dass eine rasche Wiederbelebung der chinesischen Wirtschaft zu einem Kaufrausch und einem neuerlichen Aufschwung führen wird. Zumal die Ersparnisse der privaten Haushalte seit Anfang 2020 um 42% auf 4,8 Mrd. $ gestiegen sind - eine Summe, die größer ist als das deutsche BIP. Weil die Nullzinspolitik die Wirtschaft lähmte und zu einem Rekord bei der Jugendarbeitslosigkeit geführt hat, war China - im Gegensatz zum weltweiten Trend - nicht mit hoher Inflation konfrontiert und senkte seine Zinssätze sogar. Gleichzeitig setzte man Maßnahmen zur Stützung des zusammenbrechenden Immobilien- und Grundstücksmarktes. So haben die staatlichen Banken schätzungsweise 256 Mrd. Dollar an potenziellen Krediten für ausgewählte Bauträger zugesagt.

In den USA sind mit im dem "Inflation Reduction Act" (IRA - Inflationsbekämpfungsgesetz) enthaltenen Subventionen und Steuergutschriften in Höhe von 369 Mrd. Dollar sowie im CHIPS-Act vorgesehenen Produktionszuschüsse und Forschungsinvestitionen in Höhe von 52 Mrd. Dollar gewaltige Summen vorgesehen, die den Appetit der Finanzinvestor*innen anregen. Beide zielen darauf ab, China einen Schritt voraus zu sein und es zu überholen. All das wird auch als"Tech-Nationalismus" bezeichnet.

Der milde Herbst und Winter in Europa (und den USA) hat dazu beigetragen, dass die Speicherkapazität für flüssiges Erdgas zu 88 % gefüllt war. Dadurch sind die Energiepreise seit ihrem Höchststand im August gesunken, während die Länder der Europäischen Union seit September 2021 Fördermittel in Höhe von rund 600 Milliarden Euro bereitgestellt haben, um Verbraucher*innen und Unternehmen vor steigenden Kosten zu schützen. All dies sowie die Ankündigung von Ursula von der Leyen, dass Brüssel als Reaktion auf den "Inflation Reduction Act" der USA die Vorschriften für staatliche Beihilfen vorübergehend aufweichen und strategisch klimafreundliche Unternehmen subventionieren wird, hat die katastrophalen Aussichten für die europäische Wirtschaft gemildert.

Dies sind reale Entwicklungen, die sich auf den Zeitpunkt und vorläufig auch auf das Ausmaß einer drohenden Rezession auswirken können und werden. Sie sind jedoch weitgehend staatlich gesteuert und haben konjunkturellen Charakter. Sie werden die zugrundeliegenden strukturellen Schwächen nicht beseitigen, geschweige denn lösen, sondern eher verstärken. Jene strukturellen Schwäche die eher früher als später mit neuer Kraft in den Vordergrund treten werden.

Wie haben sich die globalen Wirtschaftsaussichten entwickelt?!

Es war eben die Manifestation dieser Schwächen die ursprünglich die internationalen Institutionen dazu veranlasst haben, ihre Prognosen ab Ende 2022 nach unten zu korrigieren. Im Oktober senkte der IWF seine Prognose für das weltweite Wachstum im Jahr 2023 auf 2,7 %. Damit wäre dies das niedrigste Wachstum des 21. Jahrhunderts, abgesehen vom Pandemiejahr 2020 (-3 %), der Großen Rezession 2009 (-0,1 %) und der Dotcom-Rezession 2001 (2,5 %). Der IWF fügte hinzu, dass die Risiken bezüglich dieser Prognose ungewöhnlich groß und abwärts gerichtet seien.

Die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) prognostizierte für 2023 einen Rückgang des globalen Wachstums auf 2,2 % und fügte hinzu, dass das reale Welt-BIP dann deutlich unter dem Trend von vor der Pandemie liegen würde, was einen Verlust von 17 Mrd. Dollar bedeuten würde und fast 20 % des jährlichen Welteinkommens entspricht. Die Welthandelsorganisation warnte, dass sich der Welthandel im Jahr 2023 unter der Last hoher Energiepreise, steigender Zinssätze und kriegsbedingter Störungen drastisch abschwächen werde. Sie senkte ihre globale Wachstumsprognose auf 2,3 % mit der Warnung, dass eine stärkere Verlangsamung zu erwarten sei, wenn die Zentralbanken in ihrem Bemühen, die hohe Inflation einzudämmen, die Zinssätze zu stark anheben.

Bis vor einem Jahrzehnt galt - unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums, der relativ höheren Wachstumszahlen in den sog. Entwicklungsländern und der Ersatzinvestitionen (dienen der Wiederherstellung dessen, was an Wert verloren gegangen ist, ohne dass die Produktionskapazität erweitert wird) ein globales Wachstum unter 2,5 - 3 % per Definition als globalen Rezession - heute scheinen nur noch einige der seriöseren Wirtschaftswissenschaftler*innen diese Definition zu verwenden. Andernfalls wären nicht einmal die schweren Abschwünge in den Jahren 1974-75 (0,6 % globales BIP-Wachstum im Jahr 1975) und 1981-82 (0,4 % globales BIP-Wachstum im Jahr 1982) als globale Rezessionen eingestuft worden.

Das Peterson-Institut hat einen niedrigeren Wert vorausgesagt und geht von 1,8 % globalem Wachstum für 2023 mit einer Rezession in der Eurozone, den USA, dem Vereinigten Königreich und Brasilien aus. Das Institute for International Finance (IIF) schätzt das globale Wachstum für 2023 auf 1,3 % und spricht von einer weiteren "Großen Rezession".

In der zweiten Woche des Jahres 2023 gab die Weltbank dann bekannt, dass die Risiken, vor denen sie vor sechs Monaten gewarnt hatte, eingetreten sind und dass ihr vorheriges Worst-Case-Szenario zu ihrem Basisszenario geworden ist, indem sie das weltweite Wachstum für 2023 auf 1,7 % gegenüber 2,9 % sechs Monate zuvor schätzt. Die Weltbank fügte hinzu, dass dies bedeuten würde, dass das Jahrzehnt das erste seit den 1930er Jahren wäre, das zwei globale Rezessionen erleben würde. Als Hauptursachen nannte die Weltbank die hohe Inflation, die hohen Zinssätze, den Rückgang der Investitionen und die durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine verursachten Unruhen. Sie fügte hinzu, dass es "eine ganze Reihe von Risiken" gebe, und wies darauf hin, dass ein weiterer Anstieg der durchschnittlichen weltweiten Zinssätze um 1 %, die derzeit bei 5 % liegen, das weltweite Wachstum auf 0,6 % reduzieren würde, was einen Rückgang von 0,3 % pro Kopf der Bevölkerung bedeuten würde.

Die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen wird untergraben

Aber selbst wenn es den großen Volkswirtschaften auf der Grundlage der oben beschriebenen konjunkturellen Entwicklungen gelingen sollte, die Konjunktur weiter zu drosseln, um einen unmittelbaren wirtschaftlichen Einbruch hinauszuzögern, würde dies für Milliarden Menschen im globalen Süden nur wenig bringen und dennoch die Lebensgrundlage von Millionen Menschen in den "fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern" untergraben. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) war 2022 zum ersten Mal seit Beginn vergleichbarer Aufzeichnungen im Jahr 1999 das weltweite Reallohnwachstum negativ, da die Löhne nicht mit den steigenden Preisen mithalten konnten.

In den USA sanken die Reallöhne je Beschäftigten zwischen dem 3. Quartal 2021 und dem Vergleichsquartal 2022 um 2,2 %. In Deutschland (-4,3 %) und Spanien (-5,4 %) war der Rückgang noch größer. Selbst in Frankreich, wo aus Angst vor sozialen Explosionen frühzeitig Preisobergrenzen eingeführt wurden, und in Belgien, wo es den kapitalistischen Politiker*innen nicht gelang, den Widerstand gegen die vollständige Abschaffung Indexierung von Löhnen und Gehältern zu brechen, sanken die Reallöhne um 0,8 % bzw. 0,6 %. Seit dem Ende der Pandemie sind die Reallöhne in der Eurozone um 8 % gesunken.

Die Lohnquote, der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamteinkommen ging ebenfalls zurück, da 2022 die größte Lücke seit 1999 zwischen dem Wachstum der realen Arbeitsproduktivität und dem Reallohnwachstum zu verzeichnen war. Die Erosion der Reallöhne betrifft zwar alle Lohnabhängigen, wirkt sich aber stärker auf Haushalte mit niedrigem Einkommen aus, da diese einen höheren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen ausgeben - und deren Preise in den meisten Ländern schneller steigen als die Preise für nicht lebensnotwendige Güter.

Es ist allgemein bekannt, dass die Inflation die Ungleichheit erhöht, aber neuere Studien bestätigen auch, dass die Ungleichheit die Inflation aus mehreren Gründen tendenziell verschärft. Der wichtigste Grund ist, dass ärmere Haushalte es sich nicht leisten können, ihre Ausgaben zu streuen, da sie proportional stärker von lebensnotwendigen Gütern abhängig sind, und auch, weil sie im Verhältnis zum Gesamteinkommen mehr nominale Vermögenswerte (Bargeld, Bankguthaben und Schuldverschreibungen) besitzen als die Wohlhabenden (die einen Großteil ihrer Vermögen in Immobilien und längerfristigen Anlageformen haben, die weniger von Inflation betroffen sind, Anm.d.Ü).

Bislang ist das Wachstum der Löhne hinter jenem der Preise zurückgeblieben und hat somit die Inflation nicht angekurbelt, sondern gedämpft. Es gibt keine Lohn-Preis-Spirale, sondern im Gegenteil: es sind die Gewinne, die im Verhältnis zum Wert stark gestiegen sind. Wenn überhaupt, dann gibt es eine Gewinn-Preis-Spirale, und die Forderung nach höheren Löhnen ist nur eine Reaktion, um frühere Preissteigerungen zu kompensieren.

Entfesselte Ungleichheit

Im Gegensatz dazu hat der von Oxfam anlässlich des Weltwirtschaftsforums veröffentlichte Jahresbericht über Ungleichheit gezeigt, dass die 1 % Superreichen der Welt in den letzten zwei Jahren fast doppelt so viel neuen Reichtum (63 %) erworben haben wie die übrigen 99 % zusammen (37 %). Nur 10 % des neuen Reichtums ging an die ärmsten 90 %.

Nach Angaben der Credit Suisse wird das weltweite Privatvermögen bis Ende 2021 auf 463,6 Mrd. $ ansteigen. Das entspricht dem 4,5-fachen der weltweiten Produktion pro Jahr. 47,8 % davon befinden sich im Besitz der obersten 1,2 %, d. h. von 62,5 Mio. Menschen. Demgegenüber stehen 24 %, die auf die unteren 87 % entfallen. Oxfam weist auch darauf hin, dass für jeden einzelnen Dollar, der an Steuern eingenommen wird, nur 0,04 Dollar aus Vermögenssteuern stammen, während der Spitzensteuersatz für Einkommen von durchschnittlich 58% im Jahr 1980 auf derzeit 42% in den OECD-Ländern und 31% in 100 Ländern gesunken ist.
Oxfam hat errechnet, dass eine Vermögenssteuer von 5 % auf die Multimillionär*innen und Milliardär*innen der Welt jährlich 1,7 Milliarden Dollar einbringen könnte, genug, um 2 Milliarden Menschen aus der Armut zu befreien und einen globalen Plan zur Beendigung des Hungers zu finanzieren. Auch wenn die selbsternannten "Patriotischen Millionär*innen" während des WEF mit ihrer Forderung das sie besteuert werden sollten überproportionale viel Aufmerksamkeit in den Medien erlangten, würde eine tatsächliche Umsetzung massenhafte Kämpfe auf internationaler Ebene brauchen sowie eine Arbeiter*innenklasse, die eine Bedrohung, den Kapitalismus vollständig abzuschaffen, darstellt. Mit anderen Worten: Anstatt den Kampf auf eine bescheidene Verringerung der gigantischen Ungleichheit zu beschränken, muss der Kapitalismus, die eigentliche Ursache der Ungleichheit, ausgerottet werden.

Was treibt die Preise in die Höhe?

Im September 2022 errechnete der Europäische Gewerkschaftsbund, dass die durchschnittliche jährliche Energierechnung in den meisten EU-Mitgliedstaaten mehr als einen Monatslohn für Niedriglohnempfänger*innen ausmacht. In einigen Fällen waren es sogar mehr als zwei Monatsgehälter. In Belgien war der Warenkorb Ende 2022 um 18 % teurer als zu Beginn des Jahres. In den USA lag die Inflation für Wohnen bei 7 % mit steigender Tendenz, aber dieser Wert täuscht über die tatsächlichen Auswirkungen bezüglich Wohnens hinweg. Die durchschnittliche Hypothekenzahlung war im Oktober um 77 % höher als im Vorjahr. In den neokolonialen Ländern löste die Lebensmittel- und Energieknappheit nicht weniger als Katastrophen aus.

Es gibt viele Faktoren, die die Preise in die Höhe treiben. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine ließ die Lebensmittel- und Energiepreise in die Höhe schnellen. Zwischen 2020 und März 2022 stieg der Preisindex der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für Lebensmittel um 60 %, für Getreide um 70 % und für Pflanzenöle um 150 %. Die Preissteigerungen wurden zwar durch den Krieg verschärft, begannen aber schon vorher.

Sobald sich nach dem Höhepunkt der Pandemie die Volkswirtschaften wieder öffneten wurde die Unterbrechung der Lieferketten zu einem wichtigen Inflationstreiber. Ende 2021 erreichte der Index der Federal Reserve Bank of New York für den globalen Druck auf die Lieferketten 4,30 Punkte, nachdem er im Oktober desselben Jahres einen Tiefstand von 0,10 Punkten verzeichnet hatte. Dies wurde als vorübergehend bzw. nur von kurzer Dauer angesehen, als Ergebnis der pandemiebedingten Schließungen, die sich bald auflösen würden - aber es spielten viele andere Faktoren hinein, die die Inflation viel hartnäckiger machten als erwartet.
In den vergangenen Jahrzehnten der neoliberalen Globalisierung kam es zu einer starken globalen Integration der Produktion. Zwischen 1980 und 2002 hat sich der Welthandel mehr als verdreifacht, während sich die Weltproduktion verdoppelt hat. Die weltweiten ausländischen Direktinvestitionen (FDI) erreichten Ende der neunziger Jahre 1,4 Billionen Dollar, während es in den achtziger Jahren noch 5 Milliarden Dollar jährlich gewesen waren. Der globale Kapitalismus machte sich die kapitalistische Diktatur in China zunutze, die billige, gut ausgebildete Sklavenarbeit bot. Die Nutzung ausländischer Direktinvestitionen durch China hat sich zwischen 1983 und 2018 versechzigfacht. Asien wurde ab 2010 zum Kontinent mit der größten Volkswirtschaft und überholte in Bezug auf das BIP in Kaufkraftparität die Volkswirtschaften Europas und Nordamerikas zusammen.
In gewissem Sinne wurde der westliche Imperialismus Opfer jener Kräfte, die er freigesetzt hat, da die Kräfte der Globalisierung die relative wirtschaftliche Dominanz der USA und insbesondere Europas schmälerten. Die Große Rezession von 2008/9 war ein Wendepunkt. Von da an wurde China nicht mehr als gigantischer billiger Ausbeuterbetrieb für die Welt gesehen, sondern als wichtige Konkurrenz und als Bedrohung für die globale Vorherrschaft. Die Globalisierung erreichte ihren Höhepunkt. Der Welthandel wurde von einer treibenden Kraft zu einem Hemmschuh für die Wirtschaft. Der daraus resultierende Neue Kalte Krieg ist ein Versuch der alten Imperien, zurück zuschlagen. Ein Vertreter der USA machte deutlich: "Wir wollen eine neue Globalisierung, die für uns arbeitet".
Die globale Integration der Produktion setzt stabile internationale Beziehungen voraus, doch diese sind mit dem sich beschleunigenden Neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China, der durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurde, verschwunden. Nichts deutet darauf hin, dass die Spannungen abnehmen werden, im Gegenteil. Wir befinden uns mitten in einem Wirtschaftskrieg um Halbleiter und Elektronikchips, mit zunehmenden Streitigkeiten darüber, wer Zugang zu den Ressourcen hat und sie wirtschaftlich, technologisch und militärisch dominiert, auf und unter der Erde, zu Wasser, in der Luft und im Weltraum.

US-Präsident Biden sprach im Oktober 2022 Klartext, als er dieses Jahrzehnt als das entscheidende bezeichnete. Die Herausforderung sei "nicht weniger als die Zerstörung der amerikanisch geprägten Weltordnung durch China", die "größere Bedrohung der Weltordnung". Russland stelle "das akute Problem" dar, beide würden sich zwangsläufig annähern.

Das bedeutet wirtschaftlichen Nationalismus, den Einsatz von Umwelt- und Sozialgesetzen zum Schutz der eigenen Interessen sowie klassischen Protektionismus durch Zölle; Re-, Near- und Friendshoring, Entkopplung und Endglobalisierung; Formen nationaler Industriepolitik durch selektive Investitionen. Diese haben nicht das Ausmaß von Roosevelts New Deal erreicht, da der wirtschaftliche Spielraum durch die bereits historisch hohe Verschuldung einfach zu begrenzt ist. Dennoch wird es mehr Elemente staatlicher Intervention geben, um die zunehmende Militarisierung zu finanzieren aber auch um Aufstände gegen das System zu bekämpfen.
Die Just-in-time-Produktion, die in den vergangenen Jahrzehnten so lukrativ war, weil sie Kosten und Preise senkte und Lagerbestände und Lagerkapazitäten auflöste, hat sich in ihr dialektisches Gegenteil verkehrt. Von einem Faktor, der den Welthandel ankurbelte, hat sie sich in einen Faktor verwandelt, der Unterbrechungen in den Lieferketten verschärft und die Produktionskosten und Preise in die Höhe treibt. Die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage wurde zum Haupttreiber der Inflation. Wenn dieser Zustand nicht beseitigt wird, könnte es in einer Periode der Stagflation enden, d. h. einer wirtschaftlichen Stagnation oder Schrumpfung in Verbindung mit einer hohen Inflation.

Der Kampf gegen die Inflation wird neu aufgerollt

Es war dieses Schreckgespenst, das die US-Notenbank (Fed) und andere Zentralbanken davon überzeugte, von einer lockeren Politik des billigen Geldes und der quantitativen Lockerung ("Quantitative Easing") auf eine quantitative Straffung umzustellen ("Quantitative Tightening" - geldpolitisches Instrument der Zentralbanken um die Geldmenge zu verringern, Anm.d.Ü.). Dies geschah schnell und drastisch, in historischem Tempo, und sollte die Nachfrage der Haushalte und Unternehmen senken, um sie mit dem Angebot in Einklang zu bringen. Dieser Ansatz erschwert allerdings die Rückzahlung von Schulden für Staaten, Unternehmen und Verbraucher*innen gleichermaßen. Er wird eine Flucht der Finanzinvestor*innen in sichere Märkte auslösen und damit unweigerlich auch die Angebotsseite treffen. Die Inflation wird zwar zurückgehen, aber nur, um durch höhere Arbeitslosigkeit und Insolvenzen ersetzt zu werden.

Dieser Ansatz erinnert an die stark ideologisch geprägte Schocktherapie, die der ehemalige Vorsitzende der Federal Reserve Bank, Paul Volcker, in den frühen 1980er Jahren anwandte. Er erhöhte die Zinssätze auf 20 %, was nach Abzug der Inflation bedeutete, dass die Realzinsen von negativ auf 5 % stiegen. Innerhalb von drei Jahren ging die Inflation von 13 auf 3 % zurück, aber die Arbeitslosigkeit verdoppelte sich auf über 10 %. In Lateinamerika löste dies das "verlorene Jahrzehnt" aus. Auf die Frage, ob seine Politik funktionieren würde, antwortete Volcker damals: "Ja, durch Bankrotte".

Aber selbst das ist fraglich. Mindestens ebenso wichtig war die Niederlage, die der damalige US-Präsident Ronald Reagan 1981 den Fluglots*innen und damit der gesamten Arbeiter*innenbewegung zufügte. Außerdem sank während Reagans Präsidentschaft die Staatsverschuldung nicht, sondern verdreifachte sich fast von 738 Milliarden auf 2,1 Billionen Dollar. Die USA, die bis dahin der größte internationale Gläubiger der Welt gewesen waren, wurden zur größten Schuldnernation.

Aus diesem Grund stellten die Vorläufer*innen der ISA in ironischer Art Reagans monetaristische Darstellung in Frage und nannten ihn einen negativen Keynesianer. Keynesianisch, weil er eine Politik der Staatsausgaben betrieb, aber negativ, weil er nicht für Dienstleistungen, Löhne oder Zuschüsse ausgab, sondern zur Subvention von Unternehmen, insbesondere für das Wettrüsten, und für Steuersenkungen für die Reichen. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher verfolgte eine eher klassisch monetaristische Politik, die zum völligen Ruin der industriellen Basis des Vereinigten Königreichs führte.

Marx und die Inflation

Marx hat nie eine umfassende Inflationstheorie veröffentlicht, aber er teilte nicht die monetaristische Ansicht, dass die Geldmenge die Preise bestimmt. Er vertrat stattdessen die Ansicht, dass die Preise die Geldmenge bestimmen, da die Preise den Arbeitsaufwand für die Produktion von Waren und Dienstleistungen darstellen. Wenn Investitionen in die reale Produktion die Menge der im Umlauf befindlichen Waren und Dienstleistungen erhöhen, muss die Geldmenge dem folgen, und zwar auf einem etwas höheren Niveau, um den Markt geschmeidig zu halten.
Die Illusion, dass es einfach durch das Drucken von Geld automatisch zu einer gleichwertigen Investitionen kommt, um die Produktion von Gütern und Dienstleistungen anzukurbeln - was der heilige Gral der modernen Geldtheorie ist - wird nachweislich von der Realität überholt. Wie zu erwarten, entwertet dies nur die Menge an Arbeit, die das Geld repräsentiert, was wir Inflation nennen.
Die billige Geldschöpfung läuft seit der Großen Rezession von 2008/9. Damals wurden die Realzinsen auf null oder negativ gesenkt und die Fed und alle anderen großen Zentralbanken haben mit Hilfe der Quantitativen Lockerung die ausstehenden Schulden monetarisiert. Der einzige Grund, warum dies damals keine Inflation auslöste, ist, dass der Großteil dieses zusätzlichen Geldes in die Aktienmärkte floss, wo es zu einer Inflation der Vermögenswerte führte.
Wenn dieses zusätzliche Geld jedoch seinen Weg in die Realwirtschaft findet, führt sein Multiplikatoreffekt - die Tatsache, dass das Geld den Kreislauf nie wirklich verlässt, es sei denn, es wird gehortet, und von Tasche zu Tasche spring - zu einer raschen Überhitzung der Wirtschaft, die sich in einer galoppierenden und in einigen Fällen in einer Hyperinflation äußert.
Marx lehnte auch die klassische keynesianische These ab, dass die Inflation von den Löhnen angetrieben würde, und wies darauf hin, dass der Kampf um Lohnerhöhungen nur aus früheren Veränderungen der Preise, der Produktivität usw. resultiere. Er sah die Wirtschaft als ein viel komplexeres Zusammenspiel widersprüchlicher Kräfte.
Heute wirken viele Faktoren zusammen, die die Inflation nähren, vom Neuen Kalten Krieg und dem daraus resultierenden Prozess der Deglobalisierung und Entkopplung bis hin zu demografischen Verschiebungen, Klimakatastrophen, dem neuen Rüstungswettlauf, dem historischen Ausmaß an Ungleichheit zwischen und innerhalb von Nationalstaaten, der Schuldenlast, der Finanzspekulation, der Konzentration von Reichtum in wenigen Händen und vor allem der Überakkumulation (Anhäufung, Anm.d.Ü.) von Kapital, die zu einem tendenziellen Rückgang des pro Einheit investierten Kapitals erzielten Gewinns (der Profitrate) und einem historisch niedrigen Niveau der Investitionen in die reale Produktion führt.
Die Tatsache, dass sowohl die neoliberale Austerität als auch die Geldschöpfung nur neue Probleme verursachen, macht um so deutlicher, wie die gesellschaftliche Entwicklung in Konflikt mit dem Privateigentum an Produktionsmitteln und den Beschränkungen durch die eigentlich längst überholten Nationalstaaten gerät.

Eine langwierige, harte Landung ist möglicherweise verschoben, aber fixer Bestandteil der Situation

Die quantitative Straffung hat sicherlich dazu beigetragen, die Inflationsrate in den USA zu senken, die eindeutig ihren Höhepunkt erreicht hat und nun zurückgeht. Im Dezember lag sie im Jahresvergleich bei 6,4 % und damit unter dem Höchststand von 9 % im Sommer. Aber es gibt auch andere Faktoren, die dazu beigetragen haben. Die Lebensmittel- und Energiepreise haben sich am stärksten verlangsamt, letztere, weil ein ungewöhnlich warmer Winter in den USA und Europa die Nachfrage nach Erdgas verringert hat. Allein im letzten Monat fielen die Gaspreise um über 50 %, und die Energieerzeuger diskutieren bereits über eine Einschränkung der Produktion, um die Preise nach oben zu treiben.

Die Kerninflation, bei der die Lebensmittel- und Energiepreise nicht berücksichtigt werden, erreichte ebenfalls einen Höchststand, wenn auch nicht im selben Ausmaß, zumal die Wohnungskosten weiter steigen, während die Preise für andere Dienstleistungen nur mäßig sanken. Auch der Angebotsschock für die Preise blieb zwar bestehen, ging aber, wie erwartet ab einem bestimmten Zeitpunkt zurück. Im Dezember 2022 war der Index für den weltweiten Druck auf die Versorgungskette der New Yorker Fed auf 1,18 Punkte gesunken - immer noch viel höher ist als zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Pandemie, aber viel weniger als noch im Jahr zuvor. Schließlich wird die Inflation auch deshalb zurückgehen, weil sich das Wachstum in den großen Volkswirtschaften verlangsamt.

Bedeutet das, dass alle Probleme überwunden sind, die Inflation gebändigt ist und ein e Krise vermieden wurde, auch wenn das Wachstum im historischen Vergleich niedrig sein mag?

Die Anzeichen dafür, dass die großen Volkswirtschaften in der ersten Hälfte dieses Jahres nur knapp einem unmittelbaren Einbruch und möglicherweise einer Rezession entgehen könnten, haben in den letzten Wochen sicherlich zugenommen. Allerdings gibt es immer noch mindestens ebenso viele große Gefahren die das fragile Gleichgewicht in die andere Richtung kippen könnten. Nouriel Roubini, alias Dr. Doom (Dr. Unheil, Anm.d.Ü), räumt zwar ein, dass "die Mutter aller Stagflationskrisen" aufgeschoben sein könnte - aber eben nicht vermieden werden und weißt systematisch auf die seit Jahrzehnten anhaltende Explosion von Defiziten, Kreditaufnahme und Verschuldung hin.

Die globale private und öffentliche Verschuldung im Verhältnis zum weltweiten BIP ist von 200 % im Jahr 1999 auf 350 % im Jahr 2021 gestiegen und liegt jetzt bei 420 % in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und 330 % in China. In den USA ist sie höher als während der Großen Depression. Das betrifft jeden. Jahrzehntelang wurde den Haushalten gesagt, sie sollten auf Kredit leben und quasi ihr künftiges Einkommen ausgeben, die Unternehmenssteuern und die Steuern für hohe Einkommen wurden gesenkt, während die Ausgaben stiegen, und Schulden wurden durch eine ultralockere Geldmengenpolitik dem Eigenkapital vorgezogen. Allein im letzten Jahrzehnt stieg die weltweite Verschuldung um 90 Mrd. US-Dollar, während das weltweite BIP nur um 20 Mrd. US-Dollar wuchs.

Als Reaktion auf die Pandemiekrise 2020 pumpten die Zentralbanken um einen Finanzcrash zu verhindern Billionen von Dollar in die Wirtschaft - neunmal so viel wie während der Großen Rezession 2008/9. Darüber hinaus erhöhten die Regierungen die öffentlichen Ausgaben, um den Zusammenbruch des Systems zu verhindern und um die Auswirkungen abzufedern um so soziale Explosionen zu vermeiden. In diesem Jahr stieg die weltweite Verschuldung um 29 %, der größte Anstieg in einem Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg.

Das bedeutet, dass viele Kreditnehmer - Haushalte, Unternehmen, Banken, Schattenbanken, Regierungen und ganze Staaten - zu Zombies wurden, die durch Null- oder Negativzins-Politik, quantitative Lockerung und fiskalische Rettungsmaßnahmen am Leben erhalten wurden. Im Zuge der quantitativen Straffung werden sie nun mit stark steigenden Kreditkosten, sinkenden Erträgen und sinkenden Vermögenswerten konfrontiert sein - und das alles gleichzeitig.

Während der Großen Rezession von 2008/9 konnten die G20 Staaten mit einer untereinander abgestimmten Politik gegensteuern, aber nun mit zunehmenden globalen Spannungen ist das nicht mehr möglich. Damals hat China ein umfangreiches Konjunkturprogramm eingeleitet, doch jetzt bricht das staatskapitalistische Modell in China wie die aktuelle Immobilienkrise zeigt. Auch wenn das Ende der Nullzinspolitik einen gewissen Aufschwung der Wirtschaft bedeutet, stellt sich doch die Frage, wann das Ausgabenfüllhorn versiegt und ob dies nicht dazu führen wird, dass China bezüglich Inflation dem weltweiten folgt, wenn auch mit Verzögerung. Dazu kommt noch, das China selbst ein große Schuldnernation geworden ist.

Private und öffentliche Schuldner*innen einfach "zu retten" wie es in einer Reihe von Fällen erfolgt ist, wird mit der Zeit die Inflation weiter anheizen. Eine harte Landung, eine tiefe, lang anhaltende Rezession, in der sich Wirtschaftskrise und Finanzcrash gegenseitig verstärken, ist immer noch eine sehr reale Gefahr.

Auf Kosten eines "systemischen Risikos"

Dass dies noch nicht geschehen ist, liegt zum Teil daran, dass die Inflation die "reale" Belastung durch die Kreditkosten gesenkt hat. Es liegt auch daran, dass trotz steigender Kosten für die Kreditaufnahme und den Schuldendienst im Jahr 2022 ein enormer Kreditboom stattfand, mit einem Anstieg der US-Bankkredite um 1,5 Billionen Dollar.

Neben den Bankkrediten kam es auch zu einer massiven Zunahme von Krediten "niedriger Qualität". Die Gesamtverschuldung von US-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors beläuft sich auf 12,7 Billionen US-Dollar, wobei der Anteil der minderwertigen Kredite 40 % des Gesamtvolumens erreicht. Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors wie Hedge-Fonds und Private-Equity-Firmen machen inzwischen einen sehr großen Teil der Aktivitäten des Finanzsektors aus und stellen "ein systemisches Risiko für die Finanzstabilität" dar.

Dies hängt zwar auch mit der Flucht in sichere Anlagen, hier konkret in den US-Dollar, zusammen, sollte aber nicht als Zeichen des Vertrauens in die US-Wirtschaft gewertet werden. Die Tatsache, dass die Renditekurve der US-Staatsanleihen seit über einem Jahr tief invertiert ist (also einen untypischen Verlauf hat, Anm.d.Ü), dass die Rendite zehnjähriger Anleihen unter den kurzfristigen Zinssätze (3 Monate oder 1 Jahr) liegt, verdeutlicht den Mangel an Vertrauen. Eine invertierte Renditekurve gilt als guter Indikator für einen bevorstehenden Konjunktureinbruch. Allen der letzten acht Rezessionen ging eine ebensolche Umkehrung der Renditekurve voraus.

Dies wurde auch dadurch begünstigt, dass die Unternehmensgewinne, die bis 2019 nicht mehr gestiegen und dann während des Pandemieeinbruchs um 15 % eingebrochen waren, sich bis 2021 auf 40 % erholten. Die Gewinnmargen der US-Unternehmen außerhalb des Finanzsektors erreichten Höchststände wie seit Jahrzehnten nicht mehr, da die Gelegenheit genutzt wurde, die Preise zu erhöhen, während die Löhne hinterherhinkten. Infolgedessen konnten die US-Unternehmen ihre Schulden problemlos bedienen. Bis zum 3. Quartal 2022 verlangsamte sich das Gewinnwachstum jedoch auf 3,4 % und es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt.

Die Aktienkurse von führenden Technologieunternehmen wie Tesla und Meta sind bereits stark gefallen. Insgesamt hat der Technologiesektor über 200.000 Arbeitsplätze abgebaut. Die Verknappung der Kredite hat ernsthafte Zweifel am Schneeballsystem der Kryptowährungen aufkommen lassen. Zu Beginn des Jahres hatte die Marktkapitalisierung von Kryptowährungen 70 % ihres Höchststands vom November 2021 verloren. Dies könnte sich zwar teilweise auf einem niedrigeren Niveau wieder einpendeln, da ein Einbruch weniger unmittelbar bevor zustehen scheint, doch ist dies nur ein Auswuchs der Spekulation, die in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs produktive Investitionen ersetzt. Damit der Kryptomarkt die Dynamik der vergangenen Jahre wiedererlangt, wäre eine wesentlich robustere Wachstumsphase erforderlich, die vorerst ausgeschlossen ist.

Wenn die Zentralbanken in den nächsten Monaten ihre straffe Geldpolitik fortsetzen, könnte es für Unternehmen zunehmend schwieriger werden, ihre Schulden zu bedienen, was wiederum zu Insolvenzen führen könnte. Allgemeiner ausgedrückt: Wenn die Rentabilität weiter sinkt und zu einem Rückgang der Gesamtgewinne führt, folgen die Investitionen und die Beschäftigung. Dies ist der stärkste Indikator für einen bevorstehenden Konjunktureinbruch. Tim Gramatovich, langjähriger Investmentchef bei Gateway Credit, hat die Märkte diesbezüglich eindringlich gewarnt. Während die Aktienkurse normalerweise als gesund gelten, wenn sie zum 18- bis 20-fachen des Gewinns gehandelt werden, schätzt er, dass sie heute eher zum 10-fachen des Gewinns gehandelt werden sollten.

Die Straffung der Geldpolitik durch die Zentralbanken der G7-Staaten ähnelt in Tempo und Ausmaß mehr derjenigen in den 1970er und frühen 1980er Jahren als jede andere seither. Das könnte eine neue Euro-Krise auslösen, beginnend mit Italien, dem schwächsten Glied. Die rechtsextreme Ministerpräsidentin Meloni war bereits gezwungen, ihre euroskeptische Rhetorik aufzugeben, und zu versprechen, Draghis Politik fortzusetzen. Darüber haben wir eine besonders starke Aufwertung des US-Dollars gesehen was allerdings kein Indikator für wirtschaftliche Gesundheit ist, sondern Ausdruck eines extremen Pessimismus auf den internationalen Geldmärkten, da die Anleger*innen den "am wenigsten schlechten Standort" suchen. Dies hängt auch damit zusammen, dass die USA nach wie vor von der Dominanz des Dollars bei internationalen Transaktionen, Währungsreserven und internationalen Krediten profitieren.

In Ländern, in denen die Einkommen der arbeitenden Bevölkerung und die Einnahmen aus Unternehmen und Steuern in der eigenen Währung laufen, während die Ausgaben für Waren und Dienstleistungen aus den USA oder die Rückzahlung von Krediten steigen, hat dies verheerende Auswirkungen. Sri Lanka, Sambia und Ghana sind bereits mit ihren Schulden in Verzug geraten, Ägypten und Pakistan stehen am Rande des Abgrunds. Die UNO schätzt, dass die Zinserhöhungen in den USA im Jahr 2022 den so genannten Entwicklungsländern - mit Ausnahme Chinas - künftige Einkommen in Höhe von 360 Milliarden US-Dollar entziehen.

Nach Angaben des IWF sind etwa 15 % der Länder mit niedrigem Einkommen bereits zahlungsunfähig und für weitere 45 % besteht ein hohes Risiko dafür. Von den Schwellenländern sind 25 % stark gefährdet und sehen sich mit ausfallähnlichen Kreditspreads konfrontiert. Nach Angaben der Weltbank werden die ärmsten Länder der Welt in diesem Jahr voraussichtlich 35 % mehr an Zinsen für ihre Schulden zahlen müssen, um die zusätzlichen Kosten abzudecken die im Zusammenhang mit der Covid-Pandemie und dem dramatischen Anstieg der Preise für Lebensmittelimporte entstanden sind. Die Zahl der Menschen, die in Ländern mit niedrigem Einkommen unter Ernährungsunsicherheit leiden, stieg von 56 Millionen im Jahr 2019 auf 105 Millionen im Jahr 2022.

Auch wenn es noch ein weiter Weg bis dahin ist, aber die dominante Stellung des US-Dollars wird zunehmend durch den chinesischen Yuan in Frage gestellt. Seit mehr als sechs Jahren, als die Beziehungen zu den USA komplizierter wurden, gab es immer wieder Gespräche zwischen Saudi-Arabien und China, die im letzten Jahr an Fahrt aufgenommen haben, über Ölverträge in Yuan. Dies wird durch die Schwäche der chinesischen und auch der russischen Wirtschaft untergraben. Russland handelt sein Ural-Rohöl mit einem Abschlag von 30 bis 40 % gegenüber dem Brent-Rohöl, was in diesem Jahr einen Verlust von 150 Mrd. US-Dollar bedeutet. Dadurch könnte sich sein Haushaltsdefizit von 2,3 % des BIP im letzten Jahr auf 7 % in diesem Jahr erhöhen. Diese Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, da die erwarteten Auswirkungen der westlichen Sanktionen, auch wenn sie spürbar sind, bisher nicht annähernd die Erwartungen und Prognosen erfüllt haben.

Die größte Bedrohung für die Vorherrschaft des US-Dollars kommt derzeit eher aus der Innenpolitik, nämlich dem Scheitern des Kongresses, eine Einigung über die Anhebung der gesetzlichen Schuldenobergrenze zu erzielen. Ein technischer Zahlungsausfall der USA würde die Position des Dollars ernsthaft schädigen. Insofern erlangt die Krise des politischen Regimes in den USA Bedeutung für die ganze Weltwirtschaft.

Schlussfolgerung

Während wir nicht ausschließen können, dass aufgrund konjunktureller Entwicklungen, die hauptsächlich die Folgen staatlicher Intervention sind, zumindest in der westlichen kapitalistischen Welt und in China, die drohende Entwicklung noch hinausgezögert werden kann ist es doch klar, dass alle strukturellen Entwicklungen in Richtung eines tiefen und lang anhaltenden globalen Einbruchs weisen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die strukturellen Schwächen abhängig von kommenden Ereignisse diese konjunkturellen Faktoren noch überlagern und zunichte machen können. Selbst wenn das chinesische Wachstum stärker ausfallen sollte als erwartet, würde dies vom Rest der Welt nicht als positiv empfunden werden, sondern würde vielmehr den Inflationsdruck und die Treibhausgasemissionen erhöhen und zu einem noch heißeren Kalten Krieg führen.

Die Kapitalist*innen auf beiden Seiten des Neuen Kalten Krieges stehen diesen katastrophalen Aussichten mit ihren Institutionen, politische und andere, gegenüber, die zunehmend an Rückhalt verlieren, gespalten sind und denen es an Autorität fehlt. Dies führt zu einer politischen und sozialen Polarisierung, sowohl nach links als auch nach rechts. Dort, wo die kapitalistischen Staaten noch über einige Mittel verfügen, um die Auswirkungen der Krise abzufedern, werden sie dies auch tun, aber selbst dort wird dies von jenen Flügeln in Frage gestellt werden, die für eine repressivere und härtere, arbeiter*innenfeindliche Politik stehen, die sich einer Politik von "Teile und Herrsche" bedient. Der Klassenkampf wird härter und brutaler werden, und es wird kein wirklicher Raum für Reformen bleiben, und wo es sie gibt, werden sie vorübergehend und nur nach heftigen Kämpfen möglich sein. Linke und rechte Kräfte werden in einem viel schnelleren Rhythmus als in den vergangenen Jahrzehnten ausgetestet werden.

Wir haben bereits explosive Proteste erlebt, oft Rund um Fragen von Unterdrückung, aber auch, und das in zunehmendem Maße, wegen wirtschaftlicher Fragen, insbesondere wegen der Krise der Lebenshaltungskosten. Kämpfe um Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitsdruck werden sich mit Kämpfen um demokratische Rechte und Widerstand gegen Unterdrückung vermischen und diese beleben. Dies sind die objektiven Bedingungen, die dazu führen, dass die Arbeiter*innenklasse wieder in den Vordergrund tritt, wie es heute in Frankreich, dem Vereinigten Königreich und bis zu einem gewissen Grad auch in den USA geschieht. Vom Standpunkt der Arbeiter*innenklasse aus gesehen würde es uns Zeit geben, uns zu organisieren und vorzubereiten, wenn die Kapitalist*innen eine größere, lang anhaltende Krise noch hinausschieben können. Dies wäre objektiv besser und würde mehr Selbstvertrauen für den Kampf geben, während eine sofortige Krise zumindest für eine gewisse Zeit eine lähmende Wirkung haben könnte, obwohl selbst das wahrscheinlich von kürzerer Dauer wäre als bei der Großen Rezession von 2008/9.